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162. Nacht

„Wir erstaunten alle nicht wenig über diese
Worte,“ fuhr der Schneider fort, „und wir begannen eine sehr üble
Meinung von dem Barbier zu hegen, ohne zu wissen, ob der junge Fremde berechtigt
war, in solchen Ausdrücken von ihm zu sprechen. wir erklärten sogar, das wir
einen Mann, von dem uns eine so abscheuliche Schilderung gemacht würde, nicht
an unserem Tisch leiden würden. Der Hausherr bat den Fremden, uns zu erzählen,
was für eine Ursache er hätte, den Barbier zu hassen.“

„Herr,“ erwiderte der junge Mann, „ihr
sollt wissen, dass dieser verdammte Barbier an meiner Lahmheit Schuld ist, und
dass mir etwas höchst Grausames widerfahren ist. Ich habe deshalb den Schwur
getan, alle die Orte, wo ich ihn finde, zu meiden, und nicht mit ihm in
derselben Stadt zu wohnen. Deshalb habe ich mich von Bagdad entfernt, wo ich ihn
zurückließ, und habe eine lange Reise gemacht, um mich hier mitten in der
Großen Tatarei niederzulassen, wo ich mir schmeichelte, ihn niemals zu sehen.
Ich finde ihn jedoch nun, gegen meine Erwartung, hier, und das nötigt mich,
mich wider Willen der ehre zu berauben, mit euch mich zu ergötzen. Noch heute
will ich mich aus eurer Stadt entfernen, und mich, wenn ich kann, an Orte
begeben, wo er mir nicht vor Augen kommt.“

Er wollte uns nach diesen Worten verlassen, aber der
Hausherr hielt ihn noch zurück, und bat ihn, noch bei uns zu bleiben, und uns
die Ursache der Abneigung zu erzählen, die er gegen den Barbier hegte, der
während dieser ganzen zeit die Augen niederschlug und still schwieg. Wir
verbanden unsere Bitten mit denen des Hausherrn, und endlich setzte sich der junge
Mann, unserem Andringen nachgebend, auf das Sofa, und erzählte uns, nachdem er
dem Barbier, aus furcht ihn zu sehen, den Rücken zugewandt hatte,
folgendermaßen seine Geschichte:

„Mein Vater bekleidete in Bagdad einen Rang, der ihm
erlaubte, auf die ersten Stellen Anspruch zu machen, aber er zog jederzeit ein
ruhiges leben allen Ehren, die er verdienen konnte, vor. Ich war sein einziges
Kind, und als er starb, war mein Geist schon gebildet, und ich alt genug, um
über das große Vermögen, welches er mir hinterlassen hatte, schalten zu
können. Ich verschwendete es nicht auf törichte Weise, sondern ich machte
einen Gebrauch davon, der mir die Achtung der ganzen Welt zuzog.

Noch hatte ich keine Leidenschaft gefühlt, und weit
entfernt, für die Liebe empfänglich zu sein, muss ich, vielleicht zu meiner
Schande, gestehen, dass ich den Umgang mit Frauen sorgfältig vermied. Als ich
mich eines Tages auf einer Straße befand, sah ich eine große Anzahl Frauen mir
entgegen kommen. ich ging in eine kleine Straße, in deren Nähe ich mich
befand, und setzte mich neben einer Haustüre auf eine Bank. Ich saß einem
Fenster gegenüber, auf welchem ein Gefäß mit sehr schönen Blumen stand, und
ich hatte die Augen darauf gerichtet, als das Fenster sich öffnete, und ich ein
junges Fräulein erscheinen sah, deren Schönheit mich blendete. sie warf ihre
Augen auf mich, und indem sie die Blumen mit einer Hand, weißer als Alabaster,
begoss, sah sie mich mit einem Lächeln an, welches mir eben so viel Liebe für
sie einflößte, als ich bis dahin Abneigung gegen alle Frauen gefühlt hatte.
Nachdem sie die Blumen begossen, und mir einen höchst bezaubernden Blick
zugeworfen hatte, der mir vollends das Herz durchbohrte, machte sie das Fenster
wieder zu, und ließ mich in einer unbeschreiblichen Unruhe und Verwirrung.

Ich würde lange in diesem Zustand geblieben sein, wenn
der Lärm, den ich auf der Straße hörte, mich nicht wieder zu mir selber
gebracht hätte. Ich wandte meinen Kopf, indem ich aufstand, und sah, dass es
der erste Kadi der Stadt war, der, von fünf oder sechs Untergebenen begleitet,
auf einem Maultier ritt. Er stieg vor der Tür des Hauses ab, in welchem die
junge Schöne das Fenster geöffnet hatte, und ging hinein, woraus ich schloss,
dass er ihr Vater wäre.

Ich kam in meine Wohnung in einem Zustand, sehr
verschieden von dem, in welchem ich sie verlassen hatte, erregt von einer
Leidenschaft, die umso heftiger war, da ich ihre Regung noch niemals empfunden
hatte, und ich legte mich in einem heftigen Fieber, welches eine große
Betrübnis in meinem Haus verursachte, zu Bett. meine Verwandten, die mich
liebten, und wegen einer so plötzlichen Krankheit sehr beunruhigt waren, eilten
schnell herbei, und quälten mich sehr, ihnen die Veranlassung zu sagen, wovor
ich mich aber wohl hütete, mein Stillschweigen machte sie nur noch unruhiger,
und die ärzte vermochten diese Unruhe nicht zu zerstreuen, weil sie aus meinem
übel, das ihre Arzneimittel nur ärger machten, nicht klug werden konnten.

Meine Verwandten begannen an meinem leben zu verzweifeln,
als eine alte Frau aus ihrer Bekanntschaft mich besuchte. Sie betrachtete mich
mit vieler Aufmerksamkeit, und nachdem sie meinen Zustand untersucht hatte,
erkannte sie, ich weiß nicht durch welchen Zufall, den Grund meiner Leiden. Sie
nahm meine Verwandten bei Seite, bat sie, sie möchten sie mit mir allein, und
alle meine Leute hinausgehen lassen.

Als sich alle aus dem Zimmer entfernt hatten, setzte sie
sich mir zu Häupten, und sagte: „mein Sohn, ihr habt bis jetzt die Ursache
eures übels halsstarrig verschweigen. Allein mir braucht ihr sie nicht zu
gestehen, ich besitze Erfahrung genug, um dies Geheimnis zu durchdringen, und
ihr werdet mir nicht in Abrede stellen, dass es die Leibe ist, die euch krank
macht. Ich kann eure Heilung bewirken, wenn ihr mir nur sagt, wer das
glückliche Fräulein ist, welche euer so unempfindliches Herz zu rühren
wusste, denn ihr steht in dem Ruf, die Frauen nicht zu leiben, und ich bin nicht
die letzte gewesen, die das bemerkt hat: Doch es ist nun eingetroffen, was ich
vorausgesehen habe, und ich bin sehr erfreut, dass mir die Gelegenheit zu Teil
wird meine Talente anzuwenden, um euch aus der Not zu helfen.“