Der Kaiser war, obgleich krank und durch ein örtliches Leiden belästigt, nie so guter Laune gewesen, als an diesem Tage. Seit dem Morgen lächelte seine Unerforschlichkeit. Es war der blinde Schein seiner unergründlichen Seele aus Marmor. Der Mann, der bei Austerlitz finster gewesen, war bei Waterloo heiter. Die größten Schicksalsmenschen thun so Widersprechendes. Unsere Freuden sind Schatten. Das höchste Lächeln gehört Gott.
Ridet Caesar, Pompejus flebit (Cäsar lacht, Pompejus wird weinen), sagten die Soldaten der Legion Fulminatrix. Pompejus sollte diesmal nicht weinen, Cäsar aber lachte gewiß.
Schon in der letzten Nacht, um ein Uhr, als er mit Bertrand zu Pferde im Sturm und Regen die Hügel um Rossomme musterte, und mit Befriedigung die lange Linie der englischen Wachtfeuer sah, welche den ganzen Horizont von Frichemont bis Brain-l’Alleud beleuchteten, war es ihm vorgekommen, als sei das Geschick, das er einem bestimmten Tage auf dem Schlachtfelde von Waterloo zugewiesen hatte, pünktlich und accurat. Er hatte sein Pferd angehalten und war einige Zeit unbeweglich geblieben, nach den Blitzen schauend, auf den Donner hörend. Dann hatte man diesen Fatalisten folgendes geheimnißvolle Wort ins Dunkel hineinsprechen hören: »Wir sind einig.« Napoleon irrte sich. Sie waren nicht mehr einig.
Er hatte nicht eine Minute geschlafen; alle Augenblicke dieser Nacht waren für ihn durch etwas Freudiges bezeichnet. Er war an der ganzen Linie der Garde hingeritten und hatte, hier und da stehen bleibend, mit den Wachtposten gesprochen. Halb drei Uhr bei dem Walde von Hougomont, hatte er den Marschtritt einer Colonne gehört, einen Augenblick an den Rückzug Wellingtons geglaubt und zu Bertrand gesagt: »es ist der englische Nachtrab, der aufbricht, um abzuziehen. Ich werde die sechstausend Engländer, die in Ostende angekommen sind, gefangen nehmen.« Er plauderte in der mittheilendsten Weise, er hatte die Lebhaftigkeit von der Landung am 1. März wiedergefunden, als er dem Großmarschall den begeisterten Landmann am Golf Juan mit den Worten zeigte: »nun, Bertrand, da kommt schon Verstärkung!« In der Nacht vom 17. zum 18. Juni verspottete er Wellington. »Der kleine Engländer braucht eine Lection,« sagte Napoleon. Während der Kaiser sprach, begann der Regen mit verdoppelter Macht unter einem heftigen Donnerschlag.
Halb vier Uhr früh hatte er eine Illusion verloren. Zur Recognoscirung ausgesandte Officiere meldeten ihm, der Feind mache keine Bewegung. Nichts rührte sich; kein Bivouacfeuer war erloschen. Die englische Armee schlief. Alles war still auf der Erde, nur oben am Himmel war es lebhaft. Um vier Uhr wurde ein Bauer vor ihn gebracht, der eine Brigade englischer Cavallerie, wahrscheinlich die Brigade Vivian, geführt hatte, welche im Dorfe Ohain, auf dem äußersten linken Flügel, Position nahm. Um fünf Uhr berichteten ihm zwei belgische Deserteure, daß sie ihr Regiment verlassen hätten, und daß die englische Armee die Schlacht erwarte. »Um so besser!« rief da Napoleon aus. »Ich will sie lieber über den Haufen werfen, als sie zurückdrängen.«
Früh war er an dem abschüssigen Wegrande, welcher die Ecke des Weges nach Planchenois macht, abgestiegen, trotz des Schmutzes, hatte sich von der Meierei von Rossomme einen Küchentisch und Bauernstuhl bringen lassen, sich da hingesetzt, eine Schütte Stroh unter den Füßen, die Karte vom Schlachtfelds ausgebreitet und zu Soult gesagt. »Schönes Schachbrett!«
In Folge des Regens in der Nacht hatten die Lebensmittelzufuhren wegen der aufgeweichten Wege früh nicht ankommen können; die Soldaten hatten nicht geschlafen, waren durchnäßt und nüchtern. Das hinderte jedoch Napoleon nicht, ganz heiter Ney zuzurufen: »Unsere Aussichten stehen zu denen der Gegner wie 90 zu 10.« Um acht Uhr brachte man ihm das Frühstück. Er hatte mehrere Generale dazu eingeladen Während des Frühstücks wurde erzählt, Wellington sei am Tage vorher in Brüssel zum Ball bei der Herzogin von Sommerset gewesen, und Soult der rohe Kriegsmann mit dem Erzbischofgesicht sagte: Zum Ball? der ist ja erst heute. Der Kaiser scherzte mit Ney, der gesagt hatte: »Wellington wird nicht so dumm sein, Ew. Majestät zu erwarten.« Das war übrigens so seine Art. »Er scherzte gern,« sagt Fleury von Chaboulon.« »Der Grundzug seines Charakters ist heitere Laune,« sagt Gourgaud. »Er war voller Spaße, die aber mehr seltsam als geistreich waren,« sagt auch Benjamin Constant. Die Spaße eines Riesen lohnen der Mühe erwähnt zu werden. Er nannte seine Grenadiere die »Brummbärte,« kniff sie ins Ohr, zupfte sie am Schnurbart. »Der Kaiser treibt Schabernack mit uns,« sagte Einer der Grenadiere. Während der geheimnißvollen Ueberfahrt von der Insel Elba nach Frankreich am 27. Februar, im offenen Meere, als die französische Kriegsbriegg »Zephyr« der Brigg »Inconstant« begegnete, auf welcher sich Napoleon befand, und diese nach Nachrichten von Napoleon fragte, nahm der Kaiser, der noch am Hute die weiße und amaranthfarbige Cocarde mit Bienen besät trug, lächelnd das Sprachrohr und antwortete selbst: »Der Kaiser befindet sich wohl.« Wer so lacht, der ist familiair mit den Ereignissen. Napoleon lachte mehrmals so während des Frühstücks von Waterloo. Nach dem Frühstücke sammelte er sich eine Viertelstunde, dann dictirte er zwei Generälen, die auf der Schütte Stroh saßen, eine Feder in der Hand und ein Blatt Papier auf den Knieen hatten, die Schlachtordnung. Um neun Uhr, als die französische Armee in fünf Colonnen aufgestellt, sich entfaltete, die Divisionen in zwei Linien, das Geschütz zwischen den Brigarden, die Musik voran, unter Trommelschlag und Trompetengeschmetter, gewaltig, ungeheuer, heiter, ein Meer von Helmen, Säbeln und Bayonetten am Horizonte, rief der Kaiser ergriffen zweimal aus: »Prächtig, prächtig!
Von neun bis halb elf Uhr hatte die ganze Armee – was unglaublich erscheint – Position genommen und in sechs Linien sich aufgestellt, die um die Worte des Kaisers hier zu wiederholen: »sechs V bildeten.« Ewige Augenblicke nach der Formation der Schlachtfront, mitten in der tiefen Stille des Beginnens des Unwetters, welches den Schlachten vorausgeht, klopfte der Kaiser Haxo mit den Worten auf die Achsel: »vierundzwanzig prächtige Jungfern, General.«
Das war gerade in dem Augenblicke, als er drei von den zwölf Batterieen bei sich vorüber defiliren sah, welche sich auf seinen Befehl von den Corps von Erlon, Reille und Lobau detachirten und bestimmt waren, die Schlacht in Mont-Saint-Jean, an der Stelle, wo die Wege von Nivelles und Genappe einander kreuzen, zu beginnen.
Des Ausganges sicher, hatte er mit freundlichem Lächeln eine an ihm vorüberkommende Sappeur-Compagnie vom ersten Corps ermuthigt, welche sich nach seiner Anweisung in Mont-Saint-Jean verbarricadiren sollte, sobald das Dorf genommen wäre. Diese Heiterkeit wurde nur durch ein Wort stolzen Mitleides unterbrochen.
Als er nämlich zu seiner Linken, an einer Stelle, wo sich jetzt ein großes Grab befindet, die bewundernswürdigen schottischen Grauen mit ihren prächtigen Pferden sich sammeln sah, rief er aus: »Schade!«
Dann stieg er wieder zu Pferde, ritt vor Rossomme und wählte als Beobachtungs-Punkt einen schmalen Rasenhügel nahe an der Straße von Genappe nach Brüssel, welcher sein zweiter Standort während der Schlacht war. Der dritte, um sieben Uhr Abends, zwischen Belle-Alliance und La Haie-Sainte, ist furchtbar: ein ziemlich hoher Hügel, der heute noch existirt und hinter welchem die Garde in einer Senkung der Ebene in Masse aufgestellt war. Um diesen Hügel her flogen die Kugeln, die von dem Pflaster der Straße abprallten, bis zu Napoleon. Wie zu Brienne pfiffen die Flinten- und Kartätschenkugeln über seinen Kopf hin. Man hat fast an der Stelle, wo die Hufe seines Pferdes standen, verrostete Kugeln, alte Säbelklingen und verrostetes Wurfgeschoß aller Art vorgefunden. Vor einigen Jahren grub man an dieser Stelle eine noch geladene sechspfündige Bombe aus, deren Zünder dicht an der Kugel abgebrochen war. Auf diesem seinem letzten Standorte sagte der Kaiser zu seinem Führer Lacoste, einem feindlichen furchtsamen Bauer, der an den Sattel eines Husaren gefesselt war und sich bei jedem Schuß umdrehte und hinter Napoleon zu verstecken suchte: »Dummkopf! Es ist ja schmachvoll! Du wirst eine Kugel in den Rücken bekommen!« Der Schreiber dieser Zeilen selbst fand an dem Abhange dieses Hügels, als er im Sande grub, Stücke einer Bombe und alte Eisenstücke, welche der Rost von sechs und vierzig Jahren so zerfressen hatte, daß sie in den Händen zerbrachen wie Hollunderstäbchen.
Die verschiedenen geneigten, wellenförmigen Erhebungen der Ebene, wo der Kampf zwischen Napoleon und Wellington stattfand, sind bekanntlich nicht mehr in der Beschaffenheit, wie am 18. Juni 1815.
Als man diesem Leichenfelde die Erde wegnahm, um das Monument aufzurichten, nahm man ihm sein wirkliches Relief, und die außer Fassung gebrachte Geschichte findet sich nicht mehr zurecht. Man hat sie verunstaltet, um sie zu verherrlichen. Als Wellington zwei Jahre später Waterloo wiedersah, rief er aus: »Man hat mir mein Schlachtfeld verändert!« Da, wo jetzt die große Erdpyramide mit dem Löwen darauf steht, war eine kleine Erhöhung, die sich nach der Straße von Nivelles zu wie eine Rampe abdachte, nach der Chaussee von Genappe zu aber eine beinah steile Böschung bildete. Die Höhe dieser Letztern laßt sich heute noch nach jener der beiden großen Gräber bemessen, zwischen denen die Straße von Genappe nach Brüssel hindurch führt: das eine links ist ein englisches, das andere rechts ein deutsches Grab.
Ein französisches Grab giebt es nicht. Für Frankreich ist die ganze Ebene ein Grab. Dank den tausend und aber tausend Wagen voll Erde, welche man zu dem hundertundfunfzig Fuß hohen und fünfhundert Fuß im Umfang haltenden Denkmalhügel angewendet hat, ist das Plateau von Mont-Saint-Jean nur noch unbedeutend ansteigend; am Schlachttage war es, namentlich von La Haie-Sainte her, steil und abschüssig. Der Abhang war an dieser Stelle so geneigt, daß die englischen Kanonen unter sich das Gut im Thalgrunde, den Mittelpunkt des Kampfes nicht sahen. Am 18. Juni 1815 war das Hinaufkommen wegen des durch den Regen aufgeweichten Bodens noch schwieriger. Längs dem Kamme des Plateau’s lief ein Graben hin, der von einem Beobachter in der Ferne gar nicht bemerkt werden konnte.
Was war dieser Graben? Sagen wir es. Braine l’Alleud ist ein belgisches Dorf, Ohain ein anderes. Diese Dörfer, welche beide in Terraincurven versteckt liegen, werden durch einen Weg von etwa anderthalb Stunden verbunden, der über eine wellige Ebene läuft und sich oft wie eine Furche durch Hügelungen zieht, so daß er an vielen Stellen ein Hohlweg ist. Im Jahre 1815 schnitt dieser Weg, wie heute noch, über den Kamm des Plateau’s von Mont-Saint-Jean zwischen den beiden Chausseen von Genappe und Nivelles, nur war er damals ein Hohlweg, während er jetzt in einer Fläche mit der Ebene liegt. Die beiden Erhöhungen zur Seite hat man zu dem Monumenthügel verwendet. Im größten Theile seiner Ausdehnung war und ist heut zu Tage noch dieser Weg ein Laufgraben, hier und da wohl zwölf Fuß hohl, dessen allzusteile Böschungen hin und wieder, namentlich im Winter bei starken Regengüssen, herabstürzen.
Unglücksfälle haben sich auf demselben genug ereignet.
Vor Braine-l’Alleud war dieser Hohlweg so schmal, daß ein Durchgehender von einem Wagen zerdrückt wurde, wie ein steinernes Kreuz bei einem Grabe angiebt, das den Namen des Verunglückten (Bernard Debrye, Kaufmann in Brüssel) und das Datum (Febr. 1637) 2 angiebt.
Er war so tief auf dem Plateau von Mont-Saint-Jean, daß ein Bauer, Mathieu Nicaise, 1783 durch eine abfallende Erdschicht darin erschlagen wurde, wie ebenfalls ein steinernes Kreuz bezeugt, dessen Spitze in dem urbar gemachten Lande verschwunden ist, dessen umgestürztes Piedestal aber heute noch auf dem Abhänge links der Chaussee, zwischen La-Haie-Sainte und der Meierei Mont-Saint-Jean sichtbar ist.
An einem Schlachttage war dieser Hohlweg, den nichts andeutete, unsichtbar, d. h. schrecklich.