Ein Abend in Onkel Toms Hütte
Onkel Toms Hütte war ein kleines Blockhaus, dicht neben dem »Hause«, wie der Neger die Herrenwohnung par excellence nennt. Davor war ein hübscher Gartenfleck, wo jeden Sommer Erdbeeren, Himbeeren und viele andere Früchte und Gemüse unter sorgfältiger Pflege gediehen. Die ganze Vorderseite war von einer großen roten Begonie und einer einheimischen Multiflorarose bedeckt, die sich ineinander verschlangen und kaum ein Fleckchen der rohen Balken erblicken ließen. Hier fanden auch im Sommer verschiedene lebhaft gefärbte Blumen wie Ringelblumen, Petunien und andere eine Stelle, wo sie ihren Glanz zeigen konnten, und waren die Freude und der Stolz von Tante Chloes Herzen.
Wir wollen einmal in das Haus eintreten. Das Abendessen im Herrenhause ist vorbei, und Tante Chloe, die seiner Bereitung als erste Köchin vorstand, hat anderen in der Küche das Geschäft überlassen, das Geschirr wegzuräumen und zu waschen, und ist nun unter ihrem eigenen gemütlichen Dache, um für ihren Alten das Abendessen zu bereiten. Deshalb könnt Ihr Euch sicher darauf verlassen, daß sie vor dem Feuer steht und mit gespanntem Interesse gewisse brodelnde Sachen in einem Kasserol überwacht und dann und wann mit ernster Überlegung den Deckel eines Schmorkessels abhebt, aus welchem ein Dampf emporsteigt, der unzweifelhaft etwas Gutes erraten läßt. Sie hat ein rundes, schwarzes, glänzendes Gesicht, so glänzend, daß man fast glauben könnte, sie wäre mit Eiweiß lackiert, wie eins ihrer eigenen Teebrote. Ihr ganzes dickes Gesicht strahlt unter ihrem gut gestärkten karierten Turban von Selbstgenügsamkeit und Zufriedenheit, nicht unvermischt, müssen wir gestehen, mit dem Selbstbewußtsein, welches der ersten Kochkünstlerin der ganzen Umgegend zukommt, wofür Tante Chloe allgemein gehalten wird.
Eine Köchin war sie gewiß bis zum innersten Kern ihrer Seele. Jede Henne, Truthenne oder Ente auf dem Hofe wurde ernsthaft, wenn sie Tante Chloe nahen sah, und schien bange an ihren letzten Augenblick zu denken; denn gewiß war ihr Kopf immer so sehr mit Schlachten, Füllen und Braten beschäftigt, daß jedes einsichtsvolle Huhn, das noch lebte, darüber erschrecken konnte. Ihr Maiskuchen in allen seinen zahllosen Varietäten war ein erhabenes Geheimnis für alle weniger geübten Bäcker, und ihr fetter Bauch wackelte ihr von ehrlichem Stolz und Freude, wenn sie die fruchtlosen Anstrengungen einer oder der andern Nebenbuhlerin erzählte, die danach gestrebt hatte, ihren hohen Standpunkt zu erreichen.
Die Ankunft von Gesellschaft im Herrenhause, das Anordnen von Staatsdiners und Soupers, riefen die ganze Energie ihrer Seele wach, und kein Anblick war ihr angenehmer, als ein ganzer Haufen von Reisekoffern in der Veranda; dann sah sie neue Anstrengungen und neue Siege vor sich.
Jetzt gerade blickt jedoch Tante Chloe in die Schmorpfanne, bei welcher angenehmen Beschäftigung wir sie lassen wollen, bis wir mit unserer Schilderung der Hütte fertig sind.
In einer Ecke derselben stand ein Bett, sauber mit einer schneeweißen Decke zugedeckt, und vor demselben lag ein Stück Teppich von nicht unbeträchtlicher Größe. Auf dieses Stück Teppich bildete sich Tante Chloe etwas ein, weil es ganz entschieden vornehm war, und dasselbe und das Bett, vor dem es lag, und die ganze Ecke wurde mit ausgezeichneter Rücksicht behandelt und soweit möglich vor den plündernden Einfällen und Entheiligungen des Kleinen bewahrt. Eigentlich war diese Ecke der Salon des Hauses. In der andern Ecke stand ein Bett von viel bescheideneren Ansprüchen und offenbar zum Gebrauch bestimmt. Über dem Kamin hingen ein paar sehr bunte Bilder aus der Heiligen Schrift und ein Porträt des Generals Washington von einer Zeichnung und einem Kolorit, welche gewiß diesen großen Mann in Erstaunen gesetzt hätten, wenn sie ihm zu Gesicht gekommen wären.
Auf einer Bretterbank in der Ecke waren ein paar Knaben mit Wollköpfen und funkelnden schwarzen Augen beschäftigt, die ersten Gehübungen eines kleinen Kindes zu beaufsichtigen, die, wie es gewöhnlich der Fall ist, darin bestanden, daß es auf die Füße zu stehen kam, einen Augenblick das Gleichgewicht suchte und dann wieder niederfiel. Natürlich wurde jeder fehlgeschlagene Versuch mit lebhaftem Beifall begrüßt, als wäre er ganz entschieden gelungen.
Ein in seinen Beinen etwas gichtischer Tisch war vor das Fenster gerückt und mit einem Tischtuch bedeckt; verschiedenes Geschirr von sehr lebhaftem Muster stand darauf wie Anzeichen einer bevorstehenden Mahlzeit. An diesem Tisch saß Onkel Tom, Mr. Shelbys bester Mann.
Er war ein großer, breitschultriger, kräftig gebauter Mann von tiefem glänzendem Schwarz und einem Gesicht, dessen echt afrikanische Züge ein Ausdruck von ernster und tüchtiger Verständigkeit, mit Freundlichkeit und Wohlwollen verbunden, auszeichnete. In seiner ganzen Physiognomie lag etwas von Selbstachtung und Würde, die jedoch mit einer vertrauenden und bescheidenen Einfachheit verbunden waren.
Er hatte gerade sehr viel mit einer vor ihm liegenden Schiefertafel zu tun, auf welcher er vorsichtig und langsam bemüht war, einige Buchstaben nachzumalen, wobei ihn der junge Master George, ein lebhafter, hübscher Knabe von 13 Jahren, beaufsichtigte, der die Würde seiner Stellung als Lehrer ganz zu fühlen schien.
»Nicht auf die Seite, Onkel Tom – nicht auf die Seite«, sagte er munter, als Onkel Tom mit großer Mühe den Schwanz eines g auf der falschen Seite in die Höhe zog. »Das wird ein q, sieh her.«
»So, so, wirklich«, sagte Onkel Tom und sah mit einem ehrerbietigen, bewundernden Gesicht zu, während sein junger Lehrer zu seiner Erbauung unzählbare q und g auf die Tafel machte; darauf nahm er den Schieferstift zwischen seine groben schweren Finger und fing geduldig von vorn an.
»Wie leicht den weißen Leuten alles wird!« sagte Tante Chloe, indem sie einen Augenblick von der Kuchenform aufsah, die sie mit einem auf die Gabel aufgespießten Stück Speck bestrich, und den jungen Master George stolz anblickte. »Wie er jetzt schreiben kann! Und lesen! Und abends hierher zu kommen und seine Lektionen uns vorzulesen – das ist gewaltig interessant!«
»Aber, Tante Chloe, ich werde gewaltig hungrig«, sagte George.
»Ist denn der Kuchen in der Pfanne dort bald fertig?«
»Beinahe gut, Master George«, sagte Tante Chloe, indem sie den Deckel ein wenig in die Höhe hob und hineinguckte; »wird schön braun – wunderschön braun. Ach das überlaßt mir! Missis ließ neulich Sally versuchen, Kuchen zu backen, nur damit sie’s lerne, sagte sie. ›Ach gehen Sie, Missis!‹ sagte ich. ›Es tut einem ordentlich das Herz weh, gute Speisen so verderben zu sehen! Der Kuchen hebt sich nur auf einer Seite, kriegt keine Form, so wenig wie mein Schuh – geht mir!‹« Und mit dieser letzten Abfertigung der Uneingeweihtheit Sallys nahm Tante Chloe den Deckel von der Backpfanne und zeigte den Augen einen schön gebackenen Pfundkuchen, dessen sich kein Konditor in der Stadt hätte zu schämen brauchen. Da dies offenbar der Mittel- und Hauptpunkt des Festes war, so fing jetzt Tante Chloe an, sich ernstlich mit dem Anrichten des Abendessens zu beschäftigen.
»Ihr da, Mose und Pete, geht aus dem Wege, ihr Nigger! Fort hier, Polly, mein Schätzchen, Mutter wird dir hernach schon was geben. Und Sie, Master George, nehmen Sie jetzt die Bücher weg und setzen Sie sich hin mit meinem Alten, und ich will die Würste anrichten und Ihnen die erste Form voll Waffeln vorsetzen, ehe Sie sich umsehen können.«
»Sie wollten, ich solle zum Abendbrot nach Hause kommen«, sagte George; »aber ich wußte zu gut, was besser ist, Tante Chloe.«
»Gewiß, gewiß, Goldkind«, sagte Tante Chloe und häufte ihm den Teller voll dampfender Waffeln. »Sie wußten, daß Ihr altes Tantchen das Beste für Sie aufhebt. O das überlaßt Ihr, geht mir!« Und dabei gab Tante Chloe George einen freundlichen Stoß in die Seite, der über die Maßen spaßhaft sein sollte, und wendete sich wieder mit großem Eifer zu ihrer Kuchenform.
»Nun den Kuchen her«, sagte Master George, als er in der Beschäftigung mit den Waffeln ein wenig nachgelassen hatte, und damit schwenkte der junge Bursche ein großes Messer über den fraglichen Gegenstand.
»Ums Himmels willen, Master George!« sagte Tante Chloe mit großem Ernste und ergriff ihn beim Arme. »Sie werden ihn doch nicht mit dem großen Messer schneiden? Sie verderben ihn ganz und gar – zerbrechen die schöne, gewölbte Decke? Hier ist ein dünnes, altes Messer, das ich bloß dazu geschärft habe. So, so – geht so leicht auseinander wie eine Feder! Nun essen Sie – was Besseres, als das, kriegen Sie nicht.«
»Tom Lincoln sagt«, entgegnete George mit vollem Munde, »daß ihre Jinny besser kochen kann als du!«
»Die Lincolns haben nicht viel zu bedeuten, gar nicht!« sagte Tante Chloe geringschätzig. »Ich meine im Vergleich mit unsern Leuten. Es sind ganz achtbare Leute in bescheidener einfacher Weise; aber etwas Vornehmes zuwege zu bringen, davon haben sie auch gar keinen Begriff. Stellen Sie einmal Master Lincoln neben Master Shelby! O Gott! Und Mistreß Lincoln, kann sie so in das Zimmer hereinrauschen, wie meine Missis – so recht vornehm, wißt Ihr! O geht mir! Sprecht mir nicht von den Lincolns!« Und Tante Chloe warf den Kopf zurück wie eine Person, die da vermeint, sie kenne die Welt etwas.
»Nun, ich habe dich aber doch sagen hören«, sagte George, »daß Jinny eine leidliche Köchin sei.«
»Das habe ich gesagt«, sagte Tante Chloe, »das kann ich sagen. Eine gute, einfache, gewöhnliche Küche, die kann Jinny besorgen; kann ein gutes Laib Brot backen – ihre Kartoffeln ziemlich kochen – ihre Maiskuchen sind nicht besonders, nicht besonders sind sie, aber doch sind sie leidlich – aber Gott, wenn man zu den höhern Zweigen kommt, was kann sie da? Nun ja, sie macht Pasteten – jawohl; aber mit was für einer Rinde? Kann sie den echten, geschmeidigen Teig backen, der im Munde zerschmilzt und in die Höhe steigt, wie ein Eiderbett? Nun, ich war drüben bei Miß Marys Hochzeit, und Jinny zeigte mir die Hochzeitkuchen. Jinny und ich sind gute Freundinnen, wissen Sie. Ich sagte kein Wort; aber gehen Sie mir, Master George! Wahrhaftig, ich könnte eine ganze Woche lang kein Auge zutun, wenn ich solche Kuchen gemacht hätte. Gott, sie taugten auch gar nichts!«
»Und wahrscheinlich bildet sich Jinny was Besonderes darauf ein«, sagte George.
»Gewiß, gewiß! Ich sehe sie noch, wie sie mir sie zeigte, so unschuldig ja sehen Sie, das ist es eben, Jinny weiß es nicht besser. Gott, die Familie ist nichts! Man kann es nicht verlangen, daß sie es weiß! Das ist nicht ihr Fehler. Ach, Master George, Sie kennen nicht die Hälfte Ihrer Privilegien in Ihrer Familie und Erziehung.« Hier seufzte Tante Chloe und verdrehte vor Bewegung die Augen.
»O gewiß, Tante Chloe, ich kenne alle meine Pasteten- und Pudding-Privilegien«, sagte George. »Frag Tom Lincoln, ob ich nicht jedesmal über ihn krähe, wenn ich ihn sehe.«
Tante Chloe lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und brach über diesen Witz ihres jungen Herrn in ein so herzliches Lachen aus, daß ihr die Tränen über die glänzenden schwarzen Backen herabrollten, wobei sie scherzend Master George schlug und puffte und ihm sagte, er sollte gehen, und er sei so ein Mensch – und er sei imstande, sie tot zu machen; und zwischen jeder dieser Todesprophezeiungen brach sie wieder in ein Gelächter aus, das stets länger und lauter als das vorige war, bis George wirklich zu glauben anfing, er sei ein ganz gefährlich witziger Kerl, und er müsse sich wohl in acht nehmen, nicht gar zu drollig zu sein.
»Und das sagten Sie Tom wirklich! O Gott! Was die jungen Leute nicht alles tun! Sie kräheten über Tom, o Gott! Master George, Sie können ja einen Holzbock zu lachen machen.«
»Ja«, sagte George, »ich sagte zu ihm: ›Tom, du solltest einen Kuchen von Tante Chloe sehen; das sind die wahren‹«, sagte ich.
»’s ist wirklich schade, daß es Tom nicht gekonnt hat«, sagte Tante Chloe, auf deren wohlwollendes Herz der Gedanke an Toms umnachteten Seelenzustand einen starken Eindruck zu machen schien. »Sie sollten ihn eigentlich nächster Tage einmal hierher zum Essen einladen, Master George«, setzte sie hinzu; »das würde sich ganz hübsch von Ihnen ausnehmen. Sehen Sie, Master George, Sie dürfen auf niemand herabsehen wegen Ihrer Privilegien, weil unsere Privilegien uns von Gott gegeben sind, – wir sollten das niemals vergessen«, sagte Tante Chloe und machte ein ganz andächtiges Gesicht.
»Gut, ich werde nächste Woche Tom einmal hierher einladen«, sagte George; »und du tust dein Bestes, Tante Chloe, und er soll Augen machen! Er soll essen, daß er es vierzehn Tage lang nicht verwinden kann; nicht wahr?«
»Ja, ja, gewiß«, sagte Tante Chloe voll Freude, »das sollen Sie sehen. Gott, wenn man an manche unserer Diners denkt! Erinnern Sie sich noch an die große Hühnerpastete, die ich machte, als wir General Knox das Diner gaben? Ich und Missis hätten uns fast wegen der Pastetenrinde gezankt. Ich möchte wissen, was Ladies manchmal in den Kopf kommt, aber manchmal, wenn jemand die schwerste Verantwortlichkeit auf sich hat und sozusagen das Herz ganz voll hat von seinem Geschäft, da wählen sie gerade die Zeit, nur um um einen herumzustehen und hineinzureden! Missis nun wollte, ich sollte dieses so machen und jenes anders machen; und zuletzt wurde ich ordentlich giftig und sagte: ›Aber Missis, sehen Sie doch einmal Ihre schönen weißen Hände an mit den langen Fingern, die alle von Ringen funkeln wie meine weißen Lilien, wenn der Tau dran hängt; und sehen Sie dann meine großen, schwarzen, plumpen Hände an. Meinen Sie nun nicht, daß der Herr mich geschaffen hat, um den Pastetenteig zu backen, und Sie, um im Gesellschaftszimmer zu bleiben?‹ Ja, ich war wirklich giftig, Master George.«
»Und was sagte die Mutter?« sagte George.
»Was sie sagte? – Nun, man sah es, ihre Augen lachten – ihre großen schönen Augen; und sie sagte: ›Tante Chloe, ich glaube wirklich, du hast darin ziemlich recht‹ sagte sie; und sie ging hinein ins Gesellschaftszimmer. Sie hätte mir eigentlich eins über den Kopf geben sollen, weil ich so giftig war; aber ’s ist einmal so – mit Damen in der Küche kann ich nichts machen!«
»Ja, du hast dich mit diesem Diner hervorgetan – ich erinnere mich noch, daß jeder das sagte«, sagte George.
»Nicht wahr? Und stand ich nicht an demselben Tage hinter der Tür des Speisezimmers, und sah ich nicht, wie der General sich noch dreimal von meiner Pastete geben ließ, und hörte ich nicht, wie er sagte: ›Sie müssen eine ganz besonders gute Köchin haben, Mrs. Shelby.‹ Gott! Ich wäre fast geplatzt!«
»Und der General weiß, was gut kochen heißt«, sagte Tante Chloe und richtete sich selbstbewußt in die Höhe. »Sehr hübscher Mann, der General! Stammt aus einer unserer allerbesten Familien von Altvirginien! Er weiß, wo Barthel Most holt, der General – so gut wie ich. Sie müssen wissen, Master George, jede Art Pastete hat ihre Feinheiten; aber nicht jedermann weiß, was sie sind oder worin sie bestehen sollten. Aber der General weiß es; das spürte ich gleich in seinen Bemerkungen. Ja, er weiß, wo die Feinheiten sind!«
Mittlerweile hatte Master George den Zustand erreicht, den selbst ein Knabe erreichen kann (unter ungewöhnlichen Verhältnissen), wo er auch nicht einen Bissen mehr essen konnte, und daher hatte er jetzt Muße, den Haufen von wolligen Köpfen und glänzenden Augen zu bemerken, welche ihnen aus der anderen Ecke hungrig zusahen.
»Hier Mose, Pete«, sagte er, indem er große Bissen abbrach und sie ihnen zuwarf; »ihr wollt auch was haben, nicht? Tante Chloe, backe ihnen ein paar Waffeln.«
Und George und Tom rückten auf einen gemütlichen Platz in die Kaminecke, während Tante Chloe, nachdem sie einen ansehnlichen Haufen Waffeln gebacken, das Kleinste auf den Schoß nahm und anfing, abwechselnd den Mund der Kinder und ihren eigenen zu füllen und Mose und Pete ebenfalls zu bedenken, welche vorzuziehen schienen, ihre Portionen zu verzehren, während sie unter dem Tische auf dem Erdboden herumkollerten, sich gegenseitig kitzelten und gelegentlich das Kleinste an den Zehen zupften.
»Wart, still da!« sagte die Mutter und stieß dann und wann ziemlich aufs Geratewohl mit dem Fuße unter den Tisch, wenn der Lärm gar zu arg wurde. »Könnt ihr euch nicht anständig benehmen, wenn euch weiße Herrschaften besuchen? Wollt ihr gleich ruhig sein! Nehmt euch in acht, sonst nehme ich euch ein Knopfloch tiefer vor, wenn Master George fort ist!«
Was diese schreckliche Drohung besagen sollte, ist schwer zu deuten; aber gewiß ist, daß ihre grauenhafte Unbestimmtheit auf die jungen Sünder, denen sie galt, sehr wenig Eindruck machte.
»Ach, sie sind noch so voller Lachen, daß sie sich nicht benehmen können«, sagte Onkel Tom.
Hier kamen die Jungen unter dem Tisch hervor und fingen mit tüchtig mit Sirup bekleisterten Händen und Gesicht das Kleine lebhaft zu küssen an.
»Marsch, fort mit euch!« sagte die Mutter und stieß ihre wolligen Köpfe beiseite. »Ihr klebt alle zusammen und kommt nicht wieder los voneinander, wenn ihr es so macht. Geht an den Brunnen und wascht euch!« sagte sie und unterstützte ihre Ermahnungen mit einem Klaps, der sehr derb klang, aber nur noch mehr Gelächter aus den Jungen hervorzulocken schien, wie sie übereinander weg zur Türe hinauspurzelten, wo sie vor lauter Lust hell aufkreischten.
»Hat man schon so ungezogene Rangen gesehen?« sagte Tante Chloe etwas selbstgefällig, wie sie ein für solche Gelegenheiten aufgespanntes, altes Handtuch hervorbrachte, etwas Wasser aus der gesprungenen Teekanne darauf goß und nun den Sirup von dem Gesicht und den Händen des Kleinsten abwusch; wie es dann poliert war, bis es glänzte, setzte sie es Tom auf den Schoß, während sie sich mit dem Abräumen des Tisches beschäftigte. Das Kleinste benutzte die Zwischenzeit, um Tom an der Nase zu zupfen, ihn im Gesichte zu kratzen und mit seinen dicken runden Händen in dem wolligen Haar herumzuwühlen, welches ihm ganz besonderes Vergnügen zu machen schien.
»Ist es nicht ein munteres Kerlchen?« sagte Tom und hielt das Kind auf Armlänge vor sich hin, um es ordentlich zu besehen; dann stand er auf, setzte es auf seine breite Schulter und fing an, mit ihm herumzuspringen und zu tanzen, während Master George mit dem Taschentuch nach ihm schlug, und Mose und Pete, die wieder hereingekommen waren, hinterherbrüllten wie Bären, bis Tante Chloe erklärte, daß es zum Kopfabreißen sei. Da nach ihrer eigenen Aussage diese chirurgische Operation in der Hütte täglich vorkam, so wurde dadurch die Lust nicht im mindesten vermindert, bis sich jedermann wieder in einen Zustand der Fassung gebrüllt, gesprungen und getanzt hatte.
»Nun, ich hoffe, ihr seid nun fertig«, sagte Tante Chloe, die aus einem roh gearbeiteten Kasten geschäftig ein Rollbett hervorgeholt hatte.
»Und jetzt kriecht da hinein, du Mose und du Pete, denn jetzt geht das Meeting an.«
»Ach, Mutter, wir wollen noch nicht schlafen. Wir wollen aufbleiben zum Meeting – Meeting ist so hübsch. Es gefällt uns.«
»Ach, Tante Chloe, schieb‘ es wieder drunter und lasse sie aufbleiben«, sagte Master George in entschiedenem Tone und gab dem Bette einen Stoß.
Tante Chloe schien, nachdem sie auf diese Weise den Schein gerettet, recht gern das Bett wieder hinunterzuschieben und sagte dabei: »Nun, vielleicht profitieren sie was davon.«
Das Haus trat nun zu einer Komiteesitzung zusammen, um die zu treffenden Anordnungen zum Meeting in Erwägung zu ziehen.
»Wie wir mit den Stühlen auskommen sollen, weiß ich wahrhaftig nicht!« sagte Tante Chloe. Da man das Meeting schon seit unvordenklicher Zeit beim Onkel Tom gehalten hatte, ohne mehr Stühle zu besitzen, so schien einige Berechtigung zu der Hoffnung vorhanden zu sein, daß sich wohl auch diesmal ein Weg finden werde.
»Der alte Onkel Peter hat vorige Woche beide Beine aus dem ältesten Stuhle dort herausgesungen«, meinte Mose.
»Wart du! Ich will wetten, du hast sie selbst herausgezogen; ’s ist einer von deinen Streichen«, sagte Tante Chloe.
»Nun, er steht schon, wenn wir ihn nur recht fest an die Wand rücken«, sagte Mose.
»Dann darf Onkel Peter nicht drauf sitzen, weil er immer rutscht, wenn er zu singen anfängt. Neulich abends ist er fast durch das ganze Zimmer gerutscht«, sagte Pete.
»O Gott! Dann laßt ihn drauf sitzen«, sagte Mose, »und dann fängt er an: ›Ihr Heiligen und ihr Sünder alle‹ und plauz! liegt er unten.« – Und Mose ahmte die Nasentöne des Alten ganz genau nach und platzte auf den Erdboden nieder, um die eingebildete Katastrophe vor Augen zu bringen.
»Wollt ihr nicht ungezogen sein!« sagte Tante Chloe. »Schämt ihr euch nicht?«
Master George lachte jedoch mit dem Sünder und erklärte mit Entschiedenheit, daß Mose ein Blitzkerl sei. Daher schien die mütterliche Ermahnung nicht allzuviel Erfolg zu haben.
»Nun, Alter«, sagte Tante Chloe, »dann mußt du wohl die Fässer hereinrollen.«
»Mutters Fässer sind wie die der Witwe, von der Master George in dem guten Buch vorlas – sie sind immer sicher«, sagte Mose beiseite zu Pete.
»Eins gab doch nach vorige Woche«, sagte Pete, »daß alle mitten im Singen zusammenpurzelten; das war doch nicht so sicher, nicht?«
Während dieses leisen Zwiegespräches zwischen Mose und Pete hatte Onkel Tom zwei leere Fässer in die Hütte gerollt und sie mit ein paar Steinen an jeder Seite an ihre Stelle befestigt. Nun legte man Bretter darüber; kehrte dann noch verschiedene Butten und Eimer um, stellte die wackeligen Stühle an ihren Platz und war nun mit der Vorbereitung zum Meeting fertig.
»Master George liest so schön, daß er gewiß gern dableibt und für uns liest«, sagte Tante Chloe; »gewiß ist das viel hübscher.«
George gab bereitwillig seine Beistimmung, denn ein Knabe ist zu allem bereit, was ihm eine Wichtigkeit gibt.
Das Zimmer füllte sich bald mit einer sehr gemischten Gesellschaft von den alten grauköpfigen Patriarchen von achtzig bis zu den jungen Mädchen und Burschen von 15 Jahren. Man begann mit einem harmlosen Klatschen über verschiedene Gegenstände, wie z. B. wo die alte Tante Sally ihr neues rotes Kopftuch her habe, und wie Missis der Lissy das geblümte Mousselinkleid schenken wolle, sowie ihre neuen Sachen fertig wären, und wie Master Shelby eine neue Rotfuchsstute kaufen wolle, die eine große Vermehrung der Herrlichkeiten des Gutes sein werde. Einige der Andächtigen gehörten benachbarten Familien, die ihnen erlaubt hatten, dem Meeting beizuwohnen. Sie hatten mancherlei Pikantes von dem, was im Hause und auf dem Gute geschah, zu erzählen, und diese kleine Münze der Unterhaltung ging ebenso rasch von Hand zu Hand, wie dieselbe Münzsorte in vornehmen Kreisen.
Nach einer Weile fing zur offenbaren Freude aller Anwesenden das Singen an. Nicht einmal der Nachteil der näselnden Intonierung konnte die Wirkung der von Natur schönen Stimmen in diesen wilden und lebhaften Melodien beeinträchtigen. Der Text bestand zuweilen aus den wohlbekannten und gewöhnlichen Kirchenhymnen, trug aber auch manchmal einen wilden und unbestimmten Charakter, der von Camp-Meetings herstammte.
Verschiedene Ermahnungen oder Erzählungen aus dem eigenen Leben folgten und unterbrachen zuweilen das Singen.
Onkel Tom galt der Nachbarschaft in Religionssachen für eine Art Patriarchen. Von Natur mit einem Charakter begabt, in welchem das Sittliche stark vorherrschte, und dabei im Besitz eines umfassenden und gebildeteren Geistes als seine anderen Schicksalsgenossen, stand er in hoher Achtung und galt für eine Art Geistlichen; und der einfache, herzliche, aufrichtige Ton seiner Ermahnungen hätte selbst besser erzogene Personen erbauen können. Aber ganz besonders zeichnete er sich im Gebet aus. Nichts konnte die rührende Einfalt, die kindliche Innigkeit seines Gebetes übertreffen, das er mit Stellen aus der Heiligen Schrift ausschmückte, welche so ganz mit ihm verwachsen zu sein schienen, daß sie wie ein Teil von ihm selbst geworden waren und unbewußt von seinen Lippen flossen. Und so sehr wirkte sein Gebet stets auf die frommen Empfindungen seiner Zuhörerschaft, daß sie sich oft in den Bemerkungen, welche ringsum laut wurden, zu verlieren drohte.
Während dieses Auftritts in der Hütte des Sklaven geht ein ganz anderer in den Gemächern des Herrn vor sich.
Der Handelsmann und Mr. Shelby saßen miteinander in dem früher erwähnten Speisezimmer an einem mit Papieren und Schreibmaterialien bedeckten Tisch.
Mr. Shelby zählte aufmerksam einige Pack Banknoten, die er, wie er sie durchgezählt hatte, dem Handelsmann hinschob, der sie ebenfalls zählte.
»Alles in Ordnung«, sagte der Handelsmann; »und nun die Unterschrift zu den Papieren hier.«
Mr. Shelby griff hastig nach den Verkaufskontrakten und unterzeichnete sie, wie ein Mann, der ein unangenehmes Geschäft in möglichster Eile abmacht, und schob sie dann mit dem Geld wieder hin.
Haley zog nun aus seinem abgenutzten Mantelsack ein Pergament hervor und übergab es, nachdem er es einen Augenblick besehen, Mr. Shelby, welcher es mit einer Gebärde schlechtverhehlter Hast nahm.
»Nun ist die Sache abgemacht«, sagte der Handelsmann und stand auf.
»Abgemacht«, sagte Mr. Shelby in nachdenklichem Tone; und mit einem langen Atemzug wiederholte er: »Abgemacht.«
»Sie scheinen sich nicht besonders darüber zu freuen, wie mir vorkommt«, sagte der Handelsmann.
»Haley«, sagte Mr. Shelby, »ich hoffe, Sie werden nicht vergessen, daß Sie mir bei Ihrer Ehre versprechen, Tom nicht zu verkaufen, ohne zu wissen, was er für einen Herrn bekommt.«
»Nun, Sie haben es ja eben getan, Sir«, sagte der Handelsmann.
»Verhältnisse, wie Sie wissen, zwangen mich dazu«, sagte Shelby mit stolzer Kälte.
»Nun, Sie wissen, Verhältnisse können auch mich dazu zwingen«, sagte der Handelsmann. »Jedoch ich will mein Bestes tun, um Tom einen guten Herrn zu verschaffen; grausame Behandlung hat er von mir nicht zu befürchten. Wenn es etwas gibt, wofür ich dem Herrn danke, so ist es, daß ich in keiner Weise grausam bin.«
Nach den Erläuterungen, welche der Handelsmann früher über seine menschenfreundlichen Grundsätze gegeben hatte, fühlte sich Mr. Shelby durch diese Erklärung nicht besonders beruhigt; aber da sie der beste Trost waren, den der Gegenstand erlaubte, so ließ er den Handelsmann mit Schweigen sich entfernen und suchte Zuflucht in einer einsamen Zigarre.