Neunzehntes Kapitel.

Am Freitag nach der Wahl war Regenwetter in St. Louis. Es strömte vom Morgen bis zum Abend, was nur vom Himmel herunter wollte, gerade als hätte der Regen sich vorgenommen, die rußgeschwärzte Stadt weiß zu waschen, was ihm freilich nicht gelang. Gegen Mitternacht kam Tom Driscoll bei dem stärksten Guß aus dem Theater nach seiner Wohnung zurück; er machte seinen Schirm zu, um die Hausthür zu öffnen, als er sie aber hinter sich schließen wollte, merkte er, daß noch jemand eintrat, vermutlich ein anderer Mieter. Der Unbekannte machte die Thür zu und stieg nach ihm die Treppe hinauf. Als Tom seine Stubenthür im Dunkeln gefunden hatte, zündete er drinnen das Gas an, pfiff leise eine Melodie vor sich hin und drehte sich gemächlich um. Da sah er einen Mann, der ihm den Rücken zukehrte und eben die Thür hinter ihm abschloß; Tom hörte auf zu pfeifen, ihm ward unbehaglich zu Mute. Jetzt wandte sich der Mann zu ihm hin, seine alten schäbigen Kleider waren ganz durchweicht und trieften vom Regen, unter seinem abgetragenen Schlapphut starrte ein schwarzes Gesicht hervor. Tom geriet in entsetzliche Angst, er wollte den Eindringling hinausjagen, aber er konnte kein Glied rühren, die Worte blieben ihm in der Kehle stecken und der andere kam ihm zuvor.

»Mach‘ keinen Lärm,« sagte er mit unterdrückter Stimme, »ich bin deine Mutter.«

Wie vom Blitz getroffen sank Tom auf einen Stuhl.

»Es war schändlich von mir und niederträchtig,« stieß er keuchend hervor, »aber ich glaubte, daß es so am besten wäre – gewiß und wahrhaftig.«

Roxana stand eine Weile regungslos da und sah stumm auf ihn herab, während er, sich vor Scham windend, bald unzusammenhängende Selbstanklagen murmelte, bald jammervolle Versuche anstellte, sein Verbrechen zu erklären und zu beschönigen. Dann setzte sie sich und nahm den Hut ab, so daß ihr langes braunes Haar ihr in dichten, wirren Strähnen über die Schultern fiel.

»Dein Verdienst ist’s nicht, wenn mein Haar nicht grau geworden ist,« sagte sie klagend.

»Ich weiß es, o, ich weiß es – ich bin ein Schurke. Aber ich hielt es für das beste, das schwöre ich. Es war ein Irrtum, aber wirklich, ich dachte, ich könnte nichts besseres thun.«

Roxy begann leise vor sich hin zu weinen und zu schluchzen, dazwischen stieß sie auch Worte aus, aber sie klangen wie Jammerlaute, nicht wie ein zorniger Vorwurf.

»’Nen Menschen nach’m Süden verkaufen – flußabwärts – das beste! – Keinem Hund thät‘ ich’s an. Ganz gebrochen und abgemergelt bin ich – ich kann nicht mal mehr wütend werden, wie früher, wenn man mich geschimpft hat und mit Füßen getreten. Wie’s kommt, weiß ich nicht – mir fehlt scheint’s die Kraft. Kummer liegt mir jetzt näher als Zorn, ich hab‘ zu viel auszustehen gehabt das wird’s wohl sein.«

Ihre Klagen hätten Tom zu Herzen gehen müssen, aber, wenn das der Fall war, so wurde seine Rührung von einem stärkeren Gefühl verschlungen. Die entsetzliche Angst, die auf ihm gelastet hatte, war gewichen, sein gebrochener Mut begann sich neu zu beleben, und seine niedrige Seele atmete auf wie erlöst. Doch schwieg er wohlweislich still und wagte nicht die leiseste Aeußerung zu thun. Eine Weile ward kein Wort gesprochen, man hörte nur, wie draußen der Regen an die Scheiben klatschte, wie der Wind heulte und stöhnte; ab und zu ließ Roxana ein leises Schluchzen hören, das immer seltener wurde und zuletzt ganz verstummte. Dann begann sie wieder zu reden:

»Das Licht ist zu hell. Mach‘ es dunkler. Immer noch mehr. Wer verfolgt wird, mag kein Licht leiden. So ist’s genug, ich brauch‘ nur zu sehen, wo du bist. Jetzt erzähl‘ ich, wie mir’s ergangen ist – ich mach’s so kurz ich kann – und dann werd‘ ich dir sagen, was du thun sollst. – Der Mann, der mich gekauft hat, war nicht schlecht für ’nen Pflanzer. Hätt‘ er seinen Willen haben können, so wär‘ ich ’ne Haussklavin in der Familie gewesen und hätt’s gut gehabt. Aber seine Frau war vom Norden und gar nicht hübsch; sie konnt‘ mich von vornherein nicht leiden, und so wurd‘ ich ins Sklavenquartier geschickt und mußt‘ auf dem Feld arbeiten. Aber dem Weib war auch das nicht genug in ihrer schändlichen Eifersucht; sie steckt sich hinter den Aufseher, und der holt mich ‚raus, eh‘ noch der Morgen graut, läßt mich den ganzen Tag schaffen, bis es dunkel wird und giebt mir seine Peitsche zu kosten, so oft ich’s nicht den Stärksten gleichthu‘. Er kam auch aus dem Norden, aus Neuengland, und was das heißen will, weiß jeder Sklave im Süden. Die verstehen’s, wie man ’nen Neger zu Tode quält und ihm den Rücken blutig schlägt, daß die Striemen fingerdick aufschwellen. Zuerst legte der Massa noch ein gutes Wort ein für mich beim Aufseher, aber da ging mir’s schlecht – das Weib kam dahinter, und nun setzt‘ es Hiebe, wo ich ging und stand – ohne Gnad‘ und Barmherzigkeit.«

In Toms Innern kochte es vor Wut – gegen das Weib des Pflanzers. »Der Henker hole die verdammte Närrin,« fluchte er heimlich, »hätte sie sich nicht eingemischt, wäre alles gut gegangen.«

Der Ingrimm stand ihm im Gesicht geschrieben, und ein Blitz, der in diesem Augenblick das düstere Zimmer taghell erleuchtete, ließ Roxana in seinen Zügen lesen. Sie freute sich darüber, denn bewies dieser Ausdruck nicht, daß ihr Kind das Leiden der Mutter mit empfand und ihre Peiniger verwünschte? – und daran hatte sie stark gezweifelt. Aber der helle Freudenschein verschwand ebenso schnell, wie er gekommen war und es ward dunkel in ihr. »Er hat mich flußabwärts verkauft,« sagte sie sich, »sein Mitleid verfliegt wie Spreu, es hat keinen Bestand.«

Dann nahm sie ihren Bericht wieder auf:

»Zehn Tage sind’s her, da sagt‘ ich zu mir: lange halt‘ ich’s nicht mehr aus; die höllische Arbeit, die vielen Schläge werden mich umbringen, eh‘ noch ein paar Wochen vorbei sind – so totmatt und elend war mir zu Mut. Wenn das Leben so weiter gehen sollt‘, wär‘ ich viel lieber gestorben, mir war alles einerlei. Ist man erst so weit, dann gilt’s einem auch gleich, was man thut. Da war ein armes, kleines Negermädchen, zehn Jahr alt, die war gut zu mir und hatte keine Mammy und wir hatten uns beide lieb. Sie kam aufs Feld und wollte mir ’ne gebratene Kartoffel zustecken, aus Mitleid, weil sie wußte, daß ich nicht satt zu essen kriegte. Doch der Aufseher ertappt sie dabei, und schlägt sie mit seinem Stock über’n Rücken, der so dick war wie’n Besenstiel, daß sie zu Boden fällt und sich vor Schmerz krümmt und windet. Ich konnt’s nicht mit ansehen. Die ganze Hölle tobte in mir – ich riß dem Mann den Stock aus der Hand und schlug ihn nieder. Da lag er ächzend und fluchend, er rührte kein Glied mehr. Die Neger waren zum Tod erschrocken und kamen und wollten ihm helfen. Ich sprang auf sein Pferd, und fort ging’s zum Fluß wie der Wind. Was mir geschehen würde, wußt‘ ich wohl. Der Mann hätt‘ mich zu Tode geschunden, sobald er wieder auf den Beinen war, wenn’s der Massa zugab. Oder, sie hätten mich weiter flußabwärts verkauft – und das kommt auf eins ‚raus. Da sprang ich lieber ins Wasser und macht‘ meiner Not ein Ende. Es war schon dämmerig geworden und in zwei Minuten kam ich zum Fluß. Da lag ein Kahn am Land, und ich sag‘ zu mir: ›Was soll ich mich ertränken, wenn ich nicht muß‹ und bind‘ das Pferd an’n Baumstamm, stoß‘ den Kahn ins Wasser, fahr‘ immer am steilen Ufer hin und bet‘ zu unserm Herrgott, daß die Nacht mich schnell zudeckt. Ich hatt‘ ’nen guten Vorsprung, denn das große Haus liegt drei Meilen vom Fluß; bis die Neger auf den Arbeitspferden hinkamen und wieder zurück, war es längst dunkel. Sie ritten gewiß nicht zu schnell, um mir Zeit zu lassen. Bei Nacht konnten sie die Pferdespur nicht finden, erst am Morgen würden sie sehen, welchen Weg ich genommen hatte, und lügen würden die Neger auch, so viel sie nur konnten.

Also, die Nacht kam, und ich fuhr immer weiter auf dem Fluß; zwei Stunden lang ruderte ich noch, dann hatt‘ ich keine Angst mehr, ließ mich forttreiben im Strom und dacht‘ mir aus, was ich thun wollte, wenn ich nicht ins Wasser springen müßt‘. Ich machte viele Pläne und überlegte alles hin und her, wie ich so still im Kahn saß. Es mocht‘ wohl bald nach Mitternacht sein und ich war fünfzehn oder zwanzig Meilen gefahren, da sah ich die Lichter von’m Dampfer, der am Ufer lag, es war aber keine Werft da und keine Stadt. Beim Sternenschein konnt‘ ich die Form der Schornsteine erkennen und – o, du meine Güte, auf einmal meint ich doch, ich müßt‘ aus der Haut fahren vor Freude. Es war ja der ›Großmogul ‹, auf dem ich acht Jahre lang Stubenmädchen gewesen bin und der Handel trieb zwischen Cincinnati und New Orleans. Ich fuhr mit dem Kahn dicht ‚ran – aber nirgends rührte sich was. Nur unten im Maschinenraum hört‘ ich ein Geklopf und Gehämmer. Da wußt‘ ich, ’s war was an der Maschine zerbrochen. Ich geh‘ ans Land, laß meinen Kahn treiben und späh‘ nach dem Dampfer hin, bis ich ans Laufbrett komm‘ und an Bord gehen kann. ‚S war ganz unmenschlich heiß. Auf dem Vorderdeck lagen die Leute lang ausgestreckt, der zweite Maat, Jim Bangs, saß auf der Beting, mit dem Kopf in’n Händen und schlief. So hält er immer die Kapitänswache. Und der alte Steuermann Billy Hatch war auf der Kajütentreppe eingenickt. Ich kannte sie alle und Herrje, wie froh war ich! ›Jetzt soll nur der alte Massa kommen und mich fangen‹ dacht‘ ich, ›hier bin ich unter Freunden.‹ Mitten durch geh‘ ich an ihnen vorbei, bis ans Geländer der Damenkajüte und setz‘ mich grad‘ auf denselben Stuhl, wo ich wohl hundertmillionenmal gesessen hab‘. ‚S war mir, als wär‘ ich wieder daheim.

»Keine Stunde währt’s, da bimmelt die Glocke und das Dampfboot wird flott gemacht. Es geht nach St. Louis hinauf, denn das wüßt‘ ich, daß der ›Großmogul‹ jetzt dort anlegt. Die Sonne war grad‘ aufgegangen, da fuhren wir an unserer Pflanzung vorbei, und ich seh‘ ’ne Schar Neger und Weiße am Ufer hin- und herlaufen. Die gaben sich große Mühe mich zu finden, aber mir machte das wenig Sorge.

»Um die Zeit kam Sally Jackson – die jetzt nicht mehr zweites Stubenmädchen war, sondern erstes – ans Schiffsgeländer, und freute sich sehr, mich wiederzusehen und die Offiziere auch. Als ich sagte, man hätt‘ mich geraubt und flußabwärts verkauft, sammelten sie zwanzig Dollars und schenkten sie mir, und Sally gab mir gute Kleider. Wir landeten hier und ich ging gleich nach deiner alten Wohnung und kam dann in dies Haus; man sagte mir, du wärst fort, könntest aber alle Tage wiederkommen. Da wollt‘ ich lieber nicht nach Dawson fahren, ich hätt‘ dich sonst verfehlt.

»Als ich nun letzten Montag in der Vierten Straße an ’ner Schenke vorbeikomm‘, wo sie die Zettel ankleben, wenn ein Neger entlaufen ist, – da seh‘ ich meinen Massa. Ich dacht‘, ich sollt‘ in die Erde sinken. Er stand mit dem Rücken nach mir und sprach mit ’nem Mann, dem gab er solchen Neger-Zettel. Die entlaufene Negerin, das war ich und er setzte wohl ’ne Belohnung für sie aus – was meinst du – hab‘ ich nicht recht?«

Tom war allmählich in immer grauenvollere Angst geraten. »Ich bin verloren,« dachte er, »mag die Sache sich wenden wie sie will. Der Pflanzer sagte mir, der ganze Kauf käme ihm verdächtig vor. Ein Fahrgast vom ›Großmogul‹ hätte ihm geschrieben, Roxy sei auf dem Dampfer hierher gekommen, und alle an Bord wüßten, wie sich die Sache verhielte. Daß sie nicht nach einem Freistaat geflohen sei, sei schlimm für mich, und wenn ich ihm nicht rasch behilflich wäre, sie wiederzufinden, wollte er mich schon in die Klemme bringen. Anfangs glaubte ich die ganze Geschichte nicht. Meiner Mutter konnte ich’s nicht zutrauen, daß sie so gefühllos sein würde, wieder herzukommen, da sie doch wissen mußte, welcher Gefahr sie mich aussetzte. Und nun ist sie doch hier! – Wäre ich nur nicht so dumm gewesen, ihm zu geloben, daß ich ihm helfen würde, sie zu suchen. Ich hab’s ihm ganz ruhig versprochen, weil ich mir einbildete, es könnte nichts schaden. Wenn ich sie ihm nun ausliefere, so wird sie – aber, wie kann ich’s ändern? Thue ich’s nicht, so muß ich das Geld zahlen und wo soll ich’s hernehmen? – Könnte ich ihn nicht zwingen, mir zu schwören, daß er sie von jetzt ab gut behandeln wird – sie sagt ja selbst, er ist kein böser Mensch, und wenn er verspräche, daß sie nie wieder überarbeitet und schlecht genährt werden soll oder –«

Ein greller Blitz beleuchtete Toms bleiches Gesicht; man las die quälenden Gedanken in seinen verzerrten Zügen.

»Dreh‘ das Gaslicht auf, damit ich dich besser sehen kann,« befahl jetzt Roxana mit scharfem Ton, obgleich ihre Stimme bebte. »So – nun laß dich mal betrachten. Du siehst ja so weiß aus wie dein Hemd, Schamber. – Hast du den Mann gesehen? Hat er dich aufgesucht?«

»I – ja.«

»Wann?«

»Montag mittag.«

»War er mir auf der Spur?«

»Er – glaubte und hoffte es. Hier ist der Zettel, den du gesehen hast.« Tom nahm ihn aus der Tasche.

»Lies ihn mir vor.«

Sie keuchte vor Aufregung und in ihren Augen lag ein düsterer Glanz, der Tom nicht ganz verständlich war – ihm jedoch bedrohlich schien. Auf dem Zettel sah man den gewöhnlichen rohen Holzschnitt, der eine laufende Negerin mit dem Turban auf dem Kopf darstellte, welche ein Bündel an einem Stock über der Schulter trug. Darüber stand in großen Buchstaben geschrieben: Hundert Dollars Belohnung. Tom las die Anzeige laut vor – wenigstens den Teil, der Roxanas Beschreibung enthielt, sowie die Adresse ihres Herrn in St. Louis und diejenige seines Agenten in der Vierten Straße. Die Stelle aber, welche besagte, daß die Bewerber um die Belohnung sich auch an Herrn Thomas Driscoll wenden könnten, unterdrückte er klüglich.

»Gieb mir den Zettel!«

Tom hatte ihn eben zusammengefaltet, um ihn in die Tasche zu stecken. Es lief ihm kalt über den Rücken, doch sagte er mit der gleichgültigsten Miene von der Welt:

»Wozu? Du kannst ihn ja doch nicht lesen. Was soll er dir nützen?«

»Gieb mir den Zettel!« Tom that es; doch merkte sie ihm sein Zögern an. »Hast du mir auch alles vorgelesen?«

»Jawohl, gewiß.«

»Halt‘ die Hand in die Höhe und schwöre mir’s.«

Nachdem Tom auch dies gethan hatte, steckte Roxana das Papier sorgfältig ein. Die ganze Zeit über verwandte sie jedoch kein Auge von Toms Gesicht.

»Du lügst!« sagte sie.

»Weshalb sollte ich denn wohl lügen?«

»Das weiß ich nicht – aber du lügst – wenigstens glaub‘ ich’s. Doch darum handelt’s sich jetzt nicht. Als ich den Mann sah, bekam ich solchen Schreck, ich könnt‘ kaum noch auf den Beinen, stehen. Dann gab ich ’nem Neger einen Dollar für die Kleider hier, und seitdem bin ich in kein Haus mehr gekommen, weder bei Tag noch bei Nacht. Ich schwärzte mein Gesicht und verbarg mich tags im Keller von ’nem alten abgebrannten Haus und nachts kroch ich zwischen die Zuckerfässer und Kornsäcke auf der Werft und stahl was ich brauchte, um meinen Hunger zu stillen. Was zu kaufen getraut‘ ich mir nicht und bin schier verschmachtet. Auch hierher dürft‘ ich mich erst heut wagen, in dieser Regennacht, wo kaum ein Mensch unterwegs ist. Seit es dunkel wurde, hab‘ ich drüben in der Gasse gestanden und gewartet, daß du vorbeikommen solltest. Und nun bin ich hier.«

Sie verlor sich eine Weile in Gedanken, dann fragte sie:

»Letzten Montag mittag hast du den Mann gesehen?«

»Ja.«

»Ich sah ihn am selben Nachmittag. Nicht wahr, er hat dich aufgesucht?«

»Ja.«

»Hat er dir gleich den Zettel gegeben?«

»Nein, damals war er noch nicht gedruckt.«

Roxana warf ihm einen argwöhnischen Blick zu. »Hast du ihm nicht geholfen, die Schrift aufzusetzen?« Tom war innerlich wütend, daß er sich so dumm verschnappt hatte und suchte es wieder gut zu machen, indem er sagte, er erinnere sich jetzt, daß der Mann ihm den Zettel doch am Montag mittag gegeben habe.

»Jetzt lügst du wieder,« sagte Roxana. Dann richtete sie sich hoch empor. »Ich will dir ’ne Frage vorlegen, der kannst du nicht ausweichen,« fuhr sie fort. »Du weißt, daß er mich verfolgt, und wenn du fortläufst, statt hier zu bleiben und ihm zu helfen, so argwöhnt er sicher, daß etwas mit dem Handel nicht in Ordnung ist. Dann erkundigt er sich nach dir, man weist ihn an deinen Onkel, der liest den Zettel und sieht, daß du ’ne freie Negerin flußabwärts verkauft hast. Du kennst deinen Onkel. Er zerreißt sein Testament auf der Stelle und jagt dich zum Haus ’naus. Nun sag‘ mal, wie steht’s: Hast du dem Mann nicht gesagt, ich würd‘ gewiß hierher kommen, dann wolltest du’s schon so einrichten, daß er mich in ’ne Falle locken und fangen könnt‘?«

Tom sah ein, daß weder Lügen noch Ausreden ihm mehr helfen würden – er saß fest wie im Schraubstock und konnte sich nicht rühren. Sein Gesicht nahm einen bösartigen Ausdruck an und er sagte mit verbissenem Ingrimm:

»Was hätte ich denn anders thun können? Du siehst ja selbst, daß ich in seiner Gewalt war und mir kein Ausweg blieb.«

Roxy durchbohrte ihn mit einem vernichtenden Blick. »Was du thun konntest? – An deiner eigenen Mutter konntest du zum Judas werden, um deine erbärmliche Haut zu retten! Sollte man’s für möglich halten! Kein Hund wär’s im stande. Du bist das niederträchtigste, elendeste Geschöpf, was die Sonne bescheint. Und ich hab‘ dich geboren! –« dabei spie sie ihn an.

Tom machte keinen Versuch sich aufzulehnen. Nach kurzer Ueberlegung fuhr Roxy fort:

»Jetzt werd‘ ich dir sagen, was du thun sollst: Du giebst dem Mann das Geld, das du in Verwahrung hast, und bittest ihn, auf den Rest zu warten, bis du ihn vom Richter Driscoll holen kannst, um mich loszukaufen.«

»Schockschwerenot! Wo denkst du hin? Von meinem Onkel soll ich dreihundert und etliche Dollars fordern? Was könnte ich ihm denn sagen, wozu ich sie brauche, he?«

Roxys Antwort kam in klaren, bestimmten Worten:

»Du sagst ihm, daß du mich verkauft hast, um deine Spielschulden zu zahlen, daß du ein Schurke bist, der mich belogen hat, und ich dich zwinge, das Geld zu schaffen, um mich wieder frei zu machen.«

»Bist du denn ganz von Sinnen? – Er würde ja sein Testament in tausend Fetzen reißen das mußt du doch wissen.«

»Ja, ich weiß es.«

»Und du glaubst, daß ich dumm genug sein werde, zu ihm zu gehen?«

»Von glauben ist nicht mehr die Rede – ich weiß, du wirst’s thun. Ich weiß es – weil kein Zweifel ist, daß, wenn du das Geld nicht beibringst, ich selbst zu ihm gehe. Dann wird er dich flußabwärts verkaufen, und du kannst sehen, wie dir’s behagt.«

Zitternd vor Erregung stand Tom auf und schritt nach der Thür; sein Auge hatte einen bösen Blick. Er sagte, er müsse einen Moment ins Freie gehen, in der Stickluft des Zimmers könne er es nicht mehr aushalten. Draußen werde es ihm klarer im Kopf werden, da wolle er überlegen, was zu thun sei. Roxy lächelte ingrimmig über seinen vergeblichen Versuch, die Thür zu öffnen.

»Ich hab‘ den Schlüssel, Söhnchen – setz‘ dich nur wieder,« sagte sie. Du brauchst gar nicht erst zu überlegen, was du thun willst – ich weiß schon, was du thust.«

In hilfloser Verzweiflung saß Tom da und fuhr sich mit den Händen durchs Haar. Nach einer Weile fragte Roxy: »Ist der Mensch hier im Haus?«

Tom sah sie erstaunt an: »Hier! Wie kommst du darauf?«

»Durch dich. Frische Luft schöpfen – ja wohl! Die Bosheit steht dir im Gesicht geschrieben. Du bist der erbärmlichste Hund, den je – aber das hab‘ ich dir schon mal gesagt. – Also, heut ist Freitag. Du verabredest mit dem Mann, daß du fortgehen willst, das Geld zu holen und Dienstag oder Mittwoch damit zurückkommst. Verstehst du mich?«

»Ja,« antwortete Tom mit finsterer Miene.

»Und wenn du den neuen Kaufbrief hast, in dem steht, daß ich wieder frei bin, schickst du ihn gleich an Herrn Querkopf Wilson, und schreibst auf den Umschlag, er soll ihn behalten, bis ich komm‘. Hörst du?« »Ja.«

»Das ist also abgemacht. Jetzt setz‘ deinen Hut auf und nimm den Regenschirm.«

»Wozu?«

»Weil du mich bis zur Werft begleiten sollst. Siehst du dies Messer? Ich trag’s bei mir seit dem Tag, als ich den Mann sah; zugleich mit den Kleidern hab‘ ich’s mir gekauft. Wenn er mich fangen würde, wollt‘ ich mich damit umbringen. Nun geh‘ voran, aber vorsichtig; und wenn du hier im Haus ein Zeichen giebst, oder jemand dich auf der Straße anredet, stoß‘ ich dich mit dem Messer nieder. Glaubst du mir, Schamber, daß ich thu‘, was ich sag‘?«

»Laß doch die langweilige Frage. Ich weiß, daß dein Wort gilt!«

»Ja, ganz anders wie deins. Nun mach‘ das Licht aus und komm – hier ist der Schlüssel.«

Kein Mensch folgte ihnen. Tom erbebte jedesmal, wenn ein verspäteter Wanderer an ihnen vorüberstreifte und glaubte schon den kalten Stahl im Rücken zu fühlen. Roxy blieb ihm dicht auf den Fersen, um ihn nicht aus ihrem Bereich zu lassen. So gingen sie über eine Meile weiter, bis in eine ganz öde Gegend der menschenleeren Werft; da trennten sie sich bei strömendem Regen in der Dunkelheit.

Während des Heimwegs stürmten hundert schwere Gedanken und wilde Pläne auf Tom ein, zuletzt kam er jedoch zu dem trübseligen Schluß: »Es giebt nur den einen Ausweg – ich muß ihr den Willen thun. Aber etwas anders werde ich die Sache doch anfangen. Ich will nicht um das Geld bitten und mich zu Grunde richten – ich will es dem alten Geizhals stehlen.«