7. Kapitel. Der Detektiv in der Falle.

Wie McMurdo gesagt hatte, war das Haus, in dem er wohnte, abgeschieden und für das geplante Verbrechen ganz besonders geeignet. Es lag am Rande der Stadt, ziemlich weit von der Straße ab. In jedem anderen Fall würden die Verschwörer, wie es sonst ihre Art war, einfach ihren Mann gestellt und niedergeschossen haben. Aber in diesem Fall war es äußerst wichtig zu erfahren, wieviel er bereits wußte, woher er es wußte, und welche seiner Erkundungen er an seine Auftraggeber weitergegeben hatte. Möglicherweise war es schon zu spät und seine Arbeit bereits getan. In diesem Fall konnten sie nur noch Rache an ihm nehmen. Sie hofften indessen, daß dem Detektiv noch nichts von größerer Wichtigkeit zur Kenntnis gelangt war, sonst würde er, wie sie annahmen, sich nicht die Mühe genommen haben, so belanglose Mitteilungen, wie McMurdo sie ihm gemacht hatte, niederzuschreiben und in Chiffre weiter zu telegraphieren. Alles dies würden sie von dem Manne selbst hören. Wenn er einmal in ihrer Gewalt war, würden sie Mittel und Wege finden, ihn zum Sprechen zu bringen. Es war nicht das erstemal, daß sie einen widerspenstigen Zeugen zum Reden brachten.

McMurdo fuhr, wie vereinbart, nach Hobsons Patch. Die Polizei schien an jenem Morgen ein ganz besonderes Interesse an ihm zu nehmen, denn Kapitän Marvin, der behauptet hatte, ein alter Bekannter von ihm aus Chicago zu sein, sprach ihn an, als er auf dem Bahnhof wartete. McMurdo drehte ihm den Rücken zu und verweigerte jede Antwort. Am Nachmittag, als er von seiner Expedition zurückgekehrt war, suchte er sofort McGinty im Unionhaus auf.

»Er kommt,« sagte er.

»Gut,« sagte McGinty. Der Riese stand in Hemdsärmeln da, mit baumelnden Ketten und Siegeln an seiner prächtigen Weste. Durch den Saum seines zottigen Bartes funkelte ein großer Brillant. Alkohol und Politik hatten den Meister zu einem sehr reichen und mächtigen Manne gemacht. Um so schrecklicher erschien ihm daher die Vision von Gefängnis und Galgen, die ihm am vorangegangenen Abend gekommen war.

»Glauben Sie, daß er viel weiß?« fragte er angstvoll.

McMurdo nickte trübselig mit dem Kopf.

»Er ist schon längere Zeit hier, mindestens sechs Wochen. Er hat sich wahrscheinlich nicht damit begnügt, die Landschaft zu bewundern. Wenn er die ganze Zeit über fleißig war, mit dem Geld der Gesellschaften hinter sich, möchte ich annehmen, daß er verschiedenes herausgefunden und weitergegeben hat.«

»In unserer Loge ist keiner, dem ich Verrat zutraue,« rief McGinty. »Jeder einzelne ist treu wie Gold. Halt! Zum Donnerwetter, dieser Halunke Morris! An den habe ich nicht gedacht. Warum nicht der Kerl? Wenn einer zum Verräter geworden ist, kann’s nur der gewesen sein. Ich habe Lust, noch vor dem Abendessen ein paar von den Jungen zu ihm zu schicken um ihm eine solche Tracht Prügel verabreichen zu lassen, daß er alles herausplappert, was er gesagt hat.«

»Das würde vielleicht ganz gut sein,« antwortete McMurdo, »obwohl er mir, wie ich gestehen muß, leid täte. Er hat einige Male mit mir über Logenangelegenheiten gesprochen, und obzwar er anders darüber denkt, als Sie und ich, glaube ich nicht, daß er einer ist, der den Angeber spielen würde. Aber wie es auch sei, ich habe darüber nicht zu bestimmen.«

»Ich werde es dem alten Halunken schon besorgen,« rief McGinty mit einem Fluch. »Ich habe schon seit längerem ein Auge auf ihn.«

»Nun, Sie werden wohl am besten wissen, was zu tun ist,« antwortete McMurdo. »Aber was immer Sie beschließen, es muß bis morgen warten, denn wir dürfen uns nicht rühren, bis diese Pinkertonsache ins reine gebracht ist. Es wäre unsinnig, gerade heute die Polizei auf die Beine zu bringen.«

»Das ist wahr,« sagte McGinty, »im übrigen werden wir ja von Birdy Edwards selbst hören, woher er sein Material hat, und wenn wir ihm zu diesem Zweck das Herz aus dem Leibe reißen müßten. Er hat doch nicht Lunte gerochen?«

»Ich habe ihn bei seiner schwachen Seite gepackt,« sagte McMurdo lachend. »Wenn man ihm etwas über die Rächer in Aussicht stellt, würde er bis an das Ende der Welt gehen. Er hat mir bereits Geld gegeben.«

McMurdo zog grinsend ein Bündel Dollarnoten hervor. »Er hat mir versprochen, noch viel mehr herauszurücken, wenn er meine Papiere in der Hand hat.«

»Welche Papiere?«

»Papiere, die nur in seiner Einbildung existieren. Ich habe ihm den Mund mit Satzungen, Geschäftsordnungen und Mitgliedsformularen wässerig gemacht. Er hofft, der Sache ganz auf den Grund zu kommen.«

»Eher wird er in den Grund kommen, sollte ich meinen,« sagte McGinty grimmig. »Hat er Sie nicht gefragt, warum Sie die Papiere nicht gleich mitgebracht haben?«

»Er konnte doch nicht erwarten, daß ich, ein von der Polizei beobachteter Mensch, solche Sachen mit mir herumtrage. Kapitän Marvin hat mich erst heute unten im Bahnhof angesprochen.«

»Davon habe ich gehört,« sagte McGinty. »Das dicke Ende der Sache wird wohl auf Ihr Teil kommen, glaube ich. Wir können ihn wohl in einen aufgelassenen Schacht werfen, wenn wir mit ihm fertig sind; aber wie immer wir es auch anstellen, wir kommen nicht über die Tatsache hinweg, daß Sie heute bei ihm in Hobsons Patch waren.«

»Wenn wir richtig vorgehen, kann man uns niemals einen Mord nachweisen,« sagte McMurdo achselzuckend. »Niemand wird ihn so spät abends das Haus betreten sehen, und ich möchte wetten, daß ihn niemand sehen wird, wenn er es verläßt. Ich will Sie jetzt mit meinem Plan bekannt machen und bitte Sie, die anderen einzuweihen. Ihr alle kommt pünktlich zur vereinbarten Zeit. Er kommt um zehn. Er wird dreimal klopfen, und ich werde ihm die Tür öffnen. Wenn er drinnen ist, schließe ich sie ab. Dann gehört er uns.«

»Das ist klar und einfach.«

»Sehr richtig, aber der nächste Schritt will wohlüberlegt sein. Er ist, wie ich schon sagte, eine harte Nuß. Zweifellos ist er schwer bewaffnet. Ich habe ihn zwar ordentlich genasführt, aber er wird sicher auf seiner Hut sein. Wenn ich ihn in ein Zimmer führe, mit sieben Männern darin, wo er nur einen erwartet, wird es unzweifelhaft zu einer Schießerei kommen, und einer oder der andere von uns würde daran glauben müssen.«

»Sehr richtig.«

»Und der Lärm würde uns jeden verdammten Polizisten auf den Hals locken.«

»Stimmt.«

»Ich möchte daher so vorgehen: Ihr alle seid in dem großen Zimmer, in demselben, wo wir letzthin unsere Unterredung hatten. Ich lasse ihn durch die Tür herein und führe ihn in das kleine Wohnzimmer nebenan, wo ich ihn allein lasse, um, wie ich ihm sagen werde, die Papiere zu holen. Das gibt mir die Möglichkeit, euch zu sagen, wie die Sache steht. Darauf gehe ich zu ihm zurück mit gefälschten Aufzeichnungen. Während er diese liest, springe ich von hinten auf ihn los und umklammere seinen rechten Arm. Dann werdet ihr meinen Ruf hören und stürzt herein. Je schneller das geschieht, desto besser, denn er ist so stark wie ich und wird mir vielleicht mehr zu tun geben, als ich schaffen kann. Aber bis ihr kommt, werde ich ihn wohl halten können.«

»Der Plan ist gut,« sagte McGinty. »Die Loge schuldet Ihnen Dank. Ich kann mir wohl denken, wer meinen Platz einmal einnehmen wird, wenn ich nicht mehr Logenmeister sein werde.«

»Aber ich bin doch kaum mehr als ein Rekrut,« sagte McMurdo. Sein Gesicht ließ deutlich erkennen, wie ihm dieses Kompliment des großen Mannes schmeichelte.

Wieder zu Hause angelangt, traf er seine Vorbereitungen für die grimmigen Ereignisse, die ihm bevorstanden. Zuerst reinigte, ölte und lud er seinen Revolver. Dann musterte er das Zimmer, wo der Detektiv in die Falle gelockt werden sollte. Es war ein großer Raum mit einem langen, rohen Tisch in der Mitte und einem mächtigen Ofen in einer Ecke. An jeder der beiden Längswände lagen Fenster. Diese konnten mit leichten Ziehgardinen verhängt werden. McMurdo betrachtete sie aufmerksam. Zweifellos kam ihm zu Bewußtsein, daß man in den Raum, der für eine streng geheim zu haltende Angelegenheit bestimmt war, ziemlich leicht hineinsehen konnte – ein Nachteil, der indessen durch seine abgeschiedene Lage wieder aufgewogen wurde. Sodann besprach er sich mit seinem Wohngenossen Scalan, der, obgleich Logenbruder, ein harmloses Männchen war, zu verschüchtert, um gegen seine stärkeren Kameraden offen aufzutreten, aber insgeheim entsetzt über die Bluttaten, bei denen er gelegentlich helfen mußte. McMurdo weihte ihn kurz in seine Pläne ein.

»Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, Michel Scalan, so würde ich mich für den Abend freimachen und mich fernhalten. Es wird hier blutige Arbeit geben, bevor der Morgen graut.«

»Paßt mir ausgezeichnet, Freund Mac,« antwortete Scalan. »Mein Wille ist zwar stark, aber mein Fleisch ist schwach. Als ich den Betriebsführer Dunn dort unten im Kohlenbergwerk zusammenbrechen sah, war ich erledigt. Solche Sachen liegen mir nicht so, wie etwa Ihnen oder McGinty. Wenn es mir die Loge nicht übelnimmt, werde ich Ihrem Rat folgen und Sie allein lassen.«

Die Männer kamen pünktlich zu der vereinbarten Zeit. Äußerlich waren sie ehrenwerte Bürger, reinlich und gut gekleidet, aber ein Physiognomiker hätte wenig Hoffnung für Birdy Edwards aus ihren grausamen Lippen und unbarmherzigen Augen herauslesen können. Nicht einen gab es unter ihnen, dessen Hände nicht schon ein dutzendmal mit Blut befleckt worden waren. Sie waren gegen Menschenmord so abgestumpft, wie der Schlächter den Tieren gegenüber. Die erste Stelle nahm der verehrungswürdige Meister ein, sowohl was Aussehen, als was Schuld anbelangte. Harraway, der Sekretär, war ein hagerer, verbitterter Mensch mit langem, dürren Hals und nervös zuckenden Gliedern – von unwandelbarer Ehrlichkeit, soweit die Finanzen des Bundes in Frage kamen, aber sonst ohne Sinn für Recht und Moral. Der Schatzmeister Carter, ein Mann mittleren Alters mit teilnahmslosem Gesicht und pergamentartiger, gelber Haut, war ein fähiger Organisator, und die Ausarbeitung fast jeder Schandtat im einzelnen entsprang seinem beweglichen Gehirn. Die zwei Willabys waren Männer der Tat, große sehnige junge Leute mit entschlossenen Gesichtern, und ihr Gefährte Tiger Comac, ein untersetzter, dunkelhäutiger junger Mensch, wurde selbst von seinen Kameraden wegen seiner unberechenbaren Wildheit gefürchtet. Das waren die Leute, die sich in jener Nacht unter dem Dache McMurdos zur Ermordung des Pinkerton-Detektivs vereinten.

Der Gastgeber hatte Whisky auf den Tisch gestellt und sie zögerten nicht, sich durch ihn für die bevorstehende Arbeit in Stimmung zu versetzen. Baldwin und Cormac waren bereits halb betrunken, und der Alkohol steigerte ihr grausames Ungestüm bis zur Siedehitze. Cormac legte seine Hände einen Augenblick lang auf den Ofen. Er war stark eingeheizt, denn die Frühlingsnächte waren noch kalt.

»Er ist heiß genug,« meinte er vielsagend.

»Ja, ja,« rief Baldwin, der den Wink aufgefangen hatte. »Wenn wir ihn darauf festbinden, werden wir schon die Wahrheit aus ihm herauskriegen.«

»Das werden wir auf jeden Fall, sagte McMurdo. Er hatte Nerven aus Stahl, dieser Mann, denn obwohl die ganze Verantwortung für die Sache auf ihm lastete, war sein Benehmen so kühl und sorglos wie immer. Die anderen bemerkten es beifällig.

»McMurdo ist derjenige, der ihn in Empfang nimmt,« sagte der Meister zustimmend. »Ihm wird der Kerl nichts anmerken, bis er seine Hand an der Gurgel spürt – Es ist zu dumm, daß die Fenster keine Läden haben.«

McMurdo ging von einem Fenster zum anderen und zog die Gardinen fester zu.

»Jetzt kann niemand mehr hereinsehen. Er muß gleich da sein.«

»Vielleicht kommt er nicht. Er hat möglicherweise Lunte gerochen,« sagte der Sekretär.

»Er wird kommen, Sie brauchen keine Angst zu haben,« antwortete McMurdo. »Er ist so begierig zu kommen, wie Sie, ihn zu sehen. Horcht! Was ist das?«

Sie saßen alle wie Wachsfiguren da, mit halb erhobenen Gläsern. In die plötzliche Stille hinein dröhnte heftiges, dreimaliges Pochen an die Außentür.

»Still!«

McMurdo erhob Ruhe gebietend seine Hand. Frohlockende Blicke machten die Runde von einem zum anderen, und die Hände fuhren unwillkürlich nach versteckten Waffen.

»Nicht einen Laut, wenn euch euer Leben lieb ist,« zischte ihnen McMurdo zu, als er das Zimmer verließ und die Türe sorgfältig hinter sich schloß.

Die Mordgesellen warteten mit gespitzten Ohren. Sie zählten die Schritte ihres Kameraden, als dieser den Korridor entlang ging. Dann hörten sie ihn die Außentür öffnen und darauf einige Worte der Begrüßung mit jemandem wechseln. Sie vernahmen einen fremden Tritt und eine unbekannte Stimme. Einen Augenblick später hörten sie die Außentür zuschlagen und einen Schlüssel sich im Schloß drehen. Ihr Opfer saß in der Falle. Tiger Cormac konnte ein höhnisches Lachen nicht unterdrücken, so daß ihm McGinty mit seiner großen Hand an den Mund fuhr.

»Ruhig, du Narr,« flüsterte er. »Du wirst uns noch alle verderben.«

Aus dem Nebenzimmer hörte man das Gemurmel eines Gesprächs, das ihnen endlos schien. Dann öffnete sich die Tür, und McMurdo trat ein, einen Finger an den Lippen.

Er kam bis ans Kopfende des Tisches und ließ seine Blicke über die Tafelrunde schweifen. Eine merkliche Veränderung war mit ihm vorgegangen. Seine Haltung war die eines Mannes, der einem Wendepunkt seines Lebens gegenübersteht. Sein Gesicht schien wie aus Stein gemeißelt zu sein, und seine Augen funkelten hinter den Brillen in leidenschaftlicher Erregung. Der geborene Führer von Menschen war in ihm in Erscheinung getreten. Die anderen betrachteten ihn in atemloser Spannung, sagten aber nichts. Mit einem sonderbaren Ausdruck in den Augen wanderten seine Blicke von Mann zu Mann.

»Nun?« rief Meister McGinty endlich. »Ist Birdy Edwards da?«

»Jawohl,« antwortete McMurdo langsam, jedes Wort abwägend, »Birdy Edwards ist da. Er steht vor euch. Ich selbst bin Birdy Edwards.«

Etwa zehn Sekunden folgten diesen wenigen Worten, während deren man im Zimmer eine Stecknadel hätte fallen hören können. Das Zischen eines Kessels auf dem Ofen drang scharf und schneidend in die Ohren, sieben leichenblasse Gesichter waren mit dem Ausdruck eines lähmenden Schreckens zu dem Mann erhoben, der mit Herrschermiene vor ihnen stand. Dann erfolgte plötzlich das Klirren von Glas, und eine Anzahl Gewehrläufe erschienen in jedem Fenster, wobei die Vorhänge aus ihren Haken gerissen wurden. Bei diesem Anblick erhob McGinty ein Brüllen wie ein verwundeter Löwe und stürzte auf die halbgeöffnete Tür zu. Dort wurde er von einem auf ihn gerichteten Revolver begrüßt, hinter dessen Korn die kalten, blauen Augen Kapitän Marvins von der Kohlen- und Eisenpolizei zu sehen waren. McGinty warf sich zurück und fiel in seinen Stuhl.

»Sie haben recht, Rat McGinty,« sagte der Mann, den sie bisher als McMurdo gekannt hatten. »Sie sein sicherer dort, wo Sie sitzen. – Baldwin, wenn Sie nicht sofort Ihre Hand von Ihrer Waffe wegnehmen, werden Sie noch den Henker um sein Werk betrügen. Heraus damit und weggelegt, oder bei meinem Erzeuger – so ist es recht. Das Haus ist von vierzig bewaffneten Männern umstellt, und ihr könnt euch ausmalen, was für Aussichten zur Flucht ihr habt. Nehmen Sie ihnen die Waffen ab, Marwin.« –

Unter der Drohung der auf sie gerichteten Gewehre erschien jeder Widerstand vergeblich. Die Leute wurden sämtlich entwaffnet. Trotzig, niedergedrückt und noch immer verblüfft, saßen sie schweigend um den Tisch herum.

»Ich möchte noch einige Worte an euch richten, bevor wir uns trennen,« sagte der Mann, in dessen Falle sie gegangen waren. »Wir werden uns wahrscheinlich erst vor Gericht wiedersehen. Ich gebe euch für die Zwischenzeit einiges zum Nachdenken auf. Ihr wißt jetzt, wer ich bin. Endlich ist die Zeit gekommen, wo ich meine Karten offen auf den Tisch legen kann. Ich bin Birdy Edwards von den Pinkertons. Man hat mich dazu auserwählt, eure Bande zu vernichten. Es war eine schwere und gefährliche Aufgabe. Keine Menschenseele, nicht einmal jene, die mir am nächsten steht und mir die teuerste ist, wußte davon, außer Kapitän Marvin und meinen Auftraggebern. Aber ich habe getan, was ich konnte, und Gott sei gedankt, ich bin Sieger geblieben.«

Die sieben blassen, regungslosen Gesichter stierten ihn mit Blicken tödlichen Hasses an. Er las die aus ihren Augen sprühenden Drohungen.

»Ihr glaubt vielleicht, daß die Sache für mich nicht erledigt ist. Nun, wir werden ja sehen. Wenigstens einige von euch werden keine Hand mehr gegen mich erheben können, und außer euch werden heute nacht noch sechzig andere das Innere eines Gefängnisses zieren. Ich will euch gestehen, als man mir den Auftrag gab, glaubte ich nicht an die Existenz eines Bundes wie des euren. Ich habe alles für Zeitungstratsch gehalten, und wollte dafür den Nachweis erbringen. Man sagte mir, daß euer Bund etwas mit den Freimännern zu tun habe; ich ging daher nach Chicago und ließ mich dort aufnehmen. Danach war ich überzeugter als je, daß eure Bande nur in der Einbildung der Zeitungen existiere, denn ich fand die Gesellschaft der Freimänner durchaus harmlos und sogar Gutes tuend. Immerhin hatte ich meinen Auftrag auszuführen und kam daher in eure Stadt. Als ich hier anlangte, mußte ich nur zu bald erfahren, daß ich mich im Irrtum befunden hatte, daß also die Sache keineswegs ein Hintertreppenroman war. Daher blieb ich hier, um vollen Einblick zu gewinnen. Ich habe niemals einen Mann in Chicago getötet und niemals einen Dollar gefälscht. Die Banknoten, die ich euch gab, waren so echt wie irgendwelche anderen, und sie waren wohl verwendet. Ich wußte, wie ich mich bei euch in Gunst setzen konnte, und darum täuschte ich euch vor, daß die Polizei hinter mir her sei. Es kam alles so, wie ich es mir ausgedacht hatte.

Darauf trat ich in eure verdammte Loge ein und nahm an euren Beratungen teil. Vielleicht werdet ihr von mir sagen, daß ich so schlecht sei, wie ihr selbst. Aber das ist mir gleichgültig, da ich meinen Zweck erreicht habe. Überdies, was ist denn Wahres daran? In der Nacht meines Eintritts habt ihr den alten Stanger halbtot geschlagen. Ich konnte ihn nicht warnen – dazu war keine Zeit –, aber ich bin dazwischen getreten, als Baldwin ihn umbringen wollte. Wenn ich euch Vorschläge machte, geschah es, um den Anschein zu wahren, und nur in Dingen, von denen ich wußte, daß ich sie verhindern konnte. Ich habe Dunn und Menzies nicht retten können, denn ich wußte von der Sache nicht genug; aber ich werde alles daransetzen, daß ihre Mörder an den Galgen kommen. Ich habe Chestor Wilcox gewarnt, und als ich sein Haus in die Luft sprengte, waren er und seine Leute bereits in Sicherheit. Viele Verbrechen sind begangen worden, die ich nicht verhüten konnte, aber wenn ihr nachdenkt und euch überlegt, wie oft, wenn eure Anschläge erfolgen sollten, eure Opfer auf einem anderen Weg als dem gewöhnlichen zurückkehrten, abwesend waren oder im Hause blieben, wenn ihr dachtet, daß sie ausgehen würden, so werdet ihr mein Werk erkennen.«

»Sie Teufel von einem Verräter,« zischte McGinty durch seine fest zusammengepreßten Zähne.

»Sie mögen mich wohl so nennen, John McGinty, wenn Sie damit Ihren Schmerz lindern können. Sie und Ihresgleichen waren das Werkzeug des Teufels in dieser Gegend. Es bedurfte eines ganzen Mannes, um sich zwischen Sie und die armen Leute, die Sie in Ihrer Gewalt hielten, zu stellen. Es konnte nur auf eine einzige Weise bewerkstelligt werden, und nach der habe ich gehandelt. Sie nennen mich einen Verräter, aber ich bin überzeugt, daß mich viele Tausende eher einen Erlöser nennen werden, der in die Hölle hinuntergestiegen ist, um sie zu retten. Drei Monate habe ich dazu gebraucht, und ich sage euch, daß ich für alle Schätze der Welt nicht noch einmal drei solche Monate durchmachen möchte. Ich mußte bleiben, bis ich alle und alles in der Hand hatte, jedes eurer Geheimnisse und jeden von euch. Ich hätte vielleicht noch länger gezögert, aber ich mußte befürchten, daß mein Geheimnis herauskommen würde. Ein Brief ist nach der Stadt gelangt, der euch auf meine Spur gebracht hätte. Darum mußte ich handeln, und zwar sofort. Das ist alles, was ich euch zu sagen habe. Nur noch das eine: wenn einmal meine Zeit abgelaufen ist, werde ich leichter sterben, wenn ich an das Werk denke, das ich hier in diesem Tal vollbracht habe. Nun, Marvin, will ich Sie nicht länger aufhalten. Nehmt sie in Empfang und laßt uns die Szene beschließen.«

Es bleibt nur noch wenig zu erzählen. Scanlan hatte einen versiegelten Brief empfangen, mit dem Auftrag, ihn Miß Ettie Shafter zu überbringen, was er mit einem vielsagenden Lächeln zu tun versprach. In den ersten Morgenstunden des folgenden Tages bestiegen ein schönes Mädchen und ein schwervermummter Mann einen Sonderzug, der von der Eisenbahngesellschaft nach Vermissa geschickt worden war, und traten eine rasche, aufenthaltslose Fahrt aus dem Lande der Gefahr an. Es war das letztemal, daß Ettie und ihr Liebster den Fuß in das Tal des Grauens setzten. Zehn Tage später fand in Chicago ihre Hochzeit statt, mit dem alten Jakob Shafter als Trauzeugen.

Die Gerichtsverhandlung über die Rächer wurde in einem weit von der Stätte der Verbrechen gelegenen Ort abgehalten, wo keine Gefahr der Einschüchterung der Hüter des Gesetzes bestand. Sie kämpften bis zum letzten Moment, aber vergebens. Das Geld der Loge – Erpressergeld im wahrsten Sinne des Worts – floß wie Wasser in dem vergeblichen Versuch, sie zu retten. Die klare, leidenschaftslose Zeugenaussage eines, der jede Einzelheit ihrer Lebensführung, ihrer ganzen Organisation und alle ihre Verbrechen kannte, war auch durch die geschickteste Verteidigung nicht zu erschüttern. Endlich, nach so vielen Jahren, ereilte die Rächer ihr Schicksal. Die Wolke, die so lange das Tal verdunkelt hatte, zerteilte sich. McGinty fand sein Ende auf dem Schaffott, winselnd und jammernd, als seine letzte Stunde herannahte. Acht seiner Spießgesellen teilten dieses Schicksal. Über fünfzig erhielten mehr oder minder schwere Gefängnisstrafen. Das Werk Birdy Edwards war vollbracht.

Es sollte aber, wie er immer befürchtet hatte, ein Nachspiel haben. Ted Baldwin war seinem Henker entgangen, ebenso die Willabys und einige andere der verwegensten Geister der Bande. Zehn Jahre blieben sie unschädlich, und dann kam der Tag, da man sie wieder freiließ – ein Tag, von dem Edwards wußte, daß er das Ende seiner Ruhe sein werde. Sie hatten bei allem, das sie für heilig hielten, einen Eid geschworen, an ihm für ihre Kameraden blutige Rache zu nehmen. Diese Rache war ihre Lebensaufgabe geworden. Edwards wurde aus Chicago vertrieben, nach zwei Anschlägen, die dem Erfolg so nahe kamen, daß es als sicher gelten konnte, der nächste werde Erfolg haben. Von da ging er unter angenommenem Namen nach Kalifornien, wo ihm die Freude am Leben eine Zeitlang erlosch, als Ettie Edwards starb. Noch einmal später wurde er fast getötet, als er unter dem Namen Douglas in einer einsamen Schlucht mit einem englischen Partner, namens Barker, arbeitete und ein Vermögen zusammenraffte. Er wurde gewarnt, daß die Bluthunde wieder auf seiner Fährte seien. Es gelang ihm gerade noch im letzten Augenblick, nach England zu fliehen. Und so kam es, daß John Douglas, der in England das zweitemal eine würdige Lebensgefährtin fand, sich dort als Gutsbesitzer niederließ und fünf Jahre in Sussex in Frieden leben konnte – ein Leben, das in die ungewöhnlichen Geschehnisse auslief, von denen wir gehört haben.

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