Am 9. September schifften wir uns, bis oben vollgefüllt mit guten Ermahnungen unsrer Eltern und Onkel Philipps, nach Rosenwerder ein, voll heiterer Abenteuer- und Unternehmungslust. Unsre Ausrüstung war folgende: Gekleidet waren wir in unser sogenanntes Buschrangerzeug, das aus einem unverwüstlichen hausgemachten, blau und grau gestreiften Leinenstoff hergestellt war und seinen Namen davon trug, dass es nichts Geeigneteres gab, um damit ohne Schaden in Büschen und Bäumen herumzurangen. Wir waren diesem Stoffe gegenüber machtlos, er war zäher als Leder und das sogenannte unzerreissbare Bilderbuch Löschpapier gegen ihn. In einem alten Seehundskoffer verpackt war für jeden ein zweiter solcher Anzug und die nötige Wäsche. Dann war da die Futterkiste, die einige der riesenhaften groben Landbrote enthielt, nebst einem tüchtigen Stück Schinken, rohem und gekochtem Speck, zwei trefflichen Dauermettwürsten, einem Topfe mit Butter, einer Anzahl von Eiern, in Häcksel verpackt, und einem stattlichen Kloben Lederkäse. Vor Hungersnot waren wir demnach auf Wochen gesichert. Dann waren da mannigfache Küchengeräte und unsre Waffen, unsre Bogen, Pfeile, Speere und Tomahawks, und der Glanzpunkt vor allem, eine leichte einläufige Flinte mit Pulverhorn und Schrotbeutel. Sie gehörte Adolf, dessen Vater ihn schon früh gelehrt hatte, mit Schiessgewehr umzugehen. Es war uns gestattet, auf der Insel einen bis zwei Hasen zu schiessen, wenn wir könnten, und ferner so viel Eichhörnchen und schädliche Vögel, als Sperber, Krähen, Elstern, Häher und Neuntöter, wie wir wollten, vorausgesetzt, dass diese sich das gefallen liessen. Ausserdem hatte ich für einige Bücher gesorgt. Verstaut waren all diese Schätze in unsrer alten Jolle, und diese schleppte wie ein Junges das sogenannte Kanoe hinter sich her, jenes Fahrzeug, dem Onkel Philipp vor einigen Tagen sein Misstrauen bezeugt hatte. Und doch war dieser kleine Kahn ein wahres Meisterstück des Rademachers, mit dem er in die Reihe der Schiffbauer eingetreten war und sich dadurch, nach unsrer Meinung, mit Ruhm bedeckt hatte. Der Boden des kleinen Fahrzeuges war flach und aus einem sehr starken und schweren Brette hergestellt, durch dessen Gewicht eine genügende Stabilität erzielt wurde. Im übrigen hatte das schmale Ding eine angenehme Zigarrenform und drei Sitze. Fortbewegt wurde es wie die Kajaks der Eskimos durch Ruder, die an jedem Ende eine Schaufel hatten und abwechselnd rechts und links eingetaucht wurden.
Also trefflich ausgerüstet fuhren wir von dem Stege des Gutsbesitzergartens ab, während unsre Eltern und Onkel Philipp am Ufer standen und uns Wünsche und gute Ermahnungen nachriefen. Als wir schon fast ausserhalb der Rufweite waren, legte der gute Onkel noch einmal die Hände an den Mund und schrie: »Und nicht öfter baden als zweimal täglich!« Man sieht aus der Milde dieser Bestimmung, dass wir in diesem Punkte unsre Eltern und Erzieher nicht gerade verwöhnt hatten. Wir hätten nun eigentlich stilvollerweise unsre Robinsoninsel nicht anders als nach dem obligaten Schiffbruch betreten dürfen. Da man uns auf der linken Seite der Insel, wo wir in der Nähe unsrer Hütte landen wollten, vom Dorfe aus nicht sehen konnte, hatten wir auch vorher sorgfältig erwogen, ob wir nicht ein solches Ereignis künstlich herbeizuführen vermöchten, um dem Unternehmen mehr Naturwahrheit zu verleihen. Wir waren aber nach reiflicher Erwägung übereingekommen, auf dieses Ornament zu verzichten, da wir davon einen starken Schaden für unsere Vorräte befürchteten, und beschränkten uns darauf, einige Zeit vor der Landung durch heftiges Schaukeln einen gewaltigen Orkan aus Westsüdwest zu markieren und aus unsrer kleinen Schiffskanone, die aus einem alten Pistolenlauf auf Kadern bestand, einige Notschüsse abzufeuern. Nach Erledigung dieser Formalitäten liefen wir friedlich in die Rettungsbucht ein, denn also hatten wir unsern Landungsplatz getauft.
Die Zeremonien der Besitzergreifung dieser Insel hatte ich vorher genau festgestellt. Zunächst sprangen wir mit einem Freudenschrei ans Land, knieten nieder und küssten den Boden, was Adolf zwar für furchtbar dummes Zeug erklärte, mir aber für diese Situation unerlässlich und ausserdem höchst poetisch erschien. Eine Fahne in den Landesfarben hatten wir mitgebracht; auf einem kleinen Hügel pflanzten wir sie auf und nahmen das Land in Besitz. Ich hielt dazu eine kleine Rede, und Adolf schoss dreimal seine Flinte ab. Dann gingen wir, er mit seinem Gewehr und ich mit Bogen und Pfeilen und einigen Speeren bewaffnet, einen Tomahawk im Gürtel, vorsichtig voran und entdeckten die Gegend. Nicht wenig erstaunten wir, als wir nach kurzer Zeit die Hütte erblickten. »Ein Wigwam«, sagte ich, »von tropischen Pflanzen umgeben. Das Land ist bewohnt! Vielleicht von Menschenfressern!«
»Lass sie nur kommen«, sagte Adolf in einem Tone erhabener Tapferkeit, »Robinsons getreue Büchse wird ein ernstes Wort mit ihnen sprechen.« »Und Freitags Pfeil«, rief ich, »hat noch nie sein Ziel verfehlt, sein Speer ist sicherer Tod und sein Tomahawk der Schlüssel zu den ewigen Jagdgründen!«
Dann schlichen wir, einer in die Fusstapfen des andern tretend, vorsichtig näher und fanden die Hütte leer, auch anscheinend unbewohnt. »Vielleicht die verlassene Ansiedlung eines Schiffbrüchigen, der gerettet worden ist«, sagte Adolf.
»Um so besser für uns«, erwiderte ich, »treten wir sein Erbe an und segnen wir sein Andenken!«
»Wo hast du eigentlich all die unklugen Redensarten her?« fragte Adolf mit einer seltsamen Mischung von Geringschätzung und Bewunderung.
»Als Freitag noch bei seinem Stamme weilte«, antwortete ich, »nannte man ihn Goldmund, und selbst die Greise lauschten seiner Rede.«
»Hugh!« sagte Adolf.
Wir liessen damit einstweilen diese kleine Komödie fallen und begaben uns an die Arbeit. Wir schleppten mit grosser Mühe unsre Vorratskiste und unsre Koffer herbei und richteten uns ein, hingen unsre Küchengeräte und Waffen an den Wänden auf und assen dann ein wenig.
Die eigentliche grosse Mahlzeit wollten wir erst am Abend nach vollbrachter Arbeit zu uns nehmen. Und Arbeit gab es genug. Wir schleppten zunächst eine grosse Menge von trockenem Holz herbei für die Unterhaltung des notwendigen Feuers, und dann gingen wir aus, Vorräte zu sammeln, Haselnüsse, Brombeeren und Holzbirnen. Dann grub ich Regenwürmer an einer geeigneten Stelle, setzte mich mit einer unsrer mitgebrachten Angelruten in das Kanoe und fuhr nach einer stillen Rohrbucht, wo vermutlich Barsche standen, während sich Adolf auf die Jagd begab. Denn obwohl wir mit Vorräten reich versehen waren, hielten wir es doch für verdienstvoller, uns möglichst von den Erträgnissen der Jagd und des Fischfanges und den Früchten des Waldes zu ernähren. Während ich nun in meiner stillen Rohrbucht sass und ab und zu einen kleinen Barsch, einen Gründling, einen Plötz oder auch nur einen Weissfisch hervorzog, hörte ich in der Ferne einen Schuss, der offenbar von Adolfs Flinte herrührte. Gegen Abend ruderte ich mit etwa acht bewunderungswürdig kleinen Fischen wieder heimwärts und fand Adolf auf der Bank vor unserm Häuschen sitzend, wie er mit wichtiger Miene einen Häher rupfte. Die blauen Flügelspiegelfedern hatte er sich als Trophäe an seine Mütze gesteckt. »Ich sorgte für das Geflügel zum Abendbrot«, sagte er mit einem Ausdruck nachlässiger Selbstverständlichkeit, »was schafftest du herbei?«
»Ich lag dem Fischfang ob«, antwortete ich, »in der Bucht des blauen Vorgebirges, sieh hier meine Beute.« Damit schüttete ich die kleinen Fische aus meinem Netze ins Gras, wo sie blitzend zappelten.
»Katzenfische!« sagte Adolf mit einem verächtlichen Seitenblick, hob seinen gerupften Häher am Kopf hoch und betrachtete ihn wohlgefällig.
Ich zog nun Stahl und Stein und Zunder aus der Tasche und begann Feuer zu schlagen. Als der Zunder brannte, steckte ich ihn in einen Ballen feinen, trockenen Grases und schwenkte diesen heftig durch die Luft, bis er Feuer fing. Schnell häufte ich trockene Kiefernzweige darüber, die sich schnell entzündeten, und dann gröbere Äste, die bald unter Knistern und Knacken von der züngelnden Glut durchflackert wurden. Es roch sehr angenehm nach Harz und Rauch, und bald waberte eine stattliche Flammenpyramide auf, von deren Spitze eine schnurgerade Säule bläulichen Rauches in die Stille der Luft emporstieg. Man konnte nicht anders sagen, es war ein prachtvolles Feuer. Adolf war unterdes gegangen, um Kartoffeln auszugraben, und ich machte mich darüber her, die Fische auszunehmen und einzusalzen. Als Adolf mit den gewaschenen Kartoffeln zurückkam, ergab sich eine Schwierigkeit, denn wir hatten nur eine Pfanne. Zuerst beschlossen wir, den Häher am Spiess zu braten, dann aber verfiel Adolf auf die glanzvolle Idee, ihn zu kochen und zugleich eine köstliche Bouillon aus ihm zu bereiten. Wir setzten ihn in einem eisernen Kochtopfe mit Wasser und einigen Mohrrüben ans Feuer und versprachen uns hohen Genuss von ihm. An der am meisten niedergebrannten Seite unsers grossen Feuers wurden nun die Kartoffeln in die heisse Asche geräumt, und ich begann dann, so gut ich es verstand, meine Fische zu braten, die den ersten Gang bilden sollten.
Adolf schnitt unterdes einige mächtige Scheiben Brot ab.
»Bratfische müssen kross sein, furchtbar kross!« sagte er mit weiser Miene, »sie müssen nur so knurpsen, wenn man sie isst.«
»Koch du nur deinen Häher«, erwiderte ich, »die schöne Bouillon bruddelt schon ins Feuer.«
Er rückte schnell den Topf weiter ab, nicht ohne sich erheblich zu verbrennen und mit den Fingern in der Luft zu schlenkern.
Ich bräunte unterdes Butter in der Pfanne, die einen köstlichen Duft verbreitete, und that dann meine Fische hinein, wobei das heisse Fett gewaltig anfing zu schreien.
»Anhören thut es sich ganz echt«, sagte Adolf.
Es mag nun wohl seine Berechtigung haben, dass man das Kochen eine Kunst nennt; die Fische wurden zwar »kross,« wie es Adolf verlangte, zugleich sahen sie aber ziemlich schwarz und unansehnlich aus, als sie fertig waren. Wir verzehrten sie auch mit Hingebung und Aufopferung, fanden aber, dass der Genuss, den uns dies Gericht bereitete, nicht ganz der Vorstellung entsprach, die wir uns davon gemacht hatten. Ausserdem wurde der Berserkerappetit unsers jugendlichen Alters durch das winzige Gericht so geschärft, dass wir es unmöglich fanden, auf den zweiten Gang, der doch auch nur aus einem ziemlich winzigen Vogel bestand, noch fast eine Stunde zu warten. Denn eine Stunde, meinten wir, brauche dies köstliche Gericht doch wohl sicher zu seiner Vollendung. Wir holten deshalb die Kartoffeln aus der Asche und ich verfiel darauf, kleine Stückchen Speck, auf ein Hölzchen gespiesst, am Feuer zu braten, und indem wir diese zu unsern Kartoffeln und zu unserm Brot verzehrten, beschäftigten wir uns eine ganze Weile eben so angenehm als nützlich.
Unterdessen war es gegen halb sieben Uhr geworden, die Sonne stand am Horizont, brannte mit einer grossen goldenen Glut durch die Stämme des Waldes und warf einen rötlichen Schein über den See und in die Wipfel der Baume. Es war ganz still, nur das zusammensinkende Feuer machte zuweilen leise, raschelnde Töne, oder ein stärkerer Ast, endlich von der Glut ergriffen, schoss puffend und zischend einen Dampfstrahl von sich. Der Kochtopf brodelte leise, das rieselnde Wasser der Quelle läutete wie mit kleinen Glöckchen, und zuweilen schrie fern im Wald ein Häher. Rief er vielleicht nach dem verlorenen Genossen?
Wir hielten nun endlich den Zeitpunkt für gekommen, uns über das letzte Gericht herzumachen, und da wir unterdes ziemlich satt geworden waren, so konnten wir uns dieser Delikatesse mit besonderer Gemütsruhe widmen. Ich holte zwei Steinguttassen herbei, und Adolf goss mit grosser Feierlichkeit die Bouillon hinein.
»Klar ist sie«, sagte ich, »aber bei mir zu Hause ist sie gelber.«
»Bei uns auch«, meinte Adolf, »so ’n Häher färbt doch furchtbar wenig ab beim Kochen.«
»Und Augen hat sie auch nicht«, meinte ich, »es ist blinde Suppe, wie Onkel Philipp sagt.«
»Die lassen sich mit Butter leicht hinein machen«, sagte Adolf. Wir halfen nun beide mit einem Flöckchen Butter nach, und als uns nun die Suppe mit vielen kleinen Augen freundlich ansah, fingen wir mächtig an zu blasen, denn das Getränk war sehr heiss.
»Die Bouillon sieht noch immer aus wie Wasser«, sagte Adolf etwas bekümmert.
»Sie schmeckt auch ähnlich so«, erwiderte ich, denn ich hatte endlich ein Schlückchen riskiert.
»Aber schön warm ist sie«, meinte Adolf, und so tranken wir die ein wenig nach Salz und Mohrrüben schmeckende Flüssigkeit ergebungsvoll hinunter.
Nun kam der feierliche Augenblick, wo Adolf seine Jagdbeute durch einen Längsschnitt mit seinem scharfen Taschenmesser zwischen uns teilte.
Der Vogel setzte dieser Prozedur einen unerwarteten Widerstand entgegen, und als nun jeder seine Hälfte verzehren wollte, bemerkten wir, dass der Häher, der ein streitbarer Vogel ist, auch nach seinem Tode sich noch zu wehren verstand, denn er war unbeschreiblich zäh.
»Das muss ein ganz alter Grossvater gewesen sein«, sagte ich, und da mir nun der Augenblick gekommen zu sein schien, wo ich mich für die verächtliche Bezeichnung »Katzenfische« zu rächen Gelegenheit hatte, so fuhr ich fort: »Wenn wir nun wirklich auf einer einsamen Insel wären und dieser Vogel uns unbekannt wäre, weisst du, wie ich ihn taufen würde? Ich würde ihn den ›Gummivogel‹ nennen, nicht Gummiarabikumvogel, nein Gummielastikumvogel.«
Adolf grunzte etwas gekränkt.
Wir machten dann in der Abenddämmerung einen Spaziergang um die Insel, eine Entdeckungsreise, wie wir es nannten. Im Westen stand noch ein goldener Schein, der allmählich verblasste. Wir sahen hinüber nach Steinhusen, dessen weisse Häuser aus dem dunkeln Grün der Obstbäume leuchteten. Auf dem Stege des Gutsgartens sahen wir kleine Figürchen, die nach uns zu blicken schienen, konnten aber niemand erkennen. Die Welt spann sich immer tiefer in Dämmerung und Dunkel ein, auf dem See lag ein Ungewisser Dunst, und ferne Waldhügel schauten schwarz herüber. Ein einsamer Kahn mit einem hochaufgerichteten Fischer am hinteren Ende zog wie ein Schattenbild durch die dunstige Fläche und verschwand allmählich im steigenden Nebel, so dass wir nur noch das taktmässige Rucksen der Ruder vernahmen. In den Dörfern am Ufer glomm hie und da ein Licht auf, und alles war still, nur zuweilen rief ein Wasservogel im Rohr, oder eine Eule schrie im nächtlichen Walde. Als wir zu unsrer Hütte zurückkehrten, war es ganz finster. Wir warfen eine Menge Holz auf das noch glimmende Feuer, setzten uns in seinem flackernden Schein auf die Bank vor dem Hause, freuten uns unsers freien Waldlebens und spannen Pläne für die Zukunft, während der Mond, rötlich durch den Dunst schauend, in einer Waldlücke emporstieg. Allmählich schlief unser Gespräch ein, und wir wurden müde. Nach einer Weile sagte Adolf nur noch: »Hier ist es doch fein!«
»Fein ist es hier«, antwortete ich.
Dann zogen wir nur unsre Stiefel und Strümpfe aus, denn als echte Waldmänner schliefen wir natürlich in unsern Kleidern, krochen in unser weiches Heubett, wickelten uns in die warmen Decken, und nach fünf Minuten schliefen wir schon.
Wir hatten wegen des milden Wetters unsre Thür- und Fenstervorhänge nicht geschlossen, und in der Nacht wachte ich einmal auf, denn der Mond war über die Waldwipfel emporgestiegen und leuchtete mir durch die eine Fensteröffnung gerade ins Gesicht. Durch die Thür kam der weisse Schein, überall von der Schwärze der Schatten sich scharf abhebend, und in seinem Lichte konnte man alles fast wie bei Tage erkennen. Ein leises Rascheln am Boden machte mich aufmerksam; es waren Mäuse, die, wohl angelockt vom Dufte unsrer Vorräte, nach Esswaren schnüffelten oder nach verlorenen Krümchen suchten. Ich sah deutlich eine Waldmaus, die zierlich wie ein Eichhörnchen auf den Hinterfüssen sass und zwischen den Pfötchen etwas drehte, das sie verzehrte. Plötzlich schoss auf das Tierchen zu ein dunkles, plumpes Etwas aus dem Schatten hervor mit fabelhafter Schnelligkeit und seltsam hin und her schwankend, ohne doch sein Ziel zu verfehlen, denn ich hörte fast zugleich das Quieken der gefassten Maus und ein behaglich befriedigtes Murksen. Es war ein Igel, der seiner nächtlichen Jagd oblag und alsbald mit der gefangenen Maus sich vor die Hütte zurückzog. Ich wartete noch eine Weile, ob sich ein solches Abenteuer nicht wiederholen würde, allein da alles still blieb, schlief ich sachte darüber wieder ein. Am nächsten Morgen gegen halb sechs Uhr, als die Sonne ihre ersten Strahlen durch die Stämme der Bäume sendete, standen wir auf, und unsre erste That war, dass wir uns entkleideten, über die kleine Wiese hinweg zum See liefen und uns in der Morgenkühle in das frische, klare Wasser stürzten. Die wilden Enten, an solche Störung nicht gewöhnt, standen mit klatschendem Flügelschlag aus dem Rohr auf und strichen in reissender Fahrt, wie geflügelte, langhalsige Flaschen anzusehen, davon, und einige Wasserhühner, die in der benachbarten Rohrbucht friedlich ihrem Gewerbe nachgegangen waren, liefen gleichsam mit den Flügeln über das Wasser hin, um in gesicherter Ferne sachte wieder einzufallen.
Nachdem wir uns eine Viertelstunde mit Schwimmen, Koboldschiessen und Untertauchen vergnügt hatten, rannten wir eine Weile zum Trocknen im Morgensonnenschein auf der Wiese umher, zogen uns wieder an und frühstückten beträchtlich. Kaffee und Thee und dergleichen höhere Kulturgetränke hatten wir mitzunehmen verweigert, Milch besassen wir natürlich auch nicht, und so tranken wir denn köstliches Wasser aus der Quelle und zehrten dazu von unsern Vorräten. Dabei bemerkten wir, dass die Mäuse in der Nacht den Weg in die Futterkiste richtig gefunden hatten und sehr niedliche Löcher in den Speck sowie in eine der Mettwürste gefressen hatten. Wir hielten nun ein grosses Schauri ab über diesen sehr bedenklichen Fall, und das Resultat unsrer Beratung war, dass wir unter der Decke unsrer Hütte ein an vier starken Bindfaden hängendes Brett anbrachten und auf diesem unsre Vorräte niederlegten, während wir die Würste an Nägel hingen, die ebenfalls in die Decke eingeschlagen waren. Auf diese ebenso einfache als sinnreiche Erfindung waren wir nicht wenig stolz, und wir fanden, dass das Ganze einen nahrhaften Eindruck machte und unsrer Hütte zu nicht geringem Zierat gereichte. Dann gingen wir wieder auf Entdeckungen aus, sammelten Holz und andre Vorräte, fanden einen wilden Apfelbaum mit fast reifen Früchten, betrieben Jagd und Fischfang, und so ging dieser Tag dahin wie der vorige, und weitere ähnlicher Art folgten ihm.
So war fast eine Woche vergangen und der Sonnabend herangekommen. Adolf war das Jagdglück wenig günstig gewesen, und er hatte seit jenem denkwürdigen Häher nur eine, natürlich ungeniessbare Krähe und zwei rotrückige Würger mitgebracht, die wir uns feierlich gebraten hatten. Dies mochte wohl zur Dämpfung seines Jagdeifers etwas beigetragen haben, denn an diesem Nachmittage geschah das Unerhörte, dass er sich erbot, zum Angeln auszufahren und es mir überliess, mit der Flinte mein Heil zu versuchen.
Ich konnte zuerst mein Glück gar nicht fassen, denn das Gewehr war Adolfs grösster Stolz, er war sehr eigen damit und hatte es noch niemals aus der Hand gegeben. Ich war so überzeugt von der Nutzlosigkeit solchen Versuches, dass ich noch nie gewagt hatte, ihn zu bitten, mir diesen von mir aufs höchste bewunderten Schatz auch einmal anzuvertrauen. Nun fiel dies Glück plötzlich aus blauer Luft auf mich herab, und nur mit Mühe gelang es mir, hierbei einigen männlichen Gleichmut zu heucheln. Adolf unterliess nicht, mir zuvor einen kleinen Vortrag zu halten, der mir ziemlich überflüssig erschien, denn mit einem Gewehr umzugehen, hatte mich Onkel Philipp längst gelehrt, aber meine Versicherungen nutzten mir nichts; ich musste unter seinen Augen Pulver und Schrot abmessen und die Flinte laden, und nach vielen weisen Ermahnungen, die mir höchst widerwärtig und überflüssig erschienen, liess er mich endlich gehen.
Ich hatte grosse Dinge vor. Kein Ritter, der auszieht, den Drachen zu töten, der die wunderschöne Prinzessin bewacht, war wohl je mit glänzenderen Hoffnungen in den Kampf gegangen. In meinem Arme lag Donner und Blitz und sicherer Tod, das heisst, wenn ich nicht vorbeischoss. Beim einsamen Herumstreifen hatte ich an dem entlegensten Teil der Insel auf einer kleinen Wiese am See schon zweimal einen stattlichen Hasen bemerkt, der diesen nahrhaften Fleck als seine Domäne zu betrachten schien, und der, da Adolf immer in einer andern Gegend der Insel seine Jagd betrieben hatte, durch uns in seinen beschaulichen Lebensgewohnheiten noch nicht gestört worden war. Dieser Hase konnte sich jetzt auf etwas gefasst machen, von dem er sich zurzeit wohl noch nichts träumen liess.
Die Sonne stand schon tief, als ich bei der Wiese ankam, und die Schatten der Erlen und Weiden, die das Ufer des Sees besäumten, fielen weit über sie hin. Ich hatte mich so leise herangeschlichen, als ich nur konnte, und liess nun mit klopfendem Herzen meine Augen über die grüne Fläche schweifen. Nichts war zu sehen; nur einige der schönen Herbstschmetterlinge, Admirale und Trauermäntel, schwankten dort am Waldrande herum, setzten sich zuweilen an die dunkeln Stämme und breiteten ihre schimmernden Flügel aus. Wahrhaftig, da war ja auch ein Distelfalter, der bei uns selten war, und den ich noch nicht in meiner kleinen Sammlung hatte. Aber heute lockte er mich nicht, mein Sinn stand auf ein höheres Wild.
Da der Wind von der Wiese zu mir stand, also günstig war für mein Vorhaben, so suchte ich nach einem geeigneten Platze, mich anzustellen. Ich fand einen alten Baumstumpf, zu beiden Seiten gedeckt von wilden Rosen und Weissdorn, die mit Geissblatt und Hopfen üppig durchrankt waren. Dort sass ich wie in einer grünen Nische, mit dem freien Ausblick über die ganze Wiese. Ich spannte den Hahn des Gewehres, legte dies schussbereit über die Kniee und wartete.
Rings war die abendliche Stille. Der Wind hatte sich ganz gelegt, das Rascheln des benachbarten Rohres war verstummt, und das Laub der Bäume stand wie versteinert im letzten Sonnenschein. Nur die Blätter einer Zitterpappel flimmerten unablässig durcheinander, wie von einem geheimnisvollen Luftzuge bewegt, oder als hatten sie eignes Leben. Zuweilen schnickte ein Rotkehlchen am Waldrand, zuweilen sprang ein Fisch im See, und von den Uferdörfern tönte fernes Hundegebell. Wenn eine Maus im welken Laube raschelte, lief es mir kalt den Rücken herunter, und manchmal hörte ich ein Geräusch wie von tappenden Schritten, das mir den Atem nahm. Aber es geschah nichts, die Wiese blieb leer. Die Schatten der Uferbäume waren nun ganz über sie hingewachsen, die farbigen Schmetterlinge waren verschwunden, über der Rohrwand, die den See einfasste, stand eine grosse, goldene Glut, und die Dämmerungsfalter begannen zu fliegen. Die Fledermäuse tauchten in schwankendem, lautlosem Geflatter aus dem Schatten gegen den hellen Himmel hervor und verschwanden dann wieder im Dunkel. Da, was war das für eine riesige Fledermaus? Nein, ich sah es ja gleich, es war ein Vogel, eine Nachtschwalbe, die mit geräuschlosem, schwankendem Segelflug hinter den Nachtschmetterlingen her war. Ich hörte ganz deutlich von Zeit zu Zeit das laute Zusammenklappen des Schnabels, wenn sie mit ihrem weiten Rachen ein Insekt gefangen hatte. Das Tier schien eine Vorliebe für diesen Platz zu haben, denn es war immer um mich herum, und zuweilen stand es rüttelnd in der Luft vor mir, als wolle es sich die sonderbare Erscheinung am Waldrande genau betrachten.
Die Dämmerung brach herein, doch war es noch ziemlich hell, und als ich nun wieder einmal meinen Blick über das gleichmässige abendliche Graugrün der Wiese schweifen liess, fühlte ich es plötzlich wie einen elektrischen Schlag, denn dort neben dem Weidengebüsch, das auf einem kleinen Horst in der Mitte der Wiese wuchs, sass ein Hase. Er musste in diesem Gebüsch wohl sein Lager gehabt haben, denn sonst hätte ich ihn unbedingt kommen sehen müssen. Leider aber war er zu weit ab; ich schätzte die Entfernung auf achtzig Schritte, und fünfzig konnte man dem Gewehr nur zumuten. Ich wartete nun eine Viertelstunde lang geduldig, ob dieser geehrte Hase nicht die Gewogenheit haben würde, mir ein wenig näher zu treten. Aber seine Äsung schien ihm dort ganz ungewöhnlich zu gefallen, er hoppelte sogar noch ein wenig weiter weg und zugleich nach der Seite, so dass er vom Gebüsch fast verdeckt wurde. Die Dunkelheit mehrte sich, im Westen schimmerte nur noch ein mattes Rot, und bald musste es Nacht sein. Da fasste ich den kühnen Entschluss, mich anzuschleichen. Ich ging auf dem weichen Wiesenteppich etwa zehn Schritte seitwärts, so dass ich zwischen den Hasen und mich das Gebüsch brachte, und von diesem gedeckt bewegte ich mich lautlos weiter, indem ich fortwährend angestrengt vor mich hin spähte. Die Nähe des Gebüsches hatte ich bald erreicht, und nun schlich ich mich vorsichtig um dies herum, immer die Augen auf das hohe Gras gerichtet. Ich musste aber wohl immer ein wenig zu weit voraus gespäht haben, denn plötzlich fuhr ich vor Schreck ziemlich geräuschvoll zusammen, weil ich mit einem Male sah, dass der Hase dicht vor meinen Füssen sass; ich hätte mit dem Flintenlauf sein feistes Hinterteil berühren können. Auf das Geräusch, das ich machte, fuhr nun auch der Hase nicht wenig zusammen, ergriff sofort sein berühmtes und so vielfach zitiertes Panier und riss ungeheuer kraftvoll aus. Ich nahm alle meine Geistesgegenwart zusammen, nahm das Gewehr an die Backe, kam gut ab, und etwas vorhaltend wollte ich Feuer geben, als ich bemerkte, dass ich in der Aufregung und bei meinem Mangel an Übung am Bügel statt am Abzug drückte. In diesem Augenblick schlug der Hase einen Haken, um den Wald schneller zu erreichen, und kam dadurch für mich, der ich ihn anfangs spitz von hinten gefasst hatte, in eine günstigere Lage. Ob ich beim zweiten Male gut oder wie ich überhaupt abgekommen bin, weiss ich nicht, ich weiss nur, dass es plötzlich knallte und dass ich durchs Feuer sah, wie der Hase ein Rad schlug und plötzlich spurlos verschwunden war. Ich stand, während von fernen Uferwaldbuchten das Echo meines Schusses wie ein langsam verhallender Donner zurückkam, ganz verblüfft da und starrte auf den Punkt hin, wo meine Beute gleichsam in die Erde versunken war.
Im nahen Walde stand, durch den Schuss erschreckt, ein Raubvogel auf und brach schwer durch die Äste; einige ebenfalls aufgeschreckte Enten strichen im letzten Schein des Abendrotes mit pfeifendem Flügelschlag über den See hin. Der Hase aber blieb verschwunden.
Ganz zaghaft schritt ich der Stelle näher, wo ich ihn zuletzt gesehen hatte. Das anfängliche Triumphgefühl hatte einer trübseligen Niedergeschlagenheit Platz gemacht, und ich war überzeugt, der Hase habe nur aus Schreck ein Rad geschlagen und sei dann, durch den Pulverdampf meinen Blicken entzogen, in den Wald gelaufen.
Als ich aber näher kam, tauchte aus dem hohen Grase einer kleinen Bodenvertiefung etwas braunes auf. Ich wollte meinen Augen noch nicht trauen, aber als ich zwei Schritte weiter war, da stürzte ich eilfertig auf jenen Ort zu und hob das stattliche, schwere Tier an den Löffeln empor. Es mögen wohl die alten Instinkte unsrer Urvorfahren, die ein Jägervolk waren, in uns erwachen, wenn fast jeden eine Art Rausch ergreift beim Anblick seiner ersten wirklichen Jagdbeute. Es ist ja keine Heldenthat, einen friedlichen Hasen zu morden, und doch, wenn man den ersten erlegten in der Hand wiegt, so ist das eine Empfindung, die nur im ersten Kuss der ersten Liebe oder in jenem erhabenen Moment ihresgleichen hat, wo, man sich zum erstenmal gedruckt sieht.
Es war schon ziemlich dunkel, und ich musste eilen, nach Hause zu kommen, wo Adolf sicher schon auf mich wartete. Ich schnürte dem Hasen die Hinterläufe mit einer Weidenrute zusammen, hing ihn über den Gewehrlauf und trug ihn so auf der Schulter davon. Dazu sang ich, dass es durch den dunkeln Wald schallte:
»Im Wald und auf der Heide,
Da such‘ ich meine Freude,
Ich bin ein Jägersmann!«
Als ich mich unsrer Hütte näherte, sah ich von ferne schon das Feuer durch die Stämme der Bäume scheinen und bereitete mich auf ein recht effektvolles Auftreten vor. Ich nahm den Hasen an den Hinterläufen in die Hand, schulterte die Flinte und ging mit möglichst dick aufgetragener Gleichgültigkeit auf das Feuer zu.
Adolf, der mich kommen hörte, aber vom Feuer geblendet mich nicht sehen konnte, rief: »Na, wonach hast du vorbeigeschossen?« und hielt zugleich einen sehr stattlichen Barsch, den er soeben ausgenommen hatte, in die Höhe, dass er im Lichte des Feuers blitzte.
»Die Büchse Freitags«, sagte ich in erhabenem Tone, »spricht nicht umsonst. Der starke Büffel zittert, wenn er ihren Ton vernimmt, und der blutgierige Jaguar schleicht sich still ins Dickicht, wo es am finstersten ist. Ich war auf der Prairie des Sonnenuntergangs und sorgte für den Sonntagsbraten.«
Damit warf ich Adolf mit einer Miene erhabener Gleichgültigkeit den Hasen vor die Füsse.
Ich glaube fast, Adolf war neidisch, soweit sein biederes Gemüt diese Empfindung zuliess. Jedenfalls empfand er es als eine Ungerechtigkeit, dass das, wonach er all die Abende vergeblich ausgegangen war, nun dem Neuling von selber in den Schoss fiel. »Na«, meinte er, »mein Vater sagte immer, die Anfänger haben den besten Anlauf, das muss doch wahr sein. Hast noch nie ’ne Flinte auf ein Stück Wild abgedrückt und dann gleich so ’n Kapitalhase. Na, es wird wohl auch so ’n Ururgrossvater sein, der sich aus Lebensüberdruss hat totschiessen lassen.«
Und damit griff er mit der Miene eines gewiegten Kenners nach dem einen Löffel des Hasen und versuchte ihn der Länge nach einzureissen. Es ging ganz leicht.
»Jung ist er auch noch«, sagte Adolf dann, »wie kann nur ein Mensch so ’n Glück haben!« Ich aber, von hohem Stolze geschwellt, stieg auf einen Stuhl und hing meine Beute an das Dach unsrer kleinen Vorhalle, und als ich nun während unsrer Abendmahlzeit von meinem Jagdabenteuer ganz genauen Bericht abstatten musste, verfehlte ich nicht, mich von Zeit zu Zeit liebevoll nach ihr umzusehen.
Als ich in der Nacht zufällig einmal aufwachte, fiel mir sogleich wie ein grosses Glück mein Jagderlebnis wieder ein. Draussen schien der Mond, und ich konnte es nicht lassen, ich musste noch einmal nach meinem Hasen sehen. Zugleich hörte ich draussen ein leises Geräusch, das ich mir nicht zu erklären vermochte. Ich erhob mich vorsichtig und sah durch das Fenster hinaus. Dort hing er noch immer, schwarz und stattlich im hellen Mondschein sich abzeichnend. Da plötzlich schoss etwas Dunkles gegen den Hasen vom Boden empor, berührte ihn fast und fuhr dann wieder zurück. Ich richtete mich höher auf, um auf den Boden sehen zu können, und bemerkte dort ein Tier, das wie ein Hund auf den Hinterbeinen sass und sehr aufmerksam zu dem Hasen emporäugte. Aber Hunde gab es ja gar nicht auf der Insel, wahrhaftig, das konnte nur ein Fuchs sein. Nun sprang das Tier wieder mit einem mächtigen Satze empor, dass es mit der Schnauze den Hasen berührte und dieser ein wenig hin und her schwankte. Bei diesem Sprunge sah ich die buschige Lunte des Tieres und war nun meiner Sache gewiss. Der Hase war nur lose aufgehängt, und wenn der Fuchs ihn nur einmal richtig fasste, dann riss er ihn herunter; deshalb musste ich den roten Räuber sofort verjagen und den Hasen sicherer unterbringen. Als ich mich leise hinausschleichen wollte, fiel mein Auge auf die Flinte, die Adolf am vorigen Abend ordnungsmässig wieder geladen und an die Wand gehängt hatte. Da kam mir erst der einzig richtige Gedanke. Ich nahm, so leise ich konnte, das Gewehr von der Wand, stellte mich so aufrecht wie möglich auf mein Heubett, zielte sorgfältig, so gut es bei dem mangelhaften Lichte ging, auf das Blatt des Fuchses, der wieder in sitzender Stellung voller Begier zu dem Hasen aufäugte, und schoss. Als sich der Pulverdampf verzogen hatte, war der Fuchs verschwunden.
Adolf aber fuhr mit einem lauten Schrei aus dem tiefsten Schlaf hervor. »Sind die Eingeborenen da?« rief er und starrte entsetzt in den dämmerigen Raum, in dem er mich kaum erkennen konnte.
»Beruhige dich, Robinson«, sagte ich, »dein Freitag wacht für dich! Ich schoss eben nur einen Fuchs, der sich den Hasen holen wollte.«
»Ach, du träumst«, sagte Adolf, »dir ist dein Jagdglück zu Kopf gestiegen.«
Trotzdem aber standen wir auf, zogen uns Stiefel an und gingen hinaus.
Alles war draussen still und einsam und trotz des hellen Mondscheins nichts Verdächtiges zu sehen. Ich suchte nach Schweissspuren, konnte aber keine finden. Adolf war ärgerlich, machte schnöde Bemerkungen über Mondsucht und Gespensterseherei und kroch bald verdriesslich wieder in sein Heu.
Ich that es ihm nach, aber einschlafen konnte ich nicht wieder, denn dies nächtliche Abenteuer wollte mir nicht aus dem Sinn. Glücklicherweise war der Morgen nicht mehr weit, und als es so hell geworden war, dass man im Innern der Hütte alles erkennen konnte, stand ich sachte auf und schlich mich hinaus. Im Osten war schon eine grosse Helle, und zarte, rötliche Wolken schwammen darüber in der blassen Luft; von den Blättern der Bäume tropfte der Tau, und allerlei Vogelstimmen waren schon vernehmlich. Über den hellen Himmel hinweg flogen die Krähen von ihren nächtlichen Schlafplätzen zu den fernen Feldern, auf denen sie während des Tages ihrem Erwerbe nachgehen. Als der erste Sonnenstrahl durch die Stämme blitzte, begann ich meine Nachsuche. Die Stelle, wo der Fuchs seine Sprünge gemacht hatte, war an den Spuren leicht kenntlich, doch Schweiss fand ich an diesem Orte nicht. Das stimmte mich sehr bedenklich, doch umging ich nun sorgfältig diesen Ort in immer grösseren Kreisen und suchte weiter. Doch nichts fand sich, und ich wollte schon betrübt meine Nachforschungen aufgeben, als ich plötzlich auf einem Wegerichblatt einen roten Blutstropfen bemerkte. Und von dort ab fand sich eine deutliche Schweissspur, die zu einem dichten Gestrüpp von wilden Himbeeren führte. Ich umging das Gestrüpp von allen Seiten, allein die Spur kam nicht wieder zum Vorschein. In einer seltsamen Angst wagte ich mich eine ganze Weile gar nicht an das Gebüsch heran, in der Furcht, es leer zu finden. Endlich fasste ich Mut, bog die Büsche an einer mir geeignet erscheinenden Stelle auseinander und erschrak furchtbar, denn dort auf einem kleinen, von Buschwerk freien Fleck lag der rote Räuber verendet seine Seher waren schon verglast, und aus dem Anschuss gerade über dem Ansatz des Vorderlaufes sickerte der Schweiss. Auf die kurze Entfernung hatten die Schrote so zusammengehalten, dass man davon fast den Eindruck eines Kugelschusses hatte. Da ich das sogenannte Einhessen damals noch nicht kannte, so schnürte ich dem Fuchs die Hinterläufe mit einer Weidenrute zusammen und hing ihn ganz sachte dem Hasen zur Gesellschaft hin. Dann zog ich mich aus, schoss, um die Freude über mein Jagdglück etwas zu dämpfen, erst einige Male auf der nassen Wiese Kobold und lief dann zu dem gewohnten Morgenbade in den See. Nach einer Weile kam auch Adolf in puris naturalibus über die Wiese daher und sah finster und unzufrieden aus. Ich stand im Wasser in der Nähe des Ufers und erwartete ihn. Er kam wie ein Rachegeist auf mich zu und boxte mich, wozu er allerlei anzügliche Redensarten ausstiess von unverschämtem Torkel und den Dummen, die das Glück haben. Ich freute mich zwar sehr über diese hohe Anerkennung, hatte aber doch das Gefühl, ich müsse den Göttern ein Opfer bringen, damit sie mir mein Glück nicht neideten. Ich streckte ihm darum, wie es isern Hinrich zu thun pflegte, den Oberarm entgegen, was er ganz in Ordnung zu finden schien und mir mit den spitzen Knöcheln der verwendeten Hand drei feierliche und sehr wohlgemeinte Schläge auf den Biceps beibrachte. Damit war der Drang seiner Seele gestillt, und ich musste erzählen.
Als wir wieder zu unsrer Hütte zurückgekehrt waren und uns angezogen hatten, standen wir eine ganze Weile vor unsrer primitiven Wohnung und schwelgten in ihrem Anblick, denn das Ganze sah nun erst für uns unbeschreiblich echt und wie eine richtige Jägerniederlassung aus. Wir beschlossen, den Fuchs, dessen Balg um diese Zeit doch nicht brauchbar war, dort als prachtvolles Ornament so lange hängen zu lassen, als es ging, den Hasen aber noch an diesem Abend zu braten mit allem Raffinement der Kochkunst, das uns zu Gebote stand. Wir begaben uns dann auf die Suche nach geeigneten Steinen, denn wir wollten diesen Hasen zubereiten nach den Regeln der Wilden auf den Südsee-Inseln, in einer Erdgrube mit heissen Steinen, von welchem Verfahren wir so verlockende Beschreibungen gelesen hatten. Wir fanden auch am Seeufer bald so viele wir brauchten und gerieten dann in einen wissenschaftlichen Streit, denn jeder von uns hatte eine verschiedene Meinung darüber, wie der Hase gestreift werden müsse, und da wir uns darüber gar nicht einigen konnten, so hing er noch am Nachmittag in seiner schönen, warmen Jacke da, denn keiner von uns wollte sich so recht an dieses Geschäft heranwagen. Während wir nun vor unsrer Hütte sassen und darüber zum so und so vielsten Male deliberierten, sauste plötzlich ein Rohrpfeil zwischen uns beiden hindurch in die offene Thür. Ein zweiter folgte, der in einer Ritze der Hüttenwand stecken blieb, und dann erschallte aus dem gegenüberliegenden Gehölz hinter der kleinen Wiese ein furchtbares Indianergeheul. »Huiih, huiih!«
»Die Indianer, die Indianer!« riefen wir, stürzten sofort in die Hütte, griffen nach unsern Bogen und Pfeilen, steckten jeder einen unsrer hölzernen Tomahawks in den Gürtel und suchten zur Abwehr dieses Angriffes draussen vor der Hütte Deckung. Die Pfeile flogen nun hin und wider. Der Feind schoss nur sparsam, aber desto verschwenderischer ging er mit seinem Kriegsgeheul um, das bald von hier, bald von dort markerschütternd und grässlich erschallte. Er hielt sich hinter den Büschen gedeckt, und es schien mir, als sähe ich durch eine Lücke bald etwas Rotes nach der einen Seite huschen, worauf von hier das Geheul ertönte, bald nach der andern, worauf sofort auch von dort das grässliche Geschrei vernommen ward. Zahlreich konnten die Feinde nicht sein, jedenfalls waren es nicht mehr als zwei, und da wir bald unsre Pfeile verschossen hatten, so griffen wir zum Tomahawk und schickten uns an, über die kleine Wiese hinweg zum Angriff vorzugehen. Doch in diesem Augenblick teilte sich das Buschwerk, und hervor trat ein Indianer in fürchterlicher Kriegsbemalung, der einen grünen Zweig zum Zeichen des Friedens in der Hand trug. Die eine Hälfte seines Gesichts war rot, die andre schwarz gemalt und um die Augen zwei schreckliche weisse Ringe. Auf seinem Haupte prangten rote und schwarze Federn, und sein Anzug bestand aus Sackleinwand, mit vielen grellbunten Ornamenten benäht. Er trug einen Wampungürtel um den Leib, drin ein Tomahawk steckte; ein Medizinbeutel hing daran und viele Skalpe erschlagener Feinde. Seine Füsse waren mit Mokasins bekleidet, die aber leider eine allzugrosse Ähnlichkeit mit Onkel Philipps alten Morgenschuhen hatten, worüber einige phantastische indianische Zusätze nicht hinwegtäuschen konnten.
Langsam und feierlich schritt dieser prachtvolle Indianer auf uns zu, und als er ganz nahe war, streckte er uns auf eine uns wohlbekannte Weise den Oberarm entgegen. Jetzt erst erkannten wir unter der Entstellung dieser fürchterlichen Bemalung isern Hinrich und begrüssten ihn in der gebräuchlichen Weise.
»Fäubohl ibock gobomiboch!« sagte er mit indianischem Gleichmut.
Das war die Bo-Sprache, die uns bekannt war und nun als Indianerdialekt herhalten musste.
»Iboseborn Hibonriboch?« fragte Adolf.
»Jabowoboll!« Die Bo-Sprache entstellt dadurch, dass an jede Silbe, die mit einem Vokal endigt, ein »bo« angehängt und vor den Schlusskonsonanten einer Silbe ein solches eingefügt wird. Lässt man »bo« weg, hat man das richtige Wort. antwortete der Indianer.
Wir brachen in ein mächtiges Gelächter aus, denn dies erschien uns als ein herrlicher Spass. Wir betrachteten isern Hinrich bewundernd von allen Seiten und beneideten ihn fast um sein prachtvolles Kostüm und seine vortreffliche Ausrüstung.
»Herr Simonis«, sagte isern Hinrich, »hett mi so fein utkleedt un so gruglich anmalt. Sin Mamsell hett dat Tüg neiht, und dei Skalps dei hett hei sülwst makt ut ’n olles Zägenfell. Un dat Kriegsgeschrei, wir dat nich fein? Dat bett hei mi ok inöwt. Dat ganze Dörp hett sick grugt, als wir dorbi wiren un oll Mudder Boltsch hett glöwt, dei Franzosen keemen.«
Wir gingen dann zu unserer Hütte und weideten uns an seinem Erstaunen über unsre reiche Jagdbeute. Ich musste natürlich erzählen, kürzte dies aber so viel wie möglich ab, um »der alten Wunde unnennbar schmerzliches Gefühl« bei Adolf nicht zu sehr hervorzurufen, und brachte isern Hinrich bei Zeiten auf die Frage, wie dies Wild am besten zu streifen sei.
»Dat ’s Spass vor mi«, sagte isern Hinrich, holte sein Taschenmesser hervor, das er einen echten Kneif nannte, und auf das er sehr stolz war, hing sich den Hasen richtig auf, und in kurzer Zeit hatte er das Tier seines warmen Ueberziehers entledigt, schnitt ihm den Kopf und die Vorderläufe ab, stutzte die Hinterläufe, kürzte mit dem Beil auf dem Haublock die Rippen, und fing an, ihm sorgfältig seine Häute abzuziehen.
»So, nu möt hei spickt warden«, sagte er dann, »hewwt ji Speck un ’ne Spicknadel?«
Speck war noch da, aber eine Spicknadel fehlte. Isern Hinrich war so leicht nicht in Verlegenheit zu bringen. Er besann sich eine Weile, und dann fiel ihm ein, dass er vorhin auf der anderen Seite der Wiese einen Spindelbaum am Waldrand gesehen hatte. Er lief hin, schnitt sich einen graden Zweig von diesem harten und zähen Holze und schnitzte sich eine Spicknadel draus, die er am stumpfen Ende ein wenig spaltete. In diesen Spalt steckte er die Speckstreifen und spickte so den Hasen sauber und sachgemäss.
Wir hatten unterdes eine passende Grube ausgehoben, sie mit Steinen ausgepflastert und darauf ein mächtiges Feuer angemacht. Andre Steine erhitzten wir auf unsrer gewöhnlichen Feuerstelle.
Als isern Hinrich mit seinem Hasen fertig war, waren auch unsre Feuer niedergebrannt und die Steine glühend heiss. Isern Hinrich sagte nun: »So, nun möt hei an ’n Spitt bradt warden; ick warr hengahn un einen snieden.«
»Ne«, sagte Adolf, »wi will’n em up südseeinsulansch braden.«
»Hä? Woans?« fragte isern Hinrich.
Wir erklärten ihm das, er aber wollte nichts davon wissen. »Dat hewwt ji nu wedder in jug dwatschen Bäukers läst,« sagte er; »passt up, ji ward jug den ganzen schönen Hasen verrungenieren.«
Da wir aber fest blieben, sagte er: »Mit dei oll utlandsch Braderie heww ick nix in ’n Sinn. Gewt mi dei Läwer und dei beiden Vörlöp, dei brad‘ ick mi inne Pann,. un denn makt, wat ji Lust hewwt.«
Wir räumten nun Kohlen und Asche von den Steinen unsrer Grube hinweg, wickelten den Hasen in einige Sonnenblumenblätter, legten ihn hinein, packten dann die anderen heissen Steine darauf und füllten die Grube mit Erde wieder zu.
»Unklauk lett grüssen!« sagte isern Hinrich, der dieser Prozedur mit Kopfschütteln und ironischem Grinsen zugesehen hatte. Danach machte er sich behaglich daran, seinen Anteil zu braten und nachher mit viel Brot zu verzehren. Dabei bemerkte er, dass auf diesem schon jenes Pflänzchen wuchs, von dem das Hebelsche Rätsel sagt:
»Den Reichen trägt das Tierlein
durch den Kot,
Der Arme isst das Pflänzchen
auf dem Brot.«
Dies regte ihn offenbar zum Philosophieren an. »Wat tau mall is, is tau mall!« sagte er. »Tau Hus känt ji in feine Berren slapen mit Swanendunen, und hier liggt ji in sonne Ort Zägenstall up Heu und deckt jug mit ’ne oll Pierdeck tau. Hut giwwt dat up‘ n Hoff frische Stuten (Semmel) un ’ne feine Kalwsbrar von so ’n vierteljährig Säutmelkkalw, un ji frät’t hier verschimmelt Groffbrot, un is doch gistern up ’n Hoff ierst backt. Un känt tau Hus allens hebben, ward jug farig up ’n Disch sett‘, Eierrühr un Pannkauken un suer Klümp un Rindfleisch mit Plummen un Ries, un hier maracht ji jug sülwst mit dei Kakerie af, wat doch warraftig kein Vergnügen is. Un wenn ji nu würklich mal ’n Hasen hewwt, denn grawt ji em up ’ne unchristliche Ort inne Ierd un schampfiert em mit gläunige Stein‘. Na, ick segg man, wer unklauk warden will, dei kriegt dat ümmer tauierst in ’n Kopp!«
Endlich war die Stunde vergangen, die ein Hase nach isern Hinrichs Angabe braten musste, und wir räumten mit grosser Spannung die Erde und die oberen Steine weg, die noch ziemlich heiss waren. Als wir die versengten Sonnenblumenblätter abnahmen, schlug uns ein köstlicher Duft entgegen. »Rüken deiht he good«, sagte isern Hinrich, der diesem Schauspiel mit grosser Spannung zusah. Wir legten den Braten dann auf ein ungeheures Klettenblatt, das uns als Schüssel dienen musste, schnitten ihn an und fanden ihn zart und saftig und von köstlichem Wohlgeschmack. Diesmal hatten wir das Glück gehabt, alles richtig zu treffen, was uns unserm Gaste gegenüber mit nicht geringem Stolze erfüllte. Dieser, obwohl schon schön satt, wie er sagte, leistete trotzdem noch Unglaubliches, so dass von dem Hasen wenig übrig blieb. Wir kamen überein, dass so ein Braten auf südsee-insulanisch eine gute Sache sei.
Unterdes war es Abend geworden, und wir sassen nach dem Essen um das wieder angefachte Feuer und schwatzten.
»Driebenkiel«, sagte isern Hinrich, »wahnt ja nu in Neddemin up de anner Siet von ’n See, äwer männigmal kümmt hei noch räwerführt, un denn möt ick gliek Jochen Nehls halen. Wat Driebenkiel und Jochen Nehls vörhebben, dor kann ick nich ut klauk warden. Gistern wiren sei wedder in uns‘ Gaststuw un tuschelten un muschelten mit ’n anner, un as ick achtern Aben seet un dehr, as wenn ick slapen dauhn dehr, dor hett mi Driebenkiel rutjagt un seggt, hei wull woll up ’n Disch ballern, wenn hei mi brucken dauhn dehr. Wat ick nu äwer so af un an mal verstahn dauhn dehr von ehr Getuschel, dat keem mi ümmer so gruglich vör, denn eins heww ick verstahn, wo Driebenkiel sär: »Dodt will ’n wi em jo nich maken!« un ’n annermal: »Dei Ollsch kriegt ok ’n Knebel in ‚t Mul!« Ick wir jo denn ok nieglich un harr gor tau giern mihr hürt. Nu ward jo uns‘ Stubenaben von dei Käk ut bött un hett dor ’ne grote isern Döhr, dat dat Bäukenblankholt un dei Torf dor ok ollig dörchkänen. Dor bün ick rin krapen un heww horkt. Sei snackten jo nu ok nich so liesing mihr, doch dei ollen Kacheln wiren woll tau dick, un ick künn gor nich recht wat hüren. Blot einmal verstünn ick, dat Jochen Nehls seggen dauhn dehr: »Aewer dei Hund, dei Hund!« »Ach wat, dei Hund!« sär Driebenkiel, »dei Hund kennt mi.« Un donn kregen sei wedder dat Tuscheln, un nahst baller Driebenkiel up ’n Disch, dat ick man maken müsst‘, dat ick ut den ollen Aben wedder rut kamen dauhn dehr. Un Driebenkiel wull jo nu betahlen, un as bei mi tau seihn kriegen dehr, donn sär bei: »Jung, wo sühst du ut, du büst jo ganz swart.« Ick stickte mi jo nu rot an un sär, ick harr mi woll inne Käk swart makt. Driebenkiel keck nu äwer hellschen veniensch un sär: »Kiek den infamigten Jung, dei bett gewiss sin Mudder ehr Wust revidiert, dei dor in ’n Schostein bammelt. Son ’n Spitzbauw!« Na, ick let em dor jo nu bi, dat hei man blot nich dor achter kamen süll, dat ick in ’n Aben wäst wir. Nasten, as hei Jochen Nehls Adschüs seggen dehr, donn sär hei noch tau em: »Also Friedag abend Klock nägen an den bewussten Urt!« Wat dei beiden woll blot vörhebben? Aewer nu möt ick na Hus, un ierst möt ick mi dei Kriegsbemalung afwaschen un denn bi Herrn Simonis min sündagsch Tüg wedder an trecken. Süss, wenn dei Oll mi so tau seihn kriegt, versahlt hei me ossig dat Ledder.«
Wir begleiteten ihn in der Dämmerung an den Fischerkahn, den er zum Uebersetzen benutzt hatte, und sahen ihm nach, wie er über den glatten See nach Steinhusen fuhr.