Einundzwanzigstes Kapitel.
Man soll des Buren Fell nicht verkaufen, man fange ihn denn zuvor.
Querkopf Wilsons Kalender.
Als ich vor einem Jahr den letzten Paragraphen des vorigen Kapitels in mein Notizbuch kritzelte, tat ich es, um auf drastische Weise zweierlei zum Ausdruck zu bringen: Erstens, wie widersprechend die Berichte sind, welche der Fremde von den Einheimischen über die südafrikanische Politik erhält, und zweitens, was für ein Wirrwarr dadurch im Kopfe des Fremden entsteht.
Ich sehe jetzt ein, daß ich damals den Zustand der Dinge naturgetreuer geschildert habe, als ich selber wußte. In jener unruhigen und aufgeregten Zeit konnten die dortigen Bürger unmöglich die südafrikanische Politik klar und vernünftig auffassen; nicht nur ihre persönlichen Interessen, sondern auch ihre politischen Vorurteile standen ihnen sehr dabei im Wege. Der Fremde aber war natürlich nicht im stande aus ihren verworrenen Mitteilungen klug zu werden und den Zusammenhang der Ereignisse zu begreifen.
Mein Aufenthalt in Südafrika war nicht von langer Dauer. Als ich ankam befand sich das Land noch in der größten politischen Gärung. Vier Monate waren vergangen, seit Jameson mit 600 bewaffneten Reitern zum »Schutz der Frauen und Kinder in Johannesburg« die Grenze von Transvaal überschritten hatte. Am vierten Tage nach seinem Einmarsch besiegten ihn die Buren in einer Schlacht und führten ihn mit seinen Leuten gefangen nach der Hauptstadt Prätoria. Jameson und seine Offiziere waren zur Bestrafung an Großbritannien ausgeliefert und nach England eingeschifft worden, wo ihr Verhör stattfand. Inzwischen wurden in Johannesburg vierundsechzig der angesehensten Bürger als Jamesons Mitverschworene festgenommen. Präsident Krüger verurteilte die vier Haupträdelsführer zum Tode, die übrigen zu Gefängnis; er verwandelte jedoch die Strafen in längere oder kürzere Kerkerhaft, in welcher die vierundsechzig Leute damals noch schmachteten. Vor Mitte des Sommers waren alle wieder in Freiheit, außer zweien, welche sich weigerten ein Begnadigungsgesuch zu unterzeichnen. Achtundfünfzig von ihnen mußten eine Geldbuße von je 10 000 Dollars zahlen und die vier Rädelsführer 125 000 Dollars per Mann; auf immer aus dem Lande verbannt wurde nur einer.
Das war eine hochinteressante Zeit für den Fremden; ich schätzte mich glücklich, mitten in die Aufregung hineingekommen zu sein. Jedermann äußerte ohne Rückhalt seine Meinung und ich hoffte bestimmt, daß mir die ganze Angelegenheit, wenigstens von einer Seite, binnen kurzem verständlich sein würde.
Darin täuschte ich mich jedoch. Die Sache hatte so viel Eigenartiges, Schwieriges und Unerklärliches, daß ich ihrer nicht Herr wurde. Persönliche Beziehungen zu den Buren besaß ich nicht, die Anschauungen ihrer Partei blieben also für mich ein Geheimnis, soweit ich sie nicht aus den öffentlichen Bekanntmachungen erfuhr. Bald empfand ich denn auch das tiefste Mitgefühl für die Johannesburger, die im Kerker von Prätoria lagen, sowie für ihre Freunde und Angehörigen. Durch eifrige Erkundigungen bei letzteren hatte ich mich über alle Einzelheiten des Streits in Kenntnis gesetzt und glaubte sie zu verstehen; das heißt, von ihrem Gesichtspunkt aus und bis auf einen Umstand: Was die Johannesburgs durch eine bewaffnete Erhebung zu erreichen gedachten, schien niemand zu wissen.
Im Laufe des folgenden Jahres wurde in die Verwirrung jener Tage genügendes Licht gebracht. Dr. Jameson ist vor den englischen Geschworenen erschienen; auch Cecil Rhodes und andere an dem feindlichen Einfall in Transvaal direkt oder indirekt beteiligte Personen haben ihre Aussage vor Gericht erstattet, desgleichen Lionel Philipps und sonstige Mitglieder der Johannesburger Reformpartei, welche die Revolution als totgeborenes Kind zur Welt brachten. Weitere Aufklärung erhielt ich auch durch verschiedene Bücher, deren Verfasser entweder für die Buren oder für Cecil Rhodes oder für die Johannesburger Partei nahmen. Nachdem ich nun alle jene Aussagen voreingenommener Zeugen nebst den einseitigen Darstellungen der Bücher gesammelt hatte, mischte ich sie gut durcheinander, knetete alles tüchtig durch und tat den Teig in meinen eigenen (vorurteilsvollen) Backtrog. Durch dies Verfahren bin ich schließlich der verwickelten südafrikanischen Frage doch noch auf den Grund gekommen. Ich weiß nun, daß es sich damit in Wahrheit folgendermaßen verhielt:
1. Die Kapitalisten und sonstigen angesehenen Bürger von Johannesburg litten unter gewissen politischen und finanziellen Unbilden und Lasten, welche die Transvaal-Regierung ihnen auferlegte. Die Uitlanders bezahlten vier Fünftel aller Steuern, hatten kein Wahlrecht, konnten erst nach längerem Aufenthalt im Lande Staatsbürger werden und nach vierzehn Jahren in den ersten Volksraad gelangen, während die Buren alle höheren Aemter bekleideten und schon im Alter von sechzehn Jahren das volle Bürgerrecht hatten. So suchten denn die Uitlanders durch verschiedene Eingaben, Bittschriften und Vorschläge zu Gesetzesveränderungen auf friedlichem Wege eine Verbesserung ihrer Lage herbeizuführen.
2. Cecil Rhodes, Ministerpräsident der Kapkolonie, Millionär, Gründer und Direktor der sogenannten Chartered Company, verfolgte schon seit einigen Jahren den Plan, alle südafrikanischen Staaten zu einem großen Reich unter dem Schutz und Schirm der britischen Flagge zu vereinigen. So benutzte er denn die Unzufriedenheit der Johannesburger Reformpartei, um sie zur gewaltsamen Empörung gegen die Burenregierung zu bewegen. Wenn es zu einem blutigen Zusammenstoß kam, konnte sich Großbritannien ins Mittel legen; das würden sich die Buren nicht gefallen lassen, und um sie für ihren Widerstand zu strafen, besetzte dann England selbstverständlich Transvaal und vereinigte es mit seinem übrigen südafrikanischen Länderbesitz. Der Plan war keineswegs aus der Luft gegriffen, sondern ganz verständig und ausführbar.
Von seinem fernen Posten in Kapstadt aus wußte Rhodes die Mißstimmung der Uitlanders von Johannesburg auf geschickte Weise zu schüren; er half auch, sie mit Waffen zu versehen. Mehrere Kanonen und fünfzehnhundert Gewehre wurden, in großen Oelbehältern und Kohlenwagen versteckt, in die Stadt geschmuggelt. Im Dezember 1895 war das Reformkomite schon von Bitten zu Drohungen übergegangen, und der Ausbruch der Revolution schien nicht mehr fern.
Rhodes hatte mit Jameson, dem Befehlshaber der Truppen der Chartered Company verabredet, daß dieser über die Grenze gehen und mit sechshundert Mann in Johannesburg einrücken solle. Vorher verlangte Jameson jedoch – wahrscheinlich auf Veranlassung seines Herrn und Meisters – das Reformkomite solle ihm eine förmliche Aufforderung schicken, der Stadt zu Hilfe zu kommen. So erhielt er den berühmten Brief, in dem er gebeten wird nach Johannesburg zu eilen, um sich der »schutzlosen Frauen und Kinder anzunehmen«. Das war kein schlechter Gedanke, denn die Verantwortlichkeit für den feindlichen Ueberfall wurde dadurch zum größten Teil der Reformpartei zugeschoben. Die Führer derselben mochten dies wohl zu ihrem Schrecken einsehen, denn sie wollten das verfängliche Schriftstück schon den Tag nach dessen Absendung an Jameson wieder zurück haben. Es wurde ihnen jedoch bedeutet, dazu sei es zu spät. Das Original des Briefes war schon an Rhodes nach der Kapstadt abgegangen. Doch hatte Jameson wohlweislich eine Abschrift zurückbehalten.
In Johannesburg versuchte man nun mit aller Anstrengung, Jameson von der Ausführung des Planes abzubringen. Es herrschte Uneinigkeit in der Stadt; einige wollten Krieg, einige Frieden. Manche stimmten für eine neue Regierung, andere wünschten die alte beizubehalten und zu reformieren. Zu Gunsten einer kaiserlich-britischen Kolonialherrschaft die Regierung in Prätoria zu stürzen, hatten nur ganz einzelne im Sinn. Und doch trat das Gerücht von Stunde zu Stunde bestimmter auf, daß dies der Zweck sei, den Cecil Rhodes mit seinem unwillkommenen Beistand verfolge.
Drei Tage lang ließ sich Jameson zurückhalten, dann beschloß er nicht länger zu warten. Ohne Befehl – Rhodes hüllte sich in vorsichtiges Schweigen – zerschnitt er die Telegraphendrähte am 29. Dezember und ging im Dunkel der Nacht über die Grenze. Er hatte 150 Meilen bis Johannesburg zurückzulegen und hoffte die Stadt ohne Hindernisse zu erreichen. Allein die Nachricht von seinem Einfall verbreitete sich wie ein Lauffeuer – man hatte übersehen, daß ein Telegraphendraht nicht zerschnitten worden war. Schon wenige Stunden später kamen die Buren von allen Seiten in Windeseile herbeigeritten, um ihn am Vordringen zu hindern.
In Johannesburg herrschte Furcht und Schrecken; Frauen und Kinder wurden bei dem Nahen ihrer Retter eiligst nach Australien eingeschifft und die friedliebenden Bürger flüchteten scharenweise auf die Eisenbahnen. Wer zuerst da war hatte es am besten, er konnte sich einen Platz im Zuge sichern, wenn er ihn acht Stunden vor der Abfahrt besetzte.
Rhodes telegraphierte den Johannesburger Brief mit dem rührenden Hilferuf ohne Zeitverlust an die Londoner Presse. Ein so altersgraues Dokument hatte das Kabel noch nie befördert; der Brief war schon vor zwei Monaten geschrieben, doch das wußte niemand, das falsche Datum lautete ja auf den 20. Dezember.
Am Neujahrstag wurde Jameson von den Buren geschlagen; tags darauf streckte er die Waffen. Er trug die Abschrift des Briefes bei sich, und wenn er die Anweisung erhalten hatte, im Notfall dafür zu sorgen, daß das Schriftstück den Buren in die Hände fiele, so führte er den Befehl pünktlich aus. Man fand den Brief auf dem Schlachtfeld in Jamesons Satteltasche – er war ohne jegliche Geheimschrift in englischer Sprache abgefaßt und mit dem Namen der beteiligten Personen unterzeichnet. Die Schuld an dem Einfall wurde dadurch auf die Reformpartei gewälzt, so paßte es in Rhodes‘ Berechnung. Das Original war ja überdies in Amerika, in England und dem übrigen Europa bekannt, ehe Jameson seine Abschrift auf dem Schlachtfelde verlor. Letzterer wurde dadurch im Lauf einer einzigen Woche in England zu einem berühmten Helden gestempelt, in Prätoria zu einem Räuberhauptmann und in Johannesburg zu einem Narren und ehrlosen Verräter – das alles hatte jener alte Brief bewirkt!
Die Mitglieder der Reformpartei waren in einer schwierigen Lage gewesen. Hindernisse und Verwicklungen engten sie auf allen Seiten ein. Wie sollten sie ihren vielen und mannigfaltigen Obliegenheiten nachkommen? –
1. Mußten sie Dr. Jamesons widerrechtlichen Einfall verdammen und ihm trotzdem beistehen.
2. Waren sie genötigt der Burenregierung Treue zu schwören und den Rebellen Reitpferde zu liefern.
3. Mußten sie alle offenen Feindseligkeiten gegen die Burenregierung verbieten und Waffen unter deren Gegner verteilen.
4. Durften sie nicht in Zwiespalt mit der englischen Regierung geraten, mußten Jameson unterstützen und der Burenregierung entblößten Hauptes den neuen Fahneneid leisten.
Sie entledigten sich dieser Pflichten so gut sie konnten; ja, sie erfüllten sie tatsächlich alle, nur nicht zu gleicher Zeit, sondern nacheinander; die gleichzeitige Erfüllung derselben wäre wirklich ein Ding der Unmöglichkeit gewesen.
Bei der ganzen Angelegenheit hat für mich die militärische Frage ein größeres Interesse als die politische, denn ich habe immer eine besondere Vorliebe für den Krieg gehabt. Das heißt, ich meine für Reden über den Krieg und Erteilung militärischer Ratschläge. Wäre ich am Morgen nach der Grenzüberschreitung bei Jameson gewesen, ich hätte ihm geraten, wieder umzukehren. Die Truppen, die er befehligte, waren nicht alte, kriegstüchtige Briten, sondern größtenteils ungeübte junge Burschen. Wie sollten sie vom Pferde herab, im Gewühl der Schlacht sicher zielen und treffen? Das war unmöglich, besonders weil es gar nichts gab, wonach man schießen konnte, als Felsen, hinter denen nach altem Brauch und Herkommen die Buren steckten, denn auf freiem Felde kämpften sie niemals. Die dreihundert Scharfschützen der Buren hinter den Felsen konnten aber natürlich Jamesons Reitern übel mitspielen. Um im Kampf gegen die Buren Sieger zu bleiben, brauchten die Engländer nicht allein Mut, sondern auch Vorsicht, ganz wie wir beim Krieg gegen die Rothäute. Die tapfern Briten, die den verborgenen Buren offen entgegentraten, hatten sich die Folgen selbst zuzuschreiben.
Das Land war voller Hügelketten, Klippenreihen, Bodensenkungen, Gräben und Moränen – für Reitergefechte völlig unbrauchbar. Jameson feuerte seine Geschütze auf die Felsen ab – er verdarb die guten Felsen und verschwendete seine Munition – aber wieviel Schaden er auch anrichtete, die Buren zeigten sich nicht. Nun strömten seine Scharen in langer Linie kühn voran, die Buren schossen aus dem Hinterhalt und nach der ersten Salve waren zwanzig englische Sättel leer. Es dauerte nicht lange, so lagen sechzig Prozent der Angreifer tot oder verwundet am Boden; letztere wurden von den Buren gefangen in das Hospital nach Krügersdorp gebracht; sie selbst hatten nur vier Mann eingebüßt, von denen zwei aus Versehen durch ihre eigenen Leute getötet worden waren. Jamesons Truppen kamen den Buren überhaupt nicht nahe genug, um sie »rund um Transvaal herumzujagen«, wie sie geprahlt hatten. Nachdem auch ein letzter verzweifelter Angriff fehlgeschlagen war, ließ Jameson die weiße Flagge wehen und ergab sich.
Die britische Methode der Kriegsführung läßt sich, wie gesagt, den Buren gegenüber durchaus nicht mit Glück anwenden. Wenn mir die Führung eines solchen Feldzugs übertragen worden wäre, hätte ich die Sache ganz anders angefangen. Den Charakter des Buren habe ich studiert: Am meisten schätzt er die Bibel, und sein Lieblingsessen ist ›Biltong‹ – an der Sonne getrocknete Fleischstreifen. Die liebt er leidenschaftlich, und es ist ihm auch gar nicht zu verdenken.
Um die Buren zu bekriegen, wäre ich nur mit Flinten ausgezogen und hätte die schweren Kanonen zu Hause gelassen, die nur unnütz den Marsch aufhalten. Heimlich würde ich mich bei Nacht bis zu einer Stelle schleichen, die etwa eine Viertelmeile vom Lager der Buren entfernt ist, um dort eine fünfzig Fuß hohe Pyramide von Biltong und Bibeln zu bauen und meine Leute dahinter zu verbergen. Am nächsten Morgen würden die Buren Kundschafter ausschicken, der ganze Schwarm käme auf einmal herbeigestürmt, meine Truppen könnten sie umringen und Mann gegen Mann im freien Felde kämpfen. Dann würden sich die Verluste auf beiden Seiten etwas gleichmäßiger verteilen.