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100. Nacht

Bedreddin-Hassan von Balsora (so nannte man ihn, weil er
in dieser Stadt geboren war) empfand einen unbeschreiblichen Schmerz über den
Tod seines Vaters. Statt, dem Gebrauch gemäß, nur einen Monat in Tränen und
Einsamkeit zuzubringen, brachte er, ohne irgend jemand zu sehen und ohne selbst
dem Sultan von Balsora aufzuwarten, zwei Monate auf solche Weise zu. Der Sultan,
über diese Vernachlässigung erzürnt, die er für ein Zeichen der Verachtung seines
Hofes ansah, ließ sich vom Zorn hinreißen. Er ließ in seiner Wut seinen neuen
Großwesir rufen, (denn er hatte einen ernannt, sobald er den Tod des
Nureddin-Ali erfuhr) und befahl ihm, sich in das Haus des Verstorbenen zu
begeben, und es samt allen seinen Häusern, Gütern und Habseligkeiten
gerichtlich einzuziehen, ohne dem Bedreddin-Hassan, den er in Verhaft zu nehmen
befahl, irgend etwas übrig zu lassen.

Der neue Großwesir, von einer großen Menge von
Gerichtsdienern, Gerichtsleuten und anderen Beamten begleitet, zögerte nicht,
sich zur Vollstreckung seines Auftrages auf den Weg zu machen. Einer der Sklaven
des Bedreddin-Hassan, der zufälliger Weise unter der Menge war, hatte kaum das
Vorhaben des Wesirs erfahren, als er voraus und zu seinem Herrn lief. Er fand
ihn in der Vorhalle seines Hauses, so betrübt, als ob sein Vater eben erst
gestorben wäre. Ganz außer Atem warf er sich zu seinen Füßen, und sagte zu
ihm, nachdem er den Saum seines Kleides geküsst hatte: „Rettet euch, Herr,
rettet euch schnell.“ – „Was gibt’s,“ fragte ihn Bedreddin, indem
er das Haupt erhub, „welche Nachricht bringst du mir?“ –
„Herr,“ erwiderte jener, „es ist keine Zeit zu verlieren. Der
Sultan ist schrecklich gegen euch aufgebracht, und man kommt, um in seinem Namen
all eure Habe und Gut einzuziehen und sich sogar eurer Person zu
bemächtigen.“

Die Rede dieses treuen und ihm sehr ergebenen Sklaven
versetzte Bedreddin-Hassan in große Bestürzung. „Habe ich denn,“
sagte er, „nicht Zeit genug, um ins Haus zu gehen und mindestens einiges
Geld und einige Edelsteine mitzunehmen?“ – „Herr,“ erwiderte der Sklave,
„der Großwesir wird in einem Augenblick hier sein. Eilt, euch zu
retten!“ Bedreddin-Hassan erhob sich schnell von dem Sofa, auf welchem er
saß, zog seine Pantoffeln an, und nachdem er sich den Kopf mit einem Zipfel
seines Kleides bedeckt hatte, um sein Gesicht zu verstecken, entfloh er, ohne zu
wissen, wohin er seine Schritte wenden sollte, um der ihm drohenden Gefahr zu
entrinnen. Der erste Gedanke, der ihm einkam, war, möglichst schnell das
nächst Stadttor zu erreichen. Er lief, ohne anzuhalten, bis zum öffentlichen
Begräbnisplatz, und da die Nacht herankam, beschloss er, sie auf dem Grabe
seines Vaters zuzubringen. Es war ein ziemlich ansehnliches Gebäude mit einer
Kuppel, welches Nureddin-Ali noch bei seinen Lebzeiten hatte bauen lassen; aber
er begegnete auf dem Wege einem sehr reichen Juden1),
der seines Gewerbes ein Wechsler und Kaufmann war. Er kam von einem Ort, wohin
ihn ein Geschäft gerufen hatte, und kehrte in die Stadt zurück. Da dieser Jude
den Bedreddin erkannt hatte, so blieb er stehen und grüßte ihn sehr
ehrfurchtsvoll.


1)
Im ganzen Orient werden die Finanzgeschäfte von Juden oder Armeniern besorgt.