Die Schatzgräber
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Es naht einmal eine Zeit in dem Leben eines jeden Jungen von echtem Schrot und Korn, wo er ein rasendes Verlangen empfindet, nach verborgenen Schätzen zu graben. Dies Verlangen nun überfiel eines Tages unseren Tom mit Allgewalt. Er wollte sich gleich mit Joe Harper in Verbindung setzen; dieser war jedoch nicht zu finden. Dann schaute er sich nach Ben Rogers um, und der war fischen gegangen. Zufällig stieß er auf Huck Finn, den »Rothändigen«, und in Ermangelung der anderen war ihm dieser auch recht. Tom zog ihn beiseite an einen geheimen Ort und teilte ihm im Vertrauen den Plan mit. Huck war einverstanden. Huck war immer bereit, die Hand zu irgendeinem Unternehmen zu bieten, welches Vergnügen versprach und kein Kapital erforderte, denn er hatte einen Überfluß von der Zeit, die kein Geld ist.
»Wo sollen wir graben?« fragte Huck.
»Na, so ’n bißchen überall.«
»Was? Gibt’s denn überall ’nen Schatz?«
»Wie du nur so fragen magst! Die sind immer nur an ganz besonderen Plätzen. Mal auf ’ner Insel, dann in ’ner alten verfaulten Kiste, die unter einem alten vermoderten Baumstamm verscharrt ist, grad da, wo der Schatten um Mitternacht hinfällt; gewöhnlich aber steckt der Schatz unterm Boden eines Hauses, in dem’s spukt.«
»Wer steckt ’n denn da hin?«
»Wer? Ei Räuber natürlich, wer denn sonst? Etwa ’n Vikar, der die Sonntagsschule hält, was?«
»Was weiß ich? Das weiß ich aber gewiß, ich würd den Schatz nicht irgendwo vergraben, wenn er mein wär, sondern nehmen und ausgeben und lustig damit leben.«
»Ich auch. Räuber aber machen’s anders, die vergraben ihn immer und lassen ihn liegen.«
»Und gucken gar nie mal darnach?«
»Nee. Sie wollen wohl, aber dann haben sie die Zeichen vergessen, oder sterben gewöhnlich. Na, auf jeden Fall liegt der Schatz da ’ne Ewigkeit und wird rostig. Und dann nach einiger Zeit entdeckt mal einer ein altes, gelbes Papier, auf dem steht, wie man die Zeichen finden kann, ein Papier, an dem man ’ne Woche lang und länger ‚rumbuchstabieren und entziffern muß, denn ’s steht nichts weiter drauf, als geheimnisvolle Krakelfüße und Hieroglyphen.«
»Hiero – was?«
»Hieroglyphen – Bilder und Gekritzel und solches Zeug, von dem man meint, es habe gar keinen Sinn.«
»Hast du denn so ’n Papier, Tom?«
»Nee.«
»Na, und wo willst du denn da die Zeichen finden?«
»Zeichen? Ich brauch keine Zeichen. Ich weiß ja genau, daß der Schatz immer unter ’nem Spukhaus, oder auf ’ner Insel, oder unter ’nem alten toten Baum liegt, der noch einen abgestorbenen Ast in die Höhe streckt. Na, wir haben ja die Jacksoninsel schon mal ’n bißchen abgesucht, dort können wir’s noch mal probieren. Dann haben wir ja das alte, verfallene Spuknest, droben am Stillhausbach, und Haufen von alten abgestorbenen Bäumen überall, – Haufen, sag ich dir!«
»Na, und unter allen liegt einer vergraben?«
»Unsinn! Du fragst wie du’s verstehst. Natürlich nicht.«
»Wie willst du dann aber wissen, welches der rechte ist?«
»Ei, wir probieren’s eben überall.«
»Herrgott, Tom, da geht ja der ganze Sommer drauf.«
»Das wohl! Gelt, wenn du dann aber ’nen alten Topf mit hundert blitzeblanken Dollars drin kriegst, oder ’ne Kiste voll Diamanten, dann wärst du nicht böse?«
Hucks Augen glühten.
»Das – das wär ’n Fressen für mich; das Geld genügte mir, die Diamanten ließ ich dir!«
»Schon recht. Ich werf sie nicht weg, sag ich dir, Dummkopf! Ei, einer davon ist oft mehr wert, als zwanzig Dollars, ’s gibt keinen, der nicht zum wenigsten sechzig, siebzig Cents oder ’nen Dollar gilt.«
»Nee! Wahrhaftig?«
»Na, das kann dir ’n Wickelkind sagen! Hast du denn nie mal einen gesehen, Huck?«
»Nee. Nicht daß ich wüßte!«
»O, Könige haben ganze Haufen davon.«
»Na, ich kenn aber keine Könige, Tom.«
»Glaub’s wohl! Nee, wenn du mal nach Europa gingst, könntst du sie in Scharen ‚rumhopsen sehen.«
»Hopsen die denn?«
»Hopsen? – Bist wohl verrückt? Nein, hopsen tun sie nicht.«
»Na, was sagst du’s denn?«
»Däsbartel! Ich wollt ja nur sagen, dann könntst du sie sehen, – nicht hopsen, natürlich, – weshalb sollten sie denn hopsen? Ich meinte nur, so im allgemeinen würdest du ’ne Menge davon sehen, überall ‚rum. Zum Beispiel den alten, buckligen Richard.«
»Richard – wie heißt er weiter?«
»Ei, Richard bloß, hat keinen anderen Namen. Könige haben nur einen Rufnamen.«
»Wahrhaftig?«
»Weiß Gott, sie haben nur einen.«
»Na, wenn’s ihnen recht ist, Tom, mir kann’s eins sein. Ich möcht aber kein König sein und nur so einen lumpigen Namen haben, grad wie ’n elender Nigger. Aber sag mal, wo wollen wir denn zuerst graben?«
»Weiß selber nicht. Wie wär’s, wenn wir uns mal zuerst an den alten Baum machten, da drüben auf dem Hügel überm Stillhausbach?«
»Mir recht!«
So verschafften sie sich denn eine alte, ausgediente Hacke und Schaufel und machten sich auf ihren Marsch von drei Meilen. Heiß und außer Atem kamen sie an und warfen sich zum Ausruhen in den Schatten einer benachbarten Ulme, holten ihre Pfeifen hervor und dampften wacker darauf los.
»So mag ich’s«, sagte Tom.
»Ich auch.«
»Sag mal, Huck, wenn wir hier ’nen Schatz finden, was willst du dann mit deinem Teil anfangen?«
»Ich? Ei, ich eß jeden Tag Kuchen und Pasteten, und trink Wein und Sodawasser dazu. Und dann geh ich in jeden Zirkus, der kommt und – na, ich will mir schon ein vergnügtes Leben machen!«
»Und sparen willst du dir gar nichts?«
»Sparen? Zu was?«
»Ei, um später was zum Leben zu haben.«
»Würd mir nichts helfen, Tom. Mein Alter kommt gewiß mal wieder zum Vorschein, und wenn ich’s nicht vorher tät, hätt‘ der bald genug mit allem aufgeräumt, darauf wett ich. Was willst du denn mit deinem Teil anfangen, Tom?«
»Ich? ich kauf mir erst mal eine neue Trommel und ein richtiges Schwert und eine rote Krawatte und ’ne junge Bulldogge und dann – dann verheirat ich mich.«
»Verheiratst dich?«
»Jawohl.«
»Tom, du – bist wohl übergeschnappt?«
»Wart nur – dann sollst du’s erleben.«
»Na, Tom, das ist einfach das Dümmste, was du tun kannst. Nimm nur mal meinen Alten und meine Mutter an. Nichts als Keilerei! Die haben immerzu aufeinander losgedroschen, das weiß ich noch ganz gut.«
»Das will gar nichts sagen. Das Mädchen, das ich heirat, prügelt sich nicht herum.«
»Tom, glaub’s nicht, die sind alle gleich. Das Zuhauen versteht ’ne jede. Überleg dir’s noch ein Weilchen, sag ich dir – überleg dir’s. Wie heißt denn das Mädel?«
»’s ist kein Mädel – es ist ein Mädchen.«
»Na, das kommt auf eins heraus. Mädel oder Mädchen, ’s ist ganz dasselbe, gehupft wie gesprungen! Na also, wie heißt sie, Tom?«
»Will dir’s vielleicht später mal sagen. Jetzt nicht.«
»Mir auch recht. Nun werd ich, wenn du dich verheiratst, noch viel alleiner sein als je.«
»Nein, das sollst du nicht. Du kommst und wohnst bei mir. Na, jetzt laß uns aber vorwärts machen und an die Arbeit gehen.«
Eine halbe Stunde lang gruben und schwitzten sie. Kein Erfolg. Noch eine halbe Stunde der Mühe und des Schweißes. Derselbe Erfolg. Jetzt sagte Huck:
»Liegt so ’n Schatz immer so tief drunten?«
»Manchmal, – nicht immer. Gewöhnlich nicht. Wir haben eben vermutlich nicht den richt’gen Platz getroffen.«
Sie wählten eine andere Stelle und fingen von neuem an. Etwas weniger rasch als im Anfang ging die Arbeit vonstatten, doch machten sie Fortschritte. Stillschweigend mühten sie sich eine Weile ab. Schließlich stützte sich Huck auf seine Schaufel, wischte sich mit seinem Ärmel die Schweißtropfen von der Stirn und fragte:
»Wo gehen wir nachher hin, wenn wir hier fertig sind?«
»Ei, an den alten Baum, denk ich, der dort auf dem Cardiffhügel hinter dem Haus der Witwe Douglas steht.«
»Einverstanden! Wird uns aber die Witwe den Schatz nicht wegnehmen? Der Baum steht doch auf ihrem Boden.«
» Die uns wegnehmen? Sollt’s mal probieren! Wer so ’nen Schatz findet, dem gehört er auch. ’s kommt gar nicht drauf an, wo er gefunden wird.«
Das lautete beruhigend. Die Arbeit schritt vor. Endlich sagte Huck:
»Hol’s der Geier! ’s muß wieder der falsche Platz sein. Was meinst du?«
»Sonderbar ist’s, Huck, ich versteh’s nicht recht. Manchmal steckt Hexerei dahinter. Vielleicht ist’s jetzt auch hier so.«
»Dummes Zeug! Hexen haben am Tag keine Macht.«
»Wahr ist’s, daran hab ich nicht gedacht. Ach, jetzt weiß ich, was schuld ist! Was wir für einfältige Narren sind! Man muß ja doch erst wissen, wo der Schatten des Baumes um Mitternacht hinfällt, und da liegt der Schatz.«
»Na, dann hol’s der Teufel! Dann ist ja die ganze Graberei umsonst gewesen. Hol’s der Henker, alles mit’nander, müssen also in der Nacht den scheußlich weiten Weg noch einmal machen! Kannst du loskommen?«
»Freilich kann ich. Heut nacht muß es jedenfalls sein, denn wenn einer kommt und sieht die Wühlerei und die Löcher, dann weiß er gleich, was los ist, macht sich selber dahinter und schnappt uns am Ende die Bescherung vor der Nase weg.«
»Gut also. Ich werd diese Nacht kommen und miauen.«
»Schön. Komm her, wir verstecken unsere Hacke und Schaufel im Gebüsch.«
Zur festgesetzten Zeit waren denn auch die Jungen in der Nacht an Ort und Stelle. Wartend saßen sie im Schatten. Es war ein einsamer Ort und eine von alters her feierliche Stunde. Geister flüsterten im raschelnden Laube, Gespenster lauerten in dunkeln Ecken und Winkeln, das dumpfe, tiefe Gebell eines Hundes erscholl aus der Ferne, dem eine Eule mit hohler Grabesstimme antwortete. Diese ahnungsvolle Feierlichkeit der Stunde lastete auf den beiden Jungen, sie sprachen wenig. Nach einer Weile, als sie dachten, nun müsse Mitternacht da sein, machten sie einen Strich, wo der Mondschein den Schatten des Baumes hinwarf, und begannen zu graben, Ihre Hoffnungen stiegen. Das Interesse wuchs und der Fleiß hielt ehrlich Schritt, Das Loch wurde tiefer und tiefer, aber jedesmal, wenn sie die Hacke auf etwas Festes aufklingen hörten, und ihnen das Herz voll freudiger Hoffnung laut klopfte, war’s nichts als erneute Enttäuschung. Ein Stein war’s gewesen, oder ein alter Holzknüppel! Endlich sagte Tom:
»Es nutzt nichts, Huck, ’s ist wieder der falsche Platz.«
»’s kann nicht sein, Tom, wir haben ja den Schatten aufs Haar abgezirkelt.«
»Weiß ich. Aber da ist noch was anderes.«
»Was denn?«
»Ja sieh. Wir haben doch die Zeit nur so ungefähr erraten. Am Ende war’s zu spät oder zu früh.«
Huck ließ die Schaufel sinken.
»Das ist’s, weiß Gott!« sagte er, »Da liegt der Hund begraben! Ich meine, wir lassen die Sache bleiben. Wie sollen wir je die richtige Zeit herausfinden, und außerdem – ’s ist so gruselig hier um die Zeit in der Nacht mit all den Geistern und Gespenstern, die nur so in der Luft herumflattern. Ich mein‘ immerzu, ’s stünd einer hinter mir, aber ich fürcht mich, herumzuschauen, weil ja auch einer vor mir sein könnt, der nur auf die Gelegenheit wartet, bis ich den Kopf dreh. Seit ich hier bin, läuft’s mir fortwährend eiskalt über den Rücken!«
»Mir geht’s beinah ebenso, Huck. Weißt du, meistens liegt auch bei so ’nem Schatz irgendein toter Mensch vergraben, der Wache halten soll.«
»Herr, du mein Gott!«
»Ja, so ist’s, das hab ich oft gehört.«
»Tom, ich befaß mich nicht gern mit den Toten, Die machen einem immer nur Ungelegenheiten.«
»Ich Hab auch keine Lust, sie aufzuwecken. Denk mal, wenn der hier plötzlich seinen Schädel ‚rausstreckte und was sagen wollte.«
»Tom, Tom, hör auf, ’s ist schauerlich!«
»Das ist’s, Huck, Mir ist auch kein bißchen wohl dabei, sag ich dir.«
»Komm, Tom, wir stecken’s auf und graben mal wo anders.«
»Gut, ’s ist am End besser.
Tom dachte ein Weilchen nach und sagte dann:
»Im Gespensterhaus. Das ist der richt’ge Ort!«
»Hol’s der Geier, Ich mag keine Häuser, in denen’s spukt, Tom. Weiß Gott, Gespenster sind fast noch schlimmer als tote Menschen. Die mögen meinethalben mal plötzlich, ohne daß man daran denkt, den Mund auftun und einen erschrecken, aber die kriechen doch nicht herum in ihren Leichentüchern wie die Gespenster, und sehen einem plötzlich über die Schulter, wenn man gar nicht an sie denkt, und klappern mit den Zähnen und Beinern, Das könnt ich nicht aushalten, Tom, – kein Mensch könnt so was.«
»Ja aber, Huck, Gespenster spuken doch nur in der Nacht. Am Tag werden sie uns dort am Graben nicht hindern.«
»Das ist wohl wahr. Aber du weißt selber, daß keiner hier gern dem Gespensterhaus nah geht, bei Tag nicht und nicht bei Nacht!«
»Na, das ist doch auch nur, weil mal einer da ermordet worden ist. Aber gesehen hat man nie was Unheimliches in der Nacht um das Haus herum, höchstens mal ’n blaues Licht am Fenster vorbeihuschen, – keine richtigen Gespenster.«
»Na, wo du aber so ’n blaues Flämmchen siehst, Tom, kannst du Gift drauf nehmen, daß ’n Geist dicht dahinter ist. Das ist doch so klar wie was! Denn wer anders als Geister braucht so ’n Licht?«
»Das kann sein. Aber auf keinen Fall kommen sie bei Tag heraus. Also brauchen wir uns gar nicht zu fürchten.«
»Gut, mir soll’s recht sein. Wir wollen das Gespensterhaus vornehmen. Aber – aber ich glaub, riskiert ist’s doch!«
Unter diesem Geplauder waren sie am Fuß des Hügels angelangt. Dort, inmitten des mondbeglänzten Tales, stand das »Gespensterhaus«, gänzlich vereinsamt, mit längst verfallener Umzäunung. Üppig rankendes Unkraut überzog Treppenstufen und Türschwelle, der Schornstein war in Trümmer zerfallen; leer starrten die Fensterhöhlen, ein Teil des Daches war eingesunken. Eine Weile blickten die Jungen unverwandt auf den gespenstigen Ort, immer halb in Erwartung, die blauen Flämmchen hinter den Fenstern vorbeihuschen zu sehen. Sie sprachen im Flüstertone, wie es zu Zeit und Umständen paßte. Dann rissen sie sich los von der unheimlichen Stätte, die sie in weitem Bogen umkreisten, und schlugen sich heimwärts durch die Wälder, welche die Rückseite des Cardiffhügels mit ihrem Grün schmückten.