Erstes Capitel. Freude unter Todesqualen.
Mess Letthierry zog die Glocke gewaltig. Plötzlich hielt er an. Ein Mann kam um die Ecke des Quai. Es war Gilliatt.
Mess Letthierry lief ihm entgegen oder warf sich vielmehr auf ihn, faßte seine Hand mit seinen beiden Händen und blickte ihm einen Augenblick schweigend in das Gesicht. Ein Schweigen, welches dem Ausbruche gleicht, der keinen Weg zu finden weiß.
Dann schüttelte und zog er ihn heftig, preßte ihn in seine Arme, ließ ihn In den niedrigen Saal der Bravées eintreten, stieß mit den Hacken die Thür zurück, welche halb offen blieb, setzte sich oder fiel auf einen Stuhl neben einem vom Monde beschienenen Tische, dessen Reflex Gilliatt’s Gesicht unbestimmt erleuchtete und schrie mit einer Stimme, in welche sich Weinen mit Lachen vermischte:
O mein Sohn! Mensch mit der Bug-Pipe! Gilliatt! Ich wußte wohl, daß Du es warst! Die Barke, alle Wetter! Erzähle mir das. Du bist also hingegangen! Vor hundert Jahren hätte man Dich als Zauberer verbrannt! Es fehlt nicht ein Nagel daran. Ich habe Alles gesehen, Alles betrachtet. Alles untersucht. Ich ahne, daß die Räder in den beiden Kästen sind. Da bist Du also doch endlich! Ich suchte Dich so eben in Deiner Kabine. Ich habe geläutet. Ja, ich suchte Dich. Ich sagte zu mir: Wo ist er, daß ich ihn aufesse! Man muß zugestehen, daß eigenthümliche Dinge vorkommen. Dieses Menschenkind da kommt von den Douvres-Klippen zurück. Er giebt mir das Leben wieder. Donner! Du bist ein Engel. Ja, ja, ja, es ist meine Maschine. Niemand wird es glauben. Man wird es sehen und sagen: Es ist nicht wahr. Alles ist da, was! Alles ist da! Es fehlt nicht eine Schraube, nicht ein Nagel. Der Wasserbehälter ist nicht im Mindesten verletzt. Es ist unglaublich, daß er keinen Schaden genommen hat. Aber wie hast Du das gemacht? Die Durande wird wieder fahren! Der Radbaum ist ja auseinandergenommen, wie von einem Goldschmiede. Gieb mir Dein Ehrenwort, daß ich nicht wahnsinnig bin.
Er richtete sich auf, holte Athem und fuhr fort:
– Schwöre es mir. Welche Umwälzung! Ich kneife mich, ich fühle wohl, daß ich nicht träume. Du bist mein Kind, mein Junge, der liebe Gott! O mein Sohn! Du hast mir meine Maschine geholt! Von offener See! Von dieser hinterlistigen Klippe! Ich habe viele Kunststücke in meinem Leben gesehen. Aber nichts dergleiches. Ich habe die Pariser gesehen, welche wahre Teufel sind. Das würden sie aber wohl bleiben lassen. Das ist schlimmer als die Bastille. Ich habe die Gauchos in den Pampas den Acker bestellen sehen; ihr Pflug ist ein Baumzweig mit einem Knie und ihre Egge ein Haufen Dornen, welche ein Lederriemen zusammenhält; damit säen sie Getreidekörner, groß wie Nüsse. Das ist aber Alles Spielerei gegen Dich. Du hast da ein Wunder vollbracht, und zwar ein ächtes. O Du Bösewicht! Komm‘ an meinen Hals! Man wird Dir das Glück des ganzen Landes verdanken. Wie werden sie in St. Sampson brummen! Ich werde mich sofort an die Wiederherstellung des Schiffes machen. Es ist staunenswerth, daß die Brandung nichts zerbrochen hat. Meine Herren, er ist nach den Douvres gewesen. Nach den Douvres, sage ich. Ganz allein. Die Douvres! Diese Kieselsteine, wie es keine schlimmeren giebt. Weißt Du’s schon; hat man Dir’s schon gesagt? Es ist bewiesen, es war ausdrücklich beabsichtigt; Clubin hat die Durande gestrandet, um mir das Geld zu stehlen, welches er mir bringen sollte. Er hat Tangrouille betrunken gemacht. Es ist eine lange Geschichte, ich werde Dir ein anderes Mal diesen Raub erzählen. Ich, furchtbare Dummheit, hatte zu Clubin Vertrauen. Er ist daran zu Grunde gegangen, der Verbrecher: denn er hat gewiß umkommen müssen. Es giebt einen Gott, der Elende! Siehst Du, Gilliatt, wir werden sofort, so lange das Eisen noch warm ist, die Durande wiederbauen. Wir werden ihr zwanzig Fuß mehr geben. Man baut jetzt größere Schiffe. Ich werde in Danzig und Bremen Holz kaufen. Jetzt, wo ich die Maschine habe, wird man mir borgen. Das Vertrauen wird zurückkehren.
Mess Lethierry hielt inne, schlug die Augen mit einem Blicke auf, welcher den Himmel bis in seine Tiefen durchschaut und murmelte zwischen den Zähnen: Es giebt dort oben Einen!
Dann legte er den Mittelfinger seiner rechten Hand zwischen die beiden Augenbrauen, stützte seine Spitze auf die Nasenwurzel, was einen das Gehirn durchkreuzenden Gedanken verräth, und fuhr fort:
– Einerlei, um Alles im großen Maßstabe anfangen zu können, wäre doch etwas baar Geld sehr erwünscht. O! wenn ich meine drei Banknoten hätte, die 75,000 Francs, welche dieser Räuber Rantaine mir wiedergegeben und dieser Dieb Clubin mir wiederabgestohlen hat!
Gilliatt suchte schweigend etwas in seiner Tasche und legte es dann vor ihn. Es war der Ledergürtel, den er mitgebracht hatte. Er öffnete und breitete ihn auf dem Tische aus; bei dem Mondschein konnte man auf seiner Innenseite das Wort Clubin entziffern; er zog aus der in ihm befindlichen Tasche eine Dose und aus dieser drei zusammengefaltete Stück Papier, welche er aufmachte und Mess Lethierry hinreichte.
Dieser untersuchte sie. Es war hell genug, um die Zahl 1000 und das Wort thousand deutlich erkennen zu können. Mess Lethierry nahm die drei Banknoten, legte sie auf den Tisch, eine neben die andere, sah sie an, sah Gilliatt an, blieb einen Augenblick stumm und donnerte dann los, wie die Zerstörung nach der Explosion:
– Das auch! Du bist unbegreiflich. Meine Banknoten! Alle drei! Jede von tausend! Meine 75,000 Francs! Du bist also bis in die Hölle gegangen. Es ist Clubin’s Gürtel. Beim Himmel! Ich lese innen seinen Namenszug. Gilliatt bringt die Maschine zurück und auch noch das Geld! Das wird man in die Zeitung setzen lassen. Ich werde Holz von der besten Qualität kaufen. Ich ahne, Du wirst das Gerippe von Clubin in irgend einem Winkel aufgefunden haben. Wir werden Tannen in Danzig und Eichen in Bremen kaufen und einen schönen Rumpf bauen, indem wir die Eiche nach innen und die Tannen nach außen nehmen. Früher machte man die Schiffe weniger gut, und sie hielten länger; das Holz war aber tauglicher, weil man weniger baute. Wir machen den Kiel vielleicht aus Ulmenholz. Die Ulme ist gut für Theile, die stets im Wasser bleiben, aber wenn sie bald naß, bald trocken wird, so fault sie; sie muß immer feucht sein, sie nährt sich vom Wasser. Was für eine schöne Durande werden wir machen! Man soll mir nichts vorschreiben. Ich habe keinen Credit nöthig. Ich habe Geld. Hat man je einen solchen Gilliatt gesehen! Ich lag da, fast todt! Er stellt mich wieder aufrecht auf meinen vier Eisen. Und ich, ich denke gar nicht an ihn! Das ist mir ganz aus dem Kopfe geschwunden. Alles kommt mir jetzt wieder. Armer Junge! O! Alle Wetter, Du weißt, Du heirathest Deruchette!
Gilliatt lehnte sich wie ein Schwankender an die Mauer und antwortete sehr leise, aber sehr deutlich:
– Nein.
Mess Lethierry sprang in die Höhe.
– Wie, nein??!
Gilliatt erwiderte:
– Ich liebe sie nicht.
Mess Lethierry ging an das Fenster, öffnete und schloß es, kam zu dem Tische zurück, nahm die drei Banknoten, faltete sie, legte die Dose auf sie, kratzte sich den Kopf, ergriff Clubin’s Gürtel, warf ihn zornig gegen die Wand und rief:
Da steckt etwas hinter.
Er steckte seine beiden Fäuste in seine Taschen und fuhr fort:
– Du liebst Deruchette nicht!? Du hast also für mich auf der gespielt?
Gilliatt, immer noch an der Wand gelehnt, erblaßte wie ein Mensch, der zu athmen aufhört. Je bleicher er wurde, um so röther wurde Mess Lethierry.
– Ist der unverschämt! Er liebt Deruchette nicht! Nun gut, bereite Dich darauf vor, sie zu lieben, denn sie wird nur Dich heirathen. Welche tolle Geschichte willst Du mir da erzählen, damit ich Dir das glauben soll! Bist Du krank, gut, so lasse einen Arzt rufen, aber sprich keinen Unsinn. Es ist nicht möglich, daß Du schon die Zeit gehabt hast, Dich mit ihr zu streiten und Dich über sie zu ärgern. Freilich die Liebenden, es ist so dumm! Laß sehen, hast Du Gründe? Dann sage sie. Man thut so etwas nicht ohne Gründe. Außerdem habe ich auch Baumwolle in den Ohren und deshalb vielleicht falsch gehört. Wiederhole, was Du gesagt hast.
Gilliatt erwiederte:
– Ich habe Nein gesagt.
– Du hast Nein gesagt. Er bleibt dabei, der Kerl! Da hast Du etwas, das ist sicher! Du hast Nein gesagt. Das ist eine Dummheit, die die Grenzen übersteigt. Man verordnet Andern für viel geringere Dinge kalte Umschläge. Also rein aus Liebe zu dem guten Alten hast Du das Alles gethan, was Du gethan hast! Für die schönen Augen des Vaters bist Du nach den Douvres gewesen, hast Kälte und Hitze, Hunger und Durst ertragen, das Gewürm von dem Felsen gegessen, Nebel Wind und Regen als Schlafgemach gehabt und mir meine Maschine zurückgebracht, wie man einer hübschen Frau ihren Zeisig, der ihr fortgeflogen ist, wiederbringt! Und der Sturm vor drei Tagen! Rede Dir nur nicht ein, daß ich mir keine Rechenschaft davon gebe. Dich hat er sicher gehörig durchrüttelt! Dadurch, daß Du mitten in den Bauch meines alten Kahns eine Oeffnung machtest, hast Du geschlagen, geschnitten, gedreht, gedrechselt, gezogen, gefeilt, gehämmert, gesägt, erfunden, ausgedacht und vollbracht; Du ganz allein tausendmal mehr Wunder, als alle Heiligen des Paradieses zusammen. Und doch bist Du ein Thor: Du langweilst mich mit Deinem Bug-pipe. Immer noch bei Dir dieselbe Melodie, dieselben Dummheiten. Du liebst nicht Deruchette! Ich weiß nicht, was Du hast. Ich erinnere mich jetzt sehr gut an Alles; ich war da in der Ecke, Deruchette sagte: Ich werde ihn heirathen. Und sie wird Dich heirathen! O, Du liebst sie nicht! Trotz aller Ueberlegung verstehe ich das nicht. Und er spricht nicht ein Wort. Es ist gar nicht erlaubt, das Alles zu thun, was Du gethan hast, und dann schließlich zu sagen: Ich liebe nicht Deruchette. Man erweist den Leuten keine Dienste, um sie zornig zu machen. Nun gut, wenn Du sie nicht heirathest, wird sie die heilige Katharina frisiren. Zuerst bedarf ich Deiner. Du wirst der Steuermann der Durande. Bilde Dir nur nicht ein, daß ich Dich so wieder fort lasse! Ha, ha, ha, mein Herzensfisch, ich lasse Dich nicht los. Ich halte Dich fest und höre Dich nicht einmal an. Wo giebt es noch einen Matrosen, der Dir gliche! Du bist mein Mann. Aber sprich doch!
Indessen hatte die Glocke das Haus und die Umgegend geweckt. Douce und Grace waren aufgestanden und so eben mit erstauntem Gesicht und ohne ein Wort zu sagen in den niedrigen Saal getreten. Grace hielt ein Licht in der Hand. Eine Gruppe von Nachbarn, Bürgern, Seeleuten und Bauern, in aller Eile zusammengekommen, stand draußen auf dem Quai und betrachtete mit Staunen und Bewunderung den Schlot der Durande in der Barke. Einige hörten Mess Lethierry’s Stimme in dem niedrigen Saale und begannen, sich schweigend durch die halbgeöffnete Thür einzuschleichen. Zwischen den Gesichtern zweier Gevatterinnen steckte Meister Landoys seinen Kopf durch, welcher zufällig immer da war, wo nicht zu sein er bedauert hätte.
Große freudige Ereignisse müssen an die große Glocke. Mess Lethierry bemerkte plötzlich, daß Leute um ihn seien und nahm sie sofort zu Zuhörern:
– O! Da seid Ihr ja. Das ist sehr schön. Wißt Ihr die Neuigkeit. Dieser Mensch ist da gewesen und hat das zurückgebracht. Guten Tag, Meister Landoys. Gerade als ich erwachte, sah ich den Schornstein. Er lag unter meinem Fenster. Nicht ein Nagel fehlt an dem ganzen Dinge. Man macht Bilder von Napoleon; ich meinestheils ziehe das der Schlacht bei Austerlitz vor. Ihr steht auf, Ihr guten Leute. Die Durande kommt Euch im Schlafe. Während Ihr Eure baumwollenen Nachtmützen aufsetzt und Eure Lichter ausblast, wachen Menschen, welche Helden sind. Man ist ein Haufen von Feiglingen und Faullenzern und wärmt seine Glieder. Zum Glück hindert das nicht, daß es auch Tollköpfe giebt, die dahin gehen, wohin man gehen muß, und das thun, was man thun soll. Der Mann vom Bû de la Rue kommt von der Douvre-Klippe an. Er hat die Durande aus dem Grunde des Meeres wieder aufgefischt und das Geld aus Clubin’s Tasche, einem noch tiefern Loche. Aber wie hast Du’s gemacht? Die ganze Welt war gegen Dich, Wind und Meer, Meer und Wind! Du bist wirklich ein Hexenmeister. Die Stürme sind vergebens nichtswürdig, der da macht ihnen den Garaus. Meine Freunde, ich theile Euch mit, daß es keinen Schiffbruch mehr giebt. Ich habe die Maschine untersucht. Sie ist wie neu, ganz, nun was sagt Ihr? Die Ventile spielen wie auf Rollen; man möchte sagen, sie sei erst gestern Morgen fertig geworden. Ihr wißt, daß das ausfließende Wasser durch ein Rohr fortgeschafft wird, in welchem sich das Einflußrohr befindet, damit man gleich die Wärme benutzen kann; nun wohl, alle beiden Röhren sind in gutem Zustande. Die ganze Maschine! Auch die Räder! Ah! Du wirst sie heirathen!
– Wen? Die Maschine? fragte Meister Landoys.
– Nein, die Tochter. Ja, die Maschine. Alle Beide. Er wird doppelt mir angehören: er wird mein Schwiegersohn und mein Capitän. Good bye, Capitän Gilliatt. Es wird bald wieder eine geben, eine Durande! Man wird damit Geschäfte und Fahrten und Handel und Ochsen- und Schaffrachten machen. Ich werde nicht St. Sampson für London aufgeben. Und hier steht der Urheber. Ich sage Euch, es ist ein Abenteuer. Man wird das Sonnabend beim Vater Mauger in der Zeitung lesen. Gilliatt der Böse ist ein Böser. Was sind das da für Louisd’or?
Mess Lethierry bemerkte so eben durch die Ritze im Deckel, daß in der Dose, in welcher sich die Banknoten befanden, auch Gold sei. Er nahm die Dose, öffnete sie, entleerte sie in seine flache Hand und legte die Guineen auf den Tisch.
– Für die Armen. Meister Landoys, gebt diese Guineen in meinem Namen, dem Bürgermeister von St. Sampson. Ihr kennt doch Rantaine’s Brief? Ich habe ihn Euch gezeigt; nun gut, ich habe die Banknoten. Der Mann da ist geprägtes Gold, gehärteter Stahl, ein Demant, ein Seemann mit Leib und Seele, ein Schmied, ein außerordentlicher, lustiger Bruder, staunenswerther, als der Prinz von Hohenlohe. Das nenne ich einen Menschen, der Verstand hat. Wir sind Alle nichts Großes. Die Meerwölfe seid Ihr und ich, sind wir; aber der Meerlöwe ist der da. Hurrah, Gilliatt! Ich weiß nicht, was er gemacht hat, aber sicherlich ist er ein Teufel und darum will er nicht, daß ich ihm Deruchette gebe!
Seit einigen Augenblicken befand sich diese in dem Saale. Sie hatte kein Wort gesprochen, kein Geräusch gemacht, war wie ein Schatten eingetreten und hatte sich fast unbemerkt auf einen Stuhl hinter Mess Lethierry gesetzt, welcher aufrecht stand, gesprächig, freudig erregt und laut sprechend. Kurz nach ihr war eine zweite stumme Erscheinung eingetreten. Ein schwarzgekleideter Mann mit weißem Halstuche und den Hut in der Hand, stand in der halbgeöffneten Thür. Mehrere Lichter brannten jetzt in der langsam angewachsenen Gruppe und erleuchteten den schwarzgekleideten Mann von der Seite, so daß sich sein Profil von jugendlicher und anmuthiger Weiße scharf, wie ein Gepräge, auf dem dunkeln Grunde abzeichnete; er stützte seinen Ellbogen gegen die Ecke eines Feldes in der Thür und hielt seinen Kopf mit der linken Hand; eine Stellung, deren Anmuth ihm unbewußt war und welche durch die Kleinheit der Hand die Höhe der Stirn noch bemerkbarer machte. Ein schmerzlicher Zug umspielte die Winkel des fest zusammengepreßten Mundes. Er prüfte und horchte mit tiefer Aufmerksamkeit. Sobald die Umstehenden den ehrwürdigen Ebenezer Caudray, den Pfarrer der Gemeinde, erkannt hatten, wichen sie zurück, um ihn durchzulassen; er blieb jedoch auf der Schwelle stehen. Zögern drückte seine Stellung und Bestimmtheit sein Blick aus. Von Zeit zu Zeit begegnete dieser Blick dem von Deruchette. Gilliatt stand, sei es Zufall, sei es Willen, im Schatten und man sah ihn nur sehr undeutlich.
Zuerst bemerkte Mess Lethierry Herrn Ebenezer nicht, aber Deruchette. Er ging auf sie zu und küßte sie mit der ganzen Wärme, welchen ein Stirnkuß besitzen kann und streckte zugleich den Arm gegen die dunkle Ecke aus, wo Gilliatt stand.
– Deruchette, sagte er, Du bist jetzt wieder reich und das ist Dein Mann.
Deruchette hob den Kopf wirr in die Höhe und blickte in das Dunkel.
Mess Lethierry fuhr fort:
– Man wird sofort Hochzeit machen, morgen womöglich, man wird den Dispens bekommen, außerdem kommt’s hier nicht viel auf Förmlichkeiten an, der Dekan macht das, wie er will; es ist nicht wie in Frankreich, wo Aufgebote, öffentliche Aufrufe und sonstige Verzögerungen der Heirath vorhergehen müssen. Du wirst Dich rühmen können, die Frau eines ehrenhaften Mannes zu sein; es ist unnöthig zu sagen, daß er ein Seemann ist, ich habe es von dem ersten Tage an gedacht, als ich diesen Herrn mit der kleinen Kanone zurückkommen sah. Jetzt kommt er von den Klippen zurück mit seinem Glücke und dem meinigen und dem des Landes; es ist ein Mann, von dem man eines Tages als von etwas Unmöglichem sprechen wird. Du hast gesagt: Ich werde ihn heirathen und Du wirst ihn heirathen; und Du wirst Kinder bekommen und ich Großvater werden und Du wirst die Aussicht haben, die Frau eines ernsten Mannes zu sein, welcher arbeitet, nützlich, bewundernswerth ist und mehr werth als hundert andere; eines Mannes, der die Erfindungen Anderer rettet, der etwas Außergewöhnliches ist; und Du wirst nicht, wie alle andern reichen Mädchen dieser Insel, einen Soldaten oder Pfaffen heirathen, das heißt einen Mörder oder einen Lügner. Aber was machst Du denn in Deinem Winkel, Gilliatt? Man sieht Dich ja nicht. Douce! Grâce! Die ganze Welt, Licht. Beleuchtet mir meinen Schwiegersohn taghell. Ich verlobe Euch, meine Kinder. Das ist Dein Mann und mein Schwiegersohn, Gilliatt vom Bû de la Rue, der gute Junge, der große Matrose und ich werde keinen andern Schwiegersohn und Du wirst keinen andern Mann haben, ich gebe darauf dem lieben Gott mein Ehrenwort. Ah! da sind Sie ja auch, Herr Pfarrer, Sie werden mir die jungen Leute da trauen.
Mess Lethierry’s Auge war soeben auf den ehrwürdigen Ebenezer gefallen.
Douce und Grâce hatten gehorcht und zwei Lichter auf den Tisch gesetzt, welche Gilliatt vom Wirbel bis zur Zehe erleuchteten.
– Wie schön ist er! rief Lethierry aus.
Gilliatt sah abscheulich häßlich aus.
Er war noch gerade so, wie er am Morgen die Klippen verlassen hatte, in zerrissenen Kleidern, die Ellbogen durchbohrt, den Bart lang, die Haare zerzaust, die Augen entzündet und geröthet, das Gesicht aufgesprungen, die Hände blutend, die Füße nackt. Einige Pusteln des Krakens waren noch auf seinen behaarten Armen sichtbar.
Lethierry betrachtete ihn.
– Das ist mein wahrer Schwiegersohn. Wie er sich mit dem Meere herumgeschlagen hat! Er ist ganz zerfetzt! Welche Schultern! Welche Hände! Wie schön bist Du!
Grâce lief zu Deruchette und hielt ihr den Kopf. Sie war in Ohnmacht gefallen.
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Zweites Capitel. Der Lederkoffer.
Seit Tagesanbruch befand sich ganz St. Sampson auf den Beinen und ganz St. Pierre Port kam soeben an. Die Wiederauferstehung der Durande erregte auf der Insel ein Aussehen, ähnlich dem, welches in Südfrankreich die Salette verursachte. Der Quai wimmelte von Menschen, welche den aus der Barke ragenden Schlot betrachten wollten. Man hätte ihn auch gern in der Nähe besehen und die Maschine angefaßt; aber Lethierry hatte nach einer neuen triumphirenden Untersuchung der Maschine am Tage zwei Matrosen als Wache in der Barke aufgestellt, welche jede Annäherung untersagen mußten. Außerdem genügte ja der Rauchfang den Zuschauern, welche ganz außer sich vor Staunen waren. Man sprach nur von Gilliatt, erklärte und billigte seinen Beinamen der »Böse;« und die Bewunderung gipfelte sich in folgendem Satze: »Es ist nicht immer angenehm, auf der Insel Leute zu haben, welche solche Dinge zu Stande bringen können.«
Von außen sah man Mess Lethierry an seinem Tische neben dem Fenster schreibend sitzen, ein Auge auf das Papier, das andere auf die Maschine gerichtet. Er war so versunken, daß er sich nur einmal unterbrach, um Douce zu rufen und sich bei ihr nach Deruchette zu erkundigen. Sie hatte geantwortet: »Das Fräulein ist aufgestanden und ausgegangen.«
Mess Lethierry sagte darauf:
Sie thut Recht, frische Luft zu schöpfen. Sie befand sich heute Nacht in Folge der Hitze etwas unwohl. Es waren viele Leute in dem Saale. Und diese Ueberraschung, diese Freude, außerdem waren die Fenster geschlossen. Sie wird einen stolzen Mann bekommen!« Und er begann wieder zu schreiben. Er hatte schon zwei Briefe an die bedeutendsten Schiffsbaumeister in Bremen vollendet und zugesiegelt.
Jetzt schloß er den dritten.
In Folge des Geräusches eines Rades auf dem Quai drehte er den Kopf um, lehnte sich zum Fenster hinaus und sah den Weg, welcher vom Bû de la Rue herführt, einen Jungen, der sich nach St. Pierre Port wandte, mit einer Karre heraufkommen. Auf der Karre lag ein mit Kupfer- und Zinnnägeln beschlagener Koffer aus gelbem Leder.
Er redete den Jungen an:
– Wo willst Du hin?
Der Junge blieb stehen und antwortete:
– Zum Cashmere.
– Wozu?
– Den Koffer hinbringen.
– Nun gut; Du wirst diese drei Briefe mitnehmen.
Mess Lethierry öffnete seinen Tischkasten, nahm ein Zwirnknäuel heraus, knüpfte die drei Briefe, welche er soeben geschrieben hatte, mit einem Kreuzknoten zusammen und warf sie dem Jungen zu, der sie mit beiden Händen auffing.
– Du wirst dem Capitän des Cashmere sagen, daß sie von mir sind und daß er sie besorgen möge. Sie sind nach Deutschland. Nach Bremen über London.
– Ich werde den Capitän nicht sprechen, Mess Lethierry.
– Wieso?
– Der Cashmere ist nicht auf dem Quai.
– Ah!
– Er ist auf der Rhede.
– Aha, wegen der Fluth.
– Ich kann nur den Hafenpatron sprechen.
– Du wirst ihm meine Briefe anempfehlen.
– Ja, Mess Lethierry.
– Wann fährt der Cashmere ab?
– Um zwölf Uhr.
– Um Mittag steigt heute die Fluth; er hat sie gegen sich.
– Aber den Wind hat er für sich.
– Mein Sohn, sagte Mess Lethierry, mit seinem Zeigefinger auf den Rauchfang der Maschine weisend, siehst Du das? Das spottet wider Wind und Wellen.
Der Junge steckte die Briefe ein, faßte seine Karre wieder und setzte seinen Weg nach der Stadt fort. Mess Lethierry rief: Douce! Grâce!
Grâce öffnete die Thür halb.
– Mess, was giebt es?
– Komm herein und warte.
Mess Lethierry nahm ein Blatt Papier und begann zu schreiben. Wenn Grâce, welcher hinter ihm stand, neugierig gewesen wäre und den Kopf vorgebogen hätte, so würde sie über seine Schulter hinweg Folgendes haben lesen können:
»Ich schreibe nach Bremen um Holz. Ich habe während des ganzen Tages wegen des Kostenanschlages mit den Zimmerleuten Zusammenkünfte. Die Wiederherstellung wird schnell gehen. Gehe Du Deinerseits zu dem Dekan wegen des Dispenses. Ich wünsche, daß die Hochzeit so bald als möglich sei, sofort wäre das Beste. Ich beschäftige mich mit der Durande, beschäftige Du Dich mit Deruchette.«
Er datirte und unterzeichnete: »Lethierry.«
Er gab sich nicht die Mühe, den Brief zuzusiegeln, sondern kniff ihn einfach viermal durch und gab ihn Grâce.
– Bringe das dem Gilliatt.
– Am Bû de la Rue?
– Ja.