Brown und ich tauschen Komplimente aus.

Während der übernächsten Fahrt geriet ich in eine ernste Patsche. Brown steuerte; ich half ihm. Mein jüngerer, im Bureau angestellter Bruder erschien auf dem Sturmdeck und rief Brown zu, er solle bei einem Landungsplatz etwa eine Meile weiter abwärts anlegen. Brown gab durch kein Zeichen zu verstehen, daß er etwas gehört habe; aber das war so seine Art: er ließ sich nie herab, von einem Bureaubeamten Notiz zu nehmen. Es wehte ein starker Wind; Brown war schwerhörig (obgleich er das stets bestritt) und ich war sehr im Zweifel, ob er den Befehl gehört hatte. Wenn ich zwei Köpfe gehabt hätte, würde ich gesprochen haben; da ich aber nur einen besaß, schien es mir klug, für diesen Sorge zu tragen; ich verhielt mich also ruhig.

Richtig segelten wir bald darauf an jener Pflanzung vorbei.

Kapitän Kleinfelder erschien auf dem Verdeck und sagte:

»Lenken Sie doch das Boot herum, Sir, lenken Sie’s herum. Sagte Henry Ihnen nicht, daß Sie hier landen sollten?»

»Nein, Sir!«

»Ich sandte ihn eigens deshalb herauf.«

»Er kam auch herauf; aber das ist alles, was er that, der verflixte Narr. Er sagte kein Wort.«

»Hast du es nicht gehört?« fragte der Kapitän mich.

Ich wollte natürlich nicht gern in diese Geschichte verwickelt werde»; aber es war nicht zu vermeiden, und so sagte ich:

»Ja, Sir.«

Ich wußte im voraus, was Browns nächste Bemerkung darauf sein würde; sie lautete:

»Halt’s Maul! Du hast so etwas nicht gehört.«

Ich schwieg dieser Weisung gemäß. Eine Stunde später kam Henry ins Steuerhaus, ohne etwas von dem Vorgefallenen zu wissen. Er war ein ganz harmloser Bursche und that mir leid, als ich ihn kommen sah, denn ich wußte, daß Brown kein Mitleid mit ihm haben würde. Brown begann sofort:

»He! warum sagtest du mir nicht, daß ich bei jener Pflanzung landen sollte?«

»Ich sagte es Ihnen, Herr Brown.«

»Das ist ’ne Lüge!«

Ich rief: »Sie lügen selbst. Er sagte es Ihnen.«

Brown sah mich mit ungeheucheltem Erstaunen an, und für einen Augenblick war er ganz sprachlos; dann schrie er mir zu:

»Mit dir werde ich gleich ein Wort reden!« und hierauf zu Henry: »Und du verläßt das Steuerhaus; hinaus mit dir!«

Das war Lotsengesetz und mußte befolgt werden. Henry wandte sich zum Gehen und hatte eben den Fuß auf die obere Stufe vor der Thür gesetzt, als Brown in einem plötzlichen Wutanfall ein etwa zehnpfündiges Stück Kohle ergriff und ihm nachsprang; ich kam jedoch mit einem schweren Stuhl dazwischen und versetzte Brown einen tüchtigen Streich, der ihn niederstreckte.

Ich hatte das Kapitalverbrechen begangen – hatte meine Hand gegen einen Lotsen im Dienst erhoben. Da ich einmal doch fürs Zuchthaus reif war, konnte ich meine Lage kaum verschlimmern, wenn ich fortfuhr, meine Rechnung mit diesem Menschen auszugleichen, so lange ich die Gelegenheit dazu hatte; so machte ich mich denn an ihn heran und bearbeitete ihn eine beträchtliche Zeit – ich weiß nicht, wie lange – mit den Fäusten; das Vergnügen ließ mir die Zeit wohl länger erscheinen, als sie wirklich war; – endlich aber riß er sich los, sprang auf und zum Rad hin: eine sehr natürliche Besorgnis, denn während dieser ganzen Zeit raste das Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von fünfzehn Meilen in der Stunde den Fluß hinab, ohne daß jemand am Steuer war! Eagle Bend war jedoch bei diesem Wasserstand zwei Meilen breit und entsprechend lang und tief, und das Boot steuerte gerade in der Mitte des Fahrwassers hinab und vermied alle Hindernisse. Aber das war reines Glück – es hätte ebenso gut in den Wald hinein dampfen können.

Als Brown auf den ersten Blick sah, daß die ›Pennsylvania‹ nicht in Gefahr war, nahm er das lange Fernrohr wie eine Keule zur Hand und befahl mir mit steiferer Würde, als ein Comanche besitzt, das Steuerhaus zu verlassen. Aber ich fürchtete mich jetzt nicht mehr vor ihm; statt also zu gehen, blieb ich und kritisierte seine Sprechweise, formte seine schauderhaften Ausdrücke um und brachte sie in gutes Englisch, wobei ich seine Aufmerksamkeit auf die Vorzüge eines reinen Englisch vor dem Bastarddialekt der pennsylvanischen Kohlenbergwerke lenkte, aus denen er stammte. In einem Kreuzfeuer bloßer Schmähungen hätte er seine Rolle bewunderungswürdig spielen können, für diese Art der Kontroverse aber war er nicht gewappnet; er legte daher das Fernrohr beiseite und ergriff murmelnd und kopfschüttelnd das Rad, während ich mich auf die hohe Bank setzte. Der Lärm hatte alles auf’s Sturmdeck gelockt, und ich zitterte, als ich den alten Kapitän aus der Mitte der Schar heraufschauen sah. Ich sagte mir »Nun bin ich verloren!« – denn so väterlich und nachsichtig der Kapitän gewöhnlich gegen seine Leute und so milde er bei kleinem Versehen war, so streng konnte er bei einem ernstlichen Vergehen sein.

Ich versuchte mir vorzustellen, was er mit einem Lotsenlehrling thun würde, der sich ein Verbrechen wie das meine hätte zu schulden kommen lassen, und noch dazu auf einem Dampfer, der voll von Passagieren und kostbarer Fracht war. Unsere Wache war fast zu Ende. Ich gedachte mich irgendwo zu verstecken, bis ich eine Gelegenheit fände, ans Land zu schlüpfen. So schlich ich denn aus dem Steuerhaus, die Treppe hinab und auf die Thür zum Saale zu – und wollte eben hineingleiten, als der Kapitän mir entgegentrat. Ich ließ den Kopf hängen; er stand einige Augenblicke schweigend vor mir und sagte dann:

»Folge mir!«

Ich schritt ihm nach, in seine Kajüte am vordern Ende des Salons. Wir waren jetzt allein. Er schloß die hintere Thür, ging dann langsam zur vordern und schloß auch diese. Darauf setzte er sich nieder, sah mich eine Weile an und sagte schließlich:

»Du hast dich also mit Herrn Brown geprügelt?«

Ich antwortete demütig: »Ja, Sir.«

»Weißt du, daß das eine sehr ernste Sache ist?«

»Ja, Sir.«

»Weißt du, daß dieses Boot volle fünf Minuten den Strom hinabdampfte, ohne daß jemand am Steuerruder war?«

»Ja, Sir.«

»Hast du ihn zuerst geschlagen?«

»Ja, Sir.«

»Womit?«

»Mit einem Stuhl, Sir.«

»Stark?«

»Mittelmäßig, Sir.«

»Warf es ihn nieder?«

»Er – er fiel, Sir.«

»Was machtest du weiter? Thatest du sonst noch etwas?«

»Ja, Sir.«

»Was denn?«

»Bearbeitete ihn mit den Fäusten, Sir.«

»Mit den Fäusten?«

»Ja, Sir.«

»Gehörig? – das heißt stark?«

»Ich glaube wohl, Sir.«

»Das freut mich ganz verteufelt! Höre, laß dir nie merken, daß ich das sagte. Du hast dir ein schweres Verbrechen zu schulden kommen lassen; thue es ja nicht wieder auf diesem Boot. Aber – paß ihm auf am Lande! Prügle ihn ganz gehörig durch, hörst du? Ich werde die Kosten bezahlen. Und nun geh – und höre, daß du mir kein Wort davon laut werden lässest! Fort mit dir! – du hast ein schweres Verbrechen begangen, du Schlingel!«

Ich schlich hinaus, glücklich im Gefühl des Entkommens und einer großen Erlösung; und ich hörte ihn für sich hin lachen und sich auf die strammen Schenkel schlagen, nachdem ich seine Thür geschlossen hatte.

Als Brown von der Wache kam, ging er stracks zum Kapitän, der mit einigen Passagieren auf dem Kesseldeck plauderte, verlangte, daß ich in New-Orleans ans Land gesetzt würde und fügte hinzu:

»Ich werde das Rad auf diesem Boot nicht mehr drehen, solange der Bursche an Bord ist.«

Der Kapitän sagte:

»Aber er braucht ja nicht ins Steuerhaus zu kommen, solange Sie auf Wache sind, Herr Brown.«

»Ich mag nicht einmal auf demselben Boote mit ihm bleiben. Einer von uns muß ans Land.«

»Sehr wohl,« sagte der Kapitän, »dann mögen Sie dieser eine sein.« Damit setzte er sein Gespräch mit den Passagieren fort.

Während des kurzen Restes dieser Fahrt erfuhr ich, wie einem befreiten Sklaven zumute ist; denn ich selbst war jetzt ein befreiter Sklave. Während wir an den Landeplätzen lagen, lauschte ich George Ealers Flötenspiel oder seinem Vorlesen aus seinen beiden Bibeln, d. h. Goldsmith und Shakesspeare, oder ich spielte Schach mit ihm – und würde ihn manchmal geschlagen haben, wenn er nicht stets seinen letzten Zug zurückgenommen und dadurch dem Spiel eine andere Wendung gegeben hätte.