Pariser Führer

Im Jahre 1867 war ich mit einigen Freunden in Paris und zwar zum Besuch der Weltausstellung. Am Morgen nach unserer Ankunft gingen wir zu dem › commissionaire‹ des Hotels – ich weiß nicht, was das bedeutet, allein es war der Mensch, an den wir uns wandten – und sagten ihm, wir möchten einen Führer haben. Er bemerkte, daß es nahezu unmöglich sein werde, einen guten Führer außer Beschäftigung zu finden. Für gewöhnlich habe er ein bis zwei Dutzend an der Hand, augenblicklich aber nur drei. Er rief dieselben herbei. Der eine sah so banditenmäßig aus, daß wir ihn gleich wieder wegschickten. Der zweite redete uns in einer peinlichen Aussprache an, welche recht deutlich sein sollte, also:

»Wenn die Gentlemen mick woll geben die Ehr, ßu behalten mick in ihre Dienste, werd ik Sie ßeigen alle Ding das sein präktik in der schönen Paris. Ik sprek die fremde Spracke parfaitement.«

Er würde am besten gethan haben, hier inne zu halten, weil er gerade so viel auswendig gelernt hatte und ohne Verstoß hersagte. Aber seine Selbstgefälligkeit verleitete ihn, sich in die höheren Regionen der fremden Sprache zu versteigen und dieser tollkühne Versuch war sein Verderben. Binnen zehn Sekunden hatte er sich in einen Haufen von verstümmelten Wörtern und verhackten Sprachformen verfilzt, daß kein menschlicher Scharfsinn mehr imstande war, ihn wieder mit heiler Haut heraus zu kriegen. Wir überließen ihn seinem Schicksal.

Der dritte Mann nahm uns gleich für sich ein. Er war einfach, aber sauber und nett gekleidet. Er trug einen hohen Seidenhut, der ein bißchen alt, aber sorgfältig gebürstet war, Handschuhe, die schon gewaschen, aber gut ausgebessert waren und einen zierlichen Spazierstock mit einem geschnitzten Griff – einem Damenfuß aus Elfenbein. Er schritt so subtil und zierlich einher wie eine Katze, die über eine schmutzige Straße geht und oh! – er war die Artigkeit, – die ruhige und zurückhaltende Selbstbeherrschung – die Ehrerbietung selbst. Er sprach sanft und bedächtig und wenn er im Begriff war, etwas auf seine eigene Verantwortlichkeit zu behaupten, oder eine Andeutung zu machen, so erwog er es aufs bedächtigste, indem er seinen Stock sinnend vor die Zähne hielt. Seine Eröffnungsrede war für einen Franzosen wirklich recht gut – im Satzbau, in den Redewendungen, in der Grammatik, im Tonfall, in der Aussprache – kurz in allem. Nachdem sprach er wenig und zurückhaltend. Wir waren bezaubert, ja mehr als bezaubert – ganz außer uns vor Freude. Wir mieteten ihn auf der Stelle und fragten gar nicht nach seinem Lohne. Dieser Mann war zwar unser Lakai, unser Diener, unser unterwürfiger Sklave, aber dennoch ein Gentleman, während von den andern beiden der eine linkisch und ungehobelt, und der andere ein geborener Seeräuber war. Wir frugen unseren Mann nach seinem Namen. Er zog aus seinem Taschenbuch eine schneeweiße kleine Karte und überreichte sie uns mit einem tiefen Bückling:

A. Bilfinger
Führer durch Paris, Frankreich,
Deutschland, Spanien, etc.
Grand Hotel du Louvre

»Bilfinger! Mir wird sterbensübel!« sagte mein Freund Dan, indem er sich wegwandte. Auch meinem Ohr that der abscheuliche Name furchtbar weh. Wir können uns viel eher an ein Gesicht gewöhnen, oder sogar es gern sehen, das uns anfänglich mißfällt, als uns mit einem übelklingenden Namen aussöhnen. Ich ärgerte mich fast, daß wir den Menschen, der wahrscheinlich ein Elsässer war, gemietet hatten, sein Name war uns zu unausstehlich. Indes, es war zu spät und wir wollten gern aufbrechen. Während Bilfinger hinaus ging, um einen Wagen herbeizurufen, sagte unser Freund, der Doktor:

»Nun mit dem Führer geht es uns wie mit mancher anderen Illusion. Ich versprach mir einen Führer Namens Henry de Montmorency oder Armand de la Chartreuse oder dergleichen, was in den Briefen an unsere Kleinstädter daheim recht großartig ausfallen würde; und nun denke man sich einen Franzosen Namens – Bilfinger. Nein, das klingt zu abgeschmackt. Es geht unmöglich; es macht einem übel. Wir müssen ihn umtaufen. Wie wäre es mit dem Namen Alexis du Caulaincourt?«

»Oder Alphonse Henri Gustave de Hauteville« schlug ich vor.

»Heißt ihn Ferguson«, meinte Dan.

Das klang zwar unromantisch, aber verständig und praktisch. Ohne weitere Debatte löschten wir Bilfinger als Bilfinger aus und nannten ihn Ferguson.

Der Wagen – ein offener Landauer – stand bereit. Ferguson stieg auf den Bock neben den Kutscher und fort gings zum Frühstück. Im Restaurant angekommen, stellte sich Ferguson, wie sich’s gehörte, neben uns, um unsere Bestellungen zu vermitteln und Fragen zu beantworten. Ganz beiläufig bemerkte er – der Schlaumeier – er selbst würde sich erlauben, sein bescheidenes Frühstück nach dem unsrigen einzunehmen. Er wußte, daß wir auf ihn angewiesen waren und keine Lust hatten, auf ihn zu warten. Wir luden ihn daher ein, sich zu uns zu setzen und mitzuessen. Er lehnte mit hundert Verbeugungen ab; es sei zu viel Ehre für ihn und er wolle lieber an einem andern Tisch sitzen. Wir befahlen ihm hierauf energisch, sich hinzusetzen. Das war unsere erste Lehre. Wir waren doch hereingefallen. Solang wir den Burschen in unserem Dienst hatten, war er immer hungrig, immer durstig. Er kam frühmorgens und blieb spät; er konnte an keinem Restaurant vorbeigehen; er schaute mit dem Auge eines Blutegels nach jeder Weinschenke. Alle Augenblicke hatte er einen Grund anzuhalten, um uns zum Essen und Trinken zu veranlassen. Wir gaben uns die größte Mühe, ihn so voll zu füllen, daß er vierzehn Tage lang keinen Platz mehr für Speise und Trank hätte; allein es mißlang. Er faßte nicht genug, um das Verlangen seines übermenschlichen Appetits eine Zeitlang beschwichtigen zu können.

Er hatte noch eine andere Unart an sich. Er wollte uns beständig veranlassen einzukaufen. Unter den gesuchtesten Vorwänden lotste er uns in Weißzeugläden, Stiefelläden, Schneiderläden, Handschuhläden – kurzum, überall hin, wo die mindeste Aussicht war, daß wir etwas kauften. Jedermann würde erraten haben, daß die Ladenbesitzer ihm einen Prozentsatz von unseren Einkäufen bewilligten, aber wir in unserer glücklichen Harmlosigkeit ahnten das nicht eher, bis Ferguson die Sache etwas zu handgreiflich machte.

Eines Tages äußerte Dan zufällig, er gedenke drei bis vier seidene Kleider zu Geschenken zu kaufen. Augenblicklich war Fergusons hungriges Auge auf ihn gerichtet. Nach Verlauf von zwanzig Minuten blieb der Wagen stehen.

»Wo sind wir?«

»Dies sein die feinste Seidenmagazin in Paris – die berühmteste.«

»Weshalb sind Sie denn hierhergefahren? Sie sollten uns doch nach dem Palais du Louvre bringen!«

»Ik dakt, der Err wünschte seidenen Stoffe ßu kaufen.«

»Man verlangt von Ihnen nicht, daß Sie für uns ›denken‹ sollen. Das hieße Ihre Energie zu sehr in Anspruch nehmen. Wir wollen von des Tages Last und Hitze selbst etwas tragen. Wir wollen versuchen, das ›Denken‹, das wirklich vonnöten ist, selbst zu besorgen. Also weitergefahren!« sagte der Doktor.

Binnen fünfzehn Minuten machte der Wagen abermals Halt und zwar vor einem zweiten Seidenwarenlager.

Wir wurden ärgerlich; aber der Doktor bewahrte seine milde Ruhe und sagte freundlich:

»Endlich! wie großartig der Louvre ist, und doch wie schmal. Wie prächtig stilisiert, wie reizend gelegen. – Ehrwürdiges Werk.« –

»Pardon, Err Doktor. Dies sein nicht das Louvre – es sein –«

»Was ist es denn?«

»Es fiel mir ein – ganz plötzlich – daß die Seide in diese Magazin –«

»Ach, Ferguson, wie gedankenlos ich doch bin. Ich wollte Ihnen ganz bestimmt sagen, daß wir heute keine Seide kaufen wollten, daß wir vielmehr erpicht darauf seien, zum Palais du Louvre zu gelangen; aber ich muß es rein ververgessen haben, es Ihnen zu sagen. Das Vergnügen, Sie heute vormittag viermal frühstücken zu sehen, muß mir alle anderen Gedanken verscheucht haben. Fahren wir also jetzt zum Louvre, Ferguson!«

»Aber, Err Doktor!« (aufgeregt) »es kostet Ihnen keine Minute. – höchstens eine kleine Minute. Der Err brauchen nix zu kaufen, wenn er nicht wollen, – nur besehen – nur ein Blick auf die prächtige Ware werfen. (Flehend: »Mein Err, – nur eine einzige Moment.«

Dan sagte: »Infamer Narr! Ich will heute durchaus keine Seidenstoffe sehen, ich thue keinen Blick darauf. Weiterfahren!«

Und der Doktor fügte hinzu: »Wir brauchen heute keine Seidenstoffe, Ferguson. Unsere Herzen sehnen sich nach dem Louvre. Lassen Sie uns weiterfahren – lassen Sie uns weiterfahren.«

»Aber, Doktor! Es sein ja nur eine Augenblick, kleine Augenblick. Und die Szeit wird nix verloren, gar nix verloren sein, weil es jetzt nix mehr zu sehen giebt – es ist ßu spät. Es fehlen noch ßehn Minuten zu Vier und der Louvre wird um vier Uhr geschlossen – nur einen kleinen Augenblick, Doktor!«

Der verräterische Halunke! Uns nach vier Frühstücken und einer Gallone Champagner einen solchen Streich zu spielen. So bekamen wir an diesem Tag von den zahllosen Kunstschätzen des Louvre nichts zu sehen und unsere einzige kümmerliche Genugthuung bestand in dem Gedanken, daß es Ferguson nicht gelungen war, uns ein seidenes Kleid zu verkaufen.

Ich schreibe diesen Artikel teils wegen der Befriedigung, die mir das Schimpfen auf diesen vollendeten Bösewicht Bilfinger gewährt, teils um jedem, der dies liest, zu zeigen, wie die Fremden in den Händen dieser Pariser Führer fahren und was für eine Sorte diese letzteren sind. Man meine nicht, daß wir eine dümmere oder leichtere Beute waren als unsere Landsleute gewöhnlich sind; durchaus nicht. Die Führer machen’s mit jedem so, der sich ihnen anvertraut, wenn er zum erstenmal in Paris ist. Aber – ich werde Paris eines schönen Tages wieder besuchen und dann mögen sich diese Führer in acht nehmen. Ich werde in meiner Kriegsbemalung hingehen und – meinen Tomahawk mitbringen.