Kapitel 2

Ungefähr nach Ablauf dieser Zeit rief mir ein seltsamer Umstand meine Fluchtpläne wieder ins Gedächtniß. Eine geraume Weile hindurch blieb nämlich mein Herr, wie ich hörte aus Geldmangel, gegen seine Gewohnheit zu Hause liegen. Während dieser Zeit fuhr er jede Woche ein oder mehre Mal in seinem kleinen Schiffsboot auf die Rhede zum Fischen, wobei er stets mich und einen kleinen Moresken zum Rudern mitnahm. Wir machten ihm auf diesen Fahrten allerlei Späße vor, und da ich mich zum Fischfang anstellig zeigte, erlaubte er, daß ich nebst einem seiner Verwandten und dem Mohrenjungen auch bisweilen allein hinausfuhr und ihm ein Gericht Fische holte.

Als wir einst an einem sehr windstillen Morgen solch eine Fahrt machten, entstand ein so dicker Nebel, daß wir die Küste, von der wir kaum eine Stunde entfernt waren, aus dem Gesicht verloren. Wir ruderten unablässig, ohne zu wissen, ob wir vorwärts oder zurück kämen, den ganzen Tag und die folgende Nacht hindurch und wurden erst am nächsten Morgen gewahr, daß wir, statt uns dem Lande zu nähern, nach der offenen See hin gerathen und mindestens zwei deutsche Meilen vom Ufer entfernt waren. Dennoch erreichten wir dieses, völlig ausgehungert, unter nicht geringer Mühe und Gefahr wieder, nachdem sich des Morgens ein scharfer Wind landwärts erhoben hatte.

Unser Gebieter, durch dies Ereigniß gewarnt, beschloß, künftig für seine Person größere Vorsicht anzuwenden und nicht mehr ohne Kompaß und Proviant auf den Fischfang zu gehen. Da er das Langboot unseres von ihm genommenen Schiffes zu seiner Verfügung hatte, trug er seinem Schiffszimmermann, der wie ich Sklave und geborener Engländer war, auf, in diesem Boot eine kleine Kajüte zu errichten, ähnlich der in einer Barke, und zwar so, daß hinter derselben Jemand Platz habe, um zu steuern und das große Segel zu regieren, davor aber zwei Personen Raum fänden, um die andern Segel zu handhaben.

Das Langboot führte ein sogenanntes Gieksegel und die Raa ragte über die Kajüte hinaus, welche schmal und niedrig war und höchstens für den Kapitän und ein Paar Sklaven, sowie einen Tisch und ein Schränkchen zur Aufbewahrung von Brod, Reis, Kaffee und dergleichen Raum bot. In diesem Fahrzeug fuhren wir dann fleißig zum Fischen aus, und da ich mich gut auf das Geschäft verstand, ließ mein Herr mich nie zu Hause.

Eines Tages wollte dieser mit ein paar vornehmen Mohren zum Vergnügen oder zum Fischfang eine Fahrt machen und ließ dazu ungewöhnliche Anstalten treffen. Schon Abends zuvor hatte er Mundvorrath an Bord geschickt und mir aufgetragen, drei Flinten mit dem im Boot befindlichen Pulver und Blei bereit zu halten, damit er und seine Freunde sich auch durch die Vogeljagd vergnügen könnten. Ich that wie mir befohlen, und wartete in dem sauber geputzten Boot, darauf Flagge und Wimpel lustig weheten, auf die Ankunft meines Gebieters und seiner Gäste. Bald nachher aber kam jener allein, sagte mir, die letzteren seien durch Geschäfte verhindert, ich solle daher mit dem Mohren und dem kleinen Jungen wie gewöhnlich allein hinausfahren und für seine Freunde zum Abendessen ein Gericht Fische fangen.

In diesem Augenblick kamen mir meine Fluchtgedanken wieder in den Sinn. Ich sah jetzt ein kleines Schiff ganz zu meiner Verfügung gestellt und bereitete, als mein Herr fort war, sogleich Alles statt für den Fischfang zu einer langen Fahrt vor. Freilich wußte ich nicht, wohin diese gehen sollte, aber das kümmerte mich nicht, da ich nur von dort wegzukommen bedacht war.

Zunächst sann ich auf einen Vorwand, um den Mohren nach Proviant auszuschicken. Ich sagte ihm, es zieme sich nicht für uns, von dem Mundvorrath unsers Gebieters zu nehmen. Dies leuchtete ihm ein, und er brachte denn auch bald einen großen Korb mit geröstetem Zwieback, wie solcher dort zu Lande bereitet wurde, nebst drei Krügen mit frischem Wasser herbei. Ich wußte, wo mein Herr seinen Flaschenkorb hatte, der, nach der Façon zu schließen, auch von einem englischen Schiffe erbeutet sein mußte. Diesen stellte ich in das Boot, wie wenn er dort für unsern Herrn schon gestanden habe. Dann trug ich einen etwa fünfzig Pfund schweren Wachsklumpen hinein, sowie einen Knäuel Bindfaden, ein Beil, eine Säge und einen Hammer, lauter nützliche Dinge, besonders das Wachs, aus dem ich Lichter machen wollte. Dann drehete ich dem Mohren, welcher Ismael hieß, aber Muley genannt wurde, eine weitere Nase. »Muley«, sagte ich zu ihm, »die Gewehre unsers Herrn sind an Bord. Könnten wir nicht auch ein wenig Pulver und Schrot bekommen? Es wäre doch hübsch, wenn wir für uns einige Alkamies (eine Art Seevögel) schießen könnten. Ich weiß, der Schießbedarf liegt im großen Schiff.« – »Gut«, erwiederte er, »ich will’s holen.« Bald darauf kam er wirklich mit einem großen Lederbeutel, in welchem sich etwa anderthalb Pfund Pulver, fünf bis sechs Pfund Schrot und etliche Kugeln befanden, und trug dies Alles zusammen ins Boot. Unterdeß hatte ich auch in meines Herrn Kajüte etwas Pulver gefunden, das ich in eine der großen Flaschen im Flaschenkorb, die beinahe leer war und deren Inhalt ich in eine andere goß, füllte. So, mit dem Nötigsten versehen, segelten wir aus dem Hafen zum Fischfang. Der Wind ging leider aus Nordnordost; wäre er von Süden gekommen, hätte ich leicht die spanische Küste, oder wenigstens die Bai von Cadix erreichen können. Trotz dem aber, mochte der Wind auch noch so ungünstig wehen, blieb mein Entschluß fest, von diesem schrecklichen Orte zu entrinnen, das Uebrige aber dem Geschick anheim zu stellen.

Nachdem wir einige Zeit gefischt hatten, ohne Etwas zu fangen (denn wenn ich auch einen Fisch an der Angel spürte, zog ich ihn nicht heraus), sagte ich zu dem Mohren: »Hier hat’s keine Art; wir werden von hier unserm Herrn Nichts heimbringen, wir müssen es weiter draußen versuchen«. Er, sich nichts Arges versehend, willigte ein und zog, da er am Stern des Schiffes stand, die Segel auf. Ich steuerte dann das Boot beinahe eine deutsche Meile auf die offene See hinaus. Hierauf brachte ich es in die Stellung, als ob ich fischen wolle, gab dem Jungen das Steuerruder, ging nach vorn, wo der Mohr stand, that, wie wenn ich beabsichtigte, hinter ihm Etwas aufzuheben, faßte ihn rücklings an und warf ihn kurzer Hand über Bord. Sofort tauchte er wieder auf, denn er schwamm wie Kork, und bat mich, ihn wieder herein zu heben. Er wolle ja, sagte er, mit mir in die weite weite Welt gehen. Da er rasch hinter dem Boot her schwamm, würde er mich bei dem schwachen Wind bald erreicht haben. Ich aber eilte in die Kajüte, ergriff eine der Vogelflinten und rief ihm zu: »Wenn du dich ruhig verhältst, werde ich dir Nichts zu Leide thun. Du schwimmst gut genug, um das Land erreichen zu können, und die See ist ruhig. Mach, daß du fortkommst, so will ich dich verschonen; wagst du dich aber an das Boot heran, so brenne ich dir Eins vor den Kopf, denn ich bin entschlossen, mich zu befreien.« Hierauf wandte er sich um, schwamm nach der Küste und hat diese auch jedenfalls mit Leichtigkeit erreicht; denn er war ein ausgezeichneter Schwimmer.

Ebenso gut freilich hätte ich auch den Mohren mit mir nehmen und den Jungen statt seiner ersäufen können, aber es war Jenem nicht zu trauen. Als er sich fort gemacht, sagte ich zu dem kleinen Burschen, welcher Xury hieß: »Höre, wenn du mir treu bleibst, will ich etwas Großes aus dir machen; willst du mir aber nicht beim Barte Mahomeds und seines Vaters Treue schwören, so muß ich dich ins Wasser werfen.« Der Junge lächelte mir ins Gesicht und antwortete mir so treuherzig, daß ich ihm nicht mißtrauen konnte: er verspreche mir treu zu sein und mit mir zu gehen, wohin ich wolle.

So lange mich der schwimmende Mohr im Auge zu behalten vermochte, steuerte ich das Boot dem hohen Meer zu, und zwar so, daß man meinen sollte. wir hätten uns der Meerenge von Gibraltar zugewandt. Jeder vernünftige Mensch mußte an Stelle der Neger dies auch annehmen. Denn wer hätte denken sollen, daß wir südwärts gesegelt wären, recht eigentlich nach der Barbarenküste hin, an der ganze Völkerschaften von Negern wohnten, die uns mit ihren Kähnen umzingeln und uns umbringen konnten; wo wir auch nirgends zu landen vermochten, ohne Gefahr zu laufen, von wilden Bestien oder noch unbarmherzigern wilden Menschen zerrissen zu werden. Dennoch aber änderte ich, sobald die Abenddämmerung kam, die Richtung unseres Bootes und steuerte direkt nach Südost. Diesen Cours schlug ich ein, um in der Nähe der Küste zu bleiben. Da wir guten frischen Wind hatten. kamen wir so schnell vorwärts, daß wir am nächsten Nachmittag gegen drei Uhr uns schon beinahe 150 Meilen südlich von Saleh, weit entfernt von dem Reich des Kaisers von Marokko und irgend eines andern Herrschers (wir sahen wenigstens keinen Menschen am Lande) befanden.

Meine Furcht vor den Mohren war so groß, und ich bangte so sehr davor, ihnen in die Hände zu fallen, daß ich mich nicht entschließen konnte, an Land oder auch nur vor Anker zu gehen. Der Wind wehte noch volle fünf Tage hindurch uns günstig. Nachdem er sich dann südwärts gedreht hatte, durfte ich glauben, daß, wenn man auch zu Schiffe auf uns Jagd gemacht haben sollte, diese doch nun aufgegeben sein würde. Daher wagte ich mich jetzt an die Küste und warf Anker an der Mündung eines kleinen Flusses. Ich wußte weder, unter welchem Breitengrade, noch in welchem Land, noch bei welchem Volk ich mich befinde. Keine Menschenseele ließ sich sehen; auch hatte ich kein Verlangen danach, denn das Einzige, wonach ich mich sehnte, war frisches Wasser.

Wir gelangten Abends in die Flußmündung und beschlossen, sobald es dunkel sei, an Land zu schwimmen und die Gegend auszukundschaften. Jedoch vernahmen wir, als es Nacht geworden, einen so fürchterlichen Lärm, ein solches Bellen, Brüllen und Heulen wilder Thiere, Gott weiß welcher Art, daß mein armer Junge vor Angst sterben wollte und mich flehentlich bat, nicht vor Tagesanbruch an das Ufer zu gehen. »Gut, Xury«, sagte ich, »dann wollen wir es lassen; aber vielleicht bekommen wir bei Tage Menschen zu sehen, die es gerade so schlecht mit uns meinen als diese Löwen.« –»Ei, dann wir schicken ihnen einige Kugeln aufs Fell«, erwiederte Xury lachend, »die ihnen machen Beine.« – Ein wenig Englisch nämlich hatte der Junge durch den Verkehr mit uns Sklaven gelernt.

Ich war froh, den Jungen so lustig zu sehen, und ließ ihn zur Ermuthigung einen Schluck Rum aus einer der Flaschen meines Patrons thun. Uebrigens war Xury’s Rath gut, daher ich ihn auch befolgte. Wir warfen unsern kleinen Anker aus und lagen die Nacht über still. An Schlafen war jedoch kein Gedanke. Denn nach einigen Stunden sahen wir gewaltig große Bestien verschiedener Art, die wir nicht zu nennen wußten, an den Strand kommen und sich ins Wasser stürzen. Sie machten sich das Vergnügen einer Abkühlung und heulten und brüllten dabei in einer Art, wie ich es mein Lebtag nicht wieder gehört habe.

Xury war furchtbar erschrocken und ich nicht minder. Aber wie entsetzten wir uns erst, als eines der Unthiere auf unser Boot zugeschwommen kam. Wir konnten es nicht sehen, doch an seinem Schnauben war zu hören, daß es eine ungeheuer große und grimmige Bestie sein mußte. Xury behauptete, es sei ein Löwe, und es mochte wohl auch einer sein. Der arme Junge schrie, ich sollte den Anker lichten und wegrudern. »Nein«, erwiederte ich, »wir wollen nur das Kabeltau verlängern und nach der See hinsteuern, dann können die Thiere uns nicht folgen.« Kaum hatte ich diese Worte gesprochen, als ich das Ungeheuer zu meiner großen Ueberraschung schon bis auf zwei Ruderlängen uns nahe erblickte. Sofort eilte ich nach der Kajüte, ergriff ein Gewehr und gab Feuer, worauf die Bestie sich alsbald umwandte und wieder nach dem Lande schwamm.

Es ist unmöglich, den fürchterlichen Lärm, das Geschrei und Geheul zu beschreiben, das unmittelbar an der Küste und weiter ins Land hinein nach meinem Schusse entstand. So Etwas hatten diese Kreaturen wahrscheinlich früher nie gehört. Ich zog daraus den Schluß, daß wir während der Nacht nicht hier ans Land gehen dürften, und es schien sogar fraglich, ob wir es bei Tage wagen dürften; denn den wilden Menschen in die Hände zu gerathen, war um Nichts besser, als in die Gewalt der wilden Thiere zu kommen, zum wenigsten hatten wir vor beiden gleich große Angst. Trotzdem aber gebot uns die Notwendigkeit, irgendwo zu landen, um Wasser zu holen, wovon wir keine Pinte mehr im Boote hatten. Es fragte sich nur, wo wir es wagen sollten. Xury sagte mir, wenn er mit einem der Krüge ans Ufer gehen dürfe und es da überhaupt Wasser gäbe, wolle er es schon bekommen. Ich fragte ihn, warum denn er gehen wolle und er nicht lieber sehe, wenn ich es thäte. Er antwortete mir darauf mit solcher Treuherzigkeit, daß ich ihn dadurch für immer lieb gewann. »Wenn kommen wilde Männer«, sagte er, »sie essen mich, du weggehen.« »Nun, Xury«, erwiederte ich, »dann wollen wir alle beide gehen, und wenn die wilden Männer kommen, schießen wir sie nieder, dann können sie keinen von uns fressen.« Hierauf gab ich ihm ein Stück Zwieback und ließ ihn einen Schluck Rum aus dem Flaschenkorb thun. Dann ruderten wir das Boot möglichst nahe ans Ufer und wateten, nur mit unsern Gewehren und zwei Wasserkrügen ausgerüstet, ans Land.

Ich wagte nicht das Boot aus den Augen zu verlieren, weil ich fürchtete, die Wilden möchten in Kähnen den Fluß herunter kommen. Der Junge aber, welcher etwa eine Meile landeinwärts eine Niederung gewahrte, eilte danach hin, und gleich darauf sah ich ihn wieder zurückkehren. Ich glaubte, er sei von Wilden verfolgt oder durch ein Thier erschreckt, und rannte, um ihm zu helfen, ihm entgegen. Als ich jedoch näher kam, sah ich, daß er Etwas über die Schultern hängen hatte, das ich als ein von ihm getödtetes Thier erkannte. Es glich einem Hasen, war aber von anderer Farbe und länger von Beinen. Wir hatten große Freude darüber, da es uns eine herrliche Mahlzeit lieferte. Das Beste aber, was Xury mitbrachte, war die Nachricht, daß er gutes Wasser gefunden und keine Wilden gesehen hatte.

Bald darauf wurden wir gewahr, daß wir uns um Wasser nicht so große Sorgen hätten zu machen brauchen. Denn ein wenig höher in der Bucht hinauf, in der wir lagen, fanden wir, sobald die Flut, die nicht tief den Fluß hinein ging, verlaufen war, das Wasser süß und frisch. So füllten wir denn unsere Krüge, verschmausten unser Wildpret und machten uns wieder reisefertig. Spuren eines menschlichen Wesens hatten wir in dieser Gegend nicht wahrgenommen.

Weil ich schon früher einmal an dieser Küste gewesen war, wußte ich, daß die kanarischen Inseln, sowie die des grünen Vorgebirgs von hier nicht weit abliegen konnten. Da mir’s aber an Instrumenten zur Untersuchung des Breitengrads, unter dem wir uns befanden, gebrach, und ich auch leider nicht genau die Lage jener Inseln kannte, war ich im Zweifel über die Richtung, die ich nach ihnen einzuschlagen hätte. Außerdem wäre es eine Leichtigkeit gewesen, sie zu erreichen.

Ich hatte meine Hoffnung darauf gesetzt, daß mir, wenn ich mich immer längs der Küste hielte, bis ich in die Region käme, wo die Engländer ihren Handel trieben, eins von ihren Schiffen aufstoßen und uns aufnehmen werde. Soviel ich nach meiner Berechnung herausgebracht, mußte ich damals in der Gegend sein, die zwischen dem Kaiserreich Marokko und den Negerstaaten liegt und wo die Küste nur von Bestien bewohnt ist. Die Neger haben diesen Landstrich verlassen und sich aus Furcht vor den Mohren nach Süden zurückgezogen, während die Mohren die Gegend wegen ihrer Unfruchtbarkeit nicht des Anbaus werth halten. Beide Völkerschaften haben auch deshalb jene Strecke aufgegeben, weil so erstaunlich viel Tiger, Löwen, Leoparden und andere wilde Thiere dort hausen. Die Mohren benutzen die Gegend daher nur zum Jagen, indem sie armeenweis zu zwei- bis dreitausend Mann dorthin ziehen. Beinahe hundert Meilen lang sahen wir an der Küste nur wüstes Land, bei Tage wie ausgestorben, des Nachts erfüllt vom Geheul und Gebrüll der Bestien.

Ein- oder zweimal glaubte ich den Pik von Teneriffa zu erblicken und hatte große Lust, nach ihm hin zu steuern; nach mehrmaligen vergeblichen Versuchen aber, durch widrigen Wind genöthigt und auch weil die See für mein kleines Fahrzeug zu hoch ging, beschloß ich, nach meinem früheren Plane mich längs der Küste zu halten.

Mehrmals war ich genöthigt, ans Land zu gehen, um frisches Wasser zu holen. Eines Tages warfen wir früh am Morgen unter einem ziemlich hoch gelegenen Küstenpunkt Anker. Die Flut begann und wir wollten sie abwarten, um mit ihr weiter zu gehen. Xury, der seine Augen flinker als ich überall hatte, rief mir leise zu, es sei besser, wenn wir von der Küste uns abwendeten, »denn«, sagte er, »dort liegt ein schreckliches Ungeheuer neben dem Hügel und schläft«.

Ich sah nach der angedeuteten Richtung und erblickte wirklich ein scheußliches Unthier. Es war ein sehr großer Löwe, der am Ufer im Schatten eines Hügelvorsprungs lag. »Xury«, sagte ich, »du mußt ans Land und ihn abmucksen.« Xury schauderte und erwiederte: »Ich mucksen? Er mich essen auf einen Bissen.« Da ließ ich den Jungen sich still verhalten, nahm unsre größte Flinte, lud sie stark mit Pulver und mit zwei Kugeln und legte sie neben mich. In ein anderes Gewehr that ich zwei Kugeln, in ein drittes (denn wir hatten drei) fünf Kugeln von kleinerem Kaliber. Beim ersten Schuß hielt ich der Bestie scharf nach dem Kopf, allein sie hatte die Tatze ein wenig über die Schnauze gelegt, so daß die Kugeln sie über dem Knie trafen und ihr nur den Gelenkknochen zerschmetterten. Der Löwe sprang auf, knurrte anfangs leise, fühlte aber sein Bein entzwei, sank nieder und stellte sich dann auf drei Beine, indem er das schrecklichste Gebrüll los ließ, das ich je vernommen. Ich war erschrocken, daß ich den Kopf verfehlt, griff aber sofort nach dem zweiten Gewehr und gab abermals Feuer; wiewohl der Feind ausreißen wollte, traf ich ihn diesmal doch in den Kopf und sah mit Vergnügen, wie er zusammenbrach und ohne großen Lärm seinen Todeskampf kämpfte. Jetzt bekam Xury Courage und wollte ans Land. »Gut«, sagte ich, »geh.« Darauf sprang er ins Wasser, nahm in die eine Hand eine kleine Flinte, schwamm mit der andern ans Ufer, begab sich dicht an das Thier heran, hielt ihm das Gewehr nahe vor’s Ohr und machte ihm mit einem neuen Schuß durch den Kopf vollends den Garaus.

Dies Wildpret lieferte uns aber Nichts zu essen, und es that mir leid, drei Schüsse an ein Thier verschwendet zu haben, mit dem wir Nichts anfangen konnten. Xury aber sagte, Etwas wolle er doch davontragen, und bat mich um das Beil. »Wozu, Xury?« fragte ich. »Kopf abhauen«, antwortete er. Jedoch gelang ihm das nicht, und er brachte nur eine ungeheure Tatze mit sich zurück.

Ich hatte unterdessen überlegt, daß uns vielleicht das Fell von einigem Werth sein könnte, und beschloß es abzuziehen. So machte ich mich denn mit Xury ans Werk; der Junge aber leistete dabei viel mehr als ich, denn ich verstand mich schlecht auf die Sache. Die Arbeit nahm einen ganzen Tag in Anspruch, bis wir zuletzt das Fell davontrugen. Wir spannten es über das Dach unserer Kajüte aus, wo es die Sonne rasch trocknete; dann benutzte ich es als Decke für mein Lager.

Nach diesem Aufenthalt segelten wir zehn bis zwölf Tage in Einem fort südwärts. Jetzt gingen wir mit unserm Proviant, der stark ins Abnehmen gerathen war, sehr sparsam um. Ans Land wagten wir uns nur, um Wasser zu nehmen.

Mein Plan war, zu versuchen, ob wir den Gambia oder Senegal, das heißt die Gegend des grünen Vorgebirgs zu erreichen vermöchten, wo ich hoffen durfte, einem europäischen Schiffe zu begegnen. Geschah dies nicht, so blieb mir Nichts übrig, als nach den kapverdischen Inseln zu steuern oder unter den Negern umzukommen. Ich wußte, daß alle europäischen Schiffe, die nach der Küste von Guinea oder nach Brasilien oder Ostindien gehen, auf dem grünen Vorgebirg oder jenen Inseln Station machen. So setzte ich denn mein ganzes Geschick auf die Eine Nummer: entweder begegnete ich einem Schiff, oder ich war verloren.

Als ich in dieser Ungewißheit etwa zehn Tage hindurch geregelt war, begann ich wahrzunehmen, daß die Küste bewohnt sei. An mehren Stellen sahen wir im Vorbeifahren Leute an dem Ufer stehen, die uns beobachteten. Wir konnten auch erkennen, daß sie ganz schwarz und völlig nackt waren. Einmal wandelte mich die Lust an, ans Land zu ihnen zu gehen, aber Xury rieth mir ab und sagte: »Nicht gehen, ja nicht gehen.«

Dennoch näherte ich mich der Küste so weit, daß ich mit den Leuten sprechen konnte. Sie liefen eine geraume Strecke neben dem Schiffe die Küste entlang. Waffen hatten sie nicht, außer einem Einzigen, der einen langen dünnen Stab trug, den Xury als eine Lanze bezeichnete, mit der diese Leute auf weite Entfernung mit großer Sicherheit werfen könnten. Deshalb hielt ich mich in gehöriger Ferne, redete aber, so gut es ging, durch Zeichen mit ihnen und gab ihnen insbesondere zu verstehen, daß ich Etwas zu essen haben möchte. Sie forderten mich durch Winke auf, das Boot anzuhalten, und deuteten an, sie würden dann Speisen für mich herbeischaffen. Hierauf zog ich die Segel ein und legte bei, während zwei der Neger landeinwärts liefen. Nach kaum einer halben Stunde kamen sie mit zwei Stücken geröstetem Brod und etwas Korn zurück. Ohne zu wissen, was es sei, waren wir doch entschlossen es anzunehmen, nur fragte es sich, wie wir’s bekommen könnten. Denn ans Land zu gehen wagte ich nicht. Die guten Leute aber schienen sich ebenso sehr vor uns zu fürchten wie wir vor ihnen. Endlich fanden sie einen guten Ausweg. Sie legten die Sachen auf die Erde nieder und zogen sich eine weite Strecke zurück, bis wir ihre Gaben an Bord gebracht hatten; dann kamen sie wieder ans Ufer heran.

Wir machten ihnen Zeichen des Danks, da wir sonst Nichts zu bieten hatten. Gleich darauf aber ward uns die Gelegenheit, ihnen einen großen Dienst zu leisten. Es kamen nämlich zwei gewaltige Thiere, eins das andere verfolgend, von den Bergen herab nach dem Meere gelaufen. Wir konnten nicht erkennen, ob Brunst das Männchen das Weibchen jagen hieß, oder ob die Bestien wüthend auf einander waren; ebensowenig ob eine solche Sache hier zu Lande alltäglich oder ungewöhnlich sei. Doch glaube ich das Letztere. Einmal weil solche wilde Thiere regelmäßig sich nur des Nachts zeigen, und dann weil die Leute am Ufer, besonders die Weiber, sehr erschrocken schienen. Alle, außer dem Mann mit der Lanze, entflohen. Die Bestien dachten jedoch nicht daran, die Neger zu verfolgen, sie stürzten sich vielmehr ohne Weiteres ins Wasser und schwammen darin umher, als ob sie sich ein Plaisir machen wollten.

Endlich kam eins der Thiere dem Boote näher. Ich legte mich auf die Lauer, ein Gewehr schußfertig in der Hand. Zuvor hatte ich Xury befohlen, die andern beiden Flinten zu laden. Sobald mir das Thier in Schußweite kam, gab ich Feuer und traf es gerade vor den Kopf. Alsbald sank es unter, kam aber gleich wieder in die Höhe und tauchte im Todeskampf auf und nieder. Es hatte sich unverzüglich nach dem Lande hin gewendet, allein noch ehe es das Ufer erreichte, gaben ihm die tödliche Wunde und das verschluckte Wasser den Tod.

Es ist unmöglich, das Erstaunen der armen Leute über den Knall und das Feuer meines Gewehrs zu schildern. Einige von ihnen wollten vor Furcht sterben und fielen wie todt vor Schrecken um. Als sie aber die Bestie leblos und ins Wasser versunken sahen und ich ihnen zugewinkt hatte, ans Ufer zu kommen, faßten sie Muth, näherten sich und fingen an das Thier zu suchen. Es schwamm in seinem Blute, von dem das Wasser sich gefärbt hatte. Ich schlang ihm ein Seil um den Leib, das ich den Negern zuwarf, welche das todte Thier damit an den Strand zogen. Es war ein ungemein schöner und wundervoll gefleckter Leopard. Die Neger schlugen vor Verwunderung über das Ding, womit ich ihn getödtet hatte, die Hände über dem Kopfe zusammen.

Die andere Bestie, erschreckt durch Blitz und Knall des Schusses, schwamm ans Land und rannte nach dem Berg zurück, woher es gekommen. Wegen der Entfernung vermochte ich nicht zu erkennen, was es für ein Thier war. Ich merkte, daß die Neger Lust hatten, den todten Leoparden zu verzehren, und war auch gern bereit, ihnen denselben zu überlassen. Daher gab ich ihnen das durch Zeichen zu verstehen, und sie schienen sehr dankbar dafür. Sofort machten sie sich an die Arbeit und zogen ihm mit einem scharfen Stück Holz das Fell rascher ab, als wir es mit unseren Messern gekonnt hätten.

Sie boten mir Etwas von dem Fleisch an, was ich jedoch ablehnte, dagegen winkte ich ihnen, sie sollten mir das Fell geben, was sie denn auch sehr bereitwillig thaten. Sie brachten mir ferner noch eine große Menge von Lebensmitteln, die ich zwar nicht kannte, aber dennoch annahm. Ich machte ihnen dann durch Zeichen begreiflich, daß ich Wasser nöthig habe, indem ich einen von meinen Krügen umgekehrt ihnen vorzeigte, um damit anzudeuten, daß er leer sei. Sofort kamen auf ihren Ruf zwei Weiber und trugen ein großes irdenes Gefäß, das, wie ich vermuthe, in der Sonne gebrannt war. Sie setzten es in der früher erwähnten Weise nieder, und ich schickte Xury ans Ufer und ließ meine drei Krüge sämmtlich füllen. Die Weiber waren ganz und gar nackt, wie auch die Männer.

Jetzt hatte ich eßbare Wurzeln, Korn und Wasser in Menge. Nachdem ich diese freundlichen Neger verlassen, segelte ich etwa elf Tage weiter, ohne der Küste nahe zu kommen, bis ich ungefähr fünf Meilen vor mir eine weit in die See ragende Landspitze bemerkte. Da das Meer sehr ruhig war, steuerte ich vom Land ab, um diese Spitze zu umsegeln. Endlich, nachdem ich etwa zwei deutsche Meilen an dem gedachten Punkt vorüber war, erblickte ich vollkommen deutlich auch auf der andern Seite seewärts Land, woraus ich den gegründeten Schluß zog, jenes sei das grüne Vorgebirge und dies Land seien die nach demselben benannten kapverdischen Inseln. Jedoch lagen sie mir noch zu fern, und ich wußte nicht, nach welcher Seite ich mich wenden sollte, denn wenn sich ein frischer Wind erhob, war es leicht möglich, daß ich keine von beiden erreichte.

In dieser zweifelhaften Lage ging ich gedankenvoll in die Kajüte und setzte mich, nachdem ich Xury das Ruder übergeben, dort nieder. Plötzlich rief der Junge: »Herr, ein Schiff, ein Segelschiff!« Der arme Teufel war vor Schreck ganz außer sich, weil er meinte, es müsse nothwendig eines von den uns verfolgenden Schiffen unseres Patrons sein, während ich wußte, daß wir uns längst außer dessen Bereich befanden.

Ich sprang aus der Kajüte und sah nicht nur das Schiff, sondern erkannte es auch sofort als ein portugiesisches. Anfangs glaubte ich, es sei nach der guineischen Küste zum Negerhandel bestimmt, jedoch wurde mir bei genauerer Betrachtung seines Courses klar, daß es anderswohin gehe und nicht nach dem Lande hin steuere. Ich wendete mich deshalb mit vollen Segeln nach der offenen See, entschlossen, wenn es möglich sei, mit den Leuten im Schiffe zu unterhandeln.

Aller Anstrengung ungeachtet erkannte ich aber bald, daß ich sie nicht einholen würde und daß sie mir aus den Augen kommen müßten, ehe ich ein Zeichen zu geben vermöchte. Schon fing ich an zu verzweifeln, als sie, wie es schien, mit Hülfe ihrer Perspektive mich bemerkt und wahrgenommen hatten, daß mein Boot ein europäisches sei, das vermuthlich zu einem verlorenen Schiffe gehöre. Sie zogen die Segel ein und ließen mich herankommen. Hierdurch ermuthigt, hißte ich die Flagge meines ehemaligen Patrons auf und feuerte als weiteres Nothsignal einen Schuß ab. Sofort legten sie das Schiff bei und nach ungefähr drei Stunden hatte ich sie erreicht.

Sie fragten mich nacheinander auf portugiesisch, spanisch und französisch, was ich für ein Landsmann sei. Ich verstand aber keine dieser Sprachen. Endlich rief mich ein schottischer Matrose, der an Bord war, an, und ich erwiederte, daß ich ein Engländer und aus der Mohrensklaverei von Saleh entflohen sei. Hierauf luden sie mich ein, an Bord zu kommen, und nahmen mich mit all meiner Habe freundlich auf.

Ich war, wie Jedermann glauben wird, unbeschreiblich froh, auf diese Art aus einer so elenden und fast hoffnungslosen Lage befreit zu sein. Sofort bot ich Alles, was ich hatte, dem Schiffskapitän als Lohn für meine Befreiung an. Er aber erwiederte mir großmüthig, er werde Nichts annehmen, es solle vielmehr alle meine Habe mir wieder zugestellt werden, sobald wir nach Brasilien kämen. »Denn«, sagte er, »ich habe Euch das Leben nur aus dem Grunde gerettet, aus dem ich mir selber in ähnlicher Lage Rettung wünschen würde. Vielleicht werde ich früher oder später einmal in gleicher Weise von Jemandem aufgenommen werden müssen. Obendrein«, fuhr er fort, »wenn ich Euch so weit von der Heimat, wie Brasilien entfernt ist, brächte und Euch dann Eure Habe abnähme, so müßtet Ihr doch Hungers sterben und ich hätte Euch dann ja das wieder genommen, was ich Euch kaum gegeben habe. Nein, nein, Sennor Inglese, ich will Euch umsonst mitnehmen, und Eure Sachen werden Euch dort Unterhalt verschaffen und die Heimreise ermöglichen«.

So liebreich, wie er gesprochen, so liebreich handelte er auch. Er untersagte den Matrosen, das Geringste unter meinen Sachen anzurühren; dann nahm er diese in eigenes Gewahrsam und händigte mir ein genaues Verzeichniß derselben ein, damit ich sie sämmtlich, sogar meine drei irdenen Krüge, wiederbekomme.

Mein Boot war ein treffliches Fahrzeug. Der Kapitän bemerkte das und fragte mich, ob ich es wohl an sein Schiff verkaufen und was ich dafür haben wolle. Ich antwortete, er sei so edelmüthig in jeder Hinsicht gegen mich, daß ich für das Boot gar Nichts nehmen könne, sondern es ihm gänzlich überlasse. Er aber erwiederte, er wolle mir einen Handschein auf achtzig Goldstücke für Brasilien geben, und wenn mir dort Jemand mehr biete, so werde er auch das zahlen.

Dann bot er mir sechzig Goldstücke für meinen Jungen, den Xury. Hierzu aber hatte ich keine Lust, nicht weil ich den Buben dem Kapitän nicht gern überlassen hätte, sondern weil es mir leid that, seine Freiheit zu verkaufen, nachdem er mir so treulichen Beistand geleistet hatte. Als ich dies dem Kapitän vorstellte, fand er es gerechtfertigt und schlug die Auskunft vor, daß er dem Jungen durch eine Urkunde versprechen wolle, ihn nach zehn Jahren, wenn er Christ geworden sei, wieder frei zu geben. Hierauf, und da Xury auch einwilligte, überließ ich ihn dem Kapitän.

Wir hatten eine sehr gute Reise nach Brasilien und warfen schon nach etwa drei Wochen in der Allerheiligenbucht Anker. Nun war ich auf einmal aus der jämmerlichsten Lebenslage befreit, und es galt zu überlegen, was ich in Zukunft anfangen wolle.

Das edelmüthige Benehmen des Kapitäns gegen mich werde ich nie vergessen. Er nahm für die Ueberfahrt Nichts von mir und gab mir obendrein zwanzig Ducaten für das Leopardenfell und vierzig für das Löwenfell, auch ließ er mir pünktlich Alles, was im Schiffe mir gehörte, ausliefern. Was ich zu verkaufen Lust hatte, z. B. den Flaschenkorb, zwei meiner Gewehre und den Rest des Wachses, kaufte er mir ab. Kurz, ich löste aus meiner Habe gegen zweihundert spanische Speciesthaler. Mit diesem Kapital ging ich in Brasilien an Land.

Kurze Zeit darauf empfahl mich der Kapitän an einen Mann von gleicher Redlichkeit, wie er selbst war. Dieser besaß ein Ingenio, das heißt eine Zuckerplantage. Auf derselben hielt ich mich eine Zeitlang auf und wurde dadurch mit der Kultur und Bereitung des Zuckers bekannt. Da ich sah, welch angenehmes Leben die Pflanzer führten und wie rasch sie reich wurden, entschloß ich mich, wenn mir die Niederlassung gestattet würde, gleichfalls Pflanzer zu werden und mir zu diesem Zweck mein in London hinterlassenes Geld schicken zu lassen. Ich ließ mich deshalb durch eine Urkunde naturalisiren, kaufte so viel Land, als mit meinem Kapital möglich war, und machte einen Plan zu einer Pflanzung, wie sie mein in England befindliches Geld mir anzulegen gestatten würde.

Ich hatte einen Portugiesen, der aus Lissabon, aber von englischen Eltern stammte, mit Namen Wells zum Nachbar, der sich ungefähr in gleichen Umständen befand wie ich. Wir wurden mit einander gut bekannt. Sein Betriebskapital war wie das meinige nur gering, und unsre Pflanzung verschaffte uns etwa zwei Jahre hindurch wenig mehr als den Lebensunterhalt. Indessen begannen wir uns zu vergrößern und unser Land zu verbessern, so daß wir im dritten Jahr schon etwas Tabak anpflanzen und Jeder von uns ein großes Stück Land zum Zuckeranbau für das folgende Jahr vorbereiten konnte. Beide aber hatten wir Hülfe nöthig, und jetzt wurde es mir fühlbar, daß es eine Thorheit von mir gewesen war, mich von Xury zu trennen.

Aber ach! es ist kein Wunder, daß ich, der ich’s nie vernünftig angefangen hatte, auch diesmal verkehrt gehandelt hatte. Das war nun nicht wieder gut zu machen. Ich hatte mich jetzt auf ein Leben eingelassen, das meiner ganzen Natur entgegen und völlig verschieden von dem war, an dem ich Gefallen fand, dessentwillen ich das Vaterhaus verlassen und den väterlichen Rath in den Wind geschlagen hatte. Jetzt befand ich mich auf der Mittelstraße des Lebens, die ich zu Hause auch hätte wandern können, ohne mich in der Welt so abzuplagen, wie ich es nun that. Oft sagte ich zu mir selbst: diese Art Leben konntest du auch in England unter deiner Sippschaft führen und brauchtest nicht deswegen fünftausend englische Meilen unter Fremde und unter die Wilden in eine Wüstenei zu gehen, wo man von dem Fleckchen Erde, das deine Heimat ist, niemals ein Wort vernommen hat.

So sah ich meine Lage mit immer größerem Mißvergnügen an. Ich hatte Niemanden zum Umgange als jenen Nachbar, mit dem ich zuweilen verkehrte. Was zu arbeiten war, mußte ich mit eigenen Händen thun, und ich kam mir vor wie Jemand, der auf eine einsame Insel verschlagen ist. Aber das sollte erst noch kommen. Jedermann möge bedenken, daß, wenn er seine gegenwärtige Lage ungerecht beurtheilt, die Vorsehung ihn leicht zu einem Tausche zwingen kann, damit er durch die Erfahrung lerne, wie glücklich er früher gewesen. Jenes einsame Leben auf einem öden Eilande, an das ich damals dachte, sollte mir noch dereinst beschieden sein, weil ich so oft ungerechter Weise damit mein damaliges Leben verglichen hatte, welches, wenn es länger gedauert, mich sehr wahrscheinlich zu einem begüterten und reichen Mann gemacht hätte.

Ich hatte meine Plantage schon einigermaßen in Stand gebracht, als der Schiffskapitän, der mich auf der See eingenommen, die Rückreise antrat. Das Schiff hatte nämlich, bis die Ladung und die Reisevorbereitungen beendet waren, beinahe drei Monate dort verweilt. Als ich meinem Freunde sagte, daß ich ein kleines Kapital in London hinterlassen, erwiederte er in seiner freundlichen und aufrichtigen Art: »Sennor Inglese (denn so nannte er mich immer), wenn Ihr mir Briefe und eine Vollmacht mitgeben wollt, mit dem Auftrag an die Person, die Euer Geld in London hat, dieses nach Lissabon zu schicken, und zwar in solcher Münze, wie sie hierzu Lande gilt, so werde ich’s Euch, will’s Gott, bei meiner Rückkehr mitbringen. Doch weil menschliche Dinge dem Wechsel und Mißgeschick so sehr unterworfen sind, rathe ich Euch, nur die Hälfte Eures Kapitals, hundert Pfund Sterling, kommen zu lassen und dem Glück anzuvertrauen. Kommt dies Geld richtig hier an, dann könnt Ihr ja den Rest in gleicher Weise beziehen. Geht’s verloren, so habt Ihr wenigstens die Hälfte gerettet.«

Dies war ein so vernünftiger Rath, daß ich ihn nicht ausschlagen durfte. Ich faßte daher Briefe an die Frau in London, welche mein Geld besaß, und eine Vollmacht für den portugiesischen Kapitän ab, wie mein Freund es mir gerathen hatte. Der Kapitänswittwe gab ich einen ausführlichen Bericht über meine Abenteuer, erzählte ihr von meiner Sklaverei und Flucht, von der Begegnung mit dem portugiesischen Kapitän und seinem menschenfreundlichen Benehmen, von meiner gegenwärtigen Lage und ertheilte ihr die nöthige Anweisung zur Uebersendung des Geldes. Als mein Freund nach Lissabon gekommen, gelang es ihm, durch einen englischen Kaufmann sowohl die Anweisung, als auch einen mündlichen Bericht über meine Erlebnisse nach London zu übermachen. Die Wittwe sandte hierauf außer dem Geld noch aus eigner Tasche an den portugiesische Kapitän ein sehr schönes Geschenk für sein liebreiches Benehmen gegen mich.

Der londoner Kaufmann legte die hundert Pfund in englischen Waaren an, wie es der Kapitän vorgeschrieben, schickte sie sofort nach Lissabon und letzterer brachte sie wohlbehalten nach Brasilien. Es befanden sich darunter (der Anordnung des Kapitäns gemäß, denn ich verstand zu wenig von der Sache) alle Arten Werkzeuge, Eisenwaaren und andere Dinge, die ich auf meiner Pflanzung gut benutzen konnte.

Als die Sendung angekommen war, dachte ich, mein Glück sei gemacht, so voll freudiger Zuversicht war ich. Mein guter Kapitän hatte die fünf Pfund Sterling, die ihm meine Freundin zum Geschenk gemacht, dazu verwandt, für mich auf sechs Jahre einen Diener zu miethen. Er nahm Nichts dafür zur Vergeltung an als ein wenig Tabak, den ich selbst gezogen hatte.

Meine Waaren bestanden in lauter englischen Manufaktursachen, in Tüchern, Stoffen, und solchen Dingen, die in Brasilien besonders gesucht waren, daher ich sie mit Vortheil verkaufen konnte. So löste ich denn das Vierfache des Einkaufspreises aus meiner ersten Ladung und war nun meinem armen Nachbar weit an Mitteln überlegen. Das Erste, was ich nun that, war, daß ich mir einen Negersklaven kaufte und außer dem europäischen Diener, welchen der Kapitän mitgebracht hatte, noch einen weitern miethete.

Wie aber der Mißbrauch des Glücks oftmals unser größtes Unglück herbeiführt, so war’s auch bei mir. Meine Pflanzung nahm im nächsten Jahr einen großen Aufschwung. Ich erntete fünfzig schwere Rollen Tabak, außerdem, was ich an meine Nachbarn überlassen hatte. Diese fünfzig Rollen, deren jede über hundert Centner wog, wurden wohl verwahrt aufgespeichert bis zur Rückkehr der lissaboner Schiffe.

Jetzt aber füllte mir mein wachsender Reichthum den Kopf mit allerlei Anschlägen, die über meine Mittel gingen, wie das schon oft die gescheitesten Geschäftsleute ruinirt hat.

Wäre ich in meiner damaligen Lage geblieben, so hätte ich wohl noch alles Glückes theilhaftig werden können, um dessentwillen mein Vater mir so eindringlich ein ruhiges stilles Leben empfohlen hatte. Allein es harreten andere Dinge auf mich. Ich sollte noch der willfährige Schmied meines eigenen Unglücks werden. Ich sollte das Maß meiner Thorheit vollmachen und mir für Selbstbetrachtungen, zu denen ich später Zeit genug haben sollte, noch mehr Stoff sammeln. All mein Mißgeschick aber ward herbeigeführt durch meine thörichte Neigung zu einem unstäten Leben, dem ich, entgegen den klarsten Beweisen, daß mir das Beharren in meinem jetzigen Leben am besten bekomme, unablässig nachstrebte.

Wie ich einst meinen Eltern entlaufen war, so konnte ich auch jetzt nicht in zufriedener Ruhe leben. Ich mußte auf und davon und der glücklichen Aussicht, ein reicher Mann auf meiner neuen Pflanzung zu werden, den Rücken kehren. Nur das unmäßige Verlangen, höher zu steigen, als es meiner Natur angemessen war, trieb mich dazu, und so stürzte ich mich denn in die tiefste Tiefe menschlichen Elends, in die je Einer gerathen ist, und in der nicht leicht ein Anderer sein Leben und seine Gesundheit behalten haben würde.

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