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19. Nacht

„Herr,“ sagte Scheherasade, „der
griechische König, welcher seinem Wesir die Geschichte des Königs Sindbad
erzählte, fuhr folgendermaßen fort:

„Als der Kaiser am Abend in den Palast zurückkam,
hielt die Sultanin ihm eine Schale voll Gift vor, und sprach zu ihm: „Herr,
wenn ihr mir nicht Gerechtigkeit verschafft, so erkläre ich euch, dass ich
dieses Gift hier trinken will, und ihr werdet dieses Verbrechen vor Gott zu
verantworten haben. Eure Wesire, ich weiß es, suchen euch einzuschüchtern,
indem sie euch von der Arglist meines Geschlechts erzählen; aber das eurige ist
nicht minder gefährlich; ich berufe mich zum Beweise davon nur auf die
Geschichte des Malers von Ispahan.“

Auf Verlangen des Kaisers erzählte Chansade diese
Geschichte folgendermaßen:

Geschichte
Mahmuds

Ein Maler sah eines Tages bei einem seiner Freunde das
Bildnis einer Frau, in welche er sich leidenschaftlich verliebt; er hatte keine
Ruhe, als bis er vernahm, wo diejenige sich befände, welche als Urbild
desselben gedient hatte. Man sagte ihm, es wäre das Bildnis einer berühmten
Sängerin des Großwesirs am Hofe von Persien.

Sogleich machte Mahmud sich auf den Weg nach Ispahan.
Nachdem er Tag und Nacht gereist war, kam er in dieser Stadt an, und nahm seine
Wohnung bei einem Apotheker. Er säumte nicht, von seinem Wirt Erkundigungen
einzuziehen, und vernahm von ihm, dass das Reich in großer Unruhe wäre, wegen
der Verfolgungen, welche der Sultan gegen die Zauberer anstellte. In gleicher
Zeit entdeckte Mahmud, dass der Gegenstand seiner Liebe eine der Sklavinnen des
Wesirs war: und hierauf berechnete er seinen Anschlag.

Nachdem er sich mit allen, einem Räuber nötigen
Werkzeugen versehen hatte, begab er sich in einer Nacht zu dem Palast des
Wesirs, in welchen er vermittelst eines Seiles leicht Eingang fand. über das
flache Dach gelangte er mitten auf einen Hof, von wo er ein hell erleuchtetes
Gemach erblickte.

Er wandte sich nach dieser Seite, und trat in das Zimmer:
Hier sah er ein Frauenbild, schön wie die Sonne am heitern Sommertag, im Schlaf
liegen, auf einem elfenbeinern mit Gold ausgelegten Ruhebett, umgeben von
Lampen, welche nach allen Seiten das glänzendste Licht verbreiteten. Indem er
sich ihr näherte, erkannte er sogleich, dass es die Schöne war, die er suchte.

Darauf zog er einen Dolch aus seinem Gürtel und machte
ihr an der Hand eine leichte Wunde, so dass sie erwachte. Die Schöne wurde von
Furcht ergriffen, als sie ihn mit dem Dolch in der Hand erblickte. Sie hielt ihn
für einen Räuber, bat ihn, ihr das Leben zu lassen, und bot ihm einen
prächtigen Schleier, der mit Perlen und köstlichen Steinen besät war.

Mahmud nahm den Schleier, und verließ den Palast des
Wesirs.

Am folgenden Morgen verkleidete er sich, wie ein Sofi1),
nahm den gestickten Schleier unter seinen Rock, und trat vor den Kaiser von
Persien.

„Herr,“ sprach er zu ihm, „ich bin ein
Geistlicher aus Chorasan2).
Der Ruhm von euren Tugenden ist zu mir gedrungen, und um unter einem so
gerechten Fürsten zu leben, habe ich mich auf den Weg nach eurer Hauptstadt
gemacht. Angelangt an den Toren derselben, fand ich sie verschlossen, und sah
mich genötigt, die Nacht vor der Stadt zuzubringen. Ich legte mich nieder, aber
bald erblickte ich vier Weiber: die eine ritt auf einer Hyäne, die zweite auf
einem Widder, die dritte auf einer schwarzen Hündin, und die vierte auf einem
Leopard.

Ich erkannte bald, dass es Zauberinnen waren; die eine
nahte sich mir, und begann mich mit Füßen zu treten und mit einer Geißel zu
peitschen, welche in ihren Händen mir wie Feuer erschien. Ich sprach sogleich
mehrmals den Namen Gottes aus, und mit einem Messer verwundete ich sie an der
Hand, worauf sie mich losließ: aber im Entfliehen ließ sie in meinen Händen
diesen mit Edelsteinen übersäten Schleier, welcher keinen Wert für mich hat,
weil ich mich von der Welt zurückgezogen habe.“

Nach dieser Rede übergab Mahmud den Schleier den Händen
des Sultans, und ging hinweg.

Der Kaiser erkannte den Schleier: er hatte vor kurzem
seinem Großwesir ein Geschenk damit gemacht. Er befragte diesen deshalb, und
vernahm bald, dass er ihn seiner Lieblingssklavin gegeben hatte.

Diese wurde nach dem Palast geholt, und als man ihre Hand
untersuchte, erkannte man die Wunde, von welcher Mahmud gesprochen hatte, und
man zweifelte nicht mehr, dass er die Wahrheit gesagt hätte. Hierauf wurde sie
als Zauberin verurteilt, in einer Grube zu verschmachten, deren steile Wände
jede Flucht verhinderten.

Als Mahmud den glücklichen Erfolg seiner List vernommen
hatte, eilte er nach der Grube, in welche man die schöne Sklavin hinab gelassen
hatte; und durch überredung der Wächter, denen er sein Abenteuer erzählte,
gelang es ihm, sie zu befreien.

Zufolge des Versprechens, welches er den Wächtern getan
hatte, entfloh er in sein Land, reiste Tag und Nacht, und gelangte so in den
Besitz des Gegenstandes seiner Wünsche.

„Da habt ihr, Herr,“ fügte die Königin
hinzu, „eine von den zahlreichen Listen der Männer …“

Der Kaiser, aufgeregt dadurch, gab sogleich den Befehl zur
Hinrichtung seines Sohnes.

Auf solche Weise bemächtigten sich vierzig Tage hindurch,
die Königin und die Wesire wechselweise des Gemüts des Kaisers.

Am einundvierzigsten Tag, mit Sonnenaufgang, bestieg der
Kaiser seinen Thron, gab dem Scharfrichter seine Befehle, und ließ seinen Sohn
vorführen. Er ließ desgleichen die vierzig Wesire festnehmen und sie gebunden,
je zehn und zehn, vor sich führen.

Der Scharfrichter verband dem Prinzen Nurgehan die Augen,
zog sein Schwert, und fragte den Kaiser zweimal, ob er zuhauen sollte. Nachdem
es ihm gestattet worden, sagte er: „Herr, ich fordere diesen Befehl noch
zum dritten Mal von euch; bedenkt wohl, dass eine zu späte Reue nicht wieder gut
machen kann, was ihr jetzt befehlt.“

Der Kaiser war im Begriff, seinen Befehl zu wiederholen,
da erschien Abumaschar, der Lehrer Nurgehans. Sogleich ergriff ihn die Wache,
und führte ihn vor den Thron, mit solcher Eilfertigkeit, dass seine Füße
nicht die Erde berührten.

„Elender,“ sprach Sindbad zu ihm, „dein
Kopf soll deine Freveltat bezahlen. Sind es nicht deine treulosen Ratschläge,
welche meinem Sohn dieses Stillschweigen auflegten?“

„Ja, Herr,“ antwortete Abumaschar, „euer
Sohn musste vierzig Tage lang dieses Stillschweigen beobachten, um die Unfälle
zu vermeiden, welche die Gestirne ihm verkündigten: aber die verhängnisvolle
Frist ist abgelaufen, und er kann jetzt wieder reden.“

Sogleich nahm man dem Prinzen die Binde von den Augen, und
er erzählte unbefangen alles, was zwischen ihm und seiner Stiefmutter
vorgegangen war. Er berief sich auf das Zeugnis der Frauen der Königin, welche
bekannten, dass sie hinter einer dünnen Wand alles gehört hätten.

Auf diese Bericht bereute Sindbad herzlich, was er bisher
getan hatte, und alle Herren des Hofes stimmten der Rede ihres Fürsten bei. Der
Kaiser ließ seinen Sohn an seiner Seite sitzen, küsste ihm die Augen, und
erlaubte den vierzig Wesiren, seine Hände und seine Knie zu küssen. Sie legten
die Trauerkleider ab, welche sie während der vierzig Tage getragen hatten, und
zogen prächtige Kleider an, welche der Kaiser unter sie verteilen ließ.

Die Königin aber wurde ohne Gnade hingerichtet.

„Als der griechische König,“ sagte der Fischer
zu dem Geist, „die Geschichte des Königs Sindbad beendigt hatte, fügte er
hinzu: „Und du, Wesir, voll Neid gegen den Arzt Duban, welcher dir kein
Leid getan hat, willst, dass ich ihn töten lasse; aber ich werde mich wohl
davor hüten, aus Furcht, ungerecht zu sein, wie es dieser König gegen seinen
Sohn war.“

Dem verräterischen Wesir war der Tod des Arztes zu
wichtig, um hierbei stehen zu bleiben. „Herr,“ erwiderte er, „wie
kann die Furcht, einen Unschuldigen zu bestrafen, euch hindern, den Arzt
hinrichten zu lassen. Ist es nicht hinreichend, dass man ihn eines Anschlags auf
euer Leben anklagt, um euch zu berechtigen, ihm das seine zu nehmen? Wenn es
darauf ankommt, das Leben eines Königs zu sichern, so muss schon ein bloßer
Verdacht für Gewissheit gelten; und es ist besser, einen Unschuldigen
aufzuopfern, als einen Schuldigen unbestraft zu lassen … Aber, Herr, dieses
ist keineswegs einen noch ungewisse Sache; der Arzt Duban will euch ermorden. Es
ist nicht der Neid, welcher mich gegen ihn gewaffnet, es ist allein die
Teilnahme für die Erhaltung Euer Majestät, es ist mein Eifer, welcher mich
antreibt, euch eine anzeige von so großer Wichtigkeit zu machen. Ist sie
falsch, so verdiene ich auf dieselbe Weise bestraft zu werden, wie einstmals ein
Wesir bestraft wurde.“

„Was hatte dieser Wesir getan,“ fragte der
griechische König, „wodurch er eine solche Strafe verdiente?“

„Ich will es Euer Majestät erzählen,“
antwortete der Wesir; „mögen sie die Güte haben, mich anzuhören.“

Geschichte
des bestraften Wesirs

Es war einmal ein König, der hatte einen Sohn, der
leidenschaftlich die Jagd liebte. Er erlaubte ihm oft dieses Vergnügen; aber er
hatte seinem Großwesir den Befehl erteilt, ihn stets zu begleiten, und ihn nie
aus den Augen zu verlieren.

Eines Tages hatten auf einer solchen Jagd die Jäger einen
Hirsch angeschossen, und der Prinz, im Wahne, dass der Wesir ihm folgte,
sprengte dem Tier nach. Er ritt so lange, und seine Hitze führte ihn so weit
weg, dass er sich endlich allein sah. Er hielt an, und als er bemerkte, dass er
den Weg verloren hatte, wollte er auf seiner Spur zurückkehren, um wieder zu
dem Wesir zu kommen, der nicht schnell genug war, ihm so nahe zu folgen; aber er
verirrte sich.

Indem er so, ohne eine bestimmte Richtung zu halten, hin-
und herlief, traf er neben einem Wege eine ziemlich wohl gebildete Frau, die
bitterlich weinte. Er hielt den Zügel seines Pferdes an, und fragte diese Frau,
wer sie wäre, was sie so allein an diesem Orte täte, und ob sie seiner Hilfe
bedürfte.

„Ich bin,“ antwortete sie, „die Tochter
eines Königs von Indien. Indem ich auf dem Feld spazieren ritt, bin ich
eingeschlafen, und vom Pferd gefallen. Mein Pferd ist entlaufen, und ich weiß
nicht, was aus ihm geworden ist.“ Der junge Prinz hatte Mitleid mit ihr,
und bot ihr an, sich hinter ihm auf sein Pferd zu setzen; was sie auch annahm.

Als sie zu einer Hütte kamen, und die Prinzessin zu
erkennen gab, dass sie eins gewissen Bedürfnisses wegen gern absteigen möchte,
hielt der Prinz an, und ließ sie hinunter. Er stieg auch ab, und näherte sich
der Hütte, sein Pferd am Zügel haltend. Denkt euch seine überraschung, als er
die Frau drinnen folgende Worte aussprechen hörte: „Freut euch, meine
Kinder, ich bringe euch einen wohl gebildeten und recht fetten Knaben.“ Und
andere Stimmen antworteten ihr alsbald: „Mama, wo ist er? Damit wir ihn
sogleich essen, denn wir haben großen Hunger.“

Der Prinz brauchte nicht mehr zu hören, um die Gefahr zu
erkennen, in welcher er schwebte. Er sah wohl, dass die Frau, welche sich für
die Tochter eines Königs von Indien ausgegeben hatte, eine Ogerin war, d.h. das
Weib eines dieser wilden Geister, welche Oger genannt werden, und sich tausend
Listen bedienen, um die Vorübergehenden zu fangen und zu fressen.

Er ward von Furcht ergriffen, und warf sich schleunigst
auf sein Pferd. Die vorgebliche Prinzessin trat in diesem Augenblick wieder
heraus, und als sie sah, dass ihr der Fang fehlgeschlagen war, rief sie dem
Prinzen zu: „Fürchtet nichts. Wer seid ihr? Und was sucht ihr?“ –
„Ich habe mich verirrt,“ antwortete er, „und ich suche meinen
Weg.“ – „Wenn ihr euch verirrt habt,“ sagte sie, „so befehlt
euch Gott, er wird euch aus der Verlegenheit ziehen, in welcher ihr euch
befindet.“

Hierauf hub der Prinz die Augen gen Himmel …

„Aber, Herr,“ sagte Scheherasade bei dieser
Stelle, „der anbrechende Tag legt mir Stillschweigen auf …“

Schachriar, neugierig, die Entwicklung dieser Geschichte
zu hören, verlängerte abermals das Leben der Scheherasade.


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