Fünftes Kapitel.

Eine musikalische Familie. Der Vater spielt die erste Violine, der Onkel das Cello, der eine Sohn die zweite Violine und der andere die Viola. Für heut sind alle Freunde eingeladen. Es soll ein Quartett gegeben werden. Kammermusik. Ob von Mozart, Haydn oder einem anderen, das weiß ich nicht. Aber daß man nur Schönes, Gutes, von den vier Künstlern Durchdachtes und Verstandenes hören werde, davon ist man überzeugt. Man freut sich also auf den Genuß. Man kommt. Man weiß, daß man gern gesehen ist. Man nimmt Platz. Die Noten liegen auf den Pulten. Die Instrumente sind bereit, schon wohlgestimmmt. Auch die Zuhörerschaft befindet sich in jener Stimmung, welche dem Erfolge gern und einsichtsvoll entgegenkommt. Da sind die Vier. Sie nehmen Platz. Sie greifen nach den Instrumenten. Durch den Raum geht das Geräusch leise gerückter Stühle; hier ein erwartungsvolles, kurzes Räuspern, dort das Rauschen bequemgelegter Seide. Dann tiefe Stille. Jetzt! Die Bogen berühren die Saiten. Die ersten Takte erklingen.

Die Erwartung hat sich in offenruhende Empfänglichkeit verwandelt. Man lauscht.

Da wird die Thür aufgerissen. Ein Feind der Familie kommt lärmend herein, rücksichtslos störend, ungeladen. Er erklärt, daß er die Absicht habe, einen Strafprozeß gegen die Familie zu führen, und macht in ganz ungesitteter Weise die Anwesenden mit dem Inhalte der Anklage bekannt. Man unterbricht ihn. Man entzieht ihm das Wort. Man sagt ihm, daß er unrecht habe und daß doch jetzt und hier nicht die rechte Zeit und der rechte Ort zu solchen Dingen sei. Man sei zu einem Kunstgenuß versammelt, nicht aber, um sich mit dem jus criminale zu befassen. Da entschließt er sich, mit zuzuhören, nimmt einen Stuhl und setzt sich nieder.

Soll man die unangenehme Scene gewaltsam enden? Ihn hinauswerfen? Nein! Man entschließt sich, ihn gewähren zu lassen und das Stück von neuem anzufangen. Aber in welcher Stimmung befindet man sich nun? Werden die in Geist, Herz und Gemüt anzuschlagenden Accorde so befriedigend ausklingen, wie es vorher mit froher Bestimmtheit zu erwarten war?

Das ist ein Bild. Ich bringe es, um begreiflch zu machen, daß auch die vorhin vom Glockentone berührten Saiten unsers Innern durch den rauhen Gedanken der Blutrache vollständig zum Schweigen gebracht worden waren. Ob sie wieder so ungezwungen und rein erklingen würden wie vorher, das war wohl zu bezweifeln. –

Tifl war, während ich mit dem Multasim sprach, nach dem Tempel gegangen. Als ich nun zu diesem zurückkehrte, hatte er von meinem Platze ein Kissen geholt und an eine der beiden Säulen des hintern Ausganges gelegt. Der Chodj-y-Dschuna stand dabei. Ich sah, daß er mir etwas zu sagen hatte.

»Wir sollen dich nicht stören, Effendi,« entschuldigte er sich. »Ich bitte dich aber, für kurze Zeit zunächst hier zu bleiben. Hier ist der beste Platz, zu hören, wie es klingt, wenn alle Winde zum Gebete kommen. In deiner Ecke dort würde dich die Harfe stören.«

Hierauf ging er nach der Mitte des Tempels, wo eine Harfe lag. An der einen Ecksäule stand Schakara, die ihrige vor sich haltend. Das veranlaßte mich, auch nach den drei andern Ecken zu sehen. Sie waren in ganz gleicher Weise von Dschamikinnen besetzt. Am Haupteingange hatten sich der Ustad und der Pedehr einander gegenüber niedergelassen. Zu ihren beiden Seiten saß die Dschemma. Rund um das Gebäude hatten sich die Bewohner und Bewohnerinnen des Duar aufgestellt. Es war so still, man sagt, »wie in einer Kirche«.

Da gab der Ustad mit der Hand ein Zeichen. Der Chodj-y-Dschuna griff einige einleitende Accorde, um das Metrum anzugeben. Hierauf die vorige Stille wieder. Ich ahnte, was nun kommen solle, und schloß die Augen.

Wo gab es die Lüfte, als es Anfang war? Im göttlichen Gedanken! Unendlich mild, als beginne ein warmer Sonnenstrahl mit leiser Zärtlichkeit dem andern zuzuflüstern, ward dieser Gedanke jetzt zum ersten Ton. Es war ein einig-ungeteilter, aber doch kein einzelner Ton. Er erklang nicht hoch, nicht tief, und doch war er erklungen. War er nach Schwingungen zu messen? Nein! Das irdische Maß ist ja doch nur ein Notbehelf. Es wird sich immer irren! In diesem ersten, einen Tone lagen, wie die Strahlen im Lichte, alle die unzählbaren Klänge der Zeit und Ewigkeit unisono verborgen. So klang es leise, leise, sich selbst kaum ahnend, hin, noch unberührt vom schöpferischen Willen. Aber da, plötzlich, als ob der Schöpfer prüfen wolle, wie er dereinst das Licht geprüft, indem er, bevor die Sonnen waren, die Strahlen alle durch das Weltall blitzte und dann wieder zu sich rief, – so that auch dieser erste Ton sich plötzlich auf, um alle Harmonieen, die es gab und geben wird, aufleuchtend von sich auszusenden und aber augenblicklich wieder in sich zu vereinen.

Nun aber begann es, sich in ihm zu regen. Alles, was dieser eine Aufblitz in unendlicher Fülle zeigte, das hatte sich nun langsam, eines aus oder mit dem andern, harmonisch zu entwickeln. Es teilte sich der Ton und blieb doch ungeteilt. Er gab sich ganz in tausend andern Tönen hin und hörte doch nicht auf, zu sein und zu bleiben, was er war. Der Lufthauch kam und wiegte ihn, als ob er mit und von ihm träume, auf und nieder. Da gebar der Traum das erste Intervall, welchem, ewig stammverwandt, die anderen alle folgten. Sie umschlangen sich, vereint zur Tonika, und klangen in das Erdenparadies hernieder, um, wenn der Mensch seiner Seligkeit gedenkt, sich in ihm wieder aufzulösen, daß er den Stimmen dieser Erde die Klänge des Himmels geben möge.

Wie aber klingt so himmlische Musik? Die Winde sagen es. Sie lauschen überall. Und wo ein frommer, heiliger Ton sich hören läßt, da nehmen sie ihn auf, um ihn zur großen Harmonie zu tragen, die betend aufwärts steigt, um als Lob und Dank zu dem zurückzukehren, aus dessen Mund sie einst als erster Ton erklang.

Die Harfen schwiegen. Ich schlug die Augen wieder auf. Die vier Spielerinnen legten ihre Instrumente fort. Der Chodj-y-Dschuna zögerte, dies auch zu thun. Er schaute mit zagenden Augen zu mir her. Da stand ich auf, ging zu ihm hin und gab ihm, dem Herzensdrange folgend, meine Rose.

»Sie ist vom Ustad,« sagte ich. »Ich bin so arm gegen dich, du reicher Mann. Ich habe nichts Besseres.«

»Du beschämst mich!« antwortete er. »Ich lehre nichts, als das, was ich empfangen habe. Auch daß ich es wiedergeben kann, verdanke ich nicht mir. Nimm du nun meine Rose. Ich bitte dich!«

Er reichte sie mir. Das war so einfach, so menschlich lieb, daß es mich herzlich rührte.

»Sende mir deine Schülerinnen heraus, damit ich auch jeder von ihnen eine breche,« bat ich ihn.

Hierauf ging ich hinaus. Die Mädchen kamen. Die Rosen gehörten nicht mir, sondern ihnen, und doch sah ich ihnen an, daß ich für einen Dank die rechte Weise getroffen hatte.

Tifl wartete mein, um mir zu sagen, daß ich nun wieder nach meinem Platze gehen könne, wenn ich wolle. Ich that es, voller Erwartung, was nun kommen werde. Nichts Gewöhnliches, davon war ich überzeugt! Dieser Gesanglehrer besaß mehr als das, was man Talent zu nennen pflegt!

Es kam jetzt eine Anzahl Dschamikun mit Frauen und Mädchen herein. Sie stellten sich in der Mitte auf, um zu singen, ohne Leitung; der Chodj-y-Dschuna war nicht bei ihnen. Was ich hörte, war ein dreistimmiges Lied. Der Text lautete:

»Ich komm zu dir im Sonnenstrahl
    Und laß mir deine Rosen blühen.
In tiefer Andacht liegt das Thal
    Vom Morgen- bis zum Abendglühen.
Ich sehe aus der stillen Flut
    Die Berge Gottes aufwärts steigen,
Und wo sein Haus auf Säulen ruht,
    Soll heut sich mir der Himmel zeigen.

»Ich komm zu dir im Sonnenstrahl,
    So spricht der Herr und steigt hernieder.
Die Glocken klingen übers Thal,
    Und von den Bergen tönt es wieder.
Brich auf, mein Herz, der Rose gleich,
    In der sich alle Düfte regen.
Es naht sich dir das Himmelreich;
    Brich auf, und dufte ihm entgegen!«

Ueber diesen Text ist nichts zu sagen, kein Wort. Er spricht ja selbst! Wovon? Von einer Begegnung im Beit-y-Chodeh. Nun verstand ich die Worte, welche der Ustad sagte, als er mir die Rose gab. Aber die Tonweise! War das Gesang, oder war es Sprache? Gesangssprache oder Sprachgesang? Ich meine keineswegs Recitativ. Mit diesem hatte es nicht die entfernteste Aehnlichkeit. Unser Gesang ist Kunst; dieser war Natur. Aus unserer Harmonisierung ist jeder einzelne Akkord zu lösen; hier war das eine Unmöglichkeit. Bei uns pflegt man im Liedgesange die Melodie einer einzelnen Stimme, den andern die Begleitung zu geben; hier war alles Melodie, jede Stimme, und doch wurde jede eine von den andern harmonisch unterstützt. Das war schwer, sehr schwer und klang aber doch so außerordentlich natürlich, so ungewollt, so ganz von selbst. Es gab keine Absicht, irgend einen bestimmten Akkord zu bilden, eine Septe in die Sexte herabzuleiten. Alles, was ich über Komposition wußte, war hier gleich Null!

Und aber doch diese Wirkung! Von mir und den Dschamikun selbst will ich in dieser Beziehung nicht sprechen; aber das Lied hatte sämtliche Perser vom Waldesrande herabgelockt. Sie hatten ihre Pferde oben gelassen und sich hinten bei den Säulen hingesetzt. Es war ihnen und ihrem Verhalten anzusehen, welchen Eindruck das Lied auf sie gemacht hatte. Indem sie miteinander sprachen, drückten ihre Mienen und Blicke sehr deutlich den Wunsch aus, daß man doch weitersingen möge.

Er wurde erfüllt. Die vorigen Sänger hatten sich entfernt. Jetzt kamen vier Männer und vier Frauen, also acht Personen. Man nennt das bei uns ein Doppelquartett. Was sie sangen, klang außerordentlich ernst. Die Worte lauteten:

»Wir knieen hier vor deinem Angesichte
    Im Geist vom Geiste, nicht im Staub vom Staube,
Wir flehen um das Licht von deinem Lichte;
    Im Dunkel bleibt der falsche Erdenglaube.
Du bist der Vater. Alle sind wir dein.
    Laß uns im Lichte deine Kinder sein!

Du schufst die Welt als größtes Wort der Liebe,
    Doch will die Menschheit dieses Wort nicht fassen.
Und wenn sie tausend heilge Bücher schriebe,
    Sie würde doch nicht lieben, sondern hassen.
Du bist der Vater. Alle sind wir dein.
    Laß uns in Liebe deine Kinder sein!

In ewgem Frieden kreisen deine Sterne.
    Ihr Licht umfließt die ganze, ganze Erde,
O daß sie doch von diesem Lichte lerne
    Und endlich, endlich menschenfreundlich werde!
Du bist der Vater. Alle sind wir dein.
    Laß uns im Frieden deine Kinder sein!«

Das war ein Gebet! Und wie wurde es gesungen! Nicht etwa nach einer alten, wohlbekannten Melodie, der man auch jeden andern Text unterlegen kann. Hier beteten die Töne noch deutlicher als die Worte. Die Perser waren doch wohl Leute, welche durch Worte nicht so leicht überwältigt werden konnten; aber als der letzte Ton jetzt über das Thal hinüber nach den lauschenden Bergen klang, wo die Hirten still bei ihren Herden standen, da sah ich alle zwölf Köpfe tief herabgesenkt, und es dauerte längere Zeit, ehe sich die Gesichter wieder sehen ließen. Worte klingen sehr leicht nur an das Ohr. Waren bei ihnen die Töne tiefer eingedrungen, um ihnen das erbetene Licht zu der Erkenntnis zu bringen, daß niemand sich der wahren Liebe rühmen darf, wenn er nicht den Frieden seines Nächsten achtet. Dann hätte der zum Menschenherzen trachtende Himmelsklang hier, am Beit-y-Chodeh der Dschamikun, ein Wunder bewirkt, welches den wohlerwogenen Worten und wohlgesetzten Reimen und Liedern anderer nicht gelingen will!

Nun kam Tifl zu mir her und sagte, indem er mich von der Seite her pfiffig anlächelte:

»Effendi, jetzt ist die Zeit gekommen, in der man essen muß – wenn man nämlich etwas hat.«

»Ich habe aber nichts!« klagte ich.

»O, mehr als ich! Sogar Pflaumen!«

»Wo?«

»Da, wo es im Wald am schönsten ist. Der Ort ist nur für einen einzigen, und ich soll dich bitten, heut auch einmal dort sein Gast zu sein.«

»Wer ist’s?«

»Du wirst ihn sehen.«

»Aber, bin ich nicht zu schwach, da hinaufzusteigen?«

»Es ist nicht weit von hier. Auch kannst du unterwegs ruhen, so oft du willst.«

»So laß uns gehen!«

Er führte mich an den Persern vorüber, bergan dem Walde zu. Der Stock erleichterte mir den Weg. Dennoch mußte ich schon am Waldesrande anhalten, um auszuruhen.

Man konnte von hier aus den ganzen Park übersehen, durch dessen vielgewundene Gänge schmale, lebendige Menschenströme wie durch Rosenadern pulsierten. Der Ustad und der Pedehr waren noch im Tempel. Wer Schatten suchte, kam herauf zum Walde. Ueberall glänzten freundliche Gesichter. Heiteres Lachen erscholl. Hier und da erklang schon die abgerissene Zeile eines kleinen Liedchens. Allerlei sangeslustige, flügellose Lerchen stimmten vorschnell ihre Kehlen.

»Man soll jetzt noch nicht singen,« erklärte mir »das Kind«. »O, Sihdi, wir haben viele schöne Lieder! Für Kinder, für Jünglinge und Jungfrauen und auch für die Alten.«

»Singst auch du?«

Da warf er sich in die Brust, richtete sich hoch auf und antwortete:

»Höre, was ich dir sage: Ich singe sie alle, alle stumm! Willst du es hören?«

»Ja.«

»So bitte ich dich aber, zu warten. Jetzt darf ich noch nicht.«

»Warum nicht?«

»So bald nach den ernsten Gesängen hört der Ustad Liebeslieder nicht gern.«

»Liebeslieder? Tifl, Tifl! Was höre ich!«

Der Gute verstand mich gar nicht. Fast schämte ich mich, diesen scherzenden Vorwurf ausgesprochen zu haben. Man sieht: Die Sittenrichterei kann selbst im Scherz den Ankläger an Stelle des vermeintlichen Delinquenten schlagen. Wie gefährlich mag sie da wohl erst im Ernste sein!

Wir gingen weiter, waldaufwärts. Es führte uns ein Weg zwischen hohen Bäumen hin. Es war ein sichtbar wenig benutzter Seitenweg.

»Hier geht nur er,« sagte Tifl.

»Wer?«

»Er! Du mußt es raten!«

Selbstverständlich riet ich nun den Ustad. Nach einiger Zeit kamen wir an einen vor langen Jahren freigemachten Platz, in dessen Mitte ein großer, weitästiger Birnbaum stand. Er hing voll schöner, reifer Früchte. Die hohen Waldbäume gewährten ihm Schutz. Sonst hätte er in dieser Höhe nicht gedeihen können.

Unter ihm stand – ich staunte! – ein wohlgedeckter Tisch. Eine Holzplatte auf in die Erde geschlagenen Beinen, nicht niedrig, wie die orientalischen sind. Vor ihm zwei hohe Bänke, auf denen man ganz nach europäischer Art sitzen konnte. Er war mit einem weißen Tuch belegt, auf welchem weißporzellanene Schalen und Teller, auch eine Weinflasche mit Glas, meiner warteten. Es gab kalte Küche, fein säuberlich verteilt.

Und wer stand da bei diesen Herrlichkeiten? In ihrer ganzen blitzblanken Sauberkeit? Strahlend vor Stolz und Freude? Mit liebevollen Aeuglein und rotblühenden Rosenwänglein? Natürlich Pekala, die Köstliche, heut meine Festjungfrau in wahrster Wirklichkeit!

»Sei willkommen, Effendi!« rief sie mir entgegen. »Ich habe für dich angerichtet. Auch Pflaumen sind da. Tifl hat sie für dich gepflückt. Der Ustad gebot es ihm.«

Ich reichte ihr die Hand.

»Pekala, was bist du doch gut!« sagte ich.

»Gut muß man immer sein; das ist ja Pflicht. Und man ist es auch so gern! Man will ja gar nicht anders sein! Aber euch, euch, Effendi, möchten wir doch recht, recht glücklich machen! Euch möchten wir die größte Liebe zeigen, die wir haben!«

»Warum grad uns, du Liebe? Es sind so viele Menschen da, und es giebt doch wohl nur eine einzige Liebe für sie alle!«

»So sagt auch der Ustad, ganz genau so. Aber ihr macht es uns so leicht, und andere machen es uns so schwer. Doch, was sagst du zu diesem Tische, Effendi?«

Sie stemmte die Arme in die Seiten und schaute mich an, als ob ich etwas ganz Unbegreifliches anzustaunen habe.

»Wunderbar!« antwortete ich.

»Ja, es ist auch wirklich wunderbar! Siehst du das herrliche Fakhfuri takymy

»Ja. Weiß, wie frischer Schnee!«

»Das grüne Scharab kardehi

»Grad wie Smaragd!«

»Das Sofra bezi mit geblümten Mustern?«

»Sehr schön! Das hast wohl du geplättet?«

»Ja. Aber wir haben kein Ütü hier. Ich habe ein Hackebeil heiß gemacht und ein Papier dazwischen gelegt. Da ging es auch. Weißt du, wer eine Türkin ist, der weiß sich stets zu helfen!«

»Wie schade da, daß ich keine bin!«

»Effendi, klage nicht! Du bist ja ohnedies auch recht klug. Es kann nicht jedermann eine Türkin sein. Es muß auch andere Völker geben! Aber siehst du auch das Imek takymy mit den blankgeputzten Griffen? Habe ich es richtig hergelegt?«

»Ja, denn ich nehme es da weg, wo es liegt. Ganz fein aber ist es, wenn das Messer rechts und die Gabel links liegt.«

Ich wollte sie doch nicht eines Fehlers zeihen; darum drückte ich mich in dieser Weise aus. Sie wechselte aber das Besteck schnell um, indem sie sagte:

»Du bist für mich der feinste Mann, und ich denke, daß du mich auch für eine feine Dienerin hältst. Machen wir es also nicht wie für gewöhnliche Leute, sondern fein. Bemerkst du auch den Tapa tschekedscheji? Du siehst, wir haben alles. Du sollst die Flasche doch nicht in der Weise öffnen, wie Tifl damals that, indem er die Hälse herunterschlug. Dann ist es kein Wunder, wenn man betrunken wird!«

Diese Betrachtung lenkte ihre Aufmerksamkeit auf »das Kind«. Sie drehte sich nach ihm um und sagte:

»Ich bediene den Effendi selbst. Du kannst gehen!«

Er that zwei Schritte, blieb dann aber stehen.

»Nun, warum nicht?« fragte sie.

»Weil ich es doch auch einmal sehen möchte.«

»Was?«

»Das Tuch und das Porzellan und alle die seltenen Sachen da auf dem Tisch.«

»Schau dir es nachher an!«

»Und auch wie der Effendi fränkisch sitzt und ißt.«

»Das würde ihn stören!«

»Und wie schön und fein du ihn bedienst, nachdem du alles so trefflich vorbereitet hast.«

Dieses Lob stimmte sie augenblicklich für ihn um.

»So bleib,« sagte sie. »Steig auf den Baum und hole die besten Früchte herab!«

Er war im Nu hinauf.

»Es sind Armudlar, Effendi,« belehrte sie mich.

»Das meine ich auch,« stimmte ich ihr bei.

»Sie heißen Gulab-i-Schahi«, verbesserte Tifl vom Baume herunter, indem er die Sorte nannte.

»Würdest du sie auch als Armud kompostusu essen, Effendi?« fragte sie weiter.

»Wenn man frisches Obst hat, soll man es frisch essen. Aber ich liebe es auch gekocht.«

»So sollst du beides bekommen: die frischen Birnen und auch den süßen Kompostusu. Nun setze dich aber nieder, und iß! Aber alles! Du mußt wieder rund werden – so, wie ich! Du mußt rote, dicke Backen bekommen – so wie meine hier!«

»Ich danke dir, liebe Pekala!«

»Danke mir nicht schon jetzt, sondern dann, wenn du sie hast! Ich habe dich nur so gesehen, wie du durch die Krankheit geworden bist: unendlich hager und mit eingefallenen Wangen. Nun aber sollst du wieder so werden, wie es sich für einen Effendi aus Dschermanistan schickt und gehört. Erlaube mir, dir meine Gestalt und Fülle als Muster anzubieten, welchem du nachzustreben hast, um es zu erreichen und wo möglich noch zu übertreffen! Einer der größten Vorzüge, den wir Türken haben, ist der, daß wir unserer Seele einen möglichst umfangreichen Körper bieten. Da hat sie Platz! Da kann sie sich rühren und bewegen! Da fühlt sie sich nicht eingeengt und kann, wenn sie will, sogar spazieren gehen. Wird sie aber in der Weise, wie jetzt bei dir, zwischen Haut und Knochen eingedrückt, so entstehen jene unglückseligen, ezmisch gewordenen Dschanlar, denen man es nicht übelnehmen kann, daß sie über das Erdenleben stets nur zu schimpfen und zu räsonnieren haben. Ein wohlgestalteter, runder Mann hingegen wird immer guter Laune sein und stets ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen haben. Ich weiß das ganz genau. Ich sehe es an mir!«

»Du bist sehr scharfsinnig, liebe Pekala!«

»Nicht wahr? Beinahe eine Kizfeilesuf! Du mußt mir aber auch ansehen, daß ich gewohnt bin, sehr viel nachzudenken. Ich kann das auch, weil meine Seele vollständig Platz zum ausgiebigsten Nachdenken hat. Da ist nichts zum Verwundern. Nun aber iß! Und erlaube mir noch eine Frage, die ich mir trotz alles Nachdenkens nicht beantworten kann! Gehört etwa noch ein kleiner Tisch hierher?«

»Nein.«

»Nicht? Aber wozu da das andere, kleinere Tuch?«

»Wo?«

»Hier.«

Sie griff in die Innentasche ihres Gewandes und zog eine weiße Serviette hervor. Ich nahm sie ihr aus der Hand und schlug sie aus den Falten. Sie war nicht gezeichnet, doch mit winzigen, liebevollen Stichen eingesäumt. Mein Gesicht fiel, indem ich dieses Leinenstück betrachtete, der Köchin auf.

»Du staunst, Effendi?« sagte sie. »Du bist verwundert? Sogar sehr?«

»Ja,« antwortete ich. »Das hätte ich hier nie gesucht!«

»Nicht? Das freut mich, denn es muß also etwas sehr Feines sein!«

»Es ist ein Peschkir. Man sagt auch Petschata

»Das kenne ich nicht. Wozu ist es?«

»Um beim Essen das Gewand zu schonen. Wenn man etwas verschüttet oder sonstwie Flecke macht, so werden sie von der Petschata aufgefangen. Wer vorsichtig ißt, der braucht sie nur so herzulegen. Wer aber unschön ißt, der steckt die Ecke da oben herein. Man sieht also an der Petschata, was für einen Esser man vor sich hat. Schau her!«

Ich machte es ihr vor. Da schlug sie die Hände zusammen, daß es schallte, und rief entzückt:

»Wie mir das doch gefällt! Das ist fein, wirklich fein! Weißt du, Effendi, ich werde, wenn er sich zu meiner Zufriedenheit beträgt, für unsern Tifl eine machen!«

»Zwei!« rief der Genannte vom Baume herunter.

»Warum?« fragte sie hinauf.

»Für dich auch eine, falls ich mich nicht über dich zu beklagen habe!«

»Ich möchte wissen, worüber du dich bei mir beklagen könntest! Ich trage dich auf allen meinen Händen und sehe dir einen jeden Wunsch von den Augen ab. Du bist der glücklichste Mensch, den es nur geben kann. Drum pflücke ruhig weiter, und laß die Petschata Petschata sein!«

Ich hatte während dieses kleinen, gutgemeinten Wortgefechtes die Serviette wieder zusammengeschlagen und dann weggelegt. Als Pekala dies nun bemerkte, fragte sie:

»Du nimmst sie nicht? Warum? Ich bitte dich!«

Sie nahm sie vom Tisch und hielt sie mir wieder hin. Ich wehrte ihre Hand aber ab.

»Nein, meine gute Pekala! Ich will von diesem Tuche, von diesem Porzellane und mit diesem Messer und dieser Gabel essen, weil ich dich sonst betrüben würde – vielleicht auch noch einen Andern. Aber was nicht unbedingt nötig ist, das werde ich nicht berühren.«

»So sag mir aber, warum?«

»Du ahnst es wahrscheinlich nicht; aber diese Sachen sind, außer für diesen Andern, wohl eigentlich unberührbar. Ich vermute, daß er sie außerordentlich ehrt, ja heilig hält.«

Sie sah mich nachdenklich an, trat dann ganz nahe zu mir her und sagte:

»Das ist wahrscheinlich richtig. Ich will es dir mitteilen, weil mir nicht verboten wurde, davon zu sprechen. Diese und noch einige andere Sachen sind in einer kleinen Lade wohl verwahrt. Es giebt einen Tag, einen einzigen Tag im Jahre, an dem der Ustad diese Lade aufschließt. Da deckt er sich den Tisch mit eigener Hand, ganz so, wie ich es hier gemacht habe. Ich bringe ihm die Speisen selbst hinauf. Ich sehe einen fränkischen Stuhl vor dem fränkischen Tisch; aber der Ustad sitzt noch nicht. Er steht mit gefalteten Händen am Fenster und schaut so unverwandt, wie innerlich betend, zu unserem lieben Beit-y-Chodeh hinüber. Er trägt an diesem Tage ein ganz altes, härenes Gewand, welches auch in dieser Lade liegt und hinten einen Baschlyk hat. Ein ebenso alter Strick schlingt sich um seine Lenden, und um den Hals hat er eine Perlenschnur, an welcher ein kleines Bild hängt; was für eines, das weiß ich nicht. Er ißt erst dann, wenn ich wieder gegangen bin. Er ist an diesem Tage noch ernster und noch stiller, als zu jeder andern Zeit. Niemand darf ihn stören, außer ich, wenn ich ihm das Essen bringe. Aber früh, am Morgen, kommt er herab und teilt an alle, die im hohen Hause wohnen, kleine, freundliche Geschenke aus, die er während des Jahres mit eigenen Händen für sie gefertigt hat. Begreifst du das?«

»Wenn du mir den Tag nennen kannst, so ist es möglich, daß ich es verstehe.«

»Ich habe ihn mir gar wohl gemerkt, und es ist für mich sehr leicht, ihn nicht zu vergessen, weil er mein Geburtstag ist.«

»Vielleicht ist es auch der seinige?«

»O nein. Das weiß ich ganz genau.«

»Woher?«

»Er selbst hat es mir gesagt. Ich habe bisher darüber geschwiegen, weil es so eigen, so geheimnisvoll klang; dir aber möchte ich es erzählen, grad dir.«

»Warum mir, liebe Pekala?«

»Weil er heut für dich jene Lade, die er so heilig hält, geöffnet hat. Er ließ mich zu sich kommen. Er hatte alle diese Sachen für dich bereit gelegt und übergab sie mir mit der Weisung, dich hier mit ihnen zu bedienen, sie aber von niemandem, höchstens noch von ›unserm Kinde‹, berühren zu lassen. Das habe ich gethan. Kein Mensch hat sie gesehen.«

»Sagte er noch sonst etwas hierüber?«

»Ja. Fast ganz dasselbe, was er mir damals sagte. Ich will es dir erzählen. Tifl, steig vom Baume herab. Leg die Birnen her, und geh vor an den Weg! Es soll uns niemand stören.«

Er gehorchte gleich, denn er hatte alles gehört und sah also ein, weshalb er fortgeschickt wurde. Als er gegangen war, berichtete sie:

»Es war an diesem Tage. Der Ustad hatte mich reicher beschenkt als die andern, weil er wußte, daß mein Geburtstag sei. Als es gegen Abend dunkelte, ging ich hinauf zu ihm, um die Reste der Mahlzeiten zu holen. Du wirst gesehen haben, daß vor seinem Gemache ein Schahnischin ist. Da saß er auf dem fränkischen Stuhle, was er sonst niemals thut, und las in einem Buche, obgleich es auch da draußen schon fast dunkel war. Als er mich hörte, kam er herein, um das Licht anzuzünden. Ich hatte mich so sehr gefreut und sagte ihm noch einmal für die heutigen Geschenke Dank. Da schaute er im Dämmerschein der kleinen Kerze von so hoch zu mir hernieder, legte mir die Hand auf den Kopf und sprach:

›Der Eine giebt; der Andere nimmt. Der Eine stirbt; der Andere wird geboren.‹ Wenn die Menschen doch wüßten, daß jeder Geburtstag auch zugleich ein Tag des Sterbens ist! Mein Sterbetag war heute!«

Sie schwieg und wendete sich halb von mir ab, indem sie mit der Hand nach ihren Augen griff. Als sie sich wieder herumdrehte, sah ich die Feuchtigkeit der Thräne noch, die sie hatte entfernen wollen. Dann fuhr sie fort:

»Ich weiß nicht, wie es kam, ich mußte weinen, als ich diese seine Worte hörte. Und indem ich weinte, sprach er sie noch einmal, als ob ich sie ja nie vergessen solle:

›Der Eine giebt; der Andere nimmt. Der Eine stirbt; der Andere wird geboren. Wenn die Menschen doch wüßten, daß jeder Geburtstag auch zugleich ein Tag des Sterbens ist! Mein Sterbetag war heute!‹

Die gute Pekala hatte diese Wiederholung nur schwer zu Ende gebracht. Jetzt hob sie die Falten ihres Schleiers zum Gesicht empor, um es darin zu verbergen, und weinte, leise schluchzend, vor sich hin. Wie kam es doch, daß auch mir die Augen feucht wurden? Es giebt Worte, welche, mögen sie gesprochen werden, wann und wo es auch sei, sich so tief in das Herz des fühlenden Menschen senken, daß er sich ihrer Wirkung nicht entziehen kann.

»Du hast dir das sehr gut gemerkt, liebe Pekala,« sagte ich, um sie von ihrem Schmerze abzulenken.

Sie strich die Thränen fort, ließ den Schleier wieder nieder und antwortete:

»Ich bin dann sogleich draußen vor seiner Thür stehen geblieben und habe die Worte auswendig gelernt, um sie niemals zu vergessen.«

»War das alles, was er sagte?«

»Alles! Aber war das nicht genug, mehr als genug, Effendi? Muß es nicht fürchterlich für einen Menschen sein, zu wissen, an welchem Tage er sterben werde?«

»Noch ganz anders ist es, wenn ein Mensch weiß, daß er gestorben ist!«

»Das ist unmöglich. Kann er denn leben und doch wissen, daß er tot sei? Aber daß es Leute giebt, welche ihren Sterbetag voraus wissen, das habe ich schon oft gehört.«

»Kein Mensch kann ihn wissen, kein einziger, außer er will zum Selbstmörder werden. Gott hat sich die Bestimmung dieses Tages vorbehalten und wird entweder in seiner Güte oder in seiner Gerechtigkeit die Entscheidung treffen.«

»Aber der Ustad weiß ja doch den seinen!«

»Nein, auch er nicht!«

»Hast du nicht soeben seine eigenen Worte gehört?«

»Du deutest sie falsch. Du hast das Wörtchen ›war‹ mit dem Wörtchen ›ist‹ verwechselt.«

»Das verstehe ich nicht, Effendi.«

»Denke nach, und erinnere dich genau! Hat er gesagt ›Mein Sterbetag war heute.‹ Oder sagte er: ›Mein Sterbetag ist heute.‹ War oder ist? Hierauf kommt es an.«

»Ich weiß es: ›war heute‹; so sagte er.«

»Also hat er nicht ein zukünftiges sondern ein schon vergangenes Sterben gemeint. Es ist das ein tiefes, tiefes Wort von ihm gewesen, und ich wundere mich nicht darüber, daß du dich in seiner Deutung irrtest.«

»Also meinte er, daß er schon gestorben sei?«

»Ja.«

»So war sein Wort ein Rätsel!«

»Allerdings.«

»Wer kann es lösen? Ich nicht!«

»Ich auch nicht. Kein anderer Mensch kann es lösen, als nur er allein. Wem der Tod oder vielmehr das Sterben überhaupt ein Rätsel ist, dem wird der wahre Todestag, die eigentliche, wirkliche Zeit des Sterbens, ganz gewiß erst recht verborgen bleiben. Es giebt nur wenige, sehr wenige Menschenkinder, welche wissen, warum und wo und wie und wann man stirbt. Man kann körperlich leben und geistig oder seelisch doch gestorben sein. Und wie das Eine möglich ist, so auch das Andere. Auch Isa Ben Marryam, den wir den Heiland nennen, verlangt vom Menschen, daß er neu geboren werde. Wer hat da aber zu sterben? Die Bibel antwortet: Der alte Adam. Wer ist das? Du siehst also, daß die christliche Religion ein Sterben und Geborenwerden mitten in diesem unsern gegenwärtigen Leben von uns fordert. Hierin liegt eine der verschiedenen Weisen, in denen das Rätsel des Ustad gelöst werden kann. Für ihn ist es schon längst kein Rätsel mehr. Denn wer da weiß, daß er gestorben ist, und sogar den Tag genau kennt, an welchem es geschah, der schaut nicht mehr in ein trügerisches Dämmerlicht, sondern vor seinen Augen liegt der helle Tag in seliger Klarheit ausgebreitet.«

Ich hatte mich an den Tisch gesetzt und zu Messer und Gabel gegriffen; da erscholl vom Rande der Lichtung her die Stimme »unseres Kindes«:

»Der Ustad kommt. Ich trete auf die Seite.«

Er zog sich hinter die Bäume zurück. Ich wollte wieder aufstehen, aber Pekala bat mich:

»Thu nicht, als ob du es weißt! Er wird sich gewiß freuen, dich essen zu sehen.«

Da begann ich denn, zuzulangen. Tifl hatte ihn gewiß schon von weitem bemerkt, denn es dauerte längere Zeit, ehe er erschien. Nun, als er auf die Lichtung trat, legte ich das Besteck natürlich wieder weg. So, wie jetzt er, war wohl auch Abraham einst einhergeschritten, wenn er im Haine Mamra wandeln ging. Und seine Gäste hatten ihm in solcher Ehrfurcht entgegengesehen, wie ich sie fühlte, als dieser Patriarch der Kurden sich mir näherte. Aus seinen Augen schaute mich die Seelengüte an, und mir war es, als ob ich meine Arme um ihn schlingen müsse, um ihm zu sagen, daß ich ihn nie, niemals verlassen möchte.

Ich wollte sprechen, um ihm zu danken. Er sah das und veranlaßte mich durch eine kleine, stille Handbewegung, dies nicht zu thun. Sein Blick überflog den Tisch und blieb auf der unbenutzten Serviette haften. Dann sah er mich mit einem lieben, lieben Blicke an. Er hatte mich durchschaut.

»Es war eine Segenshand, die dieses Speisetuch mit vielen, vielen Stichen für mich säumte,« sagte er. »Es war am Tage, da ich einstens starb, da schenkte sie es mir. Nun nehme ich es in die meinige von Jahr zu Jahr, wenn ich das stumme Gedächtnismahl des eigenen Todes halte. Warum steht heut derselbe Tisch für dich gedeckt? Ich liebe dich und habe dich erkannt. Du bist derselbe, der ich einstens war, in jener Zeit, da ich noch suchen ging. Es lebt der Geist in dir, der damals mich verführte, ihn für den Geist des Weltenalls zu halten. Und doch ist’s nur der Geist der armen, kleinen Erde, der seinen Menschen vorgelogen hat, er sei der Allmächtige, der den ganzen, unendlich weiten Himmel nur allein für sie geschaffen habe. Du wirst wie ich aus diesem Himmel herabgerissen werden, der weder ihm noch dir gehört, wenn du ihm weiterfolgst. Du wirst da unten liegen, so wie einst ich am Boden lag – ein stillgewordener Acker Gottes, über den des Todes Pflugschar gehen muß, damit er zubereitet sei, wenn der Säemann kommt, den man das Leid der Erde nennt. Da wird der Pflug aus deinem Herzen reißen, was jener Erdengeist hineingepflanzt. Und wenn er seine letzte, tiefste Furche zieht und dir die stärkste Wurzel aus dem Herzen zerrt, dann mache dich bereit: Es naht dein – Sterbetag!«

Sein Auge ruhte nicht auf mir. Er hatte vor sich hin, wie in weite Ferne geschaut, als ob er das alles sehe, was er sagte. Nun hob er den Blick zu den Baumkronen empor, deren Zweige und Nadeln im Sonnenstrahle goldgerändert zitterten. Ein milder Farbenschein, wie durch eine rosig angehauchte Lichtglocke geworfen, überflutete sein Angesicht.

»Dann naht der Säemann und giebt den Furchen neues Leben,« fuhr er fort. »Du wirst ihm stillehalten müssen, so wie auch ich ihm stillehielt. Die Egge schmerzt; die Stacheln reißen Wunden. Doch darfst du sie nicht achten. So viele ihrer seien, aus jeder sproßt und grünt es froh zum Himmel auf, damit der stillgewordene Acker Gottes dereinst zum reichen Erntefelde werde. Das meine liegt im wilden Kurdistan. Umringt von Feinden, die mich hassen, neiden! Die Berge tragen meine Einsamkeit; sie sind mit ihr mein Schutz, der nimmer wankt. Wo aber, fragst du, wird das deine liegen?!«

Jetzt senkte er den Blick zu mir nieder und sah mir lächelnd ins Gesicht. Seine Hand legte sich auf mein Haupt und glitt dann leise, fast zärtlich an der Wange nieder. Dann sprach er weiter:

»Wo es liegt? Du weißt es nicht, und doch hab‘ ich’s von dir erfahren. Ich stand an deinem Lager. Kein Mensch war da, als ich und meine beiden Kranken. Du lagst besinnungslos, doch sprachst du mit dir selbst. Da lernte ich dich kennen. Da hörte ich zwar dich, doch auch den Geist, der einst der meine war. Dann klangen liebe Worte, die Worte deiner Seele. Du ahnst wohl nicht, wie mächtig Seelen sind! Sie wird den Geist bezwingen, wie einst die meine ihn bezwang. Was ich dir sage, das ist, als hätte sie es gesagt! Dein Erntefeld liegt fern von diesem meinem Lande. Es ist ein anderes, als das meinige. Ich sehe Thäler und ich sehe Berge. Auch dir ist, so wie mir, die Ebene gram. Drum mache es so wie ich: Such auf den Bergen Schutz, und steige nie zur Fläche nieder, auf der die dunklen Zelte deiner Feinde stehen. Geh in die hehre Einsamkeit, wie ich, und sei, wenn dir ein Gegner naht, so stumm, wie ich es heut zu meinen Feinden war. Auch dir lebt ein Pedehr, der gern es übernimmt, den Feiertag, den du zu leben hast, vom Schmutz des Werkeltages zu befreien!«

Er griff jetzt nach der Serviette, gab sie mir und sagte:

»Du dachtest zart. Ich danke dir dafür. Doch sei mein Gast an meinem Sterbetag! Nimm dieses Tuch getrost! Es ist für mich ein großes Heiligtum. Die mir es gab, sie stand an meiner Seite, als ich im Sterben lag. Die letzte, tiefste Furche ging durch mich. Da bäumte ich mich auf. Ich wollte meinem Leiden nicht gehorchen. Sie aber sagte mir ein großes Wort, ein Wort, so groß, daß es die ganze Welt umfaßt. Da brach ich wieder nieder, um ganz in meiner Kleinheit zu verschwinden. Und als ich dann, nach langer, langer Zeit, als Auferstandener kam, um ihr zu danken, da sagte sie, sie habe mir zu danken, weil sie in mir zum zweiten Male auferstanden sei. Wirst du wohl ihren Namen nun erraten? Er ist auch dir von Herzen lieb geworden.«

»Unsere Marah Durimeh!«

Dieser Name flog förmlich aus meinem Munde. Es konnte ja keine andere sein als sie!

»Ja, sie, die Einzige!« sagte er. »Denk, daß sie hier an deiner Seite sitze und dir erzähle von jemand, dem nichts erspart geblieben ist von allem, was die Erde Schlimmes bietet, und der nur durch das Schweigen jenen Sieg errang, mit dem man nicht den Feind allein, nein, auch sich selbst bezwingt. Denn merke wohl: Dein größter Feind bist du. Um ihn versammelt sich der andern ganze Schar. Sie steht und fällt mit ihm. Er ist’s, der fallen muß in deiner Sterbestunde. Für den, der dann, von dir befreit, das andere Leben lebt, giebt es dann nur noch Menschen, im schlimmsten Fall beklagenswerte Thoren, doch Feinde, Feinde nie!«

Hierauf legte er mir die Hand auf die Brust und sprach in warmem, bittendem Tone:

»Laß dein Herz so ruhig schlagen, wie das meine schlägt! Wenn es aufbegehren will, so gebiete ihm Schweigen! Betrachte die Menschen so, als ob du bereits gestorben seist und von ihnen nicht mehr erreicht werden könntest! Es gehöre ihnen von allem, was du bist und was du hast, nichts, nichts, als nur allein die Liebe!«

Er ging hierauf wieder fort.

Welch ein Mensch! Solche Charaktere können wohl nur in der Einsamkeit der Berge reifen! Aber glücklicherweise ragen Berge überall. Warum sollen es immer nur geographische Höhen sein? Giebt es nicht auch noch andere Alpen, auf denen man sich ein »hohes Haus« erbauen und ein »Beit-y-Chodeh« errichten kann? Redet nicht auch die Heilige Schrift von solchen Bergen? Sagt nicht der Psalmist, daß von ihnen seine Hilfe komme? An was für Berge dachte ich wohl, als ich vor Jahren, im Notizbuche Reiseeindrücke festhaltend, auch folgende Zeilen niederschrieb:

»Schon weicht die Fläche hinter mir;
  Die Ebene beginnt, zu steigen.
So naht das Herz, Jehovah, dir,
    Wenn hinter ihm die Zweifel weichen.

Mir ist, als ob am Horizont
    Ich Bergesspitzen leuchten sähe.
So reinigt, läutert, wärmt und sonnt
    Die Seele sich in Himmelsnähe.

Hinauf, hinauf! Ich raste nicht.
    Ich will und will nicht unten bleiben.
Mein frömmstes, seligstes Gedicht
    Will ich beim Glühn der Alpen schreiben.

Das werde ich dann heimlich, still
    In einem Kirchlein niederlegen.
Vielleicht gereicht’s, so Gott es will,
    Dem, der es findet, einst zum Segen!«

Unsere gute Pekala hatte sich, als der Ustad kam, bescheiden vom Tische zurückgezogen. Nun, als er fort war, kam sie wieder, um von neuem ihres Amtes zu walten. Die Entfernung war allerdings keine große gewesen. Darum hatte sie Verschiedenes von dem, was gesprochen worden war, gehört. Das zeigte sich durch die Frage, welche sie sogleich an mich richtete:

»Nicht wahr, ich hatte mit dem Sterbetage recht, Effendi? Er sprach doch auch mit dir davon.«

»Ja; aber da wirst du mir eine Bitte zu erfüllen haben, liebe Pekala.«

»Sehr gern! Welche?«

»Denke nicht zu oft und zu viel über den deinigen nach! Und sei schweigsam über das, was du hier vernommen hast! Wenn man von so etwas redet, muß man es verstanden haben.«

»Das habe ich freilich nicht. Es war zu schwer für mich.«

»Trotzdem du dich eine Kizfeilesuf genannt hast?« scherzte ich.

»Das bin ich auch. Aber es hat jeder Mensch seinen eigenen Feilesufluk, den der andere nicht begreift. Der meinige wächst in der Küche und sagt mir jeden Tag, daß alle Menschen essen müssen. Darum setze dich nun wieder nieder, und laß mich die Freude erleben, daß es dir schmeckt!«

»Das wird nun wohl nicht so werden, wie du wünschest. Ich bitte dich, noch einige Zeit Geduld zu haben.«

»Warum, Effendi? Willst du nun etwa gar nicht essen?«

»Nicht sogleich. Ich möchte nachdenken. Geh mit deinem Tifl ein Stündchen spazieren, und komm dann wieder!«

»Wie schade! Das ist es ja eben, was meine Feilesufluk nicht begreifen kann! Wenn gelehrte Männer in den Sattel ihres Geistes steigen, um in seinem Reiche herumzugaloppieren, da lassen sie ihn hungern. Sie sagen, sie können nicht essen, wenn sie denken. Was wird er da wohl für Sprünge mit ihnen machen können! Gieb ihm Futter, Effendi, viel Futter! Wenn du das thust, dann wirst du erst bemerken und an dir selbst erfahren, was ich, eure Pekala, unter Nachdenken verstehe! Was soll aus dir werden? Die Seele hat keinen Platz; der Geist muß darben, und der Körper darf nicht essen. Du gehst mir ja zugrunde! Wozu bin ich denn mit meiner schönen, großen Küche da? Doch dazu, daß alles, was ich mache, aufgegessen wird! Doch will ich nicht zanken, denn ich sehe, daß es dir wehe thut. Ich gehe!«

Wehe thun? Das nun freilich nicht! Sie deutete meine Bemühungen, das Lachen zu unterdrücken, falsch. Es waren nur wenige Schritte, welche sie that; dann blieb sie stehen, sah auf die Erde nieder, kam wieder zurück, ganz nahe an mich heran und sagte halblaut, damit Tifl, der sich nun wieder auf der Lichtung befand, es nicht hören möge:

»Weißt du, was ich mir über unsern Ustad ausgesonnen habe? Während er mit dir sprach, kam es mir in den Kopf.«

»Was?«

»Es liegt ein Geheimnis über ihm, und ich habe etwas davon entdeckt. Er kann alles; er weiß alles. Er kennt das ganze Morgen- und wohl auch sehr viel vom Abendlande. Er hat sehr, sehr viele Bücher in abendländischer Schrift. Ich glaube, daß er früher dort gewesen ist, um alles, was man dort lernen kann, sich anzueignen. Da hat er auch an solchen Tischen, wie dieser ist, gegessen. Er kehrte in die Heimat zurück. Dann starb etwas in ihm; denn in dieser Weise meint er es doch, wenn er von seinem Tode spricht. Das Gedeck hier ist ein Andenken an diesen seinen Toten, und darum hebt er es so heilig auf und sucht es an jedem Sterbetag hervor. Was sagst du dazu? Ob ich wohl recht habe?«

»Pekala, du hast ein kluges Köpfchen!«

»Nichts weiter? Das habe ich längst gewußt! Aber es freut mich, daß auch du es nun erfahren hast. Jetzt gehe ich wirklich!«

Und sie ging auch wirklich; Tifl mit. Ich war allein.

Ueber mir schlug ein persischer Ispinos. Er sprang von Zweig zu Zweig, immer weiter herab. Ich warf ihm Brocken hin, und er kam bis an den Tisch heran, um sie zu nehmen. Seine hellen Augen waren ohne Furcht auf mich gerichtet. Warum läßt die sogenannte unvernünftige Kreatur sich von der Güte locken? Warum lacht nur der Mensch über den, der selbstlos alle liebt? Oder ist das nicht der Mensch überhaupt, sondern nur der Menschengeist, der raffinierende Teil der »Schöpfungskrone«? Wie glücklich dann die niederen Geschöpfe, von denen man behauptet, daß sie keinen »Geist« besitzen! Was versteht das gesellschaftliche Tier, Mensch genannt, denn eigentlich unter »Liebe«? Wenn die Hassenden sich zusammenrotten, damit Liga gegen Liga, Konfession gegen Konfession, Fraktion gegen Fraktion aufeinanderplatze, so behaupten auch sie, in Liebe verbunden zu sein. Eine Liebe aber, welche hassen kann, giebt es einfach nicht! In ganz derselben Weise belieb- und zugleich behaßäugeln sich die Völker ebenso wie auch die einzelnen Individuen. Wer aber wahre Liebe bringt oder brachte, die vor allen Dingen und zunächst nach Frieden strebt, der wurde stets und wird noch heute an das liebe Kreuz geschlagen. Und dabei behauptet jede Partei, daß sie allein es sei, die den Frieden wolle! Natürlich aber behält sie sich stillschweigend vor, daß er nur zu ihrem Vorteil abzuschließen sei! Ist das denn Frieden? Nein, sondern neuer Grund zum Kampfe!

Das Weltmeer kann nicht ruhig sein. Es ist eine den Winden preisgegebene, willenlose Flüssigkeit. Aber muß denn die Menschheit mit ihren anderthalbtausend Millionen bewußter und denkender Intelligenzen sich ebenso in stetem Wogengange befinden? Muß der hochbegabte, seiner Verantwortlichkeit sich sehr wohl bewußte Mensch, sobald sein Nachbar wellt, sofort auch Wellen schlagen und sie weitergeben? Giebt es keinen Halt auf weiter See? Kein festes Land? Und muß auch jedes der vorhin gezählten kleinen, winzigen Binnenwässerlein gleich lächerlich hohe Brandung schlagen, wenn vom Andern her ein Lufthauch es berührt? Kennt denn niemand jene Wunderhand, die damals, als auf dem See Genezareth der Ruf »Herr, wir verderben« erscholl, den Elementen sofort Ruhe gab? Weiß man nur in seinem Namen, aber nicht in seinem Geiste zu handeln? Erheben sich nicht augenblicklich tausend Wogen ringsumher, wenn es einmal eine freundliche Herzenswelle wagt, sich von dem allgemeinen Strom zu trennen? Wie manche solche Welle, die nach den Gärten und Feldern des Ufers fließen wollte, um sie zu befruchten, ist von den dunkeln Fluten, auf deren Grund die schwere, stählerne Schlepperkette ruht, mit fortgerissen worden!

Aber droben auf den Bergen, da liegen sie, in tiefer Einsamkeit, vom hohen Forst beschützt, die immer klaren Wasserspiegel. Von unentweihten Quellen gespeist, fließen sie über von Heil und Segen für jedermann, der von dem sumpf- und fieberreichen Strome aufwärts nach seinem Ursprung wandert. Anstatt Menschenrecht herrscht hier noch Gottesrecht. Die holde Fee der Menschheitskinderzeit geht liebreich wandeln von Haus zu Haus. Des Edens fromme Sage wird beim Scheine des brennenden Spanes an jedem Herd erzählt, und wenn die Ahne im lauschenden Kreise der Enkel eine mit ihr altgewordene Mähr erzählt, so hebt sie wohl mit den Worten an: »Als wir noch Kinder waren.« Sie weiß ja nicht, daß sie stets Kind geblieben ist!

So sitzt nach vollbrachtem Tagewerke oft auch die gute Pekala mit »ihrem Kind« auf jener Bank im Garten, wo ich von beiden als Pflaumendieb überfallen wurde. Was mag sie ihm erzählen, die ebenso Kind wie er geblieben ist? Hat doch der Ustad es erreicht, seine früher unbotmäßigen Dschamikun in wohlerzogene, dankbare Kinder zu verwandeln! Mit welchen Mitteln hat er das fertiggebracht? Mit Hilfe jener Fee, welche keine Gewaltthat kennt und doch alle Menschen zwingt: sie heißt – die Güte! Aber mit welchen andern Mächten mag er gerungen haben, um sie in sich abzutöten, ehe er den Weg nach diesen seinen Bergen fand! Es sei ihm nichts, gar nichts erspart geblieben, sagte er. Nun aber war es glücklich überwunden. Warum geben unsere Dichter solchen Lebenskämpfen fast immer einen tragischen Schluß? Kennen sie unsern Herrgott nicht? Die Erdenbühne, für welche er seine Gestalten schafft und, wie es scheint, nach freiem Willen handeln läßt, kennt die Tragik nur als kurze Episode. So ist auch das, was der befangene Mensch für ein Lustspiel, einen Schwank oder gar für eine Farce hält, nichts weiter, als eine vom Schauspieler eigenmächtig extemporierte Scene, welche der unbestechliche Regisseur sehr bald zu rügen weiß. Auf dieser Bühne geht niemand tragisch unter. Wer in dem einen Akt am Boden zu liegen scheint, darf sich im nächsten zum neuen Kampf erheben. Und wenn für ihn nach endlich errungenem Siege die letzte Erdenscene kommt, so hält der Dichter selbst den Kranz für ihn bereit.

Ich saß hier – um mich des Bühnenjargon zu bedienen – vor den pietätvoll aufbewahrten Requisiten mir unbekannter Leidensscenen. Warum war es grad mir erlaubt, sie zu berühren? Weil ich Marah Durimeh kannte? Weil der Ustad Grund zu haben glaubte, anzunehmen, daß ich, so wie er, durch die Schule der Leiden zu gehen haben werde? Es mußte noch einen andern, dritten Grund haben, den ich aber jetzt wohl noch nicht wissen durfte. Ich verzichtete darauf, über ihn nachzudenken. Wer so weitausschauend ist, den Berg mit jenem Amen sagenden Alabasterzelt zu krönen, der weiß auch wohl, wann die rechte Zeit, zu sprechen, gekommen ist.

War denn schon eine Stunde vorüber? Wohl kaum eine halbe. Aber Pekala hatte es nicht länger ausgehalten. Sie kam jetzt mit ihrem Tifl wieder und sagte, jedenfalls um ihre zu schnelle Rückkehr zu entschuldigen:

»Effendi, du mußt nun schnell essen. Kara Ben Halef ritt nach Hause, um beim Vater zu bleiben, damit seine Mutter zum Beit-y-Chodeh kommen könne. Sie ist da und fragt nach dir. Sie möchte dich gern bei sich haben.«

Ich brauchte die dienstfertige »Festjungfrau« eigentlich gar nicht; es lag ja alles bei der Hand. Aber sie ließ es sich nun einmal nicht nehmen, dabei zu sein. Jetzt griff sie nach der Flasche und dem Korkzieher. Indem sie letzteren verlegen betrachtete, sagte sie in ihrer vom Ustad jedenfalls nicht gewollten Offenheit:

»Flaschen sind sehr selten hier bei uns. Ich habe, seit ich hier bin, keine als nur diese hier gesehen. Ich weiß wirklich nicht, wie man es macht, um die Tapa mit diesem eisernen Dinge herauszuziehen.«

»Trinkt der Ustad Wein?« fragte ich.

»Nie. Es ist die einzige Flasche, die er hat. Alles, was gegoren ist, trinkt er nicht. Und alles, woran Blut war, ißt er nicht. Warum, das weiß ich nicht.«

»So lassen wir den Wein unberührt.«

»Aber, er ist doch für dich bestimmt.«

»Es wird schon einmal ein Gast kommen, dem er nötiger ist, als mir. Jetzt fange ich an!«

»Die Muhammedaner sagen ›Bismilla‹, wenn sie zu essen beginnen. Das ist ein gutes Wort. Verzeih, daß ich es vorhin vergessen habe!«

Nun war es unterhaltend, zu beobachten, wie die beiden zuschauten. Ich machte mir den Spaß, die europäische Art, zu essen, so verwickelt wie möglich darzustellen. Welche Wonne dieses Hantieren der »Festjungfrau« bereitete! Wie oft rief sie »dem Kinde« zu: »Du, das ist fein!« Und als ich endlich gar einige Birnen und Pflaumen schälte, schlug sie die Hände zusammen und sagte: »Das ist das Allerfeinste. So etwas giebt’s in der ganzen Welt gar niemals wieder!«

Hierauf war es Zeit, mit Tifl zu den Dschamikun zurückzukehren. Als wir aus dem Walde traten, bot sich mir ein sehr bewegtes, freundliches Bild. Die Perser saßen, links von uns, hier oben. Am Tempel hatte sich der Pedehr zu Hanneh gesellt. Den Ustad sah ich nicht. Ueberall gab es sitzende, stehende oder heiter sich bewegende Menschengruppen. Die jungen Männer unterhielten sich mit verschiedenartigen Spielen, welche den Zweck hatten, Kraft und Gewandtheit zu verleihen.

»Soll ich anfangen, Effendi?« fragte mich Tifl.

»Womit?«

»Singen. Ich sagte dir doch, daß ich sie alle stumm singen werde. Man wollte schon längst damit beginnen. Aber der Pedehr hat mir versprechen müssen, daß ich der erste sein darf.«

»Du willst es hier thun, gleich hier oben?«

»Ja. Meine Stimme geht weit, bis dort zum Berg hinüber, und hier sehen mich auch alle. Paß auf, Effendi, wie still und ruhig alle sein werden, wenn ich anfange!«

Ich wurde wirklich neugierig. »Das Kind« als Solosänger! Ich hatte gar kein so rechtes Vertrauen zu ihm; aber wenn er so singen, wie er reiten konnte, so war das Selbstvertrauen, welches er zeigte, sehr wohlbegründet.

»Was wirst du singen?« fragte ich.

»Was ich dir schon sagte: ein Liebeslied. Dieses bringe ich von allen am besten. Paß auf!«

Er stellte sich in Positur, räusperte sich und begann. Welch eine Stimme! Fast hätte ich ihn mit »Maschallah« unterbrochen. Das war ja ein Tenor, ein Heldentenor von unbeschreiblicher Fülle und herrlichster Klangfarbe! Allwissender Pollini! Von unserm Tifl aber hast du nichts gewußt, sonst wärest du schon längst hier bei den Dschamikun gewesen, um wo möglich den Besitzer dieser geradezu phänomenalen Stimme hier auf- und daheim am Alsterbassin wieder abzuladen! Es war genau so, wie er gesagt hatte: Gleich bei dem ersten Tone schaute alles herauf zu uns, und noch war kaum die zweite Zeile beendet, so hatte auf der Graslehne und im Parke jede Bewegung aufgehört. Ich sah zu den Persern hinüber. Sie waren alle aufgesprungen, wie von der Macht, welche in Tifls Kehle steckte, elektrisiert. Wie reich begabt war dieses »unser Kind«! Und welcher Text war es, der dem Liede unterlag? Folgender:

»Die schönste Blume auf der Welt
Stand morgens an des Nachbars Zelt.
    Da kam der Tag im goldnen Licht
    Und küßte fromm ihr Angesicht.
Kaum glaubte ich dem Sonnenschein:
Das konnte nur ein Märchen sein.

Die schönste Blume auf der Welt
Stand abends an des Nachbars Zelt.
    Da kam die Nacht im Mondeslicht
    Und küßte fromm ihr Angesicht.
Kaum glaubte ich dem Mondenschein:
Das konnte nur ein Märchen sein.

Die schönste Blume auf der Welt
Steht nun bei mir in meinem Zelt.
    Wer kommt nun jetzt mit seinem Licht?
    Wer küßt nun fromm ihr Angesicht?
Wer geht bei uns nun aus und ein?
Das muß erst recht das Märchen sein!«

Das also war ein Liebeslied! Ich lasse es ohne Kommentar, denn es redet seine eigene Sprache!

Als der letzte Ton verklungen war, ertönten von allen Seiten laute Achsant- und Jagadarufe.

»Nun, Effendi, kann ich singen?« fragte er.

»Fast noch besser, als du reiten kannst,« antwortete ich.

»Und waren nicht gleich alle stumm?«

»Alle!«

»Ja; ich singe über alle weg und reite an allen vorbei. Das wirst du sehen, wenn wir Wettrennen haben. Unsere Stute wird die Siegerin sein. Sie steht dort an der Tempelecke.«

»Wie kommt das? Ich denke, Kara ist mit ihr heimgeritten?«

»Ja; aber seine Mutter ist dann auf ihr herübergekommen. Siehst du, daß sie dir winkt?«

Hanneh forderte mich allerdings mit der Hand auf, zu ihr zu kommen. Ich leistete natürlich Folge und erlöste dadurch den Pedehr von der Verpflichtung, bei ihr zu bleiben. Sie ging mit mir nach meiner Ecke, wo wir uns neben einander niedersetzten.

»Hast du schon einmal so herrlich singen gehört wie heute, Sihdi?« fragte sie.

»Wir haben im Abendlande wunderbare Musik und sehr berühmte Sänger und Sängerinnen,« antwortete ich.

»Aber wir nicht. Du kennst doch unsere arabische Musik. Ich habe sie bisher für unvergleichlich gehalten. Aber was ist sie gegen diese hier! Wir schreien, quieken und jammern; das nennen wir singen. Hier aber habe ich zum ersten Male in meinem Leben singen gehört!«

»Wirklich?«

»Ja.«

»Besinne dich, Hanneh!«

»Worauf? Ich weiß nichts.«

»Ich habe im Lager der Haddedihn einige Male deutsche Lieder gesungen, um euch zu zeigen, wie sie klingen. Nun sagst du, du habest nie singen gehört!«

Es machte mir heimlich Spaß, sie in Verlegenheit zu bringen. Sie errötete zwar, war aber doch schnell mit der Antwort da:

»Das hatte ich vergessen. Auch ist es ein Unterschied, ob nur einer singt oder mehrere.«

»Tifl sang auch allein!«

»O, der! Nimm es mir nicht übel, Effendi, aber an den kommst selbst du noch lange nicht. Er selbst ist ein so langer, langer Mensch. Aber seine Stimme ist noch tausendmal länger als er. Sie reicht, so weit das ganze Thal sich dehnt!«

»Es scheint sehr praktisch zu sein, die Stimme nach ihrer Länge zu beurteilen!«

»Natürlich ist das richtig! Thust du das nicht auch? Denke doch, wenn vorhin die beiden Lieder hier im Tempel gesungen wurden! Sie sind aber so lang, daß ich sie noch jetzt in meinen Ohren und in meinem Herzen klingen höre.«

»Wo warst du, als man sang?«

»Halef schlief fest; da brauchte ich nicht ganz in seiner Nähe zu sein. Ich setzte mich an deine Säule, wo ich dich bei unserer Ankunft sah. Da war es plötzlich, als ob sich der Himmel öffne und als ob die heiligen Malaïka ihre Stimmen hören ließen, um Allahs Herrlichkeit zu preisen. Da faltete ich die Hände, denn es war jemand in mir, der beten wollte. Wer es war, das weiß ich nicht; aber ich fühlte es, daß er auch vom Himmel ist. – Was haben dort die Perser mit dem Pferde?«

»Weißt du, warum sie gekommen sind und wie wir sie empfangen haben?«

»Ja. Kara erzählte es mir. Jetzt stehen sie dort bei der ›Sahm‹ des Ustad. Sie sprechen von ihr. Tifl kommt. Sie reden mit ihm. Er thut so stolz. Jetzt lacht er über sie. Sie scheinen sich zu ärgern. Er wird das Pferd gelobt haben; sie aber tadeln es.«

So schien es allerdings zu sein. Sie waren vom Waldesrande herabgekommen, denn sie fühlten wohl das Bedürfnis, nicht so allein für sich zu bleiben. Nun beschäftigten sie sich mit der »Sahm«, deren Verteidiger Tifl machte. Das dauerte längere Zeit. Sie schienen nicht bloß über das Pferd, sondern auch über andere Dinge mit ihm zu sprechen. Dann suchten sie den Pedehr auf, mit welchem sie einige Zeit verhandelten. Es schien wichtig zu sein, denn er schickte einen Boten zu den Aeltesten, um sie zusammenrufen zu lassen. Dann kam er zu mir.

»Effendi, die Dschemma wird gebildet. Ich bitte dich, mit beizuwohnen,« sagte er.

»In welcher Angelegenheit?«

»Der Blutrache wegen. Die Perser wollen fort. Das ist uns lieb. Darum bin ich auf ihren Wunsch, jetzt in Kürze zu verhandeln, eingegangen.«

»An welchem Orte wird es sein?«

»Da oben, wo sie gesessen haben. Bring auch unsere Freundin Hanneh mit.«

»Mich?« fragte sie. »Was hat ein Weib in eurer Dschemma und mit dieser Blutrache zu schaffen?«

»Weil ein Weib, die Frau des Scheikes der Kalhuran, mit in sie verstrickt ist. Wir möchten dich ersuchen, an ihrer Stelle zu sprechen. Kara Ben Nemsi wird sich ihres Mannes annehmen. Unser Ustad wollte es selbst tun; aber weil die Beratung so plötzlich kommt und er fortgegangen ist, um erst gegen Abend wiederzukommen, kann ich ihn nicht damit belästigen.«

Als er fort war, sagte Hanneh:

»Ist das nicht sonderbar, Sihdi, daß man mich zu der Versammlung der Aeltesten ruft?«

»Es ist noch eine viel größere Ehre für dich, als für mich, Hanneh; du kannst stolz auf sie sein!«

»Ich bin es auch. Was sind dieses Dschamikun doch für seltene Menschen! Ich werde für die Frau des Scheikes sprechen, als ob ich sie selbst sei. Ich habe sie gesehen und mit ihr gesprochen. Sie heißt Amineh und soll mit meiner Verteidigung zufrieden sein!«

»Da will ich dir eine wichtige Mitteilung machen, meine liebe Hanneh. Ich halte nämlich diesen Bluträcher nicht für einen Moslem. Wahrscheinlich ist auch sein Sohn keiner gewesen. Es giebt zwei berühmte arabische Rechtslehrer, El Mohekkik und Minhadj, nach deren Aussprüchen man vorkommenden Falles entscheidet. Sie haben beide den Satz aufgestellt: Wenn ein Moslem einen Nichtmoslem tötet, so unterliegt er der Blutrache nicht.«

»O, das ist gut! Ich danke dir, Sihdi!«

»Du bist scharfsinnig. Vielleicht gelingt es dir, herauszubringen, ob er Muhammedaner ist oder nicht.«

»Laß mich nur machen! Werden seine Gefährten auch dabei sein?«

»Nein. Das wäre gegen die Regel.«

»So erlaube, daß ich vorangehe!«

»Wohin?«

»Zu ihm.«

»Aber Hanneh! Warum?«

»Das hörst du später. Er kennt mich nicht und weiß nicht, daß ich bei der Dschemma sein werde.«

Sie stand auf und ging. Dabei zog sie den Burko aus ihrem Ueberwurf und verhüllte mit ihm ihr Gesicht. Ich folgte ihr.

Ghulam el Multasim befand sich wegen der zu erwartenden Verhandlung in Unruhe. Er hatte sich von seinen Gefährten getrennt und war allein, um sich das, was er sagen wollte, zurechtzulegen. Hanneh richtete es so ein, daß sie an ihm vorüberkam. Ich sah, daß sie ihm ein Wort zuwarf. Er antwortete. Sie blieb stehen, nur kurze Zeit, um einige Bemerkungen mit ihm zu wechseln. Dann entfernte sie den Schleier vom Gesicht, nickte ihm zu und entfernte sich. Ich ahnte, warum: sie hatte gesiegt.

Nach einiger Zeit waren die Aeltesten beisammen. Sie setzten sich in einem Kreise nieder, in dessen Mitte der Pedehr sich niederließ. Ich mußte an seiner linken Seite Platz nehmen. Der Bluträcher erschien und stellte sich vor uns auf. Zuletzt kam Hanneh, unverschleiert. Der Pedehr wies ihr ihren Platz an seiner rechten Seite an. Als das der Multasim sah, rief er erstaunt aus:

»Ein Weib? Das kann ich nicht dulden!«

»Diese Frau ist das Weib von Hadschi Halef Omar, des Scheikes der Haddedihn,« entgegnete der Pedehr. »Du mußt es dir gefallen lassen, daß sie für Amineh spricht, die deinen Sohn erschoß! Wenn es dir nicht paßt, so kannst du gehen. In diesem Falle aber hast du auf alles zu verzichten. So will es das Gesetz.«

»Ich bleibe!«

»Nun wohl. So sei die Dschemma hiermit eröffnet. Du hast zunächst deine Anklage mit ihren Beweisen vorzubringen und dann deine Forderungen mit ihren Begründungen zu stellen. Ehe das geschieht, habe ich dich auf etwas aufmerksam zu machen, was für dich von größter Wichtigkeit ist. Wirst du Blut fordern oder den Preis?«

»Blut!« antwortete er, indem er mir einen bezeichnenden Blick zuwarf.

»Du bist persischen Glaubens?«

»Persischen? Ja!«

»So wird deine Blutrache nach schiitischen Gesetzen, und zwar nach den Auslegungen des Khalil behandelt werden müssen. Ich hoffe, daß du rechnen kannst?«

»Beleidige mich nicht!«

»Hast du das Blut berechnet?«

»Blut? Berechnet? Ich verstehe dich nicht.«

»Wie viele Personen sind getötet worden?«

»Eine.«

»Von wie vielen wurde sie getötet?«

»Von zweien.«

»Welchen Geschlechtes waren diese?«

»Ein Mann und ein Weib.«

»Gelten beide in Beziehung auf die Blutrache gleich?«

»Nein, das Weib halb. Was fragst du mich nach so bekannten Dingen!«

»Du wirst es gleich hören. Anderthalb Personen haben eine Person getötet. Nach Khalil gehört also jeder der beiden Täter nur zu drei Vierteilen deiner Rache. Das andere Viertel darfst du nicht berühren. Wenn du es verletzen solltest, bist du selbst der Rache verfallen. Das ist es, was ich dir vorher zu sagen hatte.«

Man sah dem Multasim an, daß ihm diese pfiffige, aber durchaus auf dem Gesetze beruhende Ausführung das Gleichgewicht störte. Solche Bruchteile lassen sich nur dann bezahlen, wenn der Preis, nicht aber Blut gefordert wird. Uebrigens war ich neugierig, ob er unsere unter vier Augen getroffene Verabredung erwähnen werde. That er das, so durfte er sich nicht an den beiden anderen rächen. Forderte er aber deren Blut, so war ich wieder frei. Seine nun zu erwartende Anklage mußte Licht in diese Sache bringen. Er öffnete bereits den Mund, um zu beginnen, da ergriff Hanneh vor ihm das Wort:

»Halt!« sagte sie. »Auch ich habe vorher ein Wort zu sagen. Nämlich nach den Auslegungen von El Mohekkik und Minhadj giebt es keine –«

»Maschallah!« unterbrach sie der Pedehr erstaunt. »Daß du so gelehrt bist, das ahnte ich nicht!«

Sie nickte mir lächelnd zu, antwortete ihm nicht und begann von neuem:

»Nach den Auslegungen von El Mohekkik und Minhadj giebt es keine Blutrache, wenn der Getötete kein Muhammedaner ist. Der tote Muhassil aber war ein Christ.«

»Beweise es!« fuhr der Multasim sie zornig an.

»Bist du, sein Vater, ein Moslem?«

»Ja.«

»Du hast vorhin gesagt, du seist armenischer Christ!«

»Ich scherzte.«

»So hast du dein Leben verwirkt!«

Sie erhob sich, zeigte auf ihn und fuhr im strengsten Tone fort:

»Ich ging vorhin an diesem Lügner vorüber und würdigte ihn, von meinen Lippen gegrüßt zu werden. Er dankte. Ich hatte eine Frage. Er antwortete. Da war ich so höflich, mich zu entschuldigen, daß ich durch den Schleier zu ihm sprechen müsse, weil er kein Dschamiki, sondern ein Moslem sei. Da sagte er, ich brauche das nicht zu thun, denn er sei armenischer Christ. Das war die Wahrheit. Sie entfuhr seiner Unbedachtsamkeit. Als Muhammedaner hat er sich uns jetzt nur vorgelogen!«

Und sich nun direkt zu ihm kehrend, fügte sie hinzu:

»Wähle! Bist du Christ, so giebt es keine Rache. Bist du ein Anhänger des Propheten, so habe ich dir, weil du mich belogst, mein Angesicht gezeigt, und diese Schande schreit nach deinem Blute. Du wirst diesen Berg nicht lebend verlassen. Ich rufe meinen Sohn, der die Ehre seiner Mutter wieder herstellen und dich niederschießen wird wie einen Schakal. Also, wähle!«

Der Multasim war, wie schon einmal gesagt, ein Feigling. Hanneh stand so außerordentlich drohend, und er wußte nicht, daß ihr Sohn jetzt gar nicht hier sei. Die Situation kam ihm bedenklich vor. Das Leben war ihm lieber als die Ehre, und so antwortete er:

»Ob ich Christ oder Muhammedaner bin, das ist jetzt gleich. Ich habe dafür gesorgt, daß mein Sohn gerächt wird. Aber wie ist’s? Wäre ich ein Christ, so hätte ich auf Blut zu verzichten. Ob aber auch auf den Blutpreis? Wer ist so ehrlich, es zu sagen?«

»Wir sind alle ehrlich!« erklärte der Pedehr. »Nicht Blut, aber den Preis hättest du zu bekommen.«

»Wie hoch?«

»Das hätten wir hier zu besprechen. Aber bedenke: Die Peitsche deines Sohnes hat das Blut des Scheikes der Kalhuran vergossen, der ein freier Beduine ist!«

»Dafür hat er sich das Leben meines Sohnes genommen!«

»Aber Peitschenhiebe kosten zweimal so viel wie ein Leben, wenn nicht in Blut bezahlt wird. Wir haben also noch den Preis eines Lebens zu fordern!«

»So fordert es!« lachte der Perser. »Ich verlange als Blutpreis die Stute des Ustad. Das ist so billig, daß ihr selbst euch darüber wundern werdet.«

»Du willst also nicht, daß Leben gegen Leben sich aufhebe?«

»Nein! Und ich biete euch meinen Turkmenen, den ihr alle gesehen habt, als Preis für die Schläge an. Ich hörte, daß bei euch nächstens Wettrennen sei. Wenn wir einig werden, so komme ich. Die beiden Pferde mögen mit einander laufen. Der Sieger rettet das seine und gewinnt das andere dazu.«

Das war ein überraschender Vorschlag. Aber ich durchschaute ihn, obgleich seine Worte friedlich klangen. Er hielt sein Pferd für der Stute überlegen. Er war überzeugt, daß er diese gewinnen werde. Damit wäre dann die Rache beigelegt gewesen, und unsere geheime Abmachung hätte nicht zu gelten. Aber dieser Mensch wollte die Stute haben und auch mich. Das Wettrennen gab ihm Gelegenheit, wiederzukommen, also in meiner Nähe zu sein. Wer weiß, was er plante. Ich hatte vorsichtig zu sein.

Der Pedehr war ein energischer Mann. Er bedachte sich nicht lange. Pferd gegen Pferd, das elektrisierte auch ihn, wie uns alle. Die Stute »Sahm« war zwar nicht sein eigentliches Eigentum; aber er kannte den Ustad, und er kannte noch einen, den er rief. Dieser eine war – Tifl. Als er kam, fragte ihn der Pedehr:

»Hast du dort den turkmenischen Fuchs gesehen?«

»Ja,« antwortete »das Kind«.

»Er soll zum Rennen mit unserer ›Sahm‹ laufen.«

»Darüber wird meine Pekala lachen!«

»Meinst du das wirklich?«

»Ja. Ich lache auch!«

Da fragte der Multasim in höhnischem Tone:

»Ist dieser lächerliche Mensch euer Sachverständiger? Wird etwa er die Stute reiten?«

»Wer sie reitet, ist gleichgültig. Es geht nicht Reiter gegen Reiter, sondern Pferd gegen Pferd!«

Da schien dem Perser ein weiterer Gedanke zu kommen. Er sah eine Weile sinnend vor sich nieder und sagte dann:

»Ich setze jedes Pferd, welches ich mitbringe, gegen jedes Pferd, welches ihr ihm entgegenstellen könnt. Gehst du darauf ein?«

»Welche Bedingung stellst du da?«

»Erstens, daß ihr gezwungen seid, mitzumachen. Und wenn ich euch zehn Pferde brächte, so hättet ihr zehn Pferde gegen sie zu setzen.«

»Und zweitens?«

»Und zweitens verlange ich, daß jedes siegende Pferd das besiegte gewinnt.«

»Du bist sehr kühn!«

»Das sagst du, weil du dich fürchtest. Ich bin meiner Sache so gewiß, daß ich sogar fordern möchte, außer den Pferden auch Kamele stellen zu können.«

Da ging ein leises Lächeln über das Gesicht des Pedehr. Er streifte mich mit einem schnellen, fragenden Blicke, den der Perser nicht bemerkte, und fragte diesen, nachdem ich mit einem ebenso unbemerkten Kopfnicken geantwortet hatte:

»Hast du vielleicht die gefährliche Absicht, uns um unser ganzes Vollblut zu bringen?«

»Ja, die habe ich! Ich werde dafür sorgen, daß euch nie wieder beikommen kann, euch mit der Kavallerie eines Muhassil zu messen! Wenn ihr Mut habt, so schlagt in meine Hand! Wo nicht, so seid ihr mir verächtlich!«

»Deine Verachtung ist dein Eigentum, von welchem dich kein Mensch befreien wird. Du wirst sie also wohl für dich behalten müssen!«

»Brülle, wie du willst, alter Löwe; beißen aber kannst du nicht. Nimmst du die Wette an, so reiße ich dir auch noch die letzten Zähne aus!«

»Ich warne dich, Unvorsichtiger!«

»Und ich lache!«

»So sei es denn! Bring also auch Kamele! Wir halten gegen alles, was du zum Wettlauf bringst. Aber es bleibe so, wie du gesagt hast: Es ist gleichgültig –«

»Wem die Tiere gehören!« fiel da der Multasim schnell ein. »Ihr könnt nicht verlangen, daß ich, der ich in der Stadt wohne und ein einzelner Mann bin, so viel Vieh besitze wie ihr!«

Er ahnte gar nicht, wie willkommen diese neue Bedingung dem Pedehr war. Dieser besaß die Klugheit, ein bedenkliches Gesicht zu zeigen; erklärte aber dann doch:

»Wenn ich hierauf eingehe, so kannst du ja das Vollblut von ganz Persien gegen uns zusammentreiben. Aber es sei! Die Besitzer und Reiter sind gleichgültig. Jedem Tiere, welches ihr bringt, muß von uns ein Gegner gestellt werden. Pferd gegen Pferd; Kamel gegen Kamel! Jedes kann gegen jedes laufen, so oft es dir oder uns gefällt. Und zuletzt die Hauptsache: Der Besiegte geht sofort in den Besitz des Siegers über!«

Da ging über das Gesicht des Multasim ein so triumphierender Ausdruck, als ob er eine schwere Schlacht geschlagen und gewonnen habe. Er hielt dem Pedehr die Hand hin und rief aus:

»Angenommen! Endlich, endlich habe ich euch! Schlag ein!«

»Hier ist sie,« sagte der Pedehr, indem er ihm die seine gab. »Du lachst. Ich lache nicht. Die Sache ist mir ernst. Es steht mehr, viel mehr auf dem Spiele, als du denkst.«

»Wo? Doch nur bei euch!«

»Irre dich nicht! Wir haben zwar nur gesagt Pferd gegen Pferd und Kamel gegen Kamel; aber wer die sind, die sich eigentlich und in Wahrheit hinter diesen Tieren gegenüberstehen, das scheinst du nicht zu wissen!«

»Nicht? Da sage ich dasselbe Wort zu dir: Irre dich nicht! Die Wette ist fertig, denn du bist der Scheik und hast eingeschlagen. Es kann nichts rückgängig gemacht werden, und darum habe ich nicht notwendig, vorsichtig zu schweigen, wenn du mir mit leeren Drohungen und Warnungen, die mich einschüchtern sollen, kommst. Du sagst, ich wisse nicht, wer sich gegenübersteht. Ich weiß es nur zu gut; du aber weißt es nicht. Soll ich es dir etwa sagen?«

»Du stehst ja hier, um zu sprechen. Selbst wenn ich dir das Wort verbieten könnte, würde ich es doch nicht thun.«

»Wohlan; ihr sollt es hören! Aber es genügt mir nicht, es nur euch zu sagen. Ich möchte, daß es jeder Dschamiki zu hören bekomme!«

»Das wird geschehen. Was hier gesprochen wird, erfährt der ganze Stamm.«

»Und ich will, daß meine Gefährten dabei sind, wenn ich spreche. Sie sollen euch die Wahrheit aller meiner Worte bekräftigen.«

»So sei dir erlaubt, sie herbeizurufen, obgleich sie in der Dschemma der Dschamikun nichts zu suchen haben!«

»Ich rufe sie nicht, sondern ich hole sie!«

»Auch das sei dir gestattet!«

»Erlaubt? Gestattet? Du redest ja außerordentlich hoch herunter! Nimm dich in acht! Höre erst, was wir dir sagen werden, und dann schau, ob du noch so hoch da oben stehst!«

Er entfernte sich. Da sahen wir, daß der Ustad wieder auf dem Festplatze angekommen war. Er sah uns hier versammelt und kam langsamen Schrittes zu uns herauf. Der Pedehr berichtete ihm, warum die Dschemma zusammenberufen und was in ihr gesprochen und beschlossen worden war. Er beendete seinen Bericht mit der Entschuldigung:

»Ich hätte dich fragen sollen, ehe ich über die ›Sahm‹ bestimmte. Wir würden in ihr unser bestes Pferd verlieren. Aber ich war überzeugt, deiner Zustimmung gewiß sein zu können.«

»So erleichtere ich dein Gewissen, indem ich dir sage, daß du recht gehandelt hast,« erklärte der Ustad.

»Ich danke dir! Der Multasim wird höchstwahrscheinlich mit den besten Vollblutpferden kommen, die er nur aufzutreiben vermag. Aber er hat in seinem kurzsichtigen Eifer nicht an unsere Gäste gedacht. Mit Assil Ben Rih, Barkh, Ghalib und unserer Sahm müssen wir ja siegen, denn ich zweifle nicht, daß sie mitlaufen dürfen werden.«

Er sah mich bei diesen Worten an. – Darum sagte ich:

»Das versteht sich ganz von selbst. Dschamikun und Haddedihn, diese beiden Namen klingen jetzt zusammen wie ein einziges Wort. Mag der Multasim bringen, was er will; er wird geschlagen werden. Ich kenne unsere Pferde!«

»Und ich meine zwei Hudschuhn!« fügte Hanneh rasch hinzu. »Was die Dschamikun für Kamele besitzen, das weiß ich nicht; aber so schnellfüßig und ausdauernd sie auch sein mögen, sie wurden hier im Gebirge geboren und auferzogen und können also unmöglich das leisten, was jedes meiner echten Bischari-Hudschuhn im Wettlaufe zeigen wird. Ich wette mit ihnen den ganzen Besitz der Haddedihn gegen jeden andern Preis!«

Der Ustad und der Pedehr sahen einander lächelnd an.

»Da hörst du es ja!« sagte der letztere. »Der Tag des Rennens wird noch interessanter werden, als wir zu ahnen vermochten. Der Tag deines Kommens! Auch in dieser Beziehung ein Siegestag für uns. Wir können ruhig sein. Schau hingegen die Perser dort! Wie erregt sie sind! Was ist in sie gefahren? Warum wünschte der Multasim überhaupt, daß sie hören, was er sagen will? Der Umstand, daß die Wette von uns angenommen worden ist, scheint ihn ganz verwandelt zu haben. Man sollte meinen, daß hinter ihr noch ganz andere, verborgene Absichten stecken! Vielleicht sind sie so unvorsichtig, sich zu verraten. Wer sich so benimmt, wie jetzt sie, bei dem ist nichts mehr von Bedachtsamkeit zu suchen.«

Die Perser zeigten jetzt allerdings ein ziemlich auffälliges Benehmen. Ihre bisherige Ruhe und Gemessenheit war verschwunden. Die Gruppe, welche sie bildeten, stand keinen Augenblick still. Die einzelnen Personen sprachen und quirlten durcheinander, als ob die Geister der Besessenen in sie geraten seien, von denen das Evangelium erzählt. Es mußte ein für sie sehr wichtiger Gedanke sein, der sie gar nicht daran denken ließ, daß der Mensch sich in allen Lebenslagen zu beherrschen habe.

Und ihre jetzige war doch eine solche, daß sie sich wohl hätten hüten sollen, sich in dieser Weise auffällig zu benehmen. Noch während sie zu uns kamen, bemerkte man an ihnen nichts von der Besonnenheit, mit welcher die Beisitzenden der Dschemma ihnen entgegenblickten.

Der Ustad hatte sich nicht zu uns gesetzt, sondern sich unter einen nahen Baum gestellt, wo er alles hören konnte. Er schaute in die weite Ferne. Für die Perser hatte er kein Auge.

»Hier sind wir!« begann der Multasim. »Wir haben beschlossen, daß ein anderer euch das sage, was ich euch sagen wollte. Vorher aber habe ich mich nach den Reitern meines Sohnes zu erkundigen. Wo sie sich befinden, das hörte ich von dem langen Menschen, der sich Tifl nennt; aber ich konnte ihm das unmöglich glauben. Darum frage ich jetzt: Wo sind diese Leute?«

»Drüben im hohen Hause,« antwortete der Pedehr.

»Als Gäste?«

»Nein.«

»Als was sonst?«

»Als Gefangene.«

»Wer hat sie gefangen genommen?«

»Ich!«

»Mit welchem Rechte?«

»Mit dem Rechte, welches uns der Schah-in-Schah verlieh: Wer unser Gebiet mit den Waffen in der Hand betritt, ohne unsere Erlaubnis zu besitzen, ist uns verfallen.«

»Wir sind auch bewaffnet!«

»Ich sehe es. Auch ihr habt das Gebot des Beherrschers übertreten, und ich könnte mit euch thun, was mir beliebt. Es wird ganz auf euer weiteres Verhalten und auf meine Entscheidung ankommen, ob ich euch fortreiten oder einsperren lasse.«

»Das wagst du nicht!« rief der Perser aus.

»Ich wage nie etwas, denn es kommt mir niemals bei, irgend etwas Unüberlegtes zu thun. Ich kann euch alles, was ihr bei euch habt, abnehmen. Auch eure Pferde sind von dem Augenblicke, an welchem ihr einen der Pässe dort im Osten hinter euch hattet, unser Eigentum, unsere rechtmäßige Beute. Du siehst, wie gütig wir handelten, indem wir auf die Wette eingingen, durch welche wir uns selbst genötigt haben, etwas, was uns schon so gehört, noch extra zu gewinnen!«

»Hiervon sprechen wir jetzt nicht. Ich besitze dein Wort, und das wirst du nicht brechen!«

»Gewiß nicht! Aber ihr selbst könnt es sehr leicht durch ein unangemessenes Verhalten brechen. Ich warne euch!«

Der Multasim wurde verlegen. Er sah zu seinen Gefährten hinüber, als ob er sich aus ihren Augen neuen Mut holen wolle, und fuhr dann fort:

»Wann giebst du diese Leute wieder frei?«

»Wann es mir gefällt.«

»Ich fordere eine bestimmte Antwort!«

Da schaute der Pedehr ihm mit einem großen, langen Blicke in die Augen und sagte dann:

»Du forderst? Und in diesem Tone? Ich warne dich zum zweitenmal! Weißt du, was das bedeutet? Die dritte Warnung bricht mein Wort. Dann seid auch ihr dem Rechte verfallen, welches euch so außerordentlich verhaßt zu sein scheint. Sprich also höflich, sage ich dir! Du bist nicht hier, um Steuern einzutreiben, sondern wir sind hier versammelt, um euch den Hochmut auszutreiben! Ich behalte diese Leute nicht in unserm Duar. Ich werde sie freigeben, aber genau zu der Zeit und in der Art und Weise, wann und wie es uns gefällt.«

»Und ihr Eigentum?«

»Sie haben keines.«

»Es gehört dem Schah!«

»Das ist nicht wahr. Dein Sohn hat sie ausgerüstet. Sie waren nicht Soldaten, sondern seine feilen Schergen.«

»So gehörte es ihm und jetzt mir, der ich sein Erbe bin!«

»Es gehört den armen Menschen, denen er es abgenommen hat. Ich werde nach ihnen forschen, um es ihnen wiederzugeben. Darauf gebe ich dir auch mein Wort. Und damit ist diese Angelegenheit erledigt!«

Damit hätte sich der Multasim gewiß nicht beruhigt, wenn er nicht gezwungen gewesen wäre, die dritte Warnung zu vermeiden. Er machte eine entschuldigende Handbewegung zu den andern Personen hin und sagte dann, sich wieder zu dem Pedehr wendend:

»Wir beschlossen vorhin, die Gefangenen mit uns zu nehmen, wenn wir fortreiten. Giebst du sie uns mit?«

»Nein.«

»Besinne dich! Giebst du sie uns mit?«

»Nein!«

»Denke an die Folgen! Jetzt sage ich: Ich warne dich! Giebst du sie uns mit?«

»Zum drittenmal: Nein! Nun gut! Es ist bei den Dschamikun nicht gebräuchlich, Raubtiere gegen Menschen loszulassen!«

»So bin ich mit dir fertig. Nun wird ein Anderer sprechen!«

Er wollte diesem Anderen Platz machen; da aber fiel der Pedehr in entschiedenem Tone ein:

»Nicht ohne daß ich es erlaube! Du warst zur Dschemma geladen und durftest also reden.«

»Aber du gabst zu, daß ich meine Gefährten holte!«

»Daß sie zuhören, aber nicht, daß sie sprechen sollten! Ich bin es, der die Dschemma leitet; ich allein habe also zu bestimmen, wer sprechen darf und wer nicht. Befehlen lasse ich mir nichts. Einem höflichen Worte aber wird mein Ohr geöffnet sein.«

»So bitte ich dich, zu erlauben, daß einer meiner Freunde euch das sage, was uns eigentlich hierher zu euch geführt hat.«

»Die Blutrache.«

»Nein. Sie kam hinzu. Die eigentliche Ursache, daß wir zu euch wollten, ist eine andere. Unser Weg führte uns durch das Gebiet der Kalhuran. Ich schlug grad diesen ein, um meinen Sohn mit aufzusuchen. Ich fand nur seine Leiche, wenige Stunden, nachdem er ermordet worden war. So bin ich also auch als Bluträcher da. Die eigentliche Ursache werdet ihr von diesem Mirza hören, dessen Worte bei uns als Befehle gelten.«

»Wie heißt er?«

»Ahriman Mirza.«

»Den kennen wir nicht.«

»Ich weiß es, aber ihr werdet ihn kennen lernen. Er ist von kaiserlichem Geblüt, und seine Macht geht über das ganze Reich.«

»Wie kommt es da, daß wir uns seines Namens nicht erinnern. Seine Abstammung gilt hier im Lande der Dschamikun nicht mehr, als der Stammbaum jedes anderen Unterthanen des Beherrschers. Er steht nicht höher, als ich stehe und als auch unser Tifl steht, über den du spottetest. Sein Wort hat keinen größeren Wert, als jedes andere Wort, welches von uns in Erwägung gezogen wird. So mag er denn vortreten und sprechen.

Wir werden ihn hören und ihm dann die Antwort geben, welche wir für die richtige halten.«

Da trat der Multasim zurück und der Andere vor. Ich hatte bisher nicht auf die Einzelnen, also auch nicht auf ihn geachtet. Jetzt sah ich ihn genau an.

Was zunächst seinen Anzug betrifft, so bestand dieser aus roten Schnürstiefeln mit goldenen Zügen, einer ebenso roten, weiten, persischen Hose, vorn und an den Seiten mit breiten, auffallend reichen Goldstickereien versehen, einer roten, mit silbernen Tressen fast ganz bedeckten, langen Weste, einer braunen Ueberjacke mit eng aneinanderstehenden Knöpfen, deren Brillantsteine doch ganz unmöglich echt sein konnten, und weit herabfallenden, orientalischen Schlappärmeln, kostbar rotseiden unterfüttert, und einer Lammfellmütze jener seltenen Art, welche von ungeborenen, lebendig aus der Mutter geschnittenen Lämmern stammt. Sie hatte vorn eine Agraffe, deren Diamant, wenn er nicht Bergkrystall gewesen wäre, gewiß ein Fürstentum gekostet hätte. Waren die Tressen und Stickereien vielleicht auch nicht echt? Um das bestimmen zu können, mußte man sie genauer betrachten, als jetzt möglich war.

Dieser Mann hing fast ganz voller Waffen. Es giebt ja Charaktere, welche schon durch den Anblick einer so überschwenglichen Arminierung imponieren wollen. Ein gebogener Säbel und eine breite, federnde Tigerklinge an der Seite. Im strotzenden Gürtel ein Messer, einige Dolche und mehrere Pistolen. Querüber von der linken Schulter nach der rechten Hüfte ein gefüllter Patronengürtel. In der Hand eine fast übermäßig lange, orientalische Flinte mit rotgelb glänzendem Bronzelauf. Die Schäfte, Griffe und Scheiden dieser Waffen brillierten in blitzenden Facetten. Selbst der Handknauf der tief in das Fleisch schneidenden, stahlharten Krokodilhautpeitsche, welche zum handlichen Gebrauche neben dem Säbel hing, flimmerte blutigrot, als ob er aus lauter dunklen Rubinen zusammengesetzt sei.

Und nun die Person selbst:

Habe ich jemals einen schönen Mann gesehen, so war es dieser hier! Hoch und schlank gewachsen, doch stark und voll gebaut, ließ der edel geformte Körper ungewöhnliche Kraft und große Gewandtheit ahnen. Und dieser Kopf! Er kam mir bekannt vor. Ich besann mich. Ich hatte einmal ein Bild gesehen: Loki mit dem herrlichen Heimdall um Friggas Halsband kämpfend. Der Künstler hatte es verstanden, dem Kopfe und den Zügen Lokis jene dämonisch verführende Schönheit zu geben, welche Seligkeit verspricht und doch aber nur Verderben giebt. Und nun ich diesen Ahriman Mirza vor mir stehen sah, war es mir, als ob er jenem Maler als Modell gesessen haben müsse. Ganz besonders deutlich war ihm die Ueberzeugung anzusehen, daß er ein schöner Mann sei, dem niemand widerstehen könne. Aber das »Licht« seiner Augen stand nicht gerade, sondern schief; das willensstarke Kinn zog das Lächeln des Mundes nieder, und die begehrlichen, zum Hohne geneigten Lippen waren voller und breiter, als sich mit dem übrigen Gesicht vertrug.

Und seine Stimme! Kraftvoll und wohllautend, der feinsten Schattierung, der unwiderstehlichsten Ueberredung fähig. Aber plötzlich zischend scharf, schrill, widerlich rauh. Es war die Stimme eines Verführers unter zweien, aber auch eines grausamen Kommandanten unter vielen!

Als er stolz und hochaufgerichtet vor uns stand und aller Augen auf sich ruhen sah, zog er einen der Dolche aus dem Gürtel und steckte ihn vor sich in die Erde. Ich wußte sehr wohl, was das bedeutete, schnellte mich aber doch, der augenblicklichen Eingebung folgend, hin zu ihm und zog den Dolch wieder heraus, um ihn zu betrachten. Sofort riß er ein Pistol hervor und richtete es auf mich. Der Hahn knackte.

»Du nimmst den Kampf auf?« fragte er drohend.

»Nein,« antwortete ich.

Wir sahen einander in die Augen. Es war mir, als ob wir noch öfters so vor einander stehen würden. In den seinen lag der Haß sprungbereit. Mein Blick war kalt; er verriet mich nicht. Da ließ er die Waffe sinken, nahm die verächtlichste Miene an, die ich jemals gesehen habe, und sagte:

»Ich weiß, du bist jener Dschermane, der mit dem Scheik der Haddedihn im Orient spionieren geht! Aber du kennst ihn nicht. Du kennst nicht einmal seine bekanntesten Gebräuche. Wenn ein Feind zum Feinde kommt, um mit ihm zu reden, so sticht er die Klinge seines Messers in die Erde, um anzudeuten, daß die Feindschaft ruht, so lange gesprochen wird. Dasselbe meinte auch ich. Du Unerfahrener hast mich nicht verstanden. Ich konnte dich niederschießen, wenn ich wollte. Ich habe dich aber begnadigt. Doch nicht auf lange Zeit. Sofort wieder in die Erde mit dem Chandschar! Sonst schieße ich!«

Ich bückte mich und steckte ihn genau an seine vorige Stelle. Ich hatte gesehen, wovon ich mich hatte überzeugen wollen. Dieser Dolch glich auf das Haar dem Chandschar, den ich in Amerika damals von Mirza Dschafar als Geschenk bekommen hatte. Beide mußten unbedingt aus der Hand eines und desselben Waffenschmiedes hervorgegangen sein. Zwischen beiden mußte es irgend eine innige Beziehung geben, die ich aber nicht kannte. Und zwischen meinem Freunde Dschafar und diesem Ahriman Mirza, mußte irgend ein Verhältnis liegen, von dem ich jetzt, in diesem Augenblicke, zu ahnen wagte, daß es für mich von der schwerwiegendsten Bedeutung sei. Es verstand sich ganz von selbst, daß der Perser nicht erfahren durfte, weshalb ich nach dem Messer gegriffen hatte. Mochte er mich immerhin für einen unerfahrenen Menschen halten! Es gewährt ja stets nur Vorteil, vom Feinde unterschätzt zu werden.

Als das Messer wieder an seinem Platze war, erklang die Stimme des Persers höhnisch:

»Ein Glück für dich, daß du mir gehorchst! Wahrscheinlich wirst du dich noch oft so voller Angst, wie jetzt, zu fügen haben!«

Ich gestehe, daß es mich bedeutende Selbstüberwindung kostete, ihm nicht in das vom Spotte so schnell verunschönte Gesicht zu lachen. Aber um der anwesenden Dschamikun willen war ich gezwungen, doch wenigstens eine Antwort zu geben, und so sagte ich in ruhigem Tone:

»Ich habe nicht dir, sondern dem Gebrauche gehorcht. Ist dieser Chandschar dein Eigentum?«

»Wem sollte er sonst gehören!«

»Und kennst du ihn?«

»Frag nicht so thöricht!«

»Ist der ein Thor, der an Märchen glaubt?«

»Wird vielleicht in ›Tausend und eine Nacht‹ von diesem Chandschar erzählt?« lachte er übermütig auf.

»Nein. Aber in ›Tausend und ein Tag‹ ist von einem ähnlichen die Rede, der niemals tötet, obgleich jeder Stich

durch Leib und Seele geht. Der deinige ist es nicht. Das habe ich gesehen.«

»Das glaube ich wohl! Er ist kein Märchendolch. Sieh zu, daß du seine Schärfe nicht vielleicht einmal kennen lernst!«

Ich kehrte an meinen Platz zurück. Der ganze Vorgang war den Dschamikun ein Rätsel. Hanneh sah mich fragend an. Sie kannte mich und ahnte also, daß ich nicht ohne guten Grund gehandelt hatte. Der Ustad lehnte am Stamme des Baumes und sah nicht her. Er kannte meinen Chandschar. Hatte er den des Persers gesehen? Wenn ja, so aber wohl nicht deutlich. Aber er mußte sich doch einen Grund denken, daß ich nach dem Dolche gegriffen hatte! Sein Gesicht war still. Es verriet kein Wort von dem, was er sich dachte.

Nun, nachdem diese kleine, unerwartete Scene vorüber war, begann Ahriman Mirza zu sprechen. Er sah uns dabei nicht an. Auch er schaute hinaus in das Weite. Giebt es jenseits des Horizontes Punkte, an denen Gedanken zusammentreffen können oder gar zusammentreffen müssen? In welcher Ferne lag da wohl die Stelle, an der sich beides zu vereinen hatte: Das, was der Ustad dachte, und das, was der Mirza sprach? Das letztere klang, als ob er es sich selbst schon tausendmal vorgesprochen habe und auch noch tausendmal vorsprechen werde. Er konnte es auswendig, wie die Engel ihr Halleluja singen und die Teufel ihr Dschehenna brüllen. Er sagte:

»Unser Reich lag in Frieden. Der Schah-in-Schah herrschte, und wir thaten, was uns beliebte. Der Schah war streng, und wir waren noch strenger als er. Wir standen uns gut dabei. Das Volk gehorchte uns mehr als ihm, denn es sah uns, ihn aber nicht. Es wohnten nur Wenige in der Nähe seines Thrones. Wir setzten seine Diener in ihre Aemter und geboten ihnen, wie sie ihm zu dienen hätten. Sie ehrten ihn in Worten, uns in Werken. Dabei dachte das Volk, daß es glücklich sei. Da kamen fremde Menschen, mit ihrer längst vergessenen, vergrabenen Lehre von der Liebe. Sie erzählten von Isa Ben Marryam, der zwar gestorben, doch wieder auferstanden sei. Sie sprachen nichts als nur von Frieden und Versöhnung, von Gnade und Barmherzigkeit. Sie zogen predigend durch das Land und kamen auch zu uns, um uns, wie sie sagten, zu bekehren. Schon glaubten wir, daß sie Propheten seien, die uns durch die Macht ihrer Liebe zwingen würden, den Platz zu räumen und dem Volke den Weg zum Herrscher freizugeben. Da schauten wir sie uns an. Wir verglichen ihre Worte mit ihren Werken. Wir sahen, für wen die Worte, und für wen die Werke waren. Wir wurden wieder ruhig, denn sie glichen uns. Sie hatten nichts in das Land gebracht, als nur einen andern Namen. Sie hatten unsere Strenge in ihre Liebe umgetauft. Sie sprachen vom Frieden und bekämpften einander selbst. Sie lehrten die Versöhnlichkeit und entzweiten sich untereinander doch immer mehr. Sie predigten von der Gnade, verziehen einander aber nie. Sie verkündeten Barmherzigkeit und versagten einander des allerärmsten Bettlers Brot. Da sahen wir Strengen einander an, lachten und sagten: ›Das sind Leute, die wir brauchen können! Ihre Lehre ist uns ungefährlich. Nach ihren Worten zwar hat Isa Ben Marryam die Welt erlöst; nach ihren Thaten aber kann er kein Erlöser sein, da er nun schon seit zweitausend Jahren als Heiland bei und in ihnen lebt, ohne ihren gegenseitigen Haß in Liebe verwandeln zu können!‹ So sagten wir und ließen sie uns ruhig dienen, wie uns noch niemand gedient hatte. Unsere Herrschaft war von ihnen nicht erschüttert sondern nur befestigt worden. Ja, wir konnten nur wünschen, daß diese Religion des in der Liebe versteckten Hasses ewig dauern möge, denn da war in alle Unendlichkeit hinein der Schah-in-Schah nur dem Namen nach ein Herrscher, die Macht aber hatten wir!«

Als Ahriman Mirza so weit gekommen war, hielt er inne. Er schaute zu dem Ustad hinüber, in dessen Gesicht sich eine auffällige Veränderung vollzogen hatte. Der Herr des »Hohen Hauses« hatte seinen Blick aus der Ferne zurückkehren lassen. Seine Hände lagen jetzt gefaltet ineinander. Betete er? Wenn er es that, so konnte es nur ein Gebet des Dankes sein, welches er still und unhörbar zum Himmel sandte, denn seine ehrwürdigen und doch so jugendlichen Züge wurden von dem Ausdrucke einer Freude verklärt, die sich auf keinen irdischen Gegenstand beziehen konnte. War ihm dort, wohin er geschaut hatte, ein Blick in jene Welt geöffnet worden, in welcher tausend Jahre sind wie eine kurze Erdenstunde? War ihm dort die Erkenntnis aufgegangen, daß in den beiden schnell verflogenen Erdenstunden, welche seit Christi Kreuzestod verflossen sind, doch auch noch Anderes geschehen ist, als Ahriman Mirza zu erwähnen für gut befand? Fast schien es so, denn indem er jetzt seine Hände trennte, hob er erst den einen und dann den andern Arm empor, breitete beide aus, als ob er das ganze Thal seiner geliebten, treuen Dschamikun mit allem, was darüber draußen lag, umfassen wolle, um es segnend an das Herz zu drücken, und sprach:

»Und doch und doch wird einst die Zeit erscheinen, in der alle irdische Kreatur erkennen muß, daß Isa Ben Marryam im Geist und in der Wahrheit ihr Erlöser ist! Er ging voran. Wir haben ihm zu folgen. Ihm war die Nächstenliebe gleich der Gottesliebe. Wer auch nur einen einzigen Stein aufhebt, um seinen Bruder mit ihm zu treffen, der steinigt seine eigene Seligkeit und wird gerichtet werden! Ben Marryam nahm den reuigen Verbrecher vom Pfahl des Kreuzes weg mit sich in Chodehs Paradies. Nur wer sein Kreuz auf sich genommen hat, um, was er that, zu büßen, wird, wenn er stirbt, des Heilandes Worte hören: ›Wahrlich, ich sage dir, du wirst noch heute mit mir in meinem Himmel sein!‹ Ben Marryam war so göttlich groß, daß er sogar die Teufel liebte. Er fuhr zu ihnen nieder in die Hölle, um sie zum Thore jener Zeit zurückzuführen, in der sie Chodehs gute Engel waren –«

Bis hierher hatte Ahriman Mirza den Ustad mit seinen Worten kommen lassen. Jetzt aber glühten seine Blicke zornig auf wie Funken, die aus dunkeln Kohlen sprühen. Sein diabolisch schönes Gesicht verzerrte sich zur Häßlichkeit, und kreischend, scharf und schrill klang seine Stimme:

»Aber die Teufel lachten über ihn und seine selige Zeit! Sein hoher Schah-in-Schah lebt in der Menschheit Worten, doch nicht in ihren Thaten. Wer ist der wahre Herr der Erdenwelt? Der, den ihr Satan nennt! Das Himmelreich des Einen wird ihr nur immerfort verheißen; das Reich des Andern aber ist schon da! Der Eine thront in ewiger Himmelsliebe, die aber hier auf Erden unaufhörlich haßt. Mit ihrer Ewigkeit ist es also schon längst vorbei. Der Andre thront in diesem ihrem Hasse, der wahrhaft ewig ist, weil er ja niemals liebt. Sein Reich wird folglich nie zu Ende gehen! Nun öffne, Ustad, deinen weisen Mund, und sag mir: Wer vertauscht die mächtige Wirklichkeit mit einem leeren Schein, der nichts vermag, als Thoren zu betrügen? Man sagt von deinem Isa Ben Marryam, es sei der Teufel einst zu ihm getreten und habe ihn versucht. Was für ein Teufel ist das wohl gewesen? Der Hölle ist er sicher unbekannt. Wenn sie den Heiland aller Welt versucht, versucht sie ihn nicht so, wie jeden kleinen Menschen. Sie läßt sein Evangelium sich zeigen und blättert nach, was es enthalten mag. Wenn sie sodann auf jeder, jeder Seite das gleißnerische Wort der Liebe liest, von der sie weiß, daß sie kein einziges Menschenkind, viel weniger die ganze Welt erfüllen kann, wen wird sie da wohl prüfen? Ben Marryam in öder Felsenwüste, wo es nichts giebt, was ihn verführen könnte? Ben Marryam auf hoher Tempelzinne, wo ihn der Menschen Bosheit nicht berührt? Ben Marryam auf einsamer Bergesspitze, von welcher aus sie ihm wohl ihr Reich, doch er nicht ihr das seine zeigen kann? So thöricht ist sie nicht! Aber sie wird alle ihre Teufel senden, um auf Erden nachzuschauen, ob sich irgendwo ein Mensch befindet, der nicht mit den andern Schäflein auf des Hasses Weide geht! An diesen wird sie sich, zunächst in ihrer verführerischesten und dann, wenn dies nichts fruchtet, in ihrer abschreckendsten Gestalt zu hängen wissen, um ihn entweder zur Herde zurückzulocken oder durch den Haß zum Gegenhaß, zur Rache zu verführen. Wo wäre der Mensch, der ihr widerstehen könnte? Ich will ihn sehen!«

Er sah den Ustad auffordernd an, doch dieser antwortete nicht. Da fuhr er fort:

»Zeige mir den ganz Unmöglichen, Undenkbaren, den ich als Mensch vernichten will und der, in diese Vernichtung stürzend, kein Wort des Fluches, sondern Segen für mich hat! Zeige mir ihn, so sei alles, alles sein, was ich besitze, und mein Herz mit allem Haß dazu, den er zur Liebe wandeln möge! Zeige mir ihn, den es nie gegeben hat und niemals geben wird, den aus dem Himmel einst Verschollenen, der plötzlich, unerwartet, mitten in der Hölle unter Teufeln sitzt und für die betet, die ihn da hinabgerissen haben! Ich will ihm die Macht und Gewalt über alle diese Teufel geben, damit er sie bekehre und die Hölle ein Beit-y-Chodeh werde, unendlich größer und unendlich herrlicher als das, welches hier vor unsern Augen steht! Zeige ihn mir, so bin ich dein! Wo nicht, so bist du aber mir mit allen deinen Dschamikun verfallen!«

Er trat einige Schritte vor, bis fast an den Ring, den die Aeltesten bildeten. Die halb geballte Faust emporgehoben, schaute er den Ustad mit einem so herausfordernden Blicke an, als ob er wirklich über eine Hölle mit allen ihren Teufeln zu gebieten habe.

Was hatte ich über diesen Mann zu denken? War er ein Besessener? Oder litt er an einer Monomanie, die ihn um die Kenntnis seiner selbst gebracht hatte? Ahriman Mirza! Hieß er wirklich so, oder wurde er nur so genannt? Welcher Vater giebt seinem Sohne den Namen Ahriman! Wie hatte ich ihn zu nehmen? Ernst oder lächerlich? Ich sah die Dschamikun einen nach dem andern an. Auf ihren Gesichtern war nichts zu lesen. Aber der Ustad?

Dieser wendete sich dem Perser zu. Sein Gesicht zeigte die mildstrahlende Güte, in welcher er vorhin zu mir an den Tisch gekommen war. Er sprach zu ihm, und zwar ganz so herzlich, wie dort zu mir. Und wie erstaunte ich, als er mit Worten begann, die ich als einen augenblicklichen Einfall von mir, also als mein geistiges Eigentum betrachten mußte! Er sagte:

»In den Märchen von ›Tausend und ein Tag‹ wird folgendes erzählt: Es war am Tag, an welchem die Erlösung suchen ging. Sie klopfte an an allen, allen Erdenpforten. Doch als sie sagte, wer sie ausgesandt, da fand sie keine Thür, die ihr geöffnet wurde. Da ging sie trauernd weiter, bis zum tiefsten Schlund, in welchem die verdammten Geister wohnen. Sie setzte sich an seinem Rande hin und weinte über Chodehs Menschenkinder. Es floß der Thränen still vergoss’ne Flut. Wohin? Der Schmerz weint bei geschloss’nen Augen. Sie sah es nicht! Doch als sie dann die nassen Lider hob, da kam es aus dem Dunkel hell emporgestiegen. Wer waren sie, die engelslicht und rein an ihr, der Trauernden, vorüberschwebten und, leuchtend wie der letzte Sonnenstrahl, der Abschied nahm, im Abendrot verschwanden? Da kam er selbst, von Chodeh einst verbannt, der sich erkühnt, dem Himmelsherrn zu gleichen! Er stand vor ihr, sah lange stumm sie an und breitete dann seine starken Schwingen. ›Gieb mir die Hand!‹ sprach er. ›Ich trage dich im Abendrot zurück zur Morgenröte. Was keiner Himmelsliebe möglich war, hast du erreicht durch deine Erdenthränen. Wenn die Erlösung um die Menschen weint, so muß sogar das Herz der Hölle brechen. Ich war der Erste aller Kreatur. Ich war der erste, der den Herrn betrübte. Nun will ich auch der Allererste sein, der reuig wiederkehrt mit der Erlösung!‹ Er schaute ätherwärts. Da kam der Abendstern. Süß dufteten ringsum die Nachtviolen. Da schloß der Abgrund sich. Der Himmel that sich auf. Und mit dem Duft der Blumen schwanden Beide.«

Ahriman Mirza war Wort für Wort dem Märchen mit immer wachsender Spannung gefolgt. Jetzt zischte er in sich überstürzender Weise dem Ustad zornig zu:

»Was soll das sein? Was willst du mir mit diesem Märchen sagen? Wo hast du es her? Sind es deine eigenen Gedanken? Von diesen ›Tausend und ein Tag‹ hörte man noch nichts! Du willst mir entgehen, indem du dich hinter alte, mythenhafte oder neue, selbstersonnene Lügen versteckst. Gieb mir Antwort auf das, was du von mir hörtest! Ich sagte: Zeige mir einen solchen Unmöglichen, Undenkbaren, so bin ich dein. Wo nicht, so bist du aber mir mit allen deinen Dschamikun verfallen! Du weißt nicht, was euch droht. Ich bin gekommen, euch zu vernichten!«

Da kam der Ustad langsamen Schrittes herbei, trat in den Kreis, sah mitleidig auf ihn hernieder und antwortete:

»Du armer, armer Mann! Deine Macht mag noch so groß sein; die Allmacht aber, gegen welche du dich aufbäumst, ist doch noch größer! Hast du nicht zugestanden, daß du alles, alles geben würdest, selbst dein Herz mit seinem ganzen Hasse, wenn du einen einzigen wahrhaft Liebenden fändest? Du hast am falschen Ort gesucht. Suche an der rechten Stelle! Denn daß du überhaupt suchst, das hast du mit diesen deinen Worten zugegeben. Und man sucht doch nichts, ohne daß man es begehrt und es zu haben wünscht. Du willst uns vernichten? Wohl durch deinen Haß? Ich aber sage dir, daß ich es bin, der dich vernichten wird! Und zwar durch meine Liebe, indem ich dich segne! Du wirst von diesem meinem Segen aufgezehrt werden, so aufgezehrt, daß nichts mehr von dir übrig bleibt. Und doch zu gleicher Zeit wirst du in diesem meinem Segen erstehen und wachsen zu einem neuen, wunderbaren Leben. Ich gebe ihn dir, den Segen, der dich ganz und voll erneuern wird!«

Bei diesen Worten legte er ihm die beiden Hände auf die Schultern. Der Perser aber fuhr vor ihm wie vor einer Natter zurück und rief aus:

»Ich mag ihn nicht! Ich schüttele ihn ab! Dein Segen ist ein Fluch für mich!«

»Ich habe ihn dir gegeben, und er bleibt! Du bist ihm verfallen und der Liebe, die dich verfolgen wird, bis du vor ihr zusammenbrichst!«

Da lachte Ahriman Mirza in schallendem Hohne auf und antwortete:

»Du sprichst so kindisch und zugleich so altersschwach, wie eure sogenannte Frömmigkeit ja stets zu reden pflegt! Sie ist die alt und schwach gewordene, lächerliche Tante aller der augenverdrehenden Seelen, welche so gern die Hände auflegen, um ihre Bettlerarmut und Begehrlichkeit hinter dem nur allzu durchsichtigen Schleier des sogenannten Segens zu verbergen. Hast du schon einmal einen Menschen gesehen, der dir seinen Segen umsonst gegeben hat? Was hast du bezahlen müssen, bevor oder nachdem du ihn bekamst? Wer sind die von Himmelsgaben strotzenden Millionäre, welche zu segnen wagen? Untersuche ihre Taschen, um darin noch weniger als nichts zu finden. So stehst auch du vor mir in deiner ganzen, armseligen Bettelhaftigkeit! Was giebst du mir? Ein leeres Wort, welches dich nichts kostet! Und was forderst du dafür? Mich selbst mit allem, was ich bin und was ich habe. Ja, nicht nur das! Du verlangst auch gar noch das, was ich durch diesen Segen zu werden habe! Du siehst es jetzt an dir: euer Himmel giebt nur Worte und läßt sie sich mit dem vollen Inhalte einer ganzen Zeit und Ewigkeit bezahlen. Die Hölle aber giebt, giebt und giebt ohne Unterlaß. Sie teilt die ganze Fülle der Glückseligkeit an den durch euch verarmten Menschen aus und will nichts, nichts von ihm dafür, als daß er sie genieße! Sag, bist du vielleicht schon so tief in eure Lügenhaftigkeit versunken, daß du es wagen kannst, dies leugnen zu wollen?«

Da wich die bisherige Milde aus dem Gesichte des Ustad. Sein Gesicht wurde tiefernst, und sein Auge richtete sich auf den Perser, als ob der Blick desselben alle Bestandteile seines Leibes und seiner Seele aufzulösen vermöge.

»Du stehst weit, weit jenseits jener Grenze, an welcher das Geschöpf zum Teufel wird!« sagte er. »Deine Gedanken besitzen die betrügerische Geschmeidigkeit der Hölle. Wollte ich dich mit Worten schlagen, so müßte ich mit ihnen zu dir hinab in die Dschehenna steigen. Aber ich verzichte auf das Wort, denn ich weiß, daß dich deine eigene That zerschmettern wird! Im heiligsten der Bücher steht geschrieben, daß die Menschen sich von der Weisheit Chodehs nicht überzeugen und von seiner Gerechtigkeit nicht strafen lassen. Und in den Büchern der Geschichte ist zu lesen, daß sie seine Güte verachten und keine Nächstenliebe haben. Sie sind hartnäckiger als die Teufel, welche sich vom Geiste Chodehs strafen ließen und sich selbst in der Hölle die gegenseitige Hilfe nicht versagen. Was die nicht thun, die ihr Menschen nennt, das thaten die, welchen ihr den Namen Teufel gebt: Sie nahmen das Kreuz auf sich, welches die Folge ihres Sündenfalles war. Nun sollen sie auch die Ersten vor allen Andern sein, die sich der göttlichen Macht der Gnade fügen. Wenn der Himmel über die Hartherzigkeit seiner Erdenkinder weint, werden die Thränen der Erlösung an ihnen vorüber in die Hölle träufeln. Dann wird aus dieser Thränenflut ein Jubel sich erheben. Die Tiefe wird zur Höhe, die Dunkelheit zum Lichte, der Fluch zum Segen aufwärts steigen. Und wer ist der, der dann sich aus dem Abgrund heben wird, um der Erlösung stumm ins Auge zu schauen? Der ihr dann sagt, daß er in Reue wiederkehren wolle? Das wirst du sein, Ahriman Mirza, du selbst, der hier vor meinen Augen steht! Und wenn sich hinter dir die Hölle schließt und vor und über dir der ganze Himmel öffnet, so wirst du selbst, du selbst die Antwort sein, die er dir giebt auf das, was heut die Hölle hier durch deinen Mund gefragt! – Nun habe ich dir weiter nichts zu sagen. Was du noch vorzubringen hast, das ist der Andern Sache. Ich überlasse dich dem Scheik der Dschamikun!«

Er verließ den Kreis, in welchem er mitten unter uns gestanden hatte, und schritt die grüne Alm hinab, dem Tempel zu. Der Perser verschränkte die Arme über der Brust, warf den stolzen Kopf zurück und schaute ihm nach, bis er hinter dem Rosengebüsch verschwunden war. Dann sagte er in schneidender Ironie:

»Ein alter Mann, der nicht mehr denken kann und darum nur noch lieben will, weil er sich ohne Liebe hilflos fühlt! Wie stolz könnt ihr auf diesen Schwächling sein, der für die Faust, die ich gegen euch ballen werde, nicht eine mutige Antwort, sondern nur die von der Angst geöffnete Hand des Segens hat! Mit welchem Rechte hat er überhaupt gesprochen? Ist er ein Dschamiki? Bei euch geboren? Er scheint nicht zur Dschemma zu gehören. Er verwies mich auf den Scheik. Warum hat er meine Rede unterbrochen? Ich sprach zur Dschemma, aber nicht für Andere. Ich wollte euch sagen, weshalb wir eigentlich hierher zu euch gekommen sind.«

Da antwortete der Pedehr:

»Was du da fragst, geht keinen Fremden an. Wurdest du unterbrochen, so sprich jetzt weiter. Aber fasse dich kurz! Es ist nur Gefälligkeit von uns, daß wir dir überhaupt Gehör schenken!«

»Welche Güte!« lachte er. »Ich danke euch!«

Er ließ seine Gestalt eine höchst nachlässige, mißachtende Haltung annehmen und fuhr dann fort:

»Ich erzählte von jenen Anhängern Isa Ben Marryams, welche wir, als sie kamen, für Feinde hielten und dann aber ganz im Gegenteile als unsere allerbesten und brauchbarsten Helfer anerkannten. In ihrer inneren Zerrissenheit sorgen sie ja selbst dafür, daß sie uns nie beherrschen können werden. Der Raum zwischen dem Schah-in-Schah und seinem Volke wird von uns und ihnen ausgefüllt. Wer bei dem Herrscher etwas erreichen will, der hat sich an uns zu wenden. So war es stets, und so muß es immer bleiben! Aber da hörten wir vor einiger Zeit, daß ein Mann beim Schah-in-Schah gewesen sei, ohne uns vorher zu fragen, und daß er einen Stamm regiere, dessen Angelegenheiten alle direkt zwischen ihm und dem Schah-in-Schah entschieden werden, ohne daß man uns Beachtung schenkt. Ja, wir erfuhren sogar, daß jeder Mensch, der diesem Stamme angehört, sich selbst persönlich an den Herrscher wenden könne. Wir erkundigten uns. Es war der Stamm der Dschamikun. Der Mann aber, der sich erdreistet hat, in solcher Weise uns unserer heilig gewordenen Rechte zu berauben, ist nicht etwa ein Dschamiki, sondern ein vollständig Landfremder, von dessen Herkommen niemand etwas weiß. Auch er spricht von Isa Ben Marryam. Auch er redet, ganz wie jene Vorherigen, von Frieden und Versöhnung, von Gnade und Barmherzigkeit. Darum mußten wir ihn für ebenso uns nützlich wie die Andern halten, so lange wir nichts näheres erfuhren. Da aber verbreitete sich das Gerücht, daß die Dschamikun eine große Schar der Massaban gefangen genommen und nach Teheran abgeliefert hätten. Diese Massaban gehören zu uns. Sie bilden zwar keinen Stamm für sich, stehen aber unter unserm ganz besondern Schutze. Auf den Vorschlag eures Ustad hat der Schah-in-Schah, ganz ohne sich vorher bei uns zu erkundigen, diese Massaban nach den Fiebergegenden verbannt, die einer Hölle gleichen. Da wir übergangen worden sind, ist es uns nicht möglich gewesen, dies zu verhindern. Durch diese unerhörte, eigenmächtige That eures Ustad habt ihr euch verraten. Wir haben euch erkannt. Könnt ihr leugnen, daß es wahr ist, was ich erzähle?«

»Leugnen?« antwortete der Pedehr. »Bei den Dschamikun darf die Lüge nicht wagen, sich einzuschleichen. Und sollte sie sich etwa offen zeigen, so offen, wie heut ihr zu uns gekommen seid, so würde sie genau so weichen müssen, wie ihr am Schlusse des Rennens beschämt abzuziehen haben werdet.«

»Das Rennen warte ab!« fuhr der Perser auf. »Wir verfügen über Pferde von so adeligem Blute, wie –«

Da fiel der Pedehr schnell ein:

»Von so adeligem Blute, wie eure Freunde, die Massaban, besitzen, die Mörder, Räuber und Diebe sind, von denen wir das Land befreien mußten! Jetzt sage ich dir, was du uns soeben sagtest: Durch diese Freundschaft habt ihr euch verraten. Wir haben euch erkannt! Ihr seid noch größere Massaban als die, welche der Schah-in-Schah nach der Hölle des Südens schickte! Nehmt euch in acht, daß ihr ihnen nicht zu folgen habt!«

»Scheik –! Drohst du uns?!« erklang es schnell und giftig.

»Ja!« antwortete er. »Der Ustad hatte für dich und euch nur Liebe. Er kann nichts anderes haben. Du lachtest über seine offene Hand des Segens, welche er deiner Faust entgegenhielt. Du nanntest ihn furchtsam, einen Schwächling. So wisse denn: Die geballte Faust, die du von ihm erwartet zu haben scheinst, wird sich dir sicher zeigen, sobald er es für nötig hält! Ich bin diese Faust! Wenn ich meine Finger, die Tausende von Dschamikun, zusammenziehe, so giebt das einen Schlag für euch, der euch wohl noch ganz anders treffen würde, als wir jene unglücklichen Massaban getroffen haben, welche nur die Werkzeuge waren, während ihr die Thäter seid. Du hast gehöhnt, daß der Ustad sich ohne Liebe hilflos fühle. Er ist nicht ohne Liebe. Wir alle lieben ihn; das ist genug! Und er ist der Gebieter dieser Faust, auf deren Stärke er sich stets verlassen kann! Ich habe vorhin den Multasim gewarnt; jetzt warne ich dich: Zwinge mich nicht, mein Wort zurückzunehmen! Du selbst wirst es mir brechen, sobald du abermals beleidigend wirst. Hüte dich, so weiter wie jetzt aus deiner eingebildeten Höhe zu uns herabzusprechen! Thust du das noch einmal, so stecken wir euch zu euren edlen Kavalleristen, die jedenfalls ebenso adeligen Blutes sind wie die Massaban und auch ihr!«

Man sah Ahriman Mirza an, daß diese Rede des Pedehr aufregend auf ihn wirkte; aber die Sorge, daß dieser seine Drohung wahrscheinlich ausführen werde, veranlaßte ihn, sich zu beherrschen. Er fuhr mit den beiden Daumen hüben und drüben hinter seinen Gürtel und krallte die übrigen Finger um die in demselben steckenden Waffen. Dadurch wurde das Gürtelschloß frei, welches ich bis jetzt entweder nicht gesehen oder nicht beachtet hatte. Nun aber zog es meine Aufmerksamkeit derart auf sich, daß ich mir Mühe geben mußte, sie geheimzuhalten. Auf dem goldenen oder vergoldeten Grunde dieses Schlosses war nämlich ein silberner Ring angebracht, der ein Sa und ein Lam umschloß, welche beiden Buchstaben über sich das Verdoppelungszeichen hatten. Ahriman gehörte also zu den Sillan, und wie es schien, bekleidete er in dieser geheimen Verbindung einen hohen Rang, vielleicht gar den allerhöchsten! Ich hatte dieses Zeichen bisher nur an Fingerringen gesehen. Daß er es so groß und deutlich an dieser augenfälligen Stelle trug, konnte keinen anderen Grund als den angegebenen haben.

Hatte ich ihn bisher schon an sich für einen ungewöhnlichen Mann halten müssen, so war er nun auch in besonderer Beziehung zu den Sillan zu distinguieren. Freilich ließ er mir nicht Zeit, diesen meinen heimlichen Betrachtungen nachzuhängen, denn er sprach jetzt weiter, und zwar schnell; in abgerissenen Sätzen, denen man es anhörte, daß er so rasch wie möglich zu Ende kommen und nicht gegen die Warnung des Pedehr verstoßen wolle. Eigentümlicherweise gebrauchte er jetzt nicht mehr die erste Person der Mehr-, sondern der Einzahl. Er verriet hierdurch den Druck, den die Drohung des Scheikes auf ihn ausübte und gegen den sich sein Selbstbewußtsein so gern aufgebäumt hätte und aber doch nicht konnte.

»Ich durfte das nicht länger dulden,« sagte er. »Ich beschloß, selbst hierher zu gehen. Ich mußte diesen fremden Ustad sehen. Ich hatte zu erfahren, wie es bei euch steht. Ich wollte vor allen Dingen nach eurer Liebe suchen. Ich brauchte dazu keine lange Zeit. Ein kurzer Besuch genügte. Meine Augen sind scharf. Es entgeht ihnen nichts! Ich nahm mir vor, euch zu –«

Hier hielt er inne. Er hatte wohl etwas sagen wollen, was er nun mitten im Satze als eine Unvorsichtigkeit erkannte. Dann sprach er weiter, immer nur im Ich:

»Ich kam zu den Kalhuran. Ich hörte, was dort geschehen war. Ich erfuhr, daß die Mörder zu euch seien. Ich sah eure Boten und sprach mit ihnen. Ich richtete es so ein, daß wir eher wieder abritten als sie. Ich erfuhr, daß ihr den Mördern des Muhassil Schutz gewährt. Ihr fürchtet euch nicht, dies zu thun. Ist das die gewöhnliche Liebe, die kein Opfer bringt? Auf alle Fälle aber war es kühn von euch! Ich hörte von euren fremden Gästen. Ihr habt sie aufgenommen und wochenlang gepflegt. Die Krankheit war ansteckend, außerordentlich gefährlich für euch. Ist das die Liebe, die kein Opfer bringt? Wir kamen hier an. Ich sah euer Hohes Haus, euer Beit-y-Chodeh. Ich hörte eure Musik und eure Lieder. Ich spreche nicht davon. Dieses Geplärr ist mir zuwider! Ich redete mit diesem lächerlichen Tifl. Das ›kleine Kind‹ ließ mich auf die Erwachsenen schließen. Was ich noch sah und hörte, wißt ihr selbst. Es war und ist und bleibt genug für mich! Und nun – nun – nun?«

Er schaute zum Tempel hinab und dann hinüber, rund um das ganze Thal. Seine Augen leuchteten. War das Wohlgefallen oder Mißfallen? Man sah es ihm nicht an. Hierauf ließ er den Blick im Kreise über die ganze Dschemma gehen. Seine Hand fuhr nach den Augen und legte sich über sie. Kam der tief aufseufzende Atemzug, den man jetzt hörte, aus seinem Munde? Er hatte einen Rundblick über das Paradies der Dschamikun gehalten. Tauchte jetzt, bei zugehaltenen Augen, in seinem Innern das Bild eines anderen, noch herrlicheren auf?

Als er die Hand nun wieder fallen ließ, kam es mir vor, als ob seine Wange plötzlich eingefallen und bleicher sei. Der dunkle Bart zuckte um seine Lippen, und seine Stimme zitterte leise, indem er das Wort von neuem ergriff:

»Wäre euer Ustad hier, so würde ich ihm auch ein Märchen erzählen, nicht aus ›Tausend und eine Nacht‹, auch nicht aus seinem ›Tausend und ein Tag‹, sondern aus ›Tausend und eine Qual‹. – Es giebt Einen, den ich glühend, glühend hasse. Und wahrlich, wahrlich, ich weiß, daß es ihn giebt! Und es giebt ein Buch, welches ich vernichten möchte, daß kein Blatt, keine Zeile, kein Buchstabe übrig bliebe! Dieses Buch sagt von diesem Einen: ›Tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist.‹ Würde ich einem Menschen gebieten, ein Buch über mich, mich, mich zu schreiben, so müßte darin zu lesen sein: ›Tausend Qualen sind vor dir wie ein Lächeln – wenn sie vergangen sind! Aber diese eine, eine, letzte, die nach den tausend früheren kam, sie ist die fürchterlichste, die entsetzlichste, die unbeschreiblichste, weil sie niemals, niemals, niemals enden wird. Sie muß ewig sein, weil jener Eine, Eine ewig ist!‹«

Er beugte den Kopf und stand zusammengesunken da, als ob er zusammenbrechen wolle. Da aber richtete er sich plötzlich wieder auf und sprach in wieder energischem Tone:

»Rückblicke, wo doch niemand je zurückkann! Weder der Mensch, noch der Teufel, noch die Hölle! Ich komme zum Schluß. Ich mache euch einen Vorschlag. Ihr sollt ihn hören. Anzunehmen braucht ihr ihn heut noch nicht. Ich gebe euch Zeit bis zum Tage des Wettrennens. Da sollt ihr mir sagen, was ihr beschlossen habt. Also hört!«

Unweit von uns saß Tifl mit einigen Männern, mit denen er sich unterhielt. Pekala, welche jetzt nicht mehr mit Speiseangelegenheiten beschäftigt war, hatte sich zu ihnen gesellt. »Das Kind« schaute soeben zu uns herüber. Da winkte der Perser ihm zu, näherzukommen, und setzte dann seine Rede fort:

»Ihr seht mich heut zum erstenmal. Auch mein Name war euch bisher unbekannt. Ihr wißt also nicht, wer und was ich bin, werdet es aber erfahren, sobald ihr meinen Vorschlag angenommen habt. Ich bin der oberste derer, durch welche man mit dem Schah-in-Schah verkehrt. Meine Freundschaft kann selig machen, und meine Feindschaft kann verdammen. Das ist mein altes Recht, welches ich mir nicht nehmen lasse. Wer es antastet, richtet sich zu Grunde. Euer Ustad hat sich an diesem Rechte vergriffen. Ich sollte ihn wohl eigentlich verderben. Die Macht dazu ist in meinen Händen. Aber er gefällt mir, und auch ihr habt mir gefallen. Ich weiß, daß ihr einen vom Beherrscher eigenhändig unterschriebenen Vertrag besitzet. Ich könnte ihn euch abverlangen. Oder ich könnte den Schah-in-Schah veranlassen, ihn für nichtig zu erklären. Dann wäre es mit euch aus. Ich würde mit Militär kommen und euer Gebiet besetzen, um euch zu vertreiben. Viel mitzunehmen würde euch wohl nicht bleiben. Ihr kennt ja unsere Macht und unsere Art. Dies alles werde ich thun, ganz unbedingt und sicher, wenn ihr meinen Vorschlag von euch weiset. Ich bin aber überzeugt, daß ihr zu klug seid, dies zu thun. Ich möchte euch Freund sein und Freund bleiben. Ihr sollt euern Ustad behalten, euer Land, euer Eigentum und alle eure Rechte. Es soll bei euch alles und jedes genau so bleiben, wie es ist. Ich will nichts, gar nichts von euch haben, sondern ich will euch ganz im Gegenteile etwas geben, etwas so Seltenes und Köstliches, daß die Großen des Reiches alle ihre Finger danach lecken. Ihr hört und seht, wie gut ich es mit euch meine. Ich bin als euer wahrer, als euer bester Freund zu euch gekommen.«

Er ließ seine Augen wieder im Kreise herumgehen; sie trafen selbstverständlich auf sehr erwartungsvolle Gesichter. Der Pedehr aber lächelte still vor sich hin. Niemand sagte ein Wort. Darum fuhr der Perser fort:

»Macht euch klar, was ich euch bringe! Auf der einen Seite ist euch tiefste Armut, Vertreibung über die Grenze, wohl gar Vernichtung gewiß. Auf der anderen Seite behaltet ihr alles: es bleibt alles genau so, wie es ist, und ich bringe euch dazu noch ein Gnaden- oder auch Ehrengeschenk des Schah-in-Schah, um welches euch das ganze Land beneiden wird, weil es euch noch inniger mit ihm verbindet. Sag, was du denkst, o Scheik!«

»Du scheinst mächtiger und gütiger zu sein, als sogar der Himmel. Selbst Chodeh giebt nicht mehr, als man besitzt. Wir haben genug. Laß uns das!«

»Hast du einen Sohn?«

»Nein.«

»Ich hörte es. Er ist tot.«

»Ermordet von deinen Massaban!«

»Das ist vorüber! Hast du eine Tochter?«

»Nein.«

»Wer ist dein Erbe?«

»Der Stamm wird es sein.«

»Wer wird nach deinem Tode Scheik?«

»Der, welchen die Dschemma wählt und unser Ustad bestätigt.«

»Kann er schon vorher gewählt werden? Also wenn du noch lebst?«

»Ja. Ich wünsche sogar, daß es geschehe.«

»Hierauf bezieht sich mein Vorschlag.«

»Maschallah! Du willst dich in die Wahl meines Nachfolgers mischen?«

»Nein. Es soll gar nicht gewählt werden. Ich will ihn euch bezeichnen.«

»Wer soll es sein?«

»Tifl.«

Man kann sich die Wirkung dieses einen, kleinen, einsilbigen Wörtchens denken! Aber niemand sprach. Tiefe Stille herrschte rundum. Auch der Pedehr schwieg, doch war jetzt sein Lächeln ein ganz anderes als vorher.

»Also Tifl wird als zukünftiger Scheik gewählt,« setzte der Perser seine Rede fort, »und der Schah-in-Schah giebt ihm eine Frau.«

»Das also ist das Gnaden- oder Ehrengeschenk?« fragte der Pedehr.

»Ja. Ein kostbares Geschenk, denn sie ist die Tochter eines Freundes von mir, der Prinz ist und also den Titel Mirza hat. Ich sehe, daß ich mich nicht in euch getäuscht habe. Ihr scheint vor Entzücken über dieses unerwartete Glück ganz starr zu sein.«

»Macht das Entzücken starr?«

»Ich denke es. Die Sprache hat es dir aber nicht geraubt. Was hast du mir zu sagen?«

»Ich? Hier kann doch wohl nur der, den es betrifft, zu sprechen haben. Tifl, komm her!«

Der Gerufene trat näher. Er lachte am ganzen Gesicht; aber es war ein Lachen deutlichster Verlegenheit.

»Hast du gehört, was gesagt worden ist?« fragte ihn der Pedehr.

»Ja,« antwortete »das Kind«.

»Was sollst du werden?«

»Scheik.«

»Willst du?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Ich bin ja viel zu dumm dazu!«

»Aber das ist ja grad der Grund, weshalb er dich vorgeschlagen hat!«

»Wenn er so dumm ist, wie er denkt, daß ich bin, so mag er es selber werden!«

»Jetzt hältst du dich aber doch wieder für klug!«

»Auch das ist richtig!«

»Wieso?«

»Um Scheik zu sein, dazu bin ich zu dumm. Und um mich zum Scheik machen zu lassen, bin ich zu klug. Eben weil ich mich für dumm halte, bin ich gescheit. Bei diesem Perser aber ist es umgekehrt: er hält sich für gescheit und ist folglich dumm!«

Das war ein urechtes Tiflwort. Alle lachten, nur Ahriman Mirza nicht.

»Noch etwas, lieber Tifl!« fuhr der Pedehr fort. »Hast du alles gehört?«

»Ja.«

»Auch daß du eine Frau bekommen sollst?«

»Auch das.«

»Was meinst du dazu?«

»Ich mag keine.«

»Aber sie ist eine Prinzessin!«

»Umso schlimmer!«

»Also nicht?«

»Nein! Wenn ich mir eine Frau nähme, so könnte es doch wohl keine andere sein als meine Pekala. Die bäckt und kocht. Die kann alles und thut alles. Die erzieht mich sogar. Eine Prinzessin aber müßte ich erziehen, und das ist mir nicht einmal bei meiner Pekala eingefallen und kann mir also bei einer Fremden erst recht nicht einfallen!«

»Aber du sollst doch von ihr erzogen werden! Das ist es ja eben, was dieser Ahriman Mirza will! Einen dummen Scheik der Dschamikun mit einer verschmitzten, arglistigen, ränkevollen Frau, welche ihren Anhang mit allen Fehlern, Gebrechen und Sünden, an denen wir dann langsam zugrunde gehen sollen, mit zu uns bringt! Und das bezeichnet man als ein Gnaden- und Ehrengeschenk des Schah-in-Schah! Solche Geschenke giebt die Hölle, aber nicht der Beherrscher, der nur das Gute will! Uebrigens, mein lieber Tifl, will ich dir ein Wort der Wahrheit sagen. Schau dir den Perser an! Genau!«

Tifl that es sehr eingehend.

»Bist du fertig!« fragte dann der Scheik.

»Ja.«

»Gefällt er dir?«

»Nein!«

»Uns auch nicht. Auch wir gefallen ihm nicht, obgleich er, um uns zu überreden, das Gegenteil behauptete. Das war aber von ihm gelogen. Er hat sich über dich lustig gemacht. Er kennt dich nicht, deinen Mut, deine Gewandtheit, deine Fertigkeiten, deine Treue und Liebe, dein reines Herz, dein tiefes Gemüt und alle, alle die tausend Himmelsgaben, die dir von Chodeh verliehen worden sind. Er ist genau und wirklich das, was du vorhin von ihm sagtest: dumm! Wenn der neue Scheik der Dschamikun jetzt gleich bestimmt werden sollte und wir hätten die Wahl zwischen dir und ihm, so versichere ich dir, daß wir dich wählen würden; er aber müßte mit einer Nase abziehen, die gewiß zehnmal größer wäre als der Weg von Teheran nach Isfahan! So, das mußte ich dir sagen, weil wir dich lieben und achten und es nicht dulden können, daß ein Fremder glaubt, seine Prinzessin genüge den Ansprüchen, die unser Tifl machen kann! Mit solchem Köder fängt man keinen Dschamiki! – Ich erkläre die Dschemma für beendet! Die Versammlung der Aeltesten ist nicht da, um Albernheiten anzuhören! Zugleich aber erinnere ich noch einmal daran, daß ich diesen Fremden nur so lange Sicherheit biete, als sie jedes beleidigende Wort vermeiden. Tifl, nimm vierzig Krieger, die sich bewaffnen mögen, und schaffe die ungeladenen Perser bis jenseits des Hasenpasses! Ich wähle dich dazu, damit sie sehen, daß selbst der, den sie für den Allerdümmsten von uns halten, zum Befehlshaber einer ganzen Reiterschar geeignet ist!«

»Unser Kind« eilte freudestrahlend fort.

Einen solchen Ausgang der Verhandlung und eine solche Beantwortung seines Vorschlages hatte Ahriman Mirza nicht erwartet. Er kochte vor Grimm; das war ihm anzusehen. Aber er sah ein, daß er, wenigstens für jetzt, seinem Hasse keinen Ausdruck geben dürfe. Er hatte von seiner raffinierten Intelligenz geglaubt, daß sie der naiven Klugheit der Dschamikun über sei, und mußte sich nun doch als der von ihr Geschlagene fühlen. Er zwang seine Wut hinunter, aber sie bebte in dem Klange jedes Wortes, als er, indem die Aeltesten alle aufstanden, laut ausrief:

»Ich soll niemand beleidigen, werde aber selbst als dumm bezeichnet! Wir rechnen später hierüber ab! Uebrigens habe ich nicht verlangt, daß ihr euch schon heut entscheiden sollt!«

»Wir haben es aber trotzdem gethan,« antwortete der Pedehr.

»Ich nehme es nicht an!«

»Um deine Niederlage nicht einzugestehen!«

»Schweig! Es bleibt bei dem, was ich gesagt habe: Ich gebe euch Zeit bis zum Tage des Rennens.«

»Wir werden dann nichts anderes zu sagen haben als heut.«

»Warte es ab! Man weiß nicht, was inzwischen geschieht. Was die Wette betrifft, so werden wir dich zwingen, an ihr festzuhalten!«

»Ich habe keine Ursache, zurückzutreten.«

»Wir kommen alle, alle Zwölf!«

»Uns ist das gleich. Aber wißt ihr auch, was ihr damit thut?«

»Nun – was?«

»Der Tag des Rennens ist ein Freudentag für alle Dschamikun und ein Ehrentag für unsern Ustad. Wir feiern ihn seinetwegen. Wenn ihr euch an dieser Feier beteiligt, so ehrt ihr ihn. Das mußte ich euch sagen.«

Da stieß Ahriman Mirza ein häßliches Lachen aus und antwortete:

»Die Muhammedaner feiern ihren Freitag und die Christen ihren Sonntag, beide Allah und Gott zur Ehre. Aber ich sage euch, daß der Teufel, indem er sich an dieser Feier beteiligt, seine besten Ernten hält. Kein anderer Tag bringt der Hölle soviel ein, wie solche Feiertage, an denen der Mensch von wem? – von wem? gezwungen wird, sich aus den schützenden Armen der segenbringenden Arbeit zu reißen. Hat er sie aus der Hand gelegt, so gehe er, wohin er will, er wird vom Teufel gepackt und hat keinen anderen Schutz und Schirm als nur sich selbst und jenes mir verhaßte Haus, in welchem er sich doch nicht den ganzen Tag verbergen kann! Wenn wir kommen, so kommen wir nicht eures Ustad willen, sondern aus ganz anderen Gründen. Versteckt euch in euer Beit-y-Chodeh oder thut sonst, was ihr wollt, wir packen euch doch! Der Alte hat mich gesegnet. Nun segne auch ich euch. Wie ich es meine, und was mein Segen bringt, das werdet ihr erfahren!«

Er wollte sich abwenden und gehen, da nannte Hanneh seinen Namen:

»Ahriman Mirza, noch ein Wort!«

»Was?« fragte er, indem er sie verwundert ansah.

»Du wirst es gleich sehen. Ich muß dir jemand zeigen.«

Wer sich in der Nähe befand, der schaute wegen der sich auflösenden Dschemma jetzt her zu uns. So auch Pekala. Darum konnte Hanneh, ohne ihren Namen nennen zu müssen, ihr winken, herbeizukommen. Pekala gehorchte. Ihre ganze schneeweiße, rotblühende und wohlgenährte Erscheinung war ein neugieriges Fragezeichen, was sie wohl bei den Aeltesten und Fremden zu schaffen haben werde. Hanneh nahm sie bei der Hand, führte sie zu dem Mirza und sagte da zu ihr:

»Schau dir diesen Irani an! Er verlangte, daß Tifl Scheik der Dschamikun werde!«

»Warum nicht?« fragte die Festjungfrau ganz ernsthaft. »Er hat ganz das Geschick dazu! Der Tag der Wahl muß ja früher oder später eintreten. Da schlage ich ihn vor!«

Diese Antwort hatte Hanneh freilich nicht erwartet! Sie fuhr fort:

»Er soll eine persische Prinzessin heiraten!«

»Welche?«

»Dieser Irani weiß es. Er will sie ihm bringen.«

»Warum nicht? Für meinen Tifl ist die Tochter des Schah-in-Schah grad gut genug! Wenn sie kommt, werde ich sie erziehen. Vor allen Dingen hat sie unserm Ustad und meinem Tifl zu gehorchen. Andere Gepflogenheiten gelten bei mir nicht. Er mag sie bringen. Ich werde sie mir ansehen. Paßt sie mir nicht, so mag er sie in seine eigene Küche stecken. Für ihn ist sie dann wohl noch viel zu gut!«

Jetzt nun erklärte Hanneh dem Perser, indem sie ihm mit ihrem freundlichsten Lächeln in das Gesicht sah:

»Das ist Pekala, welche Tifl für besser als deine Prinzessin gehalten hat! Das mag bei euch wohl anders sein; bei uns aber befassen sich mit dem Heiratsstiften nur alte Weiber, denen die Zähne zum Regieren ihres Zeltes ausgefallen sind! Du hast so oft vom Teufel gesprochen. Bei den Dschamikun und bei den Haddedihn nehmen die Männer nicht von ihm, sondern aus Allahs Hand ihre Frauen. Führe deine Prinzessin zu den Massaban. Die glauben vielleicht an das Gnaden- und an das Ehrengeschenk; wir aber nicht!«

Der selbstbewußte, überstolze Mann! Sich von Frauen so etwas sagen zu lassen! Und grad dieser sein Hyperstolz verbot ihm, eine Antwort zu geben! Er drehte sich um und ging zu seinem Pferde, denn seine Gefährten machten sich auch schon mit den ihrigen zu schaffen. Sie wollten fortreiten. Als der Multasim Sattel und Zaum seines Fuchses geordnet hatte, stieg er nicht sogleich auf, sondern kam zu mir, der ich abseits stand und ihnen zuschaute.

»Denkst du daran?« fragte er kurz.

»Ja,« antwortete ich ebenso.

»Ich habe es als Geheimnis betrachtet.«

»Ich auch.«

»Die Wette gilt?«

»Gewiß!«

»Aber sie hebt die Blutrache nicht auf!«

»Eigentlich doch!«

»Für mich nicht!«

»Nun, dann auch nicht für mich!«

»Ich fasse dich!«

»Oder ich dich!«

Er sah mich erstaunt an. Er hatte wohl angenommen, daß nur ganz allein er diese Angelegenheit deuten und behandeln könne, wie es ihm beliebte.

»Du mich?« fragte er. »Bist denn du der Bluträcher, oder bin ich es?«

»Eigentlich keiner von uns, nun aber alle beide.«

»Das verstehe ich nicht!«

»So bedaure ich dich um dein Gehirn! Du hattest eine Blutrache gegen den Scheik der Kalhuran, weil er deinen Sohn erschossen hat. Er hatte eine gegen dich, weil sein Blut durch die Peitsche deines Sohnes vergossen worden ist. Beides wurde durch die Wette ausgeglichen. Du bestehst im Geheimen trotzdem noch auf Blut, und zwar auf dem meinigen. Nun wohl, so trete auch ich nicht zurück und fordere das deinige. Ich habe sogar ein größeres Recht dazu, denn der Scheik der Kalhuran war Moslem, dein Sohn ein Christ, und außerdem ist Kugelblut um vieles, vieles billiger als Peitschenblut. Du packst mich, und ich packe dich, wann, wo und wie es uns paßt. Du bist vor mir nur auf dem Gebiete der Dschamikun sicher. Das merke dir!«

»So gegenseitig habe ich es nicht gemeint,« sagte er, indem er verlegen vor sich niedersah.

»Das dachte ich mir, denn ihr hochedeln und vornehmen Beschützer der Massaban denkt nicht anders als sie, die Räuber und die Mörder. Nun aber weißt du, woran du bist!«

Da war seine Verlegenheit weg, und der Trotz trat ihm wieder in die Augen.

»Es sei, wie du sagst!« zischte er mich an. »Also Blut gegen Blut! Das meinige und das deinige! Du kennst mich nicht, kannst mich leider auch nicht kennen lernen, denn der Augenblick, an dem dies möglich wäre, wird der Augenblick deines Todes sein!«

»Wie das so fürchterlich klingt!« lachte ich. »Es ist ja gar nicht so! Es ist im ganzen Land bekannt, daß du der größte Feigling Persiens bist. Ich werde dir mit offener Waffe entgegentreten, die aber weder Dolch noch Pistole, sondern etwas ganz anderes ist. Doch du wirst mir nur mit verborgener Arglist kommen, um an mir zum verächtlichen Meuchelmörder zu werden. Ich bin darauf gefaßt. Das sage ich dir in aller Ehrlichkeit.«

»Gefaßt?!« entfuhr es ihm. »So sei gefaßt, dreimal oder tausendmal gefaßt; mein wirst du sicher werden!«

Sein Benehmen in diesem Augenblick war unvorsichtig. Seine blitzschnelle Antwort und der versteckt sein sollende Blick seines heimtückischen Auges ließen mich vermuten, daß er schon einen Plan gefaßt habe. Und da stand für mich sehr fest, daß es ein bald möglichst auszuführender sei.

Er eilte zu seinem Pferde, denn die Andern waren schon aufgestiegen. Ahriman Mirza saß in einem reichgeschmückten Schuhsattel, von welchem ebenso wie von jedem Riemen bunte Fransen und Quasten rund um den Leib des Pferdes niederhingen. Er spornte es hin zum Pedehr, hielt vor ihm an und sagte:

»Wir reiten fort, hinüber nach dem Hasenpaß, wie du gesagt hast. Aber bevor wir den Duar verlassen, haben wir mit den Reitern des Multasim zu sprechen. Ihr gebt sie nicht frei. Dagegen ist nichts zu machen.

Aber er hatte diese Leute seinem Sohne nur geliehen. Er ist ihr Herr und Gebieter und hat sie viel zu fragen und ihnen viel zu sagen.«

»Ihr Herr und Gebieter bin jetzt ich,« antwortete der Pedehr. »Es ist, sobald ihr hier angekommen waret, ein Bote nach dem Hohen Hause geschickt worden. Sobald ihr euch dort sehen laßt, wird man auf euch schießen. Mit diesen Leuten darf nur der sprechen, dem ich es gestatte, euch aber erlaube ich es nicht. Richtet euch danach!«

»Du scheinst nicht zu wissen, wie sehr du dich irrst. Hast du sie für zusammengelaufenes Gesindel gehalten, welches der Muhassil angeworben hat?«

»Ja. Das sind sie auch!«

»Nein. Sie sind Milizen, die seinem Vater, dem Multasim, vom Sipahsalar, geliefert worden sind. Ihre Uniformen haben sie abgelegt, weil sie einstweilen aus dem Dienste des Krieges in den der Finanzen traten. Ihre Anführer sind wirkliche Offiziere, welche dich beim Sipahsalar verklagen werden, und er wird dich bestrafen lassen. Du hast trotz der Unterschrift des Schah-in-Schah, welche sich nur auf eure Rechte und auf eure eigene Gerichtsbarkeit bezieht, nicht die Erlaubnis, dich an Soldaten zu vergreifen, welche von einem ganz Andern zu richten sind!«

»Ich richte sie nicht. Ich bestrafe sie nicht. Ich weiß genau, wie weit meine Rechte gehen. Ich habe diese Menschen eingesperrt, weil es in diesen meinen Rechten liegt. Dein Multasim mag mir die vom Sipahsalar unterzeichnete Beglaubigung bringen, daß sie wirklich Soldaten sind! Wir werden mit diesem Zeugnisse zum Beherrscher gehen und ihn fragen, ob seine Offiziere und Soldaten etwa vorhanden seien, um gegen friedliche Bewohner seines eigenen Landes Krieg zu führen, oder ob diese Bewohner nur zu dem Zwecke Soldaten werden, um wie verachtete Massaban gegen ihre Mitunterthanen losgelassen zu werden.«

»Das wage nicht!«

»Ich habe dir schon einmal gesagt: Ich wage nicht! Die Ausübung heiliger Rechte ist kein Wagnis!«

»Die Rechte Ghulams, des Multasim, sind ebenso heilig!«

»Seine Rechte? Und auch nur vielleicht! Aber wie er sie ausübt, das ist nichts weniger als heilig! Das hat der Herrscher nicht gewollt, als er sie ihm verlieh! Oder – sind sie ihm etwa gar nicht vom Schah-in-Schah verliehen? Ich habe gehört, sein Kontrakt sei damals von zwei Ministern unterzeichnet worden. Befindet sich auch das allerhöchste Siegel dabei?«

»Das geht dich nichts an!«

»Es geht jeden an, der hier im Lande wohnt. Und uns geht es gar doppelt an, weil dieser Multasim es wagt, mit den Waffen in der Hand unser Gebiet zu betreten, um hier den Herrn zu spielen! Ich bin der Scheik der Dschamikun. Mir ist ihr Glück und der Frieden ihres Landes anvertraut. Es ist meine Aufgabe, in diesem Frieden für die Wohlfahrt des Landes, welches ihnen gehört, zu sorgen. Wir wollen auch mit Andern in demselben Frieden leben. Wir haben es gethan. Wir sind es nicht, die ihn jemals brechen werden. Aber sollten sie das zu thun wagen, dann wehe ihnen!«

»Wehe!« lachte der Mirza. »Willst du es nicht gleich dreimal ausrufen? Ein solches Wehegeheul aus einem Munde, der sich der Friedfertigkeit und der Nächstenliebe rühmt, muß ja, wenn es zum Himmel eures Chodeh aufgestiegen ist, von den Lippen aller Seligen, die dort wohnen, lobpreisend widerhallen! Liebe und Wehe! Hier hast du dich ebenso entlarvt, wie vorhin euer frommer Ustad sich verriet!«

»Und du bist ganz derselbe Verdreher der Ursachen und der Folgen gegen mich wie gegen ihn! Als du dich aufmachtest, um zu uns zu reiten, hattest du vergessen, die Ueberlegung zu Rate zu ziehen. Und weder unterwegs noch hier an deinem Ziele bemerktest du, daß du die Vorsicht daheim gelassen hast. Du behauptest, so große Macht zu besitzen, daß wir uns vor dir zu fürchten hätten. Bist du denn so thöricht gewesen, zu glauben, daß sich diese Macht auch über uns erstreckt? Hast du angenommen, daß es uns nicht einfallen werde, nach ihr zu forschen, um sie kennen zu lernen? Du prahlst ebenso wie der Multasim mit der Gewalt, die euch gegeben worden sei. Wohlan! Wir werden thun, was jeder Kluge thun würde. Wir schlagen nicht blind auf sie los, sondern ganz so, wie du zu uns gekommen bist, so werden wir dorthin gehen, woher sie zu stammen hat, wenn sie keine angemaßte ist. Und wenn –«

»Also Spione!« unterbrach ihn der Perser.

»Nein! Ein Spion sagt dem Feinde nicht mit dieser meiner Ehrlichkeit, was er zu thun beabsichtige. Und grad diese Ehrlichkeit hast du außer Berechnung gelassen. Was wird der Schah-in-Schah sagen, wenn er erfährt, daß du dich rühmst, mächtiger zu sein als er! Was wird er thun, wenn er hört, daß es euer wohlerworbenes Recht sei, ihn als eine Puppe zu behandeln, der ihr von allem Reichtume und allen Erzeugnissen des Landes nur den billigen Weihrauch streut, um alles andere in den eigenen Säckel stecken zu können! Was wird er beschließen, falls er vernimmt, daß ihr diejenigen seiner Unterthanen mit Vernichtung bedroht, welche nur allein ihm gehorchen wollen und sich also weigern, euch als Götzen zu betrachten, vor denen man anbetend niederzusinken hat! – Diese Folgen deines Rittes hast du nicht bedacht. Du hast dir angemaßt, hierzu zu kommen, um uns kennen zu lernen. Es hat uns nur einer zu kennen, der Schah-in-Schah, vor dem unsere Herzen offen liegen. Aber eure Herzen? Ihr seid so unvorsichtig gewesen, sie vor uns zu öffnen, während ihr sie gegen ihn verschlossen hieltet. Nur wird sein Blick in ihre tiefsten Tiefen gehen, und was sich ihm da offenbart, das kann nichts anderes als das Wehe sein, welches ich dir zugerufen habe. Dieses Wehe stammt also nicht von mir; es wohnt in euch selbst und wird aufsteigen wie ein verzehrendes Feuer und wie ein alles verschüttender Aschenregen, wenn die Hand des Herrschers niederfährt, um den Janardagh aufzusprengen und auseinander zu reißen. Dann wird das Land von all den giftig bösen Dünsten frei, die diesem Berge des Unheiles bisher entstiegen, und wenn der dunkle Rauch, der über Chodehs Erde ging, verschwunden ist, wird endlich, endlich jedermann den reinen Himmel und den wahren Herrscher schauen! – Ich bin mit dir zu Ende – für heute und jetzt. Reitet fort! Ihr möget euch wenden, wohin ihr wollt, es erwartet euch dort nicht dieses, sondern ein noch ganz anderes Ende!«

Während die beiden mit einander sprachen, waren auch die andern Perser zu ihnen herangekommen. Sie hatten den letzten Teil der Rede des Pedehr gehört und sahen nun den Mirza an, was er thun werde. Er bohrte die Innenspitzen seiner Schuhbügel in die Flanken des Pferdes, daß dieses vor Schmerzen sich bäumte und fast überschlug. Dann warf er die Hand verächtlich in die Luft und rief unter grellem, weithin schmetterndem Lachen aus:

»Ein noch ganz anderes Ende! Alter Narr! Es giebt ja gar kein Ende! Welch ein Glück, wenn es so wäre, wie du sagst! Vielleicht aber hast du recht, denn uns fehlt nichts weiter, als nur das Eine, die Allwissenheit! Versuchen wir es! Ist es ein Phantom, oder ist es Wirklichkeit! Reiten wir ihm zu, dem von dir angedrohten, von Anderen aber heiß ersehnten Ende!«

»Dem Ende – dem Ende!« lachten die Andern ihm nach.

Sie trieben ihre Pferde an und ritten, das Beit-y-Chodeh jetzt in einem weiten Bogen vermeidend, die grüne Alm hinab und verschwanden bald hinter dem Gebüsch der unten liegenden Gärten. Wir schauten ihnen nach, bis wir sie nicht mehr sahen. Dann wendete sich der Pedehr mir zu, indem er fragte:

»Sind dir schon einmal derartige Menschen begegnet, Effendi? Sollte man sie nicht für etwas ganz Anderes halten?«

»Es ist mir an ihnen vieles rätselhaft,« antwortete ich.

»Kannst du mir sagen, was?«

»Wohl kaum! Es giebt Empfindungen, für welche die Sprache keine Worte hat. Es kommen uns Ahnungen, die wir uns nicht einmal in Gedanken deuten, noch viel weniger aber in hörbare Laute kleiden können. Es war mir, als ob Ahriman Mirza zwei verschiedene Leben besitze und zwei verschiedenen Reichen angehöre. Seine hörbare Rede gehörte dem einen an, dem andern aber der Sinn, der in ihr lag, und der Geist, der sie ihm diktierte. Ich habe viele, viele Menschen kennen gelernt, so einen aber noch nicht! Es gab, während er sprach, gewisse Stellen, an denen ich mir sagte, daß ich mich hüten müsse, an mir selbst irre zu werden. Er riß mir Gedanken aus der Tiefe, von denen ich niemals eine Ahnung gehabt habe. Und er wußte sie so zu leiten und zu gestalten, daß es mir schwer wurde, sie als irrig zu erkennen. Wehe dem denkschwachen, vertrauensvollen Opfer, welches er sich erwählt! Es muß ihm unbedingt verfallen sein! Da taucht ein Bild vor meinen Augen auf, ein Bild, widerlich und schön zugleich. Aber es gehört nicht hierher in Tempelsnähe. Könnte ich es dir zeigen, so würde in ihm wohl wenigstens einigermaßen die Antwort auf die Frage liegen, die du an mich gerichtet hast.«

»Sprich immerhin! Es giebt kein Bild im Himmel und auf Erden, welches der Sonnenglanz, der jetzt von unserem Beit-y-Chodeh für heut Abschied nehmen will, nicht doch verklären könnte.«

»Du sagst: im Himmel und auf Erden. Und dieses Bild bezieht sich allerdings auf beide. Ich habe daheim ein liebes altes Buch. Es ist gewiß vierhundert Jahre alt und von meinen Vorfahren auf mich gekommen. Es enthält nur Bilder, keinen Text, aber die Rückseiten wurden von den Händen der jeweiligen Besitzer fromm beschrieben. Denn diese Bilder wurden zur Erklärung und Veranschaulichung dessen gedruckt, was uns das Kitab el mukkadas erzählt. Es ist für mich von unschätzbarem Werte. Ich habe es schon als Kind sehr oft mit meinen kleinen Händen aufgeschlagen und schaue auch noch jetzt so gern hinein. Es dünkt mich heut, als sei ich es selbst, dessen Gefühle und Gedanken, dessen Kämpfe, Niederlagen und Siege auf diesen Blättern abgebildet seien. Die Menschheit in ihrer Kinderzeit, dem Vater vertrauend und in dankbarer Liebe ihn verehrend. Des Knaben Trotz und Unbedachtsamkeit, die, wie einst Israel, nicht gehorchen wollen. Des Jünglings heißgeliebte Ideale, im Harfenton der Psalmen aufwärts erklingend. Hierauf der eigene Sinn, welcher verlangt, mit den Augen schauen zu müssen, was das Herz bisher ohne Einwand glaubte. Das immer suchende und nicht ermüdende Forschen nach Bestätigung. Der Kampf mit andern Völkern, die andere Götter hatten. Die fürchterliche Gegnerschaft dessen, der einst zu Hiob kam, um ihn zu vernichten. Das feste Halten an dem Gottesglauben, trotz aller Siege, denen ich erlag. Der schwere, heiße Kampf des tapferen Judas Makkabäus, sich aus diesen Niederlagen wieder aufzurichten und, obwohl von seinen eigenen Brüdern verachtet und verdammt, die Höhe von Moria wieder zu ersteigen und sich die Liebe seines Volkes zu erringen. Wie war das so schwer, jawohl das aller-, allerschwerste. Doch glaube ich, ich habe es erreicht!«

Der Pedehr hatte sich in das Gras niedergelassen. Ich stand aufrecht vor ihm. Ich hatte von einem Bilde reden wollen, und wovon sprach ich aber nun? Konnte ich dafür? Warum waren die schönen, mildglänzenden Augen, mit denen er zu mir aufblickte, so liebreich fragend und so seelengut! Seine Dschamikun nannten ihn Pedehr, den Vater. Sie liebten ihn; sie ehrten ihn; sie vertrauten ihm. Er verdiente das, denn er war ihnen im wahrhaftesten Sinn des Wortes und in vollster Wirklichkeit ein Vater. Wie kam es doch, daß ich jetzt an den meinigen denken mußte! Er war ein einfacher Bürgersmann gewesen, schlicht und recht, wie arme Leute sind, vor deren Thür die Dürftigkeit am Tage wacht und auch des Nachts nicht schläft. Er hatte jenes Forschen und Suchen nicht begreifen können. Die materielle Not ist blind gegen Ideale. Er litt unter meinen äußeren Niederlagen; an den inneren Siegen aber, zu denen sie mich führten, konnte er nicht teilnehmen; sie brachten ihm keinen Gewinn. Und als ich endlich, endlich oben war, aus voller Brust tief Atem holend, weil ich in meinem Glauben an die Menschheit die Ueberzeugung in mir trug, daß mir vergeben sei, da legte er sich hin und starb, mich zwingend, meine schöne Hoffnung, alles, alles an ihm gut machen zu können, nach jenem Lande zu richten, in welchem ein jeder nachzusühnen hat, was hier auf Erden zu sühnen vergessen worden ist!

War es der Pedehr, der vor mir saß und mich so still und doch so erwartungsvoll anschaute? Diese Stirn! Dieser fragende Blick! Auch mein Vater war so, wie er, trotz seines hohen Alters immer jung gewesen! Was wollte dieses Auge? Dieser Blick? Was kann ein Vater wollen, wenn der vor ihm sitzende Sohn von seinen Fehlern spricht. Verzeihen doch, verzeihen! Sang man da unten im Tempel jetzt wieder das »Rosenlied?« Nein. Es klang mir nur im Innern, und es bedurfte nur einer geringen Aenderung, so war auch ich gemeint:

»Brich auf, mein Herz, der Rose gleich,
In der sich alle Düfte regen.
Gott ist an Gnade überreich;
Brich auf, und dufte ihm entgegen!«

»Effendi, was thust du hier?« fragte der Scheik. »Höre ich recht? Stand das in deinem Bilderbuche? Du beichtest ja dich selbst hinein! Oder nicht?«

»Ja, Pedehr, ich beichte!« gestand ich ihm. »Das Bilderbuch, von dem ich spreche, enthält die Beichte aller, aller Welt. Wenn ich von dieser Menschheitsbeichte spreche, so darf auch die nicht fehlen, die ich der Menschheit schuldig bin! Sie nehme diese Beichte mit in die ihrige auf! Dann kann ihr nicht vergeben werden, wenn sie nicht mir vergiebt!«

Da faßte er mit seinen beiden Händen die meinigen, zog mich halb zu sich nieder und sprach:

»Aber du beichtest hier im fernen Kurdistan! Vor mir allein! Die Menschheit hört dich nicht!«

»Sie wird mich hören! Denn sie wird es lesen!«

»Etwa in einem deiner Bücher?«

»Ja!«

»Und genau so ehrlich und so offen, wie du hier zu mir gesprochen hast?«

»Genau so!«

»Ef – fen – di –!«

Er sah mich staunend, fast erschrocken an. Mir aber war so warm, so leicht, so frei ums Herz. Ich fühlte, daß ein frohes Lächeln um meine Lippen spielte.

»Weißt du, was du dir da vorgenommen hast? Diese deine Menschheit wird dir gern verzeihen; aber alle, alle, die ihr Ganzes bilden, werden einzeln vortreten, um dich zu verdammen!«

»Ich fürchte mich weder vor der Menschheit noch vor dem Einzelnen! Was hier geschieht, geschieht auch dort! Ich beichte auch für dort! Vor dem, der jenseits richtet! Läßt er dann, so wie man hier mit mir gethan, die einzelnen vor seine Stufen treten, so bin ich frei von Schuld!«

Da zog er mich vollends zu sich nieder, schlang seine Arme um meinen Hals, küßte mich auf beide Wangen und sprach:

»Mein lieber, lieber Sohn! Glaubst du, daß ich mit meinen Dschamikun auch mit zur Menschheit gehöre? Ja? Du nickst! Du bist ergriffen! Ich sehe Thränen! Weine nicht! Ich sage dir: Unter denen, die aus der Menschheit treten, weil sie nicht menschlich denken und verzeihen, wird sich kein einziger Dschamiki befinden! Für die andern aber, die es thun, sei das, was du schreibst, wie nicht geschrieben, denn du beichtest der Menschheit, aber nicht denen, die aus ihr getreten sind!«

Da stand der Ustad vor den Säulen des Tempels und gab ein Zeichen nach dem »hohen Hause« hinüber. Man hatte auf dieses Zeichen gewartet, denn die Sonne war im Untergehen, und sogleich erklangen die Glocken. Der Pedehr erhob sich, zog mich mit sich empor, behielt mich mit der Linken umarmt und zeigte mit der Rechten nach dem Alabasterzelt hinauf.

»Erzähle mir von deinem Bilde weiter!« sagte er. »Es wird sich jetzt ein anderes zeigen. Auch aus einem Kitab el mukkadas, aber nicht aus einem geschriebenen, welches man nach Belieben öffnen und schließen kann, sondern aus dem, welches unaufhörlich über die ganze Erde offen ausgebreitet liegt. Wenn du die Bilder deines Buches recht verstanden hast, so wirst du auch dieses recht verstehen.«

Jetzt drehte der Ustad sich nach unserer Seite. Als er uns in Umarmung stehen sah, nickte er zu uns herauf und verließ den Tempel, um herbeizukommen. Die Augen aller anwesenden Dschamikun und ihrer Gäste waren hinüber nach dem höchsten Punkte des Gebirges gerichtet.

Die Sonne hatte unser Thal verlassen und senkte sich jenseits der Berge nieder. Während sie diese auf der uns abgelegenen Seite beleuchtete, begann hier die Dämmerung emporzusteigen. Schon webten um den See dunkle Schatten, die wie abgeschiedene Seelen über seine Gewässer zu schiffen schienen. So, wie diese Dämmerung emporstieg, um schließlich das ganze Thal in Dunkel zu hüllen, so klettert auch das Leid im Menschenherzen immer höher und höher, um es gänzlich auszufüllen. Giebt es denn keinen Punkt, den es nicht erreichen kann, den es niemals ganz zu umnachten vermag? Doch!

Schon waren die Bergeshäupter im Süden, Osten und Norden in ihr letztes, tiefstes Violett gefärbt; dann wurden sie von den Strahlen verlassen, die empor zum Firmament flüchteten, um sich in dem Glanze der Sterne aufzulösen. Im Westen aber, wo der Himmel in Flammenglut gestanden hatte, erschien der letzte Tagesgruß im Abendrot, um sich am Alabasterzelte sterbend auszuleuchten. Es stand in dieser keuschen Abschiedsglut, als sammelte es am Thore der Seligkeit die hochgestiegenen Pilgerseelen allesamt, die, durch des Lebens Leid und Weh verklärt, dem höchsten Erdenpunkt entschweben sollen, damit der Felsengrund, auf dem das »hohe Haus« errichtet wurde, sich als vom Herrn mit eigener Hand gelegt erweise.

Der Himmelsstrahl brach sich auf dem halbdurchsichtigen Steine in alle seine Erdenfarben. Sie schimmerten und blitzten, als sei das ganze Zelt mit den Schmuckstücken der Herrscher aller Zeiten und aller Welten ausgelegt. Und noch als diese märchenhafte Herrlichkeit vom abendlichen Dunkel erreicht und unsern Augen entzogen wurde, war es anzusehen, als ob jeder einzelne der Brillanten sich weigere, für heut bis morgen ausgelöscht zu werden.

Ich stand noch längere Zeit und schloß die Augen, um dieses wunderbare Bild fürs Leben festzuhalten. Man sagt, die Erde könne schon die Hölle sein. Jawohl; ich glaube es! Doch mit demselben Rechte der Ewigkeit, sich uns schon hier in der Zeit zu offenbaren, kann uns die Erde auch ein Himmel sein. Wenn der Himmel nur von Engeln oder Seligen und die Hölle nur von Teufeln oder Verdammten bevölkert wird, so kommt es ja wohl nur auf die Menschen an, welches von beiden sie sein und wozu sie die Erde machen wollen!

Der Pedehr riß mich aus meinem Sinnen.

»Nun, Effendi,« fragte er, »gleicht dieses Bild dem deinen, von welchem du sprechen wolltest?«

Mit einigen kurzen Worten erklärte er dem Ustad, auf was sich diese seine Frage bezog. Dann antwortete ich:

»Könnte ich dir deutlich machen, was das ist, was wir im Abendlande ein Pendant nennen. Sonderbarerweise sind beide Bilder ähnlichen Inhaltes und einander nahe verwandt. Ich möchte das meinige ›Vom Himmel nach der Erde‹ und dieses hier ›Von der Erde nach dem Himmel‹ unterzeichnen. In meinem alten Buche fehlen Blätter. Ich habe es versucht, die Lücken durch meine Phantasie zu ergänzen. Das erste Blatt, welches ich ihm geben möchte, ist das, von dem ich sprach. Ich dachte folgendes: Ein hoher Punkt in Ahuramazdas lichtem Himmel, der steil zur Tiefe fällt, in der die Erde liegt. Da oben eine Schar seiner Engel, die wißbegierig und verlangend nieder in das Unbekannte schauen. Zu ihnen tritt Ahriman, der Empörer, der sich dünkt, Gott gleich zu sein. Er will hinab, doch nicht allein. Er sucht sie zu verführen, den Himmel zu verlassen und mit ihm ein Reich zu gründen, in dem der Herr nichts zu befehlen habe. Um sie dem ewigen Gebieter abwendig zu machen, spricht er zu ihnen in jener Weise, welche man heut diabolisch nennt. Er bethört sie so mit Aftergründen und trügerischen Schlüssen, wie heut Ahriman Mirza es mit uns zu thun versuchte. Und erstaunlich ist es wohl: der Ahriman auf meinem Bilde glich ganz genau dem Mirza, der dort am Waldesrande vor uns stand. Hat diesselbe Idee auch stets die gleiche Gestalt, mag sie stammen, woher sie auch sei? Das Böse hat für den ersten, flüchtigen Blick wohl immer eine verlockende Gestalt. Aber wenn man sie zwingt, den Mund zu öffnen, so ist das sicherste Erkennungszeichen die Leidenschaft, mit der sie alles treibt und thut und redet. Der, welcher einst dem Teufel den Quastenschwanz und Pferdefuß verlieh, hat sicherlich in seinem Dienst gestanden. Die Hölle ist ein Sumpf, auf dem die Decke üppig grünt und blüht, den irren Lebenswanderer anzulocken. Der Himmel glänzt, sie aber kann nur gleißen. Ihr Gold ist falsch, wie ihre Diamanten. Die flimmernden Steine des Mirza sind wohl auch nicht echt!«

Die verschiedenen Gruppen der Dschamikun vereinigten sich, um unter dem noch fortdauernden Glockenläuten nach dem Duar zu ziehen. Meine Sänfte wurde gebracht. Hanneh stand in der Nähe. Ich lud sie ein, mit einzusteigen. Es war genügend Platz für zwei Personen da. Sie nahm es an, doch sagte sie:

»Laß uns noch warten, bis die Sterne leuchten! Ich möchte gern das Zelt da oben in ihrem Lichte schauen.«

Das war mir recht. Der Ustad und der Pedehr gingen. Der letztere kam aber noch einmal zurück zu mir und fragte mich:

»Effendi, erlaubst du mir, ihm zu sagen, was wir gesprochen haben? Ich kann kein Geheimnis vor ihm haben, und möchte doch auch gern, daß er von deiner tapfern Beichte erfahre, die weder Menschenfurcht noch sonstige Feigheit kennt.«

»Ich kenne keinen Grund, es ihm zu verschweigen,« antwortete ich. »Es ist nichts in mir, was ich ihm verheimlichen möchte.«

Hierauf führte ich Hanneh quer durch den Tempel. Wir setzten uns an seinen Stufen nieder. Sie war still, ich auch. Ein jetzt noch matter Schein lag zwischen hier und dort. Nur der Abendstern stand schon in vollem Glanze. Früh heißt er Morgenstern. Er ist derselbe; nur die Namen sind verschieden. Nicht so auch Gott? Zwischen den beiden Namen des Sternes liegt eine Nacht. Welche Nächte sind es, die zwischen den verschiedenen Namen Gottes liegen? Und wer ist es, von dem diese Dunkelheiten ausgegangen sind? Von ihm, dem ewigen Lichte, nicht!

»Ich sehe es,« sagte Hanneh leise, als ob das Alabasterzelt ein Heiligtum sei, von welchem man nicht in lauten, rauhen Worten sprechen dürfe.

Auch ich sah es nun. Der Berg, auf dem es lag, erschien uns jetzt als eine formlose, finstere Masse. Nur in der Höhe hatte er Konturen, welche der Himmel ihm verlieh. So scheinen auch die Berge des Lebens in der Tiefe ohne Gestalt zu sein; aber sie tritt um so mehr und um so deutlicher hervor, je näher sie zum Firmamente steigen. Auch das Zelt selbst erschien noch schattenhaft. Im Innern war es ohne Licht, doch nahte dies von oben. Als ob der Gedanke, der es erstehen ließ, erst jetzt geboren und sofort zum Körper werde, so that es sich im heller werdenden Schein der Sterne vor unsern Augen immer weiter und immer deutlicher auf, bis es in magischer Schönheit, klar und rein, dem Meister dankte, welcher die im Gesteine verborgene Bergesseele aus ihrer schwermassigen Gestaltlosigkeit befreit und ihr im bedeutungsvollen Bildnisse die Erlösung gebracht hatte.

Wir saßen und schauten, ohne zu sprechen. Was soll man reden, wenn man von Gefühlen bewegt wird, für die es keine Worte giebt! Nach wohl geraumer Zeit stand Hanneh auf. Wir gingen zur Sänfte und wurden heimgetragen. Im Duar herrschte lautes, froh bewegtes Leben. Droben war es still.

Als wir unsern Saal betraten, fiel es mir auf, daß sich mein Lager nicht mehr dort befand. Kara saß bei seinem Vater. Der Ustad und der Pedehr standen dabei. Halef schlief. Aber sein Gesicht hatte nicht die Ausdruckslosigkeit, welche dem vollständigen Unbewußtsein eigen ist.

»Er war froh über seinen Traum,« sagte Kara leise, um ihn nicht etwa zu wecken.

»Hat er wieder geträumt?« fragte Hanneh.

»Ja. Und zwar wieder vom Effendi.«

»Doch nicht etwa von den fürchterlichen Maden!«

»Doch! Der erste Traum war wiedergekehrt. Ich weiß, daß so etwas zuweilen geschieht. Auch schrie er wieder. Bald aber beruhigte er sich. Ich sah ihm sogar an, daß er sich über etwas freute, und als er dann erwachte, sagte er mir, worüber. Das machte ihn so glücklich!«

»Was?«

»Die Würmer hatten einander schließlich selbst aufgefressen, bis endlich die letzte aller Maden so dick geworden war, daß sie an sich selbst zerplatzen mußte. Der Effendi aber stand so heiter und so rüstig da, als ob er gar nicht von ihnen berührt worden sei. Nachdem der Vater mit dies erzählt hatte, schlief er wieder ein.«

»Wie sonderbar! Was sagst du dazu, Sihdi?«

»Ich bin kein Ruja tschykaran,« antwortete ich.

»Eigentümlich ist es freilich, daß der eine Traum so deutlich und so sicher an den andern knüpfte.«

»Warum eigentümlich?« fragte der Pedehr. »Ist es nicht mit dem Leben ganz dasselbe? Knüpft da nicht auch das eine an das andere an? Wenn in dieser Beziehung etwas sonderbar sein kann, so ist es nur der unbegreifliche Wahn, daß ein von der Seele und von dem Geiste so unendlich reich ausgefülltes Dasein in dem Leibe von Würmern und von Maden enden könne! Der Traum des Hadschi ist mehr, als ein Traum, denn er zeigt uns die Wirklichkeit. Wenn alle Menschen, die auf Erden wohnen, nichts als Würmer oder Maden wären, und nur ein einziger besäße Geist und Seele, sie würden doch nicht im stande sein, ihn auch nur körperlich, und noch viel weniger geistig oder seelisch zu vernichten! Der Effendi kann nicht nur, wenn andere von ihm träumen, sondern auch wenn sie von diesem Traume erwachen, vollständig ruhig sein!«

»Nicht nur ruhig!« sagte der Ustad; »sondern sogar glücklich! Komm, Effendi; geh mit mir!«

Er nahm mich bei der Hand und führte mich hinaus nach der Stelle, wo ich abends immer gesessen hatte. Er legte mir seine Rechte aufs Haupt und sprach:

»Hier war es, wo, grad so wie jetzt, diese meine Hand auf dir ruhte. Kannst du dich noch besinnen, mit welchen Worten ich dich willkommen hieß?«

»Ja,« erwiderte ich.

»Sage sie!«

»Ich heiße dich zum zweitenmal willkommen und bitte dich, bei mir zu bleiben, so lange es dir und deinem höheren Ich, welches ihr Seele zu nennen pflegt, bei mir und meiner Seele gefällt. Ich habe auf dich gewartet!«

»Ja; so sagte ich. Du hast es dir gemerkt. Und heute wiederhole ich diese meine Worte. Ich heiße dich zum drittenmale willkommen! Bis jetzt warst du bei mir. Heut aber hat es sich herausgestellt, daß auch deine Seele bei der meinen ist. Effendi, weiß du, was das heißt? Noch nicht!«

Er ließ seine Hand von mir herabgleiten, deutete nach dem Tempel, der drüben hell im Sternenlichte stand, und fuhr fort:

»Es giebt Welten, von denen du keine Ahnung hast. Wie die Sterne immer weiter und weiter entfernt von der Erde liegen, so erheben sich diese Welten in unirdischen Entfernungen über einander. Keine niedere kann die höher liegende stören. Wer sich in eine höhere emporgerungen hat, der bleibt für die niedere unerreicht; es sei denn, daß er freiwillig zu ihr niedersteige. In allen diesen Welten giebt es Bewohner, welche die höhere entweder hassen oder sich nach ihr sehnen. Die Hassenden sind für sie unschädlich. Die sich Sehnenden werden emporgehoben. Es liegt eine unermeßliche Macht in diesem Sehnen. Sie ist wie die Gewalt des gläubigen Gebetes, welchem Chodeh nicht widerstehen kann, wenn es selbstlos ist! Diese Welten sind vor deinem Auge unsichtbar, deiner Seele aber wohlbekannt. Aber daß sie vorhanden sind, das kannst du fühlen, wenn sich in deiner Seele Sehnsucht nach einer höheren regt. Diese Sehnsucht ist eine schmerzliche, weil der Geist, von dem sie sich nicht trennen darf, nicht folgen will. Er ist das Selbst; sie aber ist die Liebe. Er will nicht auf das verzichten, was er jetzt besitzt, weil er nicht an das glaubt, was wohl ihr Auge sieht, aber nicht das seine. – Wie unendlich glücklich bist du da, Effendi! Du besitzest diesen Glauben; ja, er ist sogar doppelt dein: Was deine Seele glaubt, glaubt auch dein Geist. Was sie erstrebt, wird auch von ihm ersehnt. Du wirst es erreichen!«

Er senkte den Kopf und schwieg eine kleine Weile. Dann sprach er mit leiserer Stimme weiter:

»So war es nicht bei mir! Mein Wesen war nicht ein vereintes wie das deinige; es war geteilt. Der Zwiespalt wohnte zwischen meiner Stirn und meinem Herzen. Ahnst du wohl, wie er hieß?«

»Ahriman Mirza?« wagte ich zu raten.

»Ja; er war es! Er ist’s zu jeder Zeit, der sich zwischen Geist und Seele drängt, um wo möglich beide zu vernichten. Du kennst ihn nicht in dieser fürchterlichen Thätigkeit, weil bei dir Geist und Seele einig sind. Er konnte nicht zwischen sie treten. Und aber dennoch solltest du ihn kennen. Er griff bei dir an anderer Stelle zerstörend ein. Er drängte sich zwischen sie beide und den Körper! Dein leibliches, dein äußeres Leben war es, welches er vernichten wollte, um dadurch auch sie bis auf den Tod zu treffen! Nicht innerlich, denn das vermochte er nicht, sondern in diesem äußeren, leiblichen Leben rang er dich nieder, und du hattest es nur dem unantastbaren Frieden und der unbesieglichen Kraft deines Innern zu verdanken, daß es dir gelang, dich aufzuschnellen und nach langem, schweren Kampfe endlich für immer obzusiegen! Niemand, kein Mensch hat das gesehen! Doch einer sah es, und der vergißt es nicht. Er hörte auch, was du da drüben zum Pedehr gesagt. Ich weiß, du wirst es thun; du wirst es halten! Und noch eines weiß ich darum auch, nämlich daß du der wirklich bist, als den ich dich bei mir erwartet habe. Bis jetzt stand dir der Raum der Dschemma offen, weil du der kranke Gast des ganzen Stammes warst. Von heute an wohnst du bei mir, in meinem stillen, lieben Heim, wo du, vom Alltag nicht gestört, dem Klange der Glocken näher bist als hier. Du sahst wohl schon, daß deine Lagerstätte hier in der Halle fehlt. Es ist bei mir schon alles für dich vorbereitet. Gieb mir die Hand!« – –