Erstes Capitel. Der Sturm.
Für den Seemann ist die Zeit der Tag- und Nachtgleiche eine höchst gefürchtete.
Es ist dies die Zeit der Ankunft der Sturmwinde; furchtbare Erscheinungen gehen diesen vorher.
In jeder Jahreszeit, namentlich zur Zeit des Neu- oder Vollmondes tritt auf dem Meer in einem Augenblicke, wo man es am wenigsten erwarten sollte, plötzlich eine unheimliche Stille ein. Seine wunderbare, unaufhörliche Bewegung schwindet; es wird matt und schläfrig und scheint sich nach Ruhe zu sehnen, so daß man es für müde halten möchte. Alle Schiffszeichen, von dem Wimpel des Fischerboots bis zur Flagge des Kriegsschiffes, die Banner der Admiräle, der Könige und Kaiser hängen schlaff am Maste herab.
Plötzlich indeß beginnen sie sich leise zu bewegen.
In diesem Augenblick stellt der Kapitän oder Führer eines Geschwaders, welcher das Glück hat, eines jener Wettergläser zu besitzen, deren Erfinder unbekannt ist, mit Hülfe eines Mikroskops an diesem Glas Beobachtungen an und ergreift Vorsichtsmaßregeln gegen den Südwind, wenn die Mischung das Aussehen geschmolzenen Zuckers hat, und gegen den Nordwind, wenn sie sich in farrnblatt- oder fichtennadelartige Krystallen auflöst. In diesem Augenblicke befragt der arme irländische oder bretagnische Fischer ein geheimnißvolles Gnomon, welches die Römer oder die Geister auf einem jener räthselhaften viereckigen Steine – in der Bretagne Menhir und in Irland Cruach genannt – eingegraben haben, und zieht seine Barke aus dem Meere zurück.
Indessen dauert die erhabene Ruhe des Himmels und des Oceans fort.
Die düstere Erscheinung des möglicherweise Verborgenen wird dem Menschen durch die verhängnißvolle Undurchdringlichkeit der Dinge verdeckt. Der fürchterlichste und trostloseste Anblick ist ein verschleierter Abgrund.
Man sagt: Da hinter steckt etwas; ja: Sturm ist hinter der Windstille verborgen.
So vergehen einige Stunden, manchmal sogar einige Tage. Die Seefahrer richten ihre Fernröhre hierhin und dorthin. Das Gesicht der alten Schiffer hat einen strengen Ausdruck, welcher dem geheimen Zorn, so lange warten zu müssen, ähnlich sieht.
Plötzlich hört man lautes, verworrenes Murmeln, als wenn in der Luft ein geheimnißvolles Zwiegespräch gehalten würde.
Man sieht nichts.
Die Meeresfläche bleibt gleichgültig.
Indessen wächst, steigt, hebt sich der Lärm und das Zwiegespräch wird lauter.
Es ist Jemand hinter dem Horizont; Jemand Schreckliches: der Wind.
Der Wind, das heißt, jenes Titanenvolk, welches wir Sturm nennen.
Die ungeheure Brut der Finsterniß.
Der Inder nannte sie Marut, der Jude Cherubin, der Grieche Aquilonen. Es sind die unsichtbaren Raubvögel der Unendlichkeit.
Diese Sturmwinde sind im Anzug.
Woher kommen sie? Aus dem Unermeßlichen. Für ihre Fittiche bedürfen sie der Unendlichkeit. Ihre ungemeinen Flügel erfordern die Unbegrenztheit der Einöden. Das atlantische, das stille Weltmeer mit ihren weiten, blauen Räumen sagen ihnen zu. Sie verfinstern das Meer und fliegen in großen Schaaren herbei. Der Commandant Page sah einmal auf hoher See sieben Windhosen zu gleicher Zeit. Plötzlich sind sie da in voller Wuth, sinnen Verwüstung und wählen als Tummelplatz das schnelle und ewige Wogen der Wellen. Was sie können, ist unbekannt, ebenso was sie wollen: Sie sind die Sphynx des Abgrundes und Gama ist ihr Oedipus. In jenem Dunkel des ewig beweglichen Meeres erscheinen sie, die Gesichter der Wolken. Wer ihre bleichen Züge zerstreut an dem Gesichtskreise des Oceans wahrnimmt, fühlt sich in Gegenwart einer unbezwingbaren Macht. Es scheint, als ob der menschliche Geist sie beunruhige und sie sich ihm widersetzten. Der Geist ist unbesiegbar, das Element aber uneinnehmbar. Was läßt sich gegen eine ungreifbare Allgegenwart thun? Der Hauch wird zum Sturme und dann wieder zum Hauche. Die Winde kämpfen mit vernichtender Gewalt und vertheidigen sich durch ihr Verschwinden. Wer ihnen begegnet, fällt ihrem Willen anheim. Ihr verschiedenartiger und stoßweiser Angriff bringt aus der Fassung. Ihre Flucht geschieht ebenso schnell, als ihr Angriff. Es sind unerschütterliche Starrköpfe. Wie kommt man damit zu Ende?
Sie haben die Dictatur über das Chaos; sie gebieten dem Chaos. Was machen sie damit? Man begreift ihre Unversöhnlichkeit nicht. Die Windesgrube ist ungeheuerlicher als die Löwengrube. Wie viele Leichname liegen unter diesem bodenlosen Leichentuche! Die Winde wühlen ohne Mitleid die große dunkle Masse auf. Man hört sie immer, sie hören nichts. Sie vollführen Dinge, welche Verbrechen gleichen. Man weiß nicht, auf wen sie die Spitzen der weißschäumenden Wellen schleudern. Welche gottlose Wildheit in einem Schiffbruch! Welcher Hohn gegen die Vorsehung! Bisweilen sehen sie aus, als wenn sie Gott begeiferten. Sie sind die Tyrannen unbekannter Welten.
Die Bäume dulden zitternd ihre willkürlichen Wege. Was in diesen großen Weiten vorgeht, ist unbeschreibbar. Etwas Ritterliches mischt sich in das Finstere. Die Luft macht einen Höllenlärm. Man sieht nichts und hört doch ganze Reiterschaaren. Obgleich Mittag, wird doch plötzlich Mitternacht: ein Tornado zieht vorüber; trotz Mitternacht, wird plötzlich Tag: das Polarlicht entzündet sich. Wirbelwinde von entgegengesetzten Seiten wechseln in scheußlichem Tanze mit einander ab: das flüssige Element scheint unter Keulenschlägen zu erzittern.
Die Winde laufen, fliegen, matten sich ab, hören auf, beginnen wieder, schweben, pfeifen, brüllen, lachen, wüthen, sind wie entzügelt, indem sie auf den zornigen Wogen nach ihrem Gefallen sich tummeln. Und doch hat das Heulen eine gewisse Harmonie. Der ganze Himmel tönt wohlklingend wieder. Sie stoßen in die Wolken, wie in ein Horn, legen den Weltenraum an ihren Mund und singen in die Unendlichkeit hinaus mit einer Art Prometheus-Fanfare, in welcher die Stimmen aller Clarinetten, Becken, Pauken, Trommeln und Trompeten in einander verschmolzen sind. Wer sie vernimmt, hört Pan. Das Furchtbare dabei ist nur ihr Spiel. Sie haben eine wahre Höllenfreude, wenn sie in jenen Einöden den Schiffen zum Sturmmarsche blasen. Ohne Ruhe, am Tage wie in der Nacht, zu jeder Jahreszeit, in den Tropen und unter den Polen führen sie, sobald sie in ihre mächtige Trompete gestoßen haben, mitten durch die Hindernisse der Wolken und Wellen, die große wilde Jagd der Schiffbrüche. Sie sind die Herren der Meute; lassen gegen die Felsen ihre Hunde, die Wogen, bellen; jagen die Wolken zusammen und treiben sie wieder auseinander. Sie kneten, wie mit tausenden von Händen, die geschmeidigen, unendlichen Gewässer durcheinander.
Das Wasser ist geschmeidig, weil es sich nicht zusammendrücken läßt. Es entschlüpft unter jeder Last. Auf der einen Seite belastet, entweicht es auf der andern. Dadurch bildet sich die Welle. Sie ist also die Befreierin des Wassers.
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Zweites Capitel. Erklärung des Lärms, welchen Gilliatt hörte.
Zur Zeit der Stürme nimmt der Himmel zuweilen eine schlimme Miene an; er wird bleich und scheint einen großen Hermelin umgethan zu haben. Die Seeleute blicken ängstlich in das zornige Antlitz der Wolken.
Aber das zufriedene Aussehen des Himmels fürchten sie noch mehr. Ein lächelnder Himmel zu dieser Zeit gleicht der Katze mit Sammtpfötchen. Bei einem solchen Himmel eilten die Frauen Amsterdam’s auf den Thränenthurm, um nach dem Horizonte auszuschauen.
Wenn der Sturm seine Annäherung verzögert, so geschieht es, um mit desto größerer Wuth losbrechen und desto größere Kräfte sammeln zu können. Mißtrauet seinem Zaudern, denn schon Argo sagt: Das Meer ist ein guter Schuldner.
Wenn es zu lange warten muß, so verräth es seine Ungeduld nur durch eine noch größere Ruhe. Die große magnetische Spannung allein offenbart sich durch das, was man die Entzündung des Wassers nennen könnte. Lichter brechen aus den Wellen hervor, die Luft ist mit Elektricität gesättigt, das Wasser phosphorescirt. Die Matrosen fühlen sich ermattet. Diese Zeit ist namentlich für die Schiffe mit Eisenpanzer gefährlich; ihr ehernes Gehäuse kann den Kompaß falsch leiten und sie selbst zu Grunde richten. Auf diese Weise ging der transatlantische Dampfer Yowa unter.
Denen, welche mit dem Meere genau bekannt sind, gewährt es in solchen Augenblicken einen fremdartigen Anblick: es scheint den Sturm herbeizusehnen und doch zu fürchten. Bei manchen von der Natur selbst angebahnten Verbindungen geschieht dasselbe; so flieht die brünstige Löwin vor dem Löwen. Das Meer ist ebenfalls erregt, daher sein Erzittern.
Die gewaltige Hochzeit will vor sich gehen.
Diese Hochzeit wird, gleich den Ehebündnissen der alten Kaiser, mit Zerstörungen gefeiert und mit Verwüstungen gewürzt.
Unterdessen rücken von unten, von allen Seiten her, aus unbekämpfbaren Breiten, aus dem bleichen Umkreise der Einöden und aus dem Grunde der unermeßlichen Freiheit die Winde heran.
Die Sonnenwende ist eingetreten.
Ein Sturm wird heraufbeschworen. Die alte Mythologie sah halb und halb in dieser großen Auflösung der Natur ein Bündniß unbestimmter Persönlichkeiten. Aeolus verabredete sich mit Boreas. Das Einverständniß des Elements mit dem Elemente ist nothwendig, da sie sich in die Aufgabe theilen. Man muß die Wogen, die Wolken, die Fluth antreiben; auch die Nacht ist Helferin, man muß sie also verwenden. Man muß Kompasse ablenken, Seefeuer auslöschen, Leuchtthürme verhüllen und Sterne verschleiern. Dabei muß das Meer helfen. Jedem Sturme geht ein Gemurmel voran, und hinter dem Gesichtskreis verkündet lautes Kichern seine Annäherung.
Dieses fürchterliche Kichern hatte Gilliatt gehört. Das Phosphoresciren war das erste Anzeichen gewesen, dieses Murmeln das zweite.
Wenn es einen bösen Vielgeist giebt, so ist es sicherlich der Wind; eine große Zahl Kräfte vereinigt sich in ihm.
Daraus folgt ganz natürlich, daß jeder Sturm ein Gemisch ist; die Einheit der Luft erfordert es so.
Die ganze Hölle ist in einen Sturm verwickelt, und ebenso der ganze Ocean. Alle seine Kräfte treten in Reihe und Glied und nehmen am Sturme Theil. Welle heißt der Schrecken in der Tiefe, Sturm der Schrecken in der Höhe. Hat man mit einem Sturme zu kämpfen, so hat man es mit dem ganzen Himmel und dem ganzen Meere zu thun.
Messia, der Seemann und gedankenreiche Astronom der Logette von Cluny, sagte: Der Wind kommt von überall und ist überall. Er glaubte nicht an eine Grenze der Winde, selbst nicht in geschlossenen Meeren. »Jeder Regen kommt von den Tropen,« drückte er sich aus, und jeder Blitz von den Polen.«.
Allgegenwart, das ist der Wind.
Freilich soll es nicht heißen, es giebt keine Windzonen. Nichts ist sicherer bewiesen, als jene Luftströmungen nach bestimmten Richtungen, deren Hauptlinien einst die Luftschifffahrt für die Luftschiffe, welche wir aus Hang zum Griechischen Aëroskaphe nennen, ausnutzen wird. Daß der Wind die Luft kanalisirt, ist unbestreitbar; es giebt in der Luft Ströme, Flüsse und Bäche, aber ihre Verzweigungen entstehen gerade umgekehrt, wie beim Wasser; die Bäche entspringen den Flüssen und diese den Strömen, anstatt sich in sie zu ergießen: daher an Stelle der Vereinigung Zerstreuung.
Diese Zerstreuung schafft das Ineinandergreifen der Winde und die Einheit der Atmosphäre. Das weichende Atom weicht einem andern. Jeder Wind bewegt das All. Zu diesen tiefen Ursachen ihrer Verschmelzung tritt noch die Gestaltung der Erdoberfläche, welche die Luft mit ihren Gebirgen durchlöchert, Knoten und Einschnürungen in den Windströmungen bildet und nach allen Richtungen hin Gegenströmungen bestimmt.
Das Erscheinen des Windes verkündet das Schwanken der beiden Oceane, des einen über dem andern; das Luftmeer, über dem Wasserocean schwebend, stützt sich auf dessen Flucht und wiegt sich auf seinem Beben.
Das Unzertrennbare zerlegt sich nicht in Theile. Es giebt keine Scheidewand zwischen zwei Wellen. Die Inseln im Canal la Manche fühlen den Stoß am Cap der guten Hoffnung. Die ganze Schifffahrt steht einem einzigen Ungeheuer gegenüber. Das ganze Meer ist eine Hydra. Die Wogen bedecken das Meer mit einer Art von Fischhaut.
Ceto heißt der Ocean.
Für den Kompaß giebt es zweiunddreißig Winde, das heißt zweiunddreißig Richtungen, die sich aber in unzählige Unterabtheilungen trennen können. Zählt man den Wind nach Richtungen, so ist er unberechenbar, nach Orten gezählt, unendlich.
So groß ist das Heer.
Die Douvreklippe hörte in dem Augenblicke, als Gilliatt seinen Wellenbrecher fertigte, den fernen Galopp dieses Heeres.
Wie wir eben gesagt haben: der Wind, das heißt: alle Winde.
Ihre ganze Schaar kam an.
Auf der einen Seite diese Legion, – auf der andern Gilliatt.
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Drittes Capitel. Gilliatt hat die Wahl.
Die geheimnißvollen Mächte hatten den Augenblick gut gewählt.
Der Zufall, wenn es einen giebt, ist geschickt.
So lange der Rumpf in dem Schlupfhafen »der Mann« untergebracht und die Maschine auf dem Strande gesichert war, war Gilliatt unbesiegbar. Der Rumpf war in Sicherheit, die Maschine unter Schutz; die Klippen, welche die Maschine hielten, verurtheilten sie zu langsamer Zerstörung, bewahrten sie aber vor einer Ueberraschung. Auf alle Fälle blieb für Gilliatt selbst Hülfe. Wenn auch die Maschine unterging, so ging er doch nicht mit unter, da er zu seiner Rettung noch die Barke besaß.
Aber sollte er abwarten, daß die Barke von dem Ankergrunde, woselbst sie unerreichbar war, zurückgezogen würde, sollte er sich in der Enge der Douvres-Felsen verstricken lassen und geduldig harren, bis auch die Barke von der Klippe ergriffen würde; war es ihm erlaubt, die Rettung, das Abgleiten und Ueberbringen der Maschine zu bewerkstelligen, sollte er jene wunderbare Arbeit, welche Alles in dem Rumpfe vereinigte, nicht unterbrechen? Würde er den glücklichsten Erfolg erringen?! Dies Alles fragte sich Gilliatt, dabei nahmen seine Gesichtszüge ein düsteres Aussehen an und ließen Hoffnungslosigkeit und Mißmuth durchblicken.
In diesem Augenblick waren die Maschine, der Rumpf und Gilliatt in der Straße zwischen dem Felsen vereint und bildeten nur ein Ganzes. – Der Rumpf auf die Klippe geschleudert, die Maschine auf den Grund versenkt und Gilliatt ertrunken, konnte das Werk eines einzigen Augenblickes sein. Alles konnte auf einmal vernichtet, Alles mit einem Schlage aus der Welt geräumt werden.
Keine Lage kann kritischer sein, als die, in welcher sich Gilliatt befand.
Die mächtige Sphynx, beargwöhnt durch die Träume in der Tiefe des Schattens, schien ihm ein Räthsel vorzulegen.
Bleib oder gehe.
Gehen war unsinnig, Bleiben furchtbar.
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Viertes Capitel. Der Kampf.
Gilliatt stieg auf die hohe Klippe, von welcher er das ganze Meer übersah.
Der Westen war überraschend. Eine Mauer erhob sich dort. Eine große Wolkenmauer, welche an einzelnen Theilen die Aussicht hemmte, stieg langsam vom Horizonte zum Zenithe auf; grade und senkrecht, ohne eine Oeffnung in ihrer ganzen Höhe, ohne einen Riß auf ihrem Grate, schien sie mit dem Senkblei erbaut und nach der Richtschnur gezogen. Die Wolke glich dem Granite. Ihre im äußersten Süden ganz senkrechte Böschung zog sich etwas gen Norden, wie ein gekrümmtes Eisen, und gewährte den Anblick einer weiten, glattgeschliffenen, geneigten Ebene. Diese Nebelmauer wuchs und vergrößerte sich, ohne daß ihr Gesims auch nur einen Augenblick der mit hereinbrechender Dunkelheit fast unkenntlich werdenden Gesichtslinie nicht gleichlaufend geblieben wäre. Diese Luftmauer baute sich schweigend aus einem Stücke auf. Nicht eine Bewegung, nicht ein Streifen, noch eine Falte mißbildete sich. Diese Unbeweglichkeit in der Bewegung erschien unheilvoll. Die Sonne erleuchtete bleich, durch irgend welche verderbliche Dünste hindurch, ihre geheimnißvollen Umrisse. Die Wolke hatte fast schon die Hälfte des Raumes verschlungen, man hätte sie die furchtbare Brüstung des Abgrundes nennen können. Es war, als erhöbe sich ein Schattenberg zwischen Himmel und Erde.
Am hellen Tage zog die Nacht herauf.
In der Luft herrschte eine Glühhitze. Ein heißer Windstrom riß sich von jener geheimnißvollen Anhäufung los. Der Himmel war zuerst blau gewesen, dann weiß geworden; jetzt war er grau. Man hätte ihn für eine große Schieferplatte halten können; darunter breitete sich das Meer, matt und bleiern, gleich einer zweiten, unendlichen Schieferplatte aus. Nicht ein Hauch, nicht eine Woge, nicht ein Laut; so weit das Auge reicht, ein verlassenes Meer; nirgend ein Segel; die Vögel hatten sich geborgen. Man witterte Verrath in der Unendlichkeit.
Unbemerkbar nahm jede Wolke an Größe und Stärke zu.
Der schwankende Dampfberg, welcher sich nach dem Douvre zu bewegte, gehörte zu jenen Wolken, die man Kampfeswolken nennen könnte. Schmale Wolken, durch deren dunkle Massen, man weiß nicht, welcher Neid blickt.
Das Nahen dieser Wolke war schrecklich.
Gilliatt beobachtete sie scharf und brummte dann zwischen den Zähnen: Ich habe Durst, Du wirst mir zu trinken geben.
Er blieb einige Augenblicke unbeweglich, das Auge fest auf die Wolke gerichtet. Er schien den Sturm ausmessen zu wollen.
Er zog seine Kappe aus der Tasche, und setzte sie auf; er verbarg in dem Loche, in welchem er so lange geschlafen hatte, seine Ruder und zog seine Beinschienen und sein Wamms an, wie ein Ritter, der im Augenblicke des Kampfes seine Rüstung anlegt. Wie man sich erinnern wird, besaß er keine Schuhe, aber seine nackten Füße waren auf dem Felsen abgehärtet.
Nachdem er seinen Kriegsanzug vollendet, betrachtete er seinen Wellenbrecher, ergriff kräftig die Knotenschnur, stieg von der Höhe der Klippen herab, faßte auf dem Felsen unten Fuß und eilte zu seinem Magazin. Einige Augenblicke später war er bei der Arbeit. Die große, stumme Wolke schien seine Hammerschläge zu vernehmen. Was that er? Mit den Nägeln, Schnüren und Balken, welche er noch besaß, baute er an der schmalen östlichen Einfahrt ein zweites Gitterwerk, zehn bis zwölf Fuß hinter dem ersten, auf.
Noch immer herrschte tiefes Schweigen. Die Grashalme auf den Abhängen der Klippe verriethen nicht die geringste Bewegung.
Plötzlich verschwand die Sonne. Gilliatt hob den Kopf in die Höhe.
Die Wolke hatte in ihrem Steigen so eben die Sonne erreicht. Der Tag schien zu verlöschen und an seine Stelle ein wirres und trübes Licht zu treten.
Die Wolkenmauer hatte ihr Aussehen verändert und zeigte keine Einheit mehr. Als sie den Zenith berührte, faltete sie sich und überzog von da aus den noch übrigen Theil des Himmels, so daß sie jetzt Stockwerke zu besitzen schien. Die Richtung des Sturmes malte sich auf ihr ab, wie die Laufgräben vor einer Festung. Man unterschied deutlich die Regenlagen von den Windschichten. Es blitzte zwar nicht, aber ein schrecklicher Lichtschein verbreitete sich, denn der Gedanke des Schreckens kann sich an die Idee des Lichtes anhaften. Man hörte das gewaltige Athmen des Orkans. Es war eine unheimliche Stille. Gilliatt, ebenso schweigsam, sah, wie sich über seinem Haupte alle jene Dunstwasser anhäuften und zu mißgestalteten Wolken zusammenballten. Ueber dem Horizont drückte und breitete sich ein aschfarbenes Nebelband und am Horizont ein bleifarbenes aus; bleiche Fetzen hingen von den Wolken oben auf die Nebel unten herab. Der ganze Grund der Wolkenmauer sah bleich, häßlich, schrecklich, finster, unbeschreiblich aus. Eine kleine weißliche Wolke, welche entstand, ohne daß man wußte, wie sie gekommen war, schnitt schräg von Nord nach Süd die hohe und dunkle Mauer. Das eine ihrer Enden streifte das Meer und an dem Punkt, wo es das Labyrinth der Wogen berührte, nahm man den Rauch rothen Dampfes wahr. Unter der langen, bleichen Wolke flogen kleine, sehr niedrig und ganz schwarz, gegen einander, als wenn sie nicht wüßten, was aus ihnen werden sollte. Das mächtige Gewölk am Horizont wuchs mit einem Male auf allen Theilen, nahm an Krümmung zu und behielt seine drohende Stellung bei. Nur im Osten noch, hinter Gilliatt, gab es eine klare Stelle am Himmel, die sich aber auch allmälig schloß. Ohne daß man irgend einen Luftzug wahrgenommen hätte, ging eine merkwürdige Zerstreuung, Zertheilung und Zerstückelung des graufarbnen Gefieders vor sich, als wenn ein Riesenvogel hinter jener Mauer der Finsterniß federte. Eine Decke von dichtem Schwarz hatte sich gebildet, sie berührte am äußersten Horizonte das Meer und mischte sich dort in das Schwarz der Nacht. Man fühlte, daß etwas heranrückte. Es lag etwas Gewichtiges, Schweres, Aufgeregtes in der Luft. Die Dunkelheit nahm zu. Plötzlich brach ein gewaltiges Donnern los.
Gilliatt selbst fühlte den Stoß. Der Donner birgt etwas Traumhaftes. Sein rohes Wesen innerhalb des Gesichtskreises besitzt etwas Erschreckendes. Man glaubte, ein Stück Hausgeräth in dem Zimmer eines Riesen fallen zu hören.
Kein elektrisches Aufleuchten folgte dem Schlage. Es war gleichsam ein schwarzer Donner. Wieder wurde es still. So verstrich eine Zeit, als wenn feste Stellung genommen würde. Dann zuckten langsam nach einander mächtige, ungestaltete Blitze auf, stumm, ohne den geringsten Laut. Bei jedem Blitze erglänzte das All. Die Wolkenmauer hatte sich wieder umgestaltet. Sie besaß jetzt Bogen und Gewölbe, und Schattenbilder schienen sich auf ihr abzuzeichnen. Köpfe von Ungeheuern traten hervor; lange Hälse schienen sich zu bilden; Elephanten mit Thürmen auf ihren Rücken zeigten sich halbdeutlich. Eine gerade, runde und schwarze Nebelsäule, gekrönt mit weißem Dampfe, erschien als Rauchfang eines mächtigen, untergegangenen Dampfers, welcher unter den Wellen geheizt wird und dampft. Wolkentücher wogten hin und her, so daß sie wehenden Bäumen glichen. In der Mitte, unter dunkelrothen Schichten, vertiefte sich unbeweglich ein Gewölbe dichten Nebels, träg, undurchdringlich für die elektrischen Funken, gleichsam eine scheußliche Frucht in dem Leibe des Sturmes.
Gilliatt fühlte plötzlich, daß ihn ein Windstoß durchschüttelte. Mehrere dicke Regentropfen zerplatzten neben ihm auf dem Felsen. Dann ein zweites Zucken des Blitzes und der Wind erhob sich.
Der erste Donnerschlag hatte das Meer erregt; der zweite zerriß die Wolkenmauer von oben bis unten. Es entstand eine Oeffnung, nach welcher sich der ganze, in der Luft schwebende Regen ergoß, so daß sie gleichsam zu einem offenen Munde für den Regen wurde, und das Losbrechen des Sturmes begann.
Dieser Augenblick war furchtbar.
Platzregen, Orkane, Donner und Blitze, Wellen bis zu den Wolken, Schaum, Lärm, zügellose Windungen, Geschrei, Krachen, Pfeifen, Alles auf ein Mal.
Der Wind blies aus vollster Kraft; der Regen fiel nicht, er strömte herab.
Für einen armen Menschen, der wie Gilliatt mit einer beladenen Barke zwischen zwei Felsenreihen auf offenem Meere eingeengt war, konnte es keine drohendere Gefahr geben. Das Drängen der Fluth, über welche er gesiegt hatte, war nichts im Vergleich zu der Gefahr des Sturmes.
Gilliatt, um den herum Alles Abgrund war, griff in der letzten Minute und in der höchsten Gefahr zu einer klugen Kriegslist. Er hatte Hülfe bei dem Feinde selbst gesucht und sich eng an ihn angeschlossen; der Douvre-Felsen, sonst sein Gegner, war jetzt in diesem furchtbaren Zweikampfe sein Sekundant. Gilliatt hatte sich unter ihm geborgen, aus diesem Grabe seine Festung gemacht und sich in diese furchtbare Ruine des Meeres fest eingeengt, so daß er dort zwar belagert wurde, aber geschützt war. Er hatte sich, so zu sagen, an die Klippe im Angesichte des Sturmes festgeschmiedet und die Meerenge, jene Straße für die Wellen, verbarrikadirt. Es war übrigens das Einzige, was er thun konnte. Auch der Ocean scheint, gleich andern Despoten, durch Barrikaden zur Vernunft gebracht werden zu können. Die Barke war auf drei Seiten gesichert. Dicht zwischen die beiden innern Seiten der Klippe eingekeilt, wurde sie gabelförmig, wie von einem Storchschnabel, im Norden durch die kleine und im Süden durch die große Klippe geschützt, durch jene wilden Zacken, welche mehr daran gewöhnt waren, Schiffbrüche hervorzurufen, als zu verhindern. Im Westen wurde sie durch die flachen Klippen gedeckt, welche an die Felsen angeschlossen und angekettet waren, als erprobte Barre, welche die rauhe Fluth der hohen See schon oft besiegt hatte, als wahres Festungsthor, dessen Stützpunkt die Klippensäulen selbst, die beiden Douvres, bildeten. Auf diesen Seiten war also nichts zu fürchten, sondern nur von Osten her.
Im Osten befand sich nur der Wogenbrecher. Der Wogenbrecher ist ein Pulverisations-Apparat, der aus wenigstens zwei Gitterstützen bestehen muß. Gilliatt hatte nur eine errichten können und baute die zweite während des Sturmes selbst.
Zum Glück kam der Wind von Nordwest. Das Meer begeht auch Ungeschicklichkeiten. Dieser Wind konnte wenig bei den beiden Klippen ausrichten. Er griff sie verkehrt an und traf die Wogen auf keiner der beiden Seiten der Enge, so daß er, anstatt in die Straßen einzutreten, sich an einem Walle brach. Der Orkan hatte schlecht angegriffen.
Aber die Angriffe des Windes geschehen von verschiedenen Seiten und man muß auf ein plötzliches Drehen vorbereitet sein. Wenn er nach Ost umsprang, bevor die zweite Stütze für den Wogenbrecher fertig war, so würde die Gefahr sehr groß geworden sein; der Sturm hätte sich gewaltsam der Felsenstraße bemächtigt und Alles wäre verloren gewesen.
Die Wuth des Orkans wuchs immer mehr. Der ganze Sturm folgte Schlag auf Schlag.
Die ganze tobende Unermeßlichkeit fiel über die Douvres-Klippen her. Man hörte zahllose Stimmen. Wer schreit denn so? Es entstand der panische Schrecken des Alterthums. Augenblicke hindurch glaubte man so sprechen zu hören, als ob Jemand Befehle austheile; dann Rufen, Schreien, sonderbares Erzittern und jenes großartige und majestätische Heulen, welches die Seeleute den » Ruf des Weltmeeres« nennen. In unendlichen Kreislinien pfiff der flüchtige Wind über die kreisenden Fluthen; die Wogen, unter seinem Drucke zu Wurfscheiben geformt, wurden gegen die verborgenen Klippen geschleudert, wie riesige Geschosse von unsichtbaren Athleten. Unendlicher Schaum bespritzte alle Felsen. Ströme in der Höhe, Fluthen in der Tiefe. Dann verdoppelte sich das Brüllen. Der Ton keines Menschen und keines Thieres kann eine Vorstellung von dem Lärmen geben, welches sich in diese Aufregung des Meeres mischte. Die Wolken donnerten, die Winde knatterten, die hohle See zischte. Einzelne Punkte schienen unbeweglich, an andern legte der Wind hundert Fuß in der Sekunde zurück. Das Meer war bis über den Gesichtskreis hinaus weiß; zehn Meilen Schaumwassers füllten den Horizont. Feuerthore öffneten sich. Die einen Wolken schienen von den andern verbrannt zu werden und auf den Massen rother Wolken, welche Kohlen glichen, sahen sie wie Rauch aus. Wogende Gebilde stießen aneinander und verschmolzen sich, indem sie dabei gegenseitig ihre Gestaltungen vernichteten. Unermeßliches Wasser strömte herab. Man hörte Gewehrfeuer am ganzen Himmel. Gerade in der Mitte befand sich eine Art großer, umgestülpter Bütte, aus welcher in buntem Gemisch Wasser- und Lufthosen, Winde und Wolken, Farben und Phosphor, Finsterniß und Licht, Donner und Blitze herausfielen. So furchtbar ist dieser Schlund mit seinen Abstürzen!
Gilliatt schien darauf nicht zu achten, sondern hatte den Kopf auf seine Arbeit gesenkt. Schon begann das zweite Gitter in die Luft zu steigen. Auf jeden Donnerschlag antwortete er mit einem Hammerschlage. Man hörte die Schläge abwechselnd in dem furchtbaren Gewirr. Er war ohne Kopfbedeckung, da ihm ein Windstoß seine Kappe entführt hatte.
Sein Durst war brennend, da er wahrscheinlich das Fieber hatte. In den Felslöchern um ihn hatten sich Regenpfützen gebildet. Von Zeit zu Zeit schöpfte er mit der flachen Hand Wasser, trank es und begab sich dann sofort wieder an die Arbeit, ohne sich um den Sturm weiter zu kümmern.
Alles konnte von einem Augenblicke abhängen. Er wußte, was ihn erwartete, wenn er nicht zur rechten Zeit mit seinem Gitterwerke fertig wurde. Wozu also einen Augenblick mit Ausschauen verlieren, um dadurch vielleicht den Tod zu beschleunigen.
Das Toben um ihn glich dem siedenden Wasser in einem Kessel. Es war Lärm und Getöse zu gleicher Zeit. Auf Augenblicke schien der Blitz eine Treppe hinabzusteigen. Die elektrischen Funken schlugen unaufhörlich auf dieselben Spitzen der wahrscheinlich mit Dioritadern durchsetzten Felsen ein. Hagelkörner fielen, wie eine Faust groß. Gilliatt mußte die Falten seiner Theerjacke ausklopfen. Bis in seine Taschen war der Hagel gedrungen.
Der Sturm kam jetzt von West und schlug die Barre der beiden Klippen; Gilliatt aber vertraute ihr, und das mit Recht, denn aus einem großen Stücke des Vordertheils der Durande gebildet, hielt sie ohne Schaden den Stoß der Fluthen aus; die Elasticität nämlich leistet einen Widerstand, und nach Stevenson’s Berechnungen bietet gegen die selbst elastische Welle ein hölzernes Bollwerk von vorgeschriebener Größe und nach einer bestimmten Form zusammengefügt und verbunden, bessern Schutz, als ein gemauerter Wasserbrecher. Die Barre erfüllte diese Bedingungen; sie war außerdem so glücklich festgelegt, daß die Welle, welche auf sie traf, wie der Hammer, welcher auf den Nagel schlägt, wirkte, denn sie trieb sie immer fester gegen den Felsen und machte sie immer dichter; um sie zu zerstören, hätte die ganze Klippe umgeschleudert werden müssen. In der That gelang es dem Sturm nur, einige Wellen der Brandung über jenes Hinderniß auf das Wrack zu werfen. Dank der Barre, konnte der Orkan auf dieser Seite nur geifern, daher kümmerten Gilliatt die Anstrengungen des Orkans auch weniger; hinter der Barre wartete er ruhig die unnütze Wuth des Orkans ab.
Die Schaumflocken, welche auf allen Seiten umherflogen, glichen zerzauster Wolle. Die weite und aufgeregte See badete die Felsen, stieß auf sie, trat in sie ein, drang in ihre inneren Spalten und dann aus den Granitmassen durch die engen Risse wieder heraus, welche in dieser Sündfluth die unerschöpflichen Mündungen kleiner ruhiger Springquellen bildeten. Hier und da fielen Silberstrahlen anmuthig aus diesen Oeffnungen in das Meer.
Die Stütze zur Verstärkung der östlichen Barre näherte sich ihrer Vollendung. Noch einige Knoten in den Seilen und Ketten und der Augenblick war da, wo auch diese Seite den Kampf aufnehmen konnte.
Plötzlich wurde es außerordentlich hell, der Regen hörte auf, die Wolken zertheilten sich, der Wind begann umzuspringen, im Zenithe öffnete sich gleichsam ein hohes Dämmerungsfenster und die Blitze erloschen; man hätte glauben können, es sei das Ende. Es war aber erst der Anfang.
Der Wind war von Südwest nach Nordost umgesprungen.
Der Nord sollte jetzt seinen heftigen Angriff aufgeben. Die Seeleute nennen dies gefürchtete Wiederbeginnen die Drehung um sich selbst. Der Südwind hat mehr Wasser, der Nordwind mehr Blitze.
Der Angriff, jetzt von Osten kommend, wandte sich dem schwachen Punkte zu.
Diesmal unterbrach sich Gilliatt in der Arbeit und blickte auf.
Er stellte sich auf einen Felsenvorsprung, welcher hinter dem zweiten, fast vollendeten Gitter emporragte. Wäre die erste Gitterstütze des Wogenbrechers losgerissen, so wäre auch die zweite, welche noch nicht fest genug war, gewichen und hätte in ihrem Sturze Gilliatt begraben. An dem Platze, welchen er sich gewählt hatte, wäre er untergegangen, bevor er das Wrack, die Maschine und sein ganzes Werk hätte in jenem Abgrunde versinken sehen. Nur diese beiden Fälle waren möglich. Gilliatt nahm diese Möglichkeit an und, fürchterlich, er wollte sie.
Bei einem solchen Scheitern aller seiner Hoffnungen wollte er nur sterben, und zwar zuerst sterben, denn die Maschine machte auf ihn den Eindruck einer Person. Er strich mit der linken Hand seine Haare, welche über den Augen von dem Regen festgeklebt waren, zurück, umfaßte mit der vollen Faust seinen guten Hammer, beugte sich drohend nach hinten und wartete.
Er brauchte nicht lange zu warten.
Ein Blitzstrahl gab das Zeichen, die bleiche Oeffnung im Zenithe schloß sich, ein heftiger Windstoß brach los, Alles wurde finster; kein Licht erschien, als der Blitz. Der finstre Angriff begann.
Die See, sichtbar während der Blitzesfunken, hob sich hohl im Osten, jenseits des »Mann« genannten Felsens. Sie glich einer großen Glaswalze. Blau und schaumlos durchzog sie das ganze Meer und näherte sich dem Wogenbrecher. Beim Herankommen schwoll sie immer höher, als wenn eine mächtige Walze der Finsterniß über den Ocean rollte. Dumpf grollte der Donner.
Diese hohle Welle erreichte jenen Felsen, brach sich an ihm entzwei und rollte über ihn fort. Die beiden wieder vereinten Theile bildeten nur einen Wasserberg, und während sie erst mit dem Wellenbrecher in gleicher Richtung liefen, standen sie jetzt senkrecht auf ihm. Die Woge hatte die Form eines Balkens angenommen.
Dieser Widder warf sich aus den Wellenbrecher. Der Zusammenstoß ging unter fürchterlichem Brüllen vor sich. Alles verschwand im Schaum.
Wenn man sie nicht gesehen hat, so kann man sich diese Schneelawinen nicht vorstellen, welche sich das Meer selbst bildet und unter denen es Felsen von mehr als hundert Fuß Höhe, wie den Großen Anderlo zu Guernesey und die Zinne zu Jersey, verschlingt. Zu Santa Maria auf Madagascar überspringt es sogar die Tintingaspitze.
Auf einige Augenblicke blendete die Wassermasse Alles. Nichts war mehr sichtbar, als ein wüthendes Durcheinander, unermeßlicher Schaum, das weiße, vom Grabeshauche bewegte Linnen, unendlicher Lärm und Toben, worunter die Vernichtung arbeitet.
Der Schaum verschwand. Gilliatt stand aufrecht.
Die Barre hatte gut Stand gehalten. Nicht eine Kette war zerrissen, nicht ein Nagel gelöst. Sie hatte die Probe der beiden, einem Wellenbrecher nothwendigen Eigenschaften gut bestanden. Sie war geschmeidig, wie eine Flechte, und fest, wie eine Mauer gewesen. Die hohle See hatte sich darin in Regen gebrochen.
Ein Schaumplatzregen glitt an den gebogenen Ufern der Wasserstraße entlang und erstarb dann unter dem Wracke.
Der »Mann«, welcher dem Ocean diesen Maulkorb angelegt hatte, setzte seine Arbeit fort.
Zum Glücke nahm der Sturm für einige Zeit eine andere Richtung an. Die Wuth der Wellen kehrte sich wieder gegen die festen Theile der Klippe. Es war vergebens. Gilliatt benutzte diese Zeit, um die Stütze von hinten völlig zu befestigen.
Der Tag näherte sich bei dieser Arbeit seinem Ende. Der Sturm setzte seine wüthenden Angriffe auf die Seite der Klippe mit unheilschwangerer Feierlichkeit fort. Die Wasser- und Feuer-Urnen in den Wolken schütteten ihren Inhalt aus, ohne sich zu leeren. Die bald hohen, bald niedrigen Wogen des Sturmes glichen den Bewegungen eines Drachens.
Als die Dämmerung eintreten sollte, war die Nacht schon da; man bemerkte ihr Hereinbrechen nicht.
Uebrigens war die Dunkelheit nicht vollständig. Die Stürme, erleuchtet und geblendet durch die Blitze, haben sichtbare und unsichtbare Pausen. Bald ist Alles weiß, bald schwarz. Man nimmt das Verschwinden des Lichtes und die Rückkehr der Finsterniß wahr.
Eine Phosphorschicht, roth wie ein Nordlicht, wogte, gleich einem Streifen der Spektralflamme, hinter den dicken Wolken und verbreitete weithin einen fahlen Schein; selbst die großen Regentropfen leuchteten.
Dieses Licht unterstützte und leitete Gilliatt. Einmal drehte er sich um und rief dem Blitze zu: Halte mir die Leuchte.
Bei diesem Lichte konnte er das hintere Gitterwerk noch höher als das vordere machen. Der Wogenbrecher war fast vollendet. Als Gilliatt an den Vordersteven ein Hülfstau befestigen wollte, blies ihm der Wind voll in das Gesicht, so daß er den Kopf umdrehen mußte. Der Wind hatte sich plötzlich wieder nach Nordost gewandt, und der Angriff begann von Neuem aus Osten. Gilliatt ließ seine Blicke in die Ferne schweifen: der Wellenbrecher sollt wiederum angegriffen werden, denn eine neue Welle rollte heran.
Sie prallte heftig an; eine zweite folgte ihr, dann noch eine und wieder eine, fünf oder sechs tobten fast gleich stark; endlich kam noch eine furchtbare.
Sie näherte sich mit großem Ungestüm und hatte das Aussehen eines unbekannten, lebenden Wesens. Es wäre nicht schwer gewesen, sich unter diesen hochangeschwollenen und durchsichtigen Massen Floßfedern und Kiemen vorzustellen. Sie flachte sich ab und zerstieb über dem Wellenbrecher und ihre fast thierischen Formen zerrissen springend an ihm. Auf diesem Gezimmer von Felsen und Balken nahm sie sich wie die Krümmungen einer Hydra aus. Die hohle See kämpfte mit ihr, die Welle schien sich zu krümmen. Ein heftiges Zittern durchbebte die Klippen. Thierisches Gebrüll schien man zu vernehmen. Der Schaum glich dem Speichel eines Leviathans.
Bei dem Zurückfallen des Schaums bemerkte Gilliatt eine schadhafte Stelle. Die letzte Woge hatte das ihrige gethan und diesmal den Wellenbrecher verletzt. Ein langer und schwerer Balken war von der vordern Stütze losgerissen und auf die Barre hinten geschleudert worden, auf den senkrechten Fels, welchen Gilliatt einen Augenblick zum Kampfplatze gewählt hatte. Zum Glück war er nicht dorthin zurückgekehrt, ein jäher Tod hätte ihn sonst ereilt.
Eigenthümlich war es bei dem Sturze dieses Balkens, daß er am Wiederabprallen verhindert und Gilliatt vor seinen Schwingungen und Gegenschlägen gesichert war; ja noch mehr, er wurde sogar, wie man gleich hören wird, in anderer Weise noch nützlich.
Zwischen dem vorspringenden Felsen und der innern Abdachung des Engpasses war ein Zwischenraum, eine große Einbiegung, ähnlich dem Loche an einer Axt oder dem Einsprunge einer Ecke. Das eine Ende des von der Fluth in die Luft geschleuderten Balkens war beim Herabstürzen in diese Höhlung gefallen und hatte sie dadurch erweitert.
Ein Gedanke fuhr Gilliatt durch den Kopf: sich auf das andere Ende stürzen.
Der Balken, durch ein Loch in der Höhlung des Felsens, welche er noch vergrößert hatte, festgehalten, ragte aus ihm grade, wie ein ausgestreckter Arm, hervor. Dieser Arm verlängerte sich parallel mit der innern Façade des Engpasses und das freie Ende des Balkens entfernte sich von diesem Stützpunkte ungefähr achtzehn bis zwanzig Zoll; eine gute Entfernung für das, was geschehen sollte.
Gilliatt stützte sich mit den Füßen, Knieen und Händen gegen die Böschung und lehnte sich mit beiden Schultern gegen den mächtigen Hebel. Der Balken war lang und vermehrte dadurch die Gewalt seiner Schwere. Obgleich der Felsen schon erschüttert war, so mußte Gilliatt doch viermal ansetzen. Von seinen Haaren tropfte eben so viel Schweiß als Regen. Beim vierten Male strengte er sich wie ein Wahnsinniger an; aber der Fels krachte; die zu einer Spalte verlängerte Einbiegung öffnete sich gleich einem Munde und die schwere Masse stürzte unter fürchterlichem Lärmen als Antwort auf die Donnerschläge, in den engen Schlund zwischen den beiden Seiten der Wasserstraße hinab.
Sie fiel gerade und, wenn der Ausdruck anwendbar ist, ohne zu zerbrechen hinab.
Man denke sich einen Felsblock, der als ein Stück in die Tiefe versinkt.
Der Hebelbalken folgte ihm, und Gilliatt, zugleich unter ihm weichend, wäre beinahe auch nachgestürzt.
Der Boden war an dieser Stelle ganz mit Strandsteinen, aber nur mit wenigem Wasser bedeckt. Der Monolith verbarg sich zwischen hoch aufzischenden Schäumen, Gilliatt völlig bespritzend, zwischen zwei großen, der Straße gleichlaufenden Felsen, so daß er eine Quermauer, eine Art Verbindung zwischen den beiden Abhängen, bildete. Seine beiden Enden berührten sie, da er aber etwas zu lang war, so brach seine Spitze, welche aus weichem Gesteine bestand, bei seinem Hinabfallen ab. Durch diesen Sturz bildete sich eine eigenthümliche Sackgasse, welche man noch heute sehen kann. Das Wasser hinter dieser Steinbarre ist fast immer ruhig.
So war ein noch unbesiegbarerer Schutzwall entstanden, als der, welcher von der Durande den Raum zwischen den beiden Klippen ausfüllte.
Diese Barre entstand gerade zur rechten Zeit.
Die Schläge der See hatten immer noch nicht aufgehört und die Wellen streiften sich fortwährend gegen jenes Hinderniß. Die erste Stütze begann sich in Folge der beständig wiederholten Angriffe loszulösen. Eine aufgegangene Masche ist an einem Wellenbrecher ein großer Nachtheil. Die Vergrößerung des Loches war nicht zu verhindern und es gab kein Hülfsmittel, um seine Ausbesserung an Ort und Stelle vornehmen zu können, da die hohlgehende See den Arbeiter mit fortgerissen hätte.
Eine elektrische Entladung erleuchtete die Klippe und enthüllte vor Gilliatt die Verwüstung, welche mit dem Wogenbrecher vorging, die niedergeworfenen Balken, die Enden der Seile und Ketten, welche in dem Winde zu spielen begannen, und den Riß in der Mitte des Apparats. Die zweite Stütze war unversehrt.
Der Steinblock, welchen Gilliatt mit so großer Anstrengung in den Zwischenraum hinter dem Wogenbrecher geworfen hatte, war zwar die solideste Barre, besaß aber einen Fehler: er war zu niedrig. Das Meer konnte ihn mit seinen Wellenschlägen nicht zerbrechen, wohl aber überspülen.
Es war keine Möglichkeit vorhanden, ihn zu erhöhen. Nur wenn man auf diese Steinbarre noch große Felsmassen hätte werfen können, würde man einen Vortheil erzielt haben; wie sollte man die aber ablösen, herbeischleppen, aufheben, übereinanderlegen und befestigen? Man kann wohl Balken, aber nicht Felsen übereinanderthürmen.
Die geringe Höhe dieses kleinen Granitisthmus beschäftigte Gilliatt vollkommen, zumal da sich jener Mangel bald fühlbar machte. Die Windstöße verließen nicht mehr den Wogenbrecher: sie thaten mehr, als ihn blos heftig angreifen, sie schmiegten sich ihm völlig an. Man hörte auf dem erschütterten Gebälk eine Art Stampfen.
Plötzlich flog ein Strebebalken, durch diese beständige Bewegung losgerissen, über das zweite Gitterwerk und über den Querfelsen fort und schoß in die Wasserstraße hinab, wo ihn die See ergriff, ihn in ihren Biegungen mit sich nahm und so den Blicken Gilliatt’s entführte. Wahrscheinlich schien es, daß dieser Balken gegen die Barke schlagen würde. Zum Glück empfand im Innern der Klippe das von allen Seiten eingeschlossene Wasser kaum etwas von dem Toben draußen, und da die Fluth nicht groß war, so konnte der Stoß nicht bedeutend sein. Uebrigens hatte Gilliatt auch keine Zeit, sich um den Schaden zu bekümmern, selbst wenn einer entstehen sollte; denn alle Schrecken erhoben sich von Neuem, der Sturm zog sich völlig an der verwundbaren Stelle zusammen und die drohendste Gefahr starrte ihm entgegen.
Tiefstes Dunkel herrschte einen Augenblick; das Blitzen hatte eine Pause gemacht; finstre Nachsicht. Wolke und Welle waren Eins: es gab einen dumpfen Schlag.
Diesem Schlage folgte ein Prasseln.
Gilliatt steckte den Kopf vor. Die Stütze, welche die Vorderseite der Barke bildete, war entwurzelt. Man sah die Enden der Balken in den Wellen schwimmen. Das Meer bediente sich des ersten Wellenbrechers, um auch den zweiten zu zerstören.
Gilliatt hatte dasselbe Gefühl, wie ein General, welcher seinen Vortrab niedergeworfen findet.
Die zweite Balkenreihe widerstand dem Stoße. Die hintere Armatur war fest ineinandergefügt und verbunden. Die zerbrochne Gitterstütze war aber schwer und befand sich in der Gewalt der Fluthen, welche sie vor- und zurückschleuderten, die Bänder, welche ihr geblieben waren, verhinderten sie daran, sich aufzulösen, und bewahrten ihr das ganze Gewicht, so daß die Eigenschaften, welche ihr Gilliatt zur Vertheidigung verliehen hatte, schließlich vorzüglich zum Zerstören wurden. Der Schild war zur Keule geworden. Außerdem ragten die abgebrochenen Enden und Spitzen auf allen Seiten hervor, so daß sie wie mit Zähnen und Sporen übersäet war. Keine Zerstörungswaffe konnte furchtbarer und dem Sturme handgerechter sein. Sie war das Wurfgeschoß und das Meer das Geschütz. Die Schläge folgten mit einer Art trauriger Regelmäßigkeit auf einander. Gilliatt, nachdenkend hinter der von ihm verbarrikadirten Pforte stehend, hörte dieses Klopfen des Todes, welcher Einlaß begehrte.
Bitter dachte er daran, daß, wenn der Schlot von der Durande nicht so verhängnißvoll durch den Strand zurückgehalten worden wäre, er selbst in diesem Augenblicke und zwar schon seit dem Morgen in Guernesey angelangt und im Hafen mit der Barke in Sicherheit und der geretteten Maschine geborgen sein würde.
Das Fürchterliche trat ein. Der Bruch fand statt. Es war wie ein Röcheln. Das ganze Zimmerwerk des Wogenbrechers mit den beiden durcheinandergewirbelten und zerbrochenen Armaturen wurde auf ein Mal von einer Wasserhose auf die Steinbarre, wie ein Chaos auf einen Berg geschleudert und blieb dort liegen.
Es war nur noch ein buntes Durcheinander, eine unförmliche Balkenmasse, gangbar für die Wellen, die immer noch in der Zertrümmerung fortfuhren. Dieser besiegte Wall wehrte sich auch noch in seinen letzten Zügen heldenmüthig. Das Meer hatte ihn zertrümmert; er brach das Meer. Gebrochen zwar, blieb er doch noch in gewisser Beziehung wirksam. Die Felsenbarre, ein Hinderniß, für welches jedes Weichen unmöglich war, hielt ihn am Fuße fest. Die Durchfahrt war, wie wir schon angeführt haben, an dieser Stelle sehr eng; die siegreichen Windstöße hatten den ganzen Wogenbrecher im bunten Durcheinander in dieser Enge aufgehäuft und die Heftigkeit des Stoßes selbst, als er die Masse losriß und die Bruchstücke in einander keilte, hatte aus diesen Trümmern ein festes Bollwerk gemacht. Er war zerstört und doch unerschütterlich. Nur einige Holzstücke trennten sich los. Die Fluth schleuderte sie umher. Eines flog durch die Luft und so dicht an Gilliatt vorüber, daß er es an seiner Stirne vorbeifliegen fühlte.
Einige Wellen jedoch, jene großen Wellen, welche während der Stürme mit unerschütterlicher Regelmäßigkeit wiederkehren, sprangen über den zerstörten Wogenbrecher fort, fielen in die Enge zurück und versetzten trotz der Krümmungen, welche die Straße machte, das Wasser in Bewegung, so daß die Fluthen in der Durchfahrt sich ärgerlich zu regen begannen und ihre dunkeln Küsse dem Felsen mit immer größerer Gewalt aufdrückten.
Wie konnte man jetzt diese Bewegung, welche sich dem Rumpfe mittheilen mußte, hemmen?
Gilliatt dachte mit Zittern, daß die Windstöße keiner langen Zeit bedürften, um das ganze innere Wasser in vollste Aufregung zu versetzen, daß nach einigen Schlägen der Rumpf zerstört und die Maschine versunken sein würde.
Trotzdem gerieth er nicht außer Fassung; sein Geist kannte keine Verwirrung.
Jetzt hatte der Orkan den Einschnitt gefunden und stürzte sich wahnsinnig zwischen die beiden Ufer der Meerenge, in welcher – in geringer Entfernung hinter Gilliatt – plötzlich ein Krachen ertönte und sich dem ganzen Engpaß mittheilte: es war noch schrecklicher, als Alles, was Gilliatt bis dahingehört hatte.
Es kam von dem Wracke her.
Etwas Schreckliches mußte sich dort zugetragen haben.
Gilliatt eilte hin, denn von der Ostseite aus, wo er sich befand, konnte er wegen der Krümmungen der Straße nach jener Richtung nicht sehen. Bei der letzten Wendung blieb er stehen und erwartete einen Blitzstrahl.
Der Blitz zuckte nieder und klärte ihm die Sachlage auf.
Dem Wellenschlage der See auf der Ostseite hatte einer auf der Westseite geantwortet: ein gegenseitiges Zerschellen war die Folge davon.
Die Barke hatte keinen sichtlichen Schaden gelitten, da sie bei ihrer gabelförmig ausgekehlten Gestalt nur schwer zu fassen war; aber der Rumpf der Durande befand sich in der Auflösung.
Dieses Wrack bot nämlich dem Sturm eine große Oberfläche dar, da es ganz außer dem Wasser, offen und frei dalag. Die Oeffnung, welche Gilliatt angebracht hatte, um die Maschine dadurch herauszuschaffen, hatte den Rumpf des Schiffes vollends geschwächt. Der Kielbalken war zerschnitten und dem Skelette das Rückgrat gebrochen.
Der Sturm hatte darüber fortgesaust.
Nichts weiter brauchte zu geschehen, denn die Brückenplatte hatte sich gefaltet, wie ein geöffnetes Buch und die Zerstückelung ihr Ende erreicht. Das Krachen war durch den Sturm hindurch zu Gilliatt’s Ohren gedrungen.
Was er befürchten mußte, schien fast unheilbar.
Der viereckige Einschnitt, welchen er gemacht, war zu einer Wunde und durch den Sturm zu einem Bruche geworden, welcher den Kiel querdurch in zwei Theile spaltete. Der Hintertheil, dem Gehäuse am nächsten, war fest in seinem steinernen Schraubstocke geblieben, der vordere hingegen, welcher sich Gilliatt gerade gegenüber befand, hing herab. Ein Bruch gleicht, so lange wie er noch etwas zusammenhält, einer Thürangel. Die Masse drehte sich wie auf Gelenken auf den Rissen hin und her und der Sturm schleuderte sie mit furchtbarem Lärmen von der einen Seite auf die andere.
Zum Glücke befand sich das Gehäuse nicht mehr unten; aber das Schaukeln erschütterte auch die andere, zwischen den Klippen noch eingeklemmte und unbewegliche Hälfte des Kieles. Von der Erschütterung bis zum Zerbrechen ist es nicht weit und der Sturm hielt mit solcher Halsstarrigkeit an, daß der schon von seinem Platze verdrängte Theil den andern, welcher das Gehäuse beinahe berührte, plötzlich mit fortreißen konnte, und dann mußte Alles, Gehäuse und Maschine, mit in den Abgrund versinken.
Gilliatt schwebte dieses Unglück vor Augen, wie aber konnte er es abwenden?
Da er jedoch zu den Menschen gehörte, welche die Gefahr selbst immer neue Hilfsmittel aussinnen läßt, so brauchte er sich jetzt auch nur einen Augenblick zu sammeln; dann ging er nach seiner Werkstatt, um seine Axt zu holen.
Der Hammer hatte bereits seine Dienste geleistet und deshalb kam jetzt die Reihe an das Beil.
Hierauf stieg Gilliatt auf das Wrack, stellte sich auf den Theil der Brücke, welcher sich noch nicht gebogen hatte und begann, über den Abhang zwischen den beiden Klippen gebeugt, die Balken völlig zu zerbrechen und den Rest, welcher noch an dem schwebenden Kiele hing, loszuschlagen.
Die Trennung der beiden Kielhälften vollenden, den festgebliebenen Theil befreien, das in die Fluthen werfen, was der Sturm bereits ergriffen hatte und diesem einen Strich durch die Rechnung machen, das war jetzt seine Aufgabe. Sie war mehr gefährlich, als schwierig. Die schwankende Hälfte des Kiels, durch den Sturm und ihr eignes Gewicht niedergezogen, hing nur noch an einigen Stellen fest. Das ganze Wrack glich einer Schreibtafel, deren einer zur Hälfte losgelöster Theil gegen den andern schlägt. Nur fünf bis sechs Stücke des Gerüstes, gebogen und gespalten, aber nicht zerbrochen, hielten noch. Ihre Risse erweiterten sich bei jedem Hin- und Herwehen des Sturmes, so daß die Axt eigentlich nur dem Winde zu helfen brauchte. Dieses geringe Zusammenhalten, wodurch die Arbeit einerseits leicht wurde, machte sie gleichzeitig gefährlich. Alles konnte mit einem Male unter Gilliatt zusammenbrechen.
Der Orkan hatte seinen Höhepunkt erreicht. Der Sturm war bis dahin nur fürchterlich gewesen, jetzt wurde er entsetzlich. Die Aufregung des Meeres siegte über den Himmel. Die Wolke war bis dahin allmächtig gewesen und schien zu thun, was sie für gut hielt, sie gab den Antrieb, reizte die Wogen zur Raserei und bewahrte dabei eine unbeschreiblich düstere Heiterkeit. Unten herrschte Wahnsinn, oben Zorn. Der Himmel war nur Sturm, der Ocean nur Schaum. Das Zittern der Klippe konnte nicht heftiger werden.
Gilliatt seinerseits betrachtete jetzt die Wolke, indem er den Kopf hochhob und sich nach jedem Schlage mit dem Beile hochmüthig umdrehte. Er war oder schien zu zerfahren zu sein, als daß ihm nicht der Hochmuth gekommen wäre. Verzweifelte er? Nein. Dem höchsten Ausbruche der Wuth des Oceans gegenüber bewahrte er ebenso seine Klugheit, wie seine Wuth. Er trat nur auf die festesten Punkte der Klippe; setzte sein Leben auf das Spiel, deckte es aber zu gleicher Zeit. Auch ihn hatte die höchste Aufregung ergriffen. Seine Kraft war verzehnfacht. Seine Kühnheit überstieg alle Grenzen. Die Schläge seines Beils klangen wie Herausforderungen. Er schien ebensoviel an Heiterkeit gewonnen, als der Sturm davon verloren zu haben. Es war ein großartiger und erhabener Kampf. Auf der einen Seite Unerschöpflichkeit, auf der andern Unermüdlichkeit. Die Frage war, wer den andern zuerst loslassen würde. Die schrecklichen Wolken bildeten unzählige Gorgonengesichter, alles nur Mögliche war entfesselt, um Einschüchterung hervorzurufen. Der Regen kam aus den Wolken, der Schaum aus den Wellen, die Gespenster des Windes krümmten sich, das Antlitz des Gewitters röthete sich und verschwand: das Dunkel nach diesem Verschwinden war entsetzlich; es gab nur noch ein Toben, welches von allen Seiten zu gleicher Zeit kam. Alles war Aufregung; die zerrissenen, aschfarbenen Hagelwolken schienen von einer Art Tanzwuth befallen; in der Luft ging ein Lärm vor sich, als wenn trockene Erbsen in einer Schale geschüttelt werden, die von Volta beobachteten entgegengesetzten Elektricitäten trieben von Wolke zu Wolke ihr donnerndes Spiel und die Blitze näherten sich Gilliatt auf das Aeußerste. Er schien den Abgrund in Staunen zu versetzen. Er ging hin und her auf der schwankenden Durande, so daß die Brücke unter seinen Füßen erzitterte, klopfend, schneidend, schlagend, sägend, mit der Axt in der Faust, bleich unter den Blitzen, mit zerzaus’ten Haaren, nackten Füßen, zerfetzten Kleidern, das Gesicht mit dem Geifer des Meeres bedeckt, groß in diesem Gewittertoben.
Gegen den Wahnsinn roher Kräfte kann Geschicklichkeit nur allein ankämpfen; und Geschicklichkeit war Gilliatt’s Siegeswaffe. Er wollte einen einzigen, gemeinsamen Zusammensturz der ganzen, aus ihrer Lage gebrachten Hälfte. Deshalb machte er die Gelenke, durch welche die Bruchtheile noch zusammenhingen, nur so dünn, als möglich, ohne sie ganz durchzuschlagen, so daß nur noch einige Fasern unversehrt blieben und den Rest zusammenhielten. Plötzlich unterbrach er sich und hielt die Axt hoch. Das Werk war vollendet, das ganze Stück riß sich los.
Diese Hälfte des Schiffrumpfes rollte zwischen die beiden Klippen, gerade unter Gilliatt’s Füßen, welcher auf der andern Hälfte stand, und ihr mit vorgebeugtem Kopfe nachblickte. Sie stürzte senkrecht in das Wasser, bespritzte die Felsen hochauf, blieb in der Einschnürung hängen, ohne den Grund erreicht zu haben und ragte weit genug aus dem Wasser hervor, um die Fluth um mehr als zwölf Fuß Höhe zu beherrschen; die senkrechte Brücke bildete zwischen den beiden Klippen eine Mauer; gerade wie bei dem etwas höher hinauf in dem Engpaß querübergeworfenen Felsblock konnte auch hier jetzt kaum etwas Schaum durchdringen, und so hatte Gilliatt dem Sturm gegenüber in der Meerenge eine fünfte Barrikade geschaffen.
Der Sturm hatte in seiner Verblendung an diesem letzten Schutzwalle selbst mitgearbeitet.
Es war ein großes Glück, daß durch das nahe Zusammenrücken der Uferwände diese Barre nicht bis auf den Grund sinken konnte, denn dadurch wurde sie höher und raubte außerdem den Wellen, welche nur unter ihr hindurch konnten, einen Theil ihrer Kraft. Was unten durchgeht, springt nicht oben herüber. Hierauf beruht zum Theil das Geheimniß der schwimmenden Wolkenbrecher.
Was also das Ungewitter auch immer thun mochte, für das Gehäuse und die Maschine war nichts mehr zu fürchten. Das Wasser konnte sie nicht mehr von allen Seiten bespülen. Zwischen dem Verschlusse durch die Klippen, welcher sie im Westen deckte, und der neuen Barre, welche sie im Osten schützte, konnte kein Stoß der Wellen oder Winde sie erreichen.
Gilliatt hatte aus dem Unglücke Vortheil gezogen; denn Alles in Allem hatte ihm das Ungewitter Hülfe geleistet.
Nachdem er hiermit fertig war, schöpfte er mit der hohlen Hand etwas Wasser aus einer Pfütze, trank und rief dem Sturme ein lautes »Dummkopf« zu.
Hierauf stieg er in die Barke hinab und ließ sich bei Untersuchung derselben vom Blitze leuchten. Es war hohe Zeit, daß ihr Hülfe gebracht wurde, denn sie war in der vorhergehenden Stunde stark mitgenommen worden und begann jetzt sich zu krümmen, doch konnte Gilliatt mit einem einzigen Blicke übersehen, daß sie noch keinen eigentlichen Schaden gelitten hatte, obgleich sie jedenfalls sehr heftige Stöße ausgehalten haben mußte. Bei ruhigem Wasser hätte sich der Kiel von selbst wieder zurückgebogen; die Anker waren gut im Stande und auch die Maschine von ihren vier Ketten wunderbar gehalten worden.
Als Gilliatt mit dieser Musterung fertig war, flog ein weißer Gegenstand an ihm vorüber und verschwand in der Nähe. Es war eine Seemöve.
Während der Stürme giebt es keine glücklichere Erscheinung; sobald sich die Vögel nähern, hat der Sturm sein Ende erreicht.
Ein anderes vorzügliches Zeichen war, daß sich der Donner verdoppelte.
Die größte Wuth des Sturmes zerfetzt ihn. Alle Seeleute wissen, daß die letzte Anstrengung furchtbar, aber von kurzer Dauer ist, und daß ein Uebermaß des Donners das Ende verkündet.
Der Regen hörte plötzlich auf, dann vernahm man nur noch ein mürrisches Rollen in den Wolken. Der Sturm war zu Ende, wie ein Brett, welches auf die Erde fällt; er zerbrach sich, so zu sagen. Die ungeheure Wolkenmasse löste sich auf. Klarer Himmel wurde sichtbar, die Finsterniß verschwand. Gilliatt war ganz überrascht; es war heller Tag.
Das Ungewitter hatte beinahe zwanzig Stunden angehalten.
Der Wind, welcher es gebracht hatte, führte es wieder fort. Die zusammenbrechende und zerfahrene Finsterniß umhüllte den Horizont. Die zerbrochenen und fliehenden Wolken thürmten sich lärmend bunt übereinander; von dem einen Ende der Wolkenlinie bis zum andern gab sich der Rückzug kund, man vernahm ein langes, ersterbendes Geräusch, einige letzte Regentropfen fielen und der ganze mit Donner gefüllte Schattennebel verschwand, wie eine Reihe furchtbarer Schlachtwagen.
Bald war der ganze Himmel wundervoll blau.
Gilliatt fühlte, daß er müde sei. Der Schlaf stürzte sich gleich einem Raubvogel auf die Anstrengung. Gilliatt ließ sich in der Barke, ohne erst einen Platz zu suchen, hinsinken und schlief ein. So blieb er einige Stunden unthätig und lang ausgestreckt liegen, kaum von den Balken und Hölzern, unter denen er schlief, zu unterscheiden.