Jim findet sich wieder – Floß zurückgewonnen – Neue Kameraden! – Der Herzog von Somerset – Königliches Schicksal – Eine Gebetsversammlung – Der Wolf unter den Schafen

17. Kapitel

Als ich am andern Morgen erwachte, stand die Sonne schon hoch am Himmel. Ich brauchte ein paar Augenblicke, bis ich mich auf die Abenteuer der letzten Nacht besinnen konnte. Ich richtete mich auf und sah mich um, meinte, ich müsse Jims altes, treues, breites Gesicht irgendwo aus dem hohen Ufergras auftauchen sehen, aber nichts regte sich – ich rief, ein-, zweimal – alles blieb still. Da erhob ich mich mühsam und schlich mich, elend, zerschlagen und ganz mutlos, flußabwärts dem Ufer entlang. Das Wasser behielt ich scharf im Auge, vielleicht konnte ich doch wenigstens seine Leiche – ich meine Jims Leiche – entdecken und so Gewißheit darüber erlangen, was aus dem armen Kerl geworden war. Da ich nichts zu essen hatte, rebellierte mein Magen sehr gegen die weitere Entdeckungsreise am einsamen Fluß. Der Hunger hätte mich weit lieber landeinwärts, bewohnten Gegenden zu getrieben; ich aber konnte Jim nicht ohne weiteres aufgeben. Lange, lange schlenderte ich so hin, ohne das geringste zu entdecken. Ziemlich weit vor mir sah ich den Wald in scharfem Bogen bis zum Wasser hin reichen. Denk‘ ich, bis dahin gehst du noch, und ist Jim dort auch nicht, so hat ihn richtig die Schlangenhaut ins Unglück gebracht. Entweder ist er dann ertrunken oder aber am Ufer Leuten in die Hände gefallen, die ihn für einen der durchgebrannten Nigger gehalten und ihn festgenommen haben. So schlepp‘ ich mich denn noch weiter, immer auf den Wald zu. Das Ufer griff dort landzungenartig in den Fluß hinein, so daß man einen freien Ausblick auf das Wasser haben mußte. Endlich bin ich dort und schau mich um und – was seh‘ ich? Von Jim nichts, aber – einen Teil von unsrem Floß, dem guten, alten Floß, und zwar den größeren, mit der Hütte drauf. Die war nun freilich etwas zusammengerissen, der Dampfer war haarscharf daran hingestreift:, aber sie stand doch noch. Ich wußte gar nicht, wie mir war! Ich sank fast in die Knie vor freudiger Erregung und mußte auf allen vieren drauf zukriechen. Wie ich näher komm‘, seh‘ ich, daß das Ding sogar mit einem Seil am Ufer festgemacht ist und nicht, wie ich dachte, zufällig dort hängengeblieben war. Das macht mich stutzig! Vorsichtig kriech‘ ich näher und schiel‘ erst einmal durch einen Spalt in die Hütte hinein. Und richtig – leer war sie nicht. In der einen dunklen Ecke liegt’s wie ein großer Klumpen zusammengeballt, und jetzt regt es sich – Arme und Beine und ein schwarzer Wollkopf hebt sich und – weiß Gott, ich glaub, ich hab‘ laut aufgeschrien, und dann muß ich geweint haben wie ein kleines Kind, denn als ich dann wieder zu mir kam, hielt mich Jim in den Armen, und mein Gesicht war ganz naß von Tränen und seines auch. Wer von uns beiden sie aber geweint hat, weiß ich nicht recht. – Dann setzten wir uns zusammen, und ich sprudelte und stammelte alle meine Angst, meinen Kummer und meine Verzweiflung hervor, die mich diesen Morgen beim Aufwachen gepackt hatte.

Dann erzählte Jim: »Huck, Herzensjung‘, weißt du, wie sein kommen Dampfer und sein kommen so ganz schrecklich nah, Jim denken, das beste wäre, sich ins Wasser zu rollen. Jim ’s tun un bleiben lang unten, kommen dann mal rauf, hören noch Schiff un gehen gleich wieder nunter. So noch mal un noch mal. Denken, wollen nix gleich fortschwimmen, wollen erst mal sehen nach gute alte Floß. Un wie Jim dann wieder rauf kommen, Jim sehen dicke schwarze Schiffsklumpen schon weit weg un kleine schwarze Klumpen hinter sich. Er schwimmen auf kleine schwarze Klumpen zu, weil er denken, holla, sein am Ende Floß, un richtig, wie er kommen hin, sein warraftig diese Stück Floß, un sein alte gute Hütte noch da un gar nix viel fort. Jim also rein in Hütte.«

»Hast du mich denn gar nicht rufen hören, Jim?« frag‘ ich, habda drüben am Ufer so schrecklich nach dir gebrüllt!«

»Jim gar nix hören, sein zuviel weit weg! Jim immer denken, Huck sein gewiß am Ufer mit Strömung, un die sein links; so Jim auch kommen links mit Floß un finden Huck dann am Morgen. Un so sein’s dann auch gewesen!«

Ja, so war’s gewesen, Gott sei Dank! Da waren wir drei denn wieder beisammen. Jim und das Floß und ich. Keine Schlangenhaut hatte uns was anhaben können; aber viel drüber reden taten wir lieber nicht! Jim machte mir ein Frühstück zurecht, und ich ließ mir’s köstlich schmecken. Danach machten wir uns an die Ausbesserung unsres Floßes, das fast um die Hälfte kleiner geworden war, aber doch immerhin noch reichlich Raum bot. Vor Abend waren wir fertig damit, und nun konnte das alte Leben wieder losgehen. Als es Nacht wurde, stießen wir vom Ufer; sobald wir weit genug waren, ließen wir das Floß treiben, wie es die Strömung wollte. Dann steckten wir unsere Pfeifchen an, ließen unsere Füße ins Wasser hängen und schwatzten über allerlei. Manchmal hatten wir für längere Zeit den Strom ganz für uns. Drüben waren Ufer und Inseln sichtbar, zuweilen auch ein Licht, gleich einem Fünkchen, das durchs Fenster einer Blockhütte schien – dann und wann auch ein ähnlicher Lichtpunkt auf dem Wasser, von einem Floß oder ähnlichen Fahrzeug herrührend, von denen auch mitunter der Ton einer Geige oder ein Liedchen herüberschallte. Es ist lieblich, so auf einem Floß zu leben. Über uns hatten wir den Himmel voller Sterne. Wir lagen oft auf dem Rücken und schauten zu ihnen empor. Dann sprachen wir darüber, ob sie gemacht worden wären oder nur durch Zufall da seien. Jim meinte das erstere, wogegen ich einwendete, daß es zu lange gedauert hätte, so viele zu machen. Er meinte dann, der Mond könnte sie gelegt haben. Das ließ sich eher hören, und so widersprach ich ihm auch nicht, hatte ich doch gesehen, daß ein bloßer Frosch mindestens so viele Eier legen kann. Besonders beobachteten wir die herabfallenden Sterne, und Jim behauptete, es seien die faulen, die aus dem Nest geschmissen würden.

Nach Mitternacht gingen die Uferbewohner zu Bett, und für zwei bis drei Stunden waren die Ufer schwarz – kein Fünkchen mehr in den Blockhausfenstern. Diese Lichtpunkte waren unsere Uhr. Die ersten, die sich wieder zeigten, bedeuteten die Ankunft des Morgens, dann suchten wir einen Schlupfwinkel auf einer kleinen Insel und legten an, wo’s am besten ging.

Eines Morgens bei Tagesanbruch fand ich ein Kanu und fuhr damit von der Insel zum Ufer, dann etwa eine Meile unter Zypressen einen kleinen Fluß hinauf, um zu sehen, ob ich nicht einige Beeren pflücken könnte. Als ich an einem Ort vorüberkam, wo ein Kuhpfad den Fluß berührte, rannten zwei Männer herbei. Ich dachte schon, daß mir’s nun an den Kragen gehen würde, denn ich fürchtete, sie wären hinter mir und Jim her. Ich wollte schon umkehren, sie waren aber ganz nahe und baten mich, ihnen das Leben zu retten; sie hätten nichts getan, würden trotzdem verfolgt und Männer mit Hunden wären hinter ihnen her. Sie wollten gleich zu mir in den Nachen springen, aber ich sagte: »Tut’s ja nicht. Ich höre weder Pferde noch Hunde. Ihr habt Zeit, durchs Gebüsch etwas stromauf zu gehen, dann watet durchs Wasser zu mir – das lenkt die Hunde von der Fährte ab.«

Sie taten’s, und als ich sie im Kanu hatte, ging’s rasch nach unserm Floß. Nach ungefähr fünf Minuten hörten wir Hunde und Männer in der Ferne lärmen. Sie schienen an den Fluß zu kommen – sehen konnten wir sie nicht – und dort eine Zeitlang herumzulungern. Wir machten uns aus dem Staube, bis wir sie zuletzt nicht mehr hörten. Als wir aus dem Fluß in den Strom liefen, war alles still. Wir erreichten das Floß und versteckten uns für den Tag.

Einer der Kerle war siebzig Jahre alt oder mehr, hatte einen kahlen Kopf und grauen Vollbart. Er trug einen zerknitterten alten Filz, ein schmutziges baumwollenes Hemd, zerfetzte blaue Hosen in seine Stiefel gestopft und gestrickte Hosenträger – oder vielmehr nur einen. Er trug auf dem Arm einen alten blauen Rock mit Messingknöpfen, und beide Kerle hatten große vollgepfropfte Reisesäcke.

Der andere war etwa dreißig Jahre alt und war etwas besser gekleidet.

Nach dem Frühstück machten wir’s uns bequem und plauderten; dabei stellte es sich gleich heraus, daß die beiden einander fremd waren.

»Was hat dich in die Klemme gebracht?« fragte der Kahlkopf den andern Patron.

»Nun, ich verkaufte einen Stoff, der den Weinstein von den Zähnen nimmt, und die Zahnglasur gewöhnlich auch. Ich blieb eine Nacht länger in dem Städtchen, als mir zuträglich war, und machte mich eben davon, als ich dir über den Weg lief und du mir sagtest, man sei hinter dir her und ich möchte dir helfen. Da sagte ich dir, daß mir’s ähnlich ginge und wir zusammenhalten könnten – das ist die ganze Geschichte – was ist deine?«

»Nun ja, ich hielt eben dort Versammlungen zur Förderung der Mäßigkeit, etwa eine Woche lang, und war der Liebling des schönen Geschlechts: jung und alt, und verdiente nebenbei fünf bis sechs Dollar den Abend; zehn Cents die Person, Kinder und Neger frei. Das Geschäft ging täglich besser. Da verbreitete sich gestern abend irgendwie das Gerücht, daß ich eine Privatflasche bei mir trüge, der ich insgeheim fleißig zuspräche. Ein Neger weckte mich heute früh und sagte mir, daß sich die Leute in aller Stille sammelten und vorhätten, mich mit Hunden und Pferden zu hetzen, nachdem sie mir eine halbe Stunde Vorsprung gegeben, und, wenn meiner habhaft, mich mit Teer und Federn zu überziehen und auf einem Zaunpfahl reiten zu lassen. Ich wartete nicht aufs Frühstück – der Hunger war mir vergangen.«

»Alter«, sagte der Jüngere, »wir geben ein gutes Doppelgespann ab; was meinst du dazu?«

»Ich bin nicht abgeneigt. Was ist dein Geschäft – hauptsächlich?«

»Bin von Haus Buchdrucker; mache etwas in Patentmedizinen; bin Schauspieler, besonders im Trauerspiel; tue auch gelegentlich etwas in Mesmerismus und Phrenologie; zur Abwechslung halte ich Schule, besonders Singen und Geographie; lasse wohl auch einmal einen Vortrag vom Stapel. Oh, ich verstehe mich auf vielerlei – fast auf alles, was mir unter die Hand kommt, nur darf es keine schwere Arbeit sein. Wie steht’s mit dir?«

»Am meisten hab‘ ich in meinem Leben wohl gedoktert. Das Händeauflegen gelingt mir am besten, bei Krebs, Lähmung und dergleichen; auch versteh‘ ich mich ziemlich gut aufs Wahrsagen, wenn ich jemand finde, der mich vorher mit den nötigen Tatsachen versorgt. Predigen schlägt auch in mein Fach, besonders bei Bekehrungs-Versammlungen im Freien. Ich kann überhaupt gut herum missionärieren

Für eine Weile sprach keiner, dann seufzte der Jüngere tief auf und schloß mit einem: »Ach!«

»Na, worüber lachst du?« rief der Kahlkopf.

»Oh, daß ich solches Leben führen muß und zu solcher Gesellschaft heruntergekommen bin!« Und er wischte sich einen seiner Augenwinkel mit einem Fetzen.

»Ist dir etwa die Gesellschaft nicht gut genug?« fuhr der Kahlkopf etwas scharf und ärgerlich heraus.

»Ja, sie ist gut genug für mich, so gut wie ich’s verdiene. Wer hat mich so heruntergebracht, nachdem ich so hoch stand? Ich selbst. Ich werfe euch nichts vor, meine Herren – weit entfernt –, niemandem werfe ich etwas vor. Ich bin ganz allein schuld. Mag die kalte Welt ihr Schlimmstes tun, mag das Schicksal ferner mich verfolgen und mir alles entreißen – Freunde, Eigentum, alles –, eines weiß ich: Irgendwo finde ich ein Grab, das kann die Welt mir nicht entreißen, eines Tages werde ich mich niederlegen und alles vergessen, und mein armes gebrochenes Herz wird Ruhe haben.« Und er wischte sich wieder an den Augen herum.

»Potz armes gebrochenes Herz! Warum läßt du es vor uns hier überlaufen? Was können wir dafür?«

»Nein, ihr allerdings nicht. Euch beschuldige ich auch nicht, meine Herren. Ich habe mich selbst heruntergebracht – ja, ich selbst. Es geschieht mir recht, wenn ich leide, ganz recht; ich grolle niemand.«

»Heruntergebracht von wo? Von wo bist du heruntergebracht worden?«

»Ach, ihr würdet mir’s nicht glauben; die Welt glaubt nie. Laßt mich! Es kann euch einerlei sein. Das Geheimnis meiner Geburt –« »Das Geheimnis deiner Geburt? Willst du behaupten …«

»Meine Herren«, sagte der junge Mann feierlich, »ich will es euch enthüllen, denn ich fühle, daß ich euch vertrauen darf. Von Rechts wegen bin ich ein Herzog!«

Jims Augen starrten vor Erstaunen, und ich glaube, die meinigen auch. Der Kahlkopf aber sagte: »Unmöglich! Ist das dein Ernst?«

»Ja. Mein Urgroßvater, der älteste Sohn des Herzogs von Somerset, flüchtete in dieses Land gegen Ende des letzten Jahrhunderts, um die reine Luft der Freiheit zu atmen. Er heiratete hier und starb und hinterließ einen Sohn; sein eigener Vater starb fast zur selben Zeit. Dessen zweiter Sohn bemächtigte sich des Titels und der Güter; der wirkliche Erbprinz wurde ignoriert und dessen Nachkomme in gerader Linie bin ich – ich bin der rechtmäßige Herzog von Somerset; und nun bin ich verstoßen, meiner hohen Stellung beraubt, von Menschen gehetzt, zerlumpt, elend, und herabgewürdigt zu einer Gesellschaft Entlaufener auf einem Floß!«

Jim bedauerte ihn sehr, ich auch. Wir versuchten ihn zu trösten, aber er sagte, es wäre nutzlos, denn er sei untröstlich; doch wenn wir ihn als Herzog anerkennen wollten, so wäre das für ihn eine kleine Entschädigung. Wir wollten ihm den Gefallen gern tun, wenn er uns nur sagte wie. Er meinte, wir sollten uns verbeugen, wenn wir ihn anredeten, und zwar mit den Worten Ihro Gnaden oder Hoheit oder auch Mylord und er hätte auch nichts dagegen, wenn wir ihn einfach Somerset nennen, denn das wäre eigentlich mehr ein Titel als ein Name; und einer von uns solle ihn bei Tische bedienen und ihm überhaupt kleine Dienstleistungen erweisen.

Nun, das hatte ja nichts auf sich, und wir waren willens. Während der Mahlzeit bediente Jim ihn mit: ›Ihro Gnaden wünschen dies oder das?‹ und so weiter, und man konnte sehen, daß es ihm gefiel.

Aber der Alte wurde allmählich schweigsam, hatte wenig zu sagen und sah aus, als ob ihm dieser Herzogkultus nicht recht gefiele. Ihn schien innerlich etwas zu wurmen. Am Nachmittag fing er folgendermaßen an:

»Hör mal, Sommerfett«, sagte er, »du tust mir verdammt leid, aber du bist nicht der einzige, der so etwas durchgemacht hat.«

»Nicht?«

»Nein, du bist nicht die einzige Person, die ungerechter Weise aus ihrer Höhe herabgerissen worden ist.«

»Ach!«

»Nein, du bist nicht die einzige Person, die ein Geburtsgeheimnis hat.« – Und der Alte fing zu weinen an.

»Halt, was meinst du damit?«

»Sommerfett, darf ich mich dir vertrauen?« sagte der Alte noch schluchzend.

»Bis zum bittren Tode!« Der Herzog ergriff bei diesen Worten des Alten Hand, drückte sie und sprach: »Vertrau mir das Geheimnis deines Daseins, wie ich dir das meinige vertraute. Rede!«

»Sommerfett – ich bin der Dauphin!«

Jim und ich starrten vor Erstaunen. Dann rief der Herzog: »Du bist was?«

»Ja, mein Freund, es ist nur zu wahr – deine Augen schauen in diesem Moment auf den armen verschollenen Dauphin: Louis XVII., Sohn Ludwigs XVI. und Marie Antoinettens.«

»Du? In deinem Alter? Nein! Du meinst wohl, du bist Karl der Große; du mußt doch mindestens sechs- bis siebenhundert Jahre alt sein.«

»Kummer hat’s getan, Sommerfett, Kummer hat’s getan. Sorgen haben mir das Haupthaar vor der Zeit geraubt und den Bart gebleicht. Ja, meine Herren, ihr seht vor euch, in abgetragenem Zeug und in Elend versunken, den wandernden, verbannten, niedergebeugten und leidenden rechtmäßigen König von Frankreich!«

Er weinte und gebärdete sich so, daß Jim und ich gar nicht wußten, was tun, so leid tat er uns, und zugleich waren wir so froh und stolz, ihn bei uns zu haben. Wir taten denn auch für ihn, wie erst für den Herzog, alles was wir konnten. Aber er sagte, es sei umsonst, nichts als der Tod könne ihn glücklich machen. Und doch meinte er, sei das Leben etwas erträglicher, wenn Menschen ihn nach seinem Rechte behandelten, ein Knie beugten, wenn sie mit ihm sprächen, ihn mit Majestät anredeten, ihm bei der Mahlzeit aufwarteten und sich nicht setzten, bis er es ihnen erlaubte. So schickten Jim und ich uns an, ihn zu bemajestäten, dies und das und jenes für ihn zu tun und zu stehen, bis er uns zum Sitzen aufforderte. Das tat ihm wohl, und er machte sich’s bequem. Aber dem Herzog schien das nicht zu gefallen, er schien mit der Sachlage sehr unzufrieden. Doch der König behandelte ihn recht freundlich und sagte, des Herzogs Urgroßvater und alle andern Herzoge von Sommerfett wären von seinem Vater stets hochgeschätzt und in seinem Palast recht willkommen gewesen; doch der Herzog blieb lange brummig, bis der König sagte: »Wir werden wahrscheinlich eine verdammt lange Zeit auf diesem Floß zusammen sein müssen, Sommerfett, und was nützt es, so traurig zu sein? Man macht sich’s dadurch nur ungemütlich. Es ist nicht meine Schuld, daß ich nicht als Herzog, und nicht deine, daß du nicht als König geboren bist – also warum darüber grübeln? Machen wir das beste aus der Lage, in der wir uns befinden, sag‘ ich: Das ist mein Motto. Und genau betrachtet, ist das hier so schlimm nicht – genug zu essen und ein leichtes Leben. Komm, gib mir deine Hand, Herzog, und laß uns Freunde sein.«

Der Herzog tat’s, und Jim und ich waren darüber froh.

Es dauerte nicht lange, und ich war überzeugt, daß diese Kerle weder König noch Herzog, sondern ganz erbärmliche Schufte und Betrüger waren. Aber ich ließ mir nichts merken, sondern behielt’s für mich; es gab dann keinen Streit und Verdruß. Wenn sie wünschten, König und Herzog genannt zu werden, warum nicht? – Wenn es nur Frieden in der Familie gab. Da es nichts nützte, Jim darüber aufzuklären, sagte ich ihm auch nichts davon.

Sie fragten uns nach vielerlei und wollten wissen, warum wir am Tage das Floß versteckten, anstatt weiterzufahren.

»Meine Angehörigen«, erklärte ich, »lebten in Pike County in Missouri, wo ich geboren bin, und sie starben alle außer meinem Papa und meinem Bruder Ike. Papa gab den Haushalt auf, um zu Onkel Ben zu ziehen, der ein kleines Besitztum am Fluß, vierundzwanzig Meilen unterhalb Orleans, hat. Papa war arm und hatte Schulden. Als er alles verkauft und sie bezahlt hatte, war nichts übrig als sechzehn Dollar und unser Neger Jim. Das war nicht genug, uns vierzehnhundert Meilen reisen zu lassen, selbst nicht Zwischendeck. Als der Fluß stieg, hatte Papa eines Tages das Glück, ein Stück von einem Floß aufzufischen; so beschlossen wir, darauf nach Orleans zu fahren. Papas Glück war nicht von Dauer; eines Nachts stieß ein Dampfboot auf die vordere Ecke des Floßes, und wir alle stürzten ins Wasser und tauchten unter das Rad. Jim und ich kamen wieder zum Vorschein; aber Papa war betrunken und Ike nur vier Jahre alt – beide blieben für immer unten. Einige Tage hatten wir viel Ungemach, denn Leute kamen und wollten mir Jim wegnehmen. Sie meinten, er sei ein entlaufener Sklave. So fahren wir jetzt nicht mehr am Tage, nachts lassen sie uns in Ruhe.«

Da sagte der Herzog: »Überlasse es mir, einen Plan auszudenken, der es uns möglich macht, auch bei Tageslicht zu fahren. Ich will mir die Sache überlegen. Heute wollen wir jedoch das Städtchen dort drüben nicht am Tag passieren – es dürfte uns nicht gut bekommen.«

Gegen Abend wurde es früh dunkel, und es sah nach Regen aus; das Wetterleuchten zuckte ringsum, die Blätter begannen zu zittern – man konnte sehen, daß es eine schlimme Nacht geben würde. Der König und der Herzog durchstöberten unser kleines Zelt, um das Bettzeug zu untersuchen. Meins war ein Strohsack, besser als Jim seins, das nur ein mit Maishülsen gefüllter Sack war, und in denen stecken oft Kolben, die einem in die Rippen drücken, und wenn man sich umdreht, rauscht das Zeug wie dürre Blätter und weckt einen auf.

Nun der Herzog meinte, er wolle mein Bett nehmen, doch der König meinte anders und sagte: »Ich sollte meinen, daß der Unterschied in unserm Rang genügt, dir begreiflich zu machen, daß der Maishülsensack nicht geeignet ist, mir als Bett zu dienen. Ihro Gnaden werden ihn für sich selbst nehmen.«

Jim und ich fürchteten jetzt Streit zwischen den beiden und waren recht froh, als der Herzog sagte: »Es ist immer mein Schicksal gewesen, von dem eisernen Absatz der Bedrückung in den Grund getreten zu werden. Unglück hat meinen einst stolzen Sinn gebrochen; ich gebe nach, ich gehorche, es ist mein Schicksal. Ich stehe allein in der Welt – laßt mich leiden; ich kann’s ertragen.«

Wir stießen ab, sobald es dunkel genug war. Der König gebot uns, die Mitte des Stromes zu gewinnen und kein Licht zu zeigen, bis wir das Städtchen weit hinter uns hätten. Bald sahen wir ein kleines Häufchen Lichter – das war das Städtchen – und glitten, eine halbe Meile davon, ganz gut vorbei. Als wir etwa eine Meile unterhalb waren, hißten wir unsere Signallaterne auf; und um etwa zehn Uhr gings los: Regen, Wind, Donner, Blitz – hast du was kannst du! Der König gebot uns beiden Wacht zu halten, bis das Wetter sich aufgeklärt hätte; er und der Herzog krochen ins Zelt und lagerten sich für die Nacht. Meine Wacht dauerte bis zwölf; doch ich hätte mich auch sonst nicht zur Ruhe gelegt, selbst wenn ich ein Bett gehabt hätte, denn solch ein Gewitter sieht man nicht jeden Tag, wahrhaftig nicht. Meiner Seel! Wie der Wind dahinkreischte! Und alle Augenblicke kam ein Lichtstrahl, der den weißen Wellenschaum auf eine halbe Meile ringsum erglänzen ließ. Dann sahen die Inseln wie staubig durch den Regen aus, und die Bäume hieben mit ihren Ästen wild um sich in den Wind; dann kam’s Sch – Krach! – Bum – bum – bumlerumbumbum – und der Donner grollte und rollte und schwieg. Dann fing dieselbe Geschichte wieder von vorn an und so weiter. Zuweilen spülten mich die Wellen fast vom Floß.

Endlich ließ der Sturm nach, und sobald ich das erste Licht am Land erblickte, weckte ich Jim, und wir steuerten zu einem guten Versteckplatz für den Tag.

Nach dem Frühstück holte der König ein altes dreckiges Spiel Karten hervor, und er und der Herzog spielten Sieben auf, zu fünf Cents das Spiel. Als sie dessen müde waren, steckte der Herzog seinen Arm in seinen Reisesack, holte daraus eine Anzahl kleiner gedruckter Anschlagzettel und las laut vor. Auf einem stand: ›Der berühmte Dr. Armand de Montalban aus Paris wird einen Vortrag über Phrenologie halten in … am …‹ (Ort und Datum waren freigelassen) ›Eintritt 10 Cents; Untersuchungen pro Person 25 Cents.‹ Der Herzog sagte: »Das bin ich selbst.« In einem andern Zettel war er ›der weltberühmte Shakespeare-Tragöde, Garrick der Jüngere vom Drury-Lane-Theater, London.‹ In anderen Zetteln hatte er eine Menge anderer Namen und tat andere Wunderdinge, wie zum Beispiel Wasser und Gold mit der Wünschelrute finden, Behexungen besprechen und dergleichen mehr. Nach einer Weile sagte er:

»Aber die histrionische Muse ist meine Wonne. Hast du je die Bretter betreten, Majestät?«

»Nein«, sprach der König.

»Dann, o gefallene Größe, sollst du es tun, eh‘ du drei Tage älter bist«, rief der Herzog. »In dem ersten besten Städtchen, wo wir hinkommen, mieten wir eine Halle und produzieren das Schwertgefecht aus Richard III. und die Balkonszene aus Romeo und Julia. Was sagst du dazu?«

»Ich bin dabei, bis an den Hals hinein, bei allem, wenn sich’s nur bezahlt macht; aber viel verstehe ich nicht vom Schauspielern, hab‘ auch nicht viel davon gesehen. Ich war zu klein, als mein Papa dergleichen in seinem Palaste hatte. Meinst du, daß du mir’s beibringen kannst?«

»Leicht genug!«

»Wohl denn. Ich lechze schon nach was Frischem. Fangen wir nur gleich an!«

So erzählte ihm nun der Herzog ausführlich, wer Romeo war und wer Julia war, und da er selbst immer Romeo gespielt hätte, könnte der König Julia darstellen.

»Aber«, entgegnete der, »wenn Julia ein so junges Mädchen war, so würde mein abgeschälter Kopf und mein weißer Bart bei ihr doch wohl etwas altertümlich erscheinen.«

»Nein, sei unbesorgt; diesen Landkaffern wird das nicht auffallen. Und dann wirst du ja auch verkleidet, das macht einen großen Unterschied. Julia auf dem Balkon freut sich des Mondscheins vor dem Schlafengehen, sie hat ihr Nachtgewand und eine faltenreiche Nachthaube auf. Hier sind die Kostüme.«

Er holte zwei oder drei Kalikodinger hervor und sagte, das seien die mittelalterlichen Rüstungen für Richard III. und den andern Burschen – dann auch ein langes, weißes Nachthemd und eine faltige Nachthaube. Der König war’s zufrieden; dann nahm der Herzog sein Buch und las die Rollen in großartigem Stil vor, wobei er herumsprang und wunderliche Gebärden machte, um zu zeigen, wie gespielt werden müsse; dann gab er das Buch dem König zum Auswendiglernen.

Etwa drei Meilen stromab war ein kleines Städtchen, und nach Mittag sagte der Herzog, es sei ihm eine Idee gekommen, wie man auch bei Tage ohne Gefahr für Jim fahren könne. Er wolle sich erlauben, in das Städtchen zu gehen und alles besorgen. Der König erteilte sich selbst die gleiche Erlaubnis, um zu sehen, ob er dort nicht etwas Profitables ausrichten könne. Wir hatten keinen Kaffee mehr, Jim schlug daher vor, daß ich im Kanu mitginge und welchen besorgte.

Als wir hinkamen, schien alles ausgestorben, als ob es Sonntag wäre. Wir fanden einen kranken Neger, der sich in einem Hof sonnte. Er sagte uns, daß alle, die nicht zu jung, zu krank oder zu alt seien, bei einer öffentlichen Bußfeier wären, etwa zwei Meilen entfernt im Wald. Der König ließ sich die Richtung angeben und beschloß hinzugehen, um aus der Gelegenheit zu machen, was sich machen ließ. Ich durfte mit.

Der Herzog aber sagte, er müsse eine Druckerei ausfindig machen. Wir hatten bald eine entdeckt. Es war ein kleiner Raum über einer Schreinerwerkstatt – Schreiner und Drucker waren alle fort, bei der Versammlung, doch nichts war verschlossen. Der Herzog zog den Rock aus und sagte, er sei jetzt in seinem Element; so schoben denn ich und der König ab und gingen zur Versammlung.

In etwa einer halben Stunde kamen wir schweißtriefend dort an, es war ein schrecklich heißer Tag. Es mochten etwa tausend Menschen aus einem Umkreis von zwanzig Meilen beisammen sein. Der Wald war voller Wagen und Gespanne; die Pferde waren überall angebunden, fraßen aus den Wagentrögen und stampften mit den Hufen, um die Fliegen abzuwehren. Dazwischen hatte man Zelte aufgeschlagen, aus Stangen mit Zweigen bedeckt, unter denen Limonade und Pfefferkuchen, Haufen von Wassermelonen, junger Mais und dergleichen zum Verkauf waren.

Unter ähnlichen Zelten fand auch das Predigen statt, Mark Twain beschreibt hier ein sog. campmeeting, wie diese im Freien abgehaltenen Bußfeiern genannt werden. nur waren sie größer und faßten viele Menschen. Die Prediger standen auf hohen Brettergerüsten an einem Ende des Zeltes. Die Frauen hatten Hauben auf und waren in selbstgesponnene Stoffe gekleidet, einige in Gingham, die Jugend in Kaliko. Mehrere der Jünglinge waren barfuß, und von den Kindern trugen viele nichts als ein gewöhnliches Hemd. Die alten Frauen strickten, und das junge Volk machte einander den Hof.

Im ersten Zelt, das wir besuchten, las der Prediger einen Choral vor. Er las immer zwei Zeilen, und dann stimmte die Versammlung an und sang sie. Jeder sang mit, und es tönte ordentlich ergreifend. Das Volk wurde immer wärmer und wärmer und sang lauter und lauter – gegen Ende des Liedes schluchzten einige, andere jauchzten. Dann begann der Prediger seine Predigt, und was für eine; er wandelte von einem Ende des Gerüsts zum andern, beugte sich weit vornüber – Körper und Arme waren in steter Bewegung – und brüllte die Worte mit aller Gewalt heraus. Von Zeit zu Zeit hielt er die geöffnete Bibel hoch empor und schwenkte sie hin und her, wobei er ausrief: ›Das ist die eherne Schlange in der Wüste! Schauet her und lebet!‹ Und das Volk rief: ›Hosiannah – A – a – men!‹ In dieser Weise ging es fort, unter unaufhörlichem Geplärre der Menge. Zum Schluß forderte er die Anwesenden auf, sich auf die Bank der Bußfertigen zu begeben.

›Ihr reumütigen Kinder, tretet heraus und setzet euch auf die Bank der Bußfertigen (Amen!), kommet ihr Mühseligen und Beladenen (Amen!), kommet ihr Armen und Bedürftigen, in Schmach und Leid Verzehrten (A – a – men!); kommet, die ihr gebrochenen Herzens, die ihr verzagten Geistes seid! Kommet, die ihr in Sünde und Schmutz gewandelt seid; das reinigende Wasser quillt für euch, die Tür zum Himmel steht euch offen – oh, tretet ein und seid selig!‹

In diesem Ton gings weiter. Allenthalben erhoben sich nun Leute aus der Menge und drängten sich mit aller Gewalt hindurch bis zu der Bank der Bußfertigen, während ihnen die Tränen über die Backen liefen. Nachdem alle Büßer hier versammelt waren, sangen und jubilierten sie, daß ihnen schier der Atem ausging; manche gebärdeten sich ganz wahnsinnig und warfen sich in wilder Verzückung auf den mit Stroh bedeckten Boden.

Auf einmal packte es auch den König, und er sprang auf das Gerüst. Der Prediger bat ihn, zum Volk zu reden, und er tat es mit einer gewaltigen Stimme. Er sagte ihnen, er sei ein Pirat, sei seit dreißig Jahren einer gewesen, fern im Indischen Ozean. Seine Mannschaft sei im Frühling bei einem Kampf sehr zusammengeschmolzen und er sei heimgekommen, um Rekruten zu sammeln; doch – dem Himmel sei Dank! – letzte Nacht sei er beraubt und ohne einen Cent vom Dampfboot ans Land gesetzt worden; er freue sich aber darüber, etwas Besseres hätte ihm gar nicht widerfahren können, denn er sei dadurch zu einem anderen Menschen geworden, und zum erstenmal in seinem Leben fühle er sich glücklich. Arm, wie er sei, wolle er sich jetzt zurück zum Indischen Ozean durchschlagen und den Rest seines Lebens dazu verwenden, die Piraten auf den wahren Weg zu führen; er könne es besser als irgendein anderer, da er mit allen Piratenmannschaften jenes Ozeans bekannt sei. Wohl würde er lange Zeit brauchen, ohne Geld dorthin zu kommen, aber hin komme er sicher, und jedesmal, wenn er einen Piraten bekehrt hätte, würde er ihm sagen: »Mir danke nicht, mir gebührt die Ehre nicht; nein, wohl aber den guten Menschen der Pokville-Buß-Versammlung, den wahren Brüdern und Wohltätern der Menschheit – und dem teuren Prediger dort, dem treuesten Freund, den ein Pirat je hatte!«

Hier brach der König in Tränen aus, und ebenso alle anderen. Dann rief einer: »Sammelt für ihn!« Ein halbes Dutzend sprangen auf und schickten sich dazu an, aber jemand rief: »Laßt ihn selbst den Hut herumreichen!« Alle riefen es nach, der Prediger auch.

So schritt der König durch die Massen, indem er den Hut herumreichte und sich die Augen wischte, das Volk segnend und preisend und ihm dankend, weil es mit den Piraten in der Ferne es so gut meine; und sie luden ihn ein, eine Woche zu bleiben; jeder wollte sich’s zur Ehre anrechnen, ihn in seinem Hause zu beherbergen. Doch er sagte, da das der letzte Tag der Versammlung sei, habe er hier nichts mehr zu tun, und er habe Eile, zum Indischen Ozean zurückzukehren, um schnell an seine Arbeit bei den Piraten zu gehen.

Als er wieder auf dem Floß ankam und das Geld zählte, fand er, daß er siebenundachtzig Dollar und fünfundsiebzig Cents gesammelt hatte. Außerdem hatte er einen Dreigallonenkrug Branntwein erwischt, den er unter einem Wagen sah, als wir durch den Wald zurückgingen. Da sagte der König, daß er im Missionsgeschäft kaum jemals einen besseren Tag gehabt habe als heute. »Heiden«, rief er, »sind doch nichts im Vergleich mit Piraten, wenn’s gilt, aus einer Bußversammlung Kapital zu schlagen.«

Indessen war der Herzog auch nicht faul gewesen und freute sich schon im stillen, erzählen zu können, was er eingeheimst. Als aber der König kam und loslegte, da fühlte er sich doch etwas klein. In der Druckerei hatte er zuerst zwei kleine Aufträge für ein paar Farmer ausgeführt – Rechnungsformulare – und dafür vier Dollar eingesteckt. Dann hatte er für zehn Dollar Zeitungsanzeigen angenommen, was er gegen augenblickliche Vorausbezahlung um vier Dollar tat. Der Preis der Zeitung war zwei Dollar pro Jahr, doch hatte er drei Abonnements, jedes zu einem halben Dollar, verkauft, unter der Bedingung augenblicklicher Vorausbezahlung. Sie wollten in Brennholz und Zwiebeln bezahlen, aber er sagte ihnen, er hätte das Geschäft eben erstanden und die Preise so niedrig wie möglich herabgesetzt, um auf Barzahlung bestehen zu können. Außerdem hat er ein Gedichtchen in Typen gesetzt; das hatte er aus seinem eigenen Kopf gemacht. Drei Verse, zart und melancholisch. Es hieß: ›Ja, kalte Welt, erdrück dies brechend‘ Herz usw.‹ – er hatte es fix und fertig dagelassen zum Druck in der nächsten Nummer der Zeitung und nichts dafür gerechnet. So hatte er denn im ganzen neun und einen halben Dollar eingenommen und meinte, er hätte eine gute Tagesarbeit dafür geleistet.

Dann zeigte er uns noch eine kleine Arbeit, die er besorgt, doch nicht berechnet habe, denn sie sei für uns. Es war das Bild eines entlaufenen Negers, der ein Bündel auf einem Stock über der Schulter trug, und darunter stand geschrieben: ›200 Dollar Belohnung.‹ Das übrige auf dem Zettel gab eine genaue Beschreibung von Jim und besagte, dieser sei von der St. Jakobs-Plantage vierzig Meilen unterhalb New Orleans letzten Winter – wahrscheinlich nordwärts – entlaufen, und wer ihn fange und wiederbringe, würde die Belohnung und die Unkosten bezahlt erhalten.

»Von jetzt an«, sagte der Herzog, »können wir auch am Tage drauflosfahren. Wenn wir jemand kommen sehen, binden wir Jims Hände und Füße, legen ihn ins Zelt, verweisen auf die Anzeige, sagen, wir hätten ihn gefangen, seien zu arm, mit dem Dampfboot zu fahren, hätten von Freunden dies Floß auf Kredit gekauft und wollten uns jetzt unsere Belohnung holen. Handschellen und Ketten würden sich zwar noch besser ausnehmen, das stimmt aber nicht recht mit unserer Armutsgeschichte. Stricke sind das rechte. Wir müssen die Einheit wahren, wie wir auf den Brettern sagen.«

Wir stimmten alle darin überein, daß der Herzog ein findiger Kopf sei und das Reisen bei Tage uns jetzt keine Ungelegenheit mehr bringen würde. Wir hofften, diese Nacht noch weit genug zu kommen, um aus dem Bereich des Skandals zu sein, den des Herzogs Arbeit in der Druckerei jenes Städtchens verursachen würde – im übrigen konnten wir unbehelligt reisen.

Wir blieben versteckt und hielten uns still und wagten uns nicht hinaus bis etwa zehn Uhr; dann glitten wir ziemlich entfernt vom Stadtufer dahin und hißten unsere Laterne erst auf, als das Städtchen schon längst außer Sicht war.

Als Jim mich weckte, um die Wacht um vier Uhr morgens zu übernehmen, sagte er: »Huck, du denken, wir noch mehr Könige werden treffen auf Reise?«

»Glaub’s nicht, Jim«, entgegnete ich.

»Nun, das gut sein, ein oder zwei Jim wollen haben ganz gern, wenn müssen, aber das sein auch genug. Sein ganz mächtig betrunken unser König – un Herzog nix viel weniger!«