Löwig ist ein großes Dorf, das auf dem nördlichen Ufer des Golfs von Drontheim liegt. Der Anblick des Dorfs mit seinen ärmlichen Hütten ist traurig.

Am Morgen des Tages, an welchem Ordener zu Drontheim angekommen war, war zu Löwig eine Person ans Land gestiegen, die das Incognito beobachtete. Die vergoldete Sänfte dieser Person, obwohl ohne Wappen, und die vier wohlbewaffneten Heiducken, welche sie mit sich führte, waren das Gespräch aller Einwohner. Der Wirth zur goldenen Möve, in welchem elenden Wirthshause diese hohe Person abgestiegen war, nahm ein geheimnißvolles Wesen an und gab sich die Miene, als ob er den fremden Herrn wohl kenne, aber nicht sagen dürfe, wer er sei. Die Heiducken waren stumm wie Fische.

Am zweiten Tage der Ankunft dieses Fremden trat der Wirth in sein Zimmer und meldete mit einer tiefen Verbeugung, daß der erwartete Abgesandte angekommen sei.

»Laßt ihn heraufkommen!« sagte der Fremde.

Bald darauf trat der Abgesandte ein, schloß sorgfältig die Thüre, machte dem Fremden eine tiefe Verbeugung und erwartete in ehrfurchtsvollem Schweigen seine Befehle.

»Ich habe Euch diesen Morgen erwartet,« sagte der Fremde, »was hat Euch denn aufgehalten?«

»Euer Gnaden Angelegenheiten, Herr Graf!«

»Was machen Elphege und Friedrich?«

»Beide wohl!«

»Gut! Habt Ihr mir nichts Wichtigeres mitzutheilen? Was Neues zu Drontheim?«

»Nichts, als daß Baron Thorwick gestern dort angekommen ist.«

»Ich weiß, daß er diesen alten Mecklenburger Levin über die projektirte Verbindung um Rath fragen will. Wißt Ihr, welches das Resultat seiner Unterredung mit dem Gouverneur war?«

»Heute um die Mittagsstunde, als ich abreiste, hatte er den General noch nicht gesprochen.«

»Wie! Und schon den Tag zuvor angekommen! Das wundert mich, Musdoemon! Und hat er die Gräfin gesehen?«

»Noch weniger, gnädiger Herr!«

»Also habt Ihr ihn gesehen?«

»Mit keinem Auge, und ich kenne ihn auch nicht.«

»Und woher, wenn Niemand von Euch ihn gesehen hat, wißt Ihr, daß er zu Drontheim ist?«

»Von seinem Reitknecht, der mit den Pferden in des Gouverneurs Palast kam.«

»Und wo ist denn er selbst abgestiegen?«

»Im Spladgest, und von dort schiffte er sich, wie sein Bedienter sagte, sogleich nach Munckholm ein.«

Das Auge des Grafen flammte.

»Nach Munckholm! In Schuhmachers Gefängniß! Wißt Ihr das gewiß? Ich habe doch immer gedacht, dieser ehrliche Levin sei ein Verräther. Nach Munckholm! Was kann ihn dort hinziehen? Will er auch Schuhmacher um Rath fragen? Will er …«

»Gnädiger Herr,« unterbrach ihn Musdoemon, »es ist nicht gewiß, daß er dahin gegangen ist.«

»Wie? Und was sagtet Ihr mir denn eben erst? Treibt Ihr Euern Scherz mit mir?«

»Verzeihung, gnädiger Herr! ich erzählte Ihnen bloß, was sein Bedienter gesagt hat; aber Ihr Herr Sohn, der gestern die Wache hatte, hat den Baron nicht zu Munckholm gesehen.«

»Schöner Beweis! Mein Sohn kennt den Sohn des Vicekönigs nicht. Ordener konnte incognito das Fort besuchen.«

»Allerdings, gnädiger Herr, aber Ihr Herr Sohn behauptet, gar Niemand gesehen zu haben.«

»Das ist ein anderlei. Behauptet das mein Sohn wirklich?«

»Er hat es mir dreimal versichert, und der Vortheil Herrn Friedrichs trifft hier mit dem Eurer Gnaden zusammen.«

»Ich verstehe jetzt,« sagte der Graf. »Der Baron wird ein wenig am Golf spazieren gegangen sein, und sein Diener wird geglaubt haben, er sei nach Munckholm. Denkt nur, Musdoemon, ich habe aus dieser Fahrt nach Munckholm gleich einen Roman gemacht und mir Ordener in Ethel Schuhmacher verliebt gedacht. Gottlob, dieser junge Mensch ist weniger thöricht, als ich alter Narr! Apropos, was ist diese junge Danaë unter den Händen meines Friedrich geworden?«

»Er hat nichts ausgerichtet, aber es scheint, daß ein Anderer bei ihr glücklicher war.«

»Ein Anderer! Was für ein Anderer?«

»Irgend ein Leibeigener, ein Bauer …«

»Sagt Ihr die Wahrheit?« fragte der Graf mit strahlenden Blicken.

»Ihr Herr Sohn hat es mir und der gnädigen Gräfin versichert.«

Der Graf stand auf, ging im Zimmer auf und ab und rieb sich die Hände.

»Musdoemon, mein lieber Musdoemon, noch einen letzten Schlag, und wir sind am Ziele! Der Zweig des Baums ist vergiftet, wir haben nur noch den Stamm umzustürzen. Habt Ihr noch irgend eine gute Nachricht?«

»Dispolsen ist ermordet worden.«

Das Gesicht des Grafen hellte sich ganz auf.

»Ha! Ihr werdet sehen, daß wir von Triumph zu Triumph schreiten. Hat man seine Papiere? Hat man insbesondere jene eiserne Büchse?«

»Es ist mir leid, Euer Gnaden sagen zu müssen, daß der Mord nicht von unsern Leuten begangen worden ist. Er wurde am Strande von Urchthal ermordet und beraubt, und man schreibt die That Han dem Isländer zu.«

»Han dem Isländer, jenem berüchtigten Räuber, den wir an die Spitze unserer Aufrührer stellen wollen?«

»Dem Nämlichen. Nur fürchte ich nach Allem, was ich von ihm erzählen hörte, daß es schwierig sein wird, ihn aufzufinden. Für alle Fälle habe ich mich eines Anführers versichert, der seinen Namen annehmen und an seine Stelle treten wird. Es ist ein wilder Bergbewohner, hoch und fest wie eine Eiche, kühn und unbändig wie ein Wolf der Wüste. Dieser furchtbare Riese wird Han des Isländers Rolle ganz gut spielen.«

»Dieser Han ist also von hoher Gestalt?«

»So heißt es allgemein im Volke.«

»Ich muß die Geschicklichkeit loben, mein lieber Musdoemon, womit Ihr Eure Plane entwerft. Wann bricht der Aufruhr aus?«

»Unverweilt. Vielleicht in diesem Augenblicke schon, gnädiger Herr! Die königliche Vormundschaft erscheint schon lange den Bergleuten als eine unerträgliche Last; Alle ergreifen mit Freude die Idee eines Aufstandes. Der Aufruhr wird in Guldbransthal beginnen und sich nach Sund Moer und Kongsberg ausbreiten. Zweitausend Bergleute können innerhalb drei Tagen auf den Beinen sein. Der Aufstand wird in Schuhmachers Namen geschehen; unsere Emissäre stellen sich als von ihm abgesendet dar. Dann brechen die Truppen im Süden und die Besatzungen von Drontheim und Skongen gegen die Rebellen auf; Sie sind gerade zu rechter Zeit da, um den Aufruhr zu unterdrücken, Sie haben dem König einen neuen ausgezeichneten Dienst geleistet; Schuhmacher ist ein Verbrecher, dessen man sich für immer entledigt.«

Der Kanzler wußte jetzt, was er wissen mußte. Musdoemon, der Vertraute seiner Verbrechen, war ihm nun zur Last. Es blieb ihm nun nichts übrig, als ihn auf eine gute Art zu verabschieden.

»Musdoemon,« sagte er mit gnädigem Lächeln, »Ihr seid der treueste und eifrigste meiner Diener. Alles geht gut, und das danke ich Eurem Eifer. Ich ernenne Euch zum geheimen Sekretär des Großkanzlers.«

Musdoemon verbeugte sich tief.

»Das ist noch nicht Alles, ich werde zum drittenmal den Danebrogorden für Euch verlangen; aber ich fürchte immer, daß Eure Geburt, Eure unwürdige Verwandtschaft …«

Musdoemon, bald roth, bald blaß, suchte die Leidenschaften, die sich auf seinem Gesichte malten, durch eine tiefe Verbeugung zu verbergen.

»Geht nur,« fuhr der Kanzler fort und reichte ihm die Hand zum Kusse, »geht nur, Herr geheimer Sekretär, und setzt Eure Bittschrift auf. Vielleicht findet sie den König in einem Augenblick guter Laune.«

»Mag mir Se. Majestät den Orden bewilligen oder nicht, immerhin bin ich stolz auf Euer Excellenz hohe Gnade und gerührt von so vielem Wohlwollen.«

»Eilt Euch, Lieber, denn ich will schnell abreisen. Ihr müßt Euch noch genaue Nachweisungen über diesen Han verschaffen.«

Musdoemon verabschiedete sich mit einer stummen Verbeugung.