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129. Nacht

Der Lieferant des Sultans von Kaschghar hatte, indem er
den Buckligen schlug, seinen Buckel nicht bemerkt; als er ihn nun gewahrte, fing
er an zu fluchen. „Verdammter Buckliger,“ rief er aus, „Hund von
einem Buckligen! Hätte es doch Gott gefallen, dass du mir all mein Fett
gestohlen hättest und dass ich dich hier nicht gefunden hätte, dann würde ich
nicht in der Verlegenheit sein, in welcher ich mich wegen deiner und deines
nichtswürdigen Buckels befinde! Ihr Sterne,“ setzte er hinzu, „die
ihr am Himmel leuchtet, habt in so dringender Gefahr nur Licht für mich.“

Indem er diese Worte sagte, lud er den Buckligen auf seine
Schultern, verließ sein Zimmer, ging bis an das Ende der Straße, wo er ihn
aufrecht an einen Laden lehnte, und machte sich sodann, ohne sich umzusehen, auf
den Weg nach Hause.

Einige Augenblicke vor Tagesanbruch fiel es einem sehr
reichen christlichen Kaufmann ein, der den Palast des Sultans mit fast allem
Nötigen versorgte, nachdem er die Nacht durchschwelgt hatte, auszugehen, um
sich in ein Bad zu begeben. Obgleich er betrunken war, bemerkte er doch, dass
die Nacht sehr vorgerückt wäre, und dass man bald zum frühen Morgengebete
rufen würde, er beschleunigte deshalb seine Schritte und eilte, ins Bad zu
kommen, damit kein in die Moschee gehender Muselmann ihm begegnen und ihn als
Betrunkenen ins Gefängnis führen möchte. Er verweilte jedoch, als er an das
Ende der Straße gekommen war, eines Bedürfnisses wegen, bei der Bude, an
welche der Lieferant des Sultans den Leichnam des Buckligen gelehnt hatte,
welcher, da er erschüttert wurde, an den Rücken des Kaufmanns fiel, der ihn
für einen Räuber hielt, von welchem er angegriffen würde, und ihm einen Faustschlag
auf den Kopf gab, der ihn niederstürzte. Er gab ihm hierauf noch mehrere andere
Schläge und rief um Hilfe.

Der Wächter des Viertels kam auf sein Geschrei herbei,
und da er sah, dass es ein Christ war, der einen Muselmann misshandelte, (denn
der Muselmann war von unserer Religion,) sagte er zu ihm: „Was für einen
Grund habt ihr, einen Muselmann zu misshandeln?“ – „Er hat mich
bestehlen wollen,“ erwiderte der Kaufmann, „und hat sich auf mich
geworfen, um mich bei der Gurgel zu fassen.“ – „Ihr habt euch
hinlänglich gerächt,“ sagte der Wächter, indem er ihn am Arme zog,
„deshalb geht weg von da.“ Zu gleicher Zeit bot er dem Buckligen die
Hand, um ihm zum Aufstehen behilflich zu sein, als er jedoch bemerkte, dass er
tot war, fuhr er fort: „Oho, so hat also ein Christ die Kühnheit einen
Muselmann zu ermorden!“

Indem er diese Worte sprach, hielt er den Christen fest,
und führte ihn zum Polizeimeister, wo man ihn einsperrte, bis der Richter
aufgestanden und im Stande war, den Beklagten zu verhören. Der christliche
Kaufmann wurde inzwischen nüchtern, und je mehr er über sein Abenteuer
nachdachte, je weniger konnte er begreifen, wie bloße Faustschläge einen
Menschen hatten ums Leben bringen können.

Der Polizeimeister befragte, nach dem Bericht des
Wächters und nach Besichtigung des zu ihm gebrachten Leichnams, den
christlichen Kaufmann, der ein Verbrechen, welches er nicht begangen hatte,
nicht leugnen konnte. Da der Bucklige dem Sultan angehörte, denn er war einer
von seinen Lustigmachern, so wollte der Polizeimeister den Christen nicht
hinrichten lassen, ohne zuvor den Willen des Fürsten zu wissen.

Er ging deshalb in den Palast, um den Sultan von dem
Vorgefallenen zu benachrichtigen, und dieser sagte zu ihm: „Ich habe keine
Gnade für einen Christen, der einen Muselmann tötet. Geh und erfülle deine
Pflicht.“

Der Polizeirichter ließ demnach einen Galgen aufrichten,
und schickte Ausrufer in der Stadt umher, um bekannt zu machen, dass man einen
Christen hängen würde, der einen Muselmann getötet hatte.

Man führte nun den Kaufmann aus dem Gefängnis an den
Fuß des Galgens, und der Henker, nachdem er ihm den Strick um den Hals gelegt
hatte, wollte ihn eben hinaufziehen, als der Lieferant des Sultans durch die
Menge drang, und dem Henker, indem er sich ihn nahte, zurief: „Haltet ein,
haltet ein, übereilt euch nicht. Nicht er hat den Mord begangen, sondern
ich.“

Der Polizeimeister, welcher der Hinrichtung beiwohnte,
begann hierauf den Lieferanten zu befragen, der ihm, Punkt für Punkt erzählte,
auf welche Weise der Bucklige von ihm getöteten worden wäre, und damit endete,
zu sagen, dass er den Leichnam an den Ort gebracht, wo der christliche Kaufmann
ihn gefunden hätte. – „Ihr wart im Begriff,“ fügt er hinzu,
„einen Unschuldigen hinrichten zu lassen, weil er einen Menschen, der nicht
mehr lebte, nicht getötet haben kann. Es ist wahrlich schon genug für mich,
einen Muselmann ermordet zu haben, ohne mein Gewissen noch mit dem Tod eines
Christen zu belasten, der kein Verbrecher ist.“