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132. Nacht

Während der Henker sich bereitete, den Schneider zu
hängen, sagte ein Beamter des Sultans von Kaschghar zu diesem, der den
Buckligen, seinen Lustigmacher nicht lange entbehren konnte, und ihn zu sehen
verlangte: „Herr, der Bucklige, dessentwegen Euer Majestät besorgt ist,
hat sich gestern betrunken, ist sodann wider seine Gewohnheit aus dem Palast
entwischt um in der Stadt herumzulaufen, und ist diesen Morgen tot gefunden
worden. Man hat vor dem Polizeirichter einen Mann gebracht, der angeklagt worden
ist, ihn ermordet zu haben, und der Richter hat sogleich einen Galgen aufrichten
lassen. Als nun der Angeklagte eben gehängt werden sollte, ist ein Mensch
herbeigekommen, und nach diesem ein anderer: Sie klagten sich selbst an, und
einer spricht den anderen schuldfrei. Das dauert nun schon eine lange Zeit so,
und der Polizeimeister ist jetzt eben dabei, einen dritten Menschen zu befragen,
der sich als den wahrhaften Mörder anklagt.“

Nach diesem Bericht schickte der Sultan einen
Gerichtsdiener auf den Richtplatz: „Eile schnell,“ sagte er zu ihm,
„und sage dem Polizeirichter, er solle mir sogleich die Angeklagten
vorführen: Und auch die Leiche des armen Buckligen, den ich noch einmal sehen
will, soll hergebracht werden.“

Der Gerichtsdiener ging, und da er eben auf dem Richtplatz
anlangte, als der Henker den Strick zu ziehen begann, um den Schneider
aufzuhängen, so schrie er aus Leibeskräften, dass man die Hinrichtung
aufschieben sollte. Da der Henker den Gerichtsdiener erkannte, wagte er nicht,
weiter zu gehen, und ließ den Schneider los. Nachdem hierauf der Gerichtsdiener
den Polizeimeister begrüßt hatte, erklärte er ihm den Willen des Sultans.

Der Richter gehorchte, verfügte sich mit dem Schneider,
dem jüdischen Arzt, dem Lieferanten und dem christlichen Kaufmann nach dem
Palast, und ließ die Leiche des Buckligen von vieren seiner Leute nachtragen.

Als sie nun alle vor dem Sultan standen, warf sich der
Polizeimeister zu den Füßen dieses Fürsten nieder, und erzählte ihm, als er
wieder aufgestanden war, ganz getreulich alles, was er von der Geschichte des
Buckligen wusste. Der Sultan fand sie so merkwürdig, dass er seinem
Hof-Historiographen befahl, sie mit allen Nebenumständen niederzuschreiben.
Hierauf sagte er, indem er sich an alle gegenwärtigen Personen wandte:
„Habt ihr jemals etwas Erstaunlicheres gehört, als das, was sich jetzt,
veranlasst durch diesen Buckligen, meinen Lustigmacher, zugetragen hat?“

Der christliche Kaufmann nahm nun, nachdem er sich
niedergeworfen und mit seinem Haupt die Erde berührt hatte, das Wort:
„Mächtiger Herrscher,“ sagte er, „ich weiß eine Geschichte, die
noch erstaunlicher ist, als die euch so eben mitgeteilte, und wenn Euer
Majestät es erlaubt, so will ich sie euch erzählen. Die Ereignisse sind von
der Art, dass niemand sie ohne Rührung anhören kann.“ Der Sultan erlaubte
ihm, sie vorzutragen, welches er in folgenden Worten tat:

Geschichte,
welche der christliche Kaufmann erzählt

„Herr, bevor ich die Geschichte beginne, welche Euer
Majestät mir zu erzählen erlaubt, will ich, mit eurer Vergünstigung,
bemerken, dass ich nicht die Ehre habe, in eurem Reiche geboren zu sein. Ich bin
ein Ausländer, aus Kairo gebürtig, von dem Volk der Kopten1),
und meines Glaubens ein Christ. Mein Vater war ein Makler, und hatte ein
prächtiges Vermögen erworben, welches er mir bei seinem Tod hinterließ. Ich
folgte seinem Beispiel, und trieb sein Gewerbe.

Als ich mich eines Tages in Kairo in dem öffentlichen
Wohngebäude der Getreidehändler befand, redete mich ein sehr wohl gebildeter
und wohl gekleideter, junger, auf einem Esel reitender Kaufmann an. Er grüßte
mich, und indem er ein Tuch öffnete, in welchem sich eine Sesamprobe befand,
fragte er mich: „Wie viel gilt das große Maß Sesam von dieser
Güte?“


1)
Kophyten oder Kopten, ein Name, welchen man den in ägypten eingebornen Christen
gibt. Sie sind griechischer Religion von der eutychianischen oder jakobitischen
Sekte.