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202. Nacht

„Der Prinz von Persien hielt ihn zurück. „Edler
Freund,“ sagte er zu ihm, „wenn ich euch erklärt habe, dass es nicht
in meiner Gewalt steht, euren weisen Rat zu befolgen, so bitte ich euch, es mir
jedoch nicht zum Verbrechen zu machen, und mir deshalb eure Freundschaft nicht
zu entziehen. Ihr könnt mir keinen größeren Beweis derselben geben, als mich
von dem Schicksal meiner geliebten Schemselnihar zu unterrichten, wenn ihr etwas
davon vernehmt. Die Ungewissheit, worin ich ihretwegen bin, die tödlichen
Besorgnisse, welche ihre Ohnmacht mir erregt, erhalten mich in der Mutlosigkeit,
die ihr mir vorwerft.“

„Herr,“ antwortete ihm Ebn Thaher, „ihr
dürft hoffen, dass ihre Ohnmacht keine üble Folgen gehabt hat, und dass ihre
Vertraute unverzüglich kommen wird, mich zu benachrichtigen, wie alles
zugegangen ist. Und sobald ich es weiß, werde ich nicht säumen, es euch
mitzuteilen.“

Ebn Thaher ließ den Prinzen in dieser Hoffnung, und
kehrte nach seiner Wohnung zurück, wo er den ganzen übrigen Tag die Vertraute
der Schemselnihar vergeblich erwartete. Er sah sie sogar auch den folgenden Tag
nicht. Seine Unruhe über den Gesundheitszustand des Prinzen von Persien
erlaubte ihm nicht länger, von ihm entfernt zu bleiben. Er ging zu ihm, um ihn
zur Geduld zu ermahnen. Er fand ihn im Bett, noch eben so krank, als zuvor, und
umgeben von Freunden und einigen ärzten, die alle Mittel ihrer Kunst anwandten,
um die Ursache seiner Krankheit zu entdecken. Sobald er Ebn Thaher erblickte,
sah er ihn lächelnd an, sowohl aus Freude über seine Ankunft, als um ihm zu
erkennen zu geben, wie sehr seine ärzte, die den Grund seiner Krankheit nicht
erraten konnten, sich in ihren Beobachtungen täuschten.

Die Freunde und ärzte entfernten sich, einer nach dem
anderen, so dass Ebn Thaher mit dem Kranken allein blieb. Er näherte sich
seinem Bett, und fragte ihn, wie er sich befände, seitdem er ihn nicht gesehen
hätte. „Ich muss euch sagen,“ antwortete der Prinz, „dass meine
Liebe, die fortwährend stärker wird, und die Ungewissheit über das Schicksal
der liebenswürdigen Schemselnihar mein übel mit jedem Augenblick vermehren,
und mich in einen Zustand versetzen, der meine Verwandten und meine Freude
bekümmert, und meine ärzte, die es nicht begreifen können, irre macht. Ihr
könnt nicht glauben,“ fügte er hinzu, „wie sehr die Zudringlichkeit
so vieler Leute mich belästigt, die ich doch mit Ehren nicht abweisen kann. Ihr
seid der einzige, dessen Gesellschaft mich erquickt: Aber nun verhehlt mir auch
nichts, ich beschwöre euch darum. Welche Neuigkeiten bringt ihr mir von meiner
Vielgeliebten? Habt ihr ihre Vertraute gesehen? Was hat sie euch gesagt?“

Ebn Thaher antwortete, dass er sie nicht gesehen hatte,
und er hatte nicht sobald diese traurige Nachricht dem Prinzen mitgeteilt, als
diesem die Tränen in die Augen traten, und er folgende Verse aussprach:

„Ich verbarg die Liebe, bis sie mich schmerzte, und
sie den höchsten Grad erreichte, die leider offenbarten die Tränen, was ich
verheimlichte.
Als aber dieselben mein Geheimnis kund gemacht hatten, wollte ich fliehen: Ja,
nur in der Flucht wäre Heil gewesen.
Wohl verkünden die Tränen die Liebe, die mich quält: Aber was ich in mir
verberge, ist dennoch weit mehr.“

Mehr konnte er nicht sagen, so sehr war das Herz ihm
beklommen.

„Prinz,“ fuhr Ebn Thaher fort, „erlaubt
mir, euch zu bemerken, dass ihr zu erfinderisch seid, euch selber zu quälen. Um
Gottes willen, trocknet eure Tränen: Einer von euren Leuten könnte diesen
Augenblick herein treten, und ihr wisst, wie sorgfältig ihr eure Empfindungen
verbergen müsst.“ Was aber dieser verständige Freund auch sagen mochte,
es war dem Prinzen nicht möglich, seine Tränen zurückzuhalten.

„Weiser Ebn Thaher,“ rief er aus, als er wieder
zum Gebrauch der Sprache gekommen war, „ich kann wohl meine Zunge
verhindern, das Geheimnis meines Herzens zu entdecken: Aber ich habe keine
Gewalt über meine Tränen in einem Augenblick, wo ich so große Ursache habe,
für Schemselnihar zu fürchten. Wenn dieser anbetungswürdige und einzige
Gegenstand meiner Wünsche nicht mehr auf der Welt ist, so werde ich ihn keinen
Augenblick überleben.“

„Verbannt einen so traurigen Gedanken,“
erwiderte Ebn Thaher: „Schemselnihar lebt noch, ihr dürft nicht daran
zweifeln. Wenn sie euch keine Nachricht von sich gegeben hat, so hat sie nur
keine Gelegenheit dazu finden können; und ich hoffe, dieser Tag wird nicht
vorüber gehen, ohne dass ihr etwas von ihr erfahrt.“ Er fügte noch andere
tröstliche Worte hinzu, und entfernte sich dann.

Kaum war Ebn Thaher wieder in seinem Haus, als die
Vertraute der Favoritin des Kalifen ankam. Ihre traurige Miene war ihm eine
üble Vorbedeutung. Er fragte sie nach ihrer Gebieterin. „Sagt mir zuvor,
wie es euch ergangen ist,“ antwortete ihm die Vertraute. „Denn ich bin
in großer Angst gewesen, euch mit dem Prinzen von Persien in dem Zustand, worin
er sich befand, abfahren zu sehen.“

Ebn Thaher erzählte ihr, was sie wissen wollte, und als
er geendigt hatte, nahm die Sklavin das Wort, und sagte zu ihm: „Wenn der
Prinz von Persien für meine Gebieterin gelitten hat, und noch leidet, so hat
sie nicht weniger Leid, als er. Nachdem ich euch verlassen hatte,“ fuhr sie
fort, „kehrte ich in den Saal zurück, wo Schemselnihar noch immer in
Ohnmacht lag, wie sehr man sich auch bemüht hatte, ihr zu Hilfe zu kommen. Der
Kalif saß bei ihr, mit allen Zeichen eines wahrhaften Schmerzes. Er fragte alle
Frauen, und insbesondere mich, ob wir keine Kenntnis von der Ursache ihres
übels hätten. Wir aber bewahrten das Geheimnis, und sagten ihm etwas anderes,
als das, was uns nicht unbekannt war. Wir waren indessen alle in Tränen, sie so
lange leiden zu sehen, und taten alles, was wir erdenken konnten, ihr zu helfen.
Es war wohl schon Mitternacht, als sie endlich wieder zu sich kam. Der Kalif,
der die Geduld gehabt hatte, diesen Augenblick abzuwarten, bezeigte große
Freude darüber, und fragte Schemselnihar, woher ihr dieses übel zugestoßen
sein möchte. Sobald sie seine Stimme hörte, strengte sie sich an, und richtete
sich auf; und nachdem sie ihm die Füße geküsst hatte, ehe er sie daran
verhindern konnte, sprach sie: „Herr ich muss den Himmel anklagen, dass er
mir nicht die Gnade gewährt hat, zu den Füßen Euer Majestät zu sterben, um
dadurch auszudrücken, in welchem Grade ich von eurer Güte durchdrungen
bin.“ – „Ich bin überzeugt, dass ihr mich liebt,“ sagte der
Kalif zu ihr, „aber ich befehle euch, aus Liebe zu mir, für eure Erhaltung
zu sorgen. Ihr habt heute vermutlich irgend eine Unregelmäßigkeit begangen,
welche euch diese Unpässlichkeit zugezogen hat. Nehmt euch in Acht, ich bitte
euch, und enthaltet euch dergleichen ein andermal. Es freut mich, euch wieder in
einem besseren Zustand zu sehen, und ich rate euch, die Nacht hier zu bleiben,
anstatt in euer Zimmer zurückzukehren, ich fürchte, dass die Bewegung euch
schädlich sein möchte.“ Nach diesen Worten befahl er, ein wenig Wein zu
bringen, welchen er ihr zur Stärkung eingab. Hierauf nahm er Abschied von ihr,
und begab sich wieder nach seinem Palast.

Sobald der Kalif sich entfernt hatte, gab meine Gebieterin
mir einen Wink, und ich näherte mich. Voll Unruhe fragte sie mich nach euch.
Ich versicherte sie, dass ihr schon längst nicht mehr in dem Palast wärt, und
beruhigte sie von dieser Seite. Ich hütete mich wohl, von der Ohnmacht des
Prinzen von Persien etwas zu sagen, aus welchem unsere Bemühungen sie mit so
vieler Mühe gezogen hatten. Ich begnügte mich, ihr die von dem Prinzen
ausgesprochenen Verse zu wiederholen; worauf sie eine Sklavin mit Namen
Lehasuluschaf zu sich rief, und ihr befahl, folgendes Lied mit ihr zu singen:

„So wahr ich lebe, das Leben hat keinen Reiz für
mich, getrennt von dir. Ach, warum ist es mir nicht vergönnt, zu wissen, wie
dein Zustand ist in der Entfernung von mir.
Wohl geziemt es mir, Blut zu weinen, dass ich dein entbehren muss, da du Tränen
vergossen hast, dass du mein entbehren musstest.“

Mit diesen Worten, welche sie mit aller Heftigkeit ihrer
Leidenschaft aussprach, sank sie abermals ohnmächtig in meine Arme …“

Bei dieser Stelle sah Scheherasade den Tag anbrechen, und
hörte auf zu erzählen. In der folgenden Nacht fuhr sie folgendermaßen fort: