Das Feldmärchen

Der Teufel war auch einmal zu Gast geladen gewesen und kehrte spätabends über Feld in seine Wohnung zurück.

Die Gesellschaft hatte etwas lange gedauert und es begann schon ganz dunkel zu werden. Der Acker war frisch gepflügt, und der alte klumpfüßige Herr stolperte über allerhand ausgeworfene Runkeln, trat in Dornen und Disteln, blieb mit den Kleidern an den Zäunen hängen und ward dabei am Ende so verdrießlich, als ein Geist nur zu werden vermag, der das vor uns Menschen voraus hat, daß er nie so ganz bodenlos verdrießlich werden kann.

Am Haselbusch hatten sich allerlei Herbstnebel gefangen, die, grau zusammengeballt oder formlos umherkollernd, bald hier, bald dort an den Bäumen haftenblieben – alte Eichen und Ellern streckten ihnen drohende Arme durch die dämmernde Luft nach, und weiter am kahlen Bergrücken hin, an dem bereits alle Umrisse ineinanderflossen, blitzte zuweilen ein fernes Lerchenstreichen der Jäger lockend und verwirrend auf, um gleich wieder in Nacht zu versinken.

In den Wiesenleitungen war der Bach ausgetreten und hatte stückweise einen breiten Morast gebildet, von dem ein paar kleine Sumpfvögel laut kreischend aufflogen, als der Alte sich ihnen näherte – es mochte ihm heiß geworden sein beim Pokal, den er selbst kredenzt hatte, und nun er sich einmal in bestimmte menschliche Verhältnisse begeben, konnte er sich nicht gleich wieder herausfinden – der verfluchte Bach wollte ihm nicht parieren, die kleine Knüppelbrücke schien heute abend auch nicht recht an ihrer Stelle, der Morast dagegen ihm nachgekommen zu sein; jetzt war er rechts, nun war er wieder links. Ganz in der Ferne schlugen die Dorfhunde an; allmählich verstummten auch sie, und es ward stiller in der ganzen Gegend.

Nur im Gebüsch fuhr zuweilen mit vollen Backen blasend ein Streichwind durch die schon halb entblätterten Bäume, dann ward es wieder ruhig.

Der Teufel mag die Ruhe nicht, er liebt den Spektakel; er machte also große Schritte und erreichte bald das Stoppelfeld. O weh! hier hatte der Maulwurf sein Spiel getrieben. Eh er sich dessen versah, war er um die Ecke herum und stand wieder am Bach.

Ihn neckten die kleinen Naturgeister, wie sie uns armen Menschenkindern es zu bieten pflegen; sie hatten ihn um das Feld und fast auf den alten Fleck zurückgeführt. Wo war in all dem Abenddampf und Nebel der Fußpfad geblieben?

Indessen war der Busch ihm nun doch näher, als es vorhin geschienen; drinnen sah es ganz schwarz aus. Einzelne Tannen krachten durch eigene Wucht oder knarrten langsam mit den schweren Zweigen, wenn der Wind heftiger sich erhob; der Bach rauschte murmelnd dazwischen – überall war es, als ob sich etwas rege, käme, sich lang machte und bald hier, bald drüben auf den Wanderer herniederschaute. Durch das Niederholz strich der Abendhauch sanfter, flüsternder, wie in langsamem Kadenzen: es klang mehr wie Seufzer als Wehen. Endlich flammten quer über den Rain, gerade an der Rodung hin, ein paar Irrlichter auf; sie tanzten so lustig flackernd umher, als ob all diese verschiedenen Nachtlaute Fiedeltöne wären.

Das war dem Teufel recht. Schrillend pfiff er auf seinem Finger und tänzelnd und züngelnd stand sogleich eins der Irrlichter vor ihm oder vielmehr, es versuchte, vor ihm festzustehen, konnte aber nirgend den Boden recht erfassen und flimmerte, sich dehnend und streckend, vor dem Alten auf und nieder.

»Leucht mir nach Hause!« brummte der Teufel, und sogleich tänzelte das Licht den Rain entlang querwaldein, unter den Buchen hin, immer den Weg bezeichnend und mit einer Anstrengung aufflackernd und aufleuchtend, als habe es sein Leben lang nichts anderes getan als den Dienst einer Stallaterne. Denn obschon sie ihn weniger scheuen, als wir Menschen es tun, erzeigen die, welche so umher in Wald und Felde hausen, dem Alten gern einen Dienst und mögen es nicht mit ihm verderben. Wenn er böswillig in ihr Spiel sich mischt, schadet er ihnen an der Reputation. Bei den guten Christen stehen die Naturgeister ohnehin schon arg in Verruf, weil sich der Teufel dann und wann in ihr Tun mit eindrängt, und mancher Fromme wirft ihnen das wogende Leben und Treiben in Berg und Tal, das Düften, Klingen und Schimmern als Staatswesen vor und legt sich schwere Buße auf, wenn sie rufend ihm an Herz und Sinne schlagen.

Dem Irrlicht, so jung es auch war, schien dies alles wohl bekannt; es nahm sich sehr zusammen; und obgleich der Weg weit war und es oft große Lust hatte davonzuhüpfen, verlosch es kein einziges Mal, sondern hielt Stich und machte sich fortwährend so lang und so hell wie nur möglich.

Dem Teufel wird in der Welt nicht oft geschmeichelt; er wird dumm, lahm, arm, bös und stinkend gescholten; darum ist er um so empfänglicher für Artigkeiten. Auch mochte ihn der Wein in einen angenehmen Zustand versetzt haben, den seine vorhergegangenen Unfälle nur gedämpft, nicht zerstört hatten; kurz, er ward mit einem Male ungemein gnädig und guter Laune; und als er an seine Höllenpforte gekommen war, sagte er dem Irrlicht »schönen Dank« und es möge sich als Trinkgeld eine Gnade erbitten.

Nun wird bekanntlich seit den vielen Kultusministerien alles zivilisiert; das Irrlicht war daher auch gar kein rohes, gemeines Irrlicht mehr, sondern es war gebildet und kannte die Welt vom Hörensagen. Es bat den Teufel, er möge es gütigst in einen Menschen verwandeln: es wolle gern auf Reisen gehen auf der Eisenbahn, auch in feine Gesellschaft und in böhmische Bäder, um die ausländische Aristokratie kennenzulernen.

Der Teufel ist immer sehr leicht zu verblüffen gewesen; er machte ein paar entsetzlich große Augen, als ihm der Irrwisch so kam; da er aber im ganzen doch Humor hatte, lachte er und sprach: »Du bist ein Narr, aber du sollst deinen Willen haben! Ich will dir gleich so ein Menschengesicht machen. Was willst du denn für ein Landsmann sein?«

Dem Irrlicht war insgeheim bange, der Alte möge sich anders besinnen; auch wußte es, vornehme Leute dürfe man nicht lange warten lassen; es antwortete also ganz geschwind: »Ach, da wir gerade in Thüringen sind, so mache mich doch zu einem Thüringer.«

»Ganz gut«, sagte der Teufel, »da brauche ich dir gar keine besondere Physiognomie zu machen, so sind wir gleich fertig. Nur eins muß ich dir erst noch sagen, Bursche! In der Welt geht es jetzt curios genug zu, und mehr Confusion darfst du mir nicht hineinbringen. Der da oben – du weißt schon – hält auf seine einmal gemachten Einrichtungen; und wenn die Menschen dahinterkämen, daß so ein Kerl wie du unter ihnen steckte, so würden sie gleich an dir die Naturgesetze studieren wollen, und wir – Er nämlich und ich – könnten uns nachher halbtot phänomenern, eh wir sie wieder in Ordnung kriegten. Auch kann ich Ihn nicht deinetwegen verdrießlich machen; denn Ihm wird jetzt ohnehin sein Himmel, wie mir meine Hölle, bestritten, und da haben wir beide genug zu tun, ohne noch miteinander neuen Hader anzufangen.«

»Gestrenger Herr«, sagte das Irrlicht, »niemand soll es merken, was ich eigentlich bin. Haben Sie nur die Gewogenheit, meine untertänigste Bitte –«

»Du bist ja schon höflich wie ein Sachse und bist noch gar nicht einmal fertig!« unterbrach es lachend der Teufel, nahm dasselbe beim Schopf, schüttelte und knetete es ein wenig und siehe da, an dessen Stelle stand ein junger Mensch mit glatt anliegenden dunkelblonden Haaren, blauen Augen, einem hübschen freundlichen Gesichtchen, etwas zu langem Oberkörper und etwas krummen Beinen, aber sonst ein ganz charmanter junger Mann. »Ich empfehle mich Ihnen, Herr Accessist«, sagte der Teufel und lüpfte die Kappe.

»Ganz Ergebenster«, erwiderte, sich tief verbeugend, der junge Mann.

 

Als er nach Hause kam – er wohnte bei seiner alten Mutter in Jena –, saßen seine vier Schwestern mit ihren Strickstrümpfen in der Wohnstube am Tisch; die Mutter ging ab und zu und räumte auf.

»Du bist wieder nicht halb acht zum Essen gekommen, Karl!« schalt sie; »du hörst doch partoutement nicht. Nun sind die aufgebratenen Klöße steinhart geworden, und alleweile ist so nichts zu haben; die Musbemmen läßt du mir allemal stehen, und ich kann mir doch nicht anders helfen.«

»Liebe Mutter«, versicherte Therese, »Karl ist ganz unschuldig; muß er denn nicht immer erst bei Amtsactuariussens Karlinchen und dann bei Kassenschreibers Sophiechen vorübergehen?«

»Therese!« fuhr Karl Irrlicht auf, »wenn du nicht augenblicklich schweigst –«

»Werde ich wahrscheinlich fortfahren zu reden«, sagte lachend die Bedrohte.

»Ich habe es übrigens auch gesehen«, meinte Mariechen, »wie du neulich auf dem Schützenballe erst der einen und dann der andern Erfrischungen präsentiert hast.«

»Ja, ja!« schrie das kleine Gustchen, »erst Prophetenkuchen und dann Eierpunsch.«

»Man muß gegen Damen galant sein«, bemerkte Karl, bescheiden geschmeichelt, daß er so viel habe daraufgehen lassen.

»Wir sind aber auch Damen«, sagte die Kleine.

»Gänse seid ihr«, brummte der Bruder, der unterdessen fürchterlich unter den Klößen gewütet hatte.

»Und ich – habe noch etwas ganz anderes gesehen, gelte Karl?«

»Was hast du gesehen? Was war es?« riefen die drei andern.

»Siehst du, Guste! wenn du ein einziges Wort sagst!« donnerte Karl, heftig auf den Tisch schlagend und den leeren Teller von sich schiebend. »Da muß einem ja Essen und Trinken vergehen! In meinem ganzen Leben rede ich nicht wieder mit dir und vergebe dir’s nun und nimmer nicht.«

»Ich sage es nicht, daß du –«, jubelte das Kind, um den Tisch herumtanzend, »ich sage es nicht, daß du – daß du –«

»Ich bitte euch ums Himmels willen, neckt ihn doch nur nicht!« lamentierte die Mutter dazwischen. »Karlchen, ärgere dich doch nicht! Hast du denn das Briefchen an den Herrn Geheimen Regierungsrat nach Weimar geschrieben? Es ist heute Botentag; der Herr Oberwildmeister wollen so gütig sein, es ihm selbst zu übergeben und deinetwegen noch besonders mit ihm reden. Mein Gott, wenn sie dir zu Neujahr doch nur ein fünfzig Tälerchen geben möchten! Dein seliger Vater –«

Die vier Schwestern hatten unterdessen heimlich miteinander geflüstert und gekichert und liefen jetzt, alle laut auflachend, zur Türe hinaus.

Dem guten Karl Irrlicht war es rein unmöglich, die Mutter anzuhören; er vergaß die Akten und das ganze Elend, daß sein seliger Vater fünf Jahre als Accessist ohne Besoldung gearbeitet habe; er wußte ganz genau, daß Gustchen gesehen, wie er Hofsecretairs Rosalien, die bei Verwandten in Jena zum Besuch war, auf dem Heimwege vom Schützenballe die Hand geküßt, ja sie sogar leise umfaßt hatte. Wer konnte auch immer an das alberne Kind denken, das noch nicht tanzte und das niemand führte! Er konnte sich’s vorstellen, daß die Kleine gehört haben mußte, wie er zu Rosalien sagte: »Machen Sie mich nicht so unaussprechlich elend!« Und nun erzählte Gustchen das alles draußen in der Küche den Schwestern! Nein, es duldete ihn nicht länger im Zimmer, er mußte nach, fiel aber draußen dem ungemein höflichen Amtsactuarius in die Arme.

»I Dienerchen, Dienerchen, Herr Accessist! Gratuliere nachträglich! Müssen aber nun, da Sie zu Amt und Titel gekommen, hübsch solide werden! Da hat mir mein Linchen gesagt, daß die Herren Studiosen auf der Rasenmühle wieder einen – mit Erlaubnis zu sagen – Krakeel gehabt wegen des Vortanzens mit der Rosalie und daß der Herr Accessist auch mit dabeigewesen. Bitte ergebenst zu bemerken, paßt sich nicht mehr für einen Mann im Staate, der zu den schönsten Hoffnungen berechtigt ist; würde Ihnen unmaßgeblich raten, sich gar nicht mehr um die Burschen zu kümmern. Das liegt hinter Ihnen, Herr Accessist«, schloß der Alte, vergnüglich eine Prise nehmend und selbstzufrieden vor sich hin lachend.

Das hat die Karoline aus Eifersucht getan; es ärgert sie, daß Rosalie hübscher ist, dachte Karl Irrlicht. Er machte sich jedoch mit größter Höflichkeit vom Herrn Amtsactuarius los; weil er aber die Mädchen bereits wieder in der Wohnstube plaudern hörte, lief er hinaus ins Freie.

Die fidelen Häuser, die ihm draußen begegneten, grüßten ihn kaum mehr, obschon sie ihn alle kannten; denn er gehörte ja nun zu den Philistern.

Am andern Morgen war Session, und Karl Irrlicht mußte vier volle Stunden stillsitzen. Das bißchen Jurisprudenz hatte er bald weg; er war im Walde mit einem Kuckuck vertraut gewesen, der schon in eilf verschiedene Nester seine Eier gelegt hatte; mit privilegierten Mardern, Feldmäusen, Ameisenlöwen und sogar mit einem alten Raben hatte er teils Umgang, teils Streit gehabt oder hatte ihre Mißhelligkeiten geschlichtet, wenn sie deren untereinander hatten – das alles glich dem Menschen- und Prozeßwesen so übermaßen, daß ihm ganz leicht zumute gewesen wäre, wenn er nur nicht auf einem und demselben Flecke hätte bleiben müssen, was seiner ursprünglichen Natur sehr zuwider war.

In der Angst dachte er an alle drei Mädchen, denen er den Hof machte, und brannte für alle drei lichterloh; das fiel aber wiederum in der Session niemandem auf; denn die alten Herren waren es an sämtlichen Accessisten gar nicht anders gewohnt. So ging auch dieser Tag recht leidlich vorüber.

Nun aber wollte die Mutter, daß er den nächsten Sonntag nach Weimar mache, um selbst seine Worte bei dem Herrn Geheimen Regierungsrate anzubringen, bei welchem sie noch von ihrer Jugend her in gnädigem Andenken stand; die jungen Leute aber hatten der schönen Rosalie zu Ehren den ganzen Sonnabend Kränze gewunden; sie hatten nämlich mit Hofapothekers eine Partie ins Rauhtal verabredet, um den Geburtstag des Nichtchens zu feiern; dort sollten Kartoffeln gesotten und Kaffee gekocht werden und die Guirlanden zwischen den Bäumen einen Baldachin bilden, unter welchem die Gesellschaft ihr Mahl einzunehmen gedachte. Karl Irrlicht war mit dazu aufgefordert und überselig. Zwar schickte es sich nicht für ihn, der Angebeteten einen besondern Kranz zu überreichen, er hatte sich aber vorgenommen, mit ihr ein Vielliebchen zu essen – und es zu verlieren. Das Geschenk hatte er sich auch schon ausgedacht, und eine Düte Krachmandeln steckte in seiner Tasche.

Die Schwestern waren glücklich auf seine Seite gebracht; die Mutter aber fragte immerfort ganz hartnäckig, was doch wohl einmal daraus werden solle?

In dieser unangenehmen Lage blieb ihm nichts anderes übrig, als der Mutter auseinanderzusetzen, welches Aufsehen sein Wegbleiben machen müsse und wie leicht Hofapothekers eine solche Vernachlässigung übel aufnehmen könnten; aber die Alte wollte auch davon nichts hören. Als nun alles nichts half, fing er an, sich mit allen vier Schwestern zugleich zu zanken, behauptete, Rosalie sei ihm völlig gleichgültig, ihm sei überhaupt egal, ob er nach Weimar oder zu ihrem Feste gehe, obschon es geizig aussehe, daß er nun davon bleibe und die Kränze und die Musik nicht mit bezahle. Alle fünf schrien dermaßen durcheinander, daß die arme Frau die thüringische Angst vor Verdruß überkam, so daß sie endlich ihren Sohn himmelhoch bat, doch lieber mit ins Rauhtal zu gehen und gleich den nächstfolgenden Sonnabend zur Reise nach Weimar zu bestimmen. Mit Hängen und Würgen erhielt sie es denn vom guten Karl, daß er ihr zuliebe nachgab.

Am Sonntag mittag putzte sie ihn und seine vier Schwestern aufs schönste heraus, und die jungen Leute gingen fröhlichen Herzens dahin; sie aber blieb zu Hause, räumte auf und sah den Himmel an, ob auch das Wetter gut bleibe.

Das Fest war, wie alle Partien dieser Art, wunderschön und wäre beinahe ohne allen Unfall vorübergegangen, nur wurden Pfänderspiele gespielt und beim Polnisch Bettelngehen wollte der alte Amtsactuarius seinen Sohn substituieren, worüber Karl Irrlicht wütend eifersüchtig ward und in einen so elementarischen Zorn geriet, daß er mit einem Male hell aufflackerte und dem alten Herrn Hemd und Rockärmel naßmachte. »Dummkopf!« sagte der Teufel, der eben ungesehen in eigenen Angelegenheiten durch das Wäldchen ging. Der Accessist erschrak und warf geschwind einen Weißbierkrug nach und dem Amtsactuarius auf den Frack, wodurch freilich die Nässe noch nässer und der Fleck größer, die ganze Sache aber auch erklärlicher ward.

Als sie nun abends alle singend und jauchzend nach Hause gingen, konnte Karl Irrlicht wiederum das Vorleuchten nicht unterlassen: er behauptete jedoch, es sei ein chemisches Kunststückchen, der Herr Hofapotheker wisse auch darum, werde ihn aber ganz gewiß nicht verraten. Die jungen Mädchen versicherten, es sei allerliebst grauerlich, aber sie begriffen es nicht. Der Hofapotheker lachte, Karl lachte auch und winkte ihm zu, worauf dieser wieder nickte und aussah wie einer, der wohl weiß, wo Barthel den Most holt. – Abscheulich gelehrt wären die Herren, meinten die Mädchen.

Zu Hause angelangt, trat der Accessist geschwind vor seinen kleinen Spiegel, um zu sehen, wie ihm der Kuß stehe, den ihm die schöne Rosalie heimlich im Rauhtal gegeben – da ging ein furchtbarer Lärm in den Gassen los. »Burschen heraus! Burschen heraus! Lichter weg!« klang es durch die dunkle Nacht. »Verfluchte Philister! Halunken! Wir wollen es euch eintränken!« tobte es durcheinander und die Tritte der vielen schweren Stiefeln und das Rasseln der Ziegenhainer Stöcke auf dem Steinpflaster machten das Getöse noch ärger. In Ziegenhain war vor einigen Tagen eine Rauferei zwischen den Studenten und den Leinewebergesellen gewesen, einige friedliebende Philister hatten sich hineingemischt, wodurch der Lärm noch größer geworden war. Heute abend war es zu einer förmlichen Prügelei gekommen, und eben sollten nachträglich einigen Professoren und Schenkwirten, vorzüglich aber den verräterischen Pedellen, die Fenster eingeworfen werden, weshalb der Sicherheit willen »Lichter weg!« geschrien wurde.

Karl Irrlicht war sehr vergnügt. Das war gerade so wie ein Wirbelwind im Walde, der einer Windsbraut gleicht, obschon er nicht so vornehm ist, der das dürre Laub zusammenkräuselt, die Vöglein durcheinanderjagt und hie und da ein Bäumchen entwurzelt. Karl lief sogleich hinab mit auf die Gasse.

»Lichter weg!« hatten die Burschen geschrien, und schon war es stockfinster in der kleinen Stadt. Die Professoren waren alle in ihre Hinterstuben gegangen, die Pedelle liefen wie geblendete Luchse umher und suchten vergeblich zu erkennen, wer ihnen die Fenster einwarf; da konnte der Accessist es nicht länger aushalten: gerade vor der Türe des Magnificus leuchtete er lachend hell auf und zeigte die Rädelsführer im vollen Lichte, von denen der eine eben dem Nachbar des Rektors die Fenster einwarf, während der andere des Pedellen schöne Frau küßte. »Verfluchter Hund!« brüllten die Studenten; »haltet ihn fest, den dummen Flegel!« riefen andere Stimmen. Karl Irrlicht aber war ins Tanzen gekommen und tanzte, ein riesiger Irrwisch, durch ihre Reihen hindurch. »Seht, seht den Kerl!« schrie es von allen Seiten. »Es ist der Satan! Nein, nein! aber es ist ja –«

 

»Aber so sag Er mir doch in mein und aller Teufel Namen, Er gottvergeßner Wisch, was Ihm einfällt?« fragte keuchend der Teufel, indem er Karl Irrlicht, den er beim Schopf hielt, unter eine dicke Buche hinwarf. »Fängt Er da einen Mordspektakel an um nichts und wieder nichts! Ein Glück, daß es gerade Sonntag war, wo Der oben nichts schafft und ohnehin gegen Abend ein Auge zudrücken muß über die Art, wie sie Ihn feiern – sonst hättest du mir ja alle möglichen Fatalitäten über den Hals gehetzt.«

»Ach, gnädiger Herr!« erwiderte das Irrlicht noch ganz schwach und außer Atem von dem gewaltig raschen Transport, »ich habe mich nicht so geschwind daran gewöhnen können, wie es bei den Menschen zugeht; haben Sie nur noch etwas Geduld und lassen das Ding noch eine Weile so fort währen, ich werde mich wohl zurechtfinden. Die Jenenser denken gewiß mehr an die Studenten und an ihre zerbrochenen Fensterscheiben als an mich. Zum Glück war ja auch gar kein Naturforscher bei der Hand, um mich zu beobachten. Ich möchte gern noch ein wenig menschlich bleiben.«

»Findest du denn den Lumpenzustand so ergötzlich?« fragte lachend der Teufel.

»Das eben nicht; ich mache aber so meine stillen Vergleiche; und wenn ich künftig wieder als kaltes Feuer über einen Morast hintanze, werden mir die Menschen und ihre Gesellschaft noch oft einfallen.«

»Aber du hast ja noch gar nichts gesehen«, brummte Satan; »da könnte ich dir ganz andere Dinge erzählen!«

»Glaub es gern, Meister! Sie sind aber auch ein Malicer.«

»Dummkopf! Du bist ja kein Thüringer mehr, was kohlst du denn da?« schmunzelte der Alte – er hörte sich gar zu gern Herr und Meister nennen, und so sprach er im Vergnügen darüber auch gut Thüringisch mit. – »Nun«, fuhr er nach einer Weile fort, »was willst du denn jetzt eigentlich werden? Spanier?«

»Bewahre!« rief das Irrlicht ganz erschrocken, »die armen Leute sind gar übel dran mit ihrer kleinen Königin und ihrem großen Espartero – und man interessiert sich nicht recht für sie. Nein, die Sache muß weiter gediehen sein, eh ich mich dazu entschließe.«

»So willst du ein Deutscher bleiben?«

»Deutschland ist ein weitläufiger Name; das ginge schon eher. Aber ich habe gar kein Nationalgefühl, und da weiß ich nicht, was ich werden soll: Bayer, Preuße, Württemberger, Sachse oder Hamburger.«

»Möchtest du nicht Lieutenant in Berlin sein?«

»Eine magere ökonomische Stellung für einen, der das freie reichliche Waldleben gewohnt ist, das der Lilie ihr Silberkleid, dem Baume seinen grünen Schatten gönnt und alle von Grund aus leben läßt, die leben wollen. –Freilich aber möchte ich mich gar zu gern in eine wunderschöne Gräfin verlieben.«

»Ach, Kind!« sagte kopfschüttelnd der Teufel, »du bist da hinten in deinem Waldwinkel nicht recht mit der Zeit fortgeschritten. Einen armen Lieutenant sieht heutzutage keine wunderschöne Gräfin mehr an – allenfalls wenn ich dich reich machte. Willst du etwa lieber Privatdozent oder ein junger Professor werden? Da hast du auch nicht die Fatalität, dich von deiner Berliner Wirtin bemuttern und auf den Pfad der Tugend zurückleiten zu lassen.«

»Aber ich käme in philosophische Streitigkeiten; ich müßte Partei nehmen für Hegel oder Schelling und Bettina lesen. Ich muß mich wirklich erst noch viel mehr ausbilden, eh ich es wagen kann, in Berlin mitzureden, wo fast jedermann alles weiß«, sagte das Irrlicht ganz bescheiden.

»Es ist ja wahr«, entgegnete der Teufel, »du bist so eine Art Waldgewächs, also nur frisch und jung.«

»Und dann«, fuhr das Irrlicht sehr ernsthaft fort, »dann bin ich an Respekt gewöhnt. Wir draußen im Walde ehren alles, was ist, und Ihn, der uns gemacht hat; wir ehren den Tropfen Wasser, der die Sonne widerspiegelt, bis er vertrocknet; den Bach, der uns und alle Pflanzen ernährt, und den Abendhauch, der die Stille bringt, und die Johanniswürmchen, die ihm an den Blumen vorüberleuchten –«

Der Teufel gähnte. »Ihr seid altmodisches Volk, mit euch habe ich nicht viel zu schaffen! Es mag verschoben bleiben. Du könntest auch nach Königsberg –«

»Unter die Malcontenten? Ach, gnädiger Herr, ich hielte nicht bei der Stange, da käme meine Irrlichtsnatur gleich zum Vorschein.«

»Na, meinetwegen, so geh nach Danzig! Darum keine Qualen nicht! Ein Preuße scheinst du doch einmal werden zu wollen, das sind sehr legitime Leute.«

»Famos!« sagte das Irrlicht, noch in Berliner Betrachtungen versenkt, »famos! aber mir doch zu sedat. Ich kann ja da in der Nähe ein Pole werden –«

»Nein, das verbitte ich mir!« sagte ganz trocken der Teufel; »da hinten herum habe ich selbst noch allerhand zu tun. Du kannst lieber ein Reisender sein, gleichviel ob Rheinländer, Lausitzer oder Westfale.«

 

St. Valère legte das Feuilleton aus der Hand. »Aber er hat dennoch recht, der Schuft. Ich muß jetzt selbst darüber lachen; es ist Geist, viel Geist in der Rezension, und jetzt finde ich die Szene selbst komisch, um nicht zu sagen, lächerlich. Mein Gott, man kann nicht immer an alles denken; als ich sie niederschrieb, war ich drei Nächte nicht ins Bett gekommen, war zum Sterben verliebt – und hatte keinen Heller in der Tasche. Nun, dies letzte Glück ist mir geblieben. Parbleu! Desto besser! So gewinne ich entschieden an Leichtigkeit.«

Er nahm sein Vaudeville wieder vor und begann zu arbeiten, während er die Melodien, die er den Texten unterlegte, vor sich hin trällerte.

Ein leiser Finger klopfte an die Türe, öffnete sie jedoch, ohne das »Herein« abzuwarten.

»Ach! bist du es, Annette? Guten Morgen – oder guten Abend, meine Schönheit, ich weiß wahrhaftig nicht, wie wir in der Zeit leben.«

»Hungrig auf jeden Fall«, sagte die sehr anmutige Grisette, deckte ein Tischchen und schob es zwischen sich und ihn. »Nun, und Ihr Vaudeville? Alfred wird auch gleich kommen.« Sie bog sich auf das Manuskript nieder. »Aha! das ist die Melodie aus Mademoiselle de France. Aber, mein Himmel! was ist denn das? Das kann ja Aurora gar nicht singen! Ist das eine Art, einer ersten Sängerin die Cour zu machen? Das ist ja ein Musikstück, das Madame Julien singt, es ist für einen hohen Sopran. Hören Sie doch!« und mit glockenheller, obschon ungebildeter Stimme sang sie ihm das Liedchen. »Ach, Monsieur St. Valère, auf diese Art werden wir kein Glück machen!«

»Bah! was willst du? Madame Julien hatte es gesungen, und ich habe die Stimmen verwechselt. Laß sehen! Also Mademoiselle Aurora hat nicht die Höhe? Hm, hm!« Er nahm das Manuskript wieder zur Hand. »Aber es ist wegen des Einfallens des Chors unumgänglich nötig – parbleu! ich kann es nicht ändern, auch kein so passendes Metrum finden! Der Kapellmeister kann ja das ganze Stück um ein paar Töne heruntersetzen.«

»O ja; aber Aurora kann auch einen Verehrer, der nicht einmal den Umfang ihrer Stimme kennt, laufenlassen.«

»Meinst du? brrr!« brummte der junge Mann, im Zimmer auf und ab gehend, wobei er dem Spiegel gegenüber eine Pirouette um die andere machte – »brrrrrr! das kommt von dem Theaterprinzessinenwesen! Siehst du, Annette! ich möchte wetten, du hast in deinem ganzen Leben nicht eine solche Anforderung an Alfred gemacht.«

»O, mein Herr!« sagte die Grisette – sie stand auf, schob hastig das Frühstück von sich weg und drückte beide gefaltenen Hände vor die Brust – »o, mein Herr, sein Sie barmherzig! Ich, ein ganz armes Mädchen, was kann ich wohl verlangen? Schlimm genug, daß Alfred den bösen Fall auf dem Steinpflaster tat, daß er nicht bis zu seinem Hotel zurücktransportiert werden konnte; noch schlimmer, daß ich gerade den Abend so früh nach Hause kommen mußte und ihn da fand – vor unserer Haustüre.« Dem Mädchen traten die Tränen ins Auge; aber einmal in die trübe liebe Rückerinnerung versenkt, trieb er sie, fortzufahren. St. Valère hatte ihren Arm ergriffen und stand ernst und teilnehmend vor ihr.

»Es war so sonderbar hell in der Straße; ich habe so etwas nie wieder gesehen: Sie standen neben ihm. Der Arm ist zweimal gebrochen, sagten Sie, ich weiß nicht einmal, ob zu mir. Sie kannten ihn damals wohl kaum. Mein Gott! wie man ihn dann ins Haus trug, und Madame Chappellier gerade ein leeres Zimmer hatte! Da lag er nun und bald mutterseelenallein! Einen alten stumpfen Wächter hatten sie hingesetzt, der immerfort schlief. Das war ein Elend! Und wie sich’s am andern Abend fand, daß er gerade unter mir wohne« – ihre Stimme ging in leises Schluchzen über –, »der Arme! außer seinem Banquier kannte er keinen Menschen in Paris. Auch Sie kamen nicht! Ach, vergeben Sie mir, St. Valère, damals habe ich nicht geglaubt, daß Sie so gut, so herzensgut wären!«

»Aber hat denn seine Familie wirklich die Grausamkeit, ihm kein Geld mehr zu senden?«

»Leider ja! Der alte Herr, welcher neulich behauptete, Sie plötzlich in lichtem Feuer neben sich stehen gesehen zu haben und darüber in den Wassergraben fiel – mein Gott! was hab ich gelacht! Wissen Sie nicht mehr, der den närrischen Schwindel bekam? Nun, dieser hat an Alfreds Eltern geschrieben; er hat ihnen erzählt, wie wir zusammen lebten, uns liebten – und daß Alfred mich heiraten würde. So ein alter Herr, er ist wahrhaftig wie ein Kind von zwei Jahren!« schloß sie ärgerlich. »Heiraten! uns heiraten!«

»Und mich?« fragte der junge Mann, »hat er mich nicht auch genannt?«

»O, St. Valère! und wenn das auch wäre? Glauben Sie mir, wenn die Eltern so eingenommen sind gegen mich, ist es ganz gleich, ob sie mich nebenher auch noch für Ihre Geliebte halten oder nicht! Aber das Vaudeville«, fuhr sie ablenkend fort, indem sie ihre Tränen mit der Rückseite der Hand trocknete. »Sie sagen also, daß Sie des Ensemble wegen –«

Ehe noch St. Valère etwas zu erwidern vermochte, trat Alfred, von mehren jungen Leuten begleitet, ins Zimmer.

»Du hier, Annette? Schade, ich habe bei Sir Fréderic gefrühstückt! Wir kommen, dich abzuholen. St. Valère, wir fahren nach **« – er nannte eine Restauration außerhalb der Tore –, »Ernancourt hat seinen Tilburg, Sir Fréderic ein Coupé. Wir werden dort essen, die Landluft genießen und beiher dein Vaudeville – – Willst du mit, Annette?«

»Ich habe nötige Arbeit«, sagte sie, »es ist Sonnabend.«

In diesem Augenblicke fuhr St. Valère mit heftiger zorniger Gebärde von seinem Stuhle auf, ergriff Annettens Hand und versuchte sie in ein anstoßendes Kabinett zu ziehen; seine Augen waren fest auf die Zimmertüre gerichtet.

»Was gibt’s? Was fällt dir ein?« riefen die jungen Leute, von denen einer am Klavier, ein zweiter am Secretair Platz genommen hatte, während zwei auf dem Sopha hingestreckte Fashionables die Beine über Stuhllehnen gelegt und etwas wunderlich bequem die Zeitungen lasen. »Was ist’s?« murmelten auch sie.

Auf der Schwelle der halbgeöffneten Türe stand ein sehr schöner blonder junger Mann, dessen ganze Erscheinung in jeder Zollänge den Engländer aussprach.

Alfred wandte sich und breitete, auf ihn zufliegend, die Arme ihm entgegen. »Bruder! Alfred! Charles!« tönte es aus beider Munde. Eng hielten sie sich umschlossen; endlich hob Charles den Kopf, als schäme er sich der in England so ungewöhnlichen Männerumarmung. Beide blickten einander mit dem Ausdruck des größten Glücks in die Augen. »Du hier, guter Charles! Du selbst!« flüsterte Alfred. »Nun wird alles gut werden; du wirst sie sehen und alles begreifen!«

Charles drückte ihm schweigend die Hand; ein schmerzliches Zucken überflog seine Augen, seine Stirn und verzog die stolzen Lippen bis zum Zittern, aber er erwiderte nichts. Sein Blick durchspähte das Zimmer; dann wandte er seine Aufmerksamkeit gewaltsam dem die Brüder umstehenden Kreis der jungen Leute zu. Alfred stellte den Freunden seinen Bruder vor; die Landpartie kam dabei zufällig mit zur Sprache. Charles hielt sogleich den Plan fest, behauptete, die ganze Nacht auf der letzten Station geschlafen zu haben wie ein Murmeltier und erbot sich, die andern zu begleiten. Der lauteste Jubel der Freunde verschloß Alfreds Lippen.

St. Valère und Annette waren verschwunden. Während des nun allgemein werdenden Gesprächs schlich Alfred zu ihr hinüber. Annette stand mitten in ihrer Stube; sie weinte und zitterte an allen Gliedern so heftig, daß sie mit beiden Händen an einer Stuhllehne sich festhalten mußte. St. Valère stand neben ihr und flüsterte, dicht über sie hingebeugt, allerlei wunderliches Zeug ihr zu. Er kam Alfred ungewöhnlich groß und ganz seltsam vor, und trotz seiner innern Erregung und dem Wunsche, sich gegen die Geliebte auszusprechen, fesselte ihn ein unbegreifliches Etwas an die Zimmerschwelle.

St. Valère sprach von Flucht und tröstender Waldeinsamkeit, von der lauen Frühlings-Nachtstille und den allmählich in ihr verhallenden grellen Lauten des Lebens. Er beschrieb das den Tag überwachsende Dunkel, das leise und leiser auf die warme Erde sich legt; er erzählte von den Vöglein, wie eins nach dem andern verstummt, zuletzt hört man nur noch das Hämmern des Spechts an der Buche, der sein schlagendes Picken tief in die Nacht hineindehnt; die Käfer und Wasserinsekten surren und summen noch lange an den Grasspitzen fort, aber immer undeutlicher werden ihre Töne; jetzt erhebt sich der Silberklang des Glockenfrosches, ihm antwortet der schwermütige ferne Unkenruf – und inniger, wehmütig-wollüstiger fließen alle Stimmen ineinander! Eulen und Käuzchen, Fledermäuse und Nachtfalter durchschwimmen mit unhörbarem Flügelschlag die Luft. Man glaubt den Herzschlag der Erde hören zu können, so unbegreiflich zauberisch-still ist die Welt!

Annette hörte oder hörte nicht; aber sie schien ruhiger zu werden und sank in den Stuhl, an den sie so lange sich gehalten. Was hat sie nur? dachte Alfred, und wagte dennoch nicht, die Antwort sich zu geben.

St. Valère sprach noch immerfort, zuletzt schilderte er ihr das Schlafwachen der Natur, das phantastische Aufwogen des träumenden Windes, die seltsamen, klagartigen Laute der Nacht, die durch sie hinleuchtenden Augen des Luchses, der Wiesel und Marder geistergleichen Gang, wie sie alle lauernd und schleichend aus der Waldestiefe, wie vergessene Schatten des Tages, hervorkommen und endlich in der Mitternacht, die alles überdeckt, verschwinden.

Plötzlich rief Annette: »Ach ja! ja, so ist er gekommen, um mich von Alfred loszureißen. Wie er es machen wird, weiß ich nicht; es ist auch einerlei, denn ich werde daran sterben!«

Alfred erschrak bis ins tiefste Herz; ihm war, als fiele die Decke ein, als bräche der Boden unter seinen Füßen.

Ein ungeheurer Zorn flammte in St. Valèrens Zügen auf. »Sterben? Sterben vor deiner Zeit?« schrie er laut. »Du armes Menschenkind! Warte, warte!« jauchzte er, plötzlich zu rasender Wildheit gesteigert, »ich habe dir noch nicht alles gesagt! Oh! oho! Ich werde dir helfen und allen! Laß du sie nur die Landpartie machen! Weißt du«, fuhr er leiser fort, »im kleinen Gehölz, seitwärts von der großen Allee ab, das dunkle Gebüsch? Es birgt seine Lache so gut wie die Waldungen meines Vaterlandes; dort auf dem Rückwege flackern wir im Tanz wild und sacht. Hei, ho! der Morast ist tief. Auf und ab, drüber hin und her! Heisa, hell! Es schluckt ihm den Odem aus der tückischen Brust! Heisa! heisa! heisa!« jubelte er wieder in immer wilderm Tone, wie ein Wahnsinniger im Zimmer herumschwirrend und springend.

Annettens Kopf war auf die Stuhllehne zurückgesunken; sie hörte nicht mehr und schien, trotz dem Lärmen, aus Ermattung eingeschlummert.

»Großer Gott, er ist wahnsinnig!« sagte Alfred zu sich selbst. »Nimm dich in acht, Annette!« rief er unwillkürlich laut.

Plötzlich stand St. Valère ganz ruhig vor ihm. Er legte die Finger auf die Lippen und sah wieder wie gewöhnlich aus. »Still!« sagte er nach einigen Stunden, »sie schläft, ich habe sie magnetisiert. Deines Bruders Ankunft hat das arme Ding erschreckt.«

Alfred hatte in so kurzer Zeit allzuviel Eindrücke empfangen; er vermochte nicht, sie zu ordnen. »Sie schläft?« wiederholte er mechanisch und schlich leise zu ihr. Sie atmete sanft wie ein Kind. Er nahm sie in seine Arme und legte sie auf das Sopha; sie schlief fort. Ihm ward schwindlig, wie einem, der innere Glockentöne hört und gestaltlos schwimmende Farben sieht. Willenlos ließ er sich von St. Valère fortziehen.

Die jungen Leute standen, ihn erwartend, auf dem Flur; St. Valère machte sich Charles selbst bekannt, und die ganze Gesellschaft fuhr unter lautem fröhlichen Gelächter nach Fontainebleau.

 

Viele Tage waren seit jenem Morgen vergangen; totenbleich und erschöpft saß Alfred auf seinem Zimmer; vor ihm stand der gepackte, nach England bezeichnete Koffer. Die Türe der Nebenstube stand weit auf, Annette bewohnte sie nicht mehr.

Alfred hielt ein Blatt Papier in der Hand, das er zum zwanzigsten Mal zu lesen versuchte; er wußte längst, was darin stand, doch hatte nur sein Herz den unglückseligen Brief gelesen. Er lautete:

Mein teurer Alfred!

Wenn Du diese Zeilen liesest, bin ich weit von hier, mein guter Freund! in einem fremden Lande, in dem ich, wie sie sagen, mein Glück finden soll. Mein Gott! mein Glück war immer bei Dir. Sie wollten mich verheiraten und sagten mir, das sei das sicherste Mittel, Dich dahin zu vermögen, eine glänzende Partie zu tun, zu welcher Dich Dein Stand, der Reichtum Deiner Eltern und ihre Liebe beriefen. Mein Freund, ich glaube das nicht; wenn Du eine große Dame heiraten mußt, wenn Du dadurch vielleicht ein reicher mächtiger Herr wirst und das englische Parlament regierst, so wird es Dich gewiß nicht glücklicher machen, wenn Deine arme Annette einen ehrlichen Mann betrügt. Es gibt elende Menschen genug in der Welt. Mein Alfred! – Gott, nein, nicht mehr mein Alfred! – Du mußt nicht unnütz sorgen um mich. Man hat mir Geld, viel Geld gegeben; verzeih, daß ich Dir es wiederschicke, ich kann es nicht mitnehmen. Aber alles, was Du mir geschenkt hast, das Medaillon, die Kette, das seidene Kleid, alles, was Dir so schwer wurde, mir anzuschaffen – und mir so schwer, es zu behalten, das alles nehme ich mit mir.

Frage nicht, wohin ich gehe; ich habe Deinen Bruder und sie alle betrogen und bin nicht dorthin gegangen, wohin sie mich schickten; aber wiedersehen sollst Du mich nie, mein lieber Engel! Auch St. Valère, den ich herzlich grüße, weiß nicht, wo ich bin. Aber Gott wird mir gewiß Nachricht von Dir zukommen lassen und die Überzeugung, daß es gut war, Dich zu verlassen, und daß Du sehr glücklich geworden bist. Ich bitte ihn, daß Du nur nicht krank werdest aus Kummer. Siehst Du, ich schreibe auf den Knieen, als läge ich vor dem heiligen Altar der Mutter Gottes. Sei mir ja glücklich!

Deine Annette

St. Valère hatte den Brief mit gelesen; als Alfred sich mit tränenüberströmtem Gesicht aufrichtete, stand der Freund neben ihm.

»Sieh«, sagte Alfred und hielt ihm das Blatt hin, »acht Tage, acht lange Tage habe ich sie unaufhörlich gesucht, nicht einen Augenblick gerastet, das ist das Ende!«

»Ich weiß«, sagte St. Valère kurz, »der Alte hatte recht. In Thüringen hatte ich nichts gesehen. O diese erbärmlichen und erbarmungslosen trockenen, hölzernen Wichte!«

Alfred hatte die wunderlichen Worte überhört. »Nie wiedersehen! nie?« wiederholte er leise vor sich hin; »und – wie er sie nur dahin vermocht hat, mich zu verlassen?«

»Das steht alles in dem Briefe«, sagte St. Valère.

»Aber wie konnte sie es?« fuhr Alfred fort. »Anderthalb Jahre haben wir jeden Gedanken wie jeden Bissen Brot miteinander geteilt! Ach, St. Valère! du ahnest nicht, was sie für mich getan, was alles mir geopfert! – Meine Launen, meinen Mißmut, meine Verzweiflung über meiner Eltern Härte, die seit acht Monaten mir keinen Schilling sandten, um mich zur Rückkehr zu zwingen, – alles, alles hat sie mit mir getragen, oft wochen-, monatelang mit ihrer Hände Arbeit mich und sich erhalten. O, ich war oft unleidlich; aber nie, nie, das schwöre ich dir, hätte ich mit Undank ihr vergolten, nie hätte ich sie verlassen.«

»Eben darum«, sagte ruhig St. Valère, »hat dein Bruder sie freundlich gezwungen, dich zu verlassen.«

»Mensch!« rief Alfred ganz außer sich, »hast du denn kein Herz?«

»Mensch?« wiederholte St. Valère. »Schimpfe mich nicht, was geht ihr mich an!«

Er wandte ihm den Rücken und ging.

 

Es war in einer lauen Sommernacht, als man eine arme Nähterin des Faubourgs St.-Antoine still und geräuschlos beerdigte. Es wußte niemand, woran sie eigentlich gestorben. Sie hatte so hingelebt wie Tausende ihrer Art. Sie hatte ein ganz kleines Mädchen bei sich gehabt, das man nun ins Waisenhaus brachte. Es wußte niemand im Hause, ob es ihr eigenes Kind gewesen, nur sagten ihre Stubennachbarn, die denselben Stock mit ihr bewohnt, daß sie die Kleine nie geschlagen und sie aufs zärtlichste geliebt habe.

Ein wunderlich aussehender Literat hatte die arme Grisette dann und wann besucht. Man wußte nicht, was er für ein Landsmann, es kannte ihn auch niemand näher; nur erzählte man, daß er der Verfasser der artigen Vaudevilles sei, die eben in Paris en vogue waren und sehr gefielen. Er hatte eine Beschützerin oder Geliebte beim Theater, die Primadonna war und welcher er die seltsamsten Rollen in diesen Stücken schrieb. Abwechselnd stellte sie alle möglichen Naturerscheinungen vor, besonders oft weibliche Irrlichter, und man versicherte, daß dies Fach ihr ganz vorzüglich zusage.

Überhaupt hatte der junge Dichter eine ganz entschiedene Vorliebe für Naturgeister, denen er eine genaue Individualität verlieh. Er soll sogar einmal einen faulen Weidenstamm auf die Bühne gebracht haben, den Elfen verehrten und der im Dunkeln leuchtete und das ganze Theater erhellte. Die Leute sagten, es sei eine schlechte Nachahmung von Correggios Nacht. Andere meinten, es sei eine feine Anspielung auf die Naturphilosophie.

An dem Tage, an welchem in Frankreich die arme Grisette begraben ward, stand Sir Alfred G. in England mit einer schönen blühenden Braut am Altare, der er kalt und gelassen den Arm bot, um sie nach der Ceremonie aus der Kirche zu führen. Der junge Mann sah sehr bleich und krank aus. Als die Wagenreihe der Verwandten und der Hochzeitsgäste das Landhaus erreichte, zu welchem sie das junge Paar geleiteten, fehlte der Bruder des Bräutigams, der sie alle empfangen sollte.

Man hat nie wieder von ihm gehört; es hieß, er sei beim Entgegenreiten in einem den Park begrenzenden Morast verunglückt. Durch seinen Tod ward der neue Ehemann, dessen Vater wenige Wochen später verschied, Lord und Besitzer eines großen Vermögens.

 

»Nein«, sagte Satan, »du bist ein Schalk; ich will es aber nicht, daß du in meine Angelegenheiten dich mengst. Treiben dir’s die Menschen zu bunt, so scher dich in deinen Wald zurück, aber bleibe mir mit deiner Irrlichtsmoral vom Halse!«

»Moral! Moral!« lachte das Irrlicht, das heißt, es zuckte in tausend und aber tausend Flämmchen auf. »Das arme Ding quälte sich unnütz; ich war am Ende so menschlich geworden, daß ich mich bei einem Haar selbst in sie verliebt und ihr meine Hand geboten hätte –«

»Du bist nicht gescheit«, unterbrach ihn der Teufel. »Solche Mesalliancen gibt der Alte nicht zu. Was gäbe denn das für Racen? Daß du mir den blonden Schlaraffen zugeschickt hast, ist ganz gut; der Narr ist vor purer Vortrefflichkeit ein Schuft. Indessen sind wir doch noch nicht ganz einig über ihn, der Alte und ich; aber nur vorwärts!«

 

Am Karlsbader Mühlbrunnen stand eine Gruppe junger Herren und Damen; alle blickten in ein gedrucktes Blatt, das die jüngste und hübscheste unter ihnen in der Hand hielt und laut daraus vorlas. Es schien, daß alle den Genuß des Sehens und Hörens vereinen wollten; nur ein einziger blonder Offizier sah die Vorleserin statt des Blattes an und machte dabei ein zweifelhaftes Gesicht, von dem schwer zu sagen, ob es Entzücken oder Verblüffung ausdrückte.

»Gott sei Dank!« sagte ein vorübergehender, scharf um sich blickender junger Mann – es war ein Dichter –, »sehen Sie, Baron! da steht ein Verliebter! der erste, den ich in der ganzen Saison hier gefunden!«

»Ach, lieber Freund!« erwiderte der Baron, »Sie sind schon wieder auf dem Holzwege! Sie sind ein poetisches Gemüt! Der gute Elsthal ist taub und arm; er hat sich vorgenommen, hier eine Partie zu tun. Die kleine Comtesse ist schön und sehr reich; er kann aber nicht verstehen, was sie liest!«

»Was liest sie denn eigentlich?« fragte ein hinzugetretener dritter Wassertrinker in einem fest zugeknöpften braunen Oberrocke.

»Was sie liest? Was sonst als das neugebackene Karlsbader Tageblatt. Es ist ein hübscher Einfall eines sehr gescheiten Israeliten, den wir hier haben; er beschreibt uns alle Morgen auf die pikanteste Weise, was wir am Abend vorher in der pomadigsten und langweiligsten Weise getan.«

»Lesen denn das auch gescheite Protestanten oder nur gescheite Katholiken?« fragte ganz ernsthaft der Braune.

»Sind Sie klug, Wallstein?« rief der Baron. »Was geht denn das die Religionen an?«

»Ich verstehe ihn«, sagte der Dichter. »Aber wir sprachen von Nationalität, und die ist hierbei bezeichnend; denn ein geistlicher Jude faßt immer schärfer auf als ein geistreicher Christ.«

»Zugegeben«, sagte der Braune, »und nicht ohne Ursache!«

Der Dichter sah ihn an und lächelte. »Zugegeben, Wallstein; aber«, fuhr er ernster fort, »mehr als dies Zugegeben vermag unsere Zeit noch nicht. Warten wir es ab.«

Die kleine Comtesse las eben unter allgemeinem Jubel: »Seit gestern, nachmittags vier Uhr, sind wir so glücklich, den liebenswürdigsten und ungewöhnlichsten Reisenden unseres Jahrhunderts in unserem Dampfkreise zu besitzen. Von Geburt ein Deutscher, verschmähte Baron M. dennoch nicht, die reiche Laufbahn seiner Studien in unserm Grätz zu beschließen, wo wir vor einer Reihe von Jahren ihn zuerst gesehen. Damals stand er in enger Verbindung mit den feurigsten jungen Italienern jener unruhigen Zeit, deren südliche Lebensglut er in jeder Beziehung zu überbieten schien. Von Grätz aus reiste er nach Ungarn, wo wir ihn in der brillanten Uniform eines Christen wiedertrafen. Er entwickelte in den höhern Sphären der Gesellschaft die gewinnendsten Talente, sang, spielte Guitarre und Clavier, improvisierte, tanzte, ritt, focht – alles meisterhaft; und wir sahen ihn in so zauberischer Schnelle eine Reihe glänzender Liebessiege verfolgen, daß wir kaum umhin konnten, den frühern Revolutionair für einen geschickten, blasierten, routinierten Roué zu halten.

Aber in dem kleinen Fabrikstädtchen B. brach ein furchtbares, allen Löschanstalten trotzendes Feuer aus. Viele Tage hindurch zehrte die leckende Flamme am Marke unserer Wohlhabenheit. Unter einstürzenden Dächern und Mauern, durch Wasserfluten hin über morsche Balken wegschreitend, die unter seinem Tritte zusammenbrachen, sahen wir den Damenliebling plötzlich die Kenntnisse des reifen Ingenieurs, die Kraft und Gewandheit des stärksten Mannes entfalten. Baron M. rettete Hunderten Besitz und Leben und ward der Abgott der ihm Dank zujauchzenden Bürger.

Zwei Jahre später finden wir ihn in der Walachei als Geologen und Bergmann wieder, sehen ihn Minen sprengen, Gruben eröffnen und den ganzen dortigen neuen Bergbau mit der Besonnenheit eines erfahrenen Technikers leiten, und bald darauf in Italien bei der eben dort ausgebrochenen Cholera als Mediziner am Bette der Kranken sie ärztlich pflegen und bewachen, Hospitäler gründen, Gräber und Beerdigungen besorgen. Vor wenig Monaten taucht er in Paris als Magnetiseur auf, wo die unglaublichsten Erscheinungen des Somnambulismus seine Gewalt über die mit ihm in Rapport Stehenden beweisen.

Mit dieser chamäleontischen Gewandtheit vereint Baron M. die blühendste Gesundheit des Jünglings und die volle Kraft des Mannesalters und scheint somit durch jede Vergünstigung der Natur und des Geschicks uns den Begriff eines möglichen Menschenglücks erhalten zu wollen, das den meisten unserer Zeitgenossen zur Tradition einer ehemaligen Götterwelt geworden.«

»Ach!« riefen alle Damen wie aus einem Munde, »und dieser Wundermann, dieser Salamander, dieser Zauberer und Hexenfürst ist hier? Hier in Karlsbad? Wer kennt ihn? Wer hat ihn gesehen?«

Aber – keine hatte ihn gesehen.

Die drei Freunde, welche wir eben eingeführt, scherzten noch eine Weile über die neue Erscheinung. »Sollte er nicht ein bloßer Spaß des Redakteurs, so ein Monsieur ni vu ni connu sein, mit dem man die Kinder schreckt?« meinte der Baron.

»Bewahre!« sagte der Braune, »es ist eine indische Gottheit, ein Mahadöh, der sich verkörpert.«

»Oder eine neue Personifikation des Ewigen Juden«, meinte der Dichter.

Indem schritt ein auffallend schöner großer Mann zwischen die Redenden mitten hindurch; sein durchdringender Blick fiel auf das Tageblatt in der Hand der Comtesse und glitt dann auf diese hinüber. Ein kaum merkliches Lächeln zuckte wie ein Wetterleuchten über die edlen Züge. Er grüßte leicht, betrat die Brücke und bog um die nach der Egerstraße führende Gassenecke.

»Das war er!« riefen unwillkürlich alle.

Die Damen zogen diesmal sämtlich die Egerchaussee, den Weg nach dem »Posthofe« vor; die jungen Männer fanden das Wetter abscheulich, gingen alle nach dem »Elephanten« und verlangten eine halbe Stunde zu zeitig den Kaffee, die Cigarren, die Zeitungen. Die unglücklichen Aufwärter konnten gar nicht fertig werden. Die Ehemänner schlugen ihren Gattinnen entfernte Bergspaziergänge im Schatten vor; die drei Freunde aber blieben am Brunnen und lachten.

Aber doch wußte man abends in jeder, auch der kleinsten Coterie, wen der Baron M. gegrüßt, wo er gespeist, wen er kennengelernt habe, ja sogar, wem er morgen den Hof machen werde.

Drei Tage später kamen seine Reit- und Wagenpferde; lauter Vollblut- und Racetiere. Von dem Augenblick an zweifelten alle Männer an seiner Redlichkeit; denn welcher Privatmann konnte sechzehn solche Pferde sich halten? Nicht einmal Fürst Pückler – und nun gar ein deutscher Baron! Unmöglich!

Noch zwei Tage später wußte man in der ganzen besten Gesellschaft von fünf Verhältnissen, die er mit schönen Frauen in Wien, Paris, Rotterdam und London gehabt, von drei irgendwo trauernden Bräuten, die er verlassen, und von sechs oder sieben ihm fluchenden Elternpaaren. Gerade als die Woche um war, gab er im »Posthof« einen glänzenden Ball. Alle Welt war dort; es war deliciös. Beim Schlusse des Festes fehlten drei Damen. Wie es schien, hatte der ebenfalls fehlende Wirt sie alle drei entführt.

 

»Nun, hast du nun endlich ein Verhältnis mit einer schönen Gräfin gehabt?« fragte der Teufel das Irrlicht, das unter dem saftigen Blätterdache einer alten bemoosten Eiche hin und her wogte und dem ersten Mondviertel zuleuchtete. »Mehrere, Meister!« erwiderte der Waldgeist. »Es war eigentlich nicht der Rede wert. Ich führte sie alle drei, versteht sich, jede einzeln, dem Marienbader Moor zu, ließ jedesmal meine Pferde im Schlamm versinken, ging, Hülfe zu holen, und kehrte nicht zurück. Es muß spaßig gewesen sein, als am nächsten Morgen die drei in nächster Nähe voneinander haltenden Equipagen sich gewahrten und begrüßten. Schade, daß ich’s nicht erlebt habe; denn in dem Augenblicke hattet Ihr mich schon –«

»Gerettet!« brummte der Teufel. »Du hast da wieder elementarisch großartig-dummes Zeug gemacht! Kein vornehmer Mann betrügt drei Comtessen auf ganz gleiche Weise.«

»Meint Ihr, Meister? Mir scheint die ganze Männer- und Weibermanier in diesem Punkte überall viel Ähnliches zu haben. Ich bin nun Thüringer, Preuße, Ungar, Walache und Franzose gewesen – nein, halt! ein Franzose macht es etwas anders, er ist roher, aber poetischer dabei. Im allgemeinen fand ich jedoch eine wirklich ermüdende Gleichförmigkeit, eine durch alle Klassen sich hinziehende Wiederholung –«

»Halt’s Maul!« sagte der Teufel. »Wir verstehen nichts von der Civilisation, mein Bester! Wo die anfängt, hört Ihr auf!«

Ob ich nicht lieber nun im Walde bleibe? dachte das Irrlicht.

Indem erhoben sich die getragenen, schwermutsvollen Töne einer Klarinette, die, sehnend an den Bergspitzen und Baumgipfeln hingleitend, den ganzen Wald wie mit Maienduft erfüllten. Es war, als würde die Welt plötzlich so wehmütig schön, daß man jede Minute betrauern müsse, daß sie verflossen, und jede jubelnd begrüßen, daß sie zum Träger eines so zauberhaften Glückes geworden.

Ein junger Mann und ein wunderbar schönes Mädchen traten aus dem Gehölz. Er war der Virtuos und hielt sein Instrument noch in der Hand. Beide setzten sich zusammen ins Gras. Der Mond stand nun schon hoch und beleuchtete die anmutigen Gestalten. »Jetzt ist es an dir, Editha!« sagte der junge Mann.

»Meinetwegen«, erwiderte sie; »aber bilde dir nicht ein, daß ich’s für dich gemacht.«

Er schüttelte traurig das Haupt. Während sie mit entzückend klarer Stimme ein Lied sang, blies er, dann und wann einfallend, eine Art obligater Begleitung zu der Melodie desselben. Er verstand es, alle die in der nächtigen Stille fehlenden Frühlingsstimmen wie durch Zauber zu ersetzen. Bald klang es, als zwitscherten erwachende Vögel, bald wogte es wie ein ferner Luftstrom über den Bergwald hin, es tröpfelte als Felsbächlein durch die Kluft, es summte wie eine geschäftige Insektenwelt in emsiger Einförmigkeit fort, ja, es rief mit Posthornlauten aus der weit entlegenen Talschlucht herauf.

»Das nennt man plastisch in der Musik«, bemerkte der Teufel dem Irrwisch, »und landschaftlich. Mich wundert nur, daß er nicht ein wenig heulenden Sturm und rollenden Lawinendonner macht!«

Das Mädchen sang:

»Wenn der Blütenstaub der Weiden
Niederfliegt ins stille Tal,
Werd ich mit dem Frühling scheiden,
Küß ich dich zum letzten Mal!

Denn mich locken die Verwandten,
Mich, der Elemente Kind;
Was gestaltend hier sie bannten,
Lösen leise sie und lind.

Dann umschmeichl‘ ich dich als Welle,
Spiel als Zephyr dir im Haar,
Flattre vor dir als Libelle,
Jung mit jedem jungen Jahr.

Lieg als Ranke dir zu Füßen,
Blick als Blume dir ins Herz,
Grüße dich in tausend süßen
Lenzgebilden – ohne Schmerz.«

Das Irrlicht seufzte; ja, es seufzte vor Vergnügen. Gott! dachte es, mit den schönen Gräfinnen war’s nichts, und nun führt mir der Himmel dies Engelsangesicht zu, das rein elementarische Gesinnungen hat!

»Bewahre!« sagte der Teufel, »die Kleine ist in einen jungen Philosophen verliebt und hat seitdem antediluvianische Erinnerungen und neigt sich zum Pantheismus. Die Herren krabbeln immer an meiner Türe herum, um zu wissen, was ich und der Andere zusammenbrauen.«

»Ach, Editha!« flüsterte der Musiker, »welch ein Gotteshauch weht aus deiner Stimme mich an! Ich fühle und begreife die Kunst der alten Meister nie besser, ich empfinde die schöpferische Kraft, die der Menschenseele inwohnt, nie tiefer, als wenn ich dich höre! Du machst mich fromm – ach! wendete sich nur dein Geist nicht dem Abstrakten, dem ungläubig Forschenden zu! Du, selbst eine Offenbarung des Höchsten, solltest an dir die Beglaubigung aller Wunder unserer Religion empfinden! Denn eine reine Jungfrau ist ja das Sinnbild alles Göttlichen auf Erden!«

In diesem Augenblicke stürzte ein zweiter junger Mann aus dem Gebüsch hervor und blieb mit dem Ausdruck der Verzückung vor Editha stehen. Seine vollen schönen Lippen bebten vor Aufregung, seine Pulse flogen, seine Augen flammten. Mehrere Minuten stand er, wie geblendet, vor dem Mädchen sprachlos, endlich rief er: »Ja, Sie waren es! Sie haben mir die Seele aus dem Körper gesungen!« Er zitterte so heftig, daß er sich an einen Baum lehnen mußte; sein Blick brannte fort, aber die ganze Kraft seiner jugendlichen Gestalt war wie zerbrochen. Der Musiker fing ihn in seinen Armen auf; der Fremde lehnte seinen Kopf an dessen Brust und lag eine Weile wie besinnungslos. Endlich brachen leise Tränen aus und überströmten sein Gesicht; aber selbst in diesem kaum bewußten Zustande blieb sein Auge starr an dem Antlitz des schönen Mädchens haften.

Auf diese schien der ganze Vorgang wenig Eindruck zu machen; sie mochte dergleichen gewohnt sein, denn sie blieb ganz gelassen.

»Wer ist denn der?« fragte heimlich das Irrlicht. »Ein Irländer«, erwiderte der Teufel. »Ich will auch ein Irländer werden!« rief das Irrlicht.

Allmählich hatte sich der Fremde gefaßt. Ein begütigend freundliches Gespräch, das er jedoch oft durch rhapsodische Ausrufungen unterbrach, erläuterte, daß er mit dem Musiker und Editha im nämlichen Hause wohne, ohne es zu ahnen. Die beiden jungen Männer brauchten eine Wasserkur in der Nähe und verlebten einige Wochen in der Familie, der das Mädchen angehörte.

Es entspann sich nun gar bald ein anmutiges Liebesspiel unter den jungen Leuten. Editha nahm beider Huldigungen freundlich hin, doch war es leicht zu sehen, daß ihre Gedanken eine ganz andere Richtung verfolgten und ihr Herz einem fernen Gegenstande entgegenschlug. Die Eltern des Mädchens, brave Förstersleute, hatten des wenig acht; sie hatten zu viel anderes zu tun, kümmerten sich daher nur wenig um ihre Mietsleute und ließen das schöne Kind ruhig gewähren.

Da kam eines Abends noch ein dritter Gast hinzu; er gab sich James als dessen Landsmann zu erkennen und teilte ihm eine Menge Nachrichten aus ihrer gemeinschaftlichen Heimat mit. Die Darstellung der dort mehr und mehr um sich greifenden Not, des steigenden Jammers der Armut, stürzte James in Verzweiflung; er lief erhitzt den ganzen Tag umher und entwarf tausend Pläne, dem Unheil zu steuern, zeigte sich zu jedem noch so schweren Opfer bereit und schrie unaufhörlich: I love my country. Dann versank er abwechselnd in dumpfes Hinbrüten, erklärte Editha zum zwanzigsten Mal seine heftige Liebe und beschwor sie, ihn zu heiraten, damit er zurückkönne nach Irland, um sein Vaterland retten zu helfen und gemeinschaftlich mit ihr die Bauern auf seinem Gute zu beglücken.

Das Mädchen wiederholte ihm, daß sie Deutschland nicht verlassen könne und ihn nicht liebe; sie ließ ihn sogar erraten, daß ihr Herz einem andern geneigt sei.

»Heirate mich! Heirate mich!« bat er, ohne darauf zu achten. »Kein anderer wird so dich lieben, kein anderer dich so unsäglich glücklich machen!« Dabei zählte er ihr aber all seine Fehler auf, gestand ihr, daß er ein Trinker, ein Spieler und Raufer sei, daß er bis jetzt ein wüstes, liederliches Leben geführt habe; aber darum müsse sie ihn heiraten, damit er ein ganz anderer Mensch werde. Sie solle, sie müsse ihn retten und mit ihm seine Untertanen beglücken.

»Ja, ich liebe mein Vaterland!« rief er in höchster Aufregung; »aber ich werde nichts, gar nichts für dasselbe tun ohne dich!«

So blieb er denn Tag um Tag, ohne andere Entscheidung, fast stundenlang ihr gegenüber mit seinem Liebesweh, weinte, wütete. Zuweilen erschreckte sie das heftige Wesen; sie war besorgt um seine Gesundheit, sein Leben, und doch vermochte sie ihm nicht mehr zu gewähren als eben diese tiefe, innere Mitleidsqual, zu welcher er nach und nach ihre Empfindung gesteigert hatte.

Der neue Ankömmling, eine höchst angenehme jugendliche Erscheinung, entwickelte alle möglichen nationellen Ähnlichkeiten mit James, aber auch einiges individuelle Heitere. Er war um mehrere Jahre jünger und strahlte vor Frohsinn. Auch er verliebte sich in Editha und erklärte sich; auch er ward abgewiesen. Auch er wollte ins Wasser springen, vergaß es aber über einen in der Nähe abgehaltenen Pferdemarkt, auf welchem er, statt eines lange gewünschten Rappens, einen Windhund kaufte.

Als er zurückkehrte, war gerade das Gefühl der Freundschaft das vorherrschende in seiner Seele geworden. Er beschwor die Geliebte, seinem Freunde anzugehören, dem er ihren Besitz zu opfern fest entschlossen sei. Als er auch hierauf ein sehr bestimmtes Nein erhielt, suchte er James zur Abreise zu bewegen; als auch das mißlang, wollte er ihn gewaltsam entführen. Nach einem solchen Ausbruch blieb James, in Kummer aufgelöst, auf dem Sopha liegen. Paddy – so hieß der andere Irländer – eilte auf der Stelle fort in die weite Welt.

»Du mußt sie versöhnen, Editha!« bat der junge Musiker. »James kann es nicht ertragen, es lastet zu viel auf ihm.«

Ein lautes, so herzliches Lachen, in das unwillkürlich der Virtuos, Editha, ja selbst der melancholische James leise mit einstimmten, weil es gar zu liebenswürdig und frisch klang, unterbrach die Ermahnung.

Paddy war, statt in die weite Welt, ins enge Wirtshaus des nahen Städtchens gegangen und tipsy nach Hause gekommen. Edithas jüngere Geschwister spielten vor der Türe draußen, und eben half der Verzweifelnde, der seinen Gram vergessen, den Buben Seifenblasen machen; dabei mußten sie aber zugleich über einen niedrigen Zaun springen. Das Lachen über die aufgeblasenen Backen der Kleinen und die zu nichts führenden Anstrengungen waren die Hauptsache im Spiel.

Mitten in seinem Kummer mußte James doch zusehen. Allmählich sprang er mit, hoch und immer höher, machte auch Seifenblasen, und immer schönere, und ward bald so ganz zum Kinde unter den ihm zujauchzenden Kindern, daß Editha lächelnd fortschlich; der Musiker aber folgte ihr. James merkte nicht, daß die Geliebte davonging, weil er eben mit Paddy um die Wette über seinen mit beiden Händen gehaltenen Handschuh sprang.

Editha ließ ihm die Vernachlässigung nicht entgelten; sie hatte ganz anderes im Sinne. Sie erwartete den Liebsten zum letzten Mal auf lange, lange! Gespannt hatte sie den fernen Hufschlägen eines Pferdes zugehört und eilte jetzt dem Reiter entgegen.

Der Musiker war ihr nachgeschlichen; ihn quälte wütende Eifersucht und er hätte den beiden gern die letzte Stunde verkümmert. Draußen war es so sonnenhell und schön, als könnten diese heißen Mittagsstrahlen nur Glück bescheinen. Als er sie in den Armen des Beneideten sah, lief der arme Virtuos mit seinem Instrument tiefer in den Wald hinein; die Liebenden aber hielten die vom Winde getragenen einzelnen Laute seines melodischen Schmerzes für den Widerhall ihrer eigenen Klagen. Hermann – so hieß der Freund – zog in die Weite. Die Wissenschaft war die Nebenbuhlerin des schönen geliebten Wesens, das so treu an ihm hing. Er schied mit tausend Gelübden, aber zu Vater und Mutter wollte er nicht; ihm graute vor dem Philistertum und vor den fremden Gesichtern, und dann sollte sie ihm unbedingt, wortlos glauben.

Trotz aller Schwärmerei spannen beide einen langen goldenen Glücksfaden der Zukunft aus: die Rückkehr, die künftige Professur auf einer kleinen Universität, das häusliche Zusammenleben – alle reizenden Möglichkeiten einer geteilten Existenz flossen vor ihren innern Augen in einen Brennpunkt zusammen; denn in der Jugend grenzt der Himmel überall an die Erde!

Die Mittagsglocke des Forsthauses, deren Klang die im Gehölz zerstreuten Jägerburschen zusammenrief, trennte die Liebenden, und bald schmetterte am jenseitigen Flußufer das Posthorn des dahinrollenden Eilwagens vorüber, den Hermann vielleicht schon versäumt hatte.

Editha blieb allein im Walde. Als Paddy und der Virtuos sie endlich fanden, folgte sie ihnen freundlich-still; aber sie mochte nicht reden. Der Musiker drückte ihr die Hand und unterhielt die Eltern und Paddy; es war einer der sanften deutschen Charaktere, die so leicht aus der Rolle des Liebhabers in die des wehmütig Liebenden, Vertrauten übergehen und oft auf diese Weise später ein glückliches Ziel erreichen.

James fehlte; er ward den ganzen Abend und einen Teil der Nacht hindurch gesucht. Paddy schwur darauf, daß er sich Edithas wegen ein Leid getan. Editha schüttelte lächelnd das schöne Köpfchen und schwieg.

Drei Tage blieb er weg. Den Alten und sogar dem Virtuosen war herzlich bange geworden – da kam er wieder mit einem alten Auerhahn und einer neuen Vogelflinte. Die Jagdlust hatte ihn wieder aus seiner Leidenschaft herausgerissen; aber ach! als er Edithas holde Augen sah und ihr die Jagdbeute zu Füßen legte, ging der Jammer von neuem an, und er schrie lauter und schmerzlicher denn je: »Heirate mich, denn ich sterbe, wenn du mich nicht liebst!«

Editha riß sich los und lief in den Wald hinein, zur Stelle, wo er von ihr geschieden. Der Musiker und die Eltern hatten ihr gelobt, die Fremden endlich zu entfernen.

 

Es war wieder ein goldener Mittag über die Hügel gebreitet, der sie wie ein Strahlennetz umspannte, und drüben schmetterte das Posthorn, wie zu jener Stunde. Das Mädchen ging lange am Ufer hin und her; endlich löste sich die bange Qual in Wohllaute auf; sie setzte sich auf einen bemoosten Felsblock und sang in die klare Luft hinaus:

»O all ihr Wolken, Berg‘ und Tale!
Verbergt ihr mir den Heißgeliebten?
Ist er nun fort mit einem Male?
Sonne! was soll’s mit deinem Strahle?
Was soll dein Rauschen, arme Saale?
Was seid ihr alle der Betrübten?

O all ihr Feld- und Waldgesänge!
Was fragt ihr mich, wo er verweilet?
Wenn zu erreichen ihn gelänge,
Du klarer Quell, glaub mir, ich spränge
Gern auch ihm nach durchs Grasgedränge,
Durch das der Flüchtling dir enteilet.

Glaub’s wohl, daß ihr ihn gern gehalten,
Ihr Bäume, mit den grünen Armen!
Felsen, euch hat es nicht zerspalten,
Als seine Schritte leis verhallten
Und er mich preisgab den Gewalten
Der Einsamkeit – ohn all Erbarmen?«

Der Teufel saß auf einem Grenzstein und las – im Kalender. Im Himmel und in der Hölle ist keine Zeit; es lag ihm aber daran, zu wissen, wie lange das Irrlicht nun unter den Irländern sei. Daß James und Paddy miteinander das Forsthaus verlassen, wußte der Alte; denn es hatte entsetzlich viel Verdruß dabei gegeben, und er selbst war mehre Male, obschon nicht eben höflich, hinzugerufen worden. Seitdem jedoch waren Jahre vergangen. Um die guten Leute im Forsthause hatte sich der Teufel nicht sonderlich gekümmert; in Irland aber war er mehre Male in großen Versammlungen gegenwärtig gewesen; er hatte das Irrlicht auch zuweilen dort gefunden; das war jedoch schon eine Weile her.

»Nein«, sagte der Alte, nachdem er ziemlich mühsam sich in das Zeitenmaß hineinstudiert, »es geht nicht länger, die Repeal-Versammlungen sagen ihm alle zu, Pater Mathews Wassertrinken liegt ohnehin in seiner Natur, und tipsy ist er so noch dabei, den Shamrock hat er vom Walde aus grundlieb; raufen, balgen, schlagen und mitunter flunkern und flimmern – das geht ihm alles von der Hand wie angeboren; und wenn er mir nun noch einmal aus den Gedanken kommt, bin ich capable, ihn so ein paar hundert Jahre da zu vergessen; denn keiner merkt dort, wer und was er ist. Das bringt eine entsetzliche Verwirrung in alle Einrichtungen der Menschlichkeit und gibt Verdruß mit Dem oben. – Hoho! der Geselle muß wieder her!« – Der Teufel pfiff schrillend auf seinem Finger, und der junge hübsche Irländer stand vor ihm, oder vielmehr, versuchte möglichst still zu stehen. »Hat er doch wahrhaftig noch seine irländische Physiognomie!« brummte der Alte.

»Ganz gut!« erwiderte der Irländer, »was soll ich denn sonst haben? Ich weiß ohnehin nicht, wie ich mit mir daran bin, und mein Vater –«

»Kerl, du hast ja keinen!« sagte der Teufel. »Oder meine Mutter.« – »Schatz, das ist ja eine alte Eiche! Flunkere mir doch nichts vor!«

»Nun kurz; also mein Freund, der Virtuos, der jetzt die ganze Welt durchflackert und elektrisiert, sagt, daß er selbst nie recht genau weiß, wie ich aussehe. Wie soll ich’s da nun wissen?«

»Es ist nun genug!« sagte der Alte – und nun gehe ein jeder seines Weges und nach Hause.

Ende des Märchens

 

Über die Chaussee kamen zwei Freunde eilig geschritten; sie wählten abschneidend den Fußpfad durch das Feld, um schneller nach Hause zu kommen. Den einen erwarteten daheim Weib und Kinder, den andern, der ein Phantast war, erwartete niemand.

»Aha«, sagte der verständige Hausvater, »da drüben blitzen ein paar Irrlichter auf, gerade an der Rodung hin! Schade, daß ich meinen Paul nicht hier habe; der Bursche hat noch keins gesehen und quält mich oft abends darum, ihm welche zu zeigen. Sie werden jetzt selten, gottlob! Die Kultur des Bodens nimmt überall zu.«

»Wissen Sie«, sagte der Phantast, der des andern Rede überhört hatte – es war ein Junggeselle in mittlern Jahren –, »wenn ich so übers Feld gehe in der Abenddämmerung, wird mir immer ganz märchenhaft und schauerlich zumute. Die Gedanken springen hin und wider; es bilden sich mir Gestalten und ganze Geschichten aus den Gegenständen, die ich nicht eigentlich sehe, sondern nur errate. Wunderbar, wie die äußere Natur in der Seele reflektiert; die Ideen tanzen mir im Kopfe wie dort jene Irrlichter. Überall erblicke ich Gesichter. Sehen Sie den Eichenstamm dort? Steht er nicht da wie ein gebückter Riese? Und das Irrlicht, das an ihm vorüber- und zu ihm hinaufflackert? Es kommt mir ordentlich wie ein Mensch vor! Ja, wahrlich, lange Märchen könnte ich Ihnen erzählen – aber sie brechen zuweilen ab, und winden sich doch auch mitunter, wie dort die Nebelschlange, zwischen dem Nächsten und Fernsten hin –«

»Lieber Gevatter, Sie sind ein Phantast! Ich habe es Ihnen schon hundert Mal gesagt. Dorthin geschaut! da blinken die Lichter von unserm Städtchen! – Ei, nehmen Sie sich doch in acht: hier ist ja der Bach ausgetreten; die Wiesenwasserleitung ist entzwei. Die verdammten Runkeln liegen auch querpfadein –«

»Sonderbar! Sonderbar!« murmelte der Freund.

»Nun, wenn wir nach Hause gekommen, so erzählen Sie es nur meiner Frau!« sagte begütigend der Gevatter; »jetzt ist es ruhig bei uns, die Kleinen sind schon zu Bette.«

Der Phantast verstummte und schritt träumerisch weiter.