Wieder im Westen

Seit dem bisher Erzählten waren vier Monate vergangen, in denen die ersten zwölf Wochen lang ein mir unendlich teures Leben mit sehr abwechselndem Erfolge mit dem Tode gerungen hatte. Ich meine dasjenige meines Freundes Winnetou.

Seine sonst so widerstandsfähige Natur hatte doch unter dem Aufenthalte in Afrika, so kurz derselbe war, gelitten. Wir bekamen in Marseille schnelle Gelegenheit nur nach Southampton. Kaum hatte sich das Schiff in Bewegung gesetzt, so mußte er sich legen. Wir hielten die Übelkeit, welche ihn befiel, zunächst für eine Folge der Seekrankheit; aber als dieselbe sich nicht hob, zogen wir den Schiffsarzt zu Rate, und dieser konstatierte ein schweres Gallen- und Leberleiden, welches eine gefährliche Wendung zu nehmen drohte. In Southampton angekommen, war er so schwach, daß er von Bord getragen werden mußte; an eine Weiterreise war nicht zu denken. Emery, welcher hier bekannt war, mietete in der Umgegend der Seestadt, die der „Garten Englands“ genannt wird, eine der vielen hier befindlichen Villen, welche wir mit dem Patienten bezogen. Zwei der tüchtigsten Ärzte, welche es gab, teilten sich in seine Behandlung.

Er, der dem Tode hundertmal offen in das Auge geschaut hatte, mußte hier nun mit einem versteckten, heimtückischen Feinde kämpfen, den er nicht zu fassen vermochte. Bald schien er zu unterliegen, bald trat wieder eine Besserung ein, die uns Hoffnung gab, aber nicht lange anhielt. Es verstand sich ganz von selbst, daß wir an nichts anderes als die Pflege des teuern Freundes denken konnten. Wir saßen, uns ablösend, Tag und Nacht an seinem Bette und thaten alles, was geeignet war, den tückischen Feind in die Flucht zu schlagen. Aber erst in der dreizehnten Woche erklärten uns die Ärzte, daß das Schlimmste vorüber sei und der Kranke nur noch der Schonung und der Erholung bedürfe.

Schonung und Erholung! Der Apatsche lächelte, als er die beiden Worte hörte, obgleich er zum Skelette abgemagert war, sodaß dieses Lächeln weit eher wie unterdrücktes Weinen aussah.

„Schonung?“ fragte er. „Ich habe keine Zeit dazu. Und Erholung? Kann Winnetou sich auf diesem Lager und in diesem Lande erholen? Gebt ihm seine Prairie, seinen Urwald wieder, dann wird er seine Kräfte schnell zurückbekommen! Wir müssen fort. Meine Brüder wissen, welche eilige Angelegenheit uns hinüberruft.“

Wohl wußten wir das; sie war auch wirklich eilig; aber einer, der soeben einer so schweren, lebensgefährlichen Krankheit entronnen ist, muß sich vor jeder Eile hüten.

Es versteht sich von selbst, daß wir nichts versäumt hatten, was wir in unserer Lage thun konnten, um den Plan der beiden Meltons, sich in den Besitz eines Vermögens von Millionen zu setzen, zu Schanden zu machen. Die beiden Schufte hatten in Afrika den jungen Hunter ermordet und waren nun nach Amerika abgesegelt, um mittels der Ähnlichkeit, welche der junge Melton mit dem Ermordeten hatte, und mittels der ihm gestohlenen Papiere sich in Besitz eines Erbes zu setzen, welches ihm zufallen sollte. Ich hatte sofort nach unserer Ankunft in Southampton, als es sich herausstellte, daß wir hier bleiben mußten, dem jungen Advokaten Fred Murphy in New Orleans telegraphiert. Da die Depesche nicht als unbestellbar zurückkam, nahm ich an, daß er sie erhalten hatte. Gleich nach Absendung derselben schrieb ich ihm einen langen Brief, in welchem ich ihm unsere Erlebnisse mitteilte, ihn von allem, was wir erfahren hatten, genau unterrichtete und ihn ersuchte, die Meltons, sobald sie sich in New Orleans zeigen würden, festnehmen zu lassen und bis zu unserer Ankunft in sicherm Gewahrsam zu halten.

Ungefähr drei Wochen später antwortete er mir. Er dankte mir für meine Mitteilungen und benachrichtigter mich, daß sie bereits die von mir erwarteten Folgen gehabt hätten. Als Freund von Small Hunter hatte er sich so sehr um dessen Auffindung und um die ganze Angelegenheit bemüht, daß er vom Gericht aus als Erbschaftsverweser eingesetzt worden war. Er hatte die Behörde sofort über mein Telegramm und dann auch über meinen Brief verständigt, und beide waren zu den Akten genommen worden. Kurze Zeit später hatte sich der falsche Hunter auch wirklich gemeldet und war mit seinem Vater festgenommen worden. Er hatte dem echten Hunter dort so ähnlich gesehen und war selbst in dessen kleinste und intimste Angelegenheiten so eingeweiht gewesen, daß man ihn ohne mein Schreiben ganz gewiß für denselben gehalten und ihm die reiche Erbschaft unbedenklich zugesprochen hätte. Die Untersuchung aber hatte ergeben, daß er normale Füße besaß, während die Bekannten des echten Hunter dort wußten, daß dieser zwölf Zehen besessen hatte.

Das schrieb mir der Anwalt. Zugleich bat er mich um Zusendung der Dokumente, welche sich in meiner Hand befanden und zur völligen Überführung der beiden Betrüger nötig waren. Er meinte, wir drei Zeugen könnten noch lange verhindert sein, hinüber zu kommen, und es läge im Interesse der eigentlichen Erben, die Sache so bald wie möglich zum Austrag zu bringen.

Ich mußte zugeben, daß er da recht hatte, und doch gab es eine Stimme in mir, welche mich warnte, auf dieses Begehren einzugehen. In einer Seestadt, wie Southampton ist, werden alle hervorragenden ausländischen Blätter gelesen. Es standen mir drei der gelesensten Zeitungen aus New Orleans zur Verfügung, und keine gedachte der Angelegenheit auch nur mit einem Worte. Das fiel mir auf.

„Die Behörde wird die Sache geheim halten“, meinte Emery, um das Schweigen zu erklären.

„Warum?“ fragte ich.

„Hm! Weiß auch keinen Grund.“

„Ich kann mir noch weniger einen denken, zumal man drüben selbst in andern Angelegenheiten sich nicht scheut, vor die Öffentlichkeit zu treten. Der Yankee ist selbst als Jurist, als Kriminalist kein Geheimniskrämer, und in unserm Falle würde die Veröffentlichung mehr als geraten sein, da durch sie ganz gewiß ein niederschmetterndes Material gegen die Meltons zusammenkäme; davon bin ich überzeugt.“

Well; ich auch.“

„Also verstehe ich die Heimlichkeit nicht; ja, sie kommt mir sogar bedenklich vor.“

„So willst du die Dokumente nicht hinüberschicken?“

„Nein. Ich werde das dem Advokaten schreiben. Ich werde ihm sagen, daß die Papiere von zu großer Wichtigkeit seien, als daß ich sie den Zu- und Unfällen des Seeverkehrs anvertrauen möchte; und wenn er, was zu bezweifeln ich bis Jetzt noch keine Ursache habe, ein ebenso tüchtiger wie vorsichtiger Gesetzeskundiger ist, so kann er das nur loben.“

Ich schrieb also und bekam nach abermals fast drei Wochen wieder einen Brief, in welchem Fred Murphy meine Zurückhaltung zwar vollkommen anerkannte, mich aber bat, ihm die Dokumente durch einen sichern Mann zu schicken. Auch das unterließ ich, da sogar bis jetzt die Blätter von New Orleans geschwiegen hatten. Ich antwortete nicht, und er schwieg auch. Darum nahm ich an, daß er mir meine Vorsicht zwar wohl übelgenommen habe, aber nun auf meine Ankunft warten wolle.

Einen zweiten Brief hatte ich geschrieben, nämlich an Frau Werner und Ihren Bruder Franz, den Violinisten. Auch ihnen erzählte ich ausführlich das Resultat unserer Nachforschung nach Small Hunter und gab ihnen die Versicherung, daß sie ganz gewiß in den Besitz der Erbschaft kommen würden, welche die beiden Meltons für sich ergaunern wollten. Ich freute mich königlich darüber, ihnen eine so frohe Nachricht senden zu können, bekam jedoch keine Antwort, was mich aber nicht stören konnte. Bis San Francisco war es weiter als bis New Orleans, und die Adressaten konnten die Wohnung, ja sogar den Aufenthalt in dieser Stadt mit dem an einem andern Orte gewechselt haben. Sie erhielten mein Schreiben sicher, da Franz mir die richtige Adresse gegeben und auch jedenfalls dafür gesorgt hatte, daß der Brief ihnen auf alle Fälle nachgeschickt wurde.

Als Winnetous Genesung soweit vorgeschritten war, daß er sich nun im Freien ergehen durfte, machte ich ihm den Vorschlag, noch bis zu seiner völligen Herstellung hier zu bleiben, ich aber wolle einstweilen allein nach New Orleans gehen. Er sah mich mit verwunderten Augen an und fragte:

„Hat mein Bruder im Ernste gesprochen? Hat mein Bruder vergessen, daß Old Shatterhand und Winnetou zusammengehören?“

„Hier ist eine Ausnahme notwendig. Die Sache eilt, und du bist aber noch nicht ganz gesund.“

„Winnetou wird auf dem großen Wasser schneller gesund werden, als hier in dem großen Hause. Er wird mit dir reisen. Wann fährst du ab?“

„Nun höchst wahrscheinlich noch nicht. Du lässest mich ohne dich nicht fort, und ich will dich keinem Rückfalle aussetzen, welcher viel gefährlicher sein würde, als die ausgestandene Krankheit.“

„Und doch werden wir fahren; ich will es so! Mein Bruder mag sich erkundigen, wann das nächste Schiff nach New OrIeans geht; dieses werden wir besteigen. Howgh!“

Wenn er das Wort aussprach, so war es das Zeichen, daß jeder Einwand, jede Widerrede ohne Erfolg sein werde; ich mußte mich also fügen.

Vier Tage später gingen wir an Bord. Es versteht sich von selbst, daß wir vorher alle Vorkehrungen getroffen hatten, welche uns geeignet erschienen, der Seereise die Gefahr für Winnetou zu benehmen.

Unsere Sorge war umsonst gewesen; seine Vorhersagung erfüllte sich. er erholte sich so schnell, daß wir uns schier darüber verwunderten, und als wir in New Orleans ankamen, fühlte er sich so stark und wohl, wie er vor der Krankheit gewesen war.

Es braucht wohl kaum erwähnt zu werden, daß Emery die Reise auch mitmachte. Seine Anwesenheit als Zeuge war nicht unbedingt nötig, wenn auch wünschenswert, doch war er neugierig auf das Kommende, und das Geld, welches die Reise kostete, spielte bei ihm keine Rolle.

Nachdem wir uns in einem Hotel untergebracht hatten, suchte ich den Advokaten auf, ich allein, da es nicht notwendig war, ihn zu dritt zu belästigen. Seine Wohnung und seine Expedition war bald gefunden. Aus der Größe der letzteren und den Klienten, welche wartend dasaßen, war zu schließen, daß ich es mit einem vielbeschäftigten und gesuchten Advokaten zu thun hatte. Ich gab dem Bureaudiener meine Karte und wies ihn an, sie dem Chef sofort zu übergeben, worauf derselbe mich augenblicklich vorlassen werde. Der Mann that dies. Als er aus dem Zimmer des Herrn zurückkehrte, ließ er mich zu meiner Verwunderung nicht eintreten, sondern deutete stumm auf einen leeren Stuhl.

„Hat Mr. Murphy meine Karte gesehen?“ fragte ich.

Yes,“ nickte er.

„Was sagte er?“

Nothing.“

„Nichts? Aber er kennt mich doch!“

Well!“ meinte er in gleichgültigem Tone.

„Und meine Angelegenheit ist nicht nur außerordentlich wichtig, sondern auch sehr eilig! Geht hinein, und sagt, daß ich bitte, sogleich vorgelassen zu werden!“

Well!“

Er drehte sich steif um und verschwand abermals hinter der Thür seines Prinzipals. Als er zurückkehrte, würdigte er mich keines Blickes, trat an das Fenster und beobachtete die draußen vorübergehenden Menschen.

„Nun, was hat Mr. Murphy gesagt?“ fragte ich ihn, indem ich zu ihm an das Fenster trat.

Nothing.“

„Wieder nichts? Unbegreiflich! Habt Ihr meinen Auftrag denn wirklich ausgerichtet?“

Da drehte er sich rasch zu mir herum und fuhr mich an:

„Schwatzt nicht so in den Tag hinein, Sir! Ich habe mehr zu thun, als Euch Eure überflüssige Neugierde wie eine alte Katze zu streicheln. Mr. Murphy hat Eure Karte zweimal angesehen und nichts dazu gesagt; das will heißen, daß Ihr wie jeder andere zu warten habt, bis die Reihe an Euch kommt. Setzt Euch also nieder, und laßt mich in Ruhe!“

Was war denn das! Nicht etwa, daß mich die Grobheit des Menschen genierte, 0 gar nicht; ich setzte mich ruhig nieder, um zu warten. Aber, daß der Advokat mich warten ließ, obgleich er meine Karte zweimal gelesen hatte! Mein Name ist kein oft vorkommender, zumal drüben in den Vereinigten Staaten, und mit welcher hochwichtigen Angelegenheit er in Beziehung stand, das mußte dem Advokaten doch sofort einfallen, sobald sein Auge auf die Karte fiel. Nun, die Erklärung mußte ja kommen!

So war ich der letzte von fast zwanzig Klienten. Es verging eine Stunde und noch eine; auch die dritte war schon über die Hälfte verflossen, als endlich die Reihe an mich kam, bei dem Anwalt einzutreten. Er war ein noch junger Mann von nicht viel über dreißig Jahren mit einem feinen, geistreichen Gesichte und scharfen Augen, die er fragend auf mich richtete.

„Mr. Murphy?“ erkundigte ich mich, indem ich mich leicht vorbeugte.

„Ja,“ antwortete er. „Euer Wunsch?“

„Ihr kennt ihn. Ich komme direkt aus Southampton.“

„Southampton?“ meinte er kopfschüttelnd. „Ich erinnere mich keiner Verbindung, in welcher ich mit diesem Platz stände.“

„Auch dann nicht, wenn Ihr meine Karte lest?“

„Auch dann nicht.“

„Sonderbar. Bitte, Euch zu besinnen! Ich konnte wegen der Erkrankung Winnetous nicht eher kommen.“

„Winnetou? jedenfalls meint Ihr den berühmten Apatschenhäuptling?“

„Allerdings.“

„Nun, der reitet jedenfalls mit seinem unvermeidlichen Old Shatterhand irgendwo in der Prairie oder im Gebirge herum. Wie konntet Ihr drüben in Southampton annehmen, daß er erkrankt ist?“

„Er lag eben drüben in Southampton todkrank danieder; ich bin Old Shatterhand, habe ihn gepflegt und nun sind wir gekommen, Euch persönlich die Dokumente auszuhändigen, welche ich nach Eurem Wunsche Euch eigentlich schicken sollte.“

Er war von einem Stuhle, von welchem er sich bei meinem Eintritte nicht erhoben hatte, aufgefahren, sah mir erstaunt in das Gesicht und rief:

„Old Shatterhand? So wird mir ein großer, großer Wunsch erfüllt! Wie viel und oft habe ich von Euch gehört, von Winnetou, Old Firehand, dem langen Davy, dem dicken Jemmy und vielen andern, die mit Euch im Westen waren! Willkommen, Sir, herzlich willkommen! Ich habe wirklich sehr gewünscht, Euch einmal zu begegnen, und nun sehe ich Euch so unerwartet, nun kommt Ihr zu mir! Setzt Euch, setzt Euch! Ich kann über meine Zeit verfügen.“

„Das schien vorher nicht so.“

„Warum?“

„Weil Ihr mich nicht vorließt; ich habe drittehalb Stunde warten müssen.“

„Das thut mir leid, unendlich leid, Sir. Ich kenne wohl Euern Kriegsnamen, aber nicht Euern richtigen.“

„Ihr müßt Euch irren. Ich habe Euch zweimal geschrieben, und Ihr antwortetet mir auch zweimal.“

„Ist mir nicht erinnerlich, habe noch nie nach Southampton geschrieben. Welches war denn die Angelegenheit, in welcher Ihr Euch an mich wendetet?“

„Small Hunters Erbschaft.“

„Small Hunters? Ah, feine Erbschaft! Einige Millionen! Ich war Verweser. War eine feine, sehr einträgliche Arbeit. Habe sie leider aufgeben müssen. Wollte, die Angelegenheit wäre nicht so schnell zu Ende gegangen.“

„Zu Ende? Ihr wollt doch nicht etwa damit sagen, daß die Sache erledigt ist?“

„Was sonst? Natürlich habe ich das damit sagen wollen.“

„Erledigt?“ fragte ich erschrocken. „Da müßte sich doch der richtige Erbe gefunden haben?“

„Das hat er auch!“

„Und die Erbschaft erhalten?“

„Ja, erhalten bis auf den letzten Penny.“

„Doch die Familie Vogel aus San Francisco?“

„Vogel? Habe mit keiner Art von Vogel aus San Francisco zu thun gehabt.“

„Nicht? Wer ist denn da der Mann, der die Erbschaft ausgezahlt bekommen hat?“

„Small Hunter.“

„Alle Wetter! So komme ich doch schon zu spät! Aber ich habe Euch doch vor Small Hunter gewarnt!“

„Wie! Was? Vor dem wollt Ihr mich gewarnt haben? Sir, Euer Wort in allen Ehren; Ihr seid ein berühmter und ein sehr tüchtiger Westmann; aber außerhalb der Prairie scheint Ihr unbegreiflich zu werden oder es zu lieben, Rätsel aufzugeben. Ihr wollt mich vor Small Hunter gewarnt haben? Ich muß Euch sagen, daß der junge Gentleman mein Freund ist.“

„Das weiß ich, nämlich, daß er es gewesen ist. Kann ein Toter noch jetzt, noch heut Euer Freund sein?“

„Ein Toter? Was sprecht Ihr da! Small Hunter lebt nicht nur noch, sondern ist frisch und gesund.“

„Darf ich fragen, wo?“

„Auf Reisen im Orient. Ich habe ihn selbst auf das Schiff gebracht, mit welchem er zunächst hinüber nach England gefahren ist.“

„Nach England! Hm! Reiste er allein?“

„Ganz allein, ohne Diener, wie es sich für so einen tüchtigen Weltbummler schickt. Er hat die Barbestände einkassiert, alles andre schnell verkauft und ist dann wieder fort, nach Indien, wie ich glaube.“

„Und sein Vermögen hat er mitgenommen?“

„Ja.“

„Ist Euch das nicht aufgefallen? Pflegt ein Tourist sein ganzes, mehrere Millionen betragendes Vermögen mit sich herumzutragen?“

„Nein; aber Small Hunter ist kein Tourist zu nennen. Er hat die Absicht, sich in Ägypten, Indien oder sonstwo anzukaufen. Nur das ist der Grund, daß er sein ganzes Eigentum flüssig gemacht hat.“

„Ich werde Euch beweisen, daß der Grund ein ganz anderer ist. Bitte, sagt mir vorher, ob sein Körper eine auffällige Eigenschaft, irgend eine Abnormität besitzt!“

„Abnormität? Wieso? Wozu wollt Ihr das wissen?“

„Das werdet Ihr erfahren. Antwortet zunächst.“

„Wenn Ihr es wünscht, meinetwegen! Es gab allerdings so eine Abnormität, welche aber äußerlich nicht zu bemerken war. Er hatte nämlich an jedem Fuße sechs Zehen.“

„Das wisset Ihr genau?“

„So genau, daß ich es beschwören kann.“

„Hatte der Mann, dem Ihr die Millionen verabfolgt habt, auch zwölf Zehen?“

„Wie kommt Ihr zu dieser sonderbaren Frage? Schreibt das Gesetz vor, daß man, wenn man jemandem eine Erbschaft auszahlt, die Zehen des Mannes zu zählen hat?“

„Nein. Aber der Mann, dem Ihr dieses große Vermögen ausgeantwortet habt, hat nur zehn Zehen in seinen Stiefeln.“

„Unsinn! würde ich rufen, wenn ihr nicht Old Shatterhand wärt.“

„Ruft es immerhin; ich nehme es Euch nicht übel. Ruft es dann noch einmal, wenn ich Euch sage, daß der echte, wirkliche Small Hunter mit seinen zwölf Zehen im Gebiete der tunesischen Beduinen vom Stamme der Ülad Ayar begraben liegt!“

„Begra – –“

Er sprach das Wort nicht aus, trat zwei Schritte zurück und starrte mich mit großen Augen an.

„Ja, begraben,“ fuhr ich fort. „Small Hunter ist ermordet worden, und Ihr habt sein Erbe einem Betrüger verabfolgt.“

„Einem Betrüger? Seid Ihr bei Sinnen, Sir? Ihr habt gehört, daß ich vorhin sagte, Small Hunter sei mein bester Freund, und doch sollte ich einen Betrüger mit ihm verwechselt haben?“

„Allerdings.“

„Ihr irrt; Ihr müßt irren, unbedingt irren. Ich bin mit Small Hunter so befreundet, war mit ihm so intim, und wir kannten und kennen uns gegenseitig so genau, daß ein Betrüger selbst bei der größten Ähnlichkeit schon in der ersten Stunde unsers Verkehrs Gefahr laufen würde, von mir durchschaut zu werden.“

„Gefahr laufen? ja, das gebe ich zu; aber die Gefahr ist für ihn sehr glücklich vorübergegangen.“

„Bedenkt, was Ihr sagt! Ihr seid Old Shatterhand. Ich muß annehmen, daß Ihr gekommen seid, mir nicht nur eine so unbegreifliche Mitteilung zu machen, sondern auch nach derselben zu handeln.“

„Das ist allerdings meine Absicht. Übrigens habe ich bereits gehandelt, auch in Bezug auf Euch, indem ich Euch von Southampton aus die beiden Briefe schrieb.“

„Ich weiß von keinem Briefe!“

„Dann gestattet mir, Euch Eure beiden Antworten vorzulegen.“

Ich nahm die Briefe aus meiner Tasche und legte sie ihm auf den Tisch. Er ergriff und las den einen und dann den andern. Ich beobachtete ihn dabei. Welch eine Veränderung ging da in seinen Zügen vor! Als er den zweiten gelesen hatte, langte er wieder nach dem ersten, dann abermals nach dem zweiten; er las jeden dreimal, viermal, ohne ein Wort zu sagen. Die Röte wich aus seinem Gesichte; er wurde leichenblaß und fuhr sich mit der Hand über die Stirn, auf welcher sich Tropfen bildeten.

„Nun?“ fragte ich, als er dann immer noch schwieg und lautlos in die Papiere starrte. „Kennt Ihr die Briefe nicht?“

„Nein,“ antwortete er mit einem tiefen, tiefen Atemzuge, indem er sich mir wieder zuwendete.

Seine sonst bleichen Wangen röteten sich unter den Augen stark. Das war der Schreck, die Aufregung.

„Aber seht die Couverts! Die Briefe sind aus Eurer Office, wie Euer Stempel beweist.“

„Ja.“

„Und von Euch unterschrieben!“

„Nein!“

„Nicht? Wir haben da zweierlei Handschrift. Der Brief ist von einem Eurer Leute geschrieben und dann von Euch unterzeichnet worden.“

„Das erstere ist richtig, das letztere aber nicht.“

„Also ein Schreiber von Euch hat ihn doch verfaßt?“

„Ja; es ist Hudsons Hand. Es ist mehr als gewiß, daß er ihn geschrieben hat.“

„Und Eure Unterschrift –?“

„Ist – gefälscht, so genau nachgeahmt, daß nur ich selbst im stande bin, zu sehen, daß es Fälschung ist. Mein Gott! Ich habe Eure Fragen und Reden für inhaltslos gehalten; hier aber sehe ich eine Fälschung meiner Unterschrift vor Augen; es muß also etwas vorliegen, was Euch die Berechtigung giebt, so unbegreifliche Dinge vorzubringen!“

„Es ist allerdings so. Der kurze Inhalt alles dessen, was ich Euch zu sagen habe, ist in den Worten ausgedrückt, welche Ihr schon vorhin gehört habt: Der echte Small Hunter ist ermordet worden, und Ihr habt sein Vermögen nicht nur einem Betrüger, sondern sogar seinem Mörder übergeben.“

„Seinem – Mörder –?“ wiederholte er wie abwesend.

„Ja, wenn dieses Wort auch nicht so ganz genau wörtlich zu nehmen ist. Er selbst hat ihn nicht ermordet, ist aber mit im Komplott gewesen und hat moralisch die gleiche Schuld, als wenn er die tödliche Waffe geführt hätte.“

„Sir, ich befinde mich wie im Traume! Aber es ist ein böser, ein schrecklicher Traum. Was werde ich hören müssen!“

„Habt Ihr Zeit, eine ziemlich lange Geschichte anzuhören?“

„Zeit – Zeit! Was fragt Ihr da erst! Hier habe ich die Fälschung in den Händen; sie sagt mir, daß meine Office zu einem Betruge benutzt worden ist. Da muß ich Zeit haben, selbst wenn Eure Erzählung Wochen in Anspruch nehmen sollte. Setzt Euch, und gestattet mir einen Augenblick, meinen Leuten zu sagen, daß ich jetzt für keinen Menschen mehr zu sprechen bin!“

Wir hatten in der Erregung beide unsere Plätze verlassen; nun setzte ich mich wieder nieder. Ja, auch ich war erregt. Ich hatte die Überzeugung gehegt, daß meine Briefe an die richtige Adresse gekommen seien, und mußte nun das Gegenteil davon hören. Die Halunken hatten ihren Plan ausgeführt. Vielleicht war alle unsere Mühe, waren alle die Wagnisse, welche wir unternommen hatten, vergeblich gewesen!

Als der Anwalt den beabsichtigten Befehl gegeben hatte, setzte er sich mir gegenüber nieder und winkte mir mit der Hand, zu beginnen. Sein Gesicht war noch immer blaß wie vorher; ich sah, daß seine Lippen zitterten; es gelang ihm nur schwer, äußerlich ruhig zu erscheinen. Der Mann, dessen Ehre auf dem Spiele stand, that mir leid. Seine persönliche Ehre, des war ich überzeugt, konnte nicht angegriffen werden; aber in seiner Office war eine Fälschung vorgekommen; er hatte sich von einem raffinierten Schwindler betrügen lassen; es handelte sich dabei um ein großes Vermögen – wenn die Thatsachen an die Öffentlichkeit gelangten, so war er vernichtet.

Ich war überzeugt, daß Thomas und Jonathan Melton nicht allein gehandelt, sondern auch Harry Meltons Hilfe in Anspruch genommen hatten. Darum mußte sich mein Bericht auch auf letzteren erstrecken. Ich erzählte also alles, was ich von den drei Personen wußte, was ich mit ihnen und gegen sie erlebt hatte. Die Erzählung dauerte natürlich sehr lange, und doch unterbrach der Anwalt sie mit keinem Ausruf. Selbst als ich geendet hatte, saß er noch eine Zeitlang schweigend da, indem er den Blick starr in die Ecke gerichtet hielt. Dann stand er von seinem Stuhle auf, ging einigemal im Zimmer hin und her, blieb schließlich vor mir stehen und fragte:

„Sir, alles, was ich jetzt gehört habe, ist wahr, ist die reine Wahrheit?“

„Ja.“

„Verzeiht die Frage! Ich sehe ein, ja ich muß einsehen, daß sie überflüssig ist; aber es klingt das alles so unmöglich, und für mich handelt es sich dabei um mehr, als Ihr vielleicht denkt.“

„Um was es sich für Euch handelt, kann ich mir denken -um Euern Ruf, Eure Zukunft, vielleicht auch Euer Vermögen.“

„Natürlich auch um das letztere. Wenn es sich herausstellt, daß Ihr Euch nicht irrt, werde ich, selbst wenn mich niemand dazu zwingen könnte, mit allem, was ich besitze, für den Verlust eintreten, welchen die richtigen Erben dadurch, daß ich mich habe täuschen lassen, erleiden. Und leider bin ich der Überzeugung, daß alles, was ich dem Betrüger übergeben habe, verloren ist.“

„Ich möchte das jetzt noch nicht als Thatsache hinstellen. Man kann ihn noch erwischen.“

„Schwerlich! Er ist über die See und wird sich gewiß an einem Orte verstecken, von dem er weiß, daß er ihm Sicherheit gewährt.“

„Hatte sich nicht auch sein Vater versteckt? Und haben wir diesen nicht in Tunis gefunden? Ich denke, daß der Sohn keinen Vorzug vor dem Vater haben wird. Die eigentliche Schwierigkeit liegt darin, daß die drei Halunken die Beute teilen werden. Selbst wenn wir den einen erwischen, gehen die beiden andern Teile verloren.“

„So meint Ihr also, daß Harry Melton auch jetzt die Hand im Spiele gehabt hat?“

„Ich bin überzeugt davon.“

„In welcher Weise sollte er geholfen haben?“

„Hm! Wie hieß der Schreiber, welcher mir die beiden Antworten geschrieben und Eure Unterschriften gefälscht hat?“

„Hudson.“

„Wie lange ist er schon bei Euch?“

„Ein und ein halbes Jahr.“

„Ich vermute, daß er sich nicht mehr in Eurer Office befindet.“

„Ich erwarte seine Heimkehr übermorgen. Er wurde telegraphisch von dem Tode seines Bruders benachrichtigt und erbat sich zwei Wochen Urlaub, um beim Begräbnisse desselben zu sein und dann die Kinder des Verstorbenen unterbringen zu können.“

„Wo soll der Bruder gelebt haben und gestorben sein?“

„Droben in St. Louis.“

„So können wir getrost bis auf weiteres annehmen, daß er diese Richtung nicht eingeschlagen hat. Wie seid Ihr mit ihm bekannt geworden?“

„Durch die schriftlichen Empfehlungen, welche er besaß. Ich stellte ihn zunächst als gewöhnlichen Schreiber an, obgleich er bedeutend älter war als Leute, denen man sonst einen solchen Posten anweist, doch schon nach kurzer Zeit erwies er sich so brauchbar, daß ich ihm immer mehr und mehr anvertraute. Er lebte außerordentlich zurückgezogen, war sehr fleißig und pünktlich und schien in seinen Mußestunden zu studieren, denn ich bemerkte gar wohl, daß seine Kenntnisse sich vermehrten. Es gab Fächer, in denen ich meine Klienten getrost an ihn weisen konnte; ich war überzeugt, daß sie von ihm ebensogut bedient wurden, wie von mir selbst.“

„Wie stand er sich mit Euern andern Arbeitern?“

„Er lebte mit keinem von ihnen auf vertrautem Fuße; er hatte in seinem Verhalten gegen sie etwas, was ihn unnahbar machte, obgleich ich ihn keineswegs als abstoßend bezeichnen kann. Dann, als seine Stellung sich immer mehr besserte, bis er es endlich zum Vorstande der Office brachte, verstand es sich von selbst, daß er sich noch mehr absonderte.“

„Wer hatte die Briefe und übrigen Eingänge zu empfangen?“

„Er. Was ohne mich erledigt werden konnte, erledigte er; das übrige hatte er mir vorzulegen.“

„So hat er meine beiden Briefe empfangen, geöffnet, gelesen und beantwortet, ohne Euch ein Wort davon zu sagen. Wie alt war er ungefähr?“

„Er schien am Ende der fünfziger Jahre zu stehen.“

„Welche Gestalt?“

„Schmächtig, starkknochig, schwarz von Haar.“

„Zähne?“

„Vollständiges Gebiß.“

„Sein Gesicht?“

„Das war ein ganz eigentümliches. Hudson war ein sehr schöner Mann; ich habe noch nie das Gesicht eines Mannes gesehen, welches so schön war wie das seinige. Aber wenn man dasselbe länger betrachtete, so bekam man das Gefühl, als ob die Schönheit auch ihre Mängel habe. Ich bin kein Maler, kein Kunstverständiger und verstehe nicht, mich richtig auszudrücken. Sein Gesicht war schön; es gefiel mir, aber dann nicht mehr, wenn ich es länger als nur vorübergehend betrachtete.“

„Gut, Sir; ich weiß jetzt, woran ich bin. Harry Melton ist der Vorstand Eurer Office gewesen.“

„Alle Wetter! Meint Ihr das wirklich?“

„Unbedingt. Er durfte sich nicht sehen lassen; er mußte zurückgezogen und verborgen leben. Sucht die Polizei einen schweren Verbrecher in der Office eines berühmten Advokaten?“

„Das ist wahr. Sollte er schon bei seinem Eintritte bei mir von dem Plane unterrichtet gewesen sein, welcher jetzt ausgeführt worden ist?“

„Möglich.“

„Aber kein Mensch konnte damals wissen, daß man mich zum Erbschaftsverweser ernennen würde!“

„War auch nicht nötig. Der alte Hunter war so alt, daß man seinen Tod bald erwarten konnte. Der junge Melton war dem Erben ähnlich. Ihr waret mit dem letzteren auf das innigste befreundet, woraus folgte, daß Hunter sich beim Tode seines Vaters in juristischen Fragen an Euch wenden würde – – da habt Ihr alles!“

„Und dennoch wird es mir schwer, zu glauben, daß ich das Opfer eines schon so lange vorbereiteten Planes gewesen sein soll. Aber Ihr überzeugt mich. Ich nehme an, daß Ihr recht habt.“

„Und ich bin sogar überzeugt, daß dieser famose Vorstand Eurer Office nicht nur mit seinem Bruder in Tunis korrespondiert, sondern auch von seinem Neffen von Zeit zu Zeit Briefe bekommen hat, um auf dem Laufenden erhalten zu werden.“

„Welch ein Abgrund von Bosheit und Schlechtigkeit ist es, in welchen man da blickt! Und welch ein Glück, daß Ihr mir die verlangten Dokumente nicht geschickt habt! Sie wären vernichtet worden, sodaß man später keinen Beweis gegen diese Menschen hätte erbringen können.“

„Was das betrifft, so wären, allerdings nur unter großem Zeitverluste, recht wohl neue Beweisschriften aus Tunis zu beschaffen gewesen; besser aber ist es allerdings, daß ich sie mir nicht habe ablocken lassen. Was gedenkt Ihr nun in der Angelegenheit zu thun, Sir?“

„Vor allen Dingen meine nächste Pflicht. Ich habe der Behörde unverzüglich Meldung zu machen. Dazu bedarf es Eurer Dokumente. Werdet Ihr sie mir anvertrauen?“

„Natürlich! Ich habe sie ja nur dazu mitgebracht. Auch die andern Papiere, die ich damals Harry Melton und seinem Neffen abgenommen habe, sollt Ihr erhalten. Hier ist das Paket; es ist alles beisammen.“

„Ich danke! Man wird Euch einigemal belästigen, indem man Euch und Eure beiden Begleiter zur Vernehmung ladet. Ich bitte Euch sehr, besonders die Größe der Ähnlichkeit zu betonen, deren Opfer ich geworden bin!“

„Ihr dürft überzeugt sein, daß ich nichts unterlassen werde, was Euch nützen kann. Höchst wahrscheinlich wird man die sofortige Verfolgung der drei Verbrecher einleiten?“

„Natürlich! Man wird keine Minute damit säumen. Glücklicherweise haben wir hier so vorzügliche, gewandte und scharfsinnige Geheimpolizisten, daß sie sich auch mit anderen messen können. Sie sind in allen unsern Staaten berühmt und werden das mögliche thun, die Flüchtlinge zu ergreifen.“

„Das ist ihre Pflicht, und dafür werden sie besoldet. Übrigens werde auch ich sofort nach der Fährte der drei Meltons suchen und, sobald ich sie gefunden habe, derselben folgen.“

„Möchtet Ihr das nicht lieber der Geheimpolizei überlassen? Ihr könntet leicht Fehler begehen, welche den Polizisten zum Schaden gereichen.“

„Meint Ihr?“

„Ja. Ihr seid ein vorzüglicher Prairiejäger; aber ein Wild aufsuchen oder drei so raffinierte Verbrecher verfolgen, das ist zweierlei.“

„Hm! Eure Belehrung wirkt so erdrückend, daß ich mir allerdings vornehme, den Herren Geheimpolizisten keine Störung zu bereiten. Wann ist der vermeintliche Small Hunter denn eigentlich abgereist?“

„Vor fast zwei Wochen.“

„Also ungefähr an demselben Tage, an welchem Euer Vorstand der Office seinen Urlaub angetreten hat. In welchem Hotel hat er gewohnt?“

„In keinem. Er hatte ein sehr hübsches Privatlogis bei einer Witwe hier in meiner Nähe. Er ging fast gar nicht aus und besuchte mich auch nur dann, wenn es notwendig war.“

„Womit begründete er diese Zurückgezogenheit?“

„Mit dem Studium der indischen Sprache, welche ihn ganz in Anspruch nahm.“

„So hat er mit niemandem sonst Verkehr gehegt?“

„Mit keinem Menschen. Die Witwe, Mrs. Elias, bewohnt ein Parterre fünf Häuser aufwärts von hier. Ich bin einigemal dort gewesen, fand ihn aber so in seine fremden Bücher vertieft, daß ich nur das Notwendigste mit ihm besprechen konnte.“

„Und da behauptetet Ihr vorhin, daß ein Betrüger Gefahr liefe, von Euch schon in der ersten Stunde durchschaut zu werden?!“

„Ihr habt recht. Nun Ihr mir die Augen geöffnet habt, mache ich mir sein Verhalten erst klar und komme da allerdings zu der Überzeugung, daß er sich außerordentlich in acht genommen hat, in ein intimes Gespräch mit mir zu geraten.“

„Und wo hat Euer wackerer Vorstand der Office gewohnt?“

„Im Parterre des Hofes rechts nebenan.“

„Wer ist sein Wirt?“

„Ein Händler, ich weiß nicht, womit. Hudson wohnte in Aftermiete. Wollt Ihr noch mehr über ihn wissen? Vielleicht den Polizisten doch noch in das Handwerk pfuschen? Thut das doch ja nicht; Ihr könntet vieles, vielleicht sogar alles verderben!“

Ich will aufrichtig gestehen, daß mich diese wiederholte Warnung ärgerte. Ich war früher auch als Detektive thätig gewesen und hatte meine Aufgabe zur Zufriedenheit gelöst. Vorhin hatte er meine Erzählung gehört, und wenn ich auch nur so wenig wie möglich mich dabei in Erwähnung gebracht hatte, so mußte er doch aus dem Berichte ersehen, daß wir wenigstens keine Hohlköpfe waren. Daß er dennoch meinte, ich könne leicht alles in Frage stellen, verdarb mir vollends die Laune, die schon vorher keine gute gewesen war. Ich machte also kurzen Prozeß, nannte ihm das Hotel, in welchem wir zu finden waren, und ließ ihn mit dem Bewußtsein allein, das zu sein, was ich nicht war, nämlich ein guter Jurist, trotzdem aber doch die beiden Meltons nicht durchschaut zu haben.

Wie staunten Emery und Winnetou, als ich ihnen erzählte, was ich bei dem Advokaten erfahren hatte! Der erstere schlug mit der Faust auf den Tisch, daß es dröhnte, und rief zornig aus:

„Hat man so etwas für möglich gehalten! jetzt können wir nun anfangen, von neuem hinter den Halunken herzulaufen, nämlich, wenn sie so gütig gewesen sind, eine Spur zu hinterlassen. Und dabei steht noch gar zu erwarten, daß trotz der Mühe, die wir uns dabei geben, und trotz aller Gefahren, die wir laufen, das Geld deiner Schützlinge doch verloren ist! Und das ist ein Jurist! Und der redet davon, daß man ein Wild leichter fängt, als einen Menschen! Der Kerl sollte mir mal einen Grizzlybären fangen! Fliegen, ja, aber keinen Bären! Hält einen fremden Schwindler für seinen Busenfreund, stellt einen zehnfachen Räuber und Mörder in seiner Expedition als Vorstand an und will uns – uns – uns gute Lehren geben! Er mag Gott danken, daß er sich nicht jetzt in diesem Zimmer befindet; ich würde ihn – –!“

Er sprach seine Drohung nicht aus, versetzte dafür aber dem Tische einen zweiten Hieb, daß die Platte auseinandersprang. Winnetou sagte kein Wort. Wenn er ja eine Art von Ärger fühlte, so verbot ihm sein Indianerstolz, ihn sehen oder hören zu lassen.

Es waren noch nicht zwei Stunden vergangen, so erschien ein Bote, um uns in das Verhör zu rufen. Als wir unsere Aussagen gemacht hatten, mußten wir sie beeiden. Winnetou bekam den Eid erlassen. Dann wurden wir ermahnt, uns jetzt stets zur Verfügung der Behörde bereit zu halten. Trotzdem aber waren wir entschlossen, New Orleans zu verlassen, sobald wir das für nötig halten sollten.

Kaum waren wir in unsere gemeinsame Wohnung zurückgekehrt, so brachte der Kellner uns einen Mann, welcher uns zu sprechen verlangt hatte. Es war ein sehr sorgfältig gekleideter und pfiffig aussehender Master bei guten Jahren. Er setzte sich ohne Umstände auf den ihm nächststehenden Stuhl, betrachtete uns der Reihe nach sehr aufmerksam, spuckte einmal tüchtig aus, schob sein Primchen in den andern Backen und fragte Emery:

„Ich schätze, in Euch den sehr honorablen Mister Bothwell vor mir zu sehen?“

„Ich heiße Bothwell,“ nickte der Gefragte kurz.

„Und Ihr seid der bekannte Prairiemann, den man Old Shatterhand nennt?“ wurde ich gefragt.

„Ja.“

„Und Ihr seid ein Redmann Namens Winnetou?“

Winnetou gab trotz der etwas unhöflichen Ausdrucksweise des Fragers eine Antwort, indem er nickte.

Well! So bin ich bei den richtigen Leuten,“ fuhr der Fremde fort, „und ich hoffe, daß ihr mir die nötige Auskunft geben werdet.“

„Wollt Ihr uns wohl zunächst sagen, wer Ihr seid, Master?“ forderte Emery ihn auf. „Oder seid ihr vielleicht gar nichts und habt auch keinen Namen?“

„Ich bin alles und habe alle Namen,“ lautete die selbstbewußte Antwort. „Wie ich heiße, kann Euch gleichgültig sein. Es genügt, Euch zu sagen, daß wir die drei Meltons suchen wollen. Ich habe die unter mir stehenden Detektives von allem zu unterrichten und möchte Euch vor allen Dingen ersuchen, die Hand dabei aus dem Spiele zu lassen.“

„Das werden wir außerordentlich gern thun,“ erklärte Emery. „Erinnert Euch nur so oft wie möglich an die Weisung, die Ihr uns damit so freundlich erteilt!“

„Also nun meine Fragen! Ihr kennt doch die Meltons genau?“

Wir antworteten dem eingebildeten Patron kaum, sodaß er endlich zornig sich empfahl. Dann meinte Emery:

„Wir müssen die Meltons unbedingt selbst finden. Aber wo haben wir sie zu suchen? Glaubst du, daß Jonathan mit dem Schiffe fort ist?“

„Fällt ihm nicht ein. Er ist an Bord gegangen, nur um den Advokaten irre zu führen,“ antwortete ich.

„Und sein Onkel Harry?“

„Ist nicht nach St. Louis. Nach Europa sind sie nicht, denn sie wissen, daß die Telegraphen spielen werden. Nach Afrika und so weiter gehen sie auch nicht, da sie dort Pfefferkörner unter den Rosinen gefunden haben. Es ist am klügsten für sie, zunächst in die Verborgenheit zu gehen und Gras über die Gegenwart wachsen zu lassen, ehe sie es wagen können, sich, ob hier oder dort, unter Menschen zu zeigen. Und wo finden sie die Zurückgezogenheit am schnellsten und besten? Hier in den westlichen Staaten. Ich möchte wetten, daß sie irgendwo droben in den Felsenbergen stecken. Sie können da ein ganzes Jahr und noch länger ungesehen stecken.“

„Möchte dasselbe behaupten. Hoffentlich haben sie eine Spur zurückgelassen!“

„Kein Ereignis und keine That bleibt ohne Spur. Es gilt nur, sie aufzufinden. Ich werde jetzt zunächst einmal nach den beiden Wohnungen gehen. Vielleicht bemerke ich da den Anfang eines Fadens, den wir aufwickeln können.“

Ich machte mich zu Mrs. Elias auf den Weg, ging aber nicht direkt zur ihr, sondern trat vorher in eine Trinkstube, welche ihrer Wohnung gegenüber lag. Ich wollte versuchen, da etwas zu erfahren. Leider wurde ich von einem alten, schläfrigen Neger bedient, welcher sich erst seit einigen Tagen in dieser Stellung befand; ich richtete also gar keine weitere Frage an ihn. Dennoch freute ich mich nachher, hier eingekehrt zu sein, denn ich saß noch gar nicht lange da, so sah ich unsern Detektive und „Gentleman“ drüben aus dem Hause kommen. Er hatte Mrs. Elias gewiß einen Besuch abgestattet, um sich nach Jonathan Melton zu erkundigen.

Ich wartete noch eine Viertelstunde und ging dann hinüber. Die Inschrift eines kleinen Schildes sagte mir, daß die Wohnung wieder oder vielmehr noch zu vermieten sei. Als ich klingelte, öffnete eine ziemlich alte und sehr dicke Mulattin, die mit ihrer undurchsichtigen Gestalt unter der Thür stehen blieb und mich forschend betrachtete. Ich wußte diese Art von Dienstboten zu behandeln, zog den Hut sehr tief und fragte:

„Bitte, Mylady, bin ich so glücklich, Mrs. Elias zu sehen?“

Sie fühlte sich unendlich geschmeichelt, für ihre Herrin gehalten zu werden, und lächelte vor Wonne, daß ihr Gesicht noch einmal so breit wurde.

„Nein,“ antwortete sie. „Ich bin nur die Köchin. Mrs. Elias ist im Zimmer. Kommt, Sirrrr!“

„Nehmt vorher meine Karte, Mylady! Man darf nicht unangemeldet zu einer solchen Dame kommen.“

Sie grinste mich wieder glücklich an, nahm die Karte, eilte mir voraus, riß eine Thür auf, trat hinein und sagte so laut, daß ich es hören konnte:

„Hier, Ma’am, eine Karte von einem sehr, sehr feinen Sirrrr! Wonderful fine! Viel gebildeter als der, der vorhin da war!“

Dann kam sie wieder heraus, ließ mich ein und machte die Thür hinter mir zu. Ich stand vor einer ältlichen Dame, welche mir aus einem wohlwollenden Gesichte mit freundlichen Augen entgegenblickte.

„Verzeihung, Madam! Ich lese, daß hier eine Wohnung zu vermieten ist!“

„Ja“, nickte sie, indem sie ihren Blick zwischen mir und meiner Karte hin und her gehen ließ. „Wie es scheint, seid Ihr ein Deutscher?“

„Allerdings.“

„Das freut mich sehr. Ich bin eine Landsmännin von Euch. Bitte, macht mir das Vergnügen, Euch zu setzen! Die Wohnung, welche ich zu vermieten habe, besteht aus vier Räumen. Ist Euch das nicht zu viel?“

Sie hatte das deutsch gesagt. ich sah in ihr gutes, ehrliches Gesicht, und da war es mir unmöglich, sie zu belügen. „Schade doch, ein Deutscher und dennoch ein Lügner!“ so sollte sie nicht von mir denken oder gar sagen. Darum antwortete ich:

„Allerdings. Selbst ein einzelner Raum würde mir zuviel sein. Ich komme nicht der Wohnung wegen, Madame.“

„Nicht?“ fragte sie erstaunt. „Und doch fragtet Ihr nach ihr!“

„Das war nur ein Vorwand. Nun Ihr aber eine Landsmännin vor mir seid und ich in Euer aufrichtiges Gesicht blicke, darf ich Euch keine Unwahrheit sagen. Mein Zweck war, mich nach Small Hunter zu erkundigen, welcher bei Euch gewohnt hat.“

„Nach diesem? Seid Ihr etwa auch ein Geheimpolizist?“

Bei dieser Frage verfinsterte sich ihr Gesicht.

„Nein, Madame; ich bin ein Privatmann, habe aber ein so großes und begründetes Interesse an Hunter, daß ich Euch zu großer Dankbarkeit verbunden sein würde, wenn Ihr die Güte haben wolltet, mir Auskunft über Ihn zu geben.“

Da lächelte sie:

„Ich sollte eigentlich nicht, weil Ihr nicht offen zu mir gekommen seid. Da Ihr aber Reue zeigt, will ich trotzdem Euern Wunsch erfüllen. Kennt Ihr Hunter?“

„Besser, als mir lieb ist.“

„Besser – –? als Euch lieb ist – –? So ist’s wohl wahr, was der Polizist sagte?“

„Was hat er gesagt?“

„Daß Hunter ein Betrüger, ja sogar ein Mörder sei?“

„Das ist wahr.“

„Hilf, Himmel! Einen so gefährlichen Menschen, einen solchen Bösewicht habe ich bei mir wohnen gehabt! Hätte ich das gewußt, ich hätte keine Minute ruhen können, bis er wieder fort gewesen wäre. Es ist schrecklich; es ist geradezu entsetzlich!“

„Der Polizist hat Euch also gesagt, um was es sich handelt?“

„Ja. Hunter heißt eigentlich Melton, hat den echten Hunter ermordet und sich dann hier für diesen ausgegeben, um zu dem Vermögen desselben zu kommen. Ist das wahr?“

„So ungefähr. Ich weiß nicht, ob der Detektive recht gehandelt hat, indem er Euch diese Mitteilungen machte; da Ihr nun aber einmal alles wißt, kann ich mit Euch davon sprechen. Ich selbst bin es gewesen, der die Nachricht von der That hierher gebracht hat. Melton ist ein Schurke. Das Erbe, welches er durch Mord und Betrug an sich gebracht hat, gehört einer armen, braven deutschen Familie, welche in San Francisco in schwerer Bedrängnis lebt. Vielleicht könnt Ihr dazu beitragen, daß die Leute zu ihrem Rechte kommen.“

„Wie gerne würde ich das thun, wenn ich es vermöchte. Was wünscht Ihr von mir?“

„Irgend einen Aufschluß, der es mir ermöglicht, den jetzigen Aufenthalt Meltons zu entdecken.“

„Dasselbe wünschte der Polizist auch von mir.“

„Habt Ihr ihm Auskunft gegeben?“

„Nein, denn der Mann trat so brutal auf, daß er weniger erfuhr, als ich wußte. Ich habe ihm gar nichts gesagt, hätte ihm aber das, was er wissen wollte, auch gar nicht sagen können, weil ich mich darüber selbst in vollster Unwissenheit befinde.“

„Mit wem verkehrte Hunter?“

„Der Advokat Murphy kam einigemal zu ihm, und er ist auch zwei- oder dreimal ausgegangen; wohin, das weiß ich nicht, denke aber, eben zu diesem Advokaten.“

„Weiter kam niemand?“

„Einmal kam ein anderer. Der war wohl Schreiber des Advokaten. Er sah Hunters Diener außerordentlich ähnlich.“

„Hatte Hunter einen Diener?“

„Nur so lange, als er hier in New Orleans blieb. Er hat ihn erst hier engagiert und vor seiner Abreise wieder entlassen.“

„Hm! Was für eine Persönlichkeit war der Diener? Könnt Ihr mir eine genaue Beschreibung von ihm geben?“

Sie folgte dem Wunsche, und ich gelangte dadurch zu der Überzeugung, daß dieser sogenannte Diener kein anderer als sein Vater gewesen war.

„Habt Ihr vielleicht gehört, was er mit dem Diener gesprochen hat?“ erkundigte ich mich weiter.

„Was ich da gehört habe, waren ganz alltägliche Dinge. Sie flüsterten aber sehr viel miteinander; sie mußten Heimlichkeiten haben, die niemand hören sollte.“

„Womit beschäftigte sich Small Hunter? Da er fast gar nicht ausging, stand ihm viel Zeit zur Verfügung. Hat er diese denn nicht auf irgend eine nützliche Weise verbracht?“

„Nein. Er saß immer am Fenster.“

„Mir aber wurde gesagt, er habe sich mit Studien beschäftigt?“

„Das ist nicht wahr. Nur wenn der Advokat kam, wurden Bücher zur Hand genommen.“

„Ah, dachte es mir! Was hattet Ihr eigentlich für eine Ansicht über den Mann? Es muß Euch doch aufgefallen sein, daß er sich nicht beschäftigte.“

„Ich hielt ihn für krank, für tiefsinnig. Diese Ansicht aber änderte sich dann, als wir bemerkten, daß er nach oben ging, zu der Dame, welche sich über uns eingemietet hat.“

„Wohnt sie allein?“

„Nein. Sie hat zwei Dienerinnen bei sich, welche ich für Indianerinnen halte.“

„Ist sie jung?“

„Ja, und schön.“

„Wie heißt sie?“

„Silverhill.“

„Das ist ein englischer Name.“

„Ja. Doch glaube ich kaum, daß ihre Eltern und Verwandten Yankees oder Engländer sind. Wir hören sie zuweilen mit ihren Dienerinnen sprechen; das ist immer spanisch.“

„Hm! Und bei dieser Dame verkehrte Euer Mietwohner?“

„Erst nach der ersten Woche. Da er stets am Fenster Saß, ist sie ihm bei ihren Ausgingen und wenn sie heimkehrte, aufgefallen. Er erkundigte sich bei mir nach ihr; dann machte er ihr seinen Besuch, und von da an war er oft bei ihr.“

„Wußte Advokat Murphy davon?“

„Ich weiß es nicht, glaube es aber auch nicht.“

„Gäbe es sonst vielleicht noch irgend eine Bemerkung oder Mitteilung, welche Ihr mir über den falschen Hunter machen könnt?“

„Wohl nicht. Wenigstens könnte ich mich auf nichts besinnen, was für Euch von Wert sein könnte. Wenn Ihr mich aber noch einmal besuchen wollt, werde ich Euch gern sagen, ob mir noch etwas eingefallen ist.“

„Eurer freundlichen Einladung werde ich wahrscheinlich einmal Folge leisten, falls ich nicht fürchten muß, Euch allzusehr zu belästigen.“

„O, Ihr belästigt mich nicht; Ihr seid mir sogar willkommen. Ich freue mich darüber, daß Ihr aus einem Manne, der die Unwahrheit sagen wollte, zu einem ehrlichen geworden seid.“

„Aber nur durch Euch, Madame,“ antwortete ich, auf ihren Scherz eingehend. „Wißt Ihr vielleicht etwas über die Verhältnisse der Dame da oben?“

„Sehr wenig. Sie ist reich. Meine Köchin hat einigemale mit den Indianerinnen gesprochen. Die Dame spielt leidenschaftlich, und dabei stets mit Glück. Sie lud Herren zu sich ein, welche ebenso leidenschaftliche Spieler sind. Das ist alles. Übrigens nehme ich an, daß sie Witwe ist. Eine der Indianerinnen hat einmal eine darauf bezügliche Äußerung fallen lassen. Und ihr Mann scheint nicht von gewöhnlichem Stande gewesen zu ein.“

„Wohl gar ein Indianerhäuptling!“

Ich sagte das im Scherze, und sie lachte auch darüber; aber in demselben Augenblicke kam mir ein sehr ernster Gedanke, dem ich auch gleich Ausdruck gab:

„Habt Ihr schon früher einmal ein indianisches Dienstmädchen gesehen?“

„Nein.“

„Eine freie Indianerin wird sich niemals erniedrigen, einer Weißen häusliche Dienste zu erweisen. Es müssen hier ganz besondere Verhältnisse vorliegen. Ich kenne da einen Fall, daß eine Weiße einen Indianerhäuptling geheiratet hat. Ist die Dame da oben blond?“

„Nein, tiefschwarz. Ich halte sie für eine Jüdin.“

„Jüdin? Ah! Kennt Ihr ihren Vornamen?“

„Ja, es wurde einmal ein Brief gebracht und meiner Mulattin übergeben. Diese kann nicht lesen und brachte ihn mir. Ich sah die Adresse. Die Dame heißt Judith Silverhill.“

„Meine Ahnung, meine Ahnung! Silverhill ist zu Deutsch Silberberg, und so hieß die Jüdin, welche den Indianerhäuptling zum Manne nahm. Ich muß hinauf zu ihr!“

„Wie? Ihr kennt Sie?“

„Ja, wenn ich mich nicht ganz und gar irre. Das ist ein höchst interessanter Zufall, welcher mir wahrscheinlich von großem Nutzen sein wird. Madame, Ihr seid so lieb und freundlich zu mir gewesen; ich bitte, mir noch eine große, recht große Gunst zu erweisen!“

„Wenn es in meiner Möglichkeit liegt, wird es sehr gern geschehen.“

„Ihr seid nie in ein Gespräch mit der Dame gekommen?“

„Noch nie.“

„Der Zufall könnte es fügen, daß dies doch geschehe. Bitte, erwähnt nicht, weshalb ich bei Euch gewesen bin; sprecht überhaupt nicht von mir, und verbietet auch Eurer Mulattin, den Indianerinnen da oben zu erzählen, daß der vermeintliche Small Hunter eigentlich ein anderer ist.“

„Sie weiß es noch gar nicht, und ich werde es ihr auch nicht sagen. Ihr wollt dieser Dame also wirklich einen Besuch machen?“

„Auf alle Fälle!“

Ich bedankte mich herzlich für die mir erwiesene Freundlichkeit und wurde aufgefordert, getrost wiederzukommen. Ich stieg die Treppe empor. Es gab da oben nur ein Entree. Als ich die Glocke gezogen hatte, wurde von einem Mädchen geöffnet, in welchem auch ich sogleich eine Indianerin vermutete. Sie trat beiseite, um mich einzulassen, und öffnete, ohne mich zu fragen oder ein Wort zu sagen, eine zweite Thür, durch welche ich in ein sehr schön ausgestattetes Zimmer kam. Im Nebenzimmer hörte ich ein Geräusch. Die Portieren wurden auseinandergeschlagen, und vor mir stand – –Judith Silberstein, die Jüdin, welche ich zuletzt als Verlobte des Yumahäuptlings gesehen hatte. Sie hatte sich seit damals noch mehr entwickelt und war schöner, höher und auch stärker geworden. Freilich zeigte der erste Blick gleich, daß sie ihre damaligen Anlagen fleißig ausgebildet hatte und eine vollständige Kokette geworden war. Sogar jetzt, daheim, wo kein Besuch zu erwarten war, hatte sie echte Diamanten am Halse und an den entblößten Armen schimmern. Sie erkannte mich auf der Stelle. In einem Tone, welchem halb Freude, halb Besorgnis anzuhören war, rief sie in spanischer Sprache aus:

„Sie, Sennor – – Sennor – –! Welch eine frohe Überraschung! Wie habe ich mich gesehnt, Sie einmal zu sehen! Bitte, kommen Sie herein ins Boudoir! Setzen Sie sich zu mir! Wir haben uns viel, viel zu erzählen.“

Sie zog mich an der Hand in ihr Zimmer, und ich mußte neben ihr auf dem Diwan Platz nehmen. Ja, sie war ein schönes Weib; aber der Scheitel lag voller Haarschuppen; der Hals schien heute noch nicht gewaschen zu sein; die schön geformten Fingernägel hatten Trauerränder. Sie behielt meine Hand in der ihrigen und sagte mit einem neckischen Augenaufschlage:

„Ich muß Ihnen gleich von vornherein gestehen, daß ich Ihren Namen vergessen habe. Ist das nicht unverzeihlich?“

„Allerdings, besonders da Sie mir soeben versicherten, sich so sehr nach mir gesehnt zu haben.“

„Sie dürfen verzeihen! Man sieht, hört und erlebt soviel, daß man das einzelne leicht vergißt. Sie hatten, wenn ich nicht irre, zwei Namen, Ihren wirklichen und einen andern, mit dem Sie von den Indianern genannt wurden. Dieser letztere hieß – hieß – wie nur gleich? Es war wohl Hand oder Fuß dabei!“

„Old Firefoot,“ fiel ich schnell ein, indem ich ihr einen falschen Namen sagte. Es war mir ungemein lieb, daß sie sich nicht mehr besinnen konnte. Sie hatte mit Jonathan Melton hier verkehrt; es war jedenfalls besser, wenn sie meine Namen nicht wußte.

„Ja, ja, so war’s – ein foot war dabei; das wußte ich,“ nickte sie lachend. „Und Ihr Familienname? Wenn ich mich nicht irre, hießen Sie wie einer von den zwölf Monaten?“

„März,“ sagte ich.

„Ja, März, März war es. Also, Sennor März, können Sie sich besinnen, wie wir damals auseinandergegangen sind?“

„Nicht eben sehr freundlich.“

„Nein, gar nicht. Wissen Sie, welche Drohung Sie sogar aussprachen?“

„Ja, das weiß ich noch.“

„Hätten Sie den Mut, es mir heute zu sagen?“

„Warum nicht? Ich wollte Sie peitschen lassen, falls Sie sich noch einmal von mir erblicken ließen.“

„Schrecklich! Hören Sie nur, wie das klingt! Eine Dame, noch dazu eine junge, hübsche, prügeln lassen! Hoffentlich war es nur eine Drohung von Ihnen!“

„Sie waren vom Gegenteil überzeugt, denn Sie haben sich dann nicht wieder sehen lassen.“

„Also hätten Sie die Drohung wirklich zur Wahrheit gemacht?“

„Ganz gewiß! Ich gebe Ihnen mein Wort, daß es mir voller Ernst war.“

„Entsetzlich! Sie sind kein Sennor, kein Mensch, sondern ein Tyrann!“

„Nein. Ich besitze im Gegenteil ein sehr weiches Herz, tausche aber nicht gern Wachs für Eisen ein. Beides hat Berechtigung, aber jedes nur zu seiner Zeit. Wenn es sich nicht nur um die Freiheit so vieler Menschen handelt wie damals, sondern um Blutvergießen, um Leben und Tod, pflege ich keiner Laune zu folgen, selbst wenn es die Laune einer jungen und hübschen‘ Dame wäre.“

„Warum legen Sie den Ton so auf dieses Wörtchen hübsch? Fanden Sie mich damals häßlich?“

„Nein.“

„Ihr Verhalten ließ es mich aber sehr vermuten.“

„Weil das Ihrige nicht hübsch war. Sie gingen von der noch warmen Leiche Ihres Verlobten wie von einem Braten, der für den Herd geschlachtet worden ist.“

„Ich liebte ihn nicht mehr. Also hübsch fanden Sie mich doch? Und jetzt? Haben Sie nicht bemerkt, daß ich mich verändert habe?“

„Ja. Sie sind schöner geworden.“

„Und das sagen Sie in einem so eisigen Tone? Sie sind wirklich ein entsetzlicher Mensch und ganz derselbe wie damals geblieben. Ich bin schöner, Sie aber sind nicht besser und gefühlvoller geworden. Aber gerade Ihre Kälte, Ihre Härte hat mir schon damals imponiert.“

„Sprechen wir nicht von mir, sondern von Ihnen. Wie ist es Ihnen seit damals gegangen? Haben Sie sich immer wohlbefunden?“

„Ja.“

„Sie bereuten nicht, das Weib eines Wilden geworden zu sein?“

„Zunächst nicht, denn er hielt Wort. Ich bekam alles, was er versprochen hatte, Gold, Edelsteine, einen Palast und sogar auch ein Schloß.“

„Ach! Ich weiß zwar, daß es Indianer gibt, welche das Lager großer Schätze kennen, aber daß der Häuptling sein Versprechen so streng nehmen werde, das dachte ich damals nicht. Er war also wirklich so reich, wie er sagte?“

„Ja. Er trug viel Gold zusammen, woher, das weiß ich heute noch nicht; er hat es mir niemals sagen wollen. Jedenfalls holte er es aus den Bergen, wo es noch heute viele alte Stollen und Adern geben soll. Wir verließen die Sonora und zogen an die Grenze von Arizona und Neumexiko. Dort liegt das Schloß. Es ist ein gewaltiger Aztekenbau, den außer mir noch kein Bleichgesicht gesehen hat. Zehn Yumaindianer, welche von ihrem Häuptlinge nicht lassen wollten, zogen nebst ihren Frauen und Kindern mit. Es war sehr, sehr einsam da oben, und ich sehnte mich nach der Stadt. Wir gingen also nach Francisco, auch schon des Palastes wegen. Ich bekam ein Haus.“

„Sie Glückliche! Wo ist Ihr Mann?“

„In den ewigen Jagdgründen,“ antwortete sie gleichgültig.

„Was war die Ursache seines Todes?“

„Ein Messer.“

„Bitte, erzählen Sie! Ich bin außerordentlich gespannt darauf. Er war ein Indianer, aber ein tapferer, braver und ehrlicher Mann. Er hielt mir treulich Wort, und ich habe immer gern an ihn gedacht.“

„Was soll ich da erzählen! Die Sache ist sehr einfach. Ich wurde in Frisco bald bemerkt; man besuchte mich; man machte mir den Hof, und das wollte er nicht dulden, Wir waren eines Tages auf Besuch bei einem Haziendero; es waren noch andere Herrschaften geladen. Dabei gab es einige sehr interessante Caballeros und Offiziere, welche sich mit mir beschäftigten. Die Messer wurden gezogen. Der Caballero erhielt einen Stich in den Arm, mein Mann aber einen in das Herz.“

„Und Sie? Was fühlten, was dachten, was thaten da Sie?“

„Ich? Was sollte ich thun! Wissen Sie nicht, daß eine Frau, deren Mann unter solchen Umständen stirbt, eine von andern Frauen beneidete Berühmtheit wird? Das Band, mit welchem ich mich so leichtsinnigerweise an den Wilden gefesselt hatte, war zerrissen, und ich hatte meine kostbare Freiheit wieder.“

Diese Herzlosigkeit war empörend. Sie fuhr in ruhigem Tone fort:

„Ich genoß sie natürlich mit vollen Zügen. Ich hatte das Spiel kennen gelernt und brauchte nun nicht mehr um die Erlaubnis zu bitten. Ich gewinne fast stets, so oft ich spiele, und was die Liebe betrifft, nun so habe ich jetzt, wenn ich heimkehre, einen neuen Bewerber, der so in Fesseln liegt, daß er mich um meine Hand gebeten hat.“

„Auch ein Offizier?“

„Nein, sondern ein junger, sehr hübscher und hochgebildeter Caballero, welcher fast die ganze Erde und besonders den Orient bereist hat, und dem soeben eine Erbschaft von einigen Millionen zugefallen ist.“

„Wetter noch einmal! Da haben Sie freilich Glück!“ rief ich aus, innerlich hocherfreut, denn ich zweifelte nicht, daß Jonathan Melton gemeint war.

„Es kommt gar nicht zu früh, dieses Glück,“ fuhr sie fort. „Ich habe zwar gesagt, daß ich fast nie verliere; aber ich verbrauche viel, und das Gold des Häuptlings ist alle geworden. Ich habe das Haus in Frisco verkauft, und wenn die dafür gelöste Summe zur Neige geht, bleibt mir nur der alte Aztekenbau in der Wildnis übrig, für welchen niemand einen Dollar zahlt.“

„Ist es denn gewiß, daß er Ihnen gehört? Haben Sie einen Besitztitel darüber?“

„Nein, doch ist mir das gleichgültig. Ich brauche nur zu wollen, so wird Mr. Hunter mein Mann, und ich kann mich zu den Millionärinnen rechnen. Was gebe ich da auf den alten Felsenbau in der Wildnis!“

„Ist der Sennor, von welchem Sie sprechen, vielleicht jener so sehr interessante Small Hunter, dem vor einigen Tagen durch den Advokaten Murphy einige Millionen ausgezahlt worden sind?“

„Ja, derselbe. Kennen Sie ihn vielleicht?“

„Nein; ich habe von ihm gehört. Sie können es sich doch denken, daß von einem Millionenerben gesprochen wird. Man sagt, er sei nach Indien gegangen.“

„Das ist nicht wahr.“

Ach habe es überall gehört. Man hat ihn doch auf das Schiff steigen sehen. Sein Advokat ist bei ihm gewesen.“

„Das ist richtig; aber er hat sich unterhalb der Stadt per Boot wieder abholen lassen. Ich selbst habe in dem Boote gesessen. Wir sind dann, als es Abend war, hierher gegangen und haben gespielt bis nach Mitternacht, wo erst seine eigentliche Abreise erfolgte.“

„Das interessiert mich ungemein. Warum hat er denn den Leuten weisgemacht, daß er mit dem Schiffe nach England und von da nach Indien will?“

„Das ist ein Geheimnis, welches ich nur Ihnen verraten will. An dieser Täuschung trage nämlich nur ich die Schuld.“

„Sie? Wieso?“

„Sein Vater, der alte Hunter, ist früher oft in Indien gewesen und hat das Land so liebgewonnen, daß er auf die Idee gekommen ist, daß sein Sohn vom Empfang des Erbes an zehn Jahre lang in Indien leben soll. Fehlt nur ein einziger Tag an den zehn Jahren, so wird ihm das Vermögen wieder abgenommen. Auch soll er während der zehn Jahre nicht heiraten dürfen. Er ist auf die Bedingungen eingegangen und hat sich unterschrieben. Zwei Tage später lernte er mich kennen. Was das heißt, können Sie sich denken. Mich sehen und mich zu seiner Frau begehren, war für ihn ganz dasselbe. Sagen Sie, kann er da nach Indien? Kann er die Bedingungen erfüllen, auf welche er eingegangen ist?“

„Warum denn nicht? Wer oder was soll ihn denn hindern, auf die an ihn gestellte Bedingung einzugehen?“

„Ich natürlich, ich.“

„Wieso? Wenn Sie beide so sehr aneinander hängen, kann er Sie doch mit nach Indien nehmen.“

„Ha, ha,“ lachte sie. „Es kann mir nicht einfallen, eines Mannes wegen, und wenn ich ihn auch über die Maßen lieben Sollte, in ein wildfremdes Land zu gehen, Ich habe schon einmal die Heimat verlassen, nämlich damals, als ich nach Amerika ging; Sie selbst wissen, wie es mir da ergangen ist. Nun ich eine zweite Heimat hier gefunden habe, fällt es mir gar nicht ein, sie wieder zu opfern.“

„Aber von ihm verlangen Sie das Opfer, hier zu bleiben!“

„Es ist kein Opfer, denn er müßte in Indien ledig bleiben, hier aber kann ich seine Frau werden.“

„Würde man es denn in Indien erfahren, daß er verheiratet ist, und dies hierher melden?“

„Höchst wahrscheinlich. Wenigstens behauptete er dies.“

„Und hier? Meinen Sie, daß die Entdeckung hier nicht nur viel wahrscheinlicher, sondern beinahe ganz sicher ist?“

„Da irren Sie. Wir werden uns heimlich verbinden und dann verborgen wohnen. Mein Schloß liegt so versteckt, daß es noch nie von dem Fuße eines Weißen betreten worden ist, mich und meinen Vater natürlich ausgenommen.“

„Und der befindet sich dort?“

„Ja.“

„Da muß ihm die Einsamkeit ja schrecklich vorkommen!“

„Gar nicht. Ich habe Ihnen schon gesagt, daß damals eine ganze Anzahl von Indianern mit ihren Frauen und Kindern zu uns gezogen ist. Die wohnen noch dort und bilden eine kleine Kolonie, in welcher es trotz der großen Abgeschiedenheit keine Langeweile giebt.“

„Aber zum Leben gehört sehr vieles, was Sie dort nicht erhalten können.“

„Wir beziehen vieles durch die benachbarten Mogollon- und Zuni-Indianer.“

„Haben sie die so nahe?“

Die Frage war von größter Wichtigkeit für mich, und ich wartete mit großer Spannung auf die Antwort, ließ mir das aber natürlich nicht merken. Das Weib war von Jonathan Melton getäuscht worden, doch fiel es mir gar nicht ein, ihr das zu sagen. Ich betrachtete sie trotz oder auch wegen ihrer Schönheit als den Regenwurm an meiner Angel, mit welcher ich die Meltons fangen wollte.

„Ja,“ antwortete sie. „Mein Schloß liegt zwischen den Gebieten dieser Indianer, am kleinen Kolorado und zwar am ersten linken Nebenflüßchen desselben.“

„Dann muß die Lage Ihres Schlosses eine hochromantische sein, denn wenn ich mich nicht irre, so entspringt das Nebenflüßchen auf dem nördlichen Abhange der Sierra Blanca?“

„Allerdings.“

„Auf deren Südseite es Apatschen und Pimo-Indianer giebt?“

„Ja. Wir sind damals durch das Gebiet derselben gezogen.“

Sie ahnte nicht, mit welcher heimlichen Freude ich ihre Antworten hörte. Ich sprach meine Fragen mit der gleichgültigsten Miene aus, und sie war so vertrauensselig und unbefangen, sie mir ohne allen Anstand, ja ohne das geringste Zögern zu beantworten.

„Es ist eine sehr abgelegene Gegend,“ fuhr ich fort. „Ich bezweifle, daß Hunter sich ohne Sie zurechtfinden wird.“

„Das hat er auch nicht nötig; ich werde ihn führen.“

„Sie? Befindet er sich denn noch hier?“

„Das fällt ihm natürlich nicht ein. Wir haben eine Zusammenkunft verabredet. Und selbst wenn ich ihn verfehle, so hat er zwei erfahrene Westmänner dort zu erwarten, welche mein Schloß ganz sicher finden würden.“

„Kennen Sie dieselben?“ fragte ich in der Überzeugung, daß mit den Westmännern sein Vater und sein Oheim gemeint seien.

„Ich nicht.“

„Ist es da nicht unvorsichtig gewesen, sich ihnen anzuvertrauen?“

„Nein. Er hat mir versichert, daß sie die besten Freunde von ihm sind. Der eine ist der Diener, welcher hier bei ihm war.“

„Ah so! Die beiden sind mit ihm fort?“

„Nein. Jeder ist einzeln abgereist, weil die ganze Angelegenheit als Geheimnis behandelt werden muß, und weil drei Reisende weit mehr auffallen als einer. Sie treffen an unserm Rendezvous in Albuquerque zusammen.“

„Also droben in New-Mexico?“

„Ja, bei einem gewissen Plener, welcher einen großen, sogenannten Salon mit Kosthaus besitzt.“

„Da werden sie den Verhältnissen angemessen vortrefflich aufgehoben sein. Aber Sie – warum befinden Sie sich noch hier? Warum sind Sie nicht gleich mit?“

Sie machte eine komisch-wichtige Miene und antwortete:

„Ich habe noch einige Zeit als Sicherheitsposten hier sitzen zu bleiben.“

„Sicherheitsposten? Die Sache wird immer interessanter!“

„O, sie ist auch interessant, hochinteressant! Man wird nämlich nachforschen, ob Sennor Hunter, mein Verlobter, den Bedingungen etwa nicht nachkommt und, statt nach Indien zu gehen, sich hier im Lande versteckt.“

„Wirklich? Wer könnte ein Interesse haben, sich darum zu bekümmern?“

„Ein Verwandter, dem in diesem Falle die Erbschaft zufallen würde.“

„Wetter! So eine Person könnte freilich höchst störend werden. Wer ist denn der Mann?“

„Ein deutscher Prairiejäger, der sich mit einem englischen Westmanne und einem Indianer verbunden hat, die Nachforschungen anzustellen.“

„Wie heißen die drei?“

„Das weiß ich nicht; ich habe nicht nach ihren Namen gefragt.“

„Und doch sitzen Sie als Wächterin hier? Sie müssen doch die Leute kennen, auf welche Sie aufzupassen haben!“

„Ist nicht nötig. Zum Aufpassen ist ein anderer angestellt, welcher mir Nachricht geben wird. Ist dies bis jetzt und einer Woche nicht geschehen, so reise ich nach Albuquerque ab.“

„Aber Sie kennen doch wenigstens den Mann, welcher Ihnen die Nachricht bringen soll?“

„Gesehen habe ich auch ihn noch nicht. Er ist ein Handelsmann, welcher unweit von hier in einem Hinterhause wohnt. Der andere Freund Hunters hat bei ihm logiert und ihm den betreffenden Auftrag erteilt – entschuldigen Sie, Sennor, es hat geklingelt!“

Ich hatte das Klingeln auch gehört; sie stand vom Diwan auf und trat unter die Portiere, welche das Zimmer, in dem wir uns befanden, von dem vorderen trennte, durch welches ich gekommen war. Die Indianerin öffnete vorn und sagte einen Namen, den ich nicht verstand.

„Mag hereinkommen!“ sagte Judith, indem sie vorwärts ging und die Portiere hinter sich fallen ließ. Ich war allein und hörte nun folgendes Gespräch, obgleich ich derjenige war, der es am wenigsten hören sollte:

„Sind wir allein?“ fragte nach der kurzen Begrüßung eine männliche Stimme englisch.

„Redet!“ forderte sie den Sprecher auf.

„Ich habe Mrs. Silverhill mitzuteilen, daß sich die drei Personen, auf welche Ihr wartet, hier befinden. Mein Sohn hat es mir sofort gemeldet. Er ist da angestellt, wo sie vernommen worden sind.“

„Vernommen? Haben sie sich an die Behörde gewendet?“

„Allerdings.“

„Um zu erfahren, ob Mr. Hunter wirklich nach Indien gereist ist?“

Er zögerte mit der Antwort und meinte dann zweideutig-

„Von der Reise ist auch mit die Rede gewesen. Ich habe Euch nur zu sagen, daß die drei da sind; weiter erstreckt sich mein Auftrag nicht. Höchstens könnte ich Euch die Namen sagen, die Euch aber schon bekannt sein werden.“

„Ich kenne sie noch nicht.“

„Nun, der Indianer ist der Apatschenhäuptling Winnetou.“

„Winnetou?“ fragte sie im Tone des Erstaunens. „Den kenne ich freilich. Ich habe ihn früher gesehen.“

„Sodann ein Engländer, welcher Bothwell heißt – –“

„Ist mir fremd.“

„Und der deutsche Prairiejäger ist der Westmann, welcher Old Shatterhand genannt zu werden pflegt.“

„Old Shat-ter-hand!“ rief sie, nach jeder Silbe innehaltend. „Das – das – das ist ja – – kommt, kommt schnell heraus!“

Ich hörte eine Thür gehen, und es wurde still. Die Jüdin hatte den Boten in ein anderes Zimmer geführt, damit ich das Weitere nicht verstehen sollte. Meine Rolle als Old Firefoot war ausgespielt. Der Mann, mit welchem sie jetzt sprach, war jedenfalls der Händler, bei welchem Melton, der Onkel, gewohnt hatte. Als er den Namen Old Shatterhand nannte, war ihr eingefallen, daß dies der meinige sei und daß ich nicht Old Firefoot heiße. Sie hatte mich damals in der Sonora mit Winnetou beisammen gesehen und wußte nun, daß ich der Deutsche sei, dem, ihrer Meinung nach, das Erbe Hunters zufallen mußte, falls er nicht nach Indien ging. Und sie hatte mir so vertrauensvoll erzählt, daß er wirklich die Absicht hatte, hier im Lande zu bleiben! Ich war neugierig, was sie nun thun werde.

Es dauerte fast eine Viertelstunde, ehe sie wiederkam. Ihre Wangen waren bleich; in ihren Augen glänzte ein drohendes Licht; sie befand sich in großer Aufregung, gab sich aber Mühe, dies nicht merken zu lassen.

„Sennor, Sie haben den Teil des Gespräches gehört, welcher da im Nebenzimmer stattfand?“ fragte sie mich.

Ihre Stimme zitterte. Sie mußte sich sehr anstrengen, ihren Zorn zurückzuhalten.

„Ja“, antwortete ich ruhig.

„So haben Sie also gelauscht!“

„Fällt mir nicht ein. Sie waren so gütig, mit dem Manne nebenan zu sprechen, und nur ein vollständig Tauber hätte da nichts hören können.“

„Gut, ich war unvorsichtig. Aber Sie haben mich belogen! Sie nannten sich Old Firefoot!“

„Steht es mir nicht frei, mir einen Kriegsnamen zu geben, der mir gefällt und beliebt?“

„Aber Sie sind Old Shatterhand!“

„Man nennt mich allerdings auch bei diesem Namen.“

„Warum haben Sie ihn mir nicht genannt?“

„Weil ich keinen triftigen Grund dazu hatte.“

„Sie haben mich getäuscht. Wissen Sie, wie ich das nenne? Eine Dame in dieser Weise zu hintergehen, das ist –“

„Bitte, schweigen Sie!“ unterbrach ich sie schnell. „Ich dulde von Ihnen kein beleidigendes Wort. Sie sind die Braut eines Schwindlers. Was hindert mich, Sie der Polizei zu übergeben?“

„Wer oder was Sie hindert? Das werde ich Ihnen gleich zeigen. Warten Sie nur einen Augenblick. Ich habe vorher dem Boten nur ein Trinkgeld zu geben, und meine Börse liegt im Schlafzimmer. Dann sollen Sie hören, was ich Ihnen zu sagen habe!“

Sie verließ das Boudoir durch eine mir und dem Diwan gegenüberliegende Thür. Ich hörte ein leises Geräusch, als ob ein Riegel vorgeschoben werde. Schnell huschte ich nach der Thür und klinkte; sie öffnete sich nicht. Nun eilte ich leisen Schrittes durch das Boudoir zurück und hinaus in das Nebenzimmer. Auch dieses war von außen verschlossen. Da die Jüdin durch dasselbe zu mir zurückgekehrt war, mußte die Indianerin, ihre Dienerin, den Schlüssel im Schlosse umgedreht haben.

„Ah, sie hat dich gefangen, um auszureißen!“ lachte ich mir selbst zu. „Sehr gut! Sie mag gehen!“

Ich öffnete ein Fenster und sah hinaus, doch so, daß ich von unten nicht gesehen werden konnte. Kaum waren fünf Minuten vergangen, so kam sie unten aus der Thür. Sie hatte in größter Eile Toilette gemacht, und jedenfalls all ihr Geld und ihre Wertsachen zu sich gesteckt. Ihre Gestalt war in einen grauen Regenmantel gehüllt; ein einfacher Hut saß auf ihrem Kopfe. Hinter ihr kam eine Indianerin, welche eine Tasche in der Hand hatte, und dann folgte ein schwarzbärtiger Mann, der einen kleinen Koffer trug. Das war jedenfalls der Bote, mit dem sie gesprochen hatte. Die drei hoben die Köpfe, um zu den Fenstern emporzublicken; ich zog den meinigen schnell zurück. Als ich dann wieder hinaussah, waren sie schon weit fort; ich sah sie eiligen Schrittes unter den Passanten verschwinden.

Ein anderer als ich hätte vielleicht die Thüren ausgesprengt, um ihnen augenblicklich zu folgen; mir aber fiel dies nicht ein; sie, nämlich die Jüdin, war mir sicher, obwohl ich mir sagte, daß sie New-Orleans augenblicklich verlassen werde.

Ich probierte zunächst noch einmal die Thüren; sie waren wirklich verschlossen. Dann sah ich mich genauer, als es bis jetzt geschehen war, in den beiden Zimmern um, die für mich offen waren. Auf einem kleinen Tischchen im Boudoir lag ein Photographiealbum. Ich öffnete es und schlug die einzelnen Bilder um. Wahrhaftig, da steckte Jonathan Meltons Lichtbild im Visitenformat. Und dabei lag ein zusammengefalteter Zettel. Ich war keineswegs so diskret, ihn liegen zu lassen, sondern ich las ihn. Da stand in kalligraphisch schönen Buchstaben geschrieben:

„Ich erkläre hiermit durch die Unterschrift meines Namens, daß ich Mrs. Silverhill die Ehe versprochen habe. Small Hunter.“

Wer die in Beziehung auf Eheversprechungen so strengen Gesetze der Vereinigten Staaten kennt, der weiß, was zwei oder drei solche Zeilen zu bedeuten haben. Ja, der sonst so kalt und gefühllos berechnende Mann befand sich vollständig in ihren Fesseln, und ich war überzeugt, daß ich ihn, wenn nicht in Albuquerque, so doch in ihrem „Schlosse“ treffen würde.

Ich durchsuchte die beiden Zimmer weiter, fand aber nichts, was mir dienlich sein konnte. Die Photographie und den Zettel steckte ich zu mir und untersuchte dann die Schlösser der beiden Thüren. Man brauchte kein Einbrecher zu sein, um das eine öffnen zu können. Nachdem ich einen kleinen Stift aus dem Drücker gezogen hatte, konnte ich den letzteren entfernen. Ich hatte in dem Necessaire ein kleines Messer gesehen, dessen Spitze ich abbrach, worauf es mir als Schraubenzieher diente, mit dessen Hilfe ich die vier kleinen Schrauben entfernte, welche das Schloß festhielten; dann konnte ich dieses abnehmen; die Thür war offen, und ich trat in den Korridor, mit dessen Thür ich ganz ebenso verfahren konnte.

Nun ging ich hinab ins Parterre zu der Witwe und teilte derselben soviel mit, wie ich für nötig hielt. Sie war zunächst ganz betroffen über die fluchtmäßige Entfernung der Jüdin, setzte aber meiner Verabschiedung keine Schwierigkeiten in den Weg. Ich ging, aber nicht etwa schon zu Emery und Winnetou, sondern die Straße abwärts nach dem Hinterhause, welches der Advokat mir als die Wohnung seines „Bureauvorstandes“ bezeichnet hatte. Der Wirt sollte mich bei seiner Rückkehr von seinem mehr als zweideutigen Ausgange in seiner Stube finden. Ich war der Jüdin nicht gefolgt, weil ich sicher gewesen war, von ihm mehr zu erfahren, als was ich hätte sehen und beobachten können.

Eine Inschrift über den Fenstern des Parterres verriet mir, daß er Jeffers hieß und alte Goldsachen und Uhren zu verkaufen hatte. Die Thür war von innen verriegelt; auf mein Klopfen öffnete eine Frau.

„Mr. Jeffers daheim?“

„Nein. Was wollt Ihr?“

„Ein Armband oder so etwas als Geschenk für eine Dame.“

„Wie hoch vielleicht im Preise?“

„Ich gehe bis zehn oder fünfzehn Dollars.“

„Kommt herein, Sir; mein Mann muß gleich wiederkommen.“

Hätte ich eine niedrigere Summe genannt, so wäre ich von ihr fortgeschickt worden, um später wieder vorzusprechen. Ich trat in einen kleinen Vorsaal, in welchem es zwei Thüren gab; die eine führte in einige Hinterstuben, wo ich bedient werden Sollte; die andere ging jedenfalls in die vordern Zimmer, welche Harry Melton bewohnt hatte.

Die Frau war sauber gekleidet und machte den Eindruck von Willenlosigkeit und Niedergeschlagenheit. Ich mußte wohl drei Viertelstunden warten, ehe ihr Mann nach Hause kam. Sie öffnete ihm und sagte ihm draußen, was ich kaufen wollte. Er kam in die Stube und führte mich in einen kleinen Nebenraum, in welchem sich seine Kostbarkeiten befanden.

„Also ein Armband wollt Ihr, Sir,“ meinte er. „Ich möchte Euch hier die Granaten empfehlen; es giebt auch eine Broche dazu. Sie stehen wunderbar, besonders zu blond.“

„Mrs. Silverhill ist leider nicht blond,“ bemerkte ich.

Er ließ die Hand, mit der er mir das Armband entgegenhielt, sinken und fragte rasch.

„Mrs. Silverhill? Kennt Ihr eine Dame dieses Namens?“

„Natürlich! Das Geschenk. soll ja für sie sein! Wundert Ihr Euch darüber?“

„Nein, gar nicht! Wo wohnt Mrs. Silverhill, Sir?“

„Auf dieser Straße, nur einige Häuser weiter aufwärts.“

„Ihr scheint mit ihr befreundet zu sein?“

„Alte Bekanntschaft, weiter nichts.“

Well, geht mich nichts an; aber unsereiner interessiert sich natürlich für die Personen, welche die Sachen, die man verkauft, bekommen, und da ich zufällig erfahren habe, daß Mrs. Silverhill sehr reich sein soll, so möchte ich Euch raten, das Beste auszusuchen, was ich habe.“

„Sehr richtig. Ich hätte eigentlich zu einem der großen Juweliers gehen sollen, bin aber doch zu Euch gekommen, weil ich mein Geschenk nur mit Eurer Hilfe anbringen kann.“

„Wieso?“

„Die Dame ist verreist und nur Ihr wißt, wohin.“

„Ich?“ fragte er, indem sein Gesicht den Ausdruck ängstlicher Spannung annahm. „Was habe ich mit Mrs. Silverhill zu thun?“

„Das fragt die Polizei auch!“

„Die Po – –?!“

Er wollte das Wort aussprechen; es blieb ihm aber im Munde stecken.

„Ja, die Polizei!“ nickte ich bedeutungsvoll und ernst.

„Was soll das heißen? Was weiß ich von Eurer Mrs. Silverhill!“

„Wo sie hin ist, das wißt Ihr! Ihr habt ihr ja bei ihrer plötzlichen Abreise den Koffer getragen! Ihr wart bei ihr und habt ihr verraten, daß Old Shatterhand, Winnetou und Mr. Bothwell hier angekommen sind.“

„Alle Wetter, Sir! Diese – diese – diese Namen –“ stotterte er.

„Hat Euch Euer Sohn genannt, der darüber seine Anstellung verlieren wird. Natürlich wird ihm und Euch außerdem der Prozeß gemacht. Weshalb, das wißt Ihr wohl!“

„Ich – ich – weiß von nichts!“

„Wirklich? Kennt Ihr den Namen Small Hunter nicht?“

„Small – –?!“

„Und hat nicht der Schreiber Hudson bei Euch gewohnt? Wart Ihr nicht beauftragt, Mrs. Silverhill zu benachrichtigen? Ich sage Euch, das wird Euch und Eurem Sohne stark an den Kragen gehen, denn dieser weiß genau, wessen der sogenannte Small Hunter angeklagt wird.“

„Das ist eine armselige Geschichte! Hätte ich mich doch nicht damit abgegeben!“

Er warf sich bei diesen Worten auf einen Stuhl und schlug sich mit der Hand vor die Stirn.

„Armselig genug wird’s für Euch; das ist sehr richtig,“ stimmte ich bei. „Was sagt Ihr dazu, daß ich Euch gleich mit mir nehme, Master?“

Da fuhr er augenblicklich wieder auf und fragte, mir voller Angst in das Gesicht starrend:

„Ist es denn wirklich so – so schlimm, so gefährlich, Sir? Ich habe doch bis jetzt an den echten Small Hunter geglaubt, habe erst vor zwei Stunden von meinem Sohne erfahren, daß er ein Betrüger sein soll! Und daß er das ist, glaube ich auch jetzt noch nicht!“

Ich sah es ihm an, daß er damit die Wahrheit sagte. Er schien ein Mann zu sein, der es, wenn es sich um seinen Vorteil handelte, im Geschäfte nicht allzu genau mit der Ehrlichkeit nahm; aber wie ein gewerbsmäßiger, hartgesottener Verbrecher sah er nicht aus.

„Er ist nicht nur ein Betrüger, sondern etwas noch viel Schlimmeres,“ versicherte ich dem Händler. „Sobald er erwischt wird, geht es ihm an Kopf und Leben, und denen, die mit ihm in Verbindung standen, wird es nicht viel besser ergehen.“

Ich gab ihm die nötigen Aufklärungen, worauf er sagte: „Ich will Euch alles gestehen. Sir, Ihr seid ein Detektive und müßt Eure Pflicht thun; aber vielleicht ist es Euch doch möglich, mich und meinen Sohn aus dem Spiele zu lassen. Sucht Euch dafür meine beste Uhr aus oder den teuersten Schmuck, den ich hier habe!“

Also er hielt mich für einen Polizisten! Das war mir eben recht. Er hatte mich vorhin bei der Jüdin nicht gesehen. Ich dachte also scheinbar eine kleine Weile nach und sagte dann.

„Was Ihr mir da anbietet, würde Bestechung sein. Damit bleibt mir vom Leibe. Ich will nichts gehört haben, denn, wenn ich auch das noch anzeigte, würde man noch viel weniger an Eure Unschuld glauben. Es widerstrebt mir freilich, anzunehmen, daß Ihr mit solchen Schurken gemeinsame Sache gemacht habt, und so – –“

„Sir,“ fiel er mir in die Rede, „das habe ich auch nicht. Ich schwöre es Euch zu!“

„Aber mit dem Schreiber seid Ihr vertraut gewesen!“

„Nein. Ich verkehrte mit ihm, wie ein Wirt mit einem Mieter verkehrt.“

„Aber seine Botschaft habt Ihr doch an die Silverhill ausgerichtet!“

„Im guten Glauben. Er ist nach St. Louis gefahren und will wiederkommen. Ehe er abreiste, bat er mich, durch meinen Sohn zu erfahren, ob vielleicht drei Männer kommen würden, um Small Hunter zu verdächtigen. Würde der Fall eintreten, so sollte ich es sofort der Dame melden.“

„Ihr seid dafür bezahlt worden?“

„Er hat mir allerdings einige Dollars gegeben.“

„Hm! Das spricht wieder nicht für Euch!“

„Sir, ich bin arm und muß, um auszukommen, jeden Dollar mitnehmen. Ist es denn gar nicht möglich, mich aus dem Spiele zu lassen?“

„Schwerlich! Ja, wenn weiter niemand davon erführe!“

„Ich sage kein Wort, Sir, kein Wort! Lieber laß ich mich zerreißen, als daß ich gegen jemand den Mund öffne!“

„Würdet Ihr auch gegen meine Kollegen schweigen? Ich könnte Euch nur unter der Voraussetzung schonen, daß Ihr gegen andre schweigt, gegen mich aber aufrichtig seid.“

„Beides soll geschehen, beides, Sir!“

„Gut, wollen einmal sehen. Also, wo befindet sich der sogenannte Hudson, welcher bei Euch gewohnt hat?“

„Ich weiß nicht anders, als daß er mit Small Hunters Diener hinauf nach St. Louis ist.“

„Ihr habt den Diener gesehen?“

„Ja; er war einigemale da. Sie sehen einander ähnlich.“

„Weil sie Brüder sind. Und wo ist der falsche Hunter hin?“

„Ich habe bis heute gedacht, daß er nach Indien ist, aber vorhin, als ich bei Mrs. Silverhill war, ließ sie ein Wort fallen, auf welches sie wahrscheinlich nicht achtete und aus dem ich nun jetzt schließen möchte, daß er nicht nach Indien ist.“

„Was war das für ein Wort?“

„Sie sagte, Mr. Hunter hätte dafür gesorgt, daß sie schnell zu ihm kommen könne. Schnell? Das sagt man doch nicht von Indien!“

„Allerdings. Wie kam sie denn eigentlich dazu, so ein unvorsichtiges Wort zu sagen?“

„Das begreife ich auch nicht. Ich ging zu ihr, um mein Versprechen zu erfüllen. Sie empfing mich in einem Zimmer, wo ich ihr die Botschaft ausrichtete. Sie wußte, um was es sich handelte, schien aber die Namen nicht zu kennen, denn als ich dieselben nannte, erschrak sie außerordentlich, zog mich schnell hinaus in den Vorsaal und setzte dort das Gespräch weiter fort. Dann fragte sie mich, ob ich Zeit hätte, gegen Belohnung einen Gang mit ihr zu thun. Ich sagte ja und mußte dann hinaus auf die Treppe, um auf sie zu warten. Sie kam mit ihrer Dienerin; ich mußte einen Koffer tragen. Sie sagte, Old Shatterhand sei in ihrer Wohnung, und sie müsse augenblicklich zu Mr. Hunter, welcher dafür gesorgt habe, daß sie schnell zu ihm kommen könne. So kam sie auf das Wort.“

„Wo seid ihr dann mit ihr hingegangen?“

„Nach dem Great-Union-Hotel; das heißt, ich allein. Sie wartete mit ihrer Dienerin in der Nähe. Ich mußte im Hotel Eisenbahnbillets kaufen.“

„Welche Billets habt Ihr gekauft?“

„Das war eine komplizierte Sache. Sie wollte hinüber nach Gainesville, aber auch mit dem allernächsten Zuge, mit dem das möglich war, denn sie scheute sich, auch nur eine Stunde in Orleans zu bleiben. Da auf der kürzeren Strecke kein Zug ging, habe ich ihr Billets nach Jackson, Vicksburg, Monroe und Marschall genommen, von da nach Dallas und über Denton nach Gainesville.“

„Das ist allerdings ein bedeutender Umweg. Sie hätte viel später abfahren können und wäre auf der Strecke jenseits des Flusses dennoch eher in Gainesville angekommen.“

„Die Angst vor Old Shatterhand trieb sie fort!“

„Und die Angst hat sie auch gegen Euch geschwätzig gemacht. Habt Ihr sonst noch etwas erfahren können?“

„Nein, Sir. Ich habe Euch alles gesagt, was ich weiß. Darf ich nun auch hoffen, daß Ihr Nachsicht mit mir habt?“

„Hm, ich möchte wohl! Ihr werdet also keinem Menschen ein Wort von dem mitteilen, was Ihr mir erzählt habt?“

„Nicht eine Silbe!“

„Diese Bedingung stelle ich, denn wenn Ihr gegen andre schwatzt, ist es mir unmöglich, über Euch zu schweigen. Ich werde zunächst weiter forschen. Finde ich, daß Ihr ehrlich gewesen seid, so werde ich Euch nicht in den Mund nehmen; habt Ihr mich aber getäuscht, und selbst wenn es mit einer Kleinigkeit wäre, so könnt Ihr Euch darauf gefaßt machen, auf eine ganze Reihe von Jahren mit Eurem Sohne eingesperrt zu werden!“

„Wenn das ist, Sir, so brauche ich keine Angst zu haben.“

Well! So lebt wohl! Am besten ist’s für Euch, ich sehe Euch nicht wieder. Das Armband kaufe ich natürlich nicht; das war nur ein Vorwand, wie Ihr Euch denken könnt.“

„Natürlich!“ meinte er, indem er erleichtert aufatmete. „Aber, Sir, könntet Ihr mir nicht sagen, woher Ihr wißt, was zwischen mir und Mrs. Silverhill geschehen ist? Von dem Augenblicke an, an welchem ich zu ihr kam, bis zur Sekunde ihrer Abreise hat sie mit keinem Menschen, als nur mit mir gesprochen, ihre Indianerin ausgenommen, und doch wart Ihr so gut unterrichtet!“

„Das ist mein Geheimnis, Mister Jeffers. Die Polizei muß eben, wenn sie etwas taugen will, zuweilen ein wenig allwissend sein.“

„Und dann, könntet Ihr nicht einmal nach Mrs. Silverhills Wohnung gehen? Sie sagte doch, daß Old Shatterhand sie dort überrascht habe. Darum floh sie schnell. Sie hat zugeschlossen. Ich schätze, daß der Mann nun eingesperrt ist und nicht heraus kann.“

„Macht Euch keine Sorge um den! Ein Prairiemann läßt sich nicht so leicht einsperren. Und wenn es ja einmal geschieht, so weiß er ganz genau, wie er es anzufangen hat, wieder an die schöne Atmosphäre zu kommen.“

Ich ging, sehr befriedigt von den Erfolgen meiner Nachforschungen. Wir hatten geglaubt, längere Zeit in New Orleans bleiben zu müssen, und nun stellte es sich heraus, daß wir gezwungen waren, der Stadt sofort den Rücken zu kehren.

Es ist bekannt, daß man in den Vereinigten Staaten in jedem größeren Hotel Eisenbahnbillets nach allen Richtungen bekommen kann. Als ich jetzt in das unserige zurückkehrte, war es mein erstes, nach den Abfahrtszeiten zu sehen. Wir mußten natürlich auch nach Gainesville und hatten noch volle zwei Stunden Zeit bis zur Abfahrt des betreffenden Zuges. Das war Zeit genug, mich mit meinen beiden Gefährten vorher zu verständigen.

Diese freuten sich ebenso wie ich mich darüber, daß ich die Spur der Gesuchten entdeckt hatte, und weder Winnetou noch Emery zweifelten daran, daß es die richtige Fährte sei. Wäre ich allein gewesen, so hätte ich derselben nicht so schnell folgen können, denn zu einer Fahrt nach Gainesville gehörte mehr Geld, als ich dazu hätte aufwenden können; dem Millionär Emery aber war das eine Kleinigkeit, und der Apatsche brauchte nur in seinen Gürtel zu greifen, um einige Nuggets gegen gutes Geld umzuwechseln; ich, der Proletarier, wurde von beiden so mit durchgeschleppt. – – –

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