Der Schmetterling, der aufstampfte

Übersetzt von Erich Ferdinand

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Dieses, o meine Meistgeliebte, ist eine Geschichte – eine neue und wundervolle Geschichte – eine Geschichte, ganz anders als die anderen Geschichten – eine Geschichte über den Höchst Weisen Monarchen Suleiman-bin-Daoud – Salomon, den Sohn Davids.

Es gibt dreihundertfünfundfünfzig Geschichten über Suleiman-bin-Daoud; aber diese ist keine davon. Es ist nicht die Geschichte von dem Kiebitz, der das Wasser fand, oder von dem Wiedehopf, der Suleiman-bin-Daoud in der Hitze Schatten spendete. Es ist nicht die Geschichte von dem gläsernen Straßenpflaster oder von dem Rubin mit dem gekrümmten Loch, oder von den Goldbarren der Balkis. Es ist die Geschichte von dem Schmetterling, der aufstampfte.

Nun paß noch einmal auf und lausche!

Suleiman-bin-Daoud war weise. Er verstand, was die Tiere sprachen, was die Fische sprachen, was die Vögel sprachen und was die Insekten sprachen. Er verstand, was die Felsen tief unter der Erde sprachen, wenn sie sich ächzend zueinander neigten; und er verstand, was die Bäume sprachen, wenn sie mitten am Vormittag raschelten. Er verstand alles, vom Bischof auf der Kanzel bis zum Ysop an der Mauer, und Balkis, seine Hauptkönigin, die Wunderschöne Königin Balkis, war fast so weise wie er.

Suleiman-bin-Daoud war mächtig. Am dritten Finger der rechten Hand trug er einen Ring. Wenn er den einmal drehte, kamen Afrits und Dschinns aus der Erde, um alles auszuführen, was er ihnen befahl. Wenn er ihn zweimal drehte, kamen Feen vom Himmel herunter, um alles auszuführen, was er ihnen befahl; und wenn er ihn dreimal drehte, kam der sehr große Engel Azrael vom Schwert, als Wasserträger verkleidet, und erzählte ihm die Neuigkeiten aller drei Welten: der Oberen – der Unteren – und der Hiesigen.

Und doch war Suleiman-bin-Daoud nicht stolz. Er prahlte nur sehr selten, und wenn, dann tat es ihm nachher leid. Einmal versuchte er, alle Tiere der ganzen Welt an einem einzigen Tage zu füttern, aber als das Futter bereitgestellt war, kam ein Tier aus der Meerestiefe und fraß es mit drei Bissen auf. Suleiman-bin-Daoud war sehr erstaunt und sprach: »O Tier, wer bist du?« Und das Tier sprach: »O König, ewig sollst du leben! Ich bin der kleinste von dreißigtausend Brüdern, und unsere Heimat ist am Grunde des Meeres. Wir hörten, dass du alle Tiere der Welt füttern wolltest, und meine Brüder schickten mich zu fragen, wann das Mittagessen fertig wäre.« Suleiman-bin-Daoud staunte mehr als je und sprach: »O Tier, du hast das ganze Mittagessen verschlungen, welches ich für alle Tiere der Welt zubereiten ließ.« Und das Tier sprach: »O König, ewig sollst du leben, aber nennst du das wirklich ein Mittagessen? Wo ich herkomme, essen wir doppelt so viel zwischen den Mahlzeiten.« Da fiel Suleiman-bin-Daoud platt aufs Gesicht und sprach: »O Tier! Ich gab das Mittagessen, um zu zeigen, was für ein großer und reicher König ich bin, und nicht, weil ich wirklich gut zu den Tieren sein wollte. Jetzt schäme ich mich, und es geschieht mir recht.« Suleiman-bin-Daoud war ein wirklich und wahrhaftig weiser Mann, Meistgeliebte. Nach dieser Sache vergaß er nie, wie albern es ist, zu prahlen; und nun beginnt der eigentliche Geschichtenteil meiner Geschichte.

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Dies ist das Bild von dem Tier, das aus dem Meer kam und das ganze Futter fraß, das Suleiman-bin-Daoud für alle Tiere in der ganzen Welt bereitgestellt hatte. Er war wirklich ein ganz nettes Tier, und seine Mami mochte ihn sehr gerne, genau wie seine neunundzwanzigtausendneunhundertneunundneunzig anderen Brüder, die am Meeresgrund lebten. Du weißt, er war der kleinste von allen, und darum hieß er Klein-Porgies. Er fraß alle die Kisten und Pakete und Stapel und Sachen auf, die für alle Tiere bereitgestellt waren, ohne auch nur einen Deckel abzunehmen oder eine Schnur aufzuknoten, und es machte ihm überhaupt nichts aus. Die hochstehenden Masten hinter den Futterkisten gehören zu Suleiman-bin-Daouds Schiffen. Sie brachten gerade noch mehr Futter herbei, als Klein-Porgies zur Küste kam. Die Schiffe hat er nicht aufgefressen. Sie hörten mit dem Ausladen auf und segelten sofort aufs Meer hinaus, bis Klein-Porgies mit Fressen fertig war. Über Klein-Porgies Schulter kannst du sehen, wie einige Schiffe lossegeln. Ich habe Suleiman-bin-Daoud nicht gezeichnet, aber er ist gerade außerhalb des Bildes, und sehr erstaunt. Das Bündel, das am Mast des Schiffes in der Ecke hängt, ist eine Packung frischer Datteln, als Papageienfutter. Die Namen der Schiffe kenne ich nicht. Das ist alles, was es auf diesem Bild gibt.

Er heiratete sehr viele Frauen. Er heiratete außer der Wunderschönen Balkis noch neunhundertneunundneunzig Frauen; und sie lebten alle in einem großartigen goldenen Palast in der Mitte eines lieblichen Gartens voller Springbrunnen. Er wollte eigentlich keine neunhundertneunundneunzig Ehefrauen, aber in jenen Tagen heirateten alle Männer sehr viele Frauen, und natürlich mußte er als König die allermeisten heiraten, nur um zu zeigen, dass er der König war.

Manche der Frauen waren nett, aber einige waren einfach abscheulich, und die Abscheulichen zankten mit den Netten, bis die auch abscheulich wurden, und dann fingen sie alle an, mit Suleiman-bin-Daoud zu zanken, und das fand er abscheulich. Aber die Wunderschöne Balkis zankte nie mit Suleiman-bin-Daoud. Sie liebte ihn zu sehr. Sie saß in ihren Zimmern im Goldenen Palast oder ging im Palastgarten spazieren und hatte ehrliches Mitleid mit ihm.

Wenn er sich natürlich entschlossen hätte, den Ring an seinem Finger zu drehen und alle die Afrits und Dschinns herbeizurufen, dann hätten die alle neunhundertneunundneunzig zänkischen Frauen schon in weiße Wüstenesel oder Windhunde und Granatapfelsamen verwandelt; aber Suleiman-bin-Daoud hielt so etwas für zu prahlerisch. Wenn sie also zu viel zankten, ging er nur alleine in einem der schönen Palastgärten spazieren und wünschte, nie geboren zu sein.

Eines Tages, als sie drei Wochen lang gezankt hatten – sämtliche neunhundertneunundneunzig Frauen – ging Suleiman-bin-Daoud wie gewöhnlich aus, um Ruhe und Frieden zu finden; und unter den Orangenbäumen traf er die wunderschöne Balkis, die sich sehr sorgte, weil Suleiman-bin-Daoud so gequält war. Und sie sprach zu ihm: »O mein Herr und Licht meiner Augen, drehe den Ring an deinem Finger und zeige diesen Königinnen von Ägypten und Mesopotamien und Persien und China, dass du der große und schreckliche König bist.« Aber Suleiman-bin-Daoud schüttelte den Kopf und sprach: »O meine Herrin und Entzücken meines Lebens, erinnere dich an das Tier, das aus dem Meer kam und mich vor allen Tieren der Welt beschämte, weil ich prahlerisch war. Wenn ich jetzt vor diesen Königinnen von Persien und Ägypten und Abessinien und China prahlte, nur weil sie mich quälen, würde ich mich vielleicht noch mehr schämen als damals.«

Und die wunderschöne Balkis sprach: »O mein Herr und Schatz meiner Seele, was wirst du tun?«

Und Suleiman-bin-Daoud sprach: »O meine Herrin und Friede meines Herzens, ich werde mein Schicksal in den Händen dieser neunhundertneunundneunzig Königinnen, die mich mit ihrem unablässigen Gezänk belästigen, weiter ertragen.«

So ging er weiter durch die Lilien und Loquats und Rosen und Cannae und die schwer duftenden Ingwerpflanzen, die in dem Garten wuchsen, bis er zu dem großen Kampherbaum kam, der da genannt wurde: der Kampherbaum von Suleiman-bin-Daoud. Aber Balkis verbarg sich zwischen den hohen Irisstauden und dem gefleckten Bambus und den roten Lilien hinter dem Kampherbaum, um ihrem einzigen Geliebten nahe zu sein, dem Suleiman-bin-Daoud.

In dem Moment flogen zwei Schmetterlinge unter den Baum, die sich zankten.

Suleiman-bin-Daoud hörte, wie der eine zu dem anderen sprach: »Ich wundere mich sehr über deine Anmaßung, dass du so mit mir sprichst. Weißt du nicht, dass ich nur mit dem Fuß aufzustampfen brauchte, und sofort würde der ganze Palast von Suleiman-bin-Daoud, mitsamt diesem Garten hier, mit einem Donnerschlag verschwinden.«

Da vergaß Suleiman-bin-Daoud seine neunhundertneunundneunzig anstrengenden Frauen und lachte über die Großmäuligkeit des Schmetterlings, dass der Kampherbaum wackelte. Und er streckte einen Finger aus und sprach: »Kleiner Mann, komm her.«

Der Schmetterling war furchtbar verängstigt, aber er schaffte es, auf die Hand von Suleiman-bin-Daoud zu fliegen, hielt sich dort fest und fächelte sich Luft zu. Suleiman-bin-Daoud beugte den Kopf und flüsterte ganz leise: »Kleiner Mann, du weißt, dass all dein Stampfen nicht mal einen Grashalm biegen würde. Warum hast du deine Frau so schlimm angeschwindelt? – denn ohne Zweifel ist das deine Frau.«

Der Schmetterling schaute Suleiman-bin-Daoud an und sah, dass die Augen des höchstweisen Königs funkelten wie Sterne in einer frostigen Nacht, und er nahm seinen Mut in beide Flügel, legte den Kopf zur Seite und sprach: »O König, ewig sollst du leben. Sie ist meine Frau; und du weißt doch, wie Frauen sind.«

Suleiman-bin-Daoud lächelte in seinen Bart und sprach: »Ja, das weiß ich, kleiner Bruder.«

»Man muß sie irgendwie im Zaum halten,« sprach der Schmetterling, »und sie hat den ganzen Vormittag mit mir gezankt. Ich habe das gesagt, damit sie still ist.«

Und Suleiman-bin-Daoud sprach: »Möge es sie beruhigen. Geh zurück zu deiner Frau, kleiner Bruder, und laß mich euch zuhören.«

Zurück zu seiner Frau flog der Schmetterling, die hinter einem Blatt vor Aufregung zitterte, und sie sprach: »Er hat dich gehört! Suleiman-bin-Daoud persönlich hat dich gehört!«

»Mich gehört!« sagte der Schmetterling. »Natürlich hat er mich gehört. Ich wollte, dass er mich hört.«

»Und was hat er gesagt? Oh, was hat er gesagt?«

»Nun,« sprach der Schmetterling und fächelte sich wichtigtuerisch, »unter uns, meine Liebe – natürlich mache ich ihm keine Vorwürfe, denn sein Palast muß sehr teuer gewesen sein, und die Orangen werden gerade erst reif – er bat mich, nicht aufzustampfen, und ich habe ihm versprochen, es nicht zu tun.«

»Gütiger!« sprach seine Frau, und saß ganz still da; aber Suleiman-bin-Daoud lachte über die Unverschämtheit des bösen kleinen Schmetterlings, bis ihm die Tränen das Gesicht herabliefen.

Die wunderschöne Balkis erhob sich hinter dem Baum zwischen den roten Lilien und lächelte, denn sie hatte alles mit angehört. Sie dachte: »Wenn ich klug bin, kann ich meinen Herrn zukünftig vor den Verfolgungen dieser zänkischen Königinnen bewahren,« und sie streckte einen Finger aus und flüsterte der Schmetterlingsfrau leise zu: »Kleine Frau, komm her.« Auf flog die Schmetterlingsfrau, sehr verängstigt, und klammerte sich an Balkis weiße Hand.

Balkis neigte ihren schönen Kopf und flüsterte: »Kleine Frau, glaubst du das, was dein Ehemann eben gesagt hat?«

Die Schmetterlingsfrau schaute Balkis an und sah, daß die Augen der wunderschönen Königin wie tiefe Teiche im Sternenlicht glänzten, und sie nahm ihren Mut in beide Flügel und sprach: »O Königin, ewig sollst du lieblich bleiben. Du weißt doch, wie die Männer sind.«

Und die Königin Balkis, die Weise Balkis von Saba, hielt sich die Hand vor den Mund, um ein Lächeln zu verbergen, und sprach: »Kleine Schwester, ich weiß es.«

»Sie werden wütend,« sprach die Schmetterlingsfrau, »und zwar ohne jeden Grund, aber wir müssen sie bei Laune halten, O Königin. Sie meinen nicht die Hälfte von dem, was sie sagen. Wenn es meinem Mann Spaß macht, zu glauben, dass ich glaube, er könne Suleiman-bin-Daouds Palast verschwinden lassen, indem er mit dem Fuß aufstampft, dann ist mir das herzlich egal. Morgen hat er alles vergessen.«

»Kleine Schwester,« sprach Balkis, »du hast ganz recht; aber wenn er das nächste mal anfängt, aufzuschneiden, dann nimm ihn beim Wort. Bitte ihn, aufzustampfen und sieh, was geschehen wird. Wir wissen, wie die Männer sind, nicht wahr? Er wird sehr beschämt sein.«

Weg flog die Schmetterlingsfrau zu ihrem Ehemann, und nach fünf Minuten zankten sie schlimmer denn je.

»Vergiß nicht!« sprach der Schmetterling. »Vergiß nicht, was ich tun kann, wenn ich mit dem Fuß aufstampfe.«

»Ich glaube dir kein kleines bißchen,« sprach die Schmetterlingsfrau. »Ich würde das wirklich gerne sehen. Stampf‘ doch einfach mal.«

»Ich habe Suleiman-bin-Daoud vesprochen, dass ich es nicht tun würde,« sprach der Schmetterling, und ich will mein Versprechen nicht brechen.«

»Es würde nichts ausmachen, wenn du es tätest,« sprach seine Frau. »Du könntest mit deinem Stampfen keinen Grashalm biegen. Du traust dich nur nicht,« sprach sie. »Stampf! Stampf! Stampf!«

Suleiman-bin-Daoud, der unter dem Kampherbaum saß, hörte jedes Wort, und er lachte, wie er noch nie in seinem Leben gelacht hatte. Er vergaß seine Königinnen; er vergaß das Tier, das aus dem Meer gekommen war;

er vergaß die Prahlerei. Er lachte einfach aus Freude, und Balkis, auf der anderen Seite des Baumes, lächelte, weil ihr einziger Geliebter so froh war.

Jetzt kam der Schmetterling sehr erhitzt und keuchend, in den Schatten des Kampherbaumes zurückgewirbelt und sprach zu Suleiman: »Sie will, dass ich stampfe! Sie will sehen, was passiert, O Suleiman-bin-Daoud! Du weißt, dass ich es nicht kann, und jetzt wird sie mir nie wieder ein Wort glauben. Sie wird mich bis ans Ende meiner Tage auslachen!«

»Nein, kleiner Bruder,« sprach Suleiman-bin-Daoud, »sie wird nie mehr über dich lachen,« und er drehte den Ring an seinem Finger – nur zum Nutzen des kleinen Schmetterlings, nicht, um zu Prahlen, – und siehe, aus der Erde kamen vier stattliche Dschinns!

»Sklaven,« sprach Suleiman-bin-Daoud, »wenn dieser kleine Edelmann auf meinem Finger« (da saß der unverschämte Schmetterling nämlich) »mit dem linken vorderen Fuß aufstampft, werdet ihr meinen Palast und diese Gärten mit einem Donnerschlag verschwinden lassen. Wenn er noch einmal aufstampft, werdet ihr alles sorgfältig zurückbringen.«

»Jetzt, kleiner Bruder,« sprach er, »geh zurück zu deiner Frau und stampfe, so viel du Lust hast.«

Weg flog der kleine Schmetterling, zu seiner Frau, die schrie: »Du traust dich ja nicht! Du traust dich ja nicht! Stampf! Stampf jetzt! Stampf!« Balkis sah, wie die vier ungeheuren Dschinns sich zu den vier Ecken des Gartens mit dem Palast in der Mitte herabbeugten, und sie klatschte leise in die Hände udnsprach: »Zuguterletzt wird Suleiman-bin-Daoud zum Nutzen eines Schmetterlings tun, was er schon längst zu seinem eigenen Nutzen hätte tun sollen, und die zänkischen Königinnen werden eingeschüchtert sein!«

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Dies ist das Bild der vier Dschinns mit Möwenflügeln, die Suleiman-bin-Daouds Palast hochwuchten, genau in der Minute, als der Schmetterling aufstampfte. Der Palast und der Garten und alles kam in einem Stück hoch wie ein Brett, und im Boden blieb ein großes Loch voller Staub und Rauch zurück. Wenn du in die Ecke guckst, siehst du ganz nah bei dem Ding, das wie ein Löwe aussieht, Suleiman-bin-Daoud mit seinem Zauberstab und die beiden Schmetterlinge hinter ihm. Das Ding, das wie ein Löwe aussieht, ist in Wirklichkeit ein aus Stein gehauener Löwe, und das Ding, das wie eine Milchkanne aussieht, ist tatsächlich ein Stück von einem Tempel oder Haus oder so was. Suleiman-bin-Daoud hatte sich da hingestellt, um nicht in dem Staub und Schmutz zu stehen, als die Dschinns den Palast hochwuchteten. Die Namen der Dschinns kenne ich nicht. Sie waren Diener von Suleiman-bin-Daouds magischem Ring, und änderten sich jeden Tag. Sie waren einfach gewöhnliche Dschinns mit Möwenflügeln.

Das Bild unten zeigt einen sehr freundlichen Dschinn namens Akraig. Er fütterte dreimal täglich die kleinen Fische im Meer, und seine Flügel waren aus reinem Kupfer gemacht. Ich habe ihn hineingezeichnet, um dir zu zeigen, wie ein netter Dschinn aussieht. Er hat nicht mitgeholfen, den Palast hochzuheben. Er war damit beschäftigt, die kleinen Fische im Arabischen Meer zu füttern, als es geschah.

Der Schmetterling stampfte auf. Die Dschinns rissen den Palast und die Gärten tausend Meilen in die Luft: es gab einen gewaltigen Donnerschlag, und alles wurde tintenschwarz. Die Schmetterlingsfrau flatterte im Dunkel herum und schrie: »Oh, ich werde lieb sein! Es tut mir so leid, was ich gesagt habe. Bring nur die Gärten zurück, mein lieber guter Mann, und ich werde nie mehr widersprechen.«

Der Schmetterling war fast so erschrocken wie seine Frau, und Suleiman-bin-Daoud lachte so sehr, dass es mehrere Minuten dauerte, bis er wieder genug Luft hatte, um dem Schmetterling zu zu flüstern: »Stampf noch einmal, kleiner Bruder. Gib mir meinen Palast zurück, großmächtiger Zauberer.«

»Ja, gib ihm seinen Palast zurück,« sprach die Schmetterlingsfrau, die immer noch wie eine Motte im Dunkeln umherflog. »Gib ihm seinen Palast zurück, und laß es mit der gräßlichen Zauberei genug sein.«

»Tja, meine liebe,« sagte der Schmetterling so tapfer wie er konnte, »jetzt siehst du, wohin deine Nörgelei geführt hat. Natürlich macht es mir überhaupt nichts aus – ich bin an diese Dinge gewöhnt – aber um Suleiman-bin-Daoud und dir einen Gefallen zu tun, stört es mich nicht, die Sache wieder in Ordnung zu bringen.«

Also stampfte er noch einmal auf, und im selben Augenblick ließen die Dschinns den Palast und die Gärten ohne jede Erschütterung wieder herunter. Die Sonne schien auf die dunkelgrünen Orangenblätter; die Springbrunnen spielten zwischen den rosafarbenen ägyptischen Lilien; die Vögel sangen weiter, und die Schmetterlingsfrau lag unter dem Kampherbaum auf der Seite, zuckte mit den Flügel und keuchte: »Oh, ich werde lieb sein! Ich werde lieb sein!«

Suleiman-bin-Daoud konnte vor Lachen kaum sprechen. Erlehnte sich zurück, ganz schwach und hicksend, drohte dem Schmetterling mit dem Finger und sprach: »O großer Zauberer, welchen Sinn hat es, mir meinen Palast zurückzugeben, wenn du mich im selben Moment mit Heiterkeit erschlägst!«

Dann kam ein schrecklicher Lärm auf, denn alle neunhundertneunundneunzig Königinnen rannten kreischend und schreiend und nach ihren Kindern rufend aus dem Palast. Sie stürmten die großen Marmorstufen unterhalb des Springbrunnens hinab, einhundert nebeneinander, und die weise Balkis trat ihnen würdevoll entgegen und sprach: »Was beunruhigt euch, O Königinnen?«

Sie standen, einhundert nebeneinander, auf den Marmorstufen und riefen: »Was uns beunruhigt? Wir lebten friedlich in unserem goldenen Palast, wie es unsere Gewohnheit ist, als plötzlich der Palast verschwand, und wir uns in einer dicken und ungesunden Dunkelheit wiederfanden; und es donnerte, und Dschinns und Afrits schwebten in der Dunkelheit herum! Das beunruhigt uns, O Hauptkönigin, und wir sind wegen dieser Beunruhigung ganz extrem beunruhigt, weil es eine beunruhigende Beunruhigung war, anders als alle Beunruhigung, die wir kannten.«

Da sprach Balkis, die Wunderschöne Königin – Suleiman-bin-Daouds Überaus Meistgeliebte – Königin war sie von Saba und Sable und der Goldenen Flüsse des Südens – von den Wüsten von Zinn bis zu den Türmen von Zimbabwe – Balkis, fast so weise wie der Höchst Weise Suleiman-bin-Daoud selbst: »Es ist nichts, O Königinnen! Ein Schmetterling hat seine Frau angeklagt, weil sie mit ihm gezankt hat, und es hat unserem Herrn Suleiman-bin-Daoud gefallen, ihr eine Lektion in Leise-Sprechen und Demut zu erteilen, weil das unter den Frauen der Schmetterlinge als Tugend angesehen wird.«

Da erhob eine ägyptische Königin – Tochter eines Pharaohs – die Stimme und sprach: »Unser Palast kann nicht zumNutzen eines kleinen Insekts mitsamt den Wurzeln herausgezogen werden wie eine Lauchstange. Nein! Suleiman-bin-Daoud muß tot sein, und was wir gehört und gesehen haben, war das Donnern und Verdunkeln der Erde wegen dieser Nachricht.«

Da winkte Balkis dieser kühnen Königin, ohne sie anzusehen, und sprach zu ihr und den anderen: »Kommt und seht.«

Sie kamen die Marmorstufen herab, hundert nebeneinander, und da, unter seinem Kampherbaum, noch immer schwach vor Lachen, sahen sie den Höchst Weisen König Suleiman-bin-Daoud vor- und zurückschaukeln, mit einem Schmetterling auf jeder Hand, und sie hörten, wie er sprach: »O Frau meines Bruders in den Lüften, vergiß hiernach nicht, deinem Ehemann in allen Dingen Freude zu bereiten, weil er sonst gezwungen wäre, noch einmal mit dem Fuß aufzustampfen; denn er hat gesagt, dass er an seine Magie gewöhnt ist, und er ist ganz offensichtlich ein großer Zauberer – einer, der den wirklichen Palast von Suleiman-bin-Daoud persönlich stehlen kann. Geht in Frieden, kleine Leute!« Und er küßte sie auf die Flügel, und sie flogen weg.

Da fielen alle Königinnen außer Balkis – der wunderschönen und herrlichen Balkis, die lächelnd abseits stand – platt aufs Gesicht, denn sie sagten: »Wenn er das tut, weil ein Schmetterling mit seiner Frau unzufrieden ist, was wird uns dann geschehen, die wir unseren König mit unserem lauten Sprechen und offenen Gezänk so viele Tage geärgert haben?«

Da zogen sie ihre Schleier vors Gesicht und hielten sich die Hände vor den Mund und gingen auf Zehenspitzen mucksmäuschenstill in den Palast zurück.

Dann schritt Balkis – die Wunderschöne und Hervorragende Balkis – durch die roten Lilien in den Schatten des Kampherbaums und legte ihre Hand auf Suleiman-bin-Daouds Schulter und sprach: »O mein Herr und Schatz meiner Seele, freue dich, denn wir haben den Königinnen von Ägypten und Äthiopien und Abessinien und Persien und China eine große und denkwürdige Lehre erteilt.«

Und Suleiman-bin-Daoud, der noch immer den Schmetterlingen nachschaute, wie sie im Sonnenlicht spielten, sprach: »O meine Herrin und Juwel meines Glücks, wann ist das geschehen? Denn ich habe, seit ich in den Garten kam, mit einem Schmetterling gespaßt.« Und er erzählte Balkis, was er gemacht hatte.

Balkis – die milde und Höchst Liebliche Balkis – sprach: »O mein Herr und Regent meiner Existenz, ich war hinter dem Kampherbaum versteckt und habe alles gesehen. Ich war es, die der Schmetterlingsfrau riet, den Schmetterling zum Stampfen aufzufordern, weil ich hoffte, dass mein Herr zum Spaß einen großen Zauber machen würde, und dass die Königinnen ihn sähen und verängstigt wären.« Und sie erzählte ihm,was die Königinnen gesagt und gesehen und gedacht hatten.

Da stand Suleiman-bin-Daoud vonseinem Sitz unter dem Kampherbaum auf, streckte seine Arme aus und freute sich und sprach: »O meine Herrin, Versüßerin meiner Tage, wisse: wenn ich aus Stolz und Ärger einen Zauber gegen meine Königinnen gemacht hätte, so wie ich das Fest für die Tiere gemacht habe, würde mich das sicherlich in Schande gestürzt haben. Aber durch deine Weisheit habe ich aus Spaß und zumNutzen eines kleinen Schmetterlings einen Zauber gemacht, und – siehe! – es hat mich auch von dem Ärger mit meinen ärgerlichen Frauen befreit! Sage mir also, O meine Herrin und Herz meines Herzens, wie bist du zu dieser Weisheit gekommen?« Und Balkis, die Königin, schön und hochgewachsen, schaute auf in Suleiman-bin-Daouds Augen und neigte den Kopf ein wenig zur Seite, gerade wie der Schmetterling, und sprach: Erstens, mein Herr, weil ich dich liebe; und zweitens, O mein Herr, weil ich weiß, wie die Frauen sind.«

Dann gingen sie in den Palast zurück und lebten glücklich und in Frieden.

Aber war das nicht listig von Balkis?

Einzig war Königin Balkis
Von hier bis zum Ende der Welt;
Denn Balkis sprach mit der Schmetterlingsfrau
Als wäre sie ihr Freund.

Einzig war König Salomon,
seit Anbeginn der Welt,
Denn Salomon sprach mit dem Schmetterling
Als wäre er sein Freund.

Sie war die Herrin Sabäas,
Ganz Asiens König war er;
Mit Schmetterlingen sprachen sie,
Wenn sie ins Ausland fuhr’n.

Wie das Alphabet erfunden wurde

In der Woche, nachdem Taffimai Metallumai (wir werden sie weiterhin Taffi nennen, Meistgeliebte) den kleinen Fehler mit dem Speer ihres Pappis und dem fremden Mann und dem Bilderbrief und allem gemacht hatte, ging sie wieder mit ihrem Pappi zum Karpfenfischen. Ihre Mami wollte, dass sie zu Hause blieb und half, Felle zum Trocknen auf die großen Trockenpfähle vor der neusteinzeitlichen Höhle zu hängen, aber Taffi riß ganz früh zu ihrem Pappi aus, und sie fischten. Auf einmal begann sie zu kichern, und ihr Pappi sagte: »Sei nicht albern, Kind.«

»Aber das war doch so anregend,« sagte Taffi. »Weißt Du nicht mehr, wie der Oberhäuptling seine Backen aufgeblasen hat, und wie komisch der nette fremde Mann mit dem Schlamm in den Haaren ausgesehen hat?«

»Das weiß ich noch sehr gut,« sagte Tegumai. »Ich mußte dem fremden Mann für alles, was wir ihm angetan haben, zwei Hirschfelle geben – weiche mit Fransen.«

»Wir haben ihm gar nichts getan,« sagte Taffi. »Es war Mami mit den anderen Neusteinzeitdamen – und der Schlamm.«

»Wir wollen nicht darüber sprechen,« sagte Tegumai. »Laß uns essen.«

Taffi nahm einen Markknochen und saß ganze zehn Minuten lang mäuschenstill, während ihr Pappi mit einem Haifischzahn auf Birkenrindenstücken herumkratzte. Dann sagte sie: »Pappi, ich habe mir eine geheime Überraschung ausgedenkt. Mach mal ein Geräusch – irgendeins.«

»Ah!« sagte Tegumai. »Genügt das für den Anfang?«

»Ja,« sagte Taffi. » Du siehst aus wie ein Karpfen mit offenem Maul. Sag’s bitte noch einmal.«

»Ah! Ah! Ah!« sagte ihr Pappi. »Sei nicht unverschämt, meine Tochter.«

»Ich meine es nicht unverschämt, wirklich und wahrhaftig,« sagte Taffi. »Das ist doch mein geheimer Überraschungsgedanke. Sag noch mal Ah, Pappi, und laß deinen Mund am Schluß offen, und leih mir mal den Zahn. Ich werde ein weit offenes Karpfenmaul malen.«

»Wozu?« sagte ihr Pappi.

»Verstehst du nicht?« sagte Taffi und kratzte auf ihrer Rinde. »Das wird unsere kleine geheime Überraschung. Wenn ich einen Karpfen mit weit offenem Maul hinten in den Ruß auf der Wand in unserer Höhle male – wenn Mami es erlaubt – wird er dich an das Geräusch erinnern. Dann können wir so tun, als würde ich aus dem Dunkeln hervorspringen und dich mit dem Geräusch erschrecken – genau wie ich es letzten Winter im Bibersumpf gemacht habe.«

»Tatsächlich?« sagte ihr Pappi mit der Stimme, die Erwachsene haben, wenn sie wirklich aufpassen. »Mach weiter, Taffi.«

»Ach Ärgernis!« sagte sie. »Ich kann keinen ganzen Karpfen malen, nur sowas, das wie ein Karpfenmaul aussieht. Weißt du nicht, wie sie auf dem Kopf stehen und im Schlamm wühlen? Also, das hier wäre wohl ein Karpfen (wir können so tun, als ob ich den Rest auch gemalt hätte). Hier ist genau sein Maul, und das heißt Ah.« Und das malte sie:

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»Das ist nicht schlecht,« sagte Tegumai und kratzte auf seinem eigenen Rindenstück; »aber du hast den Fühler vergessen, der ihm am Maul hängt.«

»Aber ich kann doch nicht malen, Pappi.«

»Du brauchst nichts von ihm zu malen als das offene Maul und den Fühler daran. Dann wissen wir, dass es ein Karpfen ist, weil die Barsche und Forellen keine Fühler haben. Guck, Taffi.« Und er malte das:

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»Das male ich jetzt ab,« sagte Taffi. »wirst du das verstehen, wenn du es siehst?«

»Haargenau,« sagte ihr Pappi.

Und sie malte das:

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»Und ich werde genau so erschrocken sein, wenn ich es irgendwo sehe, als wenn du hinter einem Baum hervorgesprungen wärst und »Ah!« gemacht hättest.

»So, jetzt mach‘ ein anderes Geräusch,« sagte Taffi sehr stolz.

»Yah!« sagte ihr Pappi sehr laut.

»Hhm,« sagte Taffi. »Das ist ein gemischtes Geräusch. Das Ende ist ein Ah-Karpfenmaul; aber was machen wir mit dem Vorderteil? Y-y-y und Ah! Ya!«

»Es ist dem Karpfenmaulgeräusch sehr ähnlich. Laß uns ein anderes Teil vom Karpfen malen und die beiden verbinden,« sagte ihr Pappi. Er war auch ganz angeregt.

»Nein. Wenn sie verbunden sind, kann ich es mir nicht merken. Mal‘ es einzeln. Mal‘ seinen Schwanz. Wenn er auf dem Kopf steht, kommt zuerst der Schwanz. Ausserdem kann ich den Schwanz am leichtesten malen, glaube ich,« sagte Taffi.

»Eine gute Idee,« sagte Tegumai. »Hier hast du einen Karpfenschwanz für das Y-Geräusch .« Und er malte das:

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»Jetzt versuche ich’s,« sagte Taffi. »Denk dran, ich kann nicht so malen wie du, Pappi. Genügt es wohl, wenn ich einfach das geteilte Ende vom Schwanz male, und das gerade Ende für die Verbindung?« Und sie malte das:

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Ihr Pappi nickte, und seine Augen leuchteten hell vor Aufregung.

»Das ist schön,« sagte sie. »Jetzt mach noch ein Geräusch, Pappi.«

»Oh!« sagte ihr Pappi sehr laut.

»Das ist ganz leicht,« sagte Taffi. »Du hast den Mund ganz rund gemacht, wie ein Ei oder einen Kieselstein. Also wird ein Ei oder ein Stein dafür gut genug sein.«

»Du wirst nicht überall Eier oder Steine finden. Wir müssen so ein ähnliches rundes Ding kratzen.« Und er malte das:

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»Mein Güte!« sagte Taffi, »was für eine Menge Geräusch-Bilder wir gemacht haben, – Karpfenmaul, Karpfenschwanz und Ei! Jetzt mach noch ein Geräusch, Pappi.«

»Sch!« sagte ihr Pappi, und runzelte die Stirn, aber Taffi war zu aufgeregt, um es zu bemerken.

»Das ist ziemlich einfach,« sagte sie und kritzelte auf die Rinde.

»Hä, was?« sagte ihr Pappi. »Ich meinte, du solltest mich nicht beim Nachdenken stören.«

»Es war ja trotzdem ein Geräusch. Das war das Geräusch, was die Schlangen machen, Pappi, wenn sie nicht beim Nachdenken gestört werden wollen. Ist das so richtig?« Und sie malte das:

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»So,« sagte sie. Das ist noch ein Überraschungsgeheimnis. Wenn du eine Zischel-Schlange an den Eingang von deiner kleinen Hinterhöhle, wo du die Speere reparierst, hinmalst, dann weiß ich, dass du nachdenkst; und dann bin ich ganz mäuschenstill, wenn ich reinkomme. Und wenn du fischen gehst, kannst du sie auf einen Baum am Fluß malen, dann weiß ich, dass ich ganz ganz mäuschenstill gehen muß, damit ich nicht das Ufer erschüttere.«

»Haargenau wahr,« sagte Tegumai. »An diesem Spiel ist mehr dran, als du denkst. Taffi-liebes, ich habe eine Ahnung, dass deines Pappis Tochter auf das tollste Ding gekommen ist, dass es je gab, seit der Stamm von Tegumai Haifischzähne statt Flintstein für die Speerspitzen genommen hat. Ich glaube, wir haben das große Geheimnis der Welt entdeckt.«

»Warum?« sagte Taffi, und auch ihre Augen leuchteten vor Anregung.

»Ich erkläre es,« sagte ihr Pappi. »Wie nennt man Wasser in der Tegumaisprache?«

»›Ya‹, natürlich, und das heißt auch Fluß – zum Beispiel ›Wagai ya‹ – der Fluß Wagai.«

»Wie nennt man schlechtes Wasser, von dem du Fieber kriegst, wenn du es trinkst – schwarzes Wasser – Sumpfwasser?«

»›Yo‹ natürlich.«

»Jetzt guck mal,« sagte ihr Pappi. »Angenommen, du sähest das hier an ein Wasserloch im Bibersumpf gemalt?« Und er malte das.:

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»Karpfenschwanz und rundes Ei. Zwei Geräusche vermischt! Yo, schlechtes Wasser,« sagte Taffi. »‘Türlich würde ich das Wasser nicht trinken, weil ich wüßte, das du gesagt hast, es ist schlecht.«

»Aber ich müßte gar nicht in der Nähe von dem Wasser sein. Ich könnte meilenweit weg sein, jagen, und trotzdem –«

»Und trotzdem wäre es wäre es genau so, als ob du da ständest und sagtest ›Geh weg, Taffi, oder du kriegst Fieber.‹ Das ist alles in dem Karpfenschwanz und dem runden Ei! O, Pappi, das müssen wir Mami erzählen, schnell!« und Taffi tanzte um ihn herum.

»Noch nicht,« sagte Tegumai; »erst, wenn wir etwas weiter sind. Laß mal sehen. Yo ist schlechtes Wasser, aber So ist auf dem Feuer gekochtes Essen, nicht wahr?« Und er malte das:

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»Ja. Schlange und Ei.« sagte Taffi. »›So‹ bedeutet, dass das Essen fertig ist. Wenn du das in einen Baum gekratzt sähst, wüßtest du, dass es Zeit ist, zur Höhle zu kommen. Ich auch.«

»Mein kluges Kind!« sagte Tegumai. »Das ist wahr. Aber warte mal. Ich seh‘ da eine Schwierigkeit. ›So‹ heißt: ›kommt zum Essen‹, aber ›Sho‹ heißen die Trockenpfähle, wo wir unsere Felle aufhängen.«

»Gräßliche Trockenpfähle!« sagte Taffi. »Ich hasse es, die schweren, heißen, haarigen Felle aufhängen zu helfen. Wenn du Schlange und Ei maltest, und ich dächte, es bedeutete Mittagessen, und ich käme aus dem Wald und müßte Mami helfen, die beiden Felle auf das Trockengerüst zu hängen, was dann?«

»Dann wärst du sauer. Und Mami auch. Wir müssen für ›sho‹ ein anderes Bild malen. Wir müssen eine gefleckte Schlange malen, die ›sh-sh‹ macht, und wir tun so, als ob die einfache Schlange nur ›ssss‹ machte.«

»Ich könnte aber vielleicht die Flecken nicht richtig reinmalen,« sagte Taffi. »Und v’leicht, wenn du es eilig hättest, würdest du sie weglassen, und ich würde denken, es wäre ›so‹ wenn es eigentlich ›sho‹ sein sollte, und Mami würde mich doch kriegen. Nein! Ich glaube,wir malen lieber ein Bild von den gräßlichen hohen Trockenpfählen selbst, dann ist es sicher. Ich ritze sie gleich hinter die Zischel-Schlange. Guck!« Und sie malte das:

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»V’leicht ist das am sichersten. Es sieht jedenfalls ziemlich genau aus wie unsere Trockenpfähle, sagte ihr Pappi. »Jetzt mache ich ein Geräusch mit einer Schlange und einem Trockenpfahl. Ich sage ›shi‹. Das bedeutet ›Speer‹ in Tegumai-Sprache, Taffi.« Und er lachte.

»Mach dich nicht über mich lustig,« sagte Taffi, weil sie an ihren Bilderbrief und den Schlamm in den Haaren des fremden Mannes dachte. »Mal du das, Pappi.«

»Diesmal ohne Biber oder Hügel, hm?« sagte ihr Pappi. »Ich male nur eine gerade Linie für meinen Speer.« Und er malte das:

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»Da würde nicht mal Mami denken, dass das bedeutet, dass ich ermordet werde.«

»Bitte sag das nicht, Pappi. Da wird mir ungemütlich. Mach noch ein paar Geräusche. Wir kommen schön voran.«

»Äh-hm!« sagte Tegumai. Wir sagen mal ›shu‹. Das bedeutet Himmel.«

Taffi malte die Schlange und den Trockenpfahl. Dann stutzte sie. »Wir müssen ein neues Bild für den Klang am Ende malen, oder ?«

»Shu-shu-u-u-u!« sagte ihr Pappi. »Was soll’s, das ist nur das runde Eigeräusch, etwas schwächer gemacht.«

»Also angenommen, wir malen ein schmales rundes Ei und tun so, als ob das ein Frosch wäre, der seit Jahren nichts gefressen hat.«

»N-nein,« sagte ihr Pappi. »Wenn wir das zu schnell malten, könnten wir es mit dem runden Ei selbst verwechseln. Sh-shu-shu! Ich sag‘ dir, was wir tun. Wir machen ein kleines Loch in das runde Ei, dann sieht man, wie das O-Geräusch schwächer wird, ooo-oo-oo. Genau so.« Und er malte das:

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»Oh, das ist hübsch! Viel besser als ein dünner Frosch. Mach weiter,« sagte Taffi und ritzte mit ihrem Haifischzahn. Ihr Pappi malte weiter, und seine Hand zitterte vor Anregung. Er hörte nicht auf, bis er das gemalt hatte:

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»Nicht nachgucken, Taffi,« sagte er. »Versuch mal, ob du herausfinden kannst, was das in der Tegumaisprache bedeutet. Wenn du es kannst, haben wir das Geheimnis gefunden.«

»Schlange-Trockenpfahl-Ei-mit-Loch-Karpfenschwanz und Karpfenmaul,« sagte Taffi. »Shu-ya. Himmel-Wasser (Regen).« Eben da fiel ein Tropfen auf ihre Hand, denn der Himmel hatte sich bewölkt. »Ach, Pappi, es regnet. Wolltest du mir das sagen?«

»Natürlich,« sagte ihr Pappi. »Und ich habe es dir gesagt, ohne ein Wort zu sprechen, stimmts?«

»Gut, ich dachte, ich hätte es in einer Minute rausgefunden, aber der Regentropfen hat es mir ganz klar gemacht. Das werde ich jetzt nie mehr vergessen. ›Shu-ya‹ heißt ›Regen‹, oder ›es wird gleich regnen‹. Ach, Pappi!« Sie sprang auf und tanzte um ihn herum. »Angenommen, du gingst weg, bevor ich wach wäre, und maltest ›shu-ya‹ in den Ruß auf der Wand, dann wüßte ich, dass es regnen wird und würde meine Biberfellkapuze mitnehmen. Wäre Mami nicht überrascht?«

Tegumai sprang auf und tanzte. (Pappis hatten in jenen Tagen keine Schwierigkeiten, so etwas zu tun.) »Mehr noch! Mehr noch!« sagte er.

»Angenommen, ich wollte dir sagen, dass es nicht sehr lange regnen wird und dass du zum Fluß kommen mußt, was würden wir malen? Sag‘ die Worte zuerst in der Tegumaisprache.«

»Shu-ya-las, ya maru. (Himmel-Wasser endet. Fluß hinkommen.) wie viele neue Geräusche! Ich weiß nicht, wie wir die malen sollen.«

»Aber ich weiß es – ich weiß es!« sagte Tegumai. Warte nur eine Minute, Taffi, und dann sind wir für heute fertig. Shu-ya haben wir schon, nicht wahr? Aber dieses ›las‹ ist schwierig. La-la-la« und er schwenkte seinen Haifischzahn.

»Die Zischel-Schlange ist am Ende, und das Karpfenmaul vor der Schlange – as-as-as. Wir brauchen nur la-la,« sagte Taffi.

»Das weiß ich, aber wir müssen la-la erfinden. Und wir sind die Ersten auf der ganzen Welt, die das jemals versucht haben, Taffimai!«

»Gut,« gähnte Taffi, denn sie war ziemlich müde. »›Las‹ bedeutet ›brechen‹ oder ‚beenden‘ oder auch ›aufhören‹, oder?«

»So ist es,« sagte Tegumai. »›To-las‹ heißt, dass kein Wasser mehr zum Kochen für Mami in der Zisterne ist – meistens, wenn ich jagen gehen will.«

»Und shi-las bedeutet, dass dein Speer zerbrochen ist. Wenn ich doch darauf gekommen wäre, anstatt alberne Biberbilder für den Fremden zu malen!«

»La! La! La!« sagte Tegumai und schwenkte mit grimmigem Gesicht seinen Stock. »Hach! Schwierig!«

»Ich hätte ›shi‹ ziemlich einfach malen können,« fuhr Taffi fort. »Da hätte ich deinen Speer ganz zerbrochen gemalt – so!« Und sie malte:

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»Das ist es,« sagte Tegumai. »Das ist ›la‹, ganz genau. Es ähnelt auch den anderen Zeichen überhaupt nicht.« Und er malte das:

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»Nun zu ›ya‹. Oh, das haben wir schon. Also ›maru‹. Mum-mum-mum. Mum schließt dir den Mund, oder? Wir malen so einen geschlossenen Mund. Und er malte:

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»Jetzt das offene Karpfenmaul. Das macht ›Ma-ma-ma‹! Aber was ist mit diesem rrrrr-Ding, Taffi?«

»Es klingt ganz rauh und kantig, wie deine Haifischzahnsäge, wenn du eine Planke für ein Kanu schneidest,« sagte Taffi.

»Du meinst, mit sehr scharfen Kanten, so wie das?« sagte Tegumai. Und er malte:

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»Genau,« sagte Taffi. Aber wir wollen nicht so viele Zähne; mach nur zwei.«

»Ich mache nur einen,« sagte Tegumai. »Wenn aus unserem Spiel das wird, was ich glaube, dann – je einfacher wir unsere Geräuschbilder machen, desto besser für alle.« Und er malte:

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»Jetzt haben wir’s,« sagte Tegumai, auf einem Bein stehend. »Ich male sie jetzt alle an eine Schnur, wie Fische.«

»Sollten wir nicht besser einen kleinen Stock oder so etwas zwischen jedes Wort tun, damit sie sich nicht aneinander reiben und sich anrempeln, als ob sie Karpfen wären?«

»Oh, dafür lasse ich Platz,« sagte ihr Pappi. Und sehr angeregt malte er sie alle, ohne anzuhalten, auf ein großes frisches Stück Birkenrinde:

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»Shu-ya-las ya-maru,« sagte Taffi, alle Geräusche einzeln vorlesend.

»Das ist genug für heute,« sagte Tegumai. »Außerdem wirst du müde, Taffi. Mach dir nichts draus, Liebes. Wir machen morgen alles fertig, und dann wird man sich noch nach Jahren und Jahren an uns erinnern, nachdem die größten Bäume, die du sehen kannst, schon längst zu Feuerholz zersägt sind.«

So gingen sie heim, und den ganzen Abend saß Tegumai auf der einen Seite des Feuers und Taffi auf der anderen, und sie malten ›ya‹ und ›yo‹ und ›shu‹ und ›shi‹ in den Ruß auf der Wand und kicherten miteinander, bis ihre Mami sagte: »Wirklich, Tegumai, du bist schlimmer als meine Taffi.«

»Bitte mach‘ dir nichts daraus,« sagte Taffi, »es ist nur eine geheime Überraschung, liebe Mami, und wir werden dir alles erzählen, sobald es fertig ist; aber bitte frag‘ mich jetzt nicht, was es bedeutet, sonst muß ich es sofort erzählen.«

Also war ihre Mami sehr bedacht, nicht zu fragen; und am hellen frühen nächsten Morgen ging Tegumai zum Fluß hinunter, um über die neuen Geräuschbilder nachzudenken, und als Taffi aufstand, sah sie ›Ya-las‹ (das Wasser ist alle) mit Kreide auf die Seite der großen steinernen Zisterne vor der Höhle gemalt.

»Hmm,« sagte Taffi, »diese Bildgeräusche sind ein ziemliches Ärgernis! Pappi hätte ebensogut selber herkommen und mir sagen können, dass ich Kochwasser für Mami holen muß.« Sie ging zu der Quelle hinter dem Haus und füllte die Zisterne mit einem Rindeneimer, und dann rannte sie zum Fluß und zog ihren Pappi am linken Ohr – an dem sie immer ziehen durfte, wenn sie brav war.

»Jetzt komm, wir malen alle übrigen Geräuschbilder,« sagte ihr Pappi, und sie verbrachten einen höchst anregenden Tag damit, mit einem schönen Mittagessen mittendrin und zwei Balgereien. Als sie zum ›T‹ kamen, sagte Taffi, weil ihr Name und der ihres Pappis und der ihrer Mami alle mit diesem Geräusch anfingen, sollten sie eine Art Familienbild von sich selber malen, wie sie sich an den Händen hielten. Das war ganz gut, wenn man es ein- oder zweimal malte; aber als sie es sechs- oder siebenmal getan hatten, malten Taffi und Tegumai es immer kritzeliger und kritzeliger, bis das T-Geräusch schließlich nur noch ein langer Tegumai war, der die Arme ausstreckte, um Taffi und Teshumai zu halten. An diesen drei Bildern könnt ihr teilweise sehen, wie das passierte:

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Viele von den anderen Bildern waren anfangs viel zu schön, besonders die von vor dem Mittagessen, aber als sie wieder und wieder auf Birkenrinde gemalt wurden, wurden sie einfacher und leichter, bis Tegumai schließlich sagte, dass er nichts mehr daran aussetzen könnte. Sie drehten für das Z-Geräusch die Zischel-Schlange um, damit zu sehen war, dass sie auch ganz scharf und unfreundlich zischen konnte

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und für das ›E‹ machten sie einfach einen Schnörkel, weil es so oft in den Bildern vorkam;

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und für das ›B‹ malten sie Bilder vom Heiligen Biber der Tegumais;

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und weil es ein nörgeliges, nasales Geräusch war, malten sie einfach Nasen für das N-Geräusch, bis sie müde wurden;

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und sie malten ein Bild vom Maul des großen Seehechts für das gierige Ga-Geräusch;

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und sie malten das Hechtmaul noch einmal, mit einem Speer dahinter, für das kratzige, schmerzhafte K-Geräusch;

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und für das nette, wendig-wendige W-Geräusch malten sie Bilder von einem kleinen Stückchen des gewundenen Wagai-Flusses;

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und so weiter und immer so fort, bis sie alle Geräuschbilder fertig gemalt hatten, die sie wollten, und das war das Alphabet, ganz vollständig.

Und nach Tausenden und Tausenden und Tausenden von Jahren, und nach Hieroglyphikern und Demotikern, und Nilotikern, und Kryptikern, und Kufikern, und Runikern, und Doriern und Ioniern und allen Arten von -ikern und -iriern (weil die Woons und Negusse und Mullahs und Bewahrer der Tradition niemals eine gute Sache in Ruhe lassen würden, sobald sie sie sahen), bekam das gute alte, einfach zu verstehende Alphabet – A, B, C, D, E und der ganze Rest – seine richtige Form zurück, damit alle Meistgeliebten es lernen konnten, sobald sie alt genug waren.

Aber ich erinnere mich an Tegumai Bopsulai und Taffimai Metallumai und Teshumai Tewindrow, ihre liebe Mami, und die vergangenen Zeiten. Und so war es – genau so – vor einiger Zeit – an den Ufern des großen Wagai!

OF all the Tribe of Tegumai
Who cut that figure, none remain, –
On Merrow Down the cuckoos cry
The silence and the sun remain.

But as the faithful years return
And hearts unwounded sing again,
Comes Taffy dancing through the fern
To lead the Surrey spring again.

Her brows are bound with bracken-fronds,
And golden elf-locks fly above;
Her eyes are bright as diamonds
And bluer than the skies above.

In mocassins and deer-skin cloak,
Unfearing, free and fair she flits,
And lights her little damp-wood smoke
To show her Daddy where she flits.

For far – oh, very far behind,
So far she cannot call to him,
Comes Tegumai alone to find
The daughter that was all to him.