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Der Konvent

I.

Wir nähern uns nun der großen Bergspitze, dem Konvent, und starren hinauf: etwas Höheres hat sich an unserem Horizont nicht aufgethürmt; der Konvent ist auch ein Himalaya; in ihm gipfelt vielleicht die Weltgeschichte.

Bei Lebzeiten des Konvents, denn eine solche Versammlung lebt ein Eigenleben, waren sich die Menschen seines wahren Wesens kaum bewußt, denn gerade seine Größe entging dem Blick der Zeitgenossen: man war zu bestürzt, um geblendet zu werden. Alles Große strahlt eine heilige Scheu aus. Dutzend Menschen und Hügel lassen sich leicht bewundern; aber vor dem überhoch Ragenden, sei es nun ein Genius oder ein Berg, ein Moment in der Geschichte oder ein Meisterwerk der Kunst, überläuft uns ein Schauer, wenn wir ihm zu nahe stehen; wir empfangen den Eindruck des Uebertriebenen. Das Steigen erschöpft. Man wird athemlos auf den steilen Pfaden; man gleitet auf den Abhängen aus; man stößt sich wund an Härten, die für das Auge Schönheiten sind; die schäumenden Sturzbäche erzählen von den Abgründen und die Spitzen sind in Wolken gehüllt; das Steigen ist vom Schrecken des Sturzes begleitet, und deshalb überwiegt das Entsetzen statt der Bewunderung. Es überkommt Einen ein ganz absonderliches Gefühl, ein Widerwillen gegen das Große. Man bemerkt die Untiefen, aber nicht die Erhabenheiten, das Wunderbare nicht, nur das Ungeheuerliche. So wurde anfänglich der Konvent beurtheilt; er wurde durch Kurzsichtige angeblinzelt, er, der eine Augenweide sein sollte für die Adler. Heutigen Tages erscheint er uns perspektivisch und zeigt uns, vom tiefen Himmel sich abhebend, aus tragisch verklärter Ferne das kolossale Profil der französischen Revolution.

II.

Der 14. Juli war ein Tag der Befreiung gewesen, der 10. August ein Tag der Zerschmetterung, der 21. September ein Tag der Begründung. Der 21. September war die Tag- und Nachtgleiche, das Gleichgewicht. Unter dem Zeichen der Wage, wie Romme damals auch bemerkte, dem Sinnbild der Gleichheit und Gerechtigkeit, wurde die Republik geboren und ein Sternbild leuchtete die Nachricht durch die Nacht. Der Konvent ist die erste in Verkörperung des Volkes; er ist die erste Zeile auf dem großen neuen Blatt und mit ihm begann die heutige Zukunft.

Jeder Gedanke bedarf der sichtbaren Hülle, ein Prinzip muß eine Wohnstätte haben; eine Kirche ist nichts anderes als Gott zwischen vier Wänden; jedes Dogma braucht seinen Tempel. Die erste Frage, als der Konvent in’s Leben trat, war die, wo er untergebracht werden sollte.

Zuerst wählte man die Reitschule, dann die Tuilerieen. In der Reitschule stellte man einen großen Rahmen mit einem von David Grau in Grau gemalten Prospekt auf, symmetrische Bänke, eine viereckige Rednerbühne, gleichlaufende Pilasterreihen mit Untersätzen wie Blöcke, geradlinige Bindebalken, rechtwinklige, erhöhte Schachteln, in denen sich die Menge kaum rühren konnte und die man die öffentlichen Tribünen nannte, ein römisches Belarium und griechische Draperieen; und in diese rechten Winkel und geraden Linien hinein setzte man den Konvent, mitten zwischen die Geometrie den Sturm. An die Rednerbühne war, in Grau, eine Freiheitsmütze gemalt worden. Erst entstand unter den Royalisten großes Gelächter ob der rothen Mütze, welche grau war, dem zusammengeleimten Saal, dem Pappdeckelbau, dem Heiligthum aus Papiermachee, dem Provinz-Theater-Pantheon. Wie so bald sollte der Spott verstummen! Die Säulen bestanden aus Faßdauben, die Gewölbe aus Schindeln; die bas-reliefs waren von Mastix, die Gesimse von Tannenholz, die Statuen von Gyps, die Wände von Leinwand, der Marmor gemalt; doch Frankreich schuf in diesem Provisorium Ewiges.

Als der Konvent den Saal in der Reitschule bezog, klebten die Wände noch voll Plakate, wie sie zur Zeit der Rückkehr von Varennes ganz Paris überfluthet hatten. Auf dem einem war zu lesen: »Der König kommt! wer ihm Beifall zuruft, bekommt Stockprügel; wer ihn beschimpft, kommt an den Laternenpfahl.« – Auf einem andern: »Ruhe! Hut auf behalten! Er fährt an seinen Richtern vorbei.« – Auf einem dritten: »Der König hat auf die Nation angelegt; das Gewehr ist nicht losgegangen; Volk, jetzt schieße Du!« – Und auf noch einem: »Das Gesetz vollstrecken, das Gesetz!« Zwischen diesen Mauern saß der Konvent über Ludwig XVI. zu Gericht.

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Zwischen diesen Mauern saß der Konvent über Ludwig XVI. zu Gericht.

In den Tuilerieen, in die er am 10. Mai 1793 übersiedelte und die den Namen Nationalpalast erhielten, nahm der Sitzungssaal den ganzen Raum zwischen dem Pavillon de I’Horloge, damals Einheitspavillon, und dem Pavillon Marsan, damals Freiheitspavillon geheißen, ein. Der Florapavillon war nach der Gleichheit umgetauft. Zu diesem Saal führte die große Treppe von Jean Bullant. Unter dem ersten Stock, wo die Versammlung tagte, war der ganze Parterreraum eine einzige lange Wachtstube voll Gewehrpyramiden und Pritschen für die Truppen aller Waffengattungen, die den Konvent zu schützen hatten. Die Volksvertretung verfügte überdies noch über eine Ehrenwache von »Grenadieren des Konvents«. Ein dreifarbiges Band trennte das Schloß und die Versammlung vom Garten, in welchem das Volk ab- und zuging.

III

Beschreiben wir auch diesen Sitzungssaal genau: eine so furchtbare Stätte ist in jeder Einzelheit interessant. Was beim Eintreten zunächst auffiel, war, zwischen zwei großen Fenstern eine Riesenstatue der Freiheit. Zweiundvierzig Meter in der Länge, zehn in der Breite, und elf in der Höhe, in diesen Verhältnissen war der Raum gehalten, der aus einem Theater des Königs in das Theater der Revolution umgewandelt worden. Der elegante, von Vigarani für die Hofleute erbaute Prachtsaal verschwand unter dem plumpen Gerüst, welches Anno 93 die Last der Volkes über sich ergehen lassen mußte. Dieses zur Aufnahme des Publikums bestimmte Gerüst war insofern ein Unikum, als es sich auf nur einen Balken von zehn Metern stützte. Es haben wenig Kariatiden so Schweres geleistet wie dieser Balken, der Jahre lang den wuchtigen Anprall der Revolution ertrug. Er hielt treulich aus unter all der Begeisterung, all den Jubel- und Schmährufen, dem Gebrüll, dem Fußgestampf, den chaotischen Zornausbrüchen des Aufruhrs; nach dem Konvent sah er den Rath der Aeltesten noch und wurde erst abgelöst durch den 18. Brumaire, wo ihn Percier durch Marmorsäulen ersetzte, die von kürzerer Dauer sein sollten.

Die Architekten schwärmen oft in sonderbaren Gebilden; dem Erbauer der Rivolistraße hat die durchschneidende Linie einer Kanonenkugel als Ideal vorgeschwebt, dem Erbauer von Karlsruhe ein Fächer; der Erbauer des Saals, den am 10. Mai 93 der Konvent bezog, schien es auf eine kolossale Kommodeschublade abgesehen zu haben, etwas Gestrecktes, Hohes und Flaches. An der einen Langseite des gleichlaufenden Vierecks war ein großes Amphitheater angebracht, wo sich, gleichfalls in Halbkreisen, die Bänke der Abgeordneten befanden, ohne Tische oder Pulte; Garan-Coulon, der häufig Notizen nahm, mußte auf seinen Knien schreiben. Den Bänken gegenüber stand die Rednerbühne, davor eine Büste von Lepelletier-Saint-Fargeau, dahinter der Präsidentenstuhl. Der Kopf der Büste erhob sich etwas über den Rand der Tribüne und wurde deshalb in der Folge entfernt. Die Bänke waren in neunzehn stufenweise hintereinander aufsteigenden Halbkreisen aufgestellt, die sich an beiden Enden verlängern ließen. Im Hufeisen unter der Rednerbühne hielten sich die Huissiers auf. Auf der einen Seite der Tribüne hing an der Wand in einem schwarzen Holzrahmen eine neun Fuß hohe, in der Mitte durch einen scepterförmigen Strich in zwei Spalten getheilte Tafel mit dem Verzeichniß der Menschenrechte; auf der einen Seite, die jetzt noch leer stand, wurde später in ähnlicher Weise, nur durch einen schwertförmigen Strich getheilt, die Verfassung des Jahres Zwei angebracht. Ueber der Tribüne und der Kopfhöhe des Redners rauschten aus einer tiefen, zweigetheilten, von Zuschauern wimmelnden Galerie drei ungeheuere Trikolorfahnen um einen geschnitzten Altar, der die Inschrift »Dem Gesetz« trug und hinter dem, als Schildwache der freien Worte, hoch wie eine Säule, ein römisches Ruthenbündel ragte. Den Abgeordneten zugekehrt, dicht an der Wand, standen Kolossalstatuen, zur Rechten des Präsidenten Lykurg, zur Linken Solon und gegenüber, über den Sitzen der Bergpartei, ein Plato. Die Statuen standen auf einfachen Würfeln, die auf dem langen, vorstehenden Kranz ruhten, welcher um den ganzen Saal lief, und das Volk von der Versammlung trennte; dieser Kranz diente den Galerien als Brüstung. Der schwarze Rahmen der Tafel mit den Menschenrechten reichte bis hinauf, sogar etwas über die Zeichnung des Gesimses hinaus, eine Unterbrechung der geraden Linie, über die sich Chabot Vadier gegenüber mit den Worten beschwert hatte: »Das ist unschön.« Auf den Köpfen der Statuen wechselten Kränze von Eichenlaub mit Lorbeerkränzen ab. Von dem fortlaufenden Mauerkranz hingen grüne Draperieen, auf denen in dunklerem Grün die gleichen Kränze gemalt waren, in großen steifen Falten herab und bedeckten den ganzen untern Theil der Wände, an denen oberhalb aus der weißen kalten Uebertünchung zwei ausgehöhlte, wie mit dem Ausschneideeisen hineingerissene Etagen ohne Laubwerk noch sonstige Verzierung klafften, die viereckigen Zuschauergalerien unten, die runden darüber, ganz nach den damaligen Regeln der Baukunst, denn so stand es im Vitruv, der damals noch nicht entthront war. An jeder Langseite des Saals befanden sich zehn öffentliche Tribünen und an den Breitseiten je zwei ungeheuere Logen, im Ganzen also vierundzwanzig Räumlichkeiten, in denen sich die Volksmenge anhäufte. Die Zuschauer der untern Tribünen strömten über und gruppirten sich auf der Brüstung und auf jeden Vorsprung der Architektur. Eine lange auf Brusthöhe fest eingeklammerte Eisenstange diente den obern Tribünen als Geländer und schützte das dortige Publikum gegen die Folgen des stürmenden Andranges von den Treppen her; dennoch wurde einmal ein Mann in die Versammlung hinuntergestoßen, wo er zum Theil auf Massieu, den Bischof von Beauvais, zu fallen kam; das rettete ihn und gab ihm die Bemerkung ein: »Sieh da, zu etwas ist’s doch gut, so ein Bischof!« – Der Saal des Konvents konnte zweitausend Menschen fassen, in bewegten Tagen sogar dreitausend. Sitzungen fanden jeden Morgen und jeden Abend statt. Der Fauteuil des Präsidenten hatte eine runde, mit vergoldeten Nägeln beschlagene Lehne; die Tischplatte davor ruhte auf vier phantastischen geflügelten und einfüßigen Thiergestalten, von denen man hätte glauben können, sie seien der Apokalypse entstiegen, um die Revolution mitzuerleben; sie schienen vom Wagen des Ezechiel ausgespannt worden zu sein, um am Henkerkarren von Samson zu ziehen. Auf dem Tisch stand eine große Schelle, fast eine mittelgroße Glocke, ein breites Messingtintenfaß und ein Foliant in Pergamenteinband, der die Sitzungsprotokolle enthielt; auf diesen Tisch war schon Blut herabgetropft von abgeschnittenen, auf Piken getragenen Köpfen. Zu der Rednerbühne führten neun Stufen; sie waren hoch, steil, unbequem; Gensonné war eines Tages darauf gestolpert: »Das ist ja die reine Guillotinentreppe!« hatte er gesagt, und Carrier hatte ihm zugerufen: »Studir’s nur ein!« Die Ecken des Saales, wo die kahle Wand am meisten aufgefallen wäre, hatte der Architekt mit Fasces ausgeschmückt, deren Beile nach außen gekehrt waren. Zur Rechten und Linken der Rednerbühne stand auf einem Postament je ein Kandelaber in der Höhe von zwölf Fuß und mit vier Paar Ziehlampen. Ein gleicher Kandelaber war auch in jeder Tribüne angebracht. Die Postamente waren mit ausgehauenen Ringen verziert, welche im Volksmund »Guillotinenhalsbänder« hießen. Die höchsten Bänke der Versammlung reichten beinahe bis zum Kranz vor den Tribünen hinauf, so daß die dort sitzenden Abgeordneten und das Volk mit einander reden konnten. Die Thüren der Tribünen mündeten in ein Labyrinth von Gängen, die oft von einem wilden Getöse widerhallten! Der Konvent staute sich im Palast und fluthete bis in die umliegenden Hotels zurück, in’s Hotel Coigny und in’s Hotel Longueville; in letzteres wurde, wenn einem Brief von Lord Bradford Glauben zu schenken ist, nach dem 10. August das königliche Mobiliar hinüber geschafft. Zwei Monate lang wurde damals an den Tuilerieen ausgeräumt.

Die Ausschüsse waren in der Nähe des Saals untergebracht, im Gleichheitspavillon Gesetzgebung, Ackerbau und Handel, im Freiheitspavillon Marine, Kolonien, Finanzen, Assignate, öffentliche Wohlfahrt, im Einheitspavillon der Krieg. Der Sicherheitsausschuß stand mit dem Wohlfahrtsausschuß vermittelst eines dunklen Ganges in Verbindung, in dem Tag und Nacht eine Laterne brannte und wo die Kundschafter aller Parteien ab- und zugingen; es wurde dort leise gesprochen.

Die Schranken des Konvents sind mehrmals anders gestellt worden; für gewöhnlich befanden sie sich zur Rechten des Präsidenten. An beiden Enden des Saales lagen zwischen den senkrechten Wänden, die links und rechts die konzentrischen Halbkreise des Amphitheaters abschlossen, und zwischen der Saalmauer zwei enge lange Durchgänge, in die zwei dunkle viereckige Thüren mündeten; durch diese Thüren trat man aus und ein. Die Abgeordneten gelangten unmittelbar von der Terrasse des Feuillants in den Saal. Dieser hatte sowohl bei Tag, wo er durch die ungenügenden Fenster, wie bei hereinbrechender Dämmerung, wo er durch fahle Lichter spärlich erhellt war, etwas düster Nachtendes an sich. Die halbe Beleuchtung ergänzte nur das abendliche Dunkel und die Sitzungen bei Lampenschein waren unheimlich. Sehen konnte man sich nicht; von einem Ende des Saals zum andern, von rechts, von links warfen Gruppen von vernebelten Gesichtern einander Schmähungen zu. Man traf zusammen, ohne sich zu erkennen; nach der Tribüne eilend, war eines Abends Laignelot im Gang, der von den Bänken hinabführte, gegen Jemand angerannt: »Robespierre, Pardon,« sagte er. – »Für wen hältst Du mich?« antwortet ihm eine rauhe Stimme. – »Pardon, Marat,« sagte nun Laignelot.

Unten, rechts und links am Präsidenten, befanden sich zwei reservirte Tribünen, denn merkwürdigerweise gab es im Konvent bevorzugte Zuschauer; diese Tribünen waren die einzigen, vor denen, in der Mitte des Architravs hinter zwei Quasten aufgebauscht, eine Draperie hing. Die öffentlichen Tribünen waren kahl.

Das Ganze bot einen gewaltsamen, wilden und dennoch regelmäßigen Anblick; Korrektheit im Ingrimm kennzeichnet überhaupt mehr oder minder die Revolution. Der Konventsaal lieferte das vollständige Muster dessen, was die Künstler seither den »Messidorbaustil« genannt haben, etwas Plumpes und Ärmliches; die damaligen Architekten verwechselten das Symmetrische mit dem Schönen. Die Renaissance hatte unter Ludwig XV. ihr letztes Wort gesprochen und nun war der Rückschlag gekommen; das Edle war in’s Läppische und das stilistisch Reine in’s Langweilige ausgeartet. Es giebt auch eine architektonische Prüderie. Nachdem die Kunst des achtzehnten Jahrhunderts sich in blendenden Formen und Farben sattgeschwelgt, schränkte sie sich jetzt auf Brod und Wasser ein und gestattete sich nur mehr die gerade Linie; eine derartige Äußerung des Ebenmaßes führt jedoch zum Häßlichen, denn solche nüchterne Enthaltsamkeit hat das Mißliche an sich, daß sie den Stil mager werden läßt, und daß so die Kunst sich zum Skelett verknöchert.

Auch abgesehen von aller politischen Spannung und einzig und allein im Hinblick auf das Architektonische, starrte aus diesen Wänden ein beklemmendes Etwas; es stieg ein dunkles Erinnern in einem auf an das frühere Theater, an die guirlandenumrankten Logen, an die azurne und purpurne Decke, an den Kronleuchter mit seinen geschliffenen Glasrauten, an die Girandolen mit ihrem Diamantengefunkel, an die hellgrauseidenen Tapeten, an die Unzahl von Nymphen und Amoretten auf Vorhang und Draperieen, an das ganze gemalte, geschnitzte, vergoldete, kosende Königsidyll, das hier gelächelt hatte über dieser strengen Stätte, wo jetzt dem Blick lauter harte, kalte, messerscharfe rechte Winkel begegneten und wo man eine dunkle Empfindung hatte, als sei hier die Phantasie eines Voucher durch David guillotinirt worden.

IV.

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Brissot. Barbaroux.

Vergniaud. St. Just.

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Joseph Chenier. David.

Sieyès. Camille Desmoulins.

Aber über der Versammlung vergaß man den Saal, über der Tragödie die Dekorationen. Nichts Ungestalteres und wieder nichts Verklärteres als die handelnden Personen: eine Heldenschaar und eine Heerde von Feiglingen, Löwen auf einem Berg und Kröten in einem Sumpf, das wimmelnde, drängende, herausfordernde, drohende, ringende Dasein aller jener Kämpfer, die jetzt nur noch Phantome sind – ein titanisches Getümmel. Rechts eine Legion von Denkern, die Gironde, links eine Schaar von Athleten, die Bergpartei. Auf der einen Seite Brissot, der die Schlüssel der Bastille in Empfang genommen hatte, Barbaroux, der Führer der Marseiller Freiwilligen, Kervélégan, der Liebling der in der Vorstadt Saint-Marceau einquartirten Bataillons von Brest, Gensonné, der die Obergewalt der Abgeordneten über die Generale zur Geltung gebracht hatte, der verhängnißvolle Guadet, dem in einer Nacht die Königin in den Tuilerieen den schlafenden Dauphin gezeigt und der das Kind auf die Stirn geküßt, den Vater aber mit um den Kopf gebracht hatte, Salles, der märchenhafte Erfinder des Einverständnisses zwischen der Bergpartei und Österreich, der hinkende Sillery, der Krüppel der Rechten (auch die Linke hatte ihren Krüppel, Couthon), Lause-Duperet, welcher einen Journalisten, der ihn einen Wicht geschimpft hatte, mit der Bemerkung zu Tisch lud: »Ich weiß wohl, daß Wicht nichts anderes bedeutet als Andersdenkender«; Rabaut Saint-Etienne, der seinen Almanach für 1790 mit den Worten eingeleitet hatte: »Die Revolution hat ihr Ziel erreicht«; Quinette, einer Derjenigen, die Ludwig XVI. stürzten, der Jansenist Camus, der die Zivilverwaltung der Geistlichkeit in Paragraphen brachte, an die Wunder des Diakonus Paris glaubte und sich allnächtlich vor einem in seinem Zimmer angenagelten sieben Fuß hohen Christusbild niederwarf, Fauchet, ein Priester, der Camille Desmoulins den 14. Juli hatte machen helfen, Isnard, der das Verbrechen beging, zu sagen: »Paris wird zerstört werden«, in demselben Augenblick, wo der Herzog von Braunschweig drohte: »Ich werde Paris einäschern«; Jakob Dupont, der Erste, der laut bekannte: »Ich bin Atheist«, worauf Robespierre ihm zurief: »Der Atheismus ist eine aristokratische Anschauung«; Lanjuinais, ein harter, scharfsinniger, heißer bretonischer Kopf, Ducos, der Euryalus von Boyer-Fonfrède, Rebecqui, der Pylades von Barbaroux, der seine Entlassung einreichte, weil Robespierre noch nicht guillotinirt worden war, Richaud, der die Permanenz der Bezirksräthe bekämpfte, Lasource, der den mörderischen Ausspruch gethan hatte: »Wehe den erkenntlichen Nationen!« und der sich später, als er das Schaffot bestieg, widersprach, indem er den Montagnards die stolzen Worte hinwarf: »Wir sterben, weil das Volk schläft, und ihr sterbt einmal, wenn es erwacht sein wird«; Biroteau, der durch seinen Antrag auf Abschaffung der parlamentarischen Unverletzlichkeit ahnungslos das Fallbeil schliff und sich selber das Blutgerüst zimmerte, Charles Villatte, der seinem Gewissen in dem Protest Luft machte: »Ich will nicht unter dem Messer abstimmen«; Louvet, der Verfasser des »Faublas«, der später mit seiner Lodoiska eine Buchhandlung im Palais-Royal eröffnete, Mercier, der Verfasser des »Tableau de Paris«, der einmal äußerte: »Der 21. Januar ist allen Königen in den Nacken gefahren«; Marec, dem »die Partei der früheren Einschränkungen« zu Herzen ging, der Journalist Carra, der auf der Guillotine zum Henker sagte: »Es verdrießt mich, zu sterben; ich hätte die Fortsetzung mit ansehen mögen«; Vigée, der sich selber »Grenadier im zweiten Bataillon von Mayenne-et-Loire« titulirte und, von den Tribünen herab bedroht, ausrief: »Ich verlange, daß beim ersten Murren auf den Tribünen wir uns Alle zurückziehen und mit dem Säbel in der Faust, nach Versailles marschiren«; Buzot, der einst dem Hungertod verfallen, Valazé, der dem eigenen Dolch erliegen, Condorcet, der im Bourg-la-Reine oder vielmehr Bourg-Egalité umkommen sollte, verrathen durch den Horaz, den er bei sich trug; Pétion, dem das Geschick zu Theil ward, im Jahre 1792 von der Menge vergöttert und im Jahre 1793 von den Wölfen verschlungen zu werden, und zwanzig Andere noch, Pontécoulant, Marboz, Lidon, Saint-Martin, Dussaulx, der Übersetzer des Juvenal, der den Feldzug von Hannover mitgemacht hatte, Boilleau, Bertrand, Lesterp-Beauvais, Lesage, Gomaire, Gardien, Mainvieille, Duplantier, Lacaze, Antiboul und über diesen Allen, ein zweiter Barnave, Vergniaud.

Auf der andern Seite der bleiche dreiundzwanzigjährige Antoine-Louis-Léon Florelle von Saint-Just mit der niedrigen Stirn, dem reinen Profil und der tiefen Trauer im geheimnißvollen Blick, Merlin aus Thionville, den die Deutschen den Feuerteufel nannten, Merlin aus Douai, der frevelhafte Urheber des Gesetzes gegen die Verdächtigen, Soubrany, den das Volk am ersten Prairial zu seinem Anführer wählte, der vormalige Pfarrer Lebon, der in der Hand, mit der er Weihwasser gereicht hatte, jetzt einen Säbel schwang, Billaud-Varennes, der die Rechtsprechung der Zukunft erdachte: Schiedsrichter statt der Richter von Fach; Fabre-d’Eglantine, der auf einen reizenden Einfall gerieth, den republikanischen Kalender, aber nur auf den einen Einfall, wie Rouget de Lisle eine einzige geniale Eingebung gehabt hatte, die Marseillaise; Manuel, der Prokurator des Stadtraths, der gesagt hatte: »Der Tod eines Königs macht die Welt um keinen Menschen ärmer«; Goujon, der in Tripstadt, in Neustadt und in Speier eingezogen war und das preußische Heer hatte fliehen sehen, Lacroix, ein General gewordener Advokat, der sechs Tage vor dem 10. August das Ludwigskreuz erhalten hatte, Fréron der Thersites, Fréron’s des Zoïlus Sohn, Ruth, der unerbittliche Durchstöberer des eisernen Schranks Ludwigs XVI., der in der Folge zum großen Selbstmord des Brutus griff, weil er die Republik nicht überleben wollte; Fouché mit der Teufelsseele und dem Leichengesicht, Camboulas, der Freund des Père Duchesne, der zu Guillotin sagte: »Wenn Du auch zu den Feuillants gehörst, Deine Tochter gehört zu den Jakobinern«; Jagot, der Denjenigen, welche die Gefangenen wegen ihrer mangelhaften Kleidung bedauerten, die herzlose Antwort gab: »Ein Gefängniß ist ein steinerner Anzug«; Javogues, der unheimliche Aufbrecher der Gräber von Saint-Denis, Osselin, ein eifernder Verfolger, der eine Verfolgte, Frau Charry, bei sich versteckte, Bentabole, der, wenn er den Präsidentenstuhl innehatte, den Tribünen das Zeichen zum Applaus oder zum Zischen gab, der Journalist Robert, dessen Gattin, Fräulein Kéralio, die Worte schrieb: »Mich besucht weder Robespierre noch Marat; Robespierre empfange ich, wann es ihm genehm sein sollte, Marat aber nie«; Garan-Coulon, der, als sich der spanische Hof für Ludwig XVI. verwenden wollte, mit stolzem Trotz verlangt hatte, daß sich die Versammlung nicht herablasse, die Fürbitte eines Königs für einen König zu lesen; der Bischof Grégoire, der, nachdem er sich der apostolischen Zeiten würdig erwiesen hatte, später, unter dem Kaiserreich, den Republikaner Grégoire für Grégoire den Grafen hinwarf, Amar, welcher behauptete: »Ludwig XVI. ist in den Augen der ganzen Menschheit verurtheilt; wer könnte da noch den Richterspruch revidiren? Nur die Sterne«; Rouyer, der sich am 21. Januar dem Abfeuern der Kanone vom Pont-Neuf aus dem Grunde widersetzt hatte, daß der Kopf eines Königs im Fallen nicht mehr Lärm machen solle als der Kopf eines andern Menschen«; Chénier, der Bruder von André Chénier, Vadier, einer von Denen, die ein Pistol vor sich auf die Tribüne legten, Panis, der zu Momoro sagte: »Marat und Robespierre sollen sich bei mir, an meinem Tisch, umarmen.« – »Wo wohnst Du denn?« – »In Charenton.« – »Dacht‘ ich mir’s doch,« erwiderte Momoro; Legendre, der, wie Pride der Fleischer der englischen Revolution gewesen, der Fleischer der französischen war. »Komm her, daß ich Dich niederschlage!« rief er eines Tages Lanjuinais zu und Lanjuinais entgegnete: »Erst laß die Verordnung ergehen, daß ich ein Ochse bin;« und Collot d’Herbois, der finstere Komödiant mit dem Januskopf, der zugleich Ja und Nein sagte, mit dem einen Mund billigte, was er mit dem andern verwarf, Carrier’s Verhalten in Nantes brandmarkte und Chalier’s Verhalten in Lyon in den Himmel hob, der Robespierre in den Tod und Marat in’s Pantheon schickte; Génissieux, der gegen Jeden die Todesstrafe beantragte, bei dem die Medaille mit der Inschrift »Ludwig XVI. der Märtyrer«, gefunden wurde, Leonard Bourdon, der Schulmeister, der dem Greis vom Mont-Jura sein Haus angeboten hatte, Dobsent, ein Seemann, Gouvilleau, ein Advokat, der Kaufmann Laurent Lecointre, der Arzt Duhem, der Bildhauer Sergent, David der Maler, Joseph-Philipp Egalité der Prinz; außerdem noch Lecointe-Puiraveau, der begehrte, daß Marat durch Dekret für unzurechnungsfähig erklärt werde, Robert Lindet, der beängstigende Schöpfer jenes Ungeheuers, dessen Kopf der Sicherheitsausschuß war und das Frankreich mit einundzwanzigtausend Armen festhielt, die man die revolutionären Ausschüsse nannte, Leboeuf, auf den Girey-Dupré in seinen »Weihnachten der falschen Patrioten« den Vers gedichtet hatte: »Le boeuf vit Legendre et beugla«;7 der milde Thomas Payne, ein Amerikaner; Anacharsis Cloots, ein deutscher Baron und Millionär, Atheist, Anhänger Hebert’s, treuherzig; der gewissenhafte Lebas, der Freund der Familie Duplay; Nevère, einer jener seltenen Menschen, die boshaft sind um der Boshaft willen, denn der Grundsatz, daß die Kunst sich selber Zweck ist, macht sich zuweilen auch bei Charaktereigenschaften geltend; Chalier, der die Aristokraten mit »Sie« angeredet wissen wollte; der elegische und grausame Tallien, der in der Folge aus Verliebtheit den 9. Thermidor machte; Cambacérès, erst Anwalt, dann Fürst; Carrier, erst Anwalt, dann Tiger; Laplanche, der einmal ausrief: »Ich verlange die Vorhand für die Lärmkanone«; Thuriot, der die laute Abstimmung der Geschworenen des Revolutionstribunals begehrte; Bourdon aus dem Departement Oise, der Chambon zum Zweikampf forderte, Payne verklagte und selber durch Hébert verklagt wurde; Payon, der für die Vendée »eine mordbrennerische Armee« begehrte; Tavaux, der am 13. April die Gironde und die Bergpartei beinahe versöhnte; Vernier, der beantragte, die beiderseitigen Parteiführer möchten sich als gemeine Soldaten anwerben lassen; Rewbell, der Mainz mitvertheidigte; Bourbotte, dem bei der Einnahme von Saumur das Pferd unter dem Leib erschossen ward; Guimberteau, der die Küstenarmee von Cherbourg, Jard-Painvilliers, der die Küstenarmee von La Rochelle, Lecarpentier, der das Geschwader von Cancale leitete; Roberjot, der bei Rastatt ermordet werden sollte; Prieur aus der Marne, der im Lager seine alten Schwadronschef-Epauletten trug; Levasseur aus dem Departement Sarthe, der mit einem Wort den Kommandanten des Bataillons Saint-Amand, Serrant, in den Tod zu gehen bestimmte; dazu noch Reverchon, Maure, Bernard aus Saintes, Charles Richard, Lequinio und an der Spitze der ganzen Gruppe ein Mirabeau Namens Danton.

Außerhalb dieser beiden Lager, beide in Schach haltend, ein einzeln Ragender, Robespierre.

V.

Unten drunten neigte sich das Entsetzen, das auch edel sein kann, und krümmte sich die niedrige Furcht. Unter all den Leidenschaften, all dem Heldenmuth, all der Aufopferung, all der Wuth, wogte die trübe Schaar der Namenlosen in den Tiefen, die man »die Ebene« nannte. Hier fand sich jedes schwankende Element zum andern, Männer des Zweifels und Zauderns und Zurückrufens und Aufschiebens und Zuwartens, oder in Angst vor Jemand oder Etwas. Die Montagnards waren eine Elite, die Girondins eine Elite; die Plaine war die Menge; sie verdichtete und verkörperte sich in der Person von Sieyès.

Sieyès war tief angelegt, aber hohl geworden; er war beim »dritten Stand« stehen geblieben und hatte sich nicht bis zum Begriff Volk emporschwingen können. Gewisse Geister sind wie eigens geschaffen, auf halben Höhen zu wandeln. Sieyés nannte Robespierre den Tiger und wurde von diesem der Maulwurf genannt. Dieser Metaphysiker hatte sich die Weisheit nicht, aber die Klugheit ergrübelt. Er war der Höfling, nicht der Diener der Revolution. Mit der Schaufel auf der Schulter spannte er sich neben Alexander Beauharnais vor einen Karren und zog mit dem Volk zur Arbeit auf das Marsfeld aus. Er rieth Andern zum Durchgreifen und machte selber von dem Rath keinen Gebrauch; so sagte er zu den Girondins: »Gewinnt die Kanonen für Eure Partei.« Es giebt Denker, die kämpfen wollen; in der Weise stand Condorcet zu Vergniaud oder Camille Desmoulins zu Danton; und es giebt hinwider Denker, die leben wollen, und diese standen zu Sieyès. Auch in den reinsten Kufen bildet sich ein Bodensatz. Unter »der Ebene« lag noch »der Sumpf«, eine scheußlich stagnirende Masse, durchsichtig vor lauter Selbstsucht. Da fröstelte die stumme Gespanntheit der Zitterer; da kauerte der Inbegriff der Erbärmlichkeit, jede Schändlichkeit und keine einzige aufrichtige Schande, ein verkrochener Grimm, der Aufstand hinter der Unterwürfigkeit. In hündischem Erbangen entwickelten jene Memmen den ganzen Muth der Feigheit; sie waren für die Gironde und stimmten mit der Montagne; den Ausschlag mußten immer sie geben, und immer warfen sie nach der Seite des Erfolgs um; sie lieferten Ludwig XVI. an Vergniaud aus, Vergniaud an Danton, Danton an Robespierre, Robespierre an Tallien; sie brandmarkten den lebenden Marat und vergötterten ihn im Tod; sie unterstützten Alles bis zum Tag, wo sie es stürzen halfen; sie hatten den Instinkt des letzten Stoßes für alles Wankende. Da sie ihre Knechtsdienste von der Widerstandskraft ihrer Herren abhängig machten, galt deren Wanken in ihren Augen für Verrath. Sie waren Zahlen, waren die Kraft, waren die Angst; daher ihre Frechheit im Schmählichen, daher der 31. Mai, der 11. Germinal, der 9. Thermidor, Tragödienverwickelungen durch Riesen geknüpft und gelöst durch Zwerge.

VI.

Mitten unter den Berserkern hatte der Konvent auch seine Träumer; das Utopische war in allen seinen Äußerungsformen vertreten, von der kriegerischen, die das Schaffot billigte, bis zur friedlichsten, welche die Todesstrafe abschaffte – den Königen gegenüber den Dämon, den Völkern gegenüber den Engel herauskehrend. Zwischen den streitbaren saßen die brütenden Geister; jene sannen auf Kampf, diese auf Ruhe; einer jener Köpfe, der von Carnot, gebar vierzehn Armeen, indessen ein anderer, der von Jean Debry, dem Plan zu einer demokratischen Weltverbrüderung nachhing. Unter diesen tobenden Rednern mit den brüllenden Donnerstimmen saßen fruchtbringende Schweiger: Lakanal schwieg und entwarf die Grundzüge des öffentlichen Nationalunterrichts; Lanthenas schwieg und schuf dann die Volksschulen; Revellière-Lépaux schwieg und träumte von der Erhebung der Philosophie auf die Altäre der Religion. Andere beschäftigten bescheidenere, praktischere Detailfragen: Guyton-Morveaux trug sich mit einer gesünderen Einrichtung der Spitäler, Maire mit Aufhebung der Realservituten, Jean-Bon-Saint-André mit Abschaffung der Schuldhaft, Romme mit dem Vorschlag von Chappe, Duboë mit der Organisation der Archive, Coren-Fustier mit der Gründung der anatomischen und naturwissenschaftlichen Sammlungen, Guyomard mit der Regelung der Flußschifffahrt und dem Querdamm der Schelde. Auch für Kunst wurde geschwärmt, von Einzelnen sogar bis zur Manie; am 21. Januar, während auf dem Revolutionsplatz das Haupt der Monarchie niederrollte, besichtigte Bézard, ein Abgeordneter des Departements Oise, einen Rubens, der in einer Dachkammer der Straße Saint-Lazare entdeckt worden war. Künstler, Redner, Propheten, Kolossalnaturen wie Danton und kindliche Naturen wie Cloots, Gladiatoren wie Philosophen, Alle hatten sie ein gemeinsames Ziel vor Augen, den Fortschritt. Durch nichts ließen sie sich beirren.

Die Größe des Konvents besteht darin, daß er idealen Dingen, welche von den Menschen als Unmöglichkeiten verschrieen werden, das innewohnende Maß Wirklichkeit abzuringen trachtete. Auf der einen Seite hielt Robespierre den Blick auf das Recht, auf der andern hielt Condorcet den Blick auf die Pflicht gerichtet. Condorcet war der Mann des Traums und des Lichts, Robespierre der Mann der Ausführung, und in Perioden, die über Tod oder Leben einer altgewordenen Kultur entscheiden, ist Ausführung zuweilen gleichbedeutend mit Austilgung. Die Revolutionen haben zwei Abhänge, bergauf und bergab, und auf beiden sind die Jahreszeiten ihrer Entwicklung vertreten, vom Winterschnee bis zu den Herbstblüthen, und jede Zone jener Abhänge bringt die ihr entsprechenden Männer hervor, von denen, die im Sonnenschein, bis zu denen, die im Wetterstrahl leben.

VII.

Man zeigte sich den Winkel des linken Durchgangs, in dem Robespierre Garat, dem Freund Clavière’s, die drohenden Worte zugeflüstert hatte: »Clavière hat sich, wo er ging und stand, vergangen und zu komplottiren unterstanden.« In eben demselben Winkel, der sich zu heimlichen Gesprächen und halblauten Zornausbrüchen eignet, hatte Fabre d’Eglantine Romme einen Verweis gegeben, weil dieser den republikanischen Kalender durch Umänderung von »Fervidor« in »Thermidor«, wie ihm vorgeworfen wurde, entstellt hatte. Man zeigte sich auch die Ecke, wo, dicht neben einander, die sieben Vertreter der Haute-Garonne saßen, die bei der Urtheilfällung über Ludwig XVI. zuerst aufgerufen, der Reihe nach geantwortet hatten, Mailhe: »Todesstrafe,« Delmas: »Todesstrafe«, Projean: »Todesstrafe«, Calès: »Todesstrafe«, Ayral: »Todesstrafe«, Julien: »Todesstrafe«, Desaby: »Todesstrafe« – ein Beweis dafür, daß die Weltgeschichte eine endlose Reihenfolge von Rückschlägen ist, welche von den Mauern jedes Tribunals das Echo der Gruft widerhallen lassen. Man wies in diesem wilden Getümmel von Gesichtern mit dem Finger auf alle die einzelnen, deren tragische Richtersprüche sich zu dem einen großen Racheschrei verschmolzen hatten; Paganel, der gesagt hatte: »Todesstrafe; ein König ist nur im Sterben nützlich«; Millaud, der gesagt hatte: »Wenn es heute noch keinen Tod gäbe, müßte man einen erfinden«; den alten Raffron du Trouillet, der gesagt hatte: »Schleunige Todesstrafe«; »Goupilleau, der gerufen hatte: »Gleich auf’s Schaffot mit ihm! die Zögerung verschärft den Tod«; Sieyès hatte sein Votum in das eine düstere Wort zusammengefaßt: »Tod«; Thuriot hatte gegen die von Buzot vorgeschlagene Berufung an das Volk geeifert: »Wie? man will die Wähler befragen? vierundvierzigtausend Gerichtshöfe einsetzen? Es würde ein Prozeß ohne Ende, und Ludwig’s XVI. Haupt hätte Zeit genug, noch weiß zu werden vor dem Fallen«; Augustin-Bon Robespierre rief, nachdem sein Bruder gesprochen: »Ich kenne das Erbarmen nicht, das die Völker hinwürgt und den Despoten verzeiht. Todesstrafe! Aufschub verlangen, heißt, der Berufung an’s Volk die Berufung an die Tyrannen unterschieben«; Foussedoire, der Stellvertreter von Benardin de Saint-Pierre, hatte gesagt: »Das Blutvergießen ist mir ein Greuel, aber Königsblut ist kein Menschenblut; Todesstrafe«; Jean-Bon-Sant-André sagte: »Ohne todten Tyrannen kein freies Volk«; Lavicomterie that einen ähnlichen Ausspruch: »So lang der Tyrann athmet, erstickt die Freiheit; Todesstrafe«; Chateauneuf-Randon rief: »Tod Ludwig dem Letzten«; Guyardin: »Hinrichtung bei umgestürzter Barrière«; er meinte damit die »Barrière du Thrône«; Tellier sprach: »Man gieße, um ihn auf den Feind zu feuern, eine Kanone für den Kopf Ludwigs XVI.« Man zeigte sich auch die Nachsichtsvollen: Gentil, der gesagt hatte: »Ich stimme für Gefängniß; ein zweiter Karl Stuart bringt uns einen zweiten Cromwell«; Bancal, der gesagt hatte: »Verbannung; ich will den ersten König der Welt verurtheilt sehen, zu einem Handwerk zu greifen, um sein Brod zu verdienen«; Albouys, der gesagt hatte: »In’s Exil mit ihm! laßt ihn als lebendiges Gespenst zwischen den Thronsesseln umgehen«; Zangiaconi sagte: »Gefängniß; der lebende Capet sei ein Schreckbild in unsern Händen«: »Er lebe«, meinte Chaillon; »ich will den Todten nicht durch Rom heilig sprechen lassen.« Während diese Worte von strengen Lippen der Reihe nach der Weltgeschichte anheim fielen, zählten auf den Tribünen geputzte Frauen in ausgeschnittenen Kleidern die Stimmen nach und merkten sie mit Nadelstichen auf Verzeichnissen der Abgeordneten an.

Wo die Tragödie sich einmal gezeigt hat, da lassen sich Grauen und Mitleid dauernd nieder. Zu welcher Zeit man den Konvent auch betrachten mochte, immer wieder bot er einen ähnlichen Anblick wie bei der Abstimmung über den letzten Capet; die Legende vom 21. Januar schien in jeder ferneren Entschließung fortzuklingen; die gewaltige Versammlung war durchweht von jenem verhängnißvollen Sturmhauch, der über die alte, achtzehn Jahrhunderte lang brennende Fackel der Monarchie hingestrichen war und sie gelöscht hatte. Die entscheidende Verurtheilung aller Könige in dem einen war gleichsam der Ausgangspunkt des großen Krieges, den der Konvent gegen die Vergangenheit führte. Ganz einerlei welcher Sitzung man beiwohnte, stets warf das Schaffot Ludwigs XVI. seinen Schatten herein; die Zuschauer erzählten einander, wie Kersaint, wie Roland damals gesprochen, wie Duchâtel, ein Abgeordneter des Departements Deux-Sèvres, sich auf seinem Krankenbett hereintragen ließ, und, selber sterbend, für Leben stimmte, worüber Marat lachen mußte; und man suchte jenes seither verschollene Mitglied mit den Blicken, das nach der siebenunddreißigstündigen Gerichtsverhandlung vor Erschöpfung auf seiner Bank eingeschlafen war, und, vom Huissier zur Abgabe seiner Stimme geweckt, mit halbgeöffneten Augen »Todesstrafe« sagte und wieder einschlummerte.

Als Ludwig XVI. zur Guillotine verurtheilt wurde, hatten Robespierre noch achtzehn Monate, Danton fünfzehn, Vergniaud neun, Marat fünf Monate und drei Wochen, Lepelletier-Saint-Fargeau einen Tag Leben vor sich. Furchtbar war das Athmen jener Männer und kurz.

VIII.

Für das Volk ging ein stets offenes Fenster auf den Konvent hinaus, die öffentlichen Tribünen, und genügte das Fenster nicht, so wurde die Thür aufgemacht und die Straße entleerte sich in den Saal. Jenes Einbrechen der Menge in diese Versammlung gehört zu den überraschendsten Erscheinungen der Geschichte. Meistentheils war die Invasion gut gemeint; die Vorstädte schmollirten mit dem kurulischen Stuhl; aber es lag etwas Unheimliches in dieser herzlichen Zudringlichkeit eines Volkes, das eines Tages, ehe drei Stunden vergangen waren, die Kanonen des Invalidenhauses und Vierzigtausend Flinten ausgeführt hatte. Sehr häufig wurden die Sitzungen durch den Aufmarsch von Deputationen unterbrochen, die man mit Gesuchen, Huldigungen oder Liebesgaben an die Schranken vorließ. Es wurde durch Weiber die Ehrenpike der Vorstadt Saint-Antoine hereingetragen. Einmal widmeten Engländer den barfuß kämpfenden Soldaten zwanzigtausend Schuhe. »Der Bürger Arnoux«, las man ein andermal im Bericht des Moniteur, »Pfarrer von Aubignan und Kommandant des Bataillons vom Departement Drôme, verlangt, unter Vorbehalt seiner Pfarrei, an die Grenze zu marschiren.« Die Bezirksvertreter brachten auf Tragbahren Platten, Kelche, Monstranzen, ganze Haufen von Silber und Gold herbei, dem Vaterland von jenem Volk in Fetzen geweiht, das dafür als einzige Belohnung die Erlaubniß begehrte, dem Konvent die Carmagnole vorzutanzen. Chenard, Narbonne und Vallière kamen, um patriotische Lieder auf die Bergpartei abzusingen. Der Bezirk Mont-Blanc verehrte der Versammlung eine Büste von Lepelletier und ein Weib setzte dem Präsidenten eine rothe Mütze auf, worauf sie von diesem umarmt wurde. »Die Bürgerinnen des Bezirks le Mail« streuten »den Gesetzgebern« Blumen. »Die Schüler des Vaterlandes«, voran eine Musikbande, statteten dem Konvent ihren Dank ab »für Begründung der Wohlfahrt des Jahrhunderts.« Die Frauen des Bezirks Gardes-Françaises brachten Rosen, die vom Bezirk Champs-Elysées einen Kranz von Eichenlaub; die Mädchen vom Bezirk Temple leisteten vor den Schranken einen Eid darauf, »sich nur mit echten Republikanern zu verbinden.« Der Bezirk Molière widmete eine Medaille von Franklin, die laut Verordnung an die Krone der Freiheitsstatue gehängt wurde. Die Findelkinder, nunmehr die Kinder der Republik, zogen in der nationalen Uniform vorbei. Die Jungfrauen des Bezirks Zweiundneunzig kamen in langen weißen Gewändern, und am folgenden Tage las man im Moniteur: »Der Präsident empfängt einen Strauß aus den unschuldigen Händen einer unschuldigen Schönheit.« Die Redner grüßten die Menge, riefen ihr zuweilen sogar Schmeicheleien zu, wie: »Du bist unfehlbar; Du bist untadelhaft; Du bist erhaben.« Das Volk hat etwas vom Kind: es nascht gern Süßigkeiten. Oft auch brauste der Aufruhr durch die Versammlung; brach tobend herein und strömte beschwichtigt von dannen wie die Rhone, die beim Einmünden in den Genfer See trübe und beim Ausfluß himmelblau gefärbt ist. Mehrmals lief es jedoch so friedlich nicht ab, und Henriot ließ vor den Tuilerieen Roste herbeischaffen für die Brandkugeln.

IX.

Neben dem Zündstoff für die Revolution entwickelte die Versammlung auch eine befruchtende Kulturpotenz. Der Weltbrand nährte eine schöpferische Schmiede, und in dieser Esse, wo der Schrecken brodelte, klärte sich das Gold des Fortschritts ab. Aus dem Chaos von Schatten und der jagenden Wolkenflucht flammten Lichtstrahlen der ewigen Wahrheit nieder, unvergängliche Lichtstrahlen, die den Völkerhimmel für alle Zeiten erhellen und die sich Gerechtigkeit nennen und Duldsamkeit und Wohlwollen und Vernunft und Wahrhaftigkeit und Menschenliebe. Der Konvent stellte den großen Grundsatz auf: »Die Freiheit des Bürgers hört da auf, wo die Freiheit eines anderen Bürgers anfängt,« ein Axiom, das in zwei Worten die Bedingungen alles gesellschaftlichen Lebens zusammenfaßt. Er sprach das Elend heilig, heilig die Gerechtigkeit im Blinden und Taubstummen, die er der Fürsorge des Staates übergab, heilig die Mutterschaft in der Gefallenen, die er tröstete und aufrichtete, heilig die Kindheit in der Waise, die er dem Vaterland in den Arm legte, heilig die Unschuld im freigesprochenen Angeklagten, den er entschädigte. Er brandmarkte den Negerhandel und schaffte die Sklaverei ab. Er machte sich zum Herold der gegenseitigen Verbindlichkeit Aller gegen Alle. Er führte den unentgeltlichen Unterricht ein, regelte die nationale Erziehung durch Gründung der Normalschule zu Paris, der Centralschulen in den Departements-Hauptstädten und der Primärschulen in den Gemeinden, schuf Musik-Akademien und Kunstsammlungen, brachte die Einheit in der Gesetzgebung und durch das Dezimalsystem die Einheit in Maß, Gewicht und Münzwesen zu Stande, stellte die Ordnung in den Finanzen wieder her und rettete aus dem monarchischen Bankrott den öffentlichen Kredit. Dem Verkehr schenkte er den Signaltelegraphen, dem Alter die dotirten Versorgungshäuser, der Krankheit die verbesserten Spitäler, der höheren Ausbildung die polytechnische Schule, der Wissenschaft die geographische Vermessungsanstalt, dem menschlichen Geist die vereinigten gelehrten Körperschaften. Neben den patriotischen Zwecken verfolgte er auch kosmopolitische. Von den elftausendzweihundertundzehn Verordnungen, die der Konvent erließ, trägt ein Drittel nur einen speziell politischen, der Rest einen allgemein humanen Charakter. Der Gesellschaft wurde die Weltmoral, dem Gesetz das Gewissen der Welt zu Grund gelegt. Und Abschaffung der Dienstbarkeit, Verbrüderung Aller, Schutz für die ganze Menschheit, Läuterung des öffentlichen Gewissens, Verwandlung der ausgebeuteten Arbeit in ein gesetzlich gesichertes Recht, Befestigung des Staatsvermögens, Aufklärung und Leitung der Jugend, Förderung der Künste und Wissenschaften, Verbreitung des Lichts nach jeder Seite hin, Beistand für jedes Elend und Geltendmachung jedes höheren Grundsatzes – Alles das schuf der Konvent mit der Hydra der Vendée am Herzen und von Außen zerfleischt durch die Tigerheerde der europäischen Fürstenkoalition.

X.

Auf dem unermeßlichen Kampfplatz vereinigten sich in episch gewaltigem Widerstreit alle menschlichen und unmenschlichen und übermenschlichen Typen. Während Guillotin David aus dem Weg ging, beschimpfte Bazire Chabot; Guadet verspottete Saint-Just; Vergniaud verschmähte Danton; Louvet klagte Robespierre, Buzot Egalité an; Chambon stellte Pache an den Pranger; Alle verabscheuten Marat. Und wie viel andere Namen wären an dieser Stelle noch zu verzeichnen! Armonville, genannt Bonnet-Rouge, weil er nur in der phrygischen Mütze an den Sitzungen theilnahm, ein Freund Robespierre’s, der »nach Ludwig XVI. auch diesen guillotiniren lassen wollte, dem Gleichgewicht zulieb.« Massieu, der unzertrennliche Kollege des guten Bischofs Lamourette, der so ganz geschaffen war, einem berühmt gebliebenen Versöhnungskuß seinem Namen zu geben; Lehardy aus dem Morbihan, der die bretonischen Priester brandmarkte; Barère, der Mann der Majoritäten, der das Präsidium führte, als Ludwig XVI. vor den Schranken des Konvents erschien, und der zu der Pamela der Frau von Genlis in denselben Herzensbeziehungen stand wie Louvet zu Lodoïska; Daunon, welcher der Kongregation des Oratoriums angehörte und zu sagen pflegte: »Gewinnen wir nur erst Zeit«; Dubois-Crancé, mit dem Marat oft flüsterte; der Marquis von Chateauneuf, Laclos, Hérault-Séchelles, der vor Henriot mit dem Ruf zurückwich: »An die Geschütze!« Julien, der die Montagne mit den Thermopylen verglich; Gamon, der eine besondere öffentliche Tribüne für die Weiber beanspruchte; Laloy, der dem Bischof Gobel die Ehren der Sitzung zuerkannte, als dieser in den Konvent kam, um die Mitra gegen die Freiheitsmütze umzutauschen; Lecomte, der damals äußerte: »Man reißt sich ja darum, sich zu entpfaffen!« Féraud, vor dessen Kopf Boissy-d’Anglas später den Hut abzog, wodurch die offene Frage entstand: »Hat Boissy-d’Anglas den Kopf, und somit das Opfer, oder die Pike, also die Mörder, gegrüßt?« Die zwei Brüder Duprat, von denen der eine Montagnard, der andere Girondin war, und die einander haßten wie die beiden Chénier.

Von der Rednertribüne fielen zuweilen Worte von jener unabsehbaren Wirkung, von welcher der Sprechende selbst keine Ahnung hat, Worte, denen das Verhängnißvolle der Revolution innewohnt und auf die hin die materiellen Ereignisse plötzlich in’s ungehalten Leidenschaftliche umgeschlagen zu sein scheinen, als hätten sie das eben Gesagte übelgenommen; was geschieht, scheint dann aus Zorn zu geschehen über das, was gesprochen worden, und schmetternde Katastrophen brechen dann herein, wie zur Tollwuth angestachelt durch die Worte der Menschen. So genügt auf den Schneebergen oft ein Schrei, um eine Lawine in’s Rollen zu bringen, und so kann auch eine allzuscharf klingende Redensart einen Zusammensturz im Gefolge haben, der sonst ausgeblieben wäre. Oft liegt selbst in den Begebenheiten etwas persönlich Jähzorniges. Aus einem solchen Grund, weil zufällig die Aeußerung eines Redners mißverstanden wurde, fiel zum Beispiel das Haupt von Madame Elisabeth.

Im Konvent genoß die Maßlosigkeit im Ausdruck Bürgerrechte. Durch die Debatte schwirrten und kreuzten sich die Drohungen wie Funken in einer Feuersbrunst. – Robespierre, kommen Sie zur Sache! rief eines Tages Pétion. – Die Sache sind Sie, Pétion, entgegnet Robespierre; Ihnen werde ich nur zu früh zur Sache kommen. – Zur Guillotine mit Marat, schrie eine Stimme. – Am Tag, wo Marat sterben wird, antwortet dieser, wird kein Paris mehr sein, und am Tag, wo Paris sterben wird, stirbt die Republik mit. – Billaud-Varennes steht auf und sagt: Wir wollen … – Du sprichst wie ein König, unterbricht ihn Barére. – Und eines andern Tages, da Philippeaux darüber klagt, daß ein Mitglied den Degen gegen ihn gezogen, ruft Audouin: Präsident, rufen Sie den Mörder zur Ordnung! – Nur Geduld, sagt der Präsident; und Panis ruft ihm zu: Ich, Präsident, rufe jetzt Sie zur Ordnung. – Im Konvent wurde auch gelacht, derbe gelacht. – Der Pfarrer von Chant-de-Bout, berichtete einmal Lecointre, beschwert sich über Fauchet, seinen Bischof, der ihn nicht heirathen lassen will. – Ich sehe nicht ein, fährt eine Stimme dazwischen, warum Fauchet Maitressen halten darf, wenn er bei Andern keine Ehefrauen duldet. – Drauf los heirathen, ihr Priester, fällt eine zweite Stimme ein. – Die Tribünen mischen sich in die Debatte; sie dutzten die Abgeordneten. Eines Tages bestieg Nuamps die Rednerbühne, und weil die einer seiner »Hüften« viel entwickelter war als die andere, wurde ihm von oben zugerufen: – Dreh Dich doch nach rechts mit Deiner Backe à la David. – Dergleichen Freiheiten erlaubte sich das Volk im Konvent. Einmal jedoch, beim Tumult des 11. April 1793, ließ der Präsident einen Schreier auf den Tribünen verhaften.

In einer Sitzung, die der alte Buonarotti beschreibt, ergreift Robespierre das Wort und spricht volle zwei Stunden, den Blick immer auf Danton gerichtet, bald geradeaus (schon schlimm genug), bald von der Seite, was noch weit schlimmer war. Aus unmittelbarster Nähe schmettert er seine Blitze herab und schließt mit einem Ausbruch von Entrüstung voll verderbenschwangerer Anzüglichkeiten: Man kennt die Heuchler; man kennt die Verführer und die Bestochenen; man kennt die Verräther: sie sind hier in dieser Versammlung. Sie hören uns zu; wir sehen sie und wenden kein Auge von ihnen ab. Ueber ihren Häuptern erblicken sie – ja schaut hinauf, das Schwert des Gesetzes; in ihrem Gewissen – schaut nur hinein! – erblicken sie die eigene Verworfenheit. Verräther, nehmt Euch in Acht! – Robespierre bricht ab, und Danton, den Kopf zur Decke gewendet, mit halbgeschlossenen Augen und einen Arm über die Lehne der Bank hin- und herwiegend trällert zurückgeworfen zwei Verse von »Kadet Rousssel« halblaut vor sich hin:

– Verschwörer! – Mörder! – Schurke! – Rebell! – Reaktionär! Alle Verwünschungen platzten oft auf einander los; man schrie seine Anklagen wechselseitig zu der Büste des Brutus hinauf; man fuhr sich an, verfluchte, forderte sich heraus: von allen Seiten wüthende Blicke, geballte Fäuste, hervorschimmernde Pistolen, halbgezückte Dolche; weit und breit ein hundertfaches Emporflammen um die Tribüne. Einige sprachen, als lehnten sie an der Guillotine. Entsetzt und entsetzlich wogten die Köpfe hin und her, Montagnards, Girondins, Feuillants, Gemäßigte, Terroristen, Jakobiner, Cordeliers, darunter achtzehn Priester, die für den Tod des Königs gestimmt hatten, Alle in einander verschwimmend wie vorangetriebene Rauchwolken.

XI.

Es waren sturmgepeitschte Geister; der Sturm aber fuhr auf Fittigen des Wunders einher. Ein Mitglied des Konvents war eine Welle im Ozean, und das galt auch von den Größten. Die Triebkraft kam von oben her. Es herrschte im Konvent ein Gesammtwollen, das vom Wollen des Einzelnen ganz verschieden war, eine Idee, unbezwingbar und unermeßlich, die von den Höhen niedersauste durch das Dunkel, und die wir eben die Revolution nennen. Wenn diese Idee dahinstrich, warf sie den Einen zu Boden und raffte den Andern empor, ließ Diesen zu Schaum zerstieben und zerschmetterte Jenen an Felsenriffen. Sie wußte, wohin sie steuerte, diese Idee, und trieb den Abgrund vor sich her. Wenn man die Revolution für das Werk der Menschen ausgeben wollte, so müßte man auch Ebbe und Fluth für das Werk ausgeben der Wellen. Die Revolution ist eine Kraftäußerung des großen Unbekannten. Man nenne sie gut oder böse, je nachdem man die Zukunft oder die Vergangenheit herbeisehnt, aber man mache ihr den Ursprung nicht streitig. Sie scheint allerdings aus dem gemeinschaftlichen Zusammenwirken von großen Ereignissen und großen Menschen hervorgegangen, ist aber in der That lediglich die Kraftsumme der Ereignisse. Die Ereignisse geben aus; die Menschen zahlen. Die Ereignisse diktiren; die Menschen unterschreiben. So ist der 14. Juli Camille Desmoulins, der 10. August Danton, der 2. Dezember Marat, der 21. September Grégoire, der 21. Januar Robespierre gezeichnet; aber Desmoulins, Danton, Marat, Grégoire und Robespierre haben weiter nichts dabei gethan, als die Urkunden auszuschreiben. Der eigentliche gigantisch strenge Verfasser jener Geschichtsblätter heißt Gott und führt das Pseudonym Schicksal. Robespierre glaubte an einen Gott; er mußte ja wohl!

Die Revolution ist eine Erscheinungsform des immanenten Wollens in und um uns; wir nennen es die Nothwendigkeit. Vor dieser geheimnißvollen Verwickelung von Wohlthaten und Bitternissen wirft sich das Warum des Denkers auf. »Weil eben einmal«: diese Antwort des Nichtwissens ist zugleich die der Erkenntniß. Im Angesicht jener klimatischen Umwälzungen, welche die Kultur verheeren und beleben, scheut man vor einem Urtheil über das Einzelne zurück. Ob das Ergebniß die Menschen tadeln oder loben, heißt ungefähr so viel, als man würde die Zahlen ihrer Summe wegen loben oder tadeln. Was vorbeistürmen muß, stürmt eben vorbei. Die hehre Ewigkeit wird durch diese Windstöße nicht berührt, und Wahrheit und Gleichgewicht bleiben über den Revolutionen stehen wie der Sternenhimmel über dem Orkan.

XII.

Das war jener unermeßliche Konvent; eine von allen Finsternissen auf ein Mal berannte Schanze der Menschheit, das nächtliche Lagerfeuer eines belagerten Heers von Gedanken, eine ungeheuere Feldwache der Geister am Rand eines Abgrunds. Nichts läßt sich in der Geschichte zusammenhalten mit jener Versammlung von Männern, die zu gleicher Zeit Senat war und Pöbel, ein Konklave und ein Auflauf, ein Areopag und eine Agora, Richter und Angeklagter. Der Konvent hat sich stets beugen müssen unter dem Sturmhauch, aber es war auch ein Sturm ausgehaucht vom Mund des Volks, der Athemzug Gottes. Und heute, nach achtzig Jahren, wenn der Konvent vor dem Seelenspiegel eines Menschen auftaucht, gleichviel vor welchem, gleichviel ob Historiker oder Philosoph – der Mensch bleibt stehen und verliert sich im Betrachten. Die große Geisterkarawane unbeachtet vorüberziehen zu lassen, ist ein Ding der Unmöglichkeit.

II.

Marat hinter den Coulissen

Am Tage nach der Zusammenkunft in der Rue du Paon, verfügte sich Marat, wie er es Simonne Evrard schon zu wissen gethan hatte, in den Konvent. Bekanntlich gab es dort einen maratistischen Marquis, Louis von Montaut, derselbe, der später dem Konvent eine Dezimaluhr schenkte mit der Büste von Marat. Im Augenblick, wo dieser eintrat, war Chabot auf Montaut zugegangen: Ex-Marquis, sagte er… Montaut schaute auf: Weshalb nennst Du mich Ex-Marquis ?

– Weil dem so ist.

– Was?

– Du warst doch Marquis.

– Niemals.

– Unsinn!

– Mein Vater war ein Soldat, mein Großvater ein Weber.

– Was faselst Du da, Montaut?

– Ich heiße nicht Montaut.

– Wie denn sonst?

– Maribon heiße ich.

– Mir, sagte Chabot, kann’s eigentlich gleich sein. Und er brummte noch zwischen den Zähnen: Man reißt sich förmlich drum, kein Marquis zu sein.

Marat war in dem Durchgang links stehen geblieben und betrachtete Montaut und Chabot.

Jedes Eintreten von Marat rief ein Gemurmel hervor, doch nur in der Entfernung: in seiner Nähe wurde geschwiegen. Dergleichen bemerkte Marat gar nicht; er verachtete »das Quaken des Sumpfes.«

Im Halbschatten der untern obskuren Bänke wurde mit dem Finger auf ihn gedeutet: Bei Coupé vom Departement Oise, Prunelle, Villars, einem Bischof, der später Akademiker wurde, Boutroue, Petit, Plaichard, Bonet, Thibeaudeau, Valdruche, hieß es:

– Sieh da! Marat. – Er ist also nicht krank? – Doch, weil er einen Schlafrock an hat. – Ja, einen Schlafrock! – Wahrhaftig! – Alles nimmt er sich heraus! – Die Frechheit, so im Konvent zu erscheinen! – Kam er schon einmal im Lorbeerkranz, so mag er auch im Schlafrock kommen! – Kupfergesicht mit Grünspanzähnen. – Ein neuer Schlafrock, will mir scheinen. – Was für ein Stoff? – Reps. – Gestreift. – Sehen Sie nur die Aufschläge. – Pelz. – Tigerpelz. – Nein, Hermelin. – Aber falsch. – Und Strümpfe hat er an! – Sonderbar. – Und Schnallen an den Schuhen. – Von Silber! – Das werden ihm die Holzschuhe von Camboulas nie verzeihen.

Auf andern Banken befliß man sich eines gesuchten Uebersehens und sprach von andern Dingen: Wissen Sie schon, Dusfaulx? begann Santhonac.

– Was? – Vom Ex-Grafen von Brienne? – Der mit dem Ex-Herzog von Villeroy in la Force gesessen hat? – Ja, der. – Ich habe sie Beide gekannt. Nun? – Sie waren so voller Angst, daß sie die rothe Mütze jedes Gefangenwärters grüßten und sich eines Tags vor einer Partie Piquet sträubten, weil man ihnen ein Spiel Karten mit Königen und Damen gegeben hatte. – Nun und? – Gestern sind sie guillotinirt worden. – Beide? – Beide. – Wie haben Sie sich im Kerker durchweg benommen? – Feig. – Und auf der Guillotine? – Mehr als tapfer. – Sterben ist eben leichter als leben, warf Dussaulx vor sich hin.

Barère verlas gerade einen Bericht über die Vendée. Neunhundert Mann aus dem Morbihan seien mit Artillerie ausgerückt, um Nantes zu decken. Redon sei von den Bauern bedroht, Paimboeuf bereits angegriffen. Von Maindrain aus kreuzten Kriegsschiffe, um eine Landung zu verhüten. Von Ingrande bis Maure strotzte das ganze linke Loire-Ufer von royalistischen Batterien. Dreitausend Bauern hielten Pornic besetzt und riefen »Vivat England!« Ein Brief von Santerre an den Konvent, den Barère mittheilte, schloß mit den Worten: »Siebentausend Bauern haben Vannes überfallen; wir haben sie zurückgeschlagen und ihnen vier Geschütze abgenommen…«

– Und wie viel Gefangene, unterbrach eine Stimme.

– Barère fuhr fort:

– Nachschrift des Briefes: »Gefangene haben wir nicht, denn wir machen keine Gefangenen mehr.«

Marat stand immer noch unbeweglich und hörte nicht zu: er schien einem düstern Gedanken nachzuhängen; er zerknitterte ein Papier, das er zwischen den Fingern hielt und auf dem, wenn man es hätte entfalten können, folgende Zeilen von Momoro’s Hand zu lesen waren, wahrscheinlich als Antwort auf eine Anfrage von Marat: »Gegen die Omnipotenz der abgeordneten Kommissäre ist nicht aufzukommen, namentlich gegen die der Kommissäre des Wohlfahrtsausschusses. Wenn Génissieur in der Sitzung vom 6. Mai auch betont hat, daß jeder Kommissär unumschränkter herrscht als ein König, geändert ward an der Sache nichts. Sie entscheiden über Leben und Tod. Massade in Angers, Frullard in Saint-Amand, Nyon bei General Marcé, Parrein bei der Armee von les Sables, Millier bei der Armee von Niort sind geradezu allmächtig. Der Jakobinerklub ist so weit gegangen, Parrein zum Brigadechef zu ernennen. Alles wird auf die Umstände geschoben und ein Kommissär des Wohlfahrtsausschusses hält einen kommandirenden General in Schach.«

Nun steckte Marat das zerknitterte Papier in die Tasche und ging langsam auf Montaut und Chabot zu, welche ihn nicht bemerkt hatten und weitersprachen.

Chabot sagte: Maribon oder Montaut, paß auf: just komme ich aus dem Wohlfahrtsausschuß. – Und was treiben sie dort? – Sie lassen einen Adeligen überwachen durch einen Priester. – So? – Einen Adeligen wie Du … – Ich bin kein Adeliger, wiederholte Montaut. – Durch einen Priester. – Wie Du. – Ich bin kein Priester, entgegnete Chabot.

Und Beide mußten lachen.

– Laß hören wo und wer, sagte Montaut.

– Es verhält sich so: Ein Priester Namens Cimourdain ist mit unumschränkter Vollmacht zu einem gewissen Vikomte Gauvain abgeordnet. welcher Vikomte die Streifkolonne der Küstenarmee befehligt. Es soll verhütet werden, daß der Adelige falsch spielt und daß der Priester verräth.

– Nichts ist leichter, erwiderte Montaut, man braucht nur den Tod mitreden zu lassen.

– Gerade deshalb bin ich hier, fiel Marat ein.

Die Beiden schauten auf:

– Guten Tag, Marat, sagte Chabot; Du kommst selten in unsere Sitzungen.

– Mein Arzt verordnet mir Bäder, antwortete Marat.

– Den Bädern ist nicht zu trauen, meinte Chabot; Seneca ist in einem Bad gestorben.

Marat lächelte: – Hier, Chabot, haben wir keinen Nero.

– Dich haben wir, sagte eine derbe Stimme. Es war Danton, der vorbeiging, um zu seinem Platz zu steigen.

Marat wendete sich nicht um. Er streckte den Kopf vor und raunte den Beiden zu: Hört einmal, ich bin in einer ernsten Angelegenheit da; es muß Einer von uns heut einen Antrag stellen im Konvent.

– Nicht ich, sagte Montaut; auf mich hört man nicht; ich bin ein Marquis.

– Auf mich, sagte Chabot, hört man nicht; ich bin ein Kapuziner.

– Und auf mich, sagte Marat, hört man auch nicht; ich bin Marat.

Alle Drei schwiegen. Marat anzureden, wenn er über etwas nachsann, war kaum gerathen. Nichtsdestoweniger erlaubte sich Montaut die Frage:

– Was denn soll beantragt werden, Marat?

– Todesstrafe für jeden Befehlshaber, der einem gefangenen Rebellen zur Freiheit verhilft.

– Giebt’s schon, bemerkte Chabot, die Verordnung besteht seit Ende April.

– Dann besteht sie so gut wie nicht, sagte Marat. Ueberall, in der ganzen Vendée, hat man’s darauf abgesehen, die Gefangenen laufen zu lassen, und die Hehlerei geht straflos aus.

– Die Verordnung ist eben in Vergessenheit gerathen, Marat.

– Chabot, man muß sie wieder in Wirksamkeit setzen.

– Allerdings.

– Und demgemäß im Konvent sprechen.

– Den Konvent, Marat, brauchen wir nicht; der Wohlfahrtsausschuß thut’s auch.

– Der Zweck ist schon erreicht, fügte Montaut hinzu, wenn der Wohlfahrtsausschuß die Verordnung in allen Gemeinden der Vendée anschlagen läßt und zwei oder drei Mal Ernst macht.

– Mit vornehmen Köpfen, stimmte Chabot ein, mit Generalen.

– In der That, brummte Marat, das wird hinreichen.

– Gehe Du selber hin, Marat, meinte Chabot, und sage das dem Wohlfahrtsausschuß.

Marat sah ihm in beide Augen, was keineswegs angenehm war, sogar für Chabot:

– Chabot, sprach er, der Wohlfahrtsausschuß, das heißt so viel wie Robespierre; zu Robespierre gehe ich nicht.

– So will ich denn gehen, sagte Montaut.

– Gut, antwortete Marat.

Tags darauf wurde vom Wohlfahrtsausschuß an alle Munizipalbehörden der Vendée der Befehl erlassen, für allgemeine Verbreitung und strenge Ausführung des Dekrets Sorge zu tragen, welches die Mitschuld am Entweichen gefangener Räuber und Rebellen mit dem Tod bestrafte.

Jenes Dekret war übrigens nur der erste Schritt zu weiteren Maßregeln. Einige Monate später, am 11. Brumaire des Jahres Zwei (November 93), in Anbetracht, daß Laval die fliehenden Vendéer aufgenommen, verhängte der Konvent über jede Stadt, welche den Rebellen ein Obdach gewähren würde, gänzliche Zerstörung.

Ihrerseits hatten die Fürsten Europa’s im Manifest des Herzogs von Braunschweig, der vom Haushofmeister des Herzogs von Orleans, Marquis von Linnon, zu Papier gebrachten Gesinnungsäußerung der Emigranten, erklärt, jeder unter den Waffen ergriffene Franzose werde standrechtlich erschossen und Paris, falls man dem König auch nur ein Haar krümmen sollte, der Erde gleichgemacht werden.

Wildheit gegen Barbarei.

  1. Ein Wortspiel: »Leboeuf sah Legendre und brüllte.« Le boeuf heißt aber wörtlich der Ochs; Legendre war Schlächter; folglich hatte der Vers auch den Sinn: »Der Ochs sah den Schlächter und brüllte.«