Ich berichtete Herrn Wohland eine ganze Weile von unsern nächtlichen Erlebnissen auf der Fischerinsel, ohne dass er mich im geringsten dabei unterbrach, nur ab und an gab er durch ein dumpfes innerliches Knurren seine Aufmerksamkeit und Teilnahme zu erkennen. Ich glaube wohl, dass ich von der Unterhaltung der beiden Schufte nichts Wesentliches verschwieg und manches fast wörtlich zu wiederholen im stande war, denn die Erlebnisse dieser Angststunden hatten sich in mein Gedächtnis wie in Marmor eingegraben. Als ich schliesslich nichts mehr wusste und schwieg, sass Herr Wohland eine ganze Weile und starrte vor sich hin. Dann knurrte er in gemessenen Zwischenräumen den verdichteten Inhalt seiner Gedanken von sich:

»Schleicher!« sagte er, »Schnüffler! … Spion! … Dieb! … Saufaus! … Einbrecher! … Schuft! … Danke, mein Sohn!« rief er dann ganz unvermittelt und legte mir die Hand auf den Scheitel. »Guter Junge! … tapferer Junge! … nie vergessen! … Nie!«

Dann versank er in Nachdenken, denn es fragte sich, was nun zu thun sei, um die Einbrecher abzufangen, ohne dass sie vorher Witterung davon bekamen, dass ihr Plan verraten sei. Das war nicht so leicht, und vieles gab es dabei zu bedenken. Es musste auf unauffällige Weise in die Stadt geschickt werden, die etwa eine Meile entfernt war, damit von dort zwei Gerichtsdiener zur Stelle kämen. Der Arbeiter Wahmkow, der die ganze Woche auf der Insel war und jeden Sonnabend zu seiner Frau nach Hause fuhr, durfte das auch diesmal nicht versäumen, weil das Verdacht erregt hätte; auch musste er aus denselben Gründen Stina mitnehmen, die in ihrem Dorfe erwartet wurde; denn es war vorauszusehen, dass Driebenkiel sich durch den Augenschein davon überzeugen und wahrscheinlich auch versuchen würde, sie anzureden, um sich zu vergewissern, dass auf der Insel nur Herr Wohland und seine Wirtschafterin zurückgeblieben wären. Nun war es aber nicht sicher, ob nicht Stina eine gewisse Zuneigung zu Driebenkiel hegte, was sie veranlassen könnte, ihn zu warnen. Sie hatte sich früher seine plumpen Galanterien gefallen lassen und war weniger zurückhaltend gegen ihn gewesen, als es mit Mamsell Kallmorgens hohen sittlichen Anschauungen zu vereinigen gewesen war. Man konnte gar nicht wissen, ob nicht noch jetzt eine Art Verhältnis zwischen diesen beiden Leuten bestand, und deshalb war hier grosse Vorsicht geboten.

Ich entnahm alle diese Überlegungen aus abgerissenen Wörtern, die Herr Wohland zuweilen vor sich hinsprach; zuletzt sprang er auf und ging, indes er mit der Hand in seinem Barte wühlte, ruhelos im Zimmer auf und ab. Um diese Zeit hörte ich vom Ufer her einen wohlbekannten Pfiff, der sich dreimal wiederholte: »Pickperwick!« wie ein Wachtelruf. Das war Onkel Simonis, der uns auf seiner Stockkrücke also zusammenzupfeifen pflegte, wenn wir im Walde beim Botanisieren uns zu weit voneinander zerstreut hatten. Zum zweiten Male wiederholte sich dieser dreifache Pfiff. Herr Wohland beachtete ihn nicht, ich aber rief:

»Herr Simonis ist da!«

»Wer?« fragte Wohland.

»Mein Onkel Simonis aus Steinhusen, er weiss alles, Adolf Martens hat ihm zuerst alles gesagt.«

»Holen!« sagte Herr Wohland.

»Ist der Hund fest?« fragte ich etwas zaghaft.

Herr Wohland lächelte.

»Selbst angelegt!« sagte er, »geh!«

Ich lief, so schnell ich konnte, zum Ufer und fand dort Onkel Philipp, der, in sichtlich übertriebener Weise zum Angeln ausgerüstet, hinten in unsrer Jolle sass und eine sehr respektvolle Entfernung vom Ufer innehielt. Da es zuweilen vorkam, dass er zum Angeln oder auch nur, um Wasserpflanzen nachzustellen, ausfuhr, so hatte er wohl gedacht, auf diese Art sein Unternehmen so unauffällig wie möglich zu machen. Vor ihm sass isern Hinrich, der ihn hergerudert hatte und mich mit einem wohlgefälligen Grinsen begrüsste. Augen machte er dazu, die ihm vor Neugier fasst aus dem Kopfe sprangen.

Er ruderte nun heran, Onkel Philipp stieg aus, und wir beide eilten so schnell als möglich zu Herrn Wohland. Unterwegs sagte er: »Ich stelle mich Herrn Wohland zur Verfügung, vollständig zur Verfügung in dieser Notsache. Das muss er annehmen, er kann gar nicht anders. Habe schon meinen Plan, – genial, sage ich dir, ich komme mir wie ein kriminelles Licht vor, ein Lumen!«

Herr Wohland kam uns entgegen und reichte meinem Onkel die Hand,

»Freue mich!« sagte er. »Ihr Wunsch?«

»Ohne Umschweife grad darauf los«, sagte Onkel Philipp. »Auf der Chaussee im Walde hinter der Krebsbucht hält jetzt wahrscheinlich schon der Wagen des Herrn Martens und wartet auf mich. Wartet, bis ich komme. Sobald Sie es wünschen, lasse ich mich übersetzen und fahre zur Stadt und bringe die Sache mit dem Gericht in Ordnung. Zwei Gerichtsdiener müssen wir haben, und natürlich, Mudrach muss dabei sein – Sie wissen natürlich, Mudrach, der damals den berühmten Einbrecher Puttfarken festgenommen hat. Ein sehr tüchtiger Mann in seinem Fach, ganz ungemein tüchtig.«

Herrn Wohland war diese Lösung der Frage sehr angenehm, und er stimmte mit Dank zu, obwohl man wohl merkte, wie sauer es dem einsiedlerischen Manne wurde, fremde Hilfe anzunehmen; Onkel Philipp aber fuhr fort wie folgt:

»Was denken Sie, Herr Wohland: wollen Sie den Hund opfern?«

»Was?« fragte dieser, verwundert auffahrend.

»Die Sache ist die: die beiden Kerls haben sich verabredet, dass Driebenkiel zuerst den Hund beseitigen soll. Mit Strychnin. Unterdes wartet Jochen Nehls in sicherer Entfernung auf dem Wasser. Lassen Sie nun Driebenkiel, wenn er den Hund sucht, allein festnehmen, so macht das Lärm, geht nicht ohne Geräusch ab, und dann merkt Jochen Nehls Verrat und ritscht aus. Nein, er muss mit an Land, dass wir sie beide kriegen. Der Hund ist ein grosses Hindernis. Ich aber hab‘ mir schon was ausgedacht: Stina muss ihn umbringen!«

»Was?« rief Herr Wohland wieder mit grosser Entrüstung.

»Nur mit ihrer Zunge!« rief Onkel Philipp, »mit ihrer glatten Weiberzunge. Wenn Stina nun mit Wahmkow in ihrem Dorfe ankommt, da ist es doch ganz gewiss, dass Driebenkiel ihr auflauern, und wohl sicher, dass er sie anreden wird. Er wird sie etwa fragen, wie es auf dem Uhlenberge geht, oder dergleichen. Ja, das wird er. Dann macht sie ein wehleidiges Gesicht und sagt etwa: ›Ach Gott, ach Gott, Herr Wohland is so trurig, uns‘ Wasser is dodt bläben, hett sick ’n Knaken in ’n Hals slaken un is stickt, hüt morn Klock teihn!‹ Dann wird Driebenkiel denken, die Götter seien mit ihm im Bunde und wollten ihm wohl, und er wird äusserlich salbungsvolle Trauer heucheln, innerlich aber grifflachen, und die beiden Kerls werden nachher ohne weitere Vorsichtsmassregeln an Land gehen, und in Mudrachs und seines Kollegen siegreiche Greifarme fallen.«

»Lässt sich hören!« sagte Herr Wohland.

»Und wenn Sie erlauben«, rief Onkel Philipp, »so lassen wir Stina gleich ‚reinrufen, und wenn Sie nichts dagegen haben so mach‘ ich ihr den Standpunkt klar, denn ich versteh‘ mit solchen Leuten umzugehen. Ich werd‘ ihr so sanft andeuten, dass sie auch gleich mit ins Zuchthaus kommt, wenn sie es Driebenkiel merken lässt, was gegen ihn ins Werk gesetzt wird, und dass sie ein dem Teufel verfallener Höllenbraten ist, wenn sie ihre Sache nicht ordentlich macht.«

Herr Wohland ging nach dem Glockenzuge, um Stina herbeizurufen, und Onkel Philipp sagte zu mir: »Du kannst hinausgehen und dich mal nach Hinrich umsehen, ob der auch keinen Unsinn macht, und sag ihm, ’ne Stunde müsst‘ er wohl noch warten, bis ich käme.«

Unterdes kam Stina schon herein, und ich entfernte mich ziemlich widerwillig, da ich mir von dieser Instruktion einige dramatische Ergötzung versprach.

Auf dem Flur wälzte sich mir Mamsell Kallmorgen entgegen, – wie es schien, in ziemlicher Aufregung: »Na, da büst du ja, mein Jung«, rief sie, »nu sag mal bloss, was is denn eigentlich los? Was hast du hier bei nachtschlafende Zeit anzukommen und mit ‚e Flint zu ballern? Ich hab‘ mir so verschrocken, dass mir beinah die Huk versackt is. Überhaupt, sonne Jungs wie du, die müssen noch gar kein Schiessgewehr inne Hand kriegen, da stiften sie bloss was mit an, so as Hans Bernitt in Kalbow. Das war auch so ’n Jung in dein Alter, un wie nu sonne Jungs sind, nimmt er das Gewehr von sein’n Vater un weiss nich, dass es geladen is, un sagt zu das Stubenmädchen Trina: ›Soll ich dir mal totschiessen?‹ Un drückt ab un jagt ihr die ganze Ladung Hühnerschrot ins Bein. Na, sie hatt‘ ja ’n so ’n rechten deftigen eigengemachten Rock an un da auch noch düchtig was unter, un das hat ihr gerett’t, aber sechs Wochen hat sie ins Krankenhaus liegen müssen un humpelt heut noch, un wenn ’n Gewitter inne Luft is, kriegt sie das Reissent. Dein lieb Mudding kenn‘ ich ganz gut; sie war ümmer so sanft un so solide un so furchtbar gemütvoll – dass sie dir das aber ümmer erlaubt mit das Schiessent und das Wasserfahrent, das kleid’t ihr gar nich. Un nu habt ihr jawoll all vierzehn Tag‘ lang Robinsohn gespielt auf ’n Rosenwerder – ich hab‘ das Ballern von eure Flint woll gehört – wo kann das nu woll einen vernünftigen Menschen Spass machen!«

Mit einem Male fasste sie mich näher ins Auge und schob mich vor sich her an ein Fenster ins Licht. »Mein Gott,« rief sie, »wo sühst du einmal aus! As so ’n Räuberhauptmann, der sich in ’n Rönnstein umgedreht hat. Un Smierstiefel an, die acht Tag lang nich reingemacht sünd. Un Blut an die Hosen un allens voll Lehm – dir mag man ja nich mal mit’e Feuerzang‘ anfassen. Wenn dein lieb Mudding das wüsst‘, dass du dir so vor die Leut‘ sehn lässt, – as ’n Färken sühst du ja aus!« Trotz dieser für mich wenig ehrenvollen Ausdrücke konnte man Mamsell Kallmorgen nicht unrecht geben, denn die letzten Regentage hatten nicht gerade an der Verschönerung meines Äusseren gearbeitet, und wenn ich auch auf die Blutflecke an meinen Knieen mit Stolz blickte, als die Spuren ehrenvoller Jagdabenteuer, so konnte doch von einer Fanatikerin für Reinlichkeit und Ordnung, weissgeseheuerte Fussböden, blankgeputztes Geschirr und blütenweisse Wäsche nicht die gleiche Anschauung verlangt werden.

»Du musst dir wieder was von Herrn Wohland sein altes Zeug anziehn, un Stina kriegt den ganzen Kram gleich in die Waschballje; so kannst du dir ja in ’n Leben nich vor dein lieb Mudding sehn lassen. So wie ich ihr kenn‘, so sanft un so solide un so furchtbar gemütvoll, die kann ja die Krämpfen kriegen, wenn sie dir so zu sehn kriegt.«

»Ja«, rief ich, »aber erst muss ich zu Heinrich Trilk, der mit ’n Kahn auf Herrn Simonis wartet.«

»Was?« sagte Mamsell Kallmorgen, »Hinrich Trilk? Das is jawoll den Krüger in Steinhusen sein Sohn, der is da, und das weiss ich gar nich! Der hat ja noch nich nass noch trocken gekriegt; da muss ich doch gleich …« Und damit walzte sie, in der Richtung auf ihre Küche zu, davon, und ich war froh, durch diesen Zwischenfall ihrem weiteren Examen entgangen zu sein, denn ich wusste nicht, ob es ratsam sei, ihr alles mitzuteilen.

Als ich an das Seeufer kam, fand ich isern Hinrich beschäftigt, über den nun wieder ganz glatten See hin mit flachen Steinen höchst kunstvoll »Butterbrot« zu werfen. Ich begrüsste ihn auf die gewohnte Art, und er kam dann mit derselben Frage heraus wie Mamsell Kallmorgen: »Nu segg blot, Reinhard, wat is denn los? Hüt morn, as ick noch in ‚t Berr liggen dauhn dehr, keem all Herr Simonis un frög den Ollen, wat ick em woll ’n bäten tau ’n Angeln rutführen künn. Un as ick mi nu fix antreckt harr un mit em güng, dor kreeg hei mi an ’n Arm un frög mi, wat ick swiegen künn. ›As ’n dorigen Häkt‹, sär ick. ›Na‹, sär hei, ›denn kannst mal hengahn un nahseihn, wat Jochen Nehls in is, äwer keinen darwst du wat von seggen, un hei darw dat nich marken.‹ Na, ick gah ok hen un heww em jo all so oft halt, wenn Driebenkiel mi na em schickt hett, un weit in den ollen Käthen ganz gaud Bescheid. Un wutsch rin dörch dei Achterdöhr, dei nich tauslaten ward, un kam ok an Jochen Nehls sin Kamer, un dor in saagt dat, as wenn dei grot Bull up ’n Hof dat Brummen kriegt. Na, dor wüsst ick jo all Bescheid, äwer ick makt liesing noch dei Döhr ’n beten up un keek rin, un dor leeg Jochen Nehls mit all sin Kledagen un mit Stäwel an up ‚t Bett un snorkt, dat sick dei Balken bögten, un ne grote lerrige Buddel harr hei in ’n Arm, as sonne Mudder ehr Kind. As ick dat nu nahst Herrn Simonis seggen dauhn dehr, sär hei: ›Is gaud!‹ »un wi führten af. Un ick reim jo nu ümmer up los, un hei stüert, un duert ewig lang, un mit eins sünd wi bi ’n Uhlenbarg, dicht an ’n Steg. Un dat anner weist du jo. Nu segg mal blot, wat’e los is. Dit is jo as dei verjährte Welt.«

Mich erfüllte es mit innigem Behagen, Herr eines so prachtvollen Geheimnisses zu sein und mich als Entdecker eines geplanten schweren Verbrechens fühlen zu dürfen; ich wusste, dass isern Hinrich mich beneiden würde, und das thut immer wohl. Nachdem ich mich dann vorher seiner Verschwiegenheit durch Handschlag versichert hatte, erzählte ich ihm unser Abenteuer auf der Fischerinsel, während wir beide auf dem Stege sassen und mit den Beinen bammelten. Isern Hinrich hörte mit Eifer zu und fügte nur zuweilen einen begeisterten Aufruf ein, wie: »Junge di!« oder »Fein!« Als ich zu Ende war, sagte er: »Un Mudrach kümmt, dei Puttfarken fastnahmen hett? Un ick sall em räwerführen? Dat ’s fein! Wenn ‚k doch mit bi sin künn, wenn hei Driebenkiel in Isen leggt! Dat deiht hei; Puttfarken hett hei ok in Isen leggt! Dei Isens hett hei ümmer bi sick. Un ’n Dodsläger mit ’n leddernen Reimen hett hei ok. Ach, un nu weit ick ok, wat Driebenkiel un Jochen Nehls ümmer bi uns tuschelt un muschelt hebben. Dat harr ‚k ehr gor nich tautrügt – sünd doch hellsche Kierls.« Und so redete er weiter und arbeitete sich schliesslich in eine förmliche Bewunderung Driebenkiels hinein, denn, wie schon gesagt, er war dem Heroenkultus ergeben, und da ihm wirkliche Helden nicht bekannt waren, so nahm er auch mit Verbrechern vorlieb.

Als er noch so schwatzte, kam plötzlich Mamsell Kallmorgen um die Buschecke, als wenn der Mond aus dunkeln Wolken hervortritt. In der einen Hand trug sie einen Teller mit Butterbroten und in der andern eine grosse Flasche.

»Heut is jawoll allens verdreht,« sagte sie, »nu hat Herr Wohland Stina ‚reingerufen, un die kommt gar nich wieder, un nu muss ich man selbst her an das alte Wasser, was ich nich mal sehen mag, un den Jung sein Butterbrot bringen, un in ’ne halbe Stunde soll doch das Frühstück fertig sein für Herrn Simonis. Un ’ne Buddel von unser Haustrinkent hab‘ ich dir auch mitgebracht, mein Jung, denn for ’n Snaps bist du doch noch nich alt genug. Un das Bier könntest du gern trinken, denn for das Bier bin ich berühmt. Auf meine frühere Stell‘, wenn da der Herr Pastohr Nägendank kam, denn wollt‘ er keinen Wein nich, denn liess er sich ümmer extra von dies Bier geben, un einmal sagte er zumir: ›Mamsell Kallmorgen‹, sagte er, ›woraus machen Sie denn eigentlich das Bier, dass es ümmer so schön smeckt?‹

»›O, Herr Pastohr‹, sagte ich, ›aus allerhand Jux.‹ Un da wollt‘ er sich totlachen. Je, un es war doch ganz richtig, denn ich nehm‘ da nich bloss Malz zu, nee, da kommen auch ’n paar süsse Backbirn un ’n paar gelbe Wurzeln un ’ne Handvoll Rosinen an un noch allerhand, was ich nich sag‘, un davon, wenn sich das vergärt, wird das Bier so süss un kriegt sonne Kraasch, un denn wundern sich die Leut‘, wo schön das smekt. Ja, da trink man von, mein Jung, ich trink‘ da selbst ümmer von, un es bekäme mich ja auch ümmer so gut.«

Dann besann sie sich plötzlich, welche Eile sie hatte, und kugelte sich schnell wieder davon.

Isern Hinrich klappte die Butterbrote auseinander und besichtigte sie mit Kennermiene. »Fien Brot,« sagte er, »mit fett Budder up – un Mettwurst – un baschen Kees – fein!« Dann machte er sich eifrig an die Vertilgung dieser Nahrungsmittel und gluckte zwischendurch mit Wohlgefallen aus der grossen Flasche von dem Bier, dessen köstlicher Geschmack der geschickten Verwendung von »allerhand Jux« entstammen sollte.

Da ich ihn nun so wohl beschäftigt sah, dass er meiner Unterhaltung nicht bedurfte, und ich annehmen konnte, dass Stinas Instruktion nun wohl beendigt sein könnte, so kehrte ich langsam nach dem Hause zurück, nicht ohne nach allen Seiten spähende Blicke zu senden, ob mir von den Wundern dieses Eilandes noch Ungekanntes zu Gesicht kommen möchte. Doch gelang mir das nicht, und nur die rauhen Schreie einiger entfernten Papageien tönten in mein Ohr. Als ich das Haus erreicht hatte, traf ich Mamsell Kallmorgen in fürchterlicher Aufregung, denn Stina hatte ihr Bericht abgestattet. Sie hatte mich kommen sehen und liess mich gleich zu sich rufen. »Du büst ja bei gewesen!« rief sie, »was hat dieser Kerl von mich gesagt?«

»Er hat gesagt, Sie hätten einen tüchtigen Strumpf voll Geld in Ihrem Bettstroh, und den wollten sie sich auch holen. Dies Fett wollten sie Ihnen abzapfen, andres Fett behielten Sie ja noch genug«, Mamsell Kallmorgen schnappte ein paarmal nach Luft, wie ein verendender Karpfen, sagte aber nichts.

»Und vorher sollten Sie auch gebunden und geknebelt werden.«

»Geknebelt?« fragte Mamsell Kallmorgen, »was is das?«

»Da wird einem was in den Mund gestopft«, antwortete ich, »dass man nicht schreien kann.«

»Das is ja doch ein schauderhaften Kerl«, sagte Mamsell Kallmorgen, »wo ich doch durch die Nas‘ gar nich ornlich Luft kriegen kann, da wär‘ ich ja gleich gestickt oder hätt‘ den Slag gekriegt oder doch zum wenigsten meine Krämpfen. Un denn mein bischen Geld, wo ich doch ne arme Waise bün un hab‘ es mich mühsam zusammengespart für meine alten Tage. Un wovon weiss er denn das? Ich hab‘ es ihn doch nich gesagt un hab‘ mich da ümmer so geheimnisvoll mit gehabt; aber er war ümmer ein Sleicher un ein Snüffler, un kam ümmer wo ‚raus, wo er eigentlich gar nichs verloren hatt‘, un begegnete einen ümmer, wo er gar nich hingehörte, un kroch auf ’n Boden rum un in ’n Keller, un snüffelte in alle Ecken as sonne Katze, die aufs Mausen aus is oder aufs Milchstehlen. Un wenn er nu heut abend kommt mit den andern Kerl, was will Herr Wohland denn machen? Driebenkiel is ja so furchbar staark, der haut ihnen ja all zu Mus, Herrn Wohland, Herrn Simonis un dir, mein Jung, un wenn er mit euch fertig is, denn komm‘ ich an. Nee, hier bleib‘ ich nich un bleib‘ ich nich. Wo es so schon so einsam is, un wenn denn mal Besuch kommt, denn sünd es Einbrechers un Mörders. Un das kann keine Herrschaft von einen verlangen, dass einer sich for sie binden un sein bischen Geld wegnehmen lässt un einen der Mund zugestopft wird, dass einer den Slag kriegt. Ich will hier weg von diese grässliche Insel. Hinrich Trilk soll hinfahren nach Fischer Mussehl, dass er mit seine grosse Boot kommt, die nich so wiwagt un mir tragen kann.«

Ich hatte vergeblich gesucht, zu Wort zu kommen; endlich gelang es mir, einzufügen: »Aber Mamsell Kallmorgen, Mudrach kommt ja und ein andrer Polizeidiener; Herr Simonis will sie holen.«

Mamsell Kallmorgens Züge erhellten sich. »Mudrach«, fragte sie, »der Puttfarken festgenommen hat, un noch ein Polizeidiener? Un das sagt mir kein Mensch! Die müssen doch was zu essen haben, un was mach‘ ich da man bloss? Da muss ich ja noch fix drei von meine Enten slachten, von die weissen mit ’n Poll, die sünd schon ganz schön. Un das is ja denn die höchste Zeit. Stina! Stina!«

Und damit wälzte sie sich davon, und es schien, als ob sie alle Gefahren dieser grässlichen Insel vergessen hätte.

Nach dem Frühstück machte sich Onkel Philipp auf die Reise, und ich begleitete ihn an den See, wo isern Hinrich uns schon erwartete. »Lieber Reinhard«, sagte er dann zu mir, »ich würde dich gerne mitnehmen in die Stadt, aber du passest augenblicklich zu wenig in unsre modernen Verhältnisse. Du siehst aus wie ein Faustschlag in das Antlitz der Kultur, wie eine Erinnerung an ferne, wilde Jahrhunderte, als die Menschen noch in Höhlen lebten und die Seife noch ein Erfindertraum war. Ja wahrhaftig, so siehst du aus. Du trägst zu viele Spuren blutiger Jagdabenteuer und primitiver Waldmahlzeiten und zu viele Bodenproben der umliegenden Inseln an dir, als dass ich den Honoratioren unsrer reinlichen und ordnungsliebenden Stadt deinen Anblick zumuten dürfte. Auch fürchte ich, du würdest dich des jauchzenden Beifalls der heroischen Strassenjugend dieser Stadt in einem Masse zu erfreuen haben, dass dies bei deiner angebornen Bescheidenheit nicht ohne beschämende Nachwirkung für dich sein könnte. Darum bleibe lieber hier in dieser insularen Abgeschiedenheit, dies rat‘ ich dir, rat‘ ich dir als dein väterlicher Freund und Onkel.«

Isern Hinrich grinste über sein ganzes Gesicht und sagte, nicht ohne einen leisen Beigeschmack von wohlthuender Bewunderung: »Ja, Reinhard, gruglich schietich sühst du ut.«

Damit legte er sich in die Riemen und ruderte mit Onkel Simonis davon, während ich, niedergedrückt von der Last einer geradezu vernichtenden Kritik, allein am Ufer zurückblieb. Ich ging zum Hause zurück, suchte mir einen grossen Wandspiegel und studierte meine Erscheinung. Die Geschmäcker waren doch verschieden. Ich fand, dass ich prachtvoll waldläufermässig aussah, stilvoll, würde ich gesagt haben, wenn ich dies Wort damals schon gekannt hätte, und dazu das braungebrannte Gesicht mit einigen halb verheilten Dornrissen quer herüber, die den Narben ehrenvoller Wunden täuschend ähnlich sahen; ich konnte das alles nicht unschön finden. Aber die Majorität war offenbar gegen mich, und Onkel Philipps ironische Redensarten hatten doch gesessen. Darum ging ich zu Mamsell Kallmorgen, liess mir altes Zeug heraussuchen und überlieferte meine äusseren Hüllen der Waschballje und der Stiefelbürste, durch welche freiwillige That ich mir Mamsell Kallmorgens Achtung zum Teil wieder zurückeroberte.

Herrn Wohland traf ich dann in seinem Zimmer, wie er unter einigen alten Reitersäbeln und Enternmessern Auswahl hielt. Dann zog er aus einigen silberbeschlagenen Pistolen die Ladung, reinigte und prüfte diese Gewehre sorgfältig und lud sie von neuem, Vorbereitungen kriegerischer Art, die ein unheimlich-angenehmes Grauen in mir erregten. Überhaupt, was war dies im ganzen doch für ein prachtvolles Abenteuer! Es kam mir vor wie eine Wunderblume, die plötzlich in tropisch-blutiger Pracht an dem Baume der Alltäglichkeit aufgegangen war. Nur die eine Angst hatte ich, dass Onkel Philipp mich vorher nach Hause schicken würde und ich nicht dabei sein könnte, wenn sich der Schlussakt des Dramas, die Festnahme Driebenkiels, abspielte.

Im übrigen verging die Zeit langsam in Erwartung der kommenden Ereignisse. Der Tag lag noch lang vor mir; da ich ihn sehr früh begonnen hatte, und da ich die ganze Nacht nicht geschlafen hatte, so überkam mich allmählich eine unbezwingliche Müdigkeit. Ich irrte wie im Traume um das Haus herum und hörte das nahe Krähen des Hahnes, das Schreien der Perlhühner und das taktmässige Park, Park der Enten wie aus weiter Ferne. Die Augen fielen mir zu, und wenn ich sie gewaltsam öffnete, so lag die ganze Welt um mich her in einem traumhaft verschwommenen Scheine. Da erblickte ich bei meinem Umherschlendern auf dem Wirtschaftshofe durch die offene Thür eines scheunenartigen Gebäudes im Innern einen mächtigen Haufen Stroh; dieser begann mich anzuziehen wie ein Magnetberg. Meine letzte Erinnerung ist, wie ich über die Schwelle stolperte und das weiche Stroh unter mir zusammensank. Ich glaube, ich schlief schon, ehe ich ganz lag.

So kam es denn, dass ich erst am späten Nachmittag erwachte, nachdem mir schon längere Zeit im Halbschlafe so gewesen war, als ob jemand meinen Namen riefe. Ich rappelte mich aus dem Stroh hervor, und da klang es wieder von der fetten Stimme Mamsell Kallmorgens, aber recht kläglich: »Reinhard! Reinhard! Wo sticht nu bloss der Jung!?«

Ich ging der Stimme nach und fand Mamsell Kallmorgen in der Küchenthür stehend, wo sie diese kläglichen Rufe ausgestossen hatte. Als sie mich erblickte, verklärten sich ihre Züge, dass es ordentlich schön zu sehen war. »Den Schöpfer sei Dank!« rief sie, »dass du wieder da büst. Wir dachten all, du wärst versoffen oder wärst aus ’n Baum gefallen un hättst dich das Knick abgeschossen. As du zu ’s Essent nich einkamst, wo doch jeden orndlichen Jung sich wieder anfindt, da kriegt ich’s mit’e Angst. Stina un Wahmkow haben all den ganzen Uhlenberg nach dir abgesucht. Wo hast du denn bloss gestochen?«

»Ich hab‘ geschlafen«, sagte ich, »dort in der Scheune, wo das Stroh liegt.«

»Armen Jung«, sagte sie mitleidvoll, »ja, du kannst woll müd sein. Hast ja die ganze Nacht nich geslafen. Hast gewacht für uns. Ja, mein Jung, wenn du nich gewesen wärst un dein Freund, dann lag‘ ich jawoll morgen in mein Bett as ein’n gestickten Leichnam. Nu komm man ‚rein un zieh dich dein Zeug an, es is schon lang trocken, kannst damit in meine Kammer gehen. Un Essent hab‘ ich dich auch aufgehoben, ’n schönes Stück Entenbraten, das mach‘ ich dich warm. Un abgerührten Pudding is auch noch da mit Kirschensosze, der smeckt kalt fein. Un nu zieh dir man erst an, nachher erszähl‘ ich dich noch mehr – kannst bei mir inne Küch‘ essen.«

Als ich nun nach einiger Zeit als ein reinlicher Musterknabe in die Küche zurückkehrte, hatte mir Mamsell Kallmorgen säuberlich einen Tisch gedeckt, und es schmorte etwas auf dem Herdfeuer. »So, mein Jung«, sagte sie, »nu trink man erst ’ne Tass‘ Balljong, die hab‘ ich dich schon warm gemacht, das andre is auch bald so weit.« Und während ich nun trank und ass, liess sie das Bächlein ihrer Rede munter dahinfliessen.

»Ja, mein Jung«, sagte sie, »un das weisst du woll noch gar nich: Mudrach is schon lang da un Püttelkow auch, was sein Kollege is. Klock vier is Herr Simonis all mit sie angekommen, un Gott sei Dank, ich hatt‘ mein Essent ja beinah fertig. Un Mudrach, sag‘ ich, was ’n Mann! Da kriegt einen gleich so ’n zuvertrauent szu. Un ’n paar Augen hat er, da kann er ja woll mit durch ’n eichen Brett kucken. For seine Augen is er ja auch berühmt. Un denn so würdevoll, beinah wie so ’n Küster. For mir is der Mann eine grosse Beruhigung, ich hab‘ man bloss noch ’n ganz klein bischen Angst for heut abend.«

»Hat er denn auch die Eisen und den Totschläger bei sich?« fragte ich.

»Du denkst woll, dass er da ümmer so mit ‚rumspijökt«, sagte Mamsell Kallmorgen, »der wird sein Handwerkszeug schon bei sich haben in seine geheimnisvolle Tasche; das szeigt er doch nich jeden. Un ’n höflichen Mann is Herr Mudrach. As ich die beiden den Pudding selbst ‚reinbrachte, denn ich wollt‘ mich den berühmten Mann, der Puttfarken festgenommen hat, doch auch mal orndlich ansehn, da stand er auf, un verbog sich vor mich un sagte: ›Mamsell Kallmorgen, ich habe die Ehre!‹ un Herr Püttelkow stand auch auf un verbog sich auch. Na, un ich schoss ja nu auch in ’n Dutt un machte sonnen tiefen Knicks, dass mich beinah der Pudding von ’n Teller gerutscht war‘. Un denn haben wir uns gebildet unterhalten, denn Herr Mudrach is einen geistvollen Mann un hat furchbar viel Kurakter. Herr Püttelkow sagt nich viel, der hat es mehr in sich, un wenn Herr Mudrach das mehr mit den Geist hat, so hat sein Kollege das mehr mit die Knochen. Kurz verstiepert is er ja man, aber du sollst mal sehn, wo breit er in die Schultern is un was for ’n paar Hände er hat. Wenn er da erst Driebenkiel mit fasst gekriegt hat, da kommt der in Laben nich wieder los. Den haben sie extra Herrn Mudrach mitgegeben, weil der doch man rank in die Schultern is un mehr Grips in Kopf as Muscheln an die Arme hat. Aber das muss ich sagen, bei den Entenbraten un bei den Pudding da sünd sie beide gleich düchtig beigewesen, un szwei Buddel Wein haben sie daszu getrunken, un drei Buddel von mein feines Bier. Un denn hab‘ ich sie ’n ganzen schönen Kaffee gekocht, vier Tassen von szwei Lot, un da von mein Schürzgebackenes szu, was ich ümmer in ’n Schrank szu stehen hab‘, ’n ganzen Teller voll, un is auch nich ein Stück wieder ‚rausgekommen. Gesmeckt hat es sie, un wenn sie heut abend keine Kräften haben szu ihr schweres Werk – meine Schuld is es nich. Nachher haben sie dann noch ’n bischen auffe Zigarr‘ geraucht, von ’n Herrn seine gewöhnlichen, die aber auch schon sehr schön sind, un da mögen sie nu woll noch bei sein.«

»Ist Püttelkow wohl ebenso stark als Driebenkiel?« fragte ich.

»Ja«, sagte Mamsell Kallmorgen, und auf ihrer Stirn erschienen Sorgenfalten, »wenn ich das sagen soll, denn muss ich sagen, das is mich nich bewusst. Driebenkiel is ganz furchbar staark, un as ich damals hier ankam, un die Boot so wiwagte un ich ins Wasser fallen wollt‘, da hat er mir gehalten wie so ’n eisernen Bock un hat mir ganz allein ans Land gewucht’t, wo ich doch beinah dreihundert Pfund wieg‘. Un an die Arms, wo er mir damals anfiess, da hab‘ ich noch acht Tag lang blaue Flecken gehabt. Aber ich glaub‘ woll, dass Herr Püttelkow auch ganz gefährlich viel Kraasch hat, denn aussehn thut ihn gnaz so.«

Da ich nun mit meinem verspäteten Mittagsmahl fertig war und grosse Neugier empfand, diese beiden bedeutenden Männer ebenfalls von Angesicht zu Angesicht zu sehen, so verabschiedete ich mich von Mamsell Kallmorgen und begab mich in das benachbarte Wohnhaus. In Herrn Wohlands grossem Zimmer fand ich diesen, Onkel Simonis und die beiden Polizeidiener in voller Beratung über das, was heute Abend geschehen solle. Mudrach war ein langer, hagerer, eng zugeknöpfter Mann, der eine gewisse Würde zur Schau trug, die sich besonders in seinen gemessenen körperlichen Bewegungen kundgab. Er liebte es dann, die eine seiner langen, haarigen Hände in die Brustfalte seines Rockes zu stecken, während er mit der andern zur Begleitung seiner Rede grossartige Bewegungen ausführte. Dabei trug er den kleinen Kopf auf dem langen Halse aufrecht wie ein Strauss und die Lider etwas gesenkt, als wolle er die volle Kraft seiner Augen dämpfen. Püttelkow dagegen war ein sehr untersetzter, vierkantiger Mann, von der Figur eines Nussknackers; sein rotes, stumpfnasiges Gesicht, glattrasiert bis auf zwei rotgelbe Backenbärte, strahlte von Gesundheit, und darüber wölbte sich eine geräumige Glatze von so tadelloser Politur, dass sie bei passender Beleuchtung die herrlichsten Glanzlichter warf.

Ich schien gerade recht zu dieser Beratung zu kommen und wurde sofort aufgefordert, noch einmal zu erzählen, was wir von dem Plane der beiden Spiessgesellen erlauscht hatten. Als ich damit fertig war, sagte Mudrach: »Hat Driebenkiel sich sozusagen ganz famos ausgedacht. Für’s erste Mal, alabonnöhr! Ja, das ist nu also die Sache. Nämlich: diese ganze Arretiererei vollführt sich sozusagen im Dunkeln. Und das ist nämlich schade. Denn bei solcher Gelegenheit da mach‘ ich das meiste mit den Augen. Wenn ich so kuck‘, wie ich kucken kann, und ich kann nämlich kucken, dann kriegt so ’n Einbrecher gleich sozusagen das Zittern. Mein Herr Senator sagte mal zu mir ›Mudrach‹, sagte er, ›Sie haben die richtigen Augen des Gesetzes.‹«

Und nun, scheinbar um einen Beweis zu geben, nahm er mich für das Surrogat eines Einbrechers, riss die Augen auf, dass die Pupillen erschienen gleich der Insel Solowezki, die, wie jedermann bekannt ist, im Weissen Meere liegt, und starrte mich an. Meine schuldlose Seele musste aber wohl als Gegengift gegen diesen Blick wirken, denn ich hielt ihn ganz gut aus.

Mudrach fasste sich schnell, legte mir die Hand auf den Kopf und sagte, indem er die andre Hand in die Brustfalte versenkte und mit hoch erhobenem Kopfe und halb gesenkten Lidern auf mich herniedersah: »Der Jung hat ein gut Gewissen. Der Jung hat sozusagen ein ganz furchtbar gutes Gewissen! Ja, aber nämlich: bei Puttfarken – bei dem berühmten Einbrecher Puttfarken, als ich den festnahm, da war das anders. Uns war verraten, dass er abends im Schummern manchmal zu Kaufmann Bauch am Luisenplatz käm‘, um sich da sozusagen was zu kaufen, natürlich nämlich verkleidet und mit ’ner Perücke auf und einem sehr schön gemachten falschen Bart, und sah aus sozusagen wie ’n Ackerbürger. Wir hatten nämlich sein Signalement und alles. Ich nehm‘ mir also einen Kollegen mit, der setzt sich in eine dunkle Ecke zwischen die Heringstonnen, und ich ging nämlich in Herrn Bauch sein kleines Kontor, wo man sozusagen durch das Fenster in den Laden kucken kann. Ja, nämlich, sozusagen. Und richtig, so gegen sechsen, als es schummerte, da war er da und wollt ’ne Flasche Rostocker doppelten Aquavit haben, was nämlich sozusagen ein ganz famoster Schnaps ist.«

Hier nickte Püttelkow beistimmend und wiederholte mit dem Brustton tiefster Überzeugung: »Ganz famoster Schnaps!«

Mudrach aber fuhr fort: »Herrn Bauch sein Commis aber, der natürellemang Bescheid wusste, der musste gerade einer alten Frau ein Mass Sirop eingiessen und kriegte so das Zittern, dass er ’n grossen Pol Sirop auf die Erde goss. Und als Herr Bauch nu mit grosser Geistesgegenwart darüber schimpfte, und es war ihm in diesem beängsterlichen Augenblick doch um das bisschen Sirop gar nicht zu thun, da hustete ich, sozusagen. Nämlich das war das Zeichen, was wir verabredet hatten. Da wutschte mein Kollege ganz fix zwischen den Heringstonnen heraus und stellte sich vor die Ladenthür, und ich kam aus dem Kontor heraus und ging gerade auf Puttfarken los und sagte: ›Puttfarken, ich verhafte Sie im Namen des Gesetzes!‹ Und Puttfarken kuckte schnell nach der Thür, wo aber mein Kollege stand, den er wohl kannte, und hinter der Tonbank da stand Kaufmann Bauch und hatte in der einen Hand ’n Hammer und in der andern das Zuckermesser, als wollt‘ er sein Leben teuer verkaufen, und der Commis hatte das grosse Käsemesser in der Hand, und dazu klapperten ihm die Zähne sozusagen ganz erbärmlich. Die alte Frau aber schrie: ›Huch!‹ und liess den Siropstopf fallen, und der Sirop trieb aus, dass Puttfarken in einen süssen braunen See zu stehen kam. Und nun fing ich nämlich an zu kucken, na, wie ich sozusagen kucken kann. Und als ich nun so kuckte, da wurd‘ Puttfarken so weiss wie Milchsuppe und so sanft wie ein Sauglamm und liess sich die Handschellen anlegen un sagte bloss: ›Na, denn helpt dat nich.‹ Und alle sagten, so hätten sie mich noch nie kucken sehen. Ja, nämlich, sozusagen.«

Mir imponierte diese Geschichte ungeheuer, aber warum es so lustig um Onkel Philipps Mund zuckte, und warum selbst über das ernsthafte Gesicht Herrn Wohlands ein seltsamer Schein von Heiterkeit ging, verstand ich damals nicht recht.

Mudrach aber fuhr fort: »Auf die Art geht das nun hier natürlich nicht, aber ich hab‘ schon meinen Plan. Nämlich, wir müssen die Spitzbuben sozusagen in flagranti attrapieren. Driebenkiel hat nämlich einen Kuhfuss bei sich. Kuhfuss ist sozusagen ein gerichtlicher Kunstausdruck für Brecheisen. Dieser besagte Kuhfuss ist ein indicium und sozusagen ein corpus delicti, denn was hat er mit einem Kuhfuss in fremde Häuser zu gehen? Nämlich, also mit diesem Kuhfuss kann Driebenkiel nun aber barbarisch hauen, noch dazu, da er so stark ist, und wo so ein Kuhfuss auf den härtesten Dickkopf niedersaust, da ist der sozusagen zu Mus. Wir kennen nun aber ganz genau den Plan von den Spitzbuben, und da müssen wir sie arretieren in dem Augenblick, wo Driebenkiel den Kuhfuss abgelegt hat, und das ist, wenn er auf das Bett losstürzt, denn dann braucht er seine beiden Hände. Er hat ja selber gesagt, dass er den Kuhfuss dann beiseite stellen will. Und nun kommt nämlich das Feine von meinem Plan, was ich mir eben erst ausgedacht habe. Ich hab‘ zwar mit meinem Kollegen Püttelkow noch nicht darüber gesprochen, aber ich glaube doch, dass er es sich zur Ehre anrechnen wird, die Rolle zu spielen, die ich ihm zugedacht habe, auch wenn vielleicht, sozusagen, ein bisschen Gefahr dabei sein sollte.«

Hier wurde Püttelkow sehr aufmerksam und hellhörig, fing an pränumerando etwas stolz auszusehen und zog seine beiden Backenbärte mit seinen grossen, dicken und knochigen Händen auseinander.

Mudrach sah ihn eine Weile von oben herab prüfend an und sagte dann: »Püttelkow wird sich nämlich in Herrn Wohlands Bett legen. »Wenn dann Driebenkiel auf ihn losstürzt und ihn an der Gurgel packen will, dann wird Püttelkow ihn gefasst kriegen wie ein Schlachterhund, sozusagen, und Jochen Nehls, den nehm‘ ich dann auf mich.«

Püttelkow schien diesem Vorschlage nur geringen Beifall zu schenken. Er fasste mit den Fingern in seine Halsbinde, als fühle er dort schon den schrecklichen Gurgelgriff, zog die Unterlippe hoch, die Nase kraus und die Augenbrauen zusammen, kurz, er sah aus, wie ein Mensch, der gezwungen wird, einen sehr grossen Löffel voll Chinin einzunehmen. Dann bewegte er langsam seinen Kopf hin und her, dass die Glanzlichter auf seiner Glatze gar lieblich wechselten. Er schien damit andeuten zu wollen, dass die Phantasie seines Kollegen gar widerliche und verdriessliche Wege eingeschlagen habe. »Nee, o nee!« sagte er ganz kläglich, »wenn der mich erst an der Gurgel hat! Nee, o nee! Ein Kerl, der Hufeisens grad biegen kann, Das ist kein Plan nich! Nee, o nee!«

Onkel Simonis meinte ebenfalls, dass, wenn der Dienst der Gerechtigkeit auch zuweilen Opfer fordere, man doch niemand zumuten dürfe, seinen Hals zu solchen gewagten Experimenten herzugeben. Nun griff aber Herr Wohland an die Wand, wo seine frischgeladenen doppelläufigen Pistolen hingen, nebst andern Waffen und Jagdgeräten, nahm eine der Pistolen herab und sagte, indem er auf die beiden Polizisten deutete: »Wir drei … versteckt im Zimmer. Wenn er hereinkommt; Blendlaternen auf. Ich sage: ›Steht, oder ich schiesse.‹ Festnehmen! Abgemacht! Der Kerl weiss, dass ich auf fünfundzwanzig Schritt ins Schwarze treffe.«

»Sehr schön,« sagte Mudrach, »ganz famoster Plan, sozusagen, natürellemang ganz famost, aber gut ist es nämlich doch, wenn ihn dann schon jemand fest hat.«

Er hatte indessen fortwährend seinen Blick auf die Jagdgeräte gerichtet, unter denen sich auch Hundehalsbänder befanden, und plötzlich verklärten sich seine Züge.

»Ich hab‘ ’ne Idee,« rief er, »eine Idee, die ist sozusagen noch famoster als famost!« Damit langte er eines jener breiten, ledernen Hundehalsbänder herab, die ringsum mit spitzen Stacheln besetzt sind, und schnallte es ohne weiteres seinem Kollegen um.

Dieser sträubte sich anfangs zwar ein wenig, liess sich aber schliesslich, hochrot und sehr widerwillig, diese That gefallen.

»Passt wie angegossen!« rief Mudrach, schob die Hand in seine Brustfalte, und indem er hochaufgerichtet mit grossartiger Handbewegung auf Püttelkow hindeutete, fügte er hinzu: »Nämlich, nun soll Driebenkiel es, sozusagen, wohl lassen, ihm an die Gurgel zu springen. Hand von der Butter! Angtreh verboten! Ja, nämlich, sozusagen!«

Man musste sagen, diese Tracht kleidete Püttelkow bei seinem Bulldoggengesicht ganz vorzüglich, und als er sich mit dieser Schutzvorrichtung im Spiegel gesehen hatte, willigte er nach einiger weiterer Überredung zögernd ein, sich in dieser von Mudrach vorgeschlagenen Weise als Köder in der Einbrecherfalle benutzen zu lassen.

In diesem Augenblicke klopfte es, und Wahmkow trat herein, nebst Mamsell Kallmorgen, die eine brennende Lampe brachte, denn es dämmerte schon stark. Als sie sich wieder entfernt hatte, stattete Wahmkow Bericht ab. Er hatte Stina in ihr Dorf hinübergerudert, und alles war nach Wunsch gegangen. Driebenkiel hatte ihr richtig aufgelauert, und Stina hatte ihre Sache ausgezeichnet gemacht. Wahmkow hatte beobachtet, dass sich Driebenkiel nachher heimlich die Hände gerieben hatte. Er war offenbar mit dem vermeintlichen Tode des Hundes sehr zufrieden und betrachtete diesen Zufall als eine besondere Gunst des Glücks. Dann war Wahmkow wieder abgefahren in der Richtung nach seinem heimatlichen Dorfe zu, hatte aber hinter dem nächsten Landvorsprung seinen Kurs geändert und war nach dem Uhlenberg wieder zurückgekehrt, um Bericht abzustatten.

»Watmaken winu äwer mit den Hund?« fragte Wahmkow.

»Wieso?« fragte Herr Wohland.

»Dei Hund makt doch Lärm!« sagte Wahmkow. »Wenn hei ’s abens nich vonne Kär‘ kümmt, as hei dat gewennt is, denn hult hei in einsen weg. Un wenn dei Kierls kamen, denn fangt hei an tau wuffen, wenn sei noch up’t Water sünd. Un hei sall doch ’n dorigen Hund sin. Meinen Sei, dat Driebenkiel denn nich Müs‘ markt? Ick will Sei wat seggen, Herr Wohland, ick nehm‘ den Hund mit. Hei geiht jo giern mit mi, hei is jo ok all mal mit mi wäst, as dei Herr mi na den Bornaschen Hof schickt hett, in ’n verladen Austmand. Dat best is, ick führ glicks mit em af.«

Wahmkows weiser Gedanke fand grossen Beifall, denn merkwürdigerweise hatte niemand, auch der grosse Kriminalmann Mudrach nicht, daran gedacht, dass der Hund, wenn er auf der Insel blieb, natürlich alles verraten würde.

Als nun Wahmkow mit ihm abgefahren war, geschah etwas, was ich schon den ganzen Tag gefürchtet hatte, denn Onkel Philipp sagte zu mir: »So, mein Sohn, ich bleibe hier, bleibe selbstverständlich hier, aber du machst dich sofort auf und fährst mit Hinrich nach Hause, ehe es ganz Nacht wird. Du bist hier ganz überflüssig und nur im Wege, und die Eltern ängstigen sich sonst um dich. Deine Mutter ängstigt sich jetzt schon, das weiss ich, weiss ich ganz bestimmt. Also Adieu gesagt und dann munter vorwärts.«

Ich wusste, wenn Onkel Philipp so sprach, da gab es keine Widerrede, und mit tiefer Trauer im Herzen verabschiedete ich mich. Herr Wohland drückte mir kräftig die Hand.

»Tapfrer Junge«, sagte er, »nie vergessen.«

Ich ging auch zu Mamsell Kallmorgen, um ihr Adieu zu sagen, und sie liess es sich nicht nehmen, mir noch ein ungeheures Butterbrod mit Schinken als Reisevorrat mitzugeben: »Und denn adjö, mein süssen Jung«, sagte sie, wobei ich nur froh war, dass isern Hinrich es nicht hörte, dass sie süsser Junge zu mir sagte, »un komm gut nach Hause! Weisst du, was du von uns büst, von Herrn Wohland un mich? Ein Retter, ein Retter, von Gott gesandt, as ins Gesangbuch steht. Igittegittegitt, wenn ich an den gräsigen Driebenkiel denk‘ und an sein Mundzustopfent denn steht mich ümmer noch vor Angst das Herz still. Aber nu is Herr Mudrach ja da, szuden hab‘ ich solches Szuvertrauent, das ist ein grossartigen Mann un hat so furchtbar viel Kurakter, der wird die infamtigen Kerls schon Moritzen lernen. Un denn, mein süssen Jung, grüss auch dein lieb Mudding von mich. Ich kenn ihr ganz gut, sie war ümmer so sanft un so solide un so furchbar gemütvoll. Un denn macht mich kein dumm Zeug aufs Wasser und wiwagt nich ümmer so mit die Boot. Gott nee, ich weiss nich, wie einen überhaupt so was Spass machen kann; mich stehen die Haare zu Berg, wenn das Wiwagen losgeht. Aber in so’n Jung, wenn es auch solchen netten, süssen Jung is, as du einen büst, mein Reinharding – ein Stück Deubel sticht da doch ümmer ein. Na adjö, adjö, un grüss auch ja dein lieb Mudding!« Und damit beugte sie sich nieder und gab mir einen so ungeheuren Kuss, dass sparsame Leute daraus ein Dutzend gemacht haben würden.

Ich wischte noch an diesem Abschiedsgeschenk, als ich bei isern Hinrich ankam, der auf dem Stege sass und mit grosser Begeisterung durch die Zähne pfiff. Er hatte diese Sorte von musikalischer Begabung erst heute bei dem langen Warten, zu dem er mehrfach gezwungen war, bei sich entdeckt und pflegte diese ungewohnte Kunst mit einer Art von berauschter Hingebung, indem er bestrebt war, seinen ganzen Melodienschatz auf diese neue Art von sich zu geben. Er war gerade dabei, das schöne Lied zu pfeifen von dem Bauern, der immer so sauer aussah.

»Uns Buer, uns Buer!
Worum süht hei so suer ut, so suer ut,
Uns Buer?
So süht er von Natuer ut, Natuer ut,
Uns Buer!
Dei beste Melk, dei beste Melk,
Uns Buer!

Un kiek, nu argert sick dei Mann,
Das hei nich Bodder melken kann.
Dorüm süht hei so suer ut, so suer ut,
Uns Buer!«

Er liess sich gar nicht stören und pfiff erst sein Lied zu Ende. Dann sagte er: »Dörch dei Tähnen. Heww’k hüt ierst liehrt. Geht fein.«

Und dann fing er gleich wieder ein andres Lied an:

»Wenn dei Hund mit de Wust ut’n Steinduhr löppt
Un dor den hungrigen Leutnant dröppt,
Denn is dei Leutnant ok nich ful
Un ritt den Hund dei Wust ut’t Mul!«

Er hätte mir noch weit mehr Musikalisches zum Besten gegeben, allein ich unterbrach ihn mit der Nachricht, dass wir nach Hause fahren sollten, was ihn sehr überraschte und ihm nicht recht war, denn er hatte ebenso wie ich gehofft, bei dem grossen Ereignis heute abend zugegen sein zu dürfen.

Hinrich hatte einen guten Gedanken. »Ick will di wat seggen«, meinte er, »wi nehmen jug oll Jöll tau ‚t Na-Hus-führen und leggen dissen Kahn hier achter dei annern, dei hier liggen. Wenn dat denn ok all düster is, den Albatros kenn’n dei beiden Spitzbauben tau gaud, un wenn s‘ dei oll Jöll tau seihn kriegen dauhn dehren, denn keem ehr dat am En’n nich richtig vör.«

Dieser Gedanke leuchtete mir ein, und nachdem wir nach isern Hinrichs Vorschlag gehandelt hatten, fuhren wir ab. Ich hatte unterwegs natürlich genug zu erzählen, und da isern Hinrich auch dabei nicht seine neuerwachte Kunstbegeisterung zu dämpfen vermochte, so bekam unsre Unterhaltung einen ganz melodramatischen Anstrich, denn wenn ich von Mudrachs Augen schwärmte, wo er so furchtbar mit kucken konnte, da pfiff isern Hinrich sehr lieblich durch die Zähne: »Du hast ja die schönsten Augen«, ein Lied, das damals gerade in Begleitung der Drehorgel auch in die abgelegensten Winkel gedrungen war. Und als ich von Stinas Rolle in diesem Drama erzählte und von dem Tanzvergnügen, dem sie am. Sonntag beiwohnen wollte, da tönte es gar fein zwischen seinen Zähnen:

»Hans kiek ut ‚e Luk, is ‚e Luft ok rein,
Morgen woll’n wir lustig sein!«

Und als ich von dem grossartigen Plan mit dem Stachelhalsband erzählte, den Mudrach sich ersonnen hatte, um Driebenkiel sicher zu fangen, da pfiff er wieder in beziehungsvoller Anspielung auf den durchlöcherten Plan der beiden Spitzbuben:

»Und wenn dei Pott ’n Lock hett,
Min leiwer Heinerich, min leiwer Heinerich!«

So merkten wir denn kaum bei dieser sinnreichen Unterhaltung, wie lang der Weg nach Hause war.

Ich wurde schon ängstlich erwartet, und da Adolfs Eltern mit ihm bei den meinigen zu Besuch waren, so musste ich natürlich wieder ausführlich von dem Fortgang dieses Abenteuers berichten. Nach dem Abendessen aber, das sich etwas in die Länge gezogen hatte, als die Väter mit ihren beiden Frauen beim Whist sassen, da schlichen wir uns heimlich hinaus in den Garten, denn wir wollten wenigstens das von diesem entscheidenden Abend haben, Jochen Nehls abfahren zu sehen. Wir kletterten zu meinem Hochsitz in der Linde empor, wo man die Seebucht zum grossen Teil übersehen konnte, und starrten hinaus in die schweigende Nacht. Es war ganz still; nur vom Dorfe aus hörte man zuweilen Stimmen und Hundegebell. Die Seebucht lag vor uns, fast ganz schwarz von den Schatten der Uferbäume; nur in der Mitte spiegelte sich der sternklare Himmel in einem helleren Streifen wider.

Diesen Streifen musste Jochen Nehls irgendwo passieren, wenn er den Ort seiner Bestimmung erreichen wollte. Aber alles blieb still, nur zuweilen sprang plätschernd ein Fisch, oder aus dem Uferrohr kam ein leichtes Geraschel und ein traumhaftes Gezwitscher schlafender Vögel. Endlich schlug die Uhr am Giebel des Herrenhauses mit gellendem Tone zehn. Sie ging allerdings wie die Uhren auf dem Lande, besonders zur Erntezeit, immer viel zu früh.

Es blieb immer noch still, und nichts rührte sich, nur bemerkten wir, dass in dem Katen, wo Jochen Nehls wohnte, ein kleines erleuchtetes Fenster plötzlich dunkel wurde. Wir horchten und lauschten wohl fünf Minuten lang angestrengt. Einmal war es uns, als hörten wir den dumpfen Ton schwerer Stiefeln auf einem Kahnboden und dann wieder von Zeit zu Zeit ein leises Plätschern. Wenn Jochen Nehls schon unterwegs war, so musste er sein Ruder mit Lappen umwickelt haben, sonst hätte man bei der grossen Stille das Rucksen in den Dollen deutlich hören müssen.

»Da, da!« flüsterte Adolf Martens plötzlich, indem er krampfhaft meinen Arm presste und mit der anderen Hand auf den See zeigte.

An einer Stelle, wo der hellere Teil der Bucht besonders schmal war, glitt ein niederer schwarzer Streifen dahin, in der Mitte mit einer dunkeln Erhöhung, die sich taktmässig hin und her bewegte. Wir hörten nichts als zuweilen ein leises Plätschern von tropfendem Wasser, und bald war die Erscheinung wieder im schwarzen Schatten der Bäume verschwunden. Wir hatten die Empfindung, als kröche ein seltsam unheimliches Tier in aller Stille auf Raub aus.

Wir lauschten noch eine Weile und stiegen dann von unsrer Warte wieder herab. Den Eltern aber, die behaglich an ihrem Whisttische sassen, verkündeten wir mit grosser Aufregung: »Es geht los, wir haben Jochen Nehls eben abfahren sehen!«

Wir konnten am anderen Morgen kaum erwarten, dass Onkel Philipp zurückkehrte, und standen stundenlang auf dem Stege, um nach ihm auszuschauen. Nach der Kirche eilten wir gleich wieder nach diesem Orte, allein noch immer wollte sich nichts zeigen. Endlich gegen zwölf Uhr sahen wir seinen Kahn an der fernen, vorspringenden Rohrecke, und wir sprangen sofort in unsre Jolle, um ihm entgegenzufahren. Wahmkow ruderte den Kahn, und als wir ihn erreicht hatten, hingen wir unser Fahrzeug hinten an und stiegen zu dem Onkel hinein.

Er sah mit Lächeln, wie wir neugierig auf ihn hinstarrten und die Begier nach neuer Zeitung aus unsern Augen sprach.

»Wär‘ ich nun der selige Joachim Heinrich Campe«, sagte er, »so würdet ihr jetzt gar nichts andres zu hören bekommen, als einen prachtvoll lehrreichen Vortrag über den Wert der Tugend und den bildenden Einfluss kraftvoll bezähmter Neugier, ja, das würdet ihr. Da ich aber der selige Joachim Heinrich Campe nicht bin, so will ich euch nur gleich sagen, dass wir die Kerls haben. Intus auf Numero Sicher. Wie das zuging, fragt ihr wohl? Programmmässig, durchaus programmmässig. Nur dass ich mir auch noch eine von den doppelläufigen Pistolen ausbat. Herr Wohland auf der einen Seite des Bettes hinter einem Schrank, ich auf der anderen Seite hinter einem Vorhang versteckt, Püttelkow drin als Lockspeise mit dem Hundehalsband und Mudrach in meiner Nähe hinter der geöffneten Thür. Herr Wohland und ich hatten ausser den Pistolen die beiden wohlverschlossenen Blendlaternen. Da wir uns schon früh bereit stellten, so war das Warten im Dunkeln sehr langweilig, ganz unbeschreiblich langweilig, da wir uns natürlich nicht unterhalten durften. Die Zeit schlich und schlich und kam nicht aus der Stelle, eine Schnecke war ein Schnellläufer dagegen.

»Endlich schlug es elf auf Herrn Wohland seiner grossen Wanduhr. In der grossen Stille hörte man eine Menge Geräusche. Bald war es wie ein leises Knirschen auf dem Kies, bald knackte es hier, bald raschelte es da, und allmählich wurde mir sehr unheimlich zu Mut, grauenhaft unheimlich. Ich kam mir vor wie ein Jäger, der in den indischen Dschungeln im Dunkeln auf einen Tiger lauert, der unhörbar heranschleicht. Ich fing an, Gestalten zu sehen und Geräusche zu hören, die gar nicht da waren. So verging scheinbar eine unendliche Zeit, da hörte ich plötzlich ein deutliches Geräusch, einen knirschenden Ton wie von Eisen, das sich an Mauerwerk reibt. Es war wie eine Erlösung, ja wahrhaftig, wie eine Erlösung, denn offenbar, nun ging es los. Trotzdem hämmerte mein Herz furchtbar, so dass ich es hören konnte, und zugleich durchfuhr mich ein jäher Schreck, denn es tastete etwas an meinem Arm, und eine eiskalte Hand drückte die meine. Gott sei Dank, es war nur Mudrach. ›Aufgepasst!‹ flüsterte er. Dann kam wieder ein Geräusch wie ein sanftes, singendes Knarren einer Thür, die ganz langsam und vorsichtig geöffnet wird, und dann plötzlich wieder Totenstille. Nach einer Weile fuhr ich plötzlich zusammen, denn im Nebenzimmer knarrte eine Diele, und dann gab es einen leichten Ruck, als wenn jemand gegen einen Stuhl stösst. Wieder eine Weile Totenstille, und nur das Sieden des Blutes war in meinem Ohr. Dann huschte der feine Lichtstrahl einer nur wenig geöffneten Blendlaterne über den Fussboden und blieb auf Herrn Wohlands Bett haften. Es war nur ein Moment, aber ich konnte deutlich Püttelkows rotes Gesicht erkennen und sah, dass er, um seine verdächtige, blanke Glatze zu verhüllen, einen Zipfel des Kopfkissens darüber gezogen hatte. Was natürlich sehr vorsichtig und schlau von ihm war ausserordentlich schlau, denn Herr Wohland hat noch sein volles Haar, und bei Tage würde selbst ein Wombat diese beiden Männer nicht miteinander verwechseln, Ein Wombat, sage ich, denn dieser ist das dümmste Tier, das es auf der Erde giebt. Ein Esel ist ein Schlaukopf dagegen.

»Dieser Lichtblitz aber dauerte nur einen Moment, und es war wieder dunkel. Gleich darauf aber vernahm ich etwas wie einen tigerhaften Sprung und ein Tappen hinterher und gleich darauf den Ausruf Driebenkiels: ›Au, verflucht!‹ Er mochte wohl in unliebsame Berührung mit dem Hundehalsband gekommen sein. Doch sofort hinterher fing Püttelkow furchtbar an zu brüllen mit einer Kraft und Stärke, die ich dem kleinen Kerl gar nicht zugetraut hätte: ›Ich hab‘ ihm, ich hab‘ ihm! Hilfee! Hilfee!‹ Und so brüllte er unausgesetzt, und es klang so angstvoll und schrecklich, als wenn Driebenkiel »ihm« hätte. Dies alles ging aber viel schneller, als man erzählen kann, denn in demselben Augenblicke hatte auch schon Herr Wohland die Blendlaterne aufgerissen und rief: ›Steh‘ Hund, oder ich schiesse!‹, und ich hatte ebenfalls meine Blendlaterne aufgerissen und rief auch: ›Steh‘ Hund, oder ich schiesse!‹ Und gleichzeitig hatte Mudrach die Thür zugeschlagen und verriegelt und seine Augen aufgerissen und ging mit seinem allerfurchtbarsten Blick auf den Einbrecher zu und sagte: ›Driebenkiel, ich verhafte Sie im Namen des Gesetzes!‹

»Dieser aber konnte ihn garnicht sehen, denn Püttelkow hatte ihn mit den Armen wie mit eisernen Klammern umfasst, und da Driebenkiel mit der Schulter gegen das stachelspitzige Halsband gedrängt wurde, so schrie auch dieser mordsmässig und das ganze Bett war ein Gemisch von zappelnden Beinen und Gebrüll. Um Jochen Nehls aber bekümmerte sich niemand, und es war auch nicht nötig, denn er war vor Schreck ganz erstarrt, und nur seine Kniee zitterten beträchtlich. Sein Gesicht sah erdgrau aus bis auf die Nase, die ihr mit so viel Ausdauer erworbenes schönes Blaurot auch in diesem Augenblick nicht verleugnete. Da nun Mudrach die fascinierende Gewalt seines Blickes nur an Driebenkiels Hinterseite ausüben konnte und diese naturgemäss dafür unempfänglich war, so fasste er sich schnell und ging an seine Arbeit, und es gelang ihm auch mit Hilfe seines Kollegen, Driebenkiel zu fesseln, was dieser sich auch mit einem Ausdruck der Missachtung von Gesetz und Recht und der noch grösseren Verachtung ihrer Diener gefallen liess. Musste er sich auch wohl gefallen lassen, musste er wohl, denn der Ueberredungskraft zweier auf ihn gerichteter Doppelpistolen konnte auch sein gestähltes Herz nicht widerstehen. Bei Jochen Nehls machte die Sache gar keine Mühe. Er liess sich ruhig die Handschellen anlegen und sagte nur zu seinem Gefährten:

›Dei Lerre, dei Lerre! Ick heww dat hüt gliek seggt; dat dei Lerre wedder dor wir, dat geföll mi nich.‹

Unterdes nun hatte Mudrach sich hoch aufgerichtet und liess die ganze Kraft seiner Augen gegen den gefesselten Driebenkiel spielen. Dieser aber, dessen gestählte Verbrecherseele für solches Geschütz unempfänglich war, sprach schändliche Worte :

›Wat rittst din Kalwsogen up? Dor mak oll Wiwer mit grugen. Wiren dei Herren nich wäst mit dat Scheittüg, denn wir ick mit jug beiden Grashüppers woll noch farig worden, dor harr mi Jochen Nehls, dei olle Nusch, gar nich bi tau helpen brukt. Gah hen un jag Sparlings ut ‚e Arften mit din Glupogen – dor sünd s‘ gaud naug tau.‹

»Mudrach wandte sich mit erhabener Gebärde verachtungsvoll ab, und die beiden gefesselten Einbrecher wurden nun in einen festen Keller mit eisenbeschlagener Thür gebracht, wo sie es sich auf einer Schütte Stroh für die Nacht bequem machen konnten.

»Herr Wohland mochte aber wohl denken, dass nach solchen aufregenden Thaten für uns alle eine Herzstärkung erwünscht sein möchte, und ging mit seiner Laterne, als wir von dem Keller zurückkamen, aus der Hausthür über den Hof zum Nebengebäude. Ich blieb in der Hausthür stehen. Er fasste an die Klinke, die Thür war verschlossen. Als er kräftig klopfte, blieb alles still. Er schlug mit der Faust drei kräftige Schläge gegen die Thürfüllung und nun regte sich endlich etwas. Mamsell Kallmorgen musste wohl denken, als nach Püttelkows grausigem Geschrei endlich Ruhe eingetreten war, die schrecklichen Räuber hätten uns besiegt, und es käme nun an sie die Reihe. Mit unendlich kläglicher und jammervoller Stimme wimmerte sie hinter der geschlossenen Thür: ›Ach lieber Herr Driebenkiel, haben Sie doch Erbarment! Ich hab‘ Sie ja nie nich was gethan. Un was hab‘ ich Sie ümmer für schönes Essent gekocht!‹‘

»Herr Wohland wurde ungeduldig und schlug noch einmal heftig gegen die Thür: ›Unsinn, Aufmachen! Ich bin es!‹ rief er. Die alte Mamsell war aber so perplex, dass sie seine Stimme nicht erkannte. Sie that einen grossen Jammerschrei und wimmerte weiter.

»Ich will Sie ja allens geben, allens, was Sie haben wollen. Ich will Sie allens hier durch das Katzenloch ‚rausschieben, den Strumpf mit mein bischen Geld un meine sechs sülvernen Esslöffels un meine sechs sülvernen Theelöffels un meine sülverne Zuckerdos‘ un mein’n sülvernen Rohmguss. Un meine Bernsteinkrallen un meine golne Brosch‘ un mein’n golnen Ring mit das Vergissmeinnicht un mein’n sülvernen Fingerhut. Ach, haben Sie doch man bloss Erbarment!‘

»Na, Herr Wohland wurde nun ganz ärgerlich und fing an zu schelten, und da erkannte sie endlich seine Stimme und schloss auf, und als sie hörte, dass die Spitzbuben gebunden im Keller lägen, da fiel eine grosse Last von ihr ab, und ich glaube, wenn sie nicht ausserdem noch drei Zentner schwer gewesen wäre, sie hätte gehüpft und gesprungen. Und dann machte sie nach Herrn Wohlands Anleitung einen prachtvollen Punsch von altem Burgunder und uraltem Jamaikarum, sanft wie Öl und feurig wie die Hölle. Ich sage euch, die beiden Polizisten haben davon gesogen wie die Blutegel, denn so ein liebliches Gretränk war ihnen wohl noch nicht vorgekommen, und als um zwei Uhr die Bowle leer war und sie abzogen, ihre Gefangenen zu bewachen, da redeten sie mit fremden Zungen. Sie setzten sich auf zwei Stühle an beiden Seiten der Kellerthür und wachten so kräftig, dass man ihr Schnarchen durch das ganze Haus hören konnte. So sagte mir heute morgen Herr Wohland, der die ganze Nacht nicht zu Bette gewesen ist und das eigentliche Wachen besorgt hat. Heute morgen sind sie denn mit den beiden Gefangenen abgezogen, Herr Wohland hat sie selbst hinübergerudert nach dem nächsten Dorf, und dort haben sie einen Wagen genommen. Jetzt sitzen die beiden Schufte wohl schon sicher hinter eisernen Gardinen, wo sie hingehören.«

So erzählte Onkel Philipp, und wir vernahmen mit Behagen den glücklichen Verlauf dieses Abenteuers. Für uns hatte es noch angenehme Folgen, denn wir waren natürlich für lange Zeit die Helden des Tages. Wir kamen sogar in die Zeitung, und Lorbeer flocht sich um unsre Stirn. Wir aber freuten uns, in die Lage gekommen zu sein, Herrn Wohland, der uns damals aus dem Wasser gezogen hatte, diese That zu vergelten und ihn vor verdriesslichen Schicksalen und empfindlichen Verlusten zu bewahren. Dieser aber schien, als er die Bilanz unsers gegenseitigen Sollens und Habens zog, noch ein Saldo zu unsern Gunsten entdeckt zu haben, denn nach vier Wochen kam aus Hamburg ein wundervolles Segelboot für uns an, dessen Geber sich nicht nannte. Es hiess auch Albatros, verdiente aber seinen Namen mit mehr Recht als sein Vorgänger, denn es flog vor dem Winde daher wie ein Sturmvogel. Als wir zum erstenmal bei einer frischen Brise damit den Uhlenberg umsegelten, geschah etwas, was wir noch nie erlebt hatten. An der Fahnenstange des Schlösschens, die über die höchsten Wipfel emporragte, stieg die Seeflagge unsers Landes empor und salutierte uns dreimal. Zugleich donnerten drei Kanonenschläge über den See hinaus und verhallten allmählich in fernen und ferneren Buchten.