Aleksey Aleksandrowitsch fuhr nach seiner Begegnung mit Wronskiy auf der Freitreppe, wie er beabsichtigt hatte, nach der italienischen Oper. Er wohnte dieser zwei Akte hindurch bei und begrüßte alle die, welche er sehen mußte. Nach Hause zurückgekehrt, besichtigte er aufmerksam den Kleiderhalter, und begab sich, nachdem er wahrgenommen hatte, daß ein Uniformrock nicht mit dahing, wie er zu thun pflegte, in seine Gemächer. Entgegen seiner Gewohnheit aber legte er sich nicht zur Ruhe nieder, sondern ging in seinem Kabinett auf und ab, bis drei Uhr nachts.

Das Gefühl des Zornes über das Weib, welches den Anstand nicht wahren, und die einzige ihr gestellte Bedingung, die, ihren Liebhaber nicht bei sich selbst zu sehen, nicht erfüllen wollte, ließ ihm keine Ruhe. Sie hatte seine Forderung nicht erfüllt und er mußte sie nun bestrafen, seine Drohung zur Ausführung bringen – die Trennung fordern und ihr das Kind nehmen. Er kannte alle Schwierigkeiten, die mit dieser Aufgabe verbunden waren, aber er hatte einmal gesagt, daß er dies thun werde, und jetzt mußte er seine Drohung ausführen.

Die Gräfin Lydia Iwanowna hatte ihm zu verstehen gegeben, daß dies der beste Ausweg aus seiner Lage sein werde und in der jüngsten Zeit hatte man auch die Praxis der Ehescheidungen zu solcher Vervollkommnung gebracht, daß Aleksey Aleksandrowitsch die Möglichkeit erkannte, die formellen Schwierigkeiten überwinden zu können. Hierzu kam indessen, wie ja ein Unglück nie allein kommt, daß auch die Angelegenheiten bezüglich der Lage der Ausländer und der Bewässerung der Fluren im Gouvernement Zaraisk für ihn so viele dienstliche Unannehmlichkeiten im Gefolge hatten, daß er sich in letzter Zeit stets in einem Zustande äußerster Gereiztheit befand. Er konnte die ganze Nacht kein Auge zuthun, und sein Groll, in einer Art ungeheurer Progression anwachsend, hatte bis zum Morgen die äußerste Grenze erreicht.

Hastig kleidete er sich an, und eilte, gleichsam eine Schale voll Wut tragend und befürchtend, von ihrem Inhalt zu verschütten, und zugleich damit an Energie einzubüßen, deren er zur Auseinandersetzung mit seinem Weibe bedurfte – zu ihr, sobald er gehört hatte, daß sie sich erhoben habe.

Anna, welche stets geglaubt hatte, ihren Mann so genau zu kennen, geriet in Bestürzung bei seinem Anblick, als er zu ihr ins Gemach trat. Seine Stirn war finster gerunzelt, seine Augen blickten düster, gerade aus, ihren Anblick meidend; sein Mund war fest und mit verächtlichem Ausdruck zusammengekniffen. Im Gang, in seinen Bewegungen dem Ton seiner Stimme lag eine Entschlossenheit und Festigkeit, die sein Weib noch nie an ihm wahrgenommen hatte.

Er trat ins Zimmer und schritt, ohne ihr einen Morgengruß zu bieten, geradenwegs auf ihren Schreibtisch zu, ergriff die Schlüssel und öffnete das Schubfach.

»Was wollt Ihr!« rief Anna Karenina.

»Die Briefe Eures Liebhabers!« antwortete er.

»Hier giebt es keine,« versetzte sie, den Kasten schließend, doch er erkannte an dieser Handlung, daß er richtig vermutet habe und riß, ihren Arm rauh wegstoßend, schnell eine Brieftasche an sich; in welche sie, wie er wußte, ihre notwendigsten Papiere zu legen pflegte. Sie wollte ihm die Brieftasche entreißen, allein er stieß sie von sich.

»Setzt Euch! Ich habe mit Euch zu reden,« sagte er, die Brieftasche unter den Arm nehmend und sie so heftig mit seinem Ellbogen klemmend, daß sich seine Schulter hob.

Erstaunt und scheu blickte sie wortlos auf ihn.

»Ich habe Euch gesagt, daß ich Euch nicht gestatten könne, Euren Liebhaber bei Euch selbst zu sehen.«

»Ich mußte ihn sprechen, um« –

Sie hielt inne, da sie keinen Vorwand fand.

»Ich werde mich nicht auf Einzelheiten darüber einlassen, Wozu ein verheiratetes Weib ihren Liebhaber bei sich sehen muß.«

»Ich wollte, ich war nur« – sagte sie, in aufsteigender Gereiztheit. Diese Rohheit erzürnte sie und gab ihr Mut, »solltet Ihr nicht fühlen, wie leicht es Euch fallen muß, mich zu beleidigen?« sagte sie.

»Beleidigen kann man nur einen Mann von Ehre oder ein ehrenhaftes Weib, aber einem Diebe sagen, daß er ein Dieb sei, ist nur die constatation d’un fait!«

»Diesen neuen Zug von Härte hatte ich noch nicht in Euch gekannt.«

»Ihr nennt es Härte, wenn ein Mann seinem Weibe die Freiheit giebt, ihr den Schutz ihres ehrlichen Namens nur unter der Bedingung lassend, daß sie den Anstand beobachtet? Das nennt Ihr Härte?«

»Das ist schmählicher als Härte: das ist Niedrigkeit, wenn Ihr es denn wissen wollt!« rief Anna in einem Ausbruch der Wut und wollte aufstehend das Zimmer verlassen.

»Nein!« rief er mit seiner dünnen Stimme, welche jetzt noch eine Note höher klang, als gewöhnlich; er ergriff sie mit seinen langen Fingern am Arm, so hart, daß rote Spuren von ihrem Armband darauf blieben, welches er mit gepreßt hatte, und setzte sie gewaltsam wieder auf den Stuhl. »Eine Niedrigkeit? Wenn Ihr das Wort einmal brauchen wollt, so ist es Niedrigkeit, daß man einen Gatten verläßt und einen Sohn, für einen Liebhaber, und dabei das Brot des Gatten ißt!«

Sie senkte den Kopf. Sie sagte nicht nur nicht, was sie gestern dem Geliebten gesagt hatte, nämlich daß jener ihr Gatte, dieser hier aber ein Überflüssiger sei – sie dachte gar nicht daran, denn sie empfand die ganze Wahrheit seiner Worte, und so antwortete sie nur leise:

»Ihr könnt meine Lage nicht schlimmer darstellen, als wie ich selbst sie kenne; aber weshalb sagt Ihr das alles?«

»Weshalb ich das sage? Weshalb?« fuhr er fort, noch ebenso wutentbrannt. »Damit Ihr wüßtet, daß ich, da Ihr meinen Willen bezüglich der Beobachtung der Regeln des Anstandes nicht erfüllt habt, Maßregeln ergreifen werde, um diese Situation zum Abschluß zu bringen!«

»Bald, bald wird sie ihr Ende auch so erreicht haben,« antwortete sie und wiederum traten ihr die Thränen bei dem Gedanken an den nahen, jetzt erwünschten Tod in die Augen.

»Es wird schneller vorbei sein, als Ihr mit Eurem Liebhaber gedacht haben mögt! Ihr bedürft der Befriedigung einer materiellen Leidenschaft« –

»Aleksey Aleksandrowitsch! Ich will nicht sagen, daß es nur wenig großmütig wäre, es ist nicht einmal in der Ordnung, einen Gefallenen noch zu schlagen!«

»Ihr denkt eben nur an Euch! Aber die Leiden eines Menschen, der Euer Gatte war, interessieren Euch nicht. Es ist Euch ganz gleichgültig, daß das ganze Dasein desselben vernichtet ist, daß er unsagbar gesi – – gesitten!« – – Aleksey Aleksandrowitsch sprach so überstürzt, daß er sich verwickelte und nicht imstande war, das Wort »gelitten« herauszubringen. Dies erschien ihm komisch, ja selbst beschämend, weil es ihr in diesem Augenblick lächerlich erscheinen konnte.

Zum erstenmal empfand sie für eine Sekunde etwas für ihn, sie versetzte sich in ihn und er that ihr leid. Aber was konnte sie sagen oder thun? Sie senkte das Haupt und schwieg. Er schwieg gleichfalls einige Zeit, und sprach dann mit weniger pfeifender, kalter Stimme weiter, einige willkürlich gewählte Worte sprechend, ohne daß sie eine besondere Wichtigkeit besessen hätten.

»Ich bin gekommen, Euch zu sagen,« – begann er.

Sie schaute ihn an. »Nein,« dachte sie, sich den Ausdruck seines Gesichts vergegenwärtigend, wie er sich verwickelt und nicht richtig zu sprechen vermocht hatte, »nein, es schien mir Wohl nur so; sollte dieser Mann mit den matten Augen, mit dieser selbstzufriedenen Ruhe, etwas fühlen können?«

»Ich vermag nichts zu ändern,« flüsterte sie.

»Ich bin gekommen, Euch zu sagen, daß ich morgen nach Moskau reisen und nicht mehr in dieses Haus zurückkommen werde. Ihr werdet Nachricht über meine Entscheidungen durch meinen Rechtsanwalt erhalten, dem ich die Führung des Ehescheidungsprozesses übergeben will. Mein Sohn wird zu meiner Schwester übersiedeln,« sprach Aleksey Aleksandrowitsch, mit Anstrengung sich ins Gedächtnis zurückrufend, was er betreffs des Sohnes hatte verfügen wollen.

»Ihr braucht Sergey, um mir ein Weh zuzufügen,« sprach sie, ihn von unten herauf anblickend. »Ihr liebt ihn nicht! Laßt mir daher Sergey!« –

»Ja, selbst die Liebe zum Sohne habe ich verloren, weil mit ihm sich mein Ekel vor Euch verbindet. Aber gleichwohl will ich ihn nehmen. Lebt wohl!« –

Er wollte gehen, doch jetzt hielt sie ihn zurück.

»Aleksey Aleksandrowitsch, laßt mir Sergey!« sprach sie noch einmal leise. »Nichts weiter habe ich Euch zu sagen. Laßt mir Sergey bis zu meiner – ich werde bald niederkommen – laßt ihn mir!« –

Aleksey Aleksandrowitsch fuhr auf, riß seine Hand aus der ihren und verließ stumm das Gemach.