Ein geheimnisvoller Besuch.
Der erste Mensch, welcher mich aufsuchte, nachdem ich mich in der Stadt niedergelassen hatte, war ein Herr, der sich damit einführte, daß er sagte, er sei Taxator und stehe mit der Abteilung für innere Einkünfte der Vereinigten Staaten in Verbindung. Ich sagte, ich hätte nie von diesem Geschäftszweig gehört, sei aber trotzdem sehr erfreut ihn zu sehen und bäte ihn, Platz zu nehmen. Er setzte sich. Mir fiel gerade nichts Besonderes ein, womit ich ihn unterhalten konnte, aber ich bedachte, daß, wer einem Hauswesen vorstehen will, auch die Pflicht hat, gesprächig, liebenswürdig und entgegenkommend zu sein. In Ermangelung von etwas anderem fragte ich ihn also, ob er seinen Laden in unserer Nachbarschaft eröffnen werde.
Er bejahte dieses, ohne jedoch, wie ich gehofft hatte, von selbst zu erwähnen was er verkaufe, und ich wollte doch nicht neugierig erscheinen.
Also versuchte ich es mit der Frage: »Geht das Geschäft gut?« und er erwiderte: »Hm, so so.«
Darauf sagte ich, wir würden bei ihm vorsprechen und wenn man uns in seinem Hause ebensogut bediene wie in anderen, so wollten wir ihm unsere Kundschaft zuwenden.
Er antwortete, sein Etablissement würde uns unzweifelhaft genügen. Ihm sei wenigstens noch nie jemand vorgekommen, der einen anderen Vertreter seines Faches aufgesucht hätte, nachdem er einmal mit ihm verhandelt habe.
Das klang ziemlich selbstbewußt, aber abgesehen von der natürlichen Schlechtigkeit, die uns allen im Gesicht geschrieben steht, sah der Mann ganz ehrlich aus.
Ich erinnere mich nicht mehr, wie es zuging, aber allmählich tauten wir auf und kamen in Fluß, das heißt unsere Unterhaltung, und nun ging es wie ein aufgezogenes Uhrwerk.
Es wurde geredet, geredet, geredet – wenigstens meinerseits, und gelacht, gelacht, gelacht – wenigstens seinerseits. Aber während der ganzen Zeit hatte ich die Geistesgegenwart nicht verloren, meine natürliche Schlauheit war auf ›vollen Dampf‹ gesetzt, wie die Maschinisten sagen. Ich war entschlossen alles zu erfahren, was sein Geschäft anging, trotz der dunkeln Antworten, die er gab, und zwar dachte ich es aus ihm herauszubekommen, ohne daß er es selbst gewahr wurde. Ich wollte ihn in eine tiefe, tiefe Falle locken, ihm alles über mein eigenes Geschäft erzählen und ihn dadurch so erwärmen und zutraulich machen, bis er nicht umhin konnte, mir ausführliche Mitteilungen über sein Geschäft zu machen, ehe er noch merkte, um was es mir zu tun war. »Du ahnst nicht, mein Sohn,« dachte ich bei mir selbst, »mit welchem schlauen Fuchs du es zu tun hast!«
»Können Sie wohl raten,« sagte ich, »wieviel ich im vergangenen Winter und Frühling mit meinen Vorlesungen eingenommen habe?«
»Nein, gewiß nicht – und wenn mein Kopf daran hinge! Erlauben Sie – etwa zweitausend Dollars, wie? – Aber nein, nein – so viel können Sie nicht verdient haben. Sagen wir siebzehnhundert.«
»Haha! das hab‘ ich mir gedacht! Meine Einnahmen für Vorlesungen letzten Winter und diesen Frühling betrugen vierzehntausendsiebenhundertundfünfzig Dollars. Was sagen Sie dazu?«
»Ja, das ist ja unglaublich, ganz unglaublich! Das werde ich mir merken. Und Sie meinten, das sei noch nicht einmal alles?«
»Alles! – kein Gedanke! Dazu kam noch mein Gehalt beim ›Täglichen Kriegsruf‹ auf vier Monate, ungefähr – ungefähr – nun, was würden Sie sagen, wenn ich es auf achttausend Dollars angäbe?«
»Was ich sagen würde? – Je nun – daß ich wohl auch in solchem Meer des Überflusses schwimmen möchte. Achttausend – das will ich mir merken! Und das ist alles noch nicht genug, Sie Glückspilz! Wenn ich Sie recht verstehe, haben Sie noch andere Einnahmen gehabt?«
»Hahaha! natürlich. Wir stehen erst beim Anfang sozusagen. Nun kommt noch mein Buch ›Unschuld auf Reifen‹ – Preis drei Dollars fünfzig Cents bis fünf Dollars, je nach dem Einband. Sehen Sie mir ins Auge und hören Sie: Während der letzten fünftehalb Monate – ganz abgesehen von allem, was vorher verkauft worden ist – nur während der letzten fünftehalb Monate haben wir fünfundneunzigtausend Exemplare von dem Buch abgesetzt. Fünfundneunzigtausend! Denken Sie einmal! Durchschnittlich vier Dollars das Exemplar, das macht vierhunderttausend Dollars, mein Freund – und ich bekomme die Hälfte!«
»Alle Wetter! Ich will das aufschreiben. Vierzehn – sieben – fünf – acht – zweihundert – Summa sagen wir – meiner Treu, die Gesamtsumme macht ungefähr zweihundertdreizehn oder vierzehntausend Dollars. Ist das möglich?«
»Möglich? Wenn irgend ein Fehler dabei ist, so habe ich zu wenig angegeben. Zweihundertvierzehntausend bar ist mein diesjähriges Einkommen, wenn ich überhaupt rechnen kann.«
Jetzt stand der Herr auf, um zu gehen. Mich überfiel der peinliche Gedanke, ob ich am Ende meine Enthüllungen umsonst gemacht habe. Noch dazu hatte ich mich durch seine laute Bewunderung verführen lassen, die Beträge recht ansehnlich zu vergrößern. Aber, nein, im letzten Augenblick überreichte mir der Herr ein großes Kuvert mit der Bemerkung, daß es seine Geschäftsanzeige enthalte, die mir jeden gewünschten Aufschluß geben könne, er würde stolz sein, einen Mann von so ungeheuerem Einkommen zum Kunden zu haben. Früher habe er gedacht, daß es mehrere wohlhabende Herren in der Stadt gäbe, aber sobald er geschäftlich mit ihnen in Verbindung getreten sei, habe es sich gezeigt, daß sie kaum genug besäßen, um davon leben zu können. Es sei wirklich eine solche Ewigkeit her, seit er einen reichen Mann von Angesicht gesehen, mit ihm gesprochen und ihm die Hand gereicht habe, daß er sich kaum enthalten könne, mir um den Hals zu fallen – ich würde ihn unendlich glücklich machen, wenn ich ihm die Erlaubnis gäbe, mich zu umarmen.
Das gefiel mir so gut, daß ich nicht versuchte Widerstand zu leisten, sondern dem biedern Fremdling gestattete, die Arme um meinen Hals zu schlingen und ein paar beruhigende Tränen zu vergießen, die mir den Nacken herabrieselten. Dann ging er seiner Wege.
Sobald er fort war, öffnete ich das Kuvert mit seiner ›Anzeige‹. Ich studierte sie aufmerksam vier Minuten lang, dann rief ich die Köchin herauf und sagte:
»Bitte, halten Sie mich – ich falle in Ohnmacht – Marie kann unterdessen die Pfannkuchen umwenden.«
Als ich wieder zur Besinnung gekommen war, schickte ich nach dem nächsten Schnapsladen und mietete mir um Wochenlohn einen Mann, der sich aufs Fluchen verstand, damit er die ganze Nacht aufsitzen und jenen Fremden verwünschen sollte, und mich am Tage manchmal dabei ablösen, wenn ich nicht weiter wußte.
Er war aber auch ein ganz abgefeimter Schurke. Seine ganze Geschäftsanzeige bestand aus weiter nichts als einem niederträchtigen Steuerzettel – einer Kette von unverschämten Fragen über meine Privatangelegenheiten, die beinahe vier engbedruckte Folioseiten einnahmen. Fragen, die mit so erstaunlicher Spitzfindigkeit zusammengesetzt waren, daß die ältesten Leute nicht herausgefunden hätten, was sie bedeuten sollten. Fragen, die so eingerichtet waren, daß man sein Einkommen ungefähr viermal so hoch angeben mußte, als es in Wirklichkeit war, aus lauter Angst, man könne eine Lüge beschwören. Ich suchte nach einem Ausweg, aber es schien keinen zu geben. Gleich die erste Frage paßte so vollkommen auf meinen Fall, wie ein Regenschirm auf einen Ameisenhaufen, wenn man ihn aufspannt:
»Wie hoch beliefen sich Ihre Einnahmen im vergangenen Jahr aus Ihrem Handel, Geschäft oder Beruf, gleichviel wo Sie denselben betrieben haben?«
Und diese Frage zog dreizehn andere von ebenso eindringlicher Art nach sich, von denen die bescheidenste Aufschluß darüber verlangte, ob ich einen Betrug oder Straßenraub verübt hätte oder durch Brandstiftung und andere geheime Erwerbsquellen zu Vermögen gelangt sei, das bei meiner Antwort auf Nr. 1 nicht mit angegeben wäre.
Es war klar, daß der Fremde mir Gelegenheit gegeben hatte, mich zu blamieren. Dies lag so sehr auf der Hand, daß ich ausging und mir noch einen Mann zum Fluchen mietete. Der Fremde hatte mich mit seinen Schmeicheleien verführt, ein Einkommen von zweihundertvierzehntausend Dollars anzugeben. Gesetzmäßig waren tausend davon steuerfrei, das war der einzige Abschlag, den ich entdecken konnte, und das war doch nur ein Tropfen im Ozean. Bei den gesetzlichen fünf Prozent mußte ich der Regierung die Summe von zehntausendsechshundertfünfzig Dollars Einkommensteuer bezahlen.
(Ich will hier gleich bemerken, daß ich es nicht getan habe.)
Ich bin mit einem sehr begüterten Manne bekannt, der einen Palast bewohnt und eine wahrhaft fürstliche Tafel hält, dessen Ausgaben ganz enorm sind und der doch kein Einkommen hat, wie ich oft an seinen Steuerzetteln gesehen habe. Zu diesem begab ich mich in meiner Not. Er nahm meine schreckliche Liste von Einnahmen zur Hand, setzte sich die Brille auf, tauchte die Feder ein, und – ehe ich mich’s versah, war ich ein Bettler. Es geschah auf die einfachste Weise von der Welt und ward durch die Geschicklichkeit, mit der er den Paragraphen ›Abzüge‹ benützte, ganz leicht zustande gebracht. Er setzte meine Staats- und meine städtischen Steuern auf so und so viel fest, meine Verluste durch Schiffbruch, Feuer usw., auf so und so viel; Verluste beim ›Verkauf von Landbesitz‹ – ›Verkauf von Viehstand‹ – ›Zahlungen für Miete des Anwesens‹ – ›Ausbesserungen, Umbauten, Zinsvergütung‹ – ›schon vorher besteuerter Gehalt als Offizier der Armee, der Flotte usw. usw.‹ und dergleichen mehr. Aus jedem dieser Punkte wußte er ganz erstaunliche Abzüge herauszuschlagen. Als er fertig war und mir das Blatt hinreichte, sah ich auf den ersten Blick, daß während des ganzen Jahres meine Einnahme, das heißt der Gewinn dabei, nur zwölfhundertfünfzig Dollars vierzig Cent betragen hatte.
»Dazu kommt,« sagte er, »daß tausend Dollars steuerfrei sind. Gehen Sie jetzt aufs Steueramt und beschwören Sie dies Dokument, dann bezahlen Sie Steuern von hundertfünfzig Dollars.«
(Während er sprach, zog sein Söhnchen, der kleine Willy, einen Zweidollarschein aus des Vaters Westentasche und verschwand damit. Ich möchte alles wetten, daß der Junge auch sein Einkommen falsch angeben würde, wenn mein fremder Herr ihn morgen besuchte.)
»Machen Sie die Abzüge immer auf diese Art?« fragte ich, »auch wenn Sie Ihre eigenen Steuern berechnen?«
»Natürlich, das versteht sich von selbst. Wenn unter der Rubrik ›Abzüge‹ nicht jene elf tröstlichen Klauseln ständen, müßte ich ja alljährlich an den Bettelstab kommen, nur um diese verhaßte, schlechte, geldgierige und tyrannische Regierung zu unterstützen.«
Dieser Herr gehört zu den allerbesten und solidesten Männern der Stadt, zu den Männern von moralischem Gewicht, von kaufmännischer Ehrenhaftigkeit, von zweifelloser, unantastbarer Zuverlässigkeit – folglich unterwarf ich mich seinem Urteil. Ich begab mich auf das Steueramt – und da stand ich, unter den Augen meines fremden Herrn, die mich schwer anklagten, und beschwor eine Lüge nach der anderen, eine Schlechtigkeit nach der anderen, bis meine Seele zolldick mit Meineiden überzogen war, und ich meine Selbstachtung auf ewige Zeiten verloren hatte.
Aber was schadet’s? Tun denn nicht Tausende der reichsten und stolzesten, der gerechtesten und gefeiertsten Männer in Amerika alljährlich dasselbe?