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166. Nacht

„Herr,“ entgegnete mir der Barbier, „ihr
beleidigt mich, indem ihr mich einen Schwätzer scheltet, da mir im Gegenteil
alle Welt den ehrenvollen Namen Assamit1)
gibt. Ich hatte sechs Brüder, die ihr wohl mit Recht hättet Schwätzer nennen
können, und damit ihr sie kennt, so wisst, dass der älteste Bakbouk2),
der zweite Alhedâr3), der dritte Bukeibik4),
der vierte Alkous Al-asswany5),
der fünfte Annaschâr6),
und der sechste Schakayk7)
hieß. Das waren unerträgliche Plauderer. Aber ich, der Jüngste, ich bin
bedächtig und gedrängt in meinen Reden.

„Setzt euch, Herr, ich bitte euch, an meine Stelle!
Was sollte ich tun, als ich mich so meuchelmörderisch behandelt sah? „Gebt
ihm drei Goldstücke,“ sagte ich zu dem, der meine häuslichen Ausgaben
besorgte, „er soll sich fortpacken und mich in Ruhe lassen, ich will heute
nicht barbiert sein.“

„Herr,“ sagte hierauf der Barbier zu mir,
„seid so gut, mir zu sagen, was ihr mit diesen Reden meint? Ich habe euch
nicht aufgesucht, sondern ihr habt mich kommen lassen, und da sich die Sache so
verhält, so schwöre ich, auf das Wort eines Muselmannes, das ich nicht
fortgehe, bis ich euch barbiert habe. Wenn ihr meinen Wert nicht anerkennt, so
ist das nicht meine Schuld. Euer seliger Vater ließ mir Gerechtigkeit
widerfahren, so oft er mich holen ließ, damit ich ihm Blut lassen sollte,
musste ich mich zu ihm setzen, und da war es denn eine wahre Lust, die schönen
Dinge zu hören, wovon ich ihn unterhielt. Ich erhielt ihn in beständiger
Bewunderung, ich riss ihn hin, und wenn ich fertig war, rief er aus: „Ihr
seid eine unerschöpfliche Quelle von Wissenschaft! Niemand kommt euch an Tiefe
des Wissens gleich!“ – „Mein lieber Herr,“ erwiderte ich ihm,
„ihr erweist mir mehr Ehre, als ich verdiene. Wenn ich etwas Schönes sage,
so verdanke ich es dem gütigen Gehör, welches ihr mir gönnt. Eure
Freigebigkeit flößt mir alle diese erhabenen Gedanken ein, welche so
glücklich sind, euch zu gefallen.“ Eines Tages, als er über eine
bewundernswürdige Rede, die ich ihm gehalten hatte, sehr entzückt war, sagte
er: „Man gebe ihm hundert Goldstücke und bekleide ihn mit einem meiner
reichsten Kleider.“ Ich empfing dies Geschenk auf der Stelle. Ich stellte
ihm sogleich ein Horoskop, und fand, dass er der glücklichste Mensch von der
Welt wäre. Ich trieb meine Gefälligkeit noch weiter, denn ich ließ ihm Blut
mit Schröpfköpfen.“

Der Barbier ließ es nicht bei diesem Gewäsche bewenden,
er begann ein neues, das eine gute halbe Stunde währte. Ermüdet, ihn zu
hören, und in Verzweiflung, dass die Zeit verstrich, ohne dass ich gefördert
wurde, wusste ich nicht mehr, was ich ihm sagen sollte. „Nein,“ rief
ich aus, „es ist nicht möglich, dass es auf der Welt noch einen Menschen
gibt, der sich, so wie ihr, ein Vergnügen daraus macht, die Leute in Wut zu
bringen.“


1)
Der Stumme, Schweigsame.
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2)
Das Glucken einer Flüssigkeit aus einer Flasche mit enger öffnung.
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3)
Der ungestraft Blut vergießen darf, also ein Wundarzt.
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4)
Das Glucken einer Flüssigkeit aus einer Flasche mit weiter öffnung.
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5)
Der chinesische oder porzellanene Becher.
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6)
Die Sager.
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7)
Die Anemone.
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