»Nun, wie steht’s Kapitonitsch?« sagte der kleine Sergey, rotwangig und heiter, von dem Spaziergang am Vorabend seines Geburtstags zurückkehrend und seine faltige Poddjovka dem hochgewachsenen, aus seiner ganzen Größe auf den Kleinen herablächelnden alten Portier reichend.

»War heute jener zurückgesetzte Beamte da? Hat ihn der Papa empfangen?«

»Empfangen. Soeben ist der Direktor gegangen und ich habe ihn gemeldet,« sagte der Schweizer heiter blinzelnd. »Gestattet mir, daß ich Euch auskleide.«

»Sergey!« sagte der Erzieher, in der Thüre stehen bleibend, welche nach den inneren Gemächern führte. »Legt selbst ab!«

Doch Sergey widmete, obwohl er die schwache Stimme des Pädagogen gehört hatte, diesem nicht die geringste Aufmerksamkeit. Er stand, sich mit der Hand an dem Brustgurt des Portiers anhaltend und ihm ins Gesicht blickend.

»Hat denn Papa auch für ihn gethan, was not thut?«

Der Portier nickte bestätigend mit dem Kopfe.

Ein Beamter, der schon siebenmal bei Aleksey Aleksandrowitsch mit einem Anliegen vorgesprochen hatte, interessierte Sergey und den Portier. Sergey hatte denselben auf dem Vorsaal getroffen und gehört, wie kläglich er den Portier bat, sein Anliegen vorzutragen, und gesagt harte, daß er mit seinen Kindern werde untergehen müssen.

Seit dieser Zeit interessierte sich Sergey, der dem Beamten noch ein zweites Mal auf dem Vorsaal begegnet war, für diesen.

»Hat er sich denn recht gefreut?« frug er.

»Wie sollte er sich nicht gefreut haben? Bald gesprungen wäre er, als er von hier fortging.«

»Hat man etwas für uns gebracht?« – frug Sergey nach einer Pause.

»Nein, Herr,« antwortete kopfschüttelnd und flüsternd der Portier, »von der Gräfin ist etwas da.«

Sergey ersah sofort, daß das, wovon der Schweizer sprach, ein Geschenk von der Gräfin Lydia Iwanowna zu seinem Geburtstage sein müsse.

»Was sagst du? Wo ist es denn?«

»Korney hat es zu Papa getragen. Es scheint etwas recht Schönes.«

»Wie groß ist es denn? – So?« – –

»Kleiner, aber was Hübsches.«

»Ein Buch?«

»Nein, ein Spielzeug. Aber geht, geht, Wasiliy Lukitsch wird gleich rufen,« sagte der Portier, die nahenden Schritte des Gouverneurs vernehmend und behutsam das bis zur Hälfte im abgezogenen Handschuh steckende Händchen, welches ihn noch bei seinem Ledergurt hielt, losmachend.

»Wasiliy Lukitsch, diese Minute!« antwortete Sergey mit dem nämlichen heiteren und lieblichen Lächeln, welches den seines Amtes beflissenen Wasiliy Lukitsch stets besiegte.

Sergey war in viel zu heiterer und glücklicher Stimmung, als daß er sich mit seinem Freund, dem Portier, nicht erst noch hätte in das freudige Familienereignis teilen sollen, von dem er auf dem Spaziergang im Sommergarten durch die Nichte der Gräfin Lydia Iwanowna erfahren hatte.

Dieses freudige Ereignis erschien ihm besonders wichtig nach dem Zusammentreffen mit dem Glücksfall des Beamten und seiner eigenen Freude darüber, daß man ihm ein Spielzeug gebracht hatte. Sergey schien es, daß heute ein Tag sei, an welchem jedermann glücklich und heiter sein müsse.

»Weißt du, daß Papa den Alexander Newskiy erhalten hat?«

»Warum sollte ich das nicht wissen? Man ist ja schon gekommen, um zu gratulieren.«

»So; freut er sich?«

»Wie sollte man sich über des Zaren Gunst nicht freuen? Das heißt, er hat ihn ja auch verdient,« sagte der Portier streng und ernst.

Der kleine Sergey wurde nachdenklich, blickte in das von ihm schon bis in die kleinsten Einzelheiten studierte Gesicht des Portiers, insbesondere auf das Kinn, welches zwischen den grauen Backenbärten hing und das niemand außer Sergey je erblickt hatte, da dieser ihn nie anders als von unten herauf anschaute.

»Deine Tochter ist lange nicht bei dir gewesen?«

Die Tochter des Portiers war Balletttänzerin.

»Wie soll sie an den Wochentagen ausgehen können? Die haben auch zu lernen. Und auch Ihr müßt nun lernen, Herr, geht.« –

In das Zimmer tretend, erzählte Sergey, anstatt sich zur Lektion niederzulassen, seinem Lehrer von seinen Vermutungen darüber, ob das was man für ihn gebracht habe, eine Maschine sein könnte.

»Was meint Ihr dazu?« frug er.

Wasiliy Lukitsch dachte nur daran, daß ein Lehrer lediglich die Grammatikstunde zu geben habe, welche um zwei Uhr begann.

»Nein, sagt mir nur, Wasiliy Lukitsch,« frug er plötzlich, schon hinter dem Arbeitstisch sitzend und das Buch in der Hand haltend, »was ist denn noch mehr, als der Alexander Newskiy? Ihr wißt, daß Papa den Alexander Newskiy erhalten hat?«

Wasiliy Lukitsch antwortete, daß der Wladimir höher sei als der Alexander Newskiy.

»Und noch höher?«

»Am höchsten ist der Orden des heiligen Andreas.«

»Und höher noch als der Andreas?«

»Ich weiß es nicht.«

»Was; selbst Ihr wißt das nicht?« und Sergey versank, sich aufstemmend, in Nachdenken.

Seine Überlegungen waren sehr verwickelt und mannigfaltig. Er überlegte, wie sein Vater plötzlich auch den Wladimir und den Andreasorden erhalten könnte, und wie er infolgedessen heute in der Lektion bei weitem fleißiger sein wolle, und wie er selbst, wenn er erst einmal groß wäre, alle Orden, und auch das, was noch höher als der Andreasorden sei, erhalten wollte. Sobald man einen ausgesonnen hätte, wollte er ihn verdienen; und dächte man ihn noch höher aus, so wollte er ihn sofort auch verdienen.

In solchen Überlegungen verstrich die Zeit, bis der Lehrer kam. Die Lektion über die Umstände der Zeit und des Ortes und den Umstand der Art und Weise saß nicht, und der Lehrer war nicht nur unzufrieden, sondern selbst erzürnt. Der Groll des Lehrers rührte Sergey. Er fühlte sich schuldig, weil er seine Lektion nicht gelernt hatte, aber wie er sich auch bemühen mochte, er konnte es durchaus nicht ermöglichen; so lange der Lehrer ihm Etwas erklärte, überzeugte er sich und schien zu verstehen, doch sobald er allein war, vermochte er sich durchaus nicht mehr zu entsinnen, und zu begreifen, daß das ziemliche kurze und so verständliche Wort »plötzlich« ein »Umstand der Art und Weise« sei; allein dennoch that es ihm leid, daß er den Lehrer kränkte.

Er wählte eine Minute, in welcher der Lehrer schweigend in das Buch blickte.

»Michail Iwanitsch, wann wird Euer Namenstag sein?« frug er plötzlich.

»Ihr dächtet doch besser an Eure Arbeit; die Namenstage haben keinerlei Bedeutung für ein vernünftiges Wesen. Es sind Tage wie alle anderen, an denen man arbeiten muß.«

Der kleine Sergey schaute aufmerksam seinen Lehrer an, dessen spärlichen Bart und die Brille, welche sich unter die Kerbe, die auf der Nase war, gesenkt hatte, und versank so tief in Gedanken, daß er nichts mehr von dem hörte, was der Lehrer ihm erklärte. Er hatte erkannt, daß dieser nicht so dachte, wie er gesprochen hatte; er fühlte dies an dem Tone, in welchem es gesagt worden war.

»Aber warum haben sie sich alle verabredet, dies immer in ein und derselben Weise zu äußern, immer so langweilig und so zwecklos? Warum stößt er mich von sich, warum liebt er mich nicht?« frug er sich betrübt und konnte keine Antwort finden.