»Man empfängt wohl nicht?« sagte Lewin, in den Flur des Hauses der Gräfin Bolj tretend.

»Man empfängt, bitte,« antwortete der Portier, ihm resolut den Pelz abnehmend.

»Ist das unangenehm,« dachte Lewin, mit einem Seufzer den einen Handschuh abstreifend und seinen Hut glättend. »Weshalb komme ich denn eigentlich? Was soll ich denn mit ihnen reden?«

Durch den ersten Salon schreitend, traf Lewin in der Thür die Gräfin Bolj, welche mit geschäftigem und ernstem Ausdruck dem Diener einen Befehl erteilte.

Als sie Lewin erblickte, lächelte sie und nötigte ihn in den folgenden, kleinen Salon, aus welchem Stimmen vernehmbar waren. In diesem Salon saßen auf Lehnstühlen die beiden Töchter der Gräfin und ein, Lewin bekannter, Moskauer Oberst. Lewin näherte sich ihnen, grüßte, und ließ sich neben dem Diwan nieder, den Hut auf dem Knie haltend.

»Wie ist das Befinden Eurer Frau? Waret Ihr im Konzert? Wir konnten nicht! Mama mußte bei einer Totenmesse gegenwärtig sein.«

»Ja, ich habe gehört – welch ein plötzlicher Todesfall,« sagte Lewin.

Die Gräfin kam, setzte sich auf den Diwan und frug gleichfalls nach seiner Frau und dem Konzert.

Lewin antwortete und wiederholte die Frage nach dem plötzlichen Tode der Arpaksina.

»Sie war überhaupt stets von schwacher Gesundheit.«

»Waret Ihr gestern in der Oper?«

»Ja, ich war da.«

»Die Lucca war sehr gut.«

»Ja, sehr gut,« sagte er und begann, da es ihm ganz gleichgültig war, was man von ihm denken mochte, zu wiederholen, was er hundertmal schon über die Eigentümlichkeit des Talentes der Sängerin gehört hatte. Die Gräfin Bolj stellte sich, als höre sie zu. Als er dann genug geredet hatte, und nun schwieg, begann der Oberst, welcher bis jetzt geschwiegen hatte. Der Oberst fing gleichfalls an, über die Oper und die Beleuchtung zu sprechen und als er endlich noch von einem vorgeschlagenen folle journée bei Tjurin berichtet hatte, brach er in Gelächter aus, verursachte ein Geräusch, erhob sich und ging. Auch Lewin war aufgestanden, bemerkte aber an dem Gesicht der Gräfin, daß für ihn die Zeit des Gehens noch nicht da sei; noch zwei Minuten fehlten, und so setzte er sich denn wieder. Da er indessen noch immer darüber nachdachte, wie thöricht das alles sei, so fand er auch keinen Stoff zu einem Gespräch und blieb stumm.

»Fahrt Ihr nicht in die öffentliche Sitzung? Man sagt, sie sei sehr interessant,« begann die Gräfin.

»Nein, ich habe nur meiner belle soeur versprochen, sie dort abzuholen,« sagte Lewin.

Ein Schweigen trat ein. Die Mutter wechselte nochmals einen Blick mit der Tochter.

»Jetzt scheint es Zeit zu sein,« dachte Lewin und stand auf. Die Damen drückten ihm die Hand und baten, seiner Gattin mille choses ausrichten zu wollen.

Der Portier frug ihn, als er ihm den Pelz reichte, »wo beliebt Ihr zu stehen?« und trug ihn sogleich in ein großes, hübsch gebundenes Buch ein.

»Mir ist das natürlich doch ganz gleichgültig, aber dennoch bleibt das lästig und entsetzlich thöricht,« dachte Lewin, sich damit tröstend, daß alle es ja so machten, und fuhr nach der öffentlichen Sitzung des Komitees, wo er seine Schwägerin treffen sollte, um mit derselben zusammen nach Haus zu fahren.

In der öffentlichen Sitzung des Komitees war viel Volk und fast die gesamte Gesellschaft zugegen. Lewin trat gerade ein, als das Protokoll verlesen wurde, welches wie jedermann sagte, sehr interessant war. Als die Lektüre des Protokolls beendet war, mischte sich die Gesellschaft untereinander und Lewin traf auch Swijashskiy, der ihn für den Abend dringend in die Gesellschaft für Landwirtschaft einlud, wo ein berühmter Vortrag gelesen werden würde, ferner Stefan Arkadjewitsch, der soeben von den Rennen gekommen war, und noch viele andere Bekannte, und Lewin äußerte und vernahm verschiedene Urteile über die Sitzung, über das neue Musikstück und einen Prozeß. Doch mochte er, wohl infolge der Ermüdung seiner geistigen Spannkraft, die er zu empfinden begann, irren, indem er von dem Prozeß sprach, und dieser Irrtum kam ihm in der Folge mehrmals noch zu seinem Verdruß wieder in die Erinnerung. Indem er von der bevorstehenden Bestrafung eines Ausländers sprach, der in Rußland abgeurteilt wurde, sowie davon, daß es ungesetzmäßig wäre, ihn mit Verbannung ins Ausland zu bestrafen, wiederholte Lewin, was er gestern in einem Gespräch von einem Bekannten vernommen hatte. »Ich denke, daß seine Ausweisung ebensoviel wert wäre, als wenn man einen Hecht damit bestrafen wollte, daß man ihn ins Wasser setzt,« meinte Lewin. Erst später dachte er wieder daran, daß dieser scheinbar von ihm geäußerte Gedanke, den er von einem Bekannten gehört hatte, aus einer Fabel Kryloffs stammte, der Bekannte aber diesen Gedanken aus dem Feuilleton eines Journals wiederholt hatte.

Nachdem Lewin mit seiner Schwägerin nach Haus gefahren war und Kity heiter und wohl gefunden hatte, fuhr er nach dem Klub.