Siebenzehntes Kapitel.
Als Roxana in St. Louis ankam, fand sie ihren Sohn so voller Jammer und Verzweiflung, daß es ihr zu Herzen ging und alle mütterlichen Gefühle sich mächtig in ihr regten. Er war jetzt gänzlich zu Grunde gerichtet, nichts konnte ihn vom drohenden Untergang retten. Mehr braucht eine Mutter nicht, um ihr Kind zu lieben. Doch Tom schrak zurück vor den Beweisen ihrer Zärtlichkeit. Sie war eine Negerin, und es erhöhte nur noch seine Abneigung gegen die verachtete Rasse, daß er ihr selber angehörte.
Roxana überhäufte ihn nach Herzenslust mit Liebkosungen, wobei er sich sehr unbehaglich fühlte. Ihre Versuche, ihn zu trösten, waren alle vergebens. Bald wurden ihm ihre Vertraulichkeiten so unerträglich, daß er sich schon aufraffen wollte, um zu verlangen, sie solle sich in ihren Gefühlsäußerungen beschränken oder sie ganz unterdrücken. Aber er hatte Angst vor ihr und war froh, als sie jetzt von selbst mit den Liebesbezeugungen aufhörte und nachzudenken begann, um einen Rettungsplan zu finden. Nach einer Weile stand sie plötzlich auf und sagte zu Toms unaussprechlicher Freude, sie wisse jetzt einen Ausweg.
»Hör‘ meinen Plan – der gelingt, du sollst’s‘ sehen. Daß ich ’ne Negerin bin, merkt jeder, wenn ich spreche. Ich bin sechshundert Dollars wert. Nimm mich, verkauf mich und zahl‘ deine Spielschulden.«
Tom riß die Augen weit auf, er glaubte nicht recht gehört zu haben. Eine Weile war er wie betäubt, dann sagte er:
»Willst du dich als Sklavin verkaufen lassen, um mich zu retten?«
»Bist du nicht mein Sohn? Alles thut ’ne Mutter für ihr Kind. Es giebt nichts, was ’ne weiße Mutter nicht für ihr Kind thäte. Wie kommt das? Uns‘ Herrgott hat sie so geschaffen. Und wie steht’s mit ’ner Negermutter? Die hat der liebe Gott auch gemacht. Inwendig sind alle Mütter gleich – Ich laß mich als Sklavin verkaufen, und nach’m Jahr zahlst du’s Lösegeld für deine alte Mammy. Wie du’s machen sollst, sag‘ ich dir noch. – Das ist mein Plan.«
Tom schöpfte neue Hoffnung, sein Kleinmut war gewichen.
»Mammy,« sagte er, »das ist wirklich zu lieb von dir – offengestanden –«
»Sag’s noch ‚mal, sag’s immer zu! Kann’s einen größeren Lohn auf Erden geben – nein, ’s ist übergenug. Ach Gottchen, wenn ich fort bin von hier, und ich mich abrackere, und sie mich schimpfen und schlagen, dann denk‘ ich, daß du das irgendwo sagst, und dann halt‘ ich’s schon aus.«
»Schon recht. Ich will’s noch einmal sagen und nicht aufhören, es zu wiederholen, Mammy. Aber, wie kann ich dich verkaufen? Du bist ja freigelassen.«
»Ach, das schadet nichts. Die Weißen nehmen’s nicht so genau. Setz‘ nur einen Zettel auf, weißt du, so ’ne Verkaufsanzeige – und schick ihn weit ins Innere, irgendwo nach Kentucky, unterzeichne ein paar Namen, und schreib‘, du hättest Geld nötig und wolltest mich billig hergeben. Du sollst sehen, ’s geht ganz von selbst. Fahr‘ mit mir ein Stück ins Land hinein und bring‘ mich auf’n Pachtgut. Dort fragen die Leute nicht erst viel hin und her, wenn sie ’nen guten Handel machen können.«
Tom fälschte einen Kaufbrief und kam mit einem Baumwollpflanzer aus Arkansas überein, daß er ihm etwas mehr als sechshundert Dollars zahlen sollte. Für den Preis verkaufte er seine Mutter. Hätte diese gewußt, daß sie flußabwärts, in einen der gefürchteten Sklavenstaaten verkauft werden sollte, dann würde sie gewiß nicht eingewilligt haben. Es war nicht Toms Absicht gewesen, solchen Verrat zu begehen; aber der Zufall hatte ihm den Mann in den Weg geführt, und so brauchte er nicht erst lange im Lande herumzufahren, um einen Käufer zu suchen, der vielleicht erst allerlei Erkundigungen eingezogen hätte. Der Pflanzer vom Süden dagegen sparte sich alle Fragen, denn Roxy gefiel ihm ausnehmend; auch versicherte er Tom, sie solle zuerst gar nichts davon merken, wohin sie geraten sei. Entdeckte sie es dann auch später, so hätte sie sich schon eingelebt und würde sich zufrieden geben. Tom beschwichtigte seine etwaigen Bedenken mit dem Vorwande, daß es doch für Roxy von ungeheuerm Vorteil sei, einen Herrn zu bekommen, der so großes Gefallen an ihr fände, wie der Pflanzer, und es dauerte nicht lange, so hatte er sich halb und halb eingeredet, er thäte Roxy einen heimlichen Dienst damit, daß er sie ›flußabwärts‹ verkaufte. »Es ist ja nur auf ein Jahr,« sagte er sich immer wieder. »In einem Jahr schicke ich ihr das Lösegeld, bei diesem Gedanken wird sie sich beruhigen.« Was konnte der kleine Betrug denn eigentlich schaden? Schließlich würde die Sache doch ein für alle Teile befriedigendes Ende nehmen.
Auf beiderseitiges Uebereinkommen war in Roxys Gegenwart nur immer von des Käufers Pachtgut im Norden die Rede, das so freundlich gelegen sei, und wo sich die Sklaven so wohl befänden. Die arme Roxy wurde auf diese Weise gänzlich getäuscht; es fiel ihr auch nicht im Traum ein, daß ihr Sohn solche Tücke gegen eine Mutter üben könnte, die sich freiwillig ihm zuliebe in die Sklaverei begab. Welcher Art diese Sklaverei auch sein mochte, ob leicht oder schwer, ob von kurzer oder langer Dauer – jedenfalls brachte sie ein ungeheures Opfer. Mit tausend Thränen und Liebkosungen nahm sie unter vier Augen Abschied von Tom und folgte dann ihrem künftigen Gebieter, zwar schweren Herzens, aber doch stolz auf das, was sie that, und froh, daß sie im stande war, es zu vollbringen.
Tom befriedigte seine Gläubiger und beschloß, sich streng an die Vorschriften zu halten, die ihm zur Richtschnur für seine Besserung dienten, damit er sich nie wieder der Gefahr aussetzte, enterbt zu werden. Dreihundert Dollars behielt er noch übrig; der Plan seiner Mutter ging dahin, daß er diese Summe sicher verwahren und regelmäßig die Hälfte seines Monatsgeldes dazu thun sollte. Mit dem so gewonnenen Kapital konnte er ihr nach einem Jahr die Freiheit zurückkaufen.
Eine ganze Woche lang fand er keinen ruhiger Schlaf, weil die Niederträchtigkeit, die er gegen seine ahnungslose Mutter begangen hatte, auf dem erbärmlichen Rest seines Gewissens lastete; dann aber begann er sich wieder behaglich zu fühlen und konnte bald so gut schlafen, wie andere Uebelthäter auch.
Als das Boot eines Abends mit Roxy von St. Louis abfuhr, stand sie an dem untern Geländer hinter dem Radkasten. Die Thränen trübten ihren Blick, doch sie schaute nach Tom aus, bis er unter der Menge am Ufer verschwand; dann sah sie nicht mehr ins Weite, sondern setzte sich auf eine Rolle Tauwerk und schluchzte bis tief in die Nacht hinein. Ohne Zweifel würde sie sonst gemerkt haben, daß sie nicht den Strom aufwärts fuhr. Hatte sie doch jahrelang auf einem Dampfboot in Dienst gestanden – wie wäre ihr das entgangen? Als sie endlich nach der schmutzigen Koje im Zwischendeck hinunterging, die neben der klappernden Maschine lag, konnte sie nicht schlafen, sondern wartete nur bekümmerten Herzens auf den dämmernden Morgen.
Sobald es hell wurde, stand sie auf und nahm teilnahmlos oben wieder auf dem Tauwerk Platz. Die Wellen brachen sich an manchem Baumstamm im Fluß und die Strömung, die in derselben Richtung ging wie das Boot, hätte ihr leicht eine Thatsache verraten können, die sie mit Schauder erfüllen mußte, doch sie gab nicht acht darauf, weil ihr zu viel andere Dinge im Sinn lagen. Endlich aber weckte eine stärkere Brandung in nächster Nähe sie aus ihrer Versunkenheit; sie sah empor, und ihr geübtes Auge erkannte sogleich, nach welcher Seite die Flut trieb. Einen Moment starrte sie wie versteinert in den Strom hinaus, dann ließ sie den Kopf auf die Brust sinken und stöhnte laut:
»O, du grundgütiger Gott im Himmel, erbarm‘ dich meiner armen Seele – ich bin flußabwärts verkauft!«