5. Kapitel

Der Hannibalische Krieg bis zur Schlacht bei Cannae

Durch das Erscheinen der karthagischen Armee diesseits der Alpen war mit einem Schlag die Lage der Dinge verwandelt und der römische Kriegsplan gesprengt. Von den beiden römischen Hauptarmeen war die eine in Spanien gelandet und dort schon mit dem Feinde handgemein; sie zurückzuziehen, war nicht mehr möglich. Die zweite, die unter dem Oberbefehl des Konsuls Tiberius Sempronius nach Afrika bestimmt war, stand glücklicherweise noch in Sizilien; die römische Zauderei bewies sich hier einmal von Nutzen. Von den beiden karthagischen nach Italien und Sizilien bestimmten Geschwadern war das erste durch den Sturm zerstreut und einige der Schiffe desselben bei Messana von den syrakusanischen aufgebracht worden; das zweite hatte vergeblich versucht, Lilybäon zu überrumpeln und darauf in einem Seegefecht vor diesem Hafen den kürzeren gezogen. Doch war das Verweilen der feindlichen Geschwader in den italischen Gewässern so unbequem, daß der Konsul beschloß, bevor er nach Afrika überfuhr, die kleinen Inseln um Sizilien zu besetzen und die gegen Italien operierende karthagische Flotte zu vertreiben. Mit der Eroberung von Melite und dem Aufsuchen des feindlichen Geschwaders, das er bei den Liparischen Inseln vermutete, während es bei Vibo (Monteleone) gelandet die brettische Küste brandschatzte, endlich mit der Erkundung eines geeigneten Landungsplatzes an der afrikanischen Küste war ihm der Sommer vergangen, und so traf der Befehl des Senats, so schleunig wie möglich zur Verteidigung der Heimat zurückzukehren, Heer und Flotte noch in Lilybäon.

Während also die beiden großen, jede für sich der Armee Hannibals an Zahl gleichen römischen Armeen in weiter Ferne von dem Potal verweilten, war man hier auf einen Angriff schlechterdings nicht gefaßt. Zwar stand dort ein römisches Heer infolge der unter den Kelten schon vor Ankunft der karthagischen Armee ausgebrochenen Insurrektion. Die Gründung der beiden römischen Zwingburgen Placentia und Cremona, von denen jede 6000 Kolonisten erhielt, und namentlich die Vorbereitungen zur Gründung von Mutina im boischen Lande hatten schon im Frühling 536 (218), vor der mit Hannibal verabredeten Zeit, die Boier zum Aufstand getrieben, dem sich die Insubrer sofort anschlossen. Die schon auf dem mutinensischen Gebiet angesiedelten Kolonisten, plötzlich überfallen, flüchteten sich in die Stadt. Der Prätor Lucius Manlius, der in Ariminum den Oberbefehl führte, eilte schleunig mit seiner einzigen Legion herbei, um die blockierten Kolonisten zu entsetzen; allein in den Wäldern überrascht, blieb ihm nach starkem Verlust nichts anderes übrig, als sich auf einem Hügel festzusetzen und hiervon den Boiern sich gleichfalls belagern zu lassen, bis eine zweite von Rom gesandte Legion unter dem Prätor Lucius Atilius Heer und Stadt glücklich befreite und den gallischen Aufstand für den Augenblick dämpfte. Dieser voreilige Aufstand der Boier, der einerseits, insofern er Scipios Abfahrt nach Spanien verzögerte, Hannibals Plan wesentlich gefördert hatte, war anderseits die Ursache, daß er das Potal nicht bis auf die Festungen völlig unbesetzt fand. Allein das römische Korps, dessen zwei stark dezimierte Legionen keine 20000 Soldaten zählten, hatte genug zu tun, die Kelten im Zaum zu halten, und dachte nicht daran, die Alpenpässe zu besetzen, deren Bedrohung man auch in Rom erst erfuhr, als im August der Konsul Publius Scipio ohne sein Heer von Massalia nach Italien zurückkam, und vielleicht selbst damals wenig beachtete, da ja das tollkühne Beginnen allein an den Alpen scheitern werde. Also stand in der entscheidenden Stunde an dem entscheidenden Platz nicht einmal ein römischer Vorposten; Hannibal hatte volle Zeit, sein Heer auszuruhen, die Hauptstadt der Tauriner, die ihm die Tore verschloß, nach dreitägiger Belagerung zu erstürmen und alle ligurischen und keltischen Gemeinden im oberen Potal zum Bündnis zu bewegen oder zu schrecken, bevor Scipio, der das Kommando im Potal übernommen hatte, ihm in den Weg trat. Dieser, dem die schwierige Aufgabe zufiel, mit einem bedeutend geringeren, namentlich an Reiterei sehr schwachen Heer das Vordringen der überlegenen feindlichen Armee auf- und die überall sich regende keltische Insurrektion niederzuhalten, war, vermutlich bei Placentia, über den Po gegangen und rückte an diesem hinauf dem Feind entgegen, während Hannibal nach der Einnahme von Turin flußabwärts marschierte, um den Insubrern und Boiern Luft zu machen. In der Ebene zwischen dem Ticino und der Sesia unweit Vercellae traf die römische Reiterei, die mit dem leichten Fußvolk zu einer forcierten Rekognoszierung vorgegangen war, auf die zu gleichem Zwecke ausgesendete phönikische, beide geführt von den Feldherren in Person. Scipio nahm das angebotene Gefecht trotz der Überlegenheit des Feindes an; allein sein leichtes Fußvolk, das vor der Front der Reiter aufgestellt war, riß vor dem Stoß der feindlichen schweren Reiterei aus und während diese von vorn die römischen Reitermassen engagierte, nahm die leichte numidische Kavallerie, nachdem sie die zersprengten Scharen des feindlichen Fußvolks beiseite gedrängt hatte, die römischen Reiter in die Flanken und den Rücken. Dies entschied das Gefecht. Der Verlust der Römer war sehr beträchtlich; der Konsul selbst, der als Soldat gutmachte, was er als Feldherr gefehlt hatte, empfing eine gefährliche Wunde und verdankte seine Rettung nur der Hingebung seines siebzehnjährigen Sohnes, der mutig in die Feinde hineinsprengend seine Schwadron zwang, ihm zu folgen und den Vater heraushieb. Scipio, durch dies Gefecht aufgeklärt über die Stärke des Feindes, begriff den Fehler, den er gemacht hatte, mit einer schwächeren Armee sich in der Ebene mit dem Rücken gegen den Fluß aufzustellen und entschloß sich, unter den Augen des Gegners auf das rechte Poufer zurückzukehren. Wie die Operationen sich auf einen engeren Raum zusammenzogen und die Illusionen der römischen Unwiderstehlichkeit von ihm wichen, fand er sein bedeutendes militärisches Talent wieder, das der bis zur Abenteuerlichkeit verwegene Plan seines jugendlichen Gegners auf einen Augenblick paralysiert hatte. Während Hannibal sich zur Feldschlacht bereit machte, gelangte Scipio durch einen rasch entworfenen und sicher ausgeführten Marsch glücklich auf das zur Unzeit verlassene rechte Ufer des Flusses und brach die Pobrücke hinter dem Heere ab, wobei freilich das mit der Deckung des Abbruchs beauftragte römische Detachement von 600 Mann abgeschnitten und gefangen wurde. Indes konnte, da der obere Lauf des Flusses in Hannibals Händen war, es diesem nicht verwehrt werden, daß er stromaufwärts marschierend auf einer Schiffbrücke übersetzte und in wenigen Tagen auf dem rechten Ufer dem römischen Heere gegenübertrat. Dies hatte in der Ebene vorwärts von Placentia Stellung genommen; allein die Meuterei einer keltischen Abteilung im römischen Lager und die ringsum aufs neue ausbrechende gallische Insurrektion zwang den Konsul, die Ebene zu räumen und sich auf den Hügeln hinter der Trebia festzusetzen, was ohne namhaften Verlust bewerkstelligt ward, da die nachsetzenden numidischen Reiter mit dem Plündern und Anzünden des verlassenen Lagers die Zeit verdarben. In dieser starken Stellung, den linken Flügel gelehnt an den Apennin, den rechten an den Po und die Festung Placentia, von vorn gedeckt durch die in dieser Jahreszeit nicht unbedeutende Trebia, vermochte er zwar die reichen Magazine von Clastidium (Casteggio), von dem ihn in dieser Stellung die feindliche Armee abschnitt, nicht zu retten und die insurrektionelle Bewegung fast aller gallischen Kantone mit Ausnahme der römisch gesinnten Cenomanen nicht abzuwenden. Aber Hannibals Weitermarsch war völlig gehemmt und derselbe genötigt, sein Lager dem römischen gegenüber zu schlagen; ferner hinderte die von Scipio genommene Stellung sowie die Bedrohung der insubrischen Grenzen durch die Cenomanen die Hauptmasse der gallischen Insurgenten, sich unmittelbar dem Feinde anzuschließen, und gab dem zweiten römischen Heer, das mittlerweile von Lilybäon in Ariminum eingetroffen war, Gelegenheit, mitten durch das insurgierte Land ohne wesentliche Hinderung Placentia zu erreichen und mit der Poarmee sich zu vereinigen. Scipio hatte also seine schwierige Aufgabe vollständig und glänzend gelöst. Das römische Heer, jetzt nahe an 40000 Mann stark und dem Gegner wenn auch an Reiterei nicht gewachsen, doch an Fußvolk wenigstens gleich, brauchte bloß da stehen zu bleiben, wo es stand, um den Feind entweder zu nötigen, in der winterlichen Jahreszeit den Flußübergang und den Angriff auf das römische Lager zu versuchen oder sein Vorrücken einzustellen und den Wankelmut der Gallier durch die lästigen Winterquartiere auf die Probe zu setzen. Indes so einleuchtend dies war, so war es nicht minder unzweifelhaft, daß man schon im Dezember stand und bei jenem Verfahren zwar vielleicht Rom den Sieg gewann, aber nicht der Konsul Tiberius Sempronius, der infolge von Scipios Verwundung den Oberbefehl allein führte und dessen Amtsjahr in wenigen Monaten ablief. Hannibal kannte den Mann und versäumte nichts, ihn zum Kampf zu reizen; die den Römern treugebliebenen keltischen Dörfer wurden grausam verheert und als darüber ein Reitergefecht sich entspann, gestattete Hannibal den Gegnern, sich des Sieges zu rühmen. Bald darauf, an einem rauhen regnerischen Tage, kam es, den Römern unvermutet, zu der Hauptschlacht. Vom frühesten Morgen an hatten die römischen leichten Truppen herumgeplänkelt mit der leichten Reiterei der Feinde; diese wich langsam, und hitzig eilten die Römer ihr nach durch die hochangeschwollene Trebia, den errungenen Vorteil zu verfolgen. Plötzlich standen die Reiter; die römische Vorhut fand sich auf dem von Hannibal gewählten Schlachtfeld seiner zur Schlacht geordneten Armee gegenüber – sie war verloren, wenn nicht das Gros der Armee schleunigst über den Bach folgte. Hungrig, ermüdet und durchnäßt kamen die Römer an und eilten sich, in Reihe und Glied zu stellen; die Reiter wie immer auf den Flügeln, das Fußvolk im Mitteltreffen. Die leichten Truppen, die auf beiden Seiten die Vorhut bildeten, begannen das Gefecht; allein die römischen hatten fast schon gegen die Reiterei sich verschossen und wichen sofort, ebenso auf den Flügeln die Reiterei, welche die Elefanten von vorn bedrängten und die weit zahlreicheren karthagischen Reiter links und rechts überflügelten. Aber das römische Fußvolk bewies sich seines Namens wert; es focht zu Anfang der Schlacht mit der entschiedensten Überlegenheit gegen die feindliche Infanterie, und selbst als die Zurückdrängung der römischen Reiter der feindlichen Kavallerie und den Leichtbewaffneten gestattete, ihre Angriffe gegen das römische Fußvolk zu kehren, stand dasselbe zwar vom Vordringen ab, aber zum Weichen war es nicht zu bringen. Da plötzlich erschien eine auserlesene karthagische Schar, 1000 Mann zu Fuß und ebensoviele zu Pferd unter der Führung von Mago, Hannibals jüngstem Bruder, aus einem Hinterhalt in dem Rücken der römischen Armee und hieb ein in die dicht verwickelten Massen. Die Flügel der Armee und die letzten Glieder des römischen Zentrums wurden durch diesen Angriff aufgelöst und zersprengt. Das erste Treffen, 10000 Mann stark, durchbrach, sich eng zusammenschließend, die karthagische Linie und bahnte mitten durch die Feinde sich seitwärts einen Ausweg, der der feindlichen Infanterie, namentlich den gallischen Insurgenten teuer zu stehen kam; diese tapfere Truppe gelangte also, nur schwach verfolgt, nach Placentia. Die übrige Masse ward zum größten Teil bei dem Versuch, den Fluß zu überschreiten, von den Elefanten und den leichten Truppen des Feindes niedergemacht; nur ein Teil der Reiterei und einige Abteilungen des Fußvolks vermochten den Fluß durchwatend das Lager zu gewinnen, wohin ihnen die Karthager nicht folgten, und erreichten von da gleichfalls Placentia24

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Die Folge dieses ersten Sieges der Invasionsarmee war, daß die nationale Insurrektion sich nun im ganzen Kettenland ungestört erhob und organisierte. Die Überreste der römische Poarmee warfen sich in die Festungen Placentia und Cremona; vollständig abgeschnitten von der Heimat, mußten sie ihre Zufuhren auf dem Fluß zu Wasser beziehen. Nur wie durch ein Wunder entging der Konsul Tiberius Sempronius der Gefangenschaft, als er mit einem schwachen Reitertrupp der Wahlen wegen nach Rom ging. Hannibal, der nicht durch weitere Märsche in der rauben Jahreszeit die Gesundheit seiner Truppen aufs Spiel setzen wollte, bezog, wo er war, das Winterbiwak und begnügte sich, da ein ernstlicher Versuch auf die größeren Festungen zu nichts geführt haben würde, durch Angriffe auf den Flußhafen von Placentia und andere kleinere römische Positionen den Feind zu necken. Hauptsächlich beschäftigte er sich damit, den gallischen Aufstand zu organisieren; über 60000 Fußsoldaten und 4000 Berittene sollen von den Kelten sich seinem Heer angeschlossen haben.

Für den Feldzug des Jahres 537 (217) wurden in Rom keine außerordentlichen Anstrengungen gemacht; der Senat betrachtete, und nicht mit Unrecht, trotz der verlorenen Schlacht die Lage noch keineswegs als ernstlich gefahrvoll. Außer den Küstenbesatzungen, die nach Sardinien, Sizilien und Tarent, und den Verstärkungen, die nach Spanien abgingen, erhielten die beiden neuen Konsuln Gaius Flaminius und Gnaeus Servilius nur soviel Mannschaft, als nötig war, um die vier Legionen wieder vollzählig zu machen; einzig die Reiterei wurde verstärkt. Sie sollten die Nordgrenze decken und stellten sich deshalb an den beiden Kunststraßen auf, die von Rom nach Norden führten, und von denen die westliche damals bei Arretium, die östliche bei Ariminum endigte; jene besetzte Gaius Flaminius, diese Gnaeus Servilius. Hier zogen sie die Truppen aus den Pofestungen, wahrscheinlich zu Wasser, wieder an sich und erwarteten den Beginn der besseren Jahreszeit, um in der Defensive die Apenninpässe zu besetzen und, zur Offensive übergehend, in das Potal hinabzusteigen und etwa bei Placentia sich die Hand zu reichen. Allein Hannibal hatte keineswegs die Absicht, das Potal zu verteidigen. Er kannte Rom besser vielleicht, als die Römer selbst es kannten, und wußte sehr genau, wie entschieden er der Schwächere war und es blieb trotz der glänzenden Schlacht an der Trebia; er wußte auch, daß sein letztes Ziel, die Demütigung Roms, von dem zähen römischen Trotz weder durch Schreck noch durch Überraschung zu erreichen sei, sondern nur durch die tatsächliche Überwältigung der stolzen Stadt. Es lag klar am Tage, wie unendlich ihm, dem von daheim nur unsichere und unregelmäßige Unterstützung zukam und der in Italien zunächst nur auf das schwankende und latinische Kelterwolk sich zu lehnen vermochte, die italische Eidgenossenschaft an politischer Festigkeit und an militärischen Hilfsmitteln überlegen war; und wie tief trotz aller angewandten Mühe der phönikische Fußsoldat unter dem Legionär taktisch stand, hatte die Defensive Scipios und der glänzende Rückzug der geschlagenen Infanterie an der Trebia vollkommen erwiesen. Aus dieser Einsicht flossen die beiden Grundgedanken, die Hannibals ganze Handlungsweise in Italien bestimmt haben: den Krieg mit stetem Wechsel des Operationsplans und des Schauplatzes, gewissermaßen abenteuernd zu führen, die Beendigung desselben aber nicht von den militärischen Erfolgen, sondern von den politischen, von der allmählichen Lockerung und der endlichen Sprengung der italischen Eidgenossenschaft zu erwarten. Jene Führung war notwendig, weil das einzige, was Hannibal gegen so viele Nachteile in die Waagschale zu werfen hatte, sein militärisches Genie nur dann vollständig ins Gewicht fiel, wenn er seine Gegner stets durch unvermutete Kombinationen deroutierte, und er verloren war, sowie der Krieg zum Stehen kam. Dieses Ziel war das von der richtigen Politik ihm gebotene, weil er, der gewaltige Schlachtensieger, sehr deutlich einsah, daß er jedesmal die Generale überwand und nicht die Stadt, und nach jeder neuen Schlacht die Römer den Karthagern ebenso überlegen blieben, wie er den römischen Feldherren. Daß Hannibal selbst auf dem Gipfel des Glücks sich nie hierüber getäuscht hat, ist bewunderungswürdiger als seine bewundertsten Schlachten.

Dies und nicht die Bitten der Gallier um Schonung ihres Landes, die ihn nicht bestimmen durften, ist auch die Ursache, warum Hannibal seine neugewonnene Operationsbasis gegen Italien jetzt gleichsam fallen ließ und den Kriegsschauplatz nach Italien selbst verlegte. Vorher hieß er alle Gefangenen sich vorführen. Die Römer ließ er aussondern und mit Sklavenfesseln belasten – daß Hannibal alle waffenfähigen Römer, die ihm hier und sonst in die Hände fielen, habe niedermachen lassen, ist ohne Zweifel mindestens stark übertrieben; dagegen wurden die sämtlichen italischen Bundesgenossen ohne Lösegeld entlassen, um daheim zu berichten, daß Hannibal nicht gegen Italien Krieg führe, sondern gegen Rom; daß er jeder italischen Gemeinde die alte Unabhängigkeit und die alten Grenzen wieder zusichere und daß den Befreiten der Befreier auf dem Fuße folge als Retter und als Rächer. In der Tat bracher, da der Winter zu Ende ging, aus dem Potal auf, um sich einen Weg durch die schwierigen Defileen des Apennin zu suchen. Gaius Flaminius mit der etruskischen Armee stand vorläufig noch bei Arezzo, um von hier aus zur Deckung des Arnotales und der Apenninpässe etwa nach Lucca abzurücken, sowie es die Jahreszeit erlaubte. Allein Hannibal kam ihm zuvor. Der Apenninübergang ward in möglichst westlicher Richtung, das heißt möglichst weit vom Feinde, ohne große Schwierigkeit bewerkstelligt; allein die sumpfigen Niederungen zwischen dem Serchio und dem Arno waren durch die Schneeschmelze und die Frühlingsregen so überstaut, daß die Armee vier Tage im Wasser zu marschieren hatte, ohne auch nur zur nächtlichen Rast einen anderen trockenen Platz zu finden, als den das zusammengehäufte Gepäck und die gefallenen Saumtiere darboten. Die Truppen litten unsäglich, namentlich das gallische Fußvolk, das hinter dem karthagischen in den schon grundlosen Wegen marschierte; es murrte laut und wäre ohne Zweifel in Masse ausgerissen, wenn nicht die karthagische Reiterei unter Mago, die den Zug beschloß, ihm die Flucht unmöglich gemacht hätte. Die Pferde, unter denen die Klauenseuche ausbrach, fielen haufenweise; andere Seuchen dezimierten die Soldaten; Hannibal selbst verlor infolge einer Entzündung das eine Auge. Indes das Ziel ward erreicht; Hannibal lagerte bei Fiesole, während Gaius Flaminius noch bei Arezzo abwartete, daß die Wege gangbar würden, um sie zu sperren. Nachdem die römische Defensivstellung somit umgangen war, konnte der Konsul, der vielleicht stark genug gewesen wäre, um die Bergpässe zu verteidigen, aber sicher nicht imstande war, Hannibal jetzt im offenen Felde zu stehen, nichts Besseres tun als warten, bis das zweite, nun bei Ariminum völlig überflüssig gewordene Heer herankam. Indes er selber urteilte anders. Er war ein politischer Parteiführer, durch seine Bemühungen, die Macht des Senats zu beschränken, in die Höhe gekommen, durch die gegen ihn während seiner Konsulate gesponnenen aristokratischen Intrigen auf die Regierung erbittert, durch die wohl gerechtfertigte Opposition gegen deren parteilichen Schlendrian fortgerissen zu trotziger Überhebung über Herkommen und Sitte, berauscht zugleich von der blinden Liebe des gemeinen Mannes und ebenso sehr von dem bitteren Haß der Herrenpartei, und über alles dies mit der fixen Idee behaftet, daß er ein militärisches Genie sei. Sein Feldzug gegen die Insubrer von 531 (223), der für unbefangene Urteiler nur bewies, daß tüchtige Soldaten öfters gutmachen, was schlechte Generale verderben, galt ihm und seinen Anhängern als der unumstößliche Beweis, daß man nur den Gaius Flaminius an die Spitze des Heeres zu stellen brauche, um dem Hannibal ein schnelles Ende zu bereiten. Solche Reden hatten ihm das zweite Konsulat verschafft, und solche Hoffnungen hatten jetzt eine derartige Menge von unbewaffneten Beutelustigen in sein Lager geführt, daß deren Zahl nach der Versicherung nüchterner Geschichtschreiber die der Legionarier überstieg. Zum Teil hierauf gründete Hannibal seinen Plan. Weit entfernt, ihn anzugreifen, marschierte er an ihm vorbei und ließ durch die Kelten, die das Plündern gründlich verstanden, und die zahlreiche Reiterei die Landschaft rings umher brandschatzen. Die Klagen und die Erbitterung der Menge, die sich mußte ausplündern lassen unter den Augen des Helden, der sie zu bereichern versprochen; das Bezeigen des Feindes, daß er ihm weder die Macht noch den Entschluß zutraue, vor der Ankunft seines Kollegen etwas zu unternehmen, mußten einen solchen Mann bestimmen, sein strategisches Genie zu entwickeln und dem unbesonnenen hochmütigen Feind eine derbe Lektion zu erteilen. Nie ist ein Plan vollständiger gelungen. Eilig folgte der Konsul dem Marsch des Feindes, der an Arezzo vorüber langsam durch das reiche Chianatal gegen Perugia zog; er erreichte ihn in der Gegend von Cortona, wo Hannibal, genau unterrichtet von dem Marsch seines Gegners, volle Zeit gehabt hatte, sein Schlachtfeld zu wählen, ein enges Defilee zwischen zwei steilen Bergwänden, das am Ausgang ein hoher Hügel, am Eingang der Trasimenische See schloß. Mit dem Kern seiner Infanterie verlegte er den Ausweg; die leichten Truppen und die Reiterei stellten zu beiden Seiten verdeckt sich auf. Unbedenklich rückten die römischen Kolonnen in den unbesetzten Paß; der dichte Morgennebel verbarg ihnen die Stellung des Feindes. Wie die Spitze des römischen Zuges sich dein Hügel näherte, gab Hannibal das Zeichen zur Schlacht; zugleich schloß die Reiterei, hinter den Hügeln vorrückend, den Eingang des Passes und auf den Rändern rechts und links zeigten die verziehenden Nebel überall phönikische Waffen. Es war kein Treffen, sondern nur eine Niederlage. Was außerhalb des Defilees geblieben war, wurde von den Reitern in den See gesprengt, der Hauptzug in dem Passe selbst fast ohne Gegenwehr vernichtet und die meisten, darunter der Konsul selbst, in der Marschordnung niedergehauen. Die Spitze der römischen Heersäule, 6000 Mann zu Fuß schlugen sich zwar durch das feindliche Fußvolk durch und bewiesen wiederum die unwiderstehliche Gewalt der Legionen; allein abgeschnitten und ohne Kunde von dem übrigen Heer, marschierten sie aufs Geratewohl weiter, wurden am folgenden Tag auf einem Hügel, den sie besetzt hatten, von einem karthagischen Reiterkorps umzingelt und da die Kapitulation, die ihnen freien Abzug versprach, von Hannibal verworfen ward, sämtlich als kriegsgefangen behandelt. 15000 Römer waren gefallen, ebenso viele gefangen, das heißt das Heer war vernichtet; der geringe karthagische Verlust – 1500 Mann – traf wieder vorwiegend die Gallier26. Und als wäre dies nicht genug, so ward gleich nach der Schlacht am Trasimenischen See die Reiterei des ariminensischen Heeres unter Gaius Centenius, 4000 Mann stark, die Gnaeus Servilius, selber langsam nachrückend, vorläufig seinem Kollegen zu Hilfe sandte, gleichfalls von dem phönikischen Heer umzingelt und teils niedergemacht, teils gefangen. Ganz Etrurien war verloren und ungehindert konnte Hannibal auf Rom marschieren. Dort machte man sich auf das Äußerste gefaßt; man brach die Tiberbrücken ab und ernannte den Quintus Fabius Maximus zum Diktator, um die Mauern instand zu setzen und die Verteidigung zu leiten, für welche ein Reserveheer gebildet ward. Zugleich wurden zwei neue Legionen anstatt der vernichteten unter die Waffen gerufen und die Flotte, die im Fall einer Belagerung wichtig werden konnte, instand gesetzt.

Allein Hannibal sah weiter als König Pyrrhos. Er marschierte nicht auf Rom; auch nicht gegen Gnaeus Servilius, der, ein tüchtiger Feldherr, seine Armee mit Hilfe der Festungen an der Nordstraße auch jetzt unversehrt erhalten und vielleicht den Gegner sich gegenüber festgehalten haben würde. Es geschah wieder einmal etwas ganz Unerwartetes. An der Festung Spoletium vorbei, deren Überrumpelung fehlschlug, marschierte Hannibal durch Umbrien, verheerte entsetzlich das ganz mit römischen Bauernhöfen bedeckte picenische Gebiet und machte Halt an den Ufern des Adriatischen Meeres. Menschen und Pferde in seinem Heer hatten noch die Nachwehen der Frühlingskampagne nicht verwunden; hier hielt er eine längere Rast, um in der anmutigen Gegend und der schönen Jahreszeit sein Heer sich erholen zu lassen und sein libysches Fußvolk in römischer Weise zu reorganisieren, wozu die Masse der erbeuteten römischen Waffen ihm die Mittel darbot. Von hier aus knüpfte er ferner die lange unterbrochenen Verbindungen mit der Heimat wieder an, indem er zu Wasser seine Siegesbotschaften nach Karthago sandte. Endlich, als sein Heer hinreichend sich wiederhergestellt hatte und der neue Waffendienst genugsam geübt war, brach er auf und marschierte langsam an der Küste hinab in das südliche Italien hinein.

Er hatte richtig gerechnet, als er zu dieser Umgestaltung der Infanterie sich jetzt entschloß; die Überraschung der beständig eines Angriffs auf die Hauptstadt gewärtigen Gegner ließ ihm mindestens vier Wochen ungestörter Muße zur Verwirklichung des beispiellos verwegenen Experiments, im Herzen des feindlichen Landes mit einer noch immer verhältnismäßig geringen Armee sein militärisches System vollständig zu ändern und den Versuch zu machen, den unbesiegbaren italischen afrikanische Legionen gegenüberzustellen. Allein seine Hoffnung, daß die Eidgenossenschaft nun anfangen werde, sich zu lockern, erfüllte sich nicht. Auf die Etrusker, die schon ihre letzten Unabhängigkeitskriege vorzugsweise mit gallischen Söldnern geführt hatten, kam es hierbei am wenigsten an; der Kern der Eidgenossenschaft, namentlich in militärischer Hinsicht, waren nächst den latinischen die sabellischen Gemeinden, und mit gutem Grund hatte Hannibal jetzt diesen sich genähert. Allein eine Stadt nach der andern schloß ihre Tore; nicht eine einzige italische Gemeinde machte Bündnis mit dem Phöniker. Damit war für die Römer viel, ja alles gewonnen; indes man begriff in der Hauptstadt, wie unvorsichtig es sein würde, die Treue der Bundesgenossen auf eine solche Probe zu stellen, ohne daß ein römisches Heer das Feld hielt. Der Diktator Quintus Fabius zog die beiden in Rom gebildeten Ersatzlegionen und das Heer von Ariminum zusammen, und als Hannibal an der römischen Festung Luceria vorbei gegen Arpi marschierte, zeigten sich in seiner rechten Flanke bei Aeca die römischen Feldzeichen. Ihr Führer indes verfuhr anders als seine Vorgänger. Quintus Fabius war ein hochbejahrter Mann, von einer Bedachtsamkeit und Festigkeit, die nicht wenigen als Zauderei und Eigensinn erschien; ein eifriger Verehrer der guten alten Zeit, der politischen Allmacht des Senats und des Bürgermeisterkommandos erwartete er das Heil des Staates nächst Opfern und Gebeten von der methodischen Kriegführung. Politischer Gegner des Gaius Flaminius und durch die Reaktion gegen dessen törichte Kriegsdemagogie an die Spitze der Geschäfte gerufen, ging er ins Lager ab, ebenso fest entschlossen, um jeden Preis eine Hauptschlacht zu vermeiden, wie sein Vorgänger, um jeden Preis eine solche zu liefern, und ohne Zweifel überzeugt, daß die ersten Elemente der Strategik Hannibal verbieten würden vorzurücken, solange das römische Heer intakt ihm gegenüberstehe, und daß es also nicht schwer halten werde, die auf das Fouragieren angewiesene feindliche Armee im kleinen Gefecht zu schwächen und allmählich auszuhungern. Hannibal, wohlbedient von seinen Spionen in Rom und im römischen Heer, erfuhr den Stand der Dinge sofort und richtete wie immer seinen Feldzugsplan ein nach der Individualität des feindlichen Anführers. An dem römischen Heer vorbei marschierte er über den Apennin in das Herz von Italien nach Benevent, nahm die offene Stadt Telesia an der Grenze von Samnium und Kampanien und wandte sich von da gegen Capua, das als die bedeutendste unter allen von Rom abhängigen italischen Städten und die einzige Rom einigermaßen ebenbürtige darum den Druck des römischen Regiments schwerer als irgendeine andere empfand. Er hatte dort Verbindungen angeknüpft, die den Abfall der Kampaner vom römischen Bündnis hoffen ließen: allein diese Hoffnung schlug ihm fehl. So wieder rückwärts sich wendend schlug er die Straße nach Apulien ein. Der Diktator war während dieses ganzen Zuges der karthagischen Armee auf die Höhen gefolgt und hatte seine Soldaten zu der traurigen Rolle verurteilt, mit den Waffen in der Hand zuzusehen, wie die numidischen Reiter weit und breit die treuen Bundesgenossen plünderten und in der ganzen Ebene die Dörfer in Flammen aufgingen. Endlich eröffnete er der erbitterten römischen Armee die sehnlich herbeigewünschte Gelegenheit, an den Feind zu kommen. Wie Hannibal den Rückmarsch angetreten, sperrte ihm Fabius den Weg bei Casilinum (dem heutigen Capua), indem er auf dem linken Ufer des Volturnus diese Stadt stark besetzte und auf dem rechten die krönenden Höhen mit seiner Hauptarmee einnahm, während eine Abteilung von 4000 Mann auf der am Fluß hinführenden Straße selbst sich lagerte. Allein Hannibal hieß seine Leichtbewaffneten die Anhöhen, die unmittelbar neben der Straße sich erhoben, erklimmen und von hier aus eine Anzahl Ochsen mit angezündeten Reisbündeln auf den Hörnern vortreiben, so daß es schien, als zöge dort die karthagische Armee in nächtlicher Weile bei Fackelschein ab. Die römische Abteilung, die die Straße sperrte, sich umgangen und die fernere Deckung der Straße überflüssig wähnend, zog sich seitwärts auf dieselben Anhöhen; auf der dadurch freigewordenen Straße zog Hannibal dann mit dem Gros seiner Armee ab, ohne dem Feind zu begegnen, worauf er am anderen Morgen ohne Mühe und mit starkem Verlust für die Römer seine leichten Truppen degagierte und zurücknahm. Ungehindert setzte Hannibal darauf seinen Marsch in nordöstlicher Richtung fort und kam auf weiten Umwegen, nachdem er die Landschaften der Hirpiner, Kampaner, Samniten, Paeligner und Frentaner ohne Widerstand durchzogen und gebrandschatzt hatte, mit reicher Beute und voller Kasse wieder in der Gegend von Luceria an, als dort eben die Ernte beginnen sollte. Nirgend auf dem weiten Marsch hatte er tätigen Widerstand, aber nirgend auch Bundesgenossen gefunden. Wohl erkennend, daß ihm nichts übrig blieb, als sich auf Winterquartiere im offenen Felde einzurichten, begann er die schwierige Operation, den Winterbedarf des Heeres durch dieses selbst von den Feldern der Feinde einbringen zu lassen. Die weite, größtenteils flache nordapulische Landschaft, die Getreide und Futter im Überfluß darbot und von seiner überlegenen Reiterei gänzlich beherrscht werden konnte, hatte er hierzu sich ausersehen. Bei Gerunium, fünf deutsche Meilen nördlich von Luceria, ward ein verschanztes Lager angelegt, aus dem zwei Drittel des Heeres täglich zum Einbringen der Vorräte ausgesendet wurden, während Hannibal mit dem Rest Stellung nahm, um das Lager und die ausgesendeten Detachements zu decken. Der Reiterführer Marcus Minucius, der im römischen Lager in Abwesenheit des Diktators den Oberbefehl stellvertretend führte, hielt die Gelegenheit geeignet, um näher an den Feind heranzurücken und bezog ein Lager im larinatischen Gebiet, wo er auch teils durch seine bloße Anwesenheit die Detachierungen und dadurch die Verproviantierung des feindlichen Heeres hinderte, teils in einer Reihe glücklicher Gefechte, die seine Truppen gegen einzelne phönikische Abteilungen und sogar gegen Hannibal selbst bestanden, die Feinde aus ihren vorgeschobenen Stellungen verdrängte und sie nötigte, sich bei Gerunium zu konzentrieren. Auf die Nachricht von diesen Erfolgen, die begreiflich bei der Darstellung nicht verloren, brach in der Hauptstadt der Sturm gegen Quintus Fabius los. Er war nicht ganz ungerechtfertigt. So weise es war, sich römischerseits verteidigend zu verhalten und den Haupterfolg von dem Abschneiden der Subsistenzmittel des Feindes zu erwarten, so war es doch ein seltsames Verteidigungs- und Aushungerungssystem, das dem Feind gestattete, unter den Augen einer an Zahl gleichen römischen Armee ganz Mittelitalien ungehindert zu verwüsten und durch eine geordnete Fouragierung im größten Maßstab sich für den Winter hinreichend zu verproviantieren. So hatte Publius Scipio, als er im Potal kommandierte, die defensive Haltung nicht verstanden, und der Versuch seines Nachfolgers, ihn nachzuahmen, war bei Casilinum auf eine Weise gescheitert, die den städtischen Spottvögeln reichlichen Stoff gab. Es war bewundernswert, daß die italischen Gemeinden nicht wankten, als ihnen Hannibal die Überlegenheit der Phöniker, die Nichtigkeit der römischen Hilfe so fühlbar dartat; allein wie lange konnte man ihnen zumuten, die zwiefache Kriegslast zu ertragen und sich unter den Augen der römischen Truppen und ihrer eigenen Kontingente ausplündern zu lassen? Endlich, was das römische Heer anlangte, so konnte man nicht sagen, daß es den Feldherrn zu dieser Kriegführung nötigte; es bestand seinem Kerne nach aus den tüchtigen Legionen von Ariminum und daneben aus einberufener, größtenteils ebenfalls dienstgewohnter Landwehr, und weit entfernt, durch die letzten Niederlagen entmutigt zu sein, war es erbittert über die wenig ehrenvolle Aufgabe, die sein Feldherr, „Hannibals Lakai“, ihm zuwies, und verlangte mit lauter Stimme, gegen den Feind geführt zu werden. Es kam zu den heftigsten Auftritten in den Bürgerversammlungen gegen den eigensinnigen alten Mann; seine politischen Gegner, an ihrer Spitze der gewesene Prätor Gaius Terentius Varro, bemächtigten sich des Haders – wobei man nicht vergessen darf, daß der Diktator tatsächlich vom Senat ernannt ward, und dies Amt galt als das Palladium der konservativen Partei – und setzten im Verein mit den unmutigen Soldaten und den Besitzern der geplünderten Güter den verfassungs- und sinnwidrigen Volksbeschluß durch: die Diktatur, die dazu bestimmt war, in Zeiten der Gefahr die Übelstände des geteilten Oberbefehls zu beseitigen, in gleicher Weise wie dem Quintus Fabius auch dessen bisherigem Unterfeldherrn Marcus Minucius zu erteilen27. So wurde die römische Armee, nachdem ihre gefährliche Spaltung in zwei abgesonderte Korps eben erst zweckmäßig beseitigt worden war, nicht bloß wiederum geteilt, sondern auch an die Spitze der beiden Hälften Führer gestellt, welche offenkundig geradezu entgegengesetzte Kriegspläne befolgten. Quintus Fabius blieb natürlich mehr als je bei seinem methodischen Nichtstun; Marcus Minucius, genötigt, seinen Diktatortitel auf dem Schlachtfelde zu rechtfertigen, griff übereilt und mit geringen Streitkräften an und wäre vernichtet worden, wenn nicht hier sein Kollege durch das rechtzeitige Erscheinen eines frischen Korps größeres Unglück abgewandt hätte. Diese letzte Wendung der Dinge gab dem System des passiven Widerstandes gewissermaßen Recht. Allein in der Tat hatte Hannibal in diesem Feldzug vollständig erreicht, was mit den Waffen erreicht werden konnte: nicht eine einzige wesentliche Operation hatten weder der stürmische noch der bedächtige Gegner ihm vereitelt, und seine Verproviantierung war, wenn auch nicht ohne Schwierigkeit, doch im wesentlichen so vollständig gelungen, daß dem Heer in dem Lager bei Gerunium der Winter ohne Beschwerde vorüberging. Nicht der Zauderer hat Rom gerettet, sondern das feste Gefüge seiner Eidgenossenschaft und vielleicht nicht minder der Nationalhaß der Okzidentalen gegen den phönikischen Mann.

Trotz aller Unfälle stand der römische Stolz nicht minder aufrecht als die römische Symmachie. Die Geschenke, welche der König Hieron von Syrakus und die griechischen Städte in Italien für den nächsten Feldzug anboten – die letzteren traf der Krieg minder schwer als die übrigen italischen Bundesgenossen Roms, da sie nicht zum Landheer stellten –, wurden mit Dank abgelehnt; den illyrischen Häuptlingen zeigte man an, daß sie nicht säumen möchten mit Entrichtung des Tributs; ja man beschickte den König von Makedonien abermals um die Auslieferung des Demetrios von Pharos. Die Majorität des Senats war trotz der Quasilegitimation, welche die letzten Ereignisse dem Zaudersystem des Fabius gegeben hatten, doch fest entschlossen, von dieser den Staat zwar langsam, aber sicher zugrunde richtenden Kriegführung abzugehen; wenn der Volksdiktator mit seiner energischeren Kriegführung gescheitert war, so schob man, und nicht mit Unrecht, die Ursache darauf, daß man eine halbe Maßregel getroffen und ihm zu wenig Truppen gegeben habe. Diesen Fehler beschloß man zu vermeiden und ein Heer aufzustellen, wie Rom noch keines ausgesandt hatte: acht Legionen, jede um ein Fünftel über die Normalzahl verstärkt, und die entsprechende Anzahl Bundesgenossen, genug, um den nicht halb so starken Gegner zu erdrücken. Außerdem ward eine Legion unter dem Prätor Lucius Postumius nach dem Potal bestimmt, um womöglich die in Hannibals Heer dienenden Kelten nach der Heimat zurückzuziehen. Diese Beschlüsse waren verständig; es kam nur darauf an, auch über den Oberbefehl angemessen zu bestimmen. Das starre Auftreten des Quintus Fabius und die daran sich anspinnenden demagogischen Hetzereien hatten die Diktatur und überhaupt den Senat unpopulärer gemacht als je; im Volke ging, wohl nicht ohne Schuld seiner Führer, die törichte Rede, daß der Senat den Krieg absichtlich in die Länge ziehe. Da also an die Ernennung eines Diktators nicht zu denken war, versuchte der Senat die Wahl der Konsuln angemessen zu leiten, was indes den Verdacht und den Eigensinn erst recht rege machte. Mit Mühe brachte der Senat den einen seiner Kandidaten durch, den Lucius Aemilius Paullus, der im Jahre 535 (219) den Illyrischen Krieg verständig geführt hatte; die ungeheure Majorität der Bürger gab ihm zum Kollegen den Kandidaten der Volkspartei Gaius Terentius Varro, einen unfähigen Mann, der nur durch seine verbissene Opposition gegen den Senat und namentlich als Haupturheber der Wahl des Marcus Minucius zum Mitdiktator bekannt war, und den nichts der Menge empfahl als seine niedrige Geburt und seine rohe Unverschämtheit.

Während diese Vorbereitungen zu dem nächsten Feldzug in Rom getroffen wurden, hatte der Krieg bereits in Apulien wieder begonnen. Sowie die Jahreszeit es gestattete, die Winterquartiere zu verlassen, brach Hannibal, wie immer den Krieg bestimmend und die Offensive für sich nehmend, von Gerunium in der Richtung nach Süden auf, überschritt an Luceria vorbeimarschierend den Aufidus und nahm das Kastell von Cannae (zwischen Canosa und Barletta), das die canusinische Ebene beherrschte und den Römern bis dahin als Hauptmagazin gedient hatte. Die römische Armee, welche, nachdem Fabius in der Mitte des Herbstes verfassungsmäßig seine Diktatur niedergelegt hatte, jetzt von Gnaeus Servilius und Marcus Regulus zuerst als Konsuln; dann als Prokonsuln kommandiert wurde, hatte den empfindlichen Verlust nicht abzuwenden gewußt; aus militärischen wie aus politischen Rücksichten ward es immer notwendiger, den Fortschritten Hannibals durch eine Feldschlacht zu begegnen. Mit diesem bestimmten Auftrag des Senats trafen denn auch die beiden neuen Oberbefehlshaber Paullus und Varro im Anfang des Sommers 538 (216) in Apulien ein. Mit den vier neuen Legionen und dem entsprechenden Kontingent der Italiker, die sie heranführten, stieg die römische Armee auf 80000 Mann zu Fuß, halb Bürger, halb Bundesgenossen, und 6000 Reiter, wovon ein Drittel Bürger, zwei Drittel Bundesgenossen waren; wogegen Hannibals Armee zwar 10000 Reiter, aber nur etwa 40000 Mann zu Fuß zählte. Hannibal wünschte nichts mehr als eine Schlacht, nicht bloß aus den allgemeinen, früher erörterten Gründen, sondern auch besonders deshalb, weil das weite apulische Blachfeld ihm gestattete, die ganze Überlegenheit seiner Reiterei zu entwickeln und weil die Verpflegung seiner zahlreichen Armee, hart an dem doppelt so starken und auf eine Reihe von Festungen gestützten Feind, trotz seiner überlegenen Reiterei sehr bald ungemein schwierig zu werden drohte. Auch die Führer der römischen Streitmacht waren, wie gesagt, im allgemeinen entschlossen zu schlagen und näherten in dieser Absicht sich dem Feinde; allein die einsichtigeren unter ihnen erkannten Hannibals Lage und beabsichtigten daher, zunächst zu warten und nur nahe am Feinde sich aufzustellen, um ihn zum Abzug und zur Annahme der Schlacht auf einem ihm minder günstigen Terrain zu nötigen. Hannibal lagerte bei Cannae am rechten Ufer des Aufidus. Paullus schlug sein Lager an beiden Ufern des Flusses auf, so daß die Hauptmacht am linken Ufer zu stehen kam, ein starkes Korps aber am rechten unmittelbar dem Feind gegenüber Stellung nahm, um ihm die Zufuhren zu erschweren, vielleicht auch Cannae zu bedrohen. Hannibal, dem alles daran lag, bald zum Schlagen zu kommen, überschritt mit dem Gros seiner Truppen den Strom und bot auf dem linken Ufer die Schlacht an, die Paullus nicht annahm. Allein dem demokratischen Konsul mißfiel dergleichen militärische Pedanterie; es war so viel davon geredet worden, daß man ausziehe, nicht um Posten zu stehen, sondern um die Schwerter zu gebrauchen; er befahl, auf den Feind zu gehen, wo und wie man ihn eben fand. Nach der alten törichterweise beibehaltenen Sitte wechselte die entscheidende Stimme im Kriegsrat zwischen dem Oberfeldherren Tag um Tag; man mußte also am folgenden Tage sich fügen und dem Helden von der Gasse seinen Willen tun. Auf dem linken Ufer, wo das weite Blachfeld der überlegenen Reiterei des Feindes vollen Spielraum bot, wollte allerdings auch er nicht schlagen; aber er beschloß, die gesamten römischen Streitkräfte auf dem rechten zu vereinigen und hier, zwischen den karthagischen Lager und Cannae Stellung nehmend und dieses ernstlich bedrohend, die Schlacht anzubieten. Eine Abteilung von 10000 Mann blieb in dem römischen Hauptlager zurück mit dem Auftrag, das karthagische während des Gefechts wegzunehmen und damit dem feindlichen Heere den Rückzug über den Fluß abzuschneiden; das Gros der römischen Armee überschritt mit dem grauenden Morgen des 2. August nach dem unberichtigten, etwa im Juni nach dem richtigen Kalender, den in dieser Jahreszeit seichten und die Bewegungen der Truppen nicht wesentlich hindernden Fluß und stellte bei dem kleineren römischen Lager westlich von Cannae sich in Linie auf. Die karthagische Armee folgte und überschritt gleichfalls den Strom, an den der rechte römische wie der linke karthagische Flügel sich lehnten. Die römische Reiterei stand auf den Flügeln, die schwächere der Bürgerwehr auf dem rechten am Fluß, geführt von Paullus, die stärkere bundesgenössische auf dem linken gegen die Ebene, geführt von Varro. Im Mitteltreffen stand das Fußvolk in ungewöhnlich tiefen Gliedern unter dem Befehl des Konsuls des Vorjahrs, Gnaeus Servilius. Diesem gegenüber ordnete Hannibal sein Fußvolk in halbmondförmiger Stellung, so daß die keltischen und iberischen Truppen in ihrer nationalen Rüstung die vorgeschobene Mitte, die römisch gerüsteten Libyer auf beiden Seiten die zurückgenommenen Flügel bildeten. An der Flußseite stellte die gesamte schwere Reiterei unter Hasdrubal sich auf, an der Seite nach der Ebene hinaus die leichten numidischen Reiter. Nach kurzem Vorpostengefecht der leichten Truppen war bald die ganze Linie im Gefecht. Wo die leichte Reiterei der Karthager gegen Varros schwere Kavallerie focht, zog das Gefecht unter stetigen Chargen der Numidier ohne Entscheidung sich hin. Dagegen im Mitteltreffen warfen die Legionen die ihnen zuerst begegnenden spanischen und gallischen Truppen vollständig; eilig drängten die Sieger nach und verfolgten ihren Vorteil. Allein mittlerweile hatte auf dem rechten Flügel das Glück sich gegen die Römer gewandt. Hannibal hatte den linken Reiterflügel der Feinde bloß beschäftigen lassen, um Hasdrubal mit der ganzen regulären Reiterei gegen den schwächeren rechten zu verwenden und diesen zuerst zu werfen. Nach tapferer Gegenwehr wichen die römischen Reiter und was nicht niedergehauen ward, wurde den Fluß hinaufgejagt und in die Ebene versprengt; verwundert ritt Paullus zu dem Mitteltreffen, das Schicksal der Legionen zu wenden oder doch zu teilen. Diese hatten, um den Sieg über die vorgeschobene feindliche Infanterie besser zu verfolgen, ihre Frontstellung in eine Angriffskolonne verwandelt, die keilförmig eindrang in das feindliche Zentrum. In dieser Stellung wurden sie von dem rechts und links einschwenkenden libyschen Fußvolk von beiden Seiten heftig angegriffen und ein Teil von ihnen gezwungen, Halt zu machen, um gegen die Flankenangriffe sich zu verteidigen, wodurch das Vorrücken ins Stocken kam und die ohnehin schon übermäßig dicht gereihte Infanteriemasse nun gar nicht mehr Raum fand, sich zu entwickeln. Inzwischen hatte Hasdrubal, nachdem er mit dem Flügel des Paullus fertig war, seine Reiter aufs neue gesammelt und geordnet und sie hinter dem feindlichen Mitteltreffen weg gegen den Flügel des Varro geführt. Dessen italische Reiterei, schon mit den Numidiern hinreichend beschäftigt, stob vor dem doppelten Angriff schnell auseinander. Hasdrubal, die Verfolgung der Flüchtigen den Numidiern überlassend, ordnete zum drittenmal seine Schwadronen, um sie dem römischen Fußvolk in den Rücken zu führen. Dieser letzte Stoß entschied. Flucht war nicht möglich und Quartier ward nicht gegeben; es ist vielleicht nie ein Heer von dieser Größe so vollständig und mit so geringem Verlust des Gegners auf dem Schlachtfeld selbst vernichtet worden wie das römische bei Cannae. Hannibal hatte nicht ganz 6000 Mann eingebüßt, wovon zwei Drittel auf die Kelten kamen, die der erste Stoß der Legionen traf. Dagegen von den 76000 Römern, die in der Schlachtlinie gestanden hatten, deckten 70000 das Feld, darunter der Konsul Lucius Paullus, der Altkonsul Gnaeus Servilius, zwei Drittel der Stabsoffiziere, achtzig Männer senatorischen Ranges. Nur den Konsul Marcus Varro rettete sein rascher Entschluß und sein gutes Pferd nach Venusia, und er ertrug es zu leben. Auch die Besatzung des römischen Lagers, 10000 Mann stark, ward größtenteils kriegsgefangen; nur einige tausend Mann, teils aus diesen Truppen, teils aus der Linie, entkamen nach Canusium. Ja als sollte in diesem Jahre durchaus mit Rom ein Ende gemacht werden, fiel noch vor Ablauf desselben die nach Gallien gesandte Legion in einen Hinterhalt und wurde mit ihrem Feldherrn Lucius Postumius, dem für das nächste Jahr ernannten Konsul, von den Galliern gänzlich vernichtet.

Dieser beispiellose Erfolg schien nun endlich die große politische Kombination zu reifen, um derentwillen Hannibal nach Italien gegangen war. Er hatte seinen Plan wohl zunächst auf sein Heer gebaut; allein in richtiger Erkenntnis der ihm entgegenstehenden Macht sollte dies in seinem Sinn nur die Vorhut sein, mit der die Kräfte des Westens und Ostens allmählich sich vereinigen würden, um der stolzen Stadt den Untergang zu bereiten. Zwar diejenige Unterstützung, die die gesichertste schien, die Nachsendungen von Spanien her, hatte das kühne und feste Auftreten des dorthin gesandten römischen Feldherrn Gnaeus Scipio ihm vereitelt. Nach Hannibals Übergang über die Rhone war dieser nach Emporiae gesegelt und hatte sich zuerst der Küste zwischen den Pyrenäen und dem Ebro, dann nach Besiegung des Hanno auch des Binnenlandes bemächtigt (536 218). Er hatte im folgenden Jahr (537 217) die karthagische Flotte an der Ebromündung völlig geschlagen, hatte, nachdem sein Bruder Publius, der tapfere Verteidiger des Potals, mit Verstärkung von 8000 Mann zu ihm gestoßen war, sogar den Ebro überschritten und war vorgedrungen bis gegen Sagunt. Zwar hatte Hasdrubal das Jahr darauf (538 216), nachdem er aus Afrika Verstärkungen erhalten, den Versuch gemacht, den Befehl seines Bruders gemäß eine Armee über die Pyrenäen zu führen; allein die Scipionen verlegten ihm den Übergang über den Ebro und schlugen ihn vollständig, etwa um dieselbe Zeit, wo in Italien Hannibal bei Cannae siegte. Die mächtige Völkerschaft der Keltiberer und zahlreiche andere spanische Stämme hatten den Scipionen sich zugewandt; diese beherrschten das Meer und die Pyrenäenpässe und durch die zuverlässigen Massalioten auch die gallische Küste. So war von Spanien aus für Hannibal jetzt weniger als je Unterstützung zu erwarten.

Von Karthago war bisher zur Unterstützung des Feldherrn in Italien so viel geschehen, wie man erwarten konnte: phönikische Geschwader bedrohten die Küsten Italiens und der römischen Inseln und hüteten Afrika vor einer römischen Landung, und dabei blieb es. Ernstlicheren Beistand verhinderte nicht sowohl die Ungewißheit, wo Hannibal zu finden sei, und der Mangel eines Landeplatzes in Italien, als die langjährige Gewohnheit, daß das spanische Heer sich selbst genüge, vor allem aber die grollende Friedenspartei. Hannibal empfand schwer die Folgen dieser unverzeihlichen Untätigkeit; trotz allen Sparens des Geldes und der mitgebrachten Soldaten wurden seine Kassen allmählich leer, der Sold kam in Rückstand und die Reihen seiner Veteranen fingen an sich zu lichten. Jetzt aber brachte die Siegesbotschaft von Cannae selbst die faktiöse Opposition daheim zum Schweigen. Der karthagische Senat beschloß dem Feldherrn beträchtliche Unterstützungen an Geld und Mannschaft, teils aus Afrika, teils aus Spanien, unter anderm 4000 numidische Reiter und 40 Elefanten zur Verfügung zu stellen und in Spanien wie in Italien den Krieg energisch zu betreiben.

Die längstbesprochene Offensivallianz zwischen Karthago und Makedonien war anfangs durch Antigonos‘ plötzlichen Tod, dann durch seines Nachfolgers Philippos Unentschlossenheit und dessen und seiner hellenischen Bundesgenossen unzeitigen Krieg gegen die Ätoler (534-537 220-217) verzögert worden. Erst jetzt, nach der Cannensischen Schlacht, fand Demetrios von Pharos Gehör bei Philippos mit dem Antrag, seine illyrischen Besitzungen an Makedonien abzutreten – sie maßten freilich erst den Römern entrissen werden –, und erst jetzt schloß der Hof von Pella ab mit Karthago. Makedonien übernahm es, eine Landungsarmee an die italische Ostküste zu werfen, wogegen ihm die Rückgabe der römischen Besitzungen in Epeiros zugesichert ward.

In Sizilien hatte König Hieron zwar während der Friedensjahre, soweit es mit Sicherheit geschehen konnte, eine Neutralitätspolitik eingehalten, und auch den Karthagern während der gefährlichen Krisen nach dem Frieden mit Rom namentlich durch Kornsendungen sich gefällig erwiesen. Es ist kein Zweifel, daß er den abermaligen Bruch zwischen Karthago und Rom höchst ungern sah; aber ihn abzuwenden vermochte er nicht, und als er eintrat, hielt er mit wohlberechneter Treue fest an Rom. Allein bald darauf (Herbst 538 216) rief der Tod den alten Mann nach vierundfünfzigjähriger Regierung ab. Der Enkel und Nachfolger des klugen Greises, der junge unfähige Hieronymus, ließ sich sogleich mit den karthagischen Diplomaten ein; und da diese keine Schwierigkeit machten, ihm zuerst Sizilien bis an die alte karthagisch-sizilische Grenze, dann sogar, da sein Übermut stieg, den Besitz der ganzen Insel vertragsmäßig zuzusichern, trat er in Bündnis mit Karthago und ließ mit der karthagischen Flotte, die gekommen war, um Syrakus zu bedrohen, die syrakusanische sich vereinigen. Die Lage der römischen Flotte bei Lilybäon, die schon mit dem zweiten, bei den ägatischen Inseln postierten karthagischen Geschwader zu tun gehabt hatte, ward auf einmal sehr bedenklich, während zugleich die in Rom zur Einschiffung nach Sizilien bereitstehende Mannschaft infolge der Cannensischen Niederlage für andere und dringendere Erfordernisse verwendet werden mußte.

Was aber vor allem entscheidend war, jetzt endlich begann das Gebäude der römischen Eidgenossenschaft aus den Fugen zu weichen, nachdem es die Stöße zweier schwerer Kriegsjahre unerschüttert überstanden hatte. Es traten auf Hannibals Seite Arpi in Apulien und Uzentum in Messapien, zwei alte, durch die römischen Kolonien Luceria und Brundisium schwer beeinträchtigte Städte; die sämtlichen Städte der Brettier – diese zuerst von allen – mit Ausnahme der Peteliner und der Consentiner, die erst belagert werden mußten; die Lucaner größtenteils; die in die Gegend von Salernum verpflanzten Picenter; die Hirpiner; die Samniten mit Ausnahme der Pentrer; endlich und vornehmlich Capua, die zweite Stadt Italiens, die 30000 Mann zu Fuß und 4000 Berittene ins Feld zu stellen vermochte und deren Übertritt den der Nachbarstädte Atella und Calatia entschied. Freilich widersetzte sich die vielfach an das römische Interesse gefesselte Adelspartei überall und namentlich in Capua dem Parteiwechsel sehr ernstlich, und die hartnäckigen inneren Kämpfe, die hierüber entstanden, minderten nicht wenig den Vorteil, den Hannibal von diesen Übertritten zog. Er sah sich zum Beispiel genötigt, in Capua einen der Führer der Adelspartei, den Decius Magius, der noch nach dem Einrücken der Phöniker hartnäckig das römische Bündnis verfocht, festnehmen und nach Karthago abführen zu lassen, um so den ihm selbst sehr ungelegenen Beweis zu liefern, was es auf sich habe mit der von dem karthagischen Feldherrn soeben den Kampanern feierlich zugesicherten Freiheit und Souveränität. Dagegen hielten die süditalischen Griechen fest am römischen Bündnis, wobei die römischen Besatzungen freilich auch das Ihrige taten, aber mehr noch der sehr entschiedene Widerwille der Hellenen gegen die Phöniker selbst und deren neue lucanische und brettische Bundesgenossen, und ihre Anhänglichkeit an Rom, das jede Gelegenheit, seinen Hellenismus zu betätigen, eifrig benutzt und gegen die Griechen in Italien eine ungewohnte Milde gezeigt hatte. So widerstanden die kampanischen Griechen, namentlich Neapel, mutig Hannibals eigenem Angriff; dasselbe taten in Großgriechenland trotz ihrer sehr gefährdeten Stellung Rhegion, Thurii, Metapont und Tarent. Kroton und Lokri dagegen wurden von den vereinigten Brettiern und Phönikern teils erstürmt, teils zur Kapitulation gezwungen und die Krotoniaten nach Lokri geführt, worauf brettische Kolonisten jene wichtige Seestation besetzten. Daß die süditalischen Latiner, wie Brundisium, Venusia, Paestum, Cosa, Cales, unerschüttert mit Rom hielten, versteht sich von selbst. Waren sie doch die Zwingburgen der Eroberer im fremden Land, angesiedelt auf dem Acker der Umwohner, mit ihren Nachbarn verfehdet; traf es doch sie zunächst, wenn Hannibal sein Wort wahr machte und jeder italischen Gemeinde die alten Grenzen zurückgab. In gleicher Weise gilt dies von ganz Mittelitalien, dem. ältesten Sitz der römischen Herrschaft, wo latinische Sitte und Sprache schon überall vorwog und man sich als Genosse der Herrscher, nicht als Untertan fühlte. Hannibals Gegner im karthagischen Senat unterließen nicht, daran zu erinnern, daß nicht ein römischer Bürger, nicht eine latinische Gemeinde sich Karthago in die Arme geworfen habe. Dieses Grundwerk der römischen Macht konnte gleich der kyklopischen Mauer nur Stein um Stein zertrümmert werden.

Das waren die Folgen des Tages von Cannae, an dem die Blüte der Soldaten und Offiziere der Eidgenossenschaft, ein Siebentel der gesamten Zahl der kampffähigen Italiker zugrunde ging. Es war eine grausame, aber gerechte Strafe der schweren politischen Versündigungen, die sich nicht etwa bloß einzelne törichte oder elende Männer, sondern die römische Bürgerschaft selbst hatte zu Schulden kommen lassen. Die für die kleine Landstadt zugeschnittene Verfassung paßte der Großmacht nirgend mehr; es war eben nicht möglich, über die Frage, wer die Heere der Stadt in einem solchen Kriege führen solle, Jahr für Jahr die Pandorabüchse des Stimmkastens entscheiden zu lassen. Da eine gründliche Verfassungsrevision, wenn sie überhaupt ausführbar war, jetzt wenigstens nicht begonnen werden durfte, so hätte zunächst der einzigen Behörde, die dazu imstande war, dem Senat die tatsächliche Oberleitung des Krieges und namentlich die Vergebung und Verlängerung des Kommandos überlassen werden und den Komitien nur die formelle Bestätigung verbleiben sollen. Die glänzenden Erfolge der Scipionen auf dem schwierigen spanischen Kriegsschauplatz zeigten, was auf diesem Wege sich erreichen ließ. Allein die politische Demagogie, die bereits an dem aristokratischen Grundbau der Verfassung nagte, hatte sich der italischen Kriegführung bemächtigt; die unvernünftige Beschuldigung, daß die Vornehmen mit dem auswärtigen Feinde konspirierten, hatte auf das „Volk“ Eindruck gemacht. Die Heilande des politischen Köhlerglaubens, die Gaius Flaminius und Gaius Varro, beide „neue Männer“ und Volksfreunde vom reinsten Wasser, waren demnach zur Ausführung ihrer unter dem Beifall der Menge auf dem Markt entwickelten Operationspläne von eben dieser Menge beauftragt worden, und die Ergebnisse waren die Schlachten am Trasimenischen See und bei Cannae. Daß der Senat, der begreiflicherweise seine Aufgabe jetzt besser faßte, als da er des Regulus halbe Armee aus Afrika zurückberief, die Leitung der Angelegenheiten für sich begehrte und jenem Unwesen sich widersetzte, war pflichtgemäß; allein auch er hatte, als die erste jener beiden Niederlagen ihm für den Augenblick das Ruder in die Hand gab, gleichfalls nicht unbefangen von Parteiinteressen gehandelt. So wenig Quintus Fabius mit jenen römischen Kleonen verglichen werden darf, so hatte doch auch er den Krieg nicht bloß als Militär geführt, sondern seine starre Defensive vor allem als politischer Gegner des Gaius Flaminius festgehalten und in der Behandlung des Zerwürfnisses mit seinem Unterfeldherrn getan, was an ihm lag, um in einer Zeit, die Einigkeit forderte, zu erbittern. Die Folge war erstlich, daß das wichtigste Instrument, das eben für solche Fälle die Weisheit der Vorfahren dem Senat in die Hand gegeben hatte, die Diktatur ihm unter den Händen zerbrach; und zweitens mittelbar wenigstens die Cannensische Schlacht. Den jähen Sturz der römischen Macht verschuldeten aber weder Quintus Fabius noch Gaius Varro, sondern das Mißtrauen zwischen dem Regiment und den Regierten, die Spaltung zwischen Rat und Bürgerschaft. Wenn noch Rettung und Wiedererhebung des Staates möglich war, mußte sie daheim beginnen mit Wiederherstellung der Einigkeit und des Vertrauens. Dies begriffen und, was schwerer wiegt, dies getan zu haben, getan mit Unterdrückung aller an sich gerechten Rekriminationen, ist die herrliche und unvergängliche Ehre des römischen Senats. Als Varro – allein von allen Generalen, die in der Schlacht kommandiert hatten – nach Rom zurückkehrte, und die römischen Senatoren bis an das Tor ihm entgegengingen und ihm dankten, daß er an der Rettung des Vaterlandes nicht verzweifelt habe, waren dies weder leere Reden, um mit großen Worten das Unheil zu verhüllen, noch bitterer Spott über einen Armseligen; es war der Friedensschluß zwischen dem Regiment und den Regierten. Vor dem Ernst der Zeit und dem Ernst eines solchen Aufrufs verstummte das demagogische Geklatsch; fortan gedachte man in Rom nur, wie man gemeinsam die Not zu wenden vermöge. Quintus Fabius, dessen zäher Mut in diesem entscheidenden Augenblick dem Staat mehr genützt hat als all seine Kriegstaten, und die anderen angesehenen Senatoren gingen dabei in allem voran und gaben den Bürgern das Vertrauen auf sich und auf die Zukunft zurück. Der Senat bewahrte seine feste und strenge Haltung, während die Boten von allen Seiten nach Rom eilten, um die verlorenen Schlachten, den Übertritt der Bundesgenossen, die Aufhebung von Posten und Magazinen zu berichten, um Verstärkung zu begehren für das Potal und für Sizilien, da doch Italien preisgegeben und Rom selbst fast unbesetzt war. Das Zusammenströmen der Menge an den Toren ward untersagt, die Gaffer und die Weiber in die Häuser gewiesen, die Trauerzeit um die Gefallenen auf dreißig Tage beschränkt, damit der Dienst der freudigen Götter, von dem das Trauergewand ausschloß, nicht allzulange unterbrochen werde – denn so groß war die Zahl der Gefallenen, daß fast in keiner Familie die Totenklage fehlte. Was vom Schlachtfeld sich gerettet hatte, war indes durch zwei tüchtige Kriegstribune, Appius Claudius und Publius Scipio den Sohn, in Canusium gesammelt worden; der letztere verstand es, durch seine stolze Begeisterung und durch die drohend erhobenen Schwerter seiner Getreuen, diejenigen vornehmen jungen Herren auf andere Gedanken zu bringen, die in bequemer Verzweiflung an die Rettung des Vaterlandes über das Meer zu entweichen gedachten. Zu ihnen begab sich mit einer Handvoll Leute der Konsul Gaius Varro; allmählich fanden sich dort etwa zwei Legionen zusammen, die der Senat zu reorganisieren und zu schimpflichem und unbesoldetem Kriegsdienst zu degradieren befahl. Der unfähige Feldherr ward unter einem schicklichen Vorwand nach Rom zurückberufen; der in den gallischen Kriegen erprobte Prätor Marcus Claudius Marcellus, der bestimmt gewesen war, mit der Flotte von Ostia nach Sizilien abzugehen, übernahm den Oberbefehl. Die äußersten Kräfte wurden angestrengt, um eine kampffähige Armee zu organisieren. Die Latiner wurden beschickt um Hilfe in der gemeinschaftlichen Gefahr; Rom selbst ging mit dem Beispiel voran und rief die ganze Mannschaft bis ins Knabenalter unter die Waffen, bewaffnete die Schuldknechte und die Verbrecher, ja stellte sogar achttausend vom Staate angekaufte Sklaven in das Heer ein. Da es an Waffen fehlte, nahm man die alten Beutestücke aus den Tempeln und setzte Fabriken und Gewerbe überall in Tätigkeit. Der Senat ward ergänzt – nicht, wie ängstliche Patrioten forderten, aus den Latinern, sondern aus den nächstberechtigten römischen Bürgern. Hannibal bot die Lösung der Gefangenen auf Kosten des römischen Staatsschatzes an; man lehnte sie ab und ließ den mit der Abordnung der Gefangenen angelangten karthagischen Boten nicht in die Stadt; es durfte nicht scheinen, als denke der Senat an Frieden. Nicht bloß die Bundesgenossen sollten nicht glauben, daß Rom sich anschicke zu transigieren, sondern es mußte auch dem letzten Bürger begreiflich gemacht werden, daß für ihn wie für alle es keinen Frieden gebe und Rettung nur im Siege sei.

  1. Polybios‘ Bericht über die Schlacht an der Trebia ist vollkommen klar. Wenn Placentia auf dem rechten Ufer der Trebia an deren Mündung in den Po lag, und wenn die Schlacht auf dem linken Ufer geliefert ward, während das römische Lager auf dem rechten geschlagen war – was beides wohl bestritten worden, aber nichtsdestoweniger unbestreitbar ist –, so mußten allerdings die römischen Soldaten, ebensogut um Placentia wie um das Lager zu gewinnen, die Trebia passieren. Allein bei dem Übergang in das Lager hätten sie durch die aufgelösten Teile der eigenen Armee und durch das feindliche Umgehungskorps sich den Weg bahnen und dann fast im Handgemenge mit dem Feinde den Fluß überschreiten müssen. Dagegen ward der Übergang bei Placentia bewerkstelligt, nachdem die Verfolgung nachgelassen hatte, das Korps mehrere Meilen vom Schlachtfeld entfernt und im Bereiche einer römischen Festung angelangt war; es kann sogar sein, obwohl es sich nicht beweisen läßt, daß hier eine Brücke über die Trebia führte und der Brückenkopf am anderen Ufer von der placentinischen Garnison besetzt war. Es ist einleuchtend, daß die erste Passage ebenso schwierig wie die zweite leicht war und Polybios also, Militär wie er war, mit gutem Grunde von dem Korps der Zehntausend bloß sagt, daß es in geschlossenen Kolonnen nach Placentia sich durchschlug (3, 74, 6), ohne des hier gleichgültigen Übergangs über den Fluß zu gedenken.
  2. Die Verkehrtheit der Livianischen Darstellung, welche das phönikische Lager auf das rechte, das römische auf das linke Ufer der Trebia verlegt, ist neuerdings mehrfach hervorgehoben worden. Es mag nur noch daran erinnert werden, daß die Lage von Clastidium bei dem heutigen Casteggio jetzt durch Inschriften festgestellt ist (Orelli-Henzen 5117).
  3. Das Datum der Schlacht, 23. Juni nach dem unberichtigten Kalender, muß nach dem berichtigten etwa in den April fallen, da Quintus Fabius seine Diktatur nach sechs Monaten in der Mitte des Herbstes (Liv. 22, 31, 7; 32, 1) niederlegte, also sie etwa Anfang Mai antrat. Die Kalenderverwirrung war schon in dieser Zeit in Rom sehr arg.
  4. Die Inschrift des von dem neuen Diktator wegen seines Sieges bei Gerunium dem Hercules Sieger errichteten Weihgeschenkes: Hercolei sacrom M. Minuci(us) C. f. dictator vovit ist im Jahre 1862 in Rom bei S. Lorenzo aufgefunden worden.