Elftes Kapitel.

Es war am dritten Tage nach Torpenhows Rückkehr, Das Herz war ihm schwer.

»Wollen Sie damit sagen, daß Sie ohne Whisky nicht mehr bei der Arbeit sehen können? Gewöhnlich ist das Gegenteil der Fall.«

»Kann ein Trinker bei seiner Ehre schwören?« fragte Dick.

»Ja, wenn er ein so tüchtiger Mann gewesen ist wie Sie.«

»Dann gebe ich Ihnen mein Ehrenwort,« sagte Dick, rasch seine ausgetrockneten Lippen bewegend. »Alter Herr, ich kann jetzt kaum Ihr Gesicht sehen, Sie haben mich während zwei Tagen nüchtern gehalten, – wenn ich überhaupt je betrunken war, – und ich habe nichts arbeiten können. Halten Sie mich nicht länger zurück, denn ich weiß nicht, wann meine Augen erlöschen. Die Flecken und Punkte sowie die Schmerzen quälen mich ärger als je. Ich schwöre Ihnen zu, daß ich alles ganz vortrefflich sehen kann, wenn ich – wenn ich mäßig aufgewunden bin, wie Sie es nennen. Geben Sie mir noch drei Sitzungen mit Bessie, sowie allen Stoff, dessen ich bedarf, und das Bild wird fertig sein. Ich kann mich nicht in drei Tagen töten; es bedeutet nur einen Anfall von D. T. (Delirium tremens) schlimmsten Falles.«

»Wenn ich Ihnen drei Tage gestatte, wollen Sie mir dann versprechen, mit jeder Arbeit aufzuhören und dem andern Dinge, ob das Bild nun fertig ist oder nicht?«

»Ich kann es nicht. Sie wissen gar nicht, welche Bedeutung dieses Bild für mich hat. Aber natürlich könnten Sie Nilghai zu Ihrem Beistande nehmen, mich zu Boden schlagen und festbinden. Ich würde gewiß nicht wegen des Whisky kämpfen, wohl aber für meine Arbeit.«

»Nun, dann machen Sie weiter. Ich gebe Ihnen drei Tage, aber Sie brechen mir fast das Herz.«

Dick kehrte zu seiner Arbeit zurück, wie ein Besessener sich abmühend; der gelbe Teufel des Whisky stand neben ihm und verjagte die Punkte vor seinen Augen. Die Melancholie war fast vollendet und alles, oder doch beinah‘ alles geworden, was er gehofft hatte. Dick scherzte mit Bessie, die ihn daran erinnerte, daß er »eine betrunkene Bestie« wäre; aber der Vorwurf berührte ihn gar nicht.

»Sie können das nicht begreifen, Beß. Wir sind nun in Sicht von Land und werden bald still liegen und über das nachdenken, was wir gemacht haben. Wenn das Bild fertig ist, will ich Ihnen die Bezahlung für drei Monate geben, und nächstens, wenn ich wieder eine Arbeit vorhabe – aber das gehört nicht hieher. Wird das Geld für drei Monate Sie bewegen, mich weniger zu hassen?«

»Nein, das wird es nicht! Ich hasse Sie und werde Sie stets hassen, Mr, Torpenhow wird nie mehr mit mir sprechen. Er ist immer beschäftigt, Karten und rot eingebundene Bücher durchzusehen.«

Bessie sagte nicht, daß sie Torpenhow von neuem in Belagerungszustand versetzt hatte, noch daß er, am Schlusse ihrer leidenschaftlichen Bitten, sie aufgehoben, ihr einen Kuß gegeben und sie vor die Thür gesetzt hatte, mit dem Bemerken, sie möchte doch nicht eine kleine Närrin sein. Den größten Teil seiner Zeit verbrachte er in der Gesellschaft von Nilghai in Gesprächen über den in nächster Zeit stattfindenden Krieg, das Mieten von Transportschiffen und heimliche Vorbereitungen auf den Werften. Er wollte Dick nicht eher sehen, als bis das Bild vollendet sei.

»Er macht eine Arbeit ersten Ranges,« sagte er zu Nilghai; »dieselbe liegt gänzlich außerhalb seines bisherigen Genres. Aber ihretwegen allein trinkt er so infernalisch.«

»Thut nichts. Lassen Sie ihn mir allein. Wenn er wieder zur Vernunft gekommen ist, wollen wir ihn von hier fortbringen und ihn frische Luft einatmen lassen. Armer Dick! Ich beneide Sie nicht, Torp, wenn seine Augen erloschen sind.«

»Ja, es wird ein Fall sein von ›Gott helfe dem Manne, der an unsern Davie angekettet ist.‹ Das Schlimmste ist, daß wir nicht wissen, wann es geschehen wird; ich glaube, daß diese Ungewißheit, sowie die Erwartung mehr als alles übrige den armen Dick zum Whiskytrinken gebracht haben.«

»Wie würde der Araber grinsen, der ihm den Kopf eingeschlagen, wenn er das wüßte!«

»Er hat vollkommen Freiheit, zu grinsen, wenn er kann; er ist tot. Das ist jetzt ein armseliger Trost.«

Am Nachmittage des dritten Tages hörte Torpenhow, wie Dick nach ihm rief. »Alles fertig!« sagte er. »Ich habe es zu stande gebracht! Kommen Sie herein! Ist sie nicht eine Schönheit? Ist sie nicht lieb? Ich bin in die Hölle hinunter gestiegen, um sie zu erlangen; aber ist sie es nicht wert?«

Torpenhow erblickte den Kopf einer Frau, die lachte, einer Frau mit üppigen Lippen, hohläugig, die aus der Leinwand hervorlachte, wie Dick es beabsichtigt hatte.

»Wer lehrte Sie das zu malen?« rief Torpenhow aus. »Der Pinselstrich und das Sujet haben nichts zu schaffen mit Ihren bisherigen Arbeiten. Was für ein Gesicht das ist! Welche Augen und welche Unverschämtheit!« Unwillkürlich bog er seinen Kopf zurück und lachte der Frau zu. »Sie hat eingesehen, daß das Spiel vorbei ist, – ich glaube nicht, daß sie gute Zeiten davon gehabt hat, und jetzt macht sie sich nichts mehr daraus. Ist das nicht Ihre Idee?«

»Genau so.«

»Woher nahmen Sie den Mund und das Kinn? Dieselben gehören nicht Bessie.«

»Sie sind – von irgend jemand anderem. Aber ist es nicht gut? Ist es nicht verteufelt gut? War es nicht all des Whiskys wert? Ich habe es gemalt, ich ganz allein; es ist das Beste, was ich malen kann!« Er holte tief Atem und flüsterte: »Gerechter Gott! Was könnte ich nicht in zehn Jahren leisten, wenn ich das jetzt malen kann! Beiläufig, was halten Sie davon, Beß?«

Das Mädchen biß sich auf die Lippen. Sie war wütend auf Torpenhow, weil er gar keine Notiz von ihr genommen hatte.

»Ich denke, es ist gerade das abschreckendste, scheußlichste Ding, das ich jemals gesehen,« antwortete sie und wandte sich ab.

»Mehr, als Sie glauben, junges Weib. – Dick, es liegt in der Haltung des Kopfes eine Art von mörderischem, eigenartigem Ausdruck, den ich nicht verstehe,« sagte Torpenhow.

»Das ist ein Kunstgriff,« erwiderte Dick, kichernd vor Freude, daß er so vollständig verstanden worden. »Ich konnte einer kleinen Prahlerei nicht widerstehen. Es ist ein französischer Kunstgriff, den Sie nicht verstehen würden; aber man bringt ihn hervor, indem man rund um den Kopf eine Kleinigkeit drapirt und eine ganz geringe Verkürzung an einer Seite des Gesichts macht, von der Ecke des Kinnes bis zur Spitze des linken Ohres. Das und die Vertiefung des Schattens unter dem Ohrläppchen bilden den ganzen Kniff. Es ist ein offenbarer Kunstgriff; nachdem ich indes einmal die ganze Idee fest in mir aufgenommen, hielt ich mich berechtigt ihn anzuwenden. – O, du Schönheit!«

»Amen! Sie ist eine Schönheit. Ich fühle es.«

»So wird jedermann fühlen, der irgendwie Kummer hat,« sagte Dick, sich auf den Schenkel schlagend.

»Er wird dort seine Sorge erblicken und, bei Lord Harry, gerade, wenn er sich besonders kummervoll fühlt, sein Haupt zurückwerfen und lachen – wie sie lacht. Ich habe das Leben meines Herzens und das Licht meiner Augen in sie hineingelegt und kümmere mich nicht um das, was kommen wird. Ich bin erschöpft, furchtbar erschöpft und will mich schlafen legen. Nehmen Sie den Whisky fort, er hat ausgedient, und geben Sie Bessie sechsunddreißig Sovereigns und drei dazu auf gutes Glück. Decken Sie das Bild zu.«

Er fiel sofort auf der Chaiselongue in Schlaf, beinahe bevor er ausgesprochen hatte; sein Gesicht war ganz weiß und verstört, Bessie versuchte, Torpenhows Hand zu erfassen. »Werden Sie nie wieder mit mir sprechen?« fragte sie; doch Torpenhow blickte nur auf Dick.

»Was für eine gewaltige Eitelkeit der Mann besitzt! Ich will mich morgen seiner annehmen und viel aus ihm machen. Er verordnet es. – Eh! Was war das, Bessie?«

»Nichts. Ich will die Sachen hier etwas aufräumen und dann gehen. Sie konnten mir wohl die Bezahlung für drei Monate nicht jetzt gleich geben, wie? Er sagte, Sie sollten es thun.«

Torpenhow gab ihr einen Check und ging in sein eigenes Zimmer. Bessie räumte getreulich das Atelier auf, öffnete die Thür halb, um leichter entfliehen zu können, goß eine halbe Flasche Terpentin auf einen Wischlappen und fing an, das Gesicht der Melancholie damit abzureiben. Die Farbe wurde nicht rasch genug flüssig; sie nahm daher ein Palettemesser und kratzte die Farbe ab, jedem Strich mit dem feuchten Wischlappen folgend. In fünf Minuten war das Bild ein formloser, zusammengekratzter Schlamm von Farben geworden. Darauf warf sie den mit Farbe beschmierten Wischlappen in den Herd, streckte gegen den Schläfer ihre Zunge aus und flüsterte: »Angeführt!« worauf sie die Treppe hinunterlief. Sie wollte Torpenhow niemals wieder sehen, aber sie hatte wenigstens dem Manne Schaden zugefügt, der zwischen sie und ihr Verlangen getreten war und gewöhnlich seinen Scherz mit ihr getrieben hatte. Das Einkassiren des Checks war der Gipfelpunkt des Spasses für Bessie. Darauf segelte der kleine Freibeuter über die Themse und verschwand in der grauen Wildnis der Straßen südlich des Flusses.

Dick schlief bis spät in den Abend hinein, als Torpenhow ihn ins Bett schleppte. Seine Augen waren so klar, wie seine Stimme heiser klang. »Lassen Sie mich noch einmal das Bild ansehen,« sagte er bittend wie ein Kind.

»Sie gehen zu Bett,« entgegnete Torpenhow. »Sie befinden sich durchaus nicht wohl, obschon Sie es selbst kaum wissen mögen. Sie sind so herunter wie ein Kater.«

»Ich erhole mich schon bis morgen. Gute Nacht.«

Als er durch das Atelier zurückging, hob Torpenhow das Tuch über dem Bilde auf und hätte sich beinahe durch einen lauten Aufschrei verraten. »Ausgewischt! ausgekratzt und mit Terpentin abgewaschen! Wenn Dick das heute nacht erführe, würde er vollständig verrückt werden. Er ist so wie so schon am Rande des Abgrundes. Das ist Bessie gewesen – der kleine Teufel! Nur ein Weib hätte das thun können! Noch dazu während die Tinte auf dem Check noch naß war! Dick wird morgen wahnsinnig vor Wut sein. Ich allein bin daran schuld, weil ich versucht habe, Straßendirnen beizustehen. O, mein armer Dick, Gott schlägt Dich wirklich schwer!«

Dick konnte in jener Nacht nicht schlafen, teils aus reiner Freude und teils weil die ihm wohlbekannten Feuerräder in seinen Augen vielfarbigen berstenden Vulkanen Platz gemacht hatten. »Speit nur zu!« sagte er laut. »Ich habe mein Werk vollbracht, ihr könnt jetzt thun, was euch beliebt.« Er lag still, starrte auf die Zimmerdecke, während das lange zurückgehaltene Delirium des Trinkens in seinen Adern glühte, sein Gehirn in Flammen stand mit sich jagenden Gedanken und seine ausgetrockneten Hände sich ballten. Es kam ihm gerade so vor, als ob er das Gesicht der Melancholie aus einer sich drehenden Kuppel malte, die mit Millionen von Lichtern besät war, und alle diese wunderbaren Gedanken verkörpert viele hundert Fuß unterhalb seines schwachen schwankenden Brettes ständen, ihm zu Ehren einander zurufend, als etwas im Innern seiner Schläfe zerbarst, wie eine zu sehr angestrengte Sehne, während die glänzende Kuppel zusammenstürzte und er sich allein in dichter Finsternis befand.

»Ich will versuchen zu schlafen. Das Zimmer ist ganz dunkel. Wir wollen eine Lampe anzünden und sehen, wie die Melancholie aussieht. Es muß Mondschein sein.«

Darauf hörte Torpenhow, wie eine Stimme, die er in den polternden Tönen der Todesangst nicht erkannte, seinen Namen rief.

»Er sieht das Bild an,« war sein erster Gedanke, als er in das Schlafzimmer eilte, wo er Dick aufrecht sitzend und in der Luft mit den Händen umherschlagend fand.

»Torp! Torp! Wo sind Sie? Aus Mitleid, bitte, kommen Sie zu mir!«

»Was gibt es?«

Dick klammerte sich an seine Schulter an. »Was es gibt! Ich habe hier stundenlang im Finstern gelegen und Sie hörten mich nicht. Torp, alter Freund, gehen Sie nicht fort. Ich befinde mich ganz im dunkeln – im dunkeln sage ich Ihnen!«

Torpenhow hielt die Kerze einen Fuß von Dicks Augen, doch in diesen war kein Licht vorhanden. Er zündete das Gas an, und Dick hörte die Flamme knistern. Der Griff seiner Finger auf Torpenhows Schulter ließ diesen zusammenzucken.

»Verlassen Sie mich nicht. Sie wollen mich jetzt nicht allein lassen, nicht wahr? Ich kann nichts sehen. Verstehen Sie wohl? Es ist alles schwarz – ganz schwarz – und ich habe ein Gefühl, als ob ich tief hinunter fiele.«

»Standhaft, Freund!« Torpenhow legte seinen Arm um Dick und begann ihn sanft hin und her zu schaukeln.

»Das thut gut. Sprechen Sie jetzt nicht. Wenn ich mich eine Zeit lang ganz ruhig verhalte, wird die Dunkelheit aufhören. Es scheint gerade so, als ob sie dazu im Begriff wäre. Still!« Dick runzelte die Augenbrauen und starrte verzweiflungsvoll vor sich hin. Die Nachtluft erstarrte Torpenhows Füße.

»Können Sie eine Minute so bleiben?« fragte er. »Ich will meinen Hausrock und ein paar Pantoffeln anziehen.«

Dick umklammerte das Kopfende des Bettes mit beiden Händen und wartete, daß die Dunkelheit verschwinden würde. »Wie lange Sie fort gewesen sind!« schrie er, als Torpenhow zurückkehrte. »Es ist noch so schwarz wie vorhin. Womit stoßen Sie denn gegen die Thür?«

»Eine Chaiselongue, – eine Pferdedecke, – ein Kissen. Ich will bei Ihnen schlafen. Legen Sie sich jetzt nieder; am Morgen wird Ihnen besser sein.«

»Nein, das werde ich nicht!« Die Stimme erhob sich zu einem Jammern. »Mein Gott! Ich bin blind! Ich bin blind, und die Finsternis wird niemals aufhören!«

Er that so, als ob er aus dem Bett springen wollte, doch Torpenhow legte seine Arme um ihn, während sein Kinn auf Dicks Schulter ruhte, der nur das Wort »blind« keuchen und sich schwach hin und her bewegen konnte.

»Standhaft, Dickie, standhaft!« sagte die tiefe Stimme ihm ins Ohr, wahrend Torp ihn fester umfaßte. »Beißen Sie auf die Kugel, alter Freund, und lassen Sie die Leute nicht denken, daß Sie sich fürchten.« Dabei mußte er ihn immer fester fassen, so daß beide Männer schwer atmeten. Dick warf seinen Kopf von einer Seite zur andern und stöhnte.

»Lassen Sie mich los,« keuchte er. »Sie drücken nur die Rippen ein. Wir – wir müssen sie nicht glauben lassen, daß wir uns fürchten, – müssen wir – die ganze Macht der Finsternis und dieses Schicksal?«

»Legen Sie sich nieder. Es ist jetzt alles vorüber.«

»Ja,« sagte Dick gehorsam »Doch würden Sie mir wohl erlauben, Ihre Hand festzuhalten? Ich habe das Gefühl, als ob ich mich an irgend etwas festhalten müßte. Man fällt so tief durch die Finsternis.«

Torpenhow reichte ihm von der Chaiselongue aus seine Hand hinüber, die Dick fest umklammerte und nach einer halben Stunde einschlief. Torpenhow zog seine Hand zurück, beugte sich über Dick und küßte ihn sanft auf die Stirn, wie Männer wohl mitunter emen verwundeten Kameraden in seiner Todesstunde küssen, um ihm das Scheiden zu erleichtern. In der grauen Morgendämmerung hörte Torpenhow, wie Dick mit sich selbst sprach. Er trieb auf den uferlosen Fluten des Deliriums und sprach sehr schnell.

»Es ist ein Jammer – ein großer Jammer; aber es ist nicht zu ändern und muß gegessen werden, Master George. Die Blindheit allein genügt schon hinreichend, deshalb ist es offenbar notwendig, alle Melancholie und verkehrten Ansichten beiseite zu lassen, wie zum Beispiel die war, daß die Königin nicht unrecht thun könne. Torp weiß das nicht; ich werde es ihm erzählen, wenn wir etwas weiter in die Wüste gelangt sind. Was für eine Pfuscherei machen diese Bootsleute mit den Dampfertauen! In einer Minute werden sie eine vierzöllige Trosse durchgerieben haben. Ich sagte es Ihnen ja – da geht er hin! Weißer Schaum auf grünem Wasser, während der Dampfer herum wendet. Wie gut das aussieht! Ich will ihn zeichnen. Nein, ich kann nicht. Ich leide an einer Augenentzündung. Das war eine von den zehn Plagen Aegyptens und erstreckt sich sogar auf den Nil in Gestalt von Katarakten. Ja, das ist ein Spaß, Torp! Lache doch, Du feierliches Gesicht, und halte Dich klar von der Trosse … Sie wird Dich ins Wasser schleudern und Deine Kleider schmutzig machen, teure Maisie.«

»O!« sagte Torpenhow. »Das ereignete sich früher, in jener Nacht auf dem Strome.«

»Sie wird gewiß sagen, es sei meine Schuld, wenn Du voll Schlamm wirst, und Du bist nun nahe genug bei dem Wellenbrecher. Maisie, das ist nicht schön. Ah! Ich wußte ja. Du würdest vorbeischießen. Niedrig und nach links halten, Liebling. Aber Du hast keine Ueberzeugung, alles auf der Welt, nur keine Ueberzeugung. Werde doch nicht ärgerlich, Teuerste. Ich würde mir die Hand abhacken, wenn das Dir etwas anderes als diesen Eigensinn geben könnte. Meine rechte Hand, wenn es nützen würde.«

»Jetzt dürfen wir nicht horchen. Hier ist eine Insel, über Meere von Mißverständnissen nach Rache rufend. Aber sie ruft die Wahrheit, denke ich,« sagte Torpenhow. Das Schwatzen wurde fortgesetzt. Es bezog sich alles auf Maisie. Mitunter sprach Dick weitläufig über seine Kunst, dann verfluchte er sich selbst wegen seiner Thorheit, ein solcher Sklave zu sein. Er bat Maisie um einen Kuß – nur einen einzigen Kuß – bevor sie fortginge, und forderte sie auf, von Vitry-sur-Marne zurückzukehren; doch zwischen all seiner Raserei rief er Himmel und Erde zum Zeugen an, daß die Königin nicht unrecht thun könne.

Torpenhow hörte aufmerksam zu und erfuhr jede Einzelheit aus Dicks Leben, die ihm bisher verborgen geblieben. Drei Tage lang phantasirte Dick in dieser Weise über Vorgänge in seinem Leben, dann fiel er in einen natürlichen Schlaf.

»Was für Aufregungen hat der arme Kerl durchgemacht!« sagte Torpenhow. »Dick, von allen Männern sich wie ein Hund hingebend, wahrend ich ihn wegen Anmaßung heruntermachte! Ich hätte wissen müssen, daß es nichts nützt, einen Mann zu verurteilen. Doch ich that es. Was für ein Dämon muß dieses Mädchen sein! Dick hat ihr sein Leben gegeben – hol sie der Henker! – und sie hat ihm augenscheinlich nur einen Kuß gegeben.«

»Torp,« sagte Dick vom Bett aus, »gehen Sie aus und machen Sie einen Spaziergang, Sie sind hier zu lange gewesen. Ich will aufstehen. Ha! ist das verdrießlich; ich kann mich nicht selbst ankleiden. O, es ist zu albern!«

Torpenhow half ihm in die Kleider und führte ihn zu dem großen Sessel im Atelier. Er saß ruhig da und wartete mit angespannten Nerven, daß die Finsternis weichen möchte. Weder an jenem Tage noch in den nächsten wich dieselbe. Dick wagte einen Rundgang längs den Wänden. Er stieß seine Schienbeine gegen den Ofen, was ihn auf die Idee brachte, auf allen Vieren zu kriechen und eine Hand vor sich auszustrecken. Torpenhow fand ihn so auf dem Fußboden.

»Ich versuche, die Geographie meiner neuen Besitzungen kennen zu lernen,« sagte Dick. »Erinnern Sie sich des Negers, dem Sie in dem Carré das Auge ausdrückten? Schade, daß Sie das Auge nicht behalten haben; es würde nun von Nutzen sein. Sind Briefe für mich da? Geben Sie mir alle in dicken grauen Couverts mit einer Art von Krone auf der Außenseite. Sie sind nicht wichtig.«

Torpenhow gab ihm einen Brief mit einem schwarzen »M« auf dem Umschlage. Dick steckte denselben in die Tasche. Es stand nichts in dem Briefe, was Torvenhow nicht hätte lesen können, doch er gehörte ihm und Maisie, die ihm niemals gehören würde.

»Wenn sie sieht, daß ich nicht schreibe, so wird sie aufhören, mir zu schreiben. Es ist besser so. Ich kann ihr jetzt von gar keinem Nutzen sein,« dachte Dick, wahrend er die Versuchung fühlte, sie seinen Zustand wissen zu lassen. Jeder Nerv in ihm widersetzte sich. »Ich bin bereits tief genug gefallen und will nicht um Mitleid betteln. Außerdem würde es grausam gegen sie sein.«

Er bemühte sich, nicht mehr an Maisie zu denken; aber die Blinden haben vielfache Gelegenheiten, nachzudenken, und als in den langen unthätigen Tagen seine Kraft zurückkehrte, wurde Dicks Seele bis ins Innerste erregt. Ein zweiter und ein dritter Brief von Maisie trafen ein; dann folgte Schweigen, und Dick saß am Fenster, zu dem die warme Sommerluft hereindrang, und malte sich aus, wie ein anderer Mann, kräftiger als er, sie gewann. Seine Phantasie, um so kühner je finsterer der Hintergrund war, gegen den sie ankämpfte, ersparte ihm kein einziges Detail, das ihn rasend im Atelier auf und ab jagte, sich an dem Ofen stoßend, der an vier Stellen zugleich sich zu befinden schien. Das Schlimmste von allem war, daß ihm in der Dunkelheit der Tabak nicht schmeckte. Die Anmaßung des Mannes war verschwunden; an ihre Stelle war die Verzweiflung getreten, die Torpenhow kannte, und blinde Leidenschaft, die Dick in der Nacht seinem Kopfkissen anvertraute. Die Pausen zwischen den Ausbrüchen wurden ausgefüllt durch unerträgliches Warten und die Last unerträglicher Finsternis.

»Kommen Sie hinaus in den Park,« sagte Torpenhow. »Sie sind nicht draußen gewesen, seitdem die Geschichte angefangen hat.«

»Was hat das für einen Zweck? Im Dunkeln gibt es keine Bewegung; und außerdem –« er zögerte unentschlossen oben auf der Treppe, »wird irgend etwas mich umrennen.«

»Nicht, wenn ich bei Ihnen bin. Nur mutig vorwärts.« Der Lärm in den Straßen verursachte Dick nervösen Schrecken, so daß er sich fest an Torpenhows Arm anklammerte. »Es ist, als ob man mit dem Fuße nach einer Gosse fühlen müßte!« sagte er verdrießlich, als er in den Park eintrat. »Lassen Sie uns Gott verfluchen und sterben.«

»Den Schildwachen ist es verboten, unberechtigte Honneurs zu machen. Dort kommen die Garden!«

Dicks Gesicht wurde straff. »Lassen Sie uns näher heran gehen und sie betrachten. Gehen wir auf dem Grase vorwärts, ich kann die Bäume riechen.«

»Nehmen Sie sich vor der niedrigen Einfassung in acht. So ist es gut!« Torpenhow riß ein Büschel Gras aus und sagte: »Riechen Sie daran; ist es nicht gut?« Dick sog begierig den Duft ein. »Jetzt heben Sie Ihre Füße auf und laufen Sie.«

Sie näherten sich dem Regimente soweit es möglich war. Dicks Nasenflügel zitterten beim Klirren der Bajonette, die nicht aufgesteckt waren.

»Lassen Sie uns noch näher herangehen. Sie sind in Kolonne, nicht wahr?«

»Ja. Wie wissen Sie das?«

»Ich fühle es. O, meine Burschen! – meine schönen Burschen!« Er drängte vorwärts, als ob er sehen könne. »Ich könnte diese Leute sofort zeichnen. Wer wird sie jetzt zeichnen?«

»Sie werden in einer Minute abmarschiren. Erschrecken Sie nicht, wenn die Musik beginnt.«

»Ha! Ich bin kein Neuling. Nur das Stillschweigen verwundert mich. Näher, Torp, näher! O, mein Gott, was gäbe ich darum, sie noch einen Augenblick sehen zu können! Nur eine halbe Minute!«

Er konnte die bewaffnete Truppe fast in seinem Bereiche hören, konnte hören, wie der Paukenschläger den Tragriemen über seine Brust warf, als er die große Trommel vom Boden aufnahm.

»Er hat die Trommelstücke über seinem Kopfe gekreuzt,« flüsterte Torpenhow.

»Ich weiß, o, ich weiß! Wer sollte das besser wissen als wie ich! Still!«

Die Trommelstöcke fielen mit einem Bum! Bum! herunter, worauf die Mannschaft nach den Klängen der Musik vorwärts marschirte. Dick fühlte den Luftzug der sich bewegenden Masse in seinem Gesichte, hörte die Fußtritte und das Geräusch der sich an den Gürteln reibenden Brotbeutel. Die große Trommel markirte den Takt. Es war ein bekanntes Konzertstück, das einen ausgezeichneten Marsch im Geschwindschritt abgab.

Ein Mann muß er sein, stolz, stattlich und hoch.
        Ein Mann, mit Gewicht bedacht.
Muß sein bei klarem Verstande noch.
        Kommt Samstag er heim bei Nacht;
Er muß verstehn, mich zu lieben,
        Und er muß zu küssen verstehn;
Und wenn er genug für uns beide hat,
        Soll glücklich er sich sehn.

»Was gibt es?« fragte Torpenhow, als er sah,, wie Dick sein Haupt sinken ließ, nachdem der letzte Mann des Regiments abmarschirt war.

»Nichts. Ich fühle mich ein wenig ermattet von dem Laufen; das ist alles. Torp, bringen Sie mich zurück. Weshalb führten Sie mich hierher?«