Im Spiel hatte Hansl begonnen, auf seinem Karren den Ziegen Futter zu bringen, und im Ernst wurde es seine tägliche Pflicht. Je öfter er die Ziegen versorgte, um so lieber gewann er sie. Er war entsetzt und traurig, als eines Tages ein Bartgeier sich mitten aus der Herde ein Zicklein holte und das klagende Tierchen in seinen Fängen in die Lüfte trug. Von Hansls Geschrei herbeigerufen, sah Peter den Raubvogel gegen die Klammwände zu abstreichen, ohne ihm einen Pfeil nachschicken zu können. Da er weder Zeit noch Lust hatte, sich mit Pfeil und Bogen im Geißengarten auf die Lauer zu legen, einigte er sich mit Eva, daß Hansl jeden Morgen als Hüter mit seinem Lieblingshund in den Geißengarten ging, versorgt mit Nahrung und ausgerüstet mit der alten Bratpfanne, auf der er Lärm schlagen sollte, wenn ein Geier zu nahe käme. Und Hansl wurde ein gewissenhafter Geißbub.
Peter baute wieder an der langen Mauer. Zur Zeit der Sommersonnenwende brachte er drei honigschwere Waben heim. Zwei Waben überließ er Eva zum Süßen des braunen Eicheltrankes, den sie mit Milch zu mischen pflegte; aus der dritten drückte er den Honig in einen großen Topf und verdünnte ihn reichlich mit Wasser. Dieser Trank schmeckte ihm besser als »leeres« Wasser. Den Topf trug er in die Bärenhöhle, die Eva nie mehr aufräumte. Er trank nur sparsam von diesem Gemisch. Nach einigen Tagen merkte er, daß es trübe wurde. Es bekam einen prickelnden Geschmack und einen fast widerlichen Geruch. Wieder nach einigen Tagen versuchte er, müde vom Steineführen, von neuem den sonderbaren Trank und fand ihn geklärt. Etwas von seiner ursprünglichen Süße war wieder zu spüren, ein kräftiger, gar nicht mehr widerlicher Geruch stieg aus dem Gefäß. Kaum hatte er ein paarmal tüchtig geschluckt, da wich die Müdigkeit von ihm wie durch einen Zauber. Und Peter staunte, wie leicht ihm danach die Steine vorkamen. In allen seinen Bewegungen war mehr Schwung als nötig, bald aber war er wieder müde. Da stärkte er sich von neuem. Beim Abendessen war er ungewöhnlich gesprächig.
Als Eva ihn darauf aufmerksam machte, daß sich die Stubendecke wieder ein wenig gesenkt hatte, lachte er überlaut und fuhr mit der Rechten großartig durch die Luft: »Ach geh, wenn das Dach so schwere Steintrümmer tragen kann, wie ich ihm aufgeladen habe, dann widersteht’s auch dem Wind; es hält schon noch!« Staunend beobachtete Eva das Getue und Gerede ihres sonst so klugen Mannes, sagte aber noch nichts, sondern legte Hansl schlafen. Doch das Dach ließ ihr keine Ruhe, sie wollte ihrem Mann noch einmal begreiflich machen, daß er es erneuern müsse, bevor der Winter seine Schneelasten darauf legte; aber als sie zurückkam, hatte Peter seinen Kopf auf die Tischfläche gelegt und schlief schnarchend mit offenem Munde.
Verstohlen und sparsam trank Peter weiter. Und immer stellte sich die gleiche wunderbare Wirkung ein. Sooft Eva abends vom Dach anfing, begegnete sie Peters unbegreiflicher Sorglosigkeit.
Wenn sie Hansl im Geißengarten aufsuchte, wanderte sie mit ihm Hand in Hand durch das weite Gehege, gefolgt von den Lieblingsziegen, umhüpft von den Zicklein, die nicht müde wurden.
Je weiter der Spätsommer vorrückte, desto seltener besuchte Eva den Geißengarten. Peter machte sich verdrossen an die zweite Heuernte. Sein Labetrank war ausgegangen. Da suchte er eines Tages Eva in der Vorratskammer auf und verlangte den Honig, den er ihr gegeben hatte. Vergeblich sagte sie ihm, sie habe ihn für den Winter bestimmt, der gesüßte heiße Eicheltrank werde dann jedem von ihnen wohltun. Doch Peter beharrte auf seiner Forderung, bei seiner schweren Arbeit brauche er den stärkenden Trank.
Und ohne Evas Wissen nahm er ihren Honig an sich, und bald hatte er wieder den ersehnten Met. Und wenn er beim Mauern an das baufällige Dach denken mußte, schob er den Gedanken beiseite: Ach was, hat nächstes Jahr Zeit; wird schon noch den Winter aushalten! Hansl staunte, wie hoch der Vater diesmal die Heuschober baute und fragte sich, ob er selbst je so stark sein würde wie der Vater. Eva hütete das Haus; seltener und seltener ging sie über die Schwelle. Bei Gewittern, die sich in den letzten Sommerwochen häuften, fuhr sie nach jedem Blitz zusammen, der rollende Donner brachte sie zum Weinen.
Die Herbstfruchternte kam, Peter arbeitete allein im Walde, wieder vom Morgengrauen bis in die sinkende Nacht; Hansl durfte die Ziegen nicht verlassen. Für den Sonnleitner war es eine ungeheure Aufgabe, für Menschen und Haustiere genügend Fruchtvorräte für den Winter herbeizuschaffen. Der Labetrank war längst ausgetrunken.
Eines Nachmittags mußte er so stark an Eva denken, daß er mitten in der Arbeit aufhörte und nach Hause rannte, als ob sie ihn gerufen hätte.
Er fand sie im Bett. Sie lächelte ihm entgegen. Neben ihr lag ein überzartes, flachsblondes Kind. Und als Peter die Mutter küßte, flüsterte sie: »Eva soll sie heißen.«