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16. Nacht

Geschichte
des Prinzen von Karisme und der Prinzessin von Georgien

Ein König von Karisme, welcher keine Kinder
hatte, brachte unaufhörlich dem Himmel Gelübde und Opfer dar, um einen Erben
zu erhalten. Der erhabene Gott nahm sein Opfer an, und schenkte ihm einen Sohn,
schöner als der Tag. Er feierte dessen Geburt durch prächtige Feste; er erteilte
Einigen Statthaltereien, andern Jahrgehalte; kurz, all seine Völker genossen
seiner Freude.

Er vergaß auch nicht, alle Sterndeuter
seines Reichs zu versammeln, und befahl ihnen, dem Prinzen das Horoskop zu
stellen. Aber ihre Beobachtungen waren dem Könige nicht sehr angenehm; denn sie
verkündigten ihm, dass sein Sohn bis zum Alter von dreißig Jahren von
zahllosen Unfällen bedroht wäre, und dass Gott allein die Unfälle wüsste,
welche ihm zustoßen sollten.

Diese Verkündigung verminderte sehr die
Freude des Königs; er empfand einen lebhaften Schmerz darüber: gleichwohl, als
wenn er gegen die Sterne ankämpfen wollte, ließ er seinen Sohn unter seinen
Augen erziehen, und nahm alle erdenklichen Vorsichtsmaßregeln, ihn vor jedem
Unfall zu bewahren; und es gelang ihm mehrere Jahre hindurch.

Der Prinz war schon fünfzehn Jahre alt, ohne
dass noch ein böses Abenteuer sein Horoskop bestätigt hatte: dennoch, da man
vergebens seiner Bestimmung widerstrebt, geschah es eines Tages, indem er am
Ufer des Meeres ritt, dass ihm die Lust ankam, auf dem Wasser zu fahren. Er
ließ eine Barke bereiten, und bestieg sie mit vierzig Personen seines Gefolges.
Kaum waren sie in offener See, als ein Europäischer Seeräuber heran kam und
sie angriff; sie taten einigen Widerstand: aber der Korsar war der stärkere, er
bemächtigte sich der Barke: und führte sie alle nach der Insel der Samsaren,
wo er sie verkaufte.

Die Samsaren waren scheußliche
Menschenfresser, und hatten Menschenleiber mit Hundsköpfen. Sie versperrten den
Prinzen von Karisme und seine Leute in einem Hause, wo sie dieselben mit Rosinen
und Mandeln fütterten. Täglich führten sie einen von ihnen in die Küche des
Königs, wo sie ihn schlachteten, und Ragouts von ihm machten, welche Seine
samsardische Majestät höchst vortrefflich fand.

Als die vierzig Mann des Gefolges gefressen
waren, erwartete der Prinz von Karisme, welchen man, als den leckersten Bissen,
bis zuletzt aufgespart hatte, dasselbe Schicksal. In dieser grausamen Erwartung
sprach er bei sich selber: „Ich weiß wohl, dass ich dem Tode nicht
entgehen kann; aber warum soll ich mich feige abschlachten lassen? Ist es nicht
besser, mein Leben teuer zu verkaufen? Ja, ich will mich wehren, meine
Verzweiflung soll wenigstens einigen dieser nach Menschenblut gierigen Ungeheuer
verderblich werden.“

Er hatte diesen Entschluss gefasst, als er
die Samsaren eintreten sah. Er ließ sich ohne Widerstand in die Küche des
Königs führen; aber sobald er dort war, und auf dem Tische ein großes Messer
erblickte, womit man ihm die Kehle abschneiden wollte, raffte er all seine Kraft
zusammen, zerriss die Bande, welche seine Hände gefesselt hielten, ergriff
ungestüm das Messer, und schlug damit die Samsaren, welche ihn hergebracht
hatten; er tötete einen nach dem andern: dann warf er sie vor die Küchentür
hinaus, und alle, die es wagten ihm zu nahen, fielen unter seinen Streichen. Der
ganze Palast war alsbald in Aufruhr, und hallte wider von Geschrei und Geheule.

Als der König die Ursache davon vernahm, war
er erstaunt, dass ein einziger Mensch so vielen Leuten widerstehen konnte; er
ging selber zu ihm hin, und sprach zu ihm: „O Jüngling, ich bewundere
deinen Muth, und schenke dir das Leben; kämpfe nicht mehr gegen meine Untertanen,
deren Menge dich zuletzt überwältigen würde. Sage mir, wer ist dein
Vater?“ –

„Herr,“ antwortete der Prinz,
„ich bin der Sohn des Königs von Karisme.“ – „Die tapfern Taten,
welche du eben begangen hast,“ antwortete der König, „beweisen
hinlänglich deinen edlen Ursprung, fürchte nichts mehr, mein Hof soll fortan
nur ein Aufenthalt des Vergnügens für dich sein; du sollst der glücklichste
der Menschen werden, weil ich dich zu meinem Schwiegersohn erwähle: ich will, dass
du auf der Stelle meine Tochter heiratest; es ist ein liebenswürdige
Prinzessin. Alle Prinzen an meinem Hofe sind sterblich verliebt in sie; aber ich
halte dich für den ihrer würdigsten.“ – „Herr,“ erwiderte der
Prinz, wenig erbaut von diesem Antrage; „Euer Majestät tut mir zu viel
Ehre an: mich dünkt, ein samsarischer Prinz würde der Prinzessin anständiger
sein, als ich.“ – „Nein, nein,“ sagte der König mit Ungestüm,
„ich verlange, dass du sie heiratest, ich wünsche es: widersetze dich
nicht länger meinem Willen, sonst könnte es dich gereuen.“

Scheherasade bemerkte den Tag, und brach hier
ihre Erzählung ab.