158. Das Wunderkorn von Stavoren und der Frauensand

Bei den Einwohnern der groß und reich gewordenen Stadt Stavoren ging es gerade so wie bei denen der Stadt Zevenbergen an der Südersee, sie führten ein üppiges Leben und kannten ihres Übermutes nicht Maß noch Ziel. Da war eine Zeit, in der das Korn sehr teuer wurde, und eine reiche Witwe rüstete ein Schiff aus und sandte es nach Danzig, dort Korn zu holen, und gebot dem Schiffer, ihr zugleich von dort das Köstlichste mitzubringen, was nur dort zu haben sei. Als nun das Schiff in See war, fiel das Getreide sehr schnell, und dem geizigen Weibe wurde bange, daß sie an ihrem Einkauf mächtig Schaden erleiden werde.

Da nun das Schiff aus Danzig zurückkam, ging die Witwe alsbald an Bord und fragte den Schiffer, was er ihr Köstliches mitgebracht habe nächst dem Korn, das ohnedies nichts mehr wert sei, als ins Wasser geworfen zu werden. Der Schiffer neigte sich und sprach: Vieledle Frau, den schönsten Weizen bracht‘ ich Euch mit, den je ein Menschenauge hat erschauen können. – Was, Weizen? Und nichts Besseres? rief die Frau zornig aus. Von welcher Seite nahmst du den in das Schiff? – Von der Backbordseite, entgegnete der Schiffer. – Ei so wirf ihn ins Teufels Namen von der Steuerbordseite ins Meer, und das Korn dazu! Ich befehle es! – Der Schiffer gehorchte, da brauste es in den Tiefen, und die Wellen hoben sich und teilten sich, und es wuchs ringsum vor den Hafen eine mächtige breite Düne von Sand, Hügel auf Hügel, und auf der Düne lagen Korn und Weizen und keimten und schossen auf in Ähren, die blühten auf, aber taub, und trugen nimmer Frucht. Die Witwe kehrte in die Stadt zurück, um deren Hafen sich nun die Düne zog, daß kein Schiff mehr in den Hafen einlaufen konnte, und trug den Fluch der verarmenden Stadt und starb in Kummer und Elend. Aber auf der Düne, welche bis auf den heutigen Tag der Frauensand heißt, erwächst Jahr auf Jahr das taube Korn, der Dünenhelm oder Dünenhalm genannt, und weht und wiegt sich im Winde.

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