Project Description

183. Nacht

Mein Bruder band den Beutel mit Glasscherben um seinen
Gürtel, verkleidete sich als alte Frau, und nahm einen Säbel, den er unter
seinen Rock versteckte. Eines Morgens begegnete er wieder jener Alten, welche
bereits die Stadt durchstreifte und Gelegenheit suchte, irgend jemandem einen
schlimmen Streich zu spielen. Er redete sie mit einer verstellten Weiberstimme
an, und sagte zu ihr: „Könnt ihr mir nicht eine Goldwaage leihen? Ich bin
soeben aus Persien hier angekommen, und habe aus meiner Heimat fünfhundert
Goldstücke mitgebracht. Ich möchte nun gern sehen ob sie auch vollwichtig
sind.“ – „Liebe Frau,“ antwortete ihm die Alte, „ihr konntet
euch an keinen Menschen besser wenden, als an mich. Kommt nur mit, ich werde
euch zu meinem Sohn führen, der ein Wechsler ist, und dieser wird sich ein
Vergnügen daraus machen, sie euch selber zu wägen, und euch die Mühe zu
ersparen. Wir wollen keine Zeit verlieren, damit wir ihn noch treffen, ehe er in
seinen Laden geht.“ Mein Bruder folgte ihr bis zu dem Haus, wo sie ihn
schon einmal hineingeführt hatte, und die Tür ward ihnen von der griechischen
Sklavin geöffnet.

Die Alte führte meinen Bruder in den Saal, wo sie ihn
einen Augenblick warten ließ, um ihren Sohn rufen zu können. Der angebliche
Sohn erschien auch wirklich in der Person jenes nichtswürdigen schwarzen
Sklaven. „Verwünschte Alte,“ sagte er zu meinem Bruder, „steh
auf und folge mir.“ Mit diesen Worten ging er vor ihr her, um sie an den
Ort hinzuführen, wo er sie umbringen wollte. Annaschar stand auf, ging hinter
ihm drein, zog seinen Säbel unter dem Kleid hervor, und führte ihn von hinten
so geschickt nach seinem Halse, dass er ihm den Kopf abhieb. Sodann fasste er
diesen mit der einen Hand, und schleppte mit der anderen die Leiche bis zu dem
unterirdischen Gewölbe, wo er sie mit dem Kopf hinunter warf. Die griechische
Sklavin, die an ein solches Verfahren schon gewöhnt war, erschien alsbald mit
dem Becken voll Salz, aber als sie den Annaschar, der unterdes den Schleier
abgeworfen, mit dem Säbel in der Hand erblickte, ließ sie das Becken fallen
und entfloh. Mein Bruder indessen, welcher stärker lief als sie, holte sie bald
ein, und ihr Kopf flog von den Schultern. Die böse Alte lief jetzt auf den
Lärm herbei. Mein Bruder ergriff sie, ehe sie noch entrinnen konnte, und rief
ihr zu: „Treulose, kennst du mich noch?“ – „Ach, Herr,“
antwortete sie zitternd. „Wer seid ihr?“ Ich erinnere mich nicht, euch
jemals gesehen zu haben.“ – „Ich bin,“ sagte er hierauf,
„derjenige, zu dem du neulich ins Haus kamst, um dich zu baden und dein
heuchlerisches Gebet zu verrichten. Erinnerst du dich wohl noch?“ Sie warf
sich jetzt auf die Knie, und bat um Gnade, aber er zerhieb sie in vier Stücke.

Jetzt war nur noch die junge Dame übrig, welche nichts
von alledem wusste, was in ihrem Haus soeben vorgefallen war. Er suchte sie auf,
und fand sie in einem Zimmer, wo sie bei seinem Eintritt fast in Ohnmacht fiel.
Sie bat um ihr Leben, und er war edelmütig genug, es ihr zu schenken.
„Gnädige Frau,“ sagte er zu ihr, „wie könnt ihr mit so bösen
Menschen zusammenleben, als die sind, an denen ich soeben gerechte Rache
genommen habe?“ – „Ich war,“ erwiderte sie, „die Frau eines
sehr rechtschaffenen Kaufmannes, und die verwünschte Alte, deren Bösartigkeit
ich nicht kannte, besuchte mich einige Mal. „Verehrteste Frau,“ sagte
sie eines Tages zu mir, „wir haben heute eine sehr schöne Hochzeit in
unserem Haus. Ihr würdet gewiss sehr viel Vergnügen haben, wenn ihr uns die
Ehre erzeigen wollte, euch dabei einzufinden.“ Ich ließ mich überreden,
zog mein schönstes Kleid an, nahm einen Beutel mit hundert Goldstücken mit,
und folgte ihr. Sie führte mich in dies Haus, wo ich diesen Schwarzen fand, der
mich gewaltsamer Weise hier behielt. Ich bin nun schon drei Jahre hier und dulde
das Grausamste.“ – „Bei dem Gewerbe, welches dieser abscheuliche
Schwarze trieb,“ erwiderte mein Bruder, „muss er wohl viele
Reichtümer zusammengebracht haben?“ – „So viele,“ antwortete
sie, „dass ihr zeitlebens daran genug habt, wenn ihr sie forttragen könnt.
Kommt mit mir, und ihr werdet es selber sehen.“ Sie führte nun den
Annaschar in ein Zimmer, wo sie ihm wirklich mehrere Kasten voll Gold zeigte,
die er mit einem Staunen betrachtete, wovon er sich gar nicht zu erholen
vermochte. „Jetzt geht,“ sagte sie zu ihm, „und holt euch Leute
genug herzu, um dies alles fortschaffen zu können.“ Mein Bruder ließ sich
das nicht zweimal sagen. Er ging fort und suchte zehn Männer aufzutreiben, die
er sofort mich sich nahm. Als er an das Haus gelangte, fand er zu seinem
Erstaunen die Tür offen. Sein Staunen stieg, als er in das Zimmer, worin er die
Kasten gesehen, eintrat, und auch nicht einen einzigen mehr darin fand. Die
Dame, welche listiger und behender als er war, hatte sie fortschaffen lassen,
und war selber mit verschwunden. In Ermangelung der Kasten, und weil er nicht
mit leeren Händen wieder weggehen wollte, ließ er alles forttragen, was er nun
irgend an Möbeln in den Zimmern und in den Gerätekammern vorfand, wo es weit
mehr dergleichen gab, als nötig war, um ihn für die fünfhundert Goldstücke
zu entschädigen, die ihm gestohlen worden waren. Aber als er aus dem Haus
fort ging, vergaß er die Tür zuzuschließen. Die Nachbarn, welche meinen Bruder
erkannt hatten, und die Packträger gehen und kommen sahen, liefen zum
Polizeirichter und zeigten ihm dieses Ausräumen an, welches ihnen sehr
verdächtig schien. Annaschar schlief die Nacht hindurch sehr ruhig, aber als er
am folgenden Morgen ausgehen wollte, traf er an seiner Tür zwanzig Leute des
Polizeirichters, die ihn anhielten. „Komm mit uns,“ sagten sie zu ihm,
„unser Herr will dich sprechen.“ Mein Bruder bat sie, einen Augenblick
zu warten, und bot ihnen eine Summe Geldes, damit sie ihn gehen lassen möchten.
Doch anstatt auf ihn zu hören, banden sie und zwangen sie ihn, mit ihnen zu
gehen. Auf der Straße begegneten sie einem alten Freund meines Bruders, der sie
anhielt und fragte, warum sie ihn so geführt brächten. Er bot ihnen sogar eine
bedeutende Summe an, damit sie ihn loslassen und dem Polizeirichter melden
möchten, dass sie ihn nicht gefunden, doch er konnte bei ihnen nichts
ausrichten, und sie führten Annaschar vor ihren Herrn …“

Scheherasade hörte bei dieser Stelle auf zu reden, weil
sie den anbrechenden Tag bemerkte. Die folgende Nacht nahm sie den Faden der
Erzählung wieder auf, und sagte zu dem Sultan von Indien: