Donnerstag, den 31. März.

Am nächsten Tage wollten die wilden Gänse nordwärts durch die Allboer Harde in Smaaland ziehen. Sie sandten Yksi und Kaksi als Späher voraus, aber als diese zurückkamen, sagten sie, alles Wasser sei gefroren und die ganze Erde mit Schnee bedeckt. »Bleiben wir doch lieber, wo wir sind,« sagten die wilden Gänse. »Wir können nicht über ein Land hinfliegen, wo weder Wasser noch Gras ist.« – »Wenn wir bleiben, wo wir sind, müssen wir noch einen ganzen Mondwechsel warten,« sagte Akka. »Es ist besser ostwärts durch Blekinge zu fliegen und zu versuchen, ob wir dann über Smaaland durch die Mörer Harde kommen können, die an der Küste liegt, und wohin der Lenz früh gelangt.«

So flog denn der Junge am nächsten Tage über Bleking hin. Es war ziemlich schlechtes Wetter, aber es war hell. Er war wieder in seiner richtigen Laune und konnte nicht begreifen, was am gestrigen Abend mit ihm vorgegangen war. Jetzt wollte er wahrlich die Reise und das Leben in der Wildnis nicht aufgeben.

Über Bleking lag ein dichter Regennebel. Der Junge konnte nicht sehen, wie es hier aussah. »Ich möchte wohl wissen, ob es ein gutes oder ein schlechtes Land ist, über das ich hinwegreite,« dachte er und versuchte aus seinem Gedächtnis herauszugraben, was er in der Schule über Bleking gelernt hatte. Aber er wußte eigentlich sehr wohl, daß das nichts nützen konnte, denn er hatte ja in der Regel seine Schulaufgaben nicht gelernt.

Im selben Augenblick sah der Junge die ganze Schule vor sich. Die Kinder saßen an den kleinen Pulten und hoben die Hände in die Höhe, der Lehrer saß auf dem Katheder und sah mißvergnügt aus, und er selber stand oben vor der Karte und sollte eine Frage über Bleking beantworten, aber er konnte kein Wort. Das Gesicht des Lehrers wurde mit jeder Sekunde, die verging, finsterer, und der Junge dachte daran, daß der Lehrer strenger darauf gehalten hatte, daß sie ihre Geographie wußten als irgend etwas anderes. Jetzt stieg er auch vom Katheder herunter, nahm dem Jungen den Zeigestecken weg und schickte ihn auf seinen Platz zurück. »Dies nimmt noch ein Ende mit Schrecken,« dachte der Junge.

Aber der Lehrer trat an eins der Fenster, blieb dort eine Weile stehen und sah hinaus, und dann fing er an zu pfeifen. Jetzt stieg er wieder auf den Katheder hinauf und sagte, er wolle ihnen etwas von Bleking erzählen. Und was er erzählte, war so amüsant, daß der Junge zuhörte. Sobald er nachdachte, konnte er sich jedes Wortes entsinnen.

»Smaaland ist ein hohes Haus mit Tannenbäumen auf dem Dach,« sagte der Lehrer. »Und davor liegt eine breite Treppe mit drei großen Stufen, und die Treppe heißt Bleking.

Es ist eine Treppe, die sich sehen lassen kann. Sie erstreckt sich acht Meilen an der Vorderseite des Smaaländer Hauses entlang, und wer die Treppe ganz hinabgehen will, bis an die Ostsee, der hat vier Meilen zu gehen.

Es ist auch ein tüchtiges Stück Zeit her, seit die Treppe erbaut wurde. Es sind Tage und Jahre vergangen, seit die ersten Stufen aus dem Granit gehauen und eben und glatt gelegt wurden als bequemer Verkehrsweg zwischen Smaaland und der Ostsee.

Da die Treppe so alt ist, kann man wohl begreifen, daß sie jetzt nicht mehr so aussieht wie damals, als sie noch neu war. Ich weiß nicht, wieviel sie sich in jenen Zeiten aus der Reinlichkeit machten, aber sie war zu groß, als daß irgendein Besen auf der Welt sie hätte rein halten können. Nach Verlauf von ein paar Jahren fing eine Menge Moos und Flechten an darauf zu wachsen; welkes Gras und welke Blätter wehten im Herbst darauf herunter und im Frühling stürzten Steine und Kies darauf nieder. Und da das alles liegen blieb, sammelte sich schließlich so viel schwarze Erde auf der Treppe an, daß nicht nur Kräuter und Gras, sondern auch Büsche und große Bäume Wurzeln schlagen konnten.

Es macht sich trotzdem ein großer Unterschied zwischen den drei Treppenstufen geltend. Die oberste, die Smaaland am nächsten liegt, ist zum größten Teil mit magerer Erde und kleinen Steinen bedeckt, und da können natürlich keine andern Bäume wachsen als Weißbirke und Faulbaum und Tanne, die die Kälte da oben auf der Höhe zu ertragen vermögen und mit wenigem zufrieden sind. Man versteht am allerbesten, wie jammervoll und armselig sie ist, wenn man sieht, wie klein die Pflanzen sind, die aus dem Walde genommen und dort gepflanzt wurden, und wie klein die Häuser sind, die sich die Leute dort bauen, und wie weit der Weg zwischen den einzelnen Kirchen ist.

Auf der mittleren Stufe ist gleich bessere Erde, und die Kälte bindet sie hier auch nicht so strenge; das kann man leicht daran sehen, daß die Bäume höher und von besserer Art sind. Da wächst Ahorn und Eiche und Linde, Hängebirke und Haselstaude, aber keine Nadelbäume. Und noch besser kann man es daran sehen, daß eine Menge Erde urbar gemacht ist und die Leute sich hübsche, große Häuser gebaut haben. Da sind viele Kirchen auf der mittleren Stufe, und sie sind von großen Dörfern umgeben, und diese Stufe nimmt sich nach jeder Richtung hin besser aus als die obere.

Die allerunterste Stufe ist aber doch die beste. Sie ist mit wirklich guter und reichlicher schwarzer Erde bedeckt, und wie sie da so liegt und im Meere schwimmt, spürt sie nicht das geringste von der Smaalandkälte. Hier unten können Buchen und Kastanien und Wallnußbäume gedeihen, und sie werden so groß, daß sie über die Kirchendächer hinüberreichen. Hier findet man auch die größten Felder, aber die Leute haben nicht allein Landwirtschaft und Waldwirtschaft als Erwerb, sie treiben auch Fischerei und Handel und Seefahrt. Deswegen trifft man hier auch die schönsten Kirchen, und die Dörfer sind zu Flecken und Städten herangewachsen.

Hiermit ist aber noch nicht alles über die drei Stufen gesagt. Denn man muß bedenken, daß, wenn es oben auf das Dach des großen Smaalandhauses regnet, oder wenn der Schnee da oben schmilzt, das Wasser notwendigerweise irgendwohin laufen muß, und dann stürzt naturgemäß eine große Menge davon die breite Treppe hinab. Zu Anfang floß es wohl die ganze Treppe in ihrer vollen Breite herunter, aber dann entstanden Risse darin, und jetzt hat sich das Wasser nach und nach daran gewöhnt, in einigen gut vertieften Rinnen abzulaufen. Und Wasser ist Wasser, was man auch damit macht. Es ist nie in Ruhe. Irgendwo gräbt und höhlt es und führt mit sich fort, und an einer andern Stelle fügt es hinzu. Die Rinnen hat es zu Tälern ausgegraben, die Talwände hat es mit Erde bedeckt, und daran haben sich Büsche und Ranken und Bäume festgeklammert, so dicht und so reich, daß sie fast den Strom verbergen, der unten in der Tiefe fließt. Aber wenn die Ströme zu den Absätzen zwischen den Stufen gelangen, müssen sie sich kopfüber auf sie hinabstürzen und dadurch gerät das Wasser in eine so brausende Geschwindigkeit, daß es Kräfte erlangt, Mühlräder und Maschinen zu treiben, und deren sind auch viele dort bei jedem Wasserfall emporgewachsen.

Hiermit ist jedoch nicht alles über das Land mit den drei Stufen gesagt. Das aber soll noch gesagt werden, daß da oben in Smaaland in dem großen Haus einstmals ein Riese wohnte, der alt geworden war. Und es ergrimmte ihn, daß er in seinem hohen Alter gezwungen sein sollte, die lange Treppe hinabzugehen, um in der See Lachs zu fischen. Er fand, es sei bequemer, wenn die Lachse zu ihm hinaufkämen, da, wo er wohnte.

Deswegen stieg er auf das Dach seines großen Hauses, und da stand er und warf Steine in die Ostsee hinein. Er warf sie mit großer Kraft, daß sie über ganz Bleking flogen und ins Meer hinabfielen. Und als die Steine fielen, erschrak der Lachs so sehr, daß er aus dem Meer herausstieg, den Strom in Bleking aufwärts flüchtete, durch die Gießbäche dahinstürzte, sich mit großen Sprüngen die Wasserfälle hinaufwarf und erst haltmachte, als er weit drinnen in Smaaland bei dem alten Riesen angelangt war.

Daß dies wahr ist, kann man an den vielen kleinen Inseln und Klippen sehen, die an der Küste von Bleking liegen, und die nichts anderes sind als die vielen, großen Steine, die der Riese hinabgeworfen hat.

Man kann es auch daran sehen, daß der Lachs noch heute in die Blekinger Ströme hinaufgeht und sich durch Gießbäche und stilles Wasser ganz bis nach Smaaland hinaufarbeitet.

Aber die Bewohner von Blekinge sind dem Riesen zu großem Dank verpflichtet, denn der Lachsfang in den Strömen und die Steinhauerei in den Schären ist eine Arbeit, die noch heutigen Tages viele von ihnen ernährt.«