Viertes Kapitel
Als die Sonne unterging und die Abendkühle kam, machten wir unser Nachtlager zurecht. Wir rüttelten die harten ledernen Briefbeutel und die Leinwandsäcke mit Büchern und Drucksachen, deren vorstehende Enden und Ecken sich sehr fühlbar machten, auf. Dann legten wir sie wieder so hin, daß unser Bett möglichst eben wurde; es wurde auch wirklich besser dadurch, obwohl es dessen ungeachtet noch ein aufgeregtes, wogendes Aussehen zeigte wie ein Stück sturmbewegte See. Nun stöberten wir zunächst unsere Stiefel auf, die in allerhand schnöden Winkeln zwischen den Postsäcken ihr Lager aufgeschlagen hatten, und zogen sie an; sodann nahmen wir unsere Röcke, Westen, Hosen und schweren Wollhemden von den Armschlingen herunter, wo sie den ganzen Tag gebaumelt hatten und schlüpften hinein – da es nämlich weder an den Stationen noch im Wagen Damen gab und es heißes Wetter war, so hatten wir es uns bequem gemacht und schon am Vormittag alles bis auf die Unterkleider abgelegt. Als wir soweit fertig waren, stopften wir das unbequeme Wörterbuch in eine Ecke, in der es sich so ruhig als möglich verhalten konnte und legten die Feldflaschen und Pistolen so hin, daß wir sie im Dunkeln zu finden vermochten; dann rauchten wir noch eine Pfeife und hielten noch einen Schwatz zum Schluß, worauf wir die Pfeifen, den Tabak und das Geldsäckchen in wohlgeschützte Ecken und Vertiefungen zwischen den Postsäcken schoben und sämtliche Vorhänge herunter ließen, so daß es ›finster war wie in einer Kuh‹, wie unser Kondukteur in seinem malerischen Stil sich ausdrückte. Jedenfalls hätte es nirgends dunkler sein können – nicht der leiseste Schimmer von irgend etwas war zu entdecken. Und schließlich rollten wir uns zusammen wie Seidenwürmer, wickelten uns in unsere Decken und schliefen friedlich ein. So oft der Wagen zum Wechseln der Pferde hielt, wachten wir auf und suchten uns zu vergegenwärtigen, wo wir uns befanden – was uns auch gelang – und eine oder zwei Minuten darauf war der Wagen wieder fort und wir mit. Wir kamen jetzt in eine da und dort von kleinen Flüssen durchströmte Gegend. Diese hatten beiderseits hohe steile Ufer und jedesmal, so oft wir auf der einen Seite des Wagens herunterflogen und auf der anderen hinaufkletterten, wurde unsere Gesellschaft ein bißchen vermischt. Zuerst lagen wir sämtlich am vorderen Ende auf einem Haufen, und eine Sekunde darauf schossen wir dem anderen Ende zu und standen auf den Köpfen. Dabei suchten wir uns durch Zappeln und Ausschlagen die Kanten und Ecken der Postsäcke vom Leibe zu halten, die um uns herumflogen; und wenn dann der Staub aus dem Durcheinander aufwirbelte, niesten wir sämtlich im Chore und alle brummten und stießen Äußerungen hervor, wie: »Gehen Sie doch mit Ihrem Ellbogen weg. Können Sie denn das Drücken nicht lassen?«
So oft wir aus einer Wagenecke in die andere flogen, kam das Wörterbuch auch mit und jedesmal that es einem von uns auch einen Schaden. Auf der einen Tour schürfte es den Sekretär am Ellbogen, auf der nächsten stieß es mich vor den Magen und auf der dritten versetzte es Bemis eins auf die Nase. Die Pistolen und der Geldsack blieben ruhig unten am Boden, dagegen rollten die Pfeifenköpfe, Pfeifenrohre und Feldflaschen jedesmal klappernd hinter dem Wörterbuch drein, so oft dieses auf uns los ging, und leisteten demselben Hilfe und Vorschub, indem sie uns Tabak in die Augen streuten und uns den Rücken mit Wasser übergossen.
Trotzdem war es, alles in allem genommen, eine ganz behagliche Nacht. Sie ging nach und nach auch herum, und als schließlich das kalte und graue Morgenlicht durch die Falten und Schlitze in den Vorhängen schimmerte, gähnten und reckten wir uns ganz vergnügt, warfen unsere Verpuppung ab und hatten das Gefühl, gerade genug geschlafen zu haben. Wie dann die Sonne allmählich heraufkam und der Welt Wärme spendete, zogen wir Rock, Hosen und Stiefel aus und machten uns zum Frühstück fertig. Es war gerade die richtige Zeit, denn schon fünf Minuten darauf ließ der Postillon die zauberischen Töne seines Horns über die öden Graswüsten hinschweben und nun entdeckten wir auch eine oder zwei niedrige Hütten in der Ferne. Jetzt ließen sich auf einmal das Rasseln des Wagens, das Klappern der Hufe unserer sechs Pferde und die kurzen Zurufe des Kutschers lauter und nachdrücklicher vernehmen, und wir fegten in flottester Gangart auf die Station los. Es war etwas Bezauberndes um so eine Fahrt mit der alten Überlandpost! –
In unserm Negligé sprangen wir heraus, der Postillon warf die zusammengeknüpften Zügel auf den Boden, gähnte und reckte sich behaglich und zog seine schweren Buckskinhandschuhe mit großer Bedachtsamkeit und unerträglicher Würde aus. Es fiel ihm gar nicht ein, den teilnehmenden Fragen nach seinem Befinden, unterwürfig scherzenden und schmeichelnden Anreden, willfährigen Dienstanerbietungen, die ihm von den fünf oder sechs struppigen, halbzivilisierten Stationsleuten und Hausknechten entgegen gebracht wurden, (welche eiligst unsere Gäule ausschirrten und das frische Gespann aus dem Stall zogen,) die geringste Acht zu schenken. Denn in den Augen des Postkutschers jener Tage waren Wirtsleute und Hausknechte an den Stationen eine Art niederer Geschöpfe, – gut genug zu allem, nützlich an ihrem Platze und brauchbar, um einen neuen Staat gründen zu helfen, aber keine Wesen, mit denen ein Mann von Stellung sich einlassen konnte; während hinwiederum in den Augen des Wirts und des Dienstpersonals der Postkutscher als ein Held, ein großer, glänzender Würdenträger, ein bevorzugtes Menschenkind dastand, das von allem Volke beneidet, von der ganzen Welt mit achtungsvoller Aufmerksamkeit behandelt wurde. Wenn sie mit ihm redeten, nahmen sie sein hochmütiges Schweigen als eine natürliche Eigenheit bei einem so großen Manne in Demut hin. Öffnete er die Lippen, so hingen sie alle voll Bewunderung an seinen Worten (er beehrte übrigens niemals eine einzelne Persönlichkeit mit seinen Bemerkungen, richtete solche vielmehr in breiter Allgemeinheit gleichzeitig an Pferde, Ställe, die ganze Umgegend und nur so nebenbei auch an die untergeordneten menschlichen Wesen); ließ er einmal eine beleidigende Anzüglichkeit auf einen der Hausknechte los, so fühlte sich dieser Hausknecht dadurch für den ganzen Tag beglückt; gab er seinen einzigen Witz zum besten, – einen Witz, so alt wie die Berge, grob, gemein und geistlos, und stets derselben Zuhörerschaft mit denselben Worten aufgetischt, so oft die Post daselbst anhielt, – so brachen die Kerle in ein brüllendes Gelächter aus, schlugen sich auf die Schenkel und schwuren hoch und teuer, das sei der beste Witz, den sie in ihrem ganzen Leben gehört.
Und wie sie flogen, wenn er ein Becken oder eine Feldflasche voll Wasser oder Feuer für seine Pfeife verlangte! Gegen einen Passagier, der sich so weit vergessen hätte, eine Gefälligkeit von ihrer Hand zu beanspruchen, würden sie sofort grob geworden sein. Sie konnten sich diese Unverschämtheit ebenso wohl gestatten, als ihr Vorbild, der Postkutscher, denn wohl gemerkt, dieser letztere sah auf die Passagiere so ziemlich mit derselben Verachtung herab, wie seine Stallknechte.
Dem wirklichen Träger der Macht, dem Kondukteur des Postwagens, begegnete das Stationspersonal zwar mit aller derjenigen Höflichkeit, von welcher diese Leute überhaupt eine Vorstellung hatten, allein das war auch alles; der Postillon dagegen war das einzige Wesen, vor dem sie sich beugten, das sie anbeteten. Mit welcher Bewunderung sie zu ihm aufblickten, wenn er auf seinem hohen Sitz langsam und bedächtig die Handschuhe anzog, während ihm irgend ein beglückter Stallknecht die zusammengefaßten Zügel hinhielt, geduldig harrend, bis es dem hohen Herrn gefiel, sie zu ergreifen! Und wie sie ganze Salven von Beifallsrufen hinter ihm her losließen, wenn er mit seiner langen Peitsche knallte und im vollen Lauf davonsauste!
Die Stationsgebäude waren langgestreckte, niedrige Hütten aus an der Sonne getrockneten, schmutzfarbenen Backsteinen ohne Mörtel (erstere von den Spaniern adobes genannt, was die Amerikaner zu dobies abkürzen). Die kaum merklich geneigten Dächer waren mit Stroh bedeckt und dann mit Rasen belegt oder einer dicken Erdschichte, auf der Unkraut und Gras üppig sproßte. Hier sahen wir also zum erstenmale Häuser mit den Vorgärten oben auf dem Dach. Die Gebäude bestanden aus Scheunen, Ställen für zwölf bis fünfzehn Pferde und einer Hütte als Speisezimmer für die Passagiere. In der letzteren standen Pritschen für den Stationswirt und einen oder zwei Hausknechte. Den Ellbogen konnte man auf der Dachrinne aufstützen und unter der Eingangsthür mußte man sich bücken. Die Stelle eines Fensters vertrat ein viereckiges Loch ohne Scheiben, das ungefähr einen Mann durchließ. Der Boden war nicht gedielt, sondern nur festgestampft. Ein Ofen war nicht vorhanden, vielmehr diente die Feuerstelle für alle notwendigen Zwecke. Regale, einen Geschirrschrank oder ein Klosett gab es nicht. In einer Ecke stand ein offener Mehlsack, an dessen Fußende sich ein paar altehrwürdige, geschwärzte, blecherne Kaffeetöpfe, ein desgleichen Theetopf, ein Säckchen mit Holz und eine Speckseite lehnten. Außen, neben der Thür zum Schuppen des Stationswirtes stand ein blechernes Waschbecken auf dem Boden. Dabei befand sich ein Eimer voll Wasser und ein Stück gelbe Seife, und von der Dachrinne hing vielsagend ein grobes, blaues Wollhemd herunter; allein dies war das Privathandtuch des Wirts und nur zwei Personen außer ihm hätten es wagen dürfen, sich desselben zu bedienen – der Postillon und der Kondukteur. Der letztere wollte es nicht aus einem gewissen Schicklichkeitsgefühl, und jener verzichtete darauf, um die Vertraulichkeit eines Stationswirtes dadurch nicht zu ermutigen. Wir hatten Handtücher im Mantelsack; sie hätten ebensogut in Sodom und Gomorah sein können. Wir, ebenso wie der Kondukteur, bedienten uns zum Abtrocknen unserer Taschentücher, der Postillon seiner Hosen und Ärmel. Innen neben der Thür war ein kleiner, altmodischer Spiegelrahmen befestigt, in dessen einer Ecke zwei kleine Bruchstücke des einstigen Spiegelglases steckten.
Beim Hineinschauen empfing man ein hübsches Doppelbild, wobei die eine Hälfte des Kopfes ein paar Zoll hoch über der andern erschien. Von dem Spiegel hing an einem Bindfaden ein halber Kamm herab – aber, wenn ich die Wahl hätte, diesen Patriarchen zu beschreiben oder zu sterben, ich glaube, ich würde mir gleich ein paar Särge bestellen. Der Kamm stammte von Esau und Simson her, und seit jenen Zeiten waren stets Haare in demselben zurückgeblieben zusammen mit gewissen sonstigen Unsauberkeiten. In einer Ecke standen drei oder vier Flinten und Büchsen nebst Pulverhörnern und Beuteln mit Munition. Die Stationsleute trugen Beinkleider von grobem Bauerntuch, bei denen am Sitz und innen an den Beinen breite Lederstreifen eingesetzt waren, damit sie zugleich als Reithosen dienen konnten – infolgedessen waren die Beinkleider zur Hälfte dunkelblau und zur Hälfte gelb, was sich unbeschreiblich malerisch ausnahm. Sie steckten in den Schäften hoher Stiefel, deren Absätze mit großen spanischen Sporen bewehrt waren, welche mit ihren kleinen Rädchen und Kettchen bei jedem Schritte klirrten. Der Mann trug gewöhnlich einen mächtigen Vollbart, einen alten Schlapphut, ein blaues Wollhemd, keine Hosenträger, keine Weste, keinen Rock – dagegen in einer Lederscheide am Gürtel einen großen, langen Matrosenrevolver (auf der rechten Seite mit dem Hahn nach vorne hängend), während aus dem Stiefel ein Bowiemesser mit Horngriff hervorragte. Die Ausstattung der Hütte war weder üppig noch beengend. Schaukelstühle und Sofas waren nicht da, auch nie dagewesen; ihre Stelle vertraten zwei dreibeinige Stühle, eine vier Fuß lange Bank aus fichtenen Brettern und zwei leere Lichterkisten. Der Tisch war ein fettiges Brett auf Pfählen; Tischtuch und Servietten waren ausgeblieben – und es sah sich auch niemand darnach um. An jedem Platz stand eine verbogene Blechschüssel, Messer und Gabel und eine große, blecherne Tasse; nur der Postillon hatte eine Untertasse von Steingut, die einst bessere Tage gesehen. Selbstverständlich saß dieser Großfürst oben am Tische. Ein einziges Stück Tafelgeräte war da mit dem rührenden Ausdruck gefallener Größe – eine Platmenage aus Neusilber, verbogen und angelaufen; trotzdem nahm sich dieselbe in dieser Umgebung so widersinnig aus, daß sie an einen abgedankten unter Barbaren verbannten König erinnerte, und die Hoheit ihrer ursprünglichen Stellung nötigte selbst in ihrer Erniedrigung Achtung ab. Von den Essig- und Ölflaschen war nur noch eine vorhanden, und diese war ein Ding ohne Stöpsel und ohne Hals, voll Fliegenspuren, zwei Zoll Essig enthaltend und außerdem ein Dutzend eingemachter Fliegen, welche voll Betrübnis, es hier versucht zu haben, die Beine gen Himmel streckten. Der Wirt schnitt den letzten Rest eines Brotlaibes von der Woche vorher auf, der an Aussehen und Umfang einem Käse früherer Zeiten glich und es an Härte mit Nicholsohn’schen Pflastersteinen aufnehmen konnte.
Auch von dem Speck schnitt er für jeden einen Streifen ab, allein nur erfahrene Kunden mochten sich an denselben wagen, denn es war zurückgewiesener Armeespeck, womit der Staat seine Soldaten in den Forts nicht füttern wollte und den die Post-Gesellschaft für ein Billiges angekauft hatte zur Atzung der Bediensteten und Passagiere.
Dann setzte er uns ein Getränke vor, das er ›Slumgullion‹ nannte – eine Bezeichnung, die er sicherlich einer höheren Eingebung verdankte. Es sollte eigentlich Thee vorstellen, aber es enthielt denn doch gar zu viel Spüllumpenreste, Sand und eine alte Speckschwarte, um den kundigen Reisenden hinters Licht zu führen. Zucker und Milch hatte er nicht, nicht einmal einen Löffel, um die besagten Bestandteile umzurühren. Wir waren weder imstande, Brot und Speck zu essen, noch den ›Slumgullion‹ zu trinken. Beim Anschauen des melancholischen Essigfläschchens fiel mir eine alte Anekdote ein (die schon in jenen Tagen recht alt war) von einem Reisenden, der sich an eine Tafel setzte, auf der nichts als eine Makrele und ein Senftopf standen. Er fragte den Wirt, ob das alles sei. Der Wirt entgegnete:
»Alles?! Ei, potz Donner und Blitz, ich dächte, an der Makrele da könnten Sechse satt werden!«
»Aber ich esse Makrelen nicht gern.«
»O, dann halten Sie sich eben an den Senf.«
Sonst hatte ich diese Anekdote gut, sehr gut gefunden, allein hier nahm dieselbe eine solch betrübende Glaubhaftigkeit an, daß aller Spaß dabei aufhörte.
Da stand unser Frühstück vor uns, unsere Kauwerkzeuge traten jedoch trotzdem nicht in Thätigkeit.
Ich versuchte und roch; dann sagte ich, ich meine, ich möchte lieber Kaffee nehmen. Der Herbergsvater stierte mich sprachlos an; schließlich, als er wieder bei sich war, wandte er sich ab und sagte mit einem Ausdruck, als wenn die Sache seine Fassungskraft völlig überstiege: »Kaffee! nee, wenn mir das nicht über die Hutschnur geht, so will ich verd… sein!«
Essen konnten wir nicht und eine Unterhaltung fand unter den Hausknechten und Viehhirten nicht statt – wir saßen nämlich alle an demselben Tisch. Wenigstens beschränkte sich die Unterhaltung darauf, daß dann und wann einer der Bediensteten an den anderen irgend ein Verlangen stellte. Dies geschah stets in derselben Form und zwar mit einer rauhen Freundlichkeit. Durch ihre westliche Frische und Neuheit erweckte dieselbe anfangs meine Verwunderung und Teilnahme, bald aber wurde sie eintönig und verlor ihren Reiz für mich.
Da hieß es: »Gieb einmal das Brot her, du Sohn eines Stinktiers!« Doch nein – es lautete nicht Stinktier; ich meine, es sei noch stärker gewesen; ja, es ist sogar gewiß so, allein es ist meinem Gedächtnis mittlerweile entschwunden. Nun, das macht nichts, jedenfalls war es ja wohl für den Druck zu stark. In meinem Gedächtnis bildet dieser Ausdruck den Grenzstein, der mir sagt, wo ich zuerst aus das kräftige, neue Idiom der Ebenen und Berge des Westens stieß.
Wir verzichteten auf das Frühstück, zahlten jeder unsern Dollar und kehrten zu den Postsäcken in der Kutsche zurück, wo wir Trost in unsern Pfeifen fanden. Gerade an jener Station mußte sich unser fürstlicher Aufzug die erste Einbuße gefallen lassen, indem wir unsere sechs Pferde zurückließen und dafür sechs Maultiere bekamen. Aber es waren wilde mexikanische Burschen, deren jedes von einem Mann am Kopf festgehalten werden mußte, so lange der Kutscher die Handschuhe anzog und sich fertig machte. Ergriff dieser dann endlich die Zügel und gab das Zeichen zum Aufbruch, so sprangen die Männer schnell zur Seite und ließen die Tiere los und nun sauste die Kutsche vom Posthause weg wie aus der Kanone geschossen. Wie die aufgeregten Tiere dahinjagten! Es war ein wilder, toller Galopp, und aus dieser Gangart kamen sie nicht heraus, bis wir zehn oder zwölf Meilen weit gerast waren und an der nächsten Gruppe von Stationshütten und Ställen vorfuhren. So ging es mit Windeseile weiter den ganzen Tag. Um zwei Uhr nachmittags kam der Waldgürtel in Sicht, der den North-Platte umsäumt und dessen Windungen durch die ungeheuren, völlig flachen Ebenen andeutet. Um vier Uhr kreuzten wir einen Arm des Platte, um fünf Uhr diesen selbst und hielten in Fort Kearny, nach einer Fahrt von sechsundfünfzig Stunden von St. Joseph, dreihundert Meilen von dort entfernt.
Das also war die Postfahrt auf der großen Überlandroute vor zehn oder zwölf Jahren, als wohl keine zehn Menschen in ganz Amerika zusammen daran glaubten, daß sie einmal den Bau einer Eisenbahn auf dieser Route nach dem Stillen Ozean erleben würden. Aber nun ist die Bahn wirklich vorhanden, und es ruft tausend merkwürdige Vergleiche und Kontraste in meinem Geiste wach, wenn ich in der ›New-York-Times‹ die nachstehende Skizze einer Reise fast genau über die in meiner Beschreibung geschilderten Örtlichkeiten lese. Ich vermag die neuen Verhältnisse kaum zu fassen.
»Quer über den Kontinent.«
»Um vier Uhr zwanzig Minuten eines Sonntag-Nachmittags rollten wir von der Station Omaha weg, um unsere lange Fahrt nach dem Westen anzutreten. Nach Verfluß einiger Stunden wurde die Hauptmahlzeit angesagt – ein Ereignis für jeden, der noch nicht aus Erfahrung weiß, was es heißen will, in einem der Pullmannschen Hotels auf Rädern zu speisen. Wir betraten also den nächsten Wagen vor unserem Schlafpalast und befanden uns im Speisewagen. Es war eine ungeahnte Überraschung für uns, dieses erste Sonntagsessen – und obwohl wir noch vier Tage lang an der Mittagstafel speisten und jedesmal Frühstück und Abendessen nahmen, war unsere ganze Gesellschaft doch fortwährend voll Bewunderung über die vollendete Einrichtung und die großartigen Leistungen. Auf schneeweiß gedeckten und mit gediegenem Silbergerät besetzten Tafeln trugen äthiopische Kellner in fleckenlosem Weiß mit zauberhafter Schnelligkeit ein Mahl auf, dessen selbst Delmonico sich nicht zu schämen gebraucht hätte. Ja, in manchen Punkten möchte es diesem hervorragenden Kochkünstler schwer gefallen sein, es unserer Speisekarte gleich zu thun; denn hatten wir nicht neben allem dem, was sonst zu einem Diner ersten Rangs gehört, noch unser Antilopensteak (ein Feinschmecker, der dies nicht aus Erfahrung kennt – bah, was weiß der von Tafelgenüssen?) unsere köstliche Gebirgsbachforelle, auserlesenes Obst und Beeren und (als feinste Beilage, aber nicht für Geld zu haben) unsere süß duftende appetiterregende Prairieluft? Man darf überzeugt sein, daß wir den Herrlichkeiten Ehre widerfahren ließen, und als wir sie mit Kelchen voll perlenden Schaumweins hinunterspülten, während wir dreißig Meilen in der Stunde durchflogen, mußten wir bekennen, daß uns ein flotteres Leben niemals vorgekommen. Noch mehr leisteten wir übrigens zwei Tage daraus, als wir siebenundzwanzig Meilen in eben so vielen Minuten zurücklegten, während aus unseren bis zum Rand gefüllten Champagnerkelchen nicht ein Tropfen überfloß. Nach der Mahlzeit zogen wir uns in unseren Salonwagen zurück, wo wir den Sonntag-Abend durch Absingung einiger schönen alten Kirchenlieder feierten. Lieblich klangen die Männer- und Frauenstimmen in der Abendluft zusammen, während unser Zug mit seinem großen grell aufleuchtenden Polyphemsauge weithin die Prairie erhellend in Nacht und Wildnis hineinjagte. Dann zu Bett auf üppiger Lagerstatt, wo wir den Schlaf der Gerechten schliefen bis zum nächsten Morgen um acht Uhr, um beim Übergang über den North-Platte zu erwachen, dreihundert Meilen von Omaha, zurückgelegt in fünfzehn Stunden und vierzig Minuten.«