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193. Nacht

Ich drehte sogleich den Kasten des Ringes, und sah
sogleich die Gestalt erscheinen, wovon meine Befreierin mir gesagt hatte.
„Hier bin ich, Herr,“ sagte die Gestalt zu mir, „was verlangst
du?“ – „Wie ist dein Name?“ – „Ich heiße Heïlfus.“ –
Er hatte ein fürchterliches Ansehen. Zwei ungeheure Zähne, so groß wie
Mühlsteine, ragten aus seinem Mund hervor. „Könntest du mir wohl,“
sagte ich zu ihm, „einen Palast mit einem sehr hohen Saale bauen?“ –
„Sehr gern, ich mache mich sogar anheischig, ihn aufs prächtigste zu möblieren,
und ihn mit alle den Dienern und Sklaven anzufüllen, die zu deinen Diensten
erforderlich sind, und wenn du dich darin eingerichtet haben wirst, so darfst du
bloß deine Wünsche äußern, und du wirst sie augenblicklich erfüllt
sehen.“ – „Wie viel Monate werden erforderlich sein, ehe ich diesen
Palast beziehen kann?“ – „Oh, wer wird da von Monaten reden?“ –
„Oder wie viel Wochen?“ – „Du darfst da weder eine Woche, noch
auch einen einzigen Tag warten. Noch in dieser Nacht soll alles angeordnet
werden. Sage mir bloß, welcher Platz dir am besten gefallen würde. Ist er
zufällig etwa schon besetzt, so werde ich die Bewohner desselben vertilgen.
Dein Palast soll noch vor Sonnenaufgang fertig gebaut sein, und ich hoffe sogar,
er wird deine Erwartung übertreffen.“ – „Gott bewahre mich,“
sagte ich hierauf, „dass ich je einem seiner Geschöpfe eines Leides
zufügen, oder die Ruhe desselben stören sollte.“ – „Willst du
lieber, dass ich deinen Palast auf den Ruinen des Schlosses des Kalifen, oder
auf denen seines Wesirs Giafar ausführen soll? Du darfst es bloß sagen.“
– „Heïlfus,“ antwortete ich ihm, „ich habe mich weder über den
Kalifen, noch über seinen Wesir zu beklagen, und ich werde niemals ein Glück
auf Kosten des ihrigen annehmen. Wenn es in deiner Macht steht, mir einen Palast
zu verschaffen, so erbaue ihn an irgend einem äußersten Ende der Stadt, an
einem Ort, wo er niemandem schadet.“ – „Folge mir,“ sagte darauf
die Gestalt. Er führte mich nun aus der Stadt hinaus, errichtete mir auf einer
kleinen Anhöhe ein Zelt, und brachte mir dahin die köstlichsten
Stärkungsmittel. Nachdem ich gegessen und getrunken hatte, überließ ich mich
dem Schlaf, und die Morgenröte begann eben anzubrechen, als ich meine Augen
aufschlug. Ich befand mich in einem Palast, der bereits mit aller Pracht möbliert
war, ganz so, wie du ihn hier siehst. Eine zahlreiche Schar von Sklaven und
Sklavinnen umgab mich. „Wem gehört dieser Palast?“, fragte ich
Heïlfus. – „Er gehört dir, und alle Sklaven, die du da siehst, stehen zu
deinem Befehlen.“ – „Woher kommt dies alles?“ – „Herr, wir
gehören zu der Zahl jener Geister, denen nichts unmöglich ist, und ich habe
eine Menge geringerer Geister zu meinen Befehlen. Einigen gab ich den Auftrag,
mir einen Knaben und ein Mädchen zu verschaffen, und sie haben dergleichen
unter den Kindern der Fürsten und Großen dieser Erde ausgesucht. Andere waren
mit dem Bau des Gebäudes beschäftigt, und ein jeder von ihnen durfte bloß
einen einzigen Stein oder ein einziges Möbel zu diesem Palast herbeibringen.
übrigens sind keineswegs alle meine Diener dabei beschäftigt gewesen, denn ich
habe bloß den zehnten Teil derselben dazu gebraucht. Solltest du noch etwas
wünschen, so wird dein Wunsch schnell erfüllt sein.“ Ich nahm jetzt von
meiner neuen Wohnung Besitz. Die Sklaven traten rings um mich her, und
erwarteten schweigend meine Befehle. Ich verlangte von meinem Geist eine Gondel,
und augenblicklich verschaffte er mir die, welche du gesehen hast. Ich bediente
mich derselben zu Lustfahrten auf dem Tigris, indem ich vor mir her das Verbot
ausrufen ließ, dass sich niemand auf dem Strom, ja nicht einmal am Fenster
blicken lassen solle. Zugleich nahm ich den Kalifentitel an, damit diese
Neuigkeit von Mund zu Mund gehen und endlich bis vor die Ohren Harun Arreschyd’s
kommen möchte. Ich hatte dabei keine andere Absicht, als die, seine Neugier zu
reizen und seinen Argwohn rege zu machen. Er wird mich ohne Zweifel
augenblicklich holen lassen, und ich werde ihm dann mein Abenteuer erzählen. Es
ist unmöglich, dass er nicht meinem Schicksal irgend eine Teilnahme schenken
sollte. Er allein kann mich von den Verfolgungen Sytt ad dunya’s befreien, wenn
er ihrem Bruder Giafar befiehlt, mich mit ihr auszusöhnen. Alle ihre
Ungerechtigkeiten haben meine Liebe zu ihr nicht zu schwächen vermocht. Der
Schlaf flieht fern von meinen Augen hinweg, und mein Dasein ist mir lästig.
Diese Frau ist mir übrigens zu teuer, als dass ich je daran denken könnte,
mich für ihre Grausamkeit an ihr zu rächen, und wie könnte ich überhaupt
gegen ihren Bruder Giafar irgend Hass fassen? Er weiß ja nicht, was zwischen
uns vorgefallen ist. Sie war es, welche unsere Verbindung wünschte, sie warf in
mein Herz die ersten Funken jenes verzehrenden Feuers, sie hat mich in den
Abgrund der Leiden gestürzt, worin du mich siehst. Doch alle diese Ereignisse
waren ohne Zweifel im Buch der Schicksale geschrieben, und wenn denn einmal der
Wille des Höchsten so ist, so können sie auch wohl noch einen glücklichen
Ausgang nehmen.“

Die Erzählung aller dieser seltsamen Abenteuer versetzte
den Kalifen in das größte Erstaunen. Nicht ohne einen geheimen Schauder sah er
die fast unbegrenzte Macht Ali Schachs. „Junger Mann,“ sagte er zu
ihm, „hast du je Ursache gehabt, dich über den Kalifen zu beklagen?“
– „Nein,“ antwortete dieser, „Harun Arreschyd ist ein Fürst, der
ebenso groß als gerecht ist. Er kennt mich nicht, und er hat wohl nie von mir
reden hören. Doch sofern ihr einigen Zutritt bei ihm habt, so seid so
gefällig, meine Vermittler zu sein und ihn zu veranlassen, dass er meinen
Qualen ein Ende macht und mich mit Sytt ad dunya aussöhnt.“ – „Ali
Schach,“ erwiderte Harun, „wie solltest du bei dem Besitz so vieler
Mittel noch des Kalifen oder irgend eines anderen bedürfen? Vermagst du nicht
die Ereignisse nach deinem Belieben zu lenken?“ – „Wenn ich meine
Macht anwenden sollte, so würden daraus unvermeidliche Unannehmlichkeiten
entstehen. Da meine Untreue das Herz meiner Gemahlin von mir entfremdet hat, so
müsste ich fürchten, dass jeder Schritt der Annäherung von meiner Seite ihr
nur noch mehr Stolz einflößen würde. Sie würde nicht unterlassen, das
Unrecht, welches ich ihr getan, zum Anlass zu nehmen, um mich noch einmal mit
derselben Härte zu behandeln. Ich würde dann meinen Zorn nicht mehr
unterdrücken können. Sie würde sich gewiss dafür zu rächen suchen, denn sie
ist Frau. Endlich wäre es sogar möglich, dass der Kalif, für welchen ich die
aufrichtigsten Wünsche hege, über meine unkluge Verwegenheit ergrimmt, mir es
niemals verzeihen würde, dass ich mir seien Titel und seine Rechte
angemaßt.“ – „Je nun, was würdest du dir aus seinem Zorn machen, da
seine Rache dich ja nicht erreichen kann? Du besetztest einen Talisman, der eine
Macht gibt, die weder der Kalif noch seine Vorfahren jemals besessen haben, und
die dich vor allen seinen Verfolgungen sicher stellt.“ – „Du hast
Recht. Aber Gott selbst beschützt die Majestät des Thrones, und es würde die
höchste Ruchlosigkeit sein, gegen denjenigen sich aufzulehnen, der im Besitz
der höchsten Gewalt ist, denn der Höchste sagt selber in seinem Koran:
„Seid den Gewaltigen der Erde untertan!“

Diese Antwort befriedigte und beruhigte den Kalifen.
„Deiner Hochachtung gegen die heiligen Rechte des Fürsten zufolge, werden
wir uns beeifern, deine Angelegenheit dem Kalifen vorzutragen, und wir hoffen,
dass uns alles nach Wunsche gelingen wird.“

Nach dieser Unterredung bat Harun nebst seinen Begleitern
um die Erlaubnis, sich entfernen zu dürfen. Ali Schach wollte sie noch
aufhalten und lud sie ein, noch eine Nacht bei ihm zuzubringen. Allein sie
entschuldigten sich damit, dass sie sagten: „Wir fürchten, dass der Kalif
nach uns fragen und uns dann finden könnte. Auch können wir uns nicht auf so
lange entfernen. Indessen rechne auf unsere Pünktlichkeit. Morgen wird er
einige Beamten seines Hofes, ein Musikchor, und ein Ehrenkleid an dich schicken,
nebst der Einladung, dass du in den Diwan kommen und dort deine Angelegenheit zu
Ende bringen möchtest.“ – „Es ist meine Pflicht,“ antwortete Ali
Schach, „ihm ein Geschenk zu schicken. Ich hoffe, dass ihr gefälligst es
übernehmen werdet, um es ihm in meinem Namen zu überreichen und ihn zur
Annahme desselben zu bewegen.“ Zugleich nahm er aus einem Schmuckkästchen
zwei Diamanten-Halsbänder. Harun weigerte sich, sie anzunehmen, wegen ihres unermesslichen
Wertes. Doch Ali Schach bestand darauf, und übergab sie, bei der hartnäckigen
Weigerung Haruns, an den Wesir Giafar, der sie auch übernahm.

Der Tag begann schon anzubrechen, als sie nach dem Palast
des Kalifen zurückkehrten. Der Kalif hatte, bevor er im großen Sitzungssaal
den Thron bestieg, noch eine geheime Unterredung mit dem Großwesir. „Deine
Schwester also,“ sagte er zu ihm, „ist die Hauptursache der Abenteuer,
die wir soeben vernommen haben, so wie auch derer, die uns selber begegnet
sind.“ – „Herr, ich wusste nichts von alle dem.“ – „Ich will
es wohl glauben,“ erwiderte der Kalif. „Doch ich befehle dir, deine
Schwester aufzusuchen und sie zu bewegen, dass sie sich mit ihrem Mann
aussöhnt. Ihr Weigerung würde dein und ihr Verderben nach sich ziehen.“ –
„Ich eile, um deinen hohen Befehlen zu gehorchen. Fürst der
Gläubigen,“ antwortete der Wesir. Zitternd ging er aus dem kaiserlichen
Palast fort. Beim Eintritt in sein Haus, fand er seine Schwester in Tränen
schwimmen, denn sie liebte den Ali Schach fast mehr noch, als sie von ihm
geliebt wurde. Die Rache, die sie an diesem Ungetreuen genommen, war bloß eine
natürliche Folge ihrer heftigen Liebe gewesen. Doch kaum hatte sie ihn dem
Polizeibeamten überliefert, so machte der Zorn bei ihr dem Mitleid Platz, und
sie hatte sehr bald ihre Grausamkeit bereut. Den folgenden Tag schon hatte sie
den Befehl hingeschickt, ihn aus dem Gefängnis herauszulassen und in ihr Haus
zu führen, aber er war verschwunden. Bei dieser schrecklichen Nachricht hatte
sie sich ganz der Verzweiflung überlassen, der Schlaf war von ihren Augen
geflohen, Ströme von Tränen entrollten ihr Tag und Nacht, und in diesem
Zustand befand sie sich noch, als ihr Bruder sie aufzusuchen kam. „Warum
vergießest du Tränen, meine teure Sytt ad dunya?“, fragte er sie. sie
wollte ihm anfangs die Ursache ihrer Betrübnis verhehlen. Doch, wie vielen
Zwang sie sich auch antat, der Name Ali Schach, welcher ihr mitten unter ihren
Seufzern entschlüpfte, verriet ihr Geheimnis. „Wer ist denn dieser Ali
Schach, dessen Namen du so oft aussprichst?“, fragte sie ihr Bruder. –
Nachdem die junge Prinzessin sich wieder gefasst hatte, erzählte sie ihre
Geschichte ganz treu. „Wie?“, rief Giafar. „Das ist vorgefallen,
ohne dass ich darum wusste?“ – „Ich fürchtete deinen Beifall nicht zu
erhalten, denn du würdest mir unfehlbar vorgestellt haben, wie tief die Tochter
und Schwester eines Wesirs unter ihrem Stand heirate, wenn sie sich mit dem
Sohne eines Kaufmanns vermähle, und die Liebe, die er mir eingeflößt, zwang
mich nun, vor dem teuersten Bruder ein Geheimnis zu haben.“

Giafar wollte sich nicht länger verstellen. Er erzählte
ihr die Reihe von Abenteuern, die ihrem Gemahl begegnet waren, und fügte dann
hinzu: „Wenn der Kalif mir nicht aufgetragen hätte, euch zu versöhnen, so
würde ich dich in diesem Augenblick erdolcht haben. Indessen lass alle Furcht
fahren, du wirst den, welchen du so zärtlich liebst, wieder sehen, suche ihm die
schlechte Behandlung, die er auf deinen Befehl erlitten, vergessen zu
machen.“

Als Giafar nach dem kaiserlichen Palast zurückkehrte,
waren schon die Hofbeamten nebst dem Musikchor abgegangen, um an Ali Schach das
Ehrenkleid zu überbringen. Bald darauf kam dieser selbst. Als er erschien,
stand Harun auf, trat ihm einige Schritte entgegen, und geruhte, ihn neben sich
Platz nehmen zu lassen. Unter anderen angenehmen Sachen sagte er ihm auch:
„Du hattest gestern an deiner Tafel drei Gäste, die dich aufrichtig
lieben, nämlich mich, den Wesir Giafar und Mesrur. Ich will dich nicht länger
aufhalten. Mein Wesir ist beauftragt, dich zu deiner Gemahlin zu führen. Ich
wünsche, dass du ihre Entschuldigungen nicht zurückweisen und ihr dein Herz
wiederschenken magst. Ich hoffe, sie wird von nun an minder streng sein, und
diejenige Achtung gegen dich beweisen, die einem Ehegatten und besonders einem
Mann, wie du bist, gebührt.“ Giafar führte ihn auch wirklich in seinen
Palast, wo Sytt ad dunya sie erwartete. Als er hinein trat, stand sie auf,
entschuldigte sich gegen ihn, und ihre Versöhnung ward durch gegenseitige
Umarmungen besiegelt. Ali Schach brachte den übrigen Teil des Tages und die
ganze Nacht bei ihr, in dem Schoß der süßesten Vergnügungen, hin.

Den folgenden Tag ging er nach dem Diwan. Der Kalif ließ
ihn nochmals neben sich Platz nehmen und überhäufte ihn mit Ehrenbezeigungen.
Ali Schach verwendete die übernatürliche Macht, womit er begabt war, dazu, um
die Unternehmungen Haruns zu unterstützen und seinen Ruhm zu vermehren. So
verlebten sie denn ein ganzes Jahr in der innigsten Freundschaft.

Als er eines Tages in seinen Palast zurückkehrte, fand er
seine geliebte Sytt ad dunya von einer tödlichen Krankheit befallen. Er setze
sich neben sie und verließ sie nicht, während der ganzen Krankheit, die bloß
drei Tage dauerte. Am vierten starb sie. Dieser Verlust verursachte ihm eine so
tiefe Betrübnis, dass er jede Art von Trost verschmähte, und bald darauf
selber starb. Man beerdigte beide in demselben Sarg und in demselben Grab, und
nachdem man ihre Körper sorgfältig gewaschen hatte. Harun war selber bei dem
Leichenbegängnis zugegen und beweinte lange Zeit Ali Schach, denn er liebte ihn
sehr. Indessen, da die Könige nie ihren Vorteil aus dem Auge verlieren, so
befahl er dem Giafar, jenen Zauberring zu suchen. Allein, wie sehr man auch
nachsuchte, es war nicht möglich, ihn zu finden.

Als Scheherasade diese Geschichte vollendet hatte,
bezeigte ihr der Sultan , wie viel Vergnügen sie ihm dadurch gemacht habe, und
da der Tag noch nicht anbrach, so genehmigte er gern, noch folgendes Abenteuer
anzuhören:

Frauenlist

Man erzählt, dass in der Stadt Bagdad einst ein
liebenswürdiger Jüngling von der anmutigsten Gestalt und dem zierlichsten
Wuchs gelebt habe. Es war dies der ausgezeichnetste unter allen
Kaufmannssöhnen. Als er eines Tages in seinem Laden saß, ging ein reizendes
Mädchen vorüber. Sie schlug die Augen empor, sah ihn an, und bemerkte über
der Tür seines Ladens in sehr schöne Zügen folgende Worte geschrieben:
„Es gibt keine List außer der Männerlist, denn sie übertrifft noch die
List der Frauen.“ Sie ärgerte sich darüber, und nachdem sie eine Weile
nachgedacht, sagte sie: „Ich schwöre es bei meinem Schleier, er soll ein
Spiel der Frauenlist werden, und diese Inschrift ändern!“