Der Reïs Effendina
Murad Nassyr begleitete mich und die Kinder. Der Packträger ging voran. Als wir das Schiff erreichten, war die Bemannung desselben gerade mit dem Nachmittagsgebete zu Ende und machte sich nun daran, das große Segel zu entrollen. Ich drückte Nassyr die Hand, sagte ihm Dank und sprang, gefolgt von den Schwarzen, an Bord. Der Packträger stand, nachdem er meine Sachen da niedergelegt hatte, schon wieder am Ufer. Nach kurzer Zeit legte sich der Wind ins Segel, und die Dahabijeh wendete ihren Bug der Mitte des Stromes zu. Einige Abschiedswinke von seiten meines dicken Türken, welche ich erwiderte, dann wendete ich mich dem Decke zu, um den Reïs, zu begrüßen. Er kam mir entgegen, verbeugte sich sehr höflich, hieß mich willkommen und reichte mir sogar die Hand. Dann führte er selbst mich, während der Steuermann dem Schiffe Richtung gab, in die für mich bestimmte Kabine. Sie lag im Hinterteile des Schiffes unter einem Bretterverschlage und wurde anstatt einer Thüre durch eine herabhängende Strohmatte von dem offenen Deck getrennt. Ich sah eine Art Matratze daliegen; Decken hatte Nassyr mir mitgegeben, also konnte ich es mir mit meinen kleinen, schwarzen Begleitern bequem machen. Raum dazu war genug, wenn auch nicht überflüssig vorhanden. Zu meiner Verwunderung waren längs der Bordwand zwei Dutzend Flaschen aufgestellt. Der Reïs sagte mir, daß sie von dem Türken geschickt worden seien. Es war Bira nimsawiji, österreichisches Bier. Meine Sympathie für den Dicken wuchs mehr und mehr.
Eben hatte der Reïs mich verlassen, und ich war an die kleine, winzige Kajütenluke getreten, um einen kurzen
Blick hinaus auf den segelbelebten Strom zu werfen, da hörte ich hinter mir eine Stimme:
»Effendi, erlaubst du mir, deine Sachen zu bringen, welche noch vorn liegen, wo der Hammal sie hingelegt hat?«
Ich drehte mich nach dem Sprecher um. Er stand unter dem Eingange meiner Koje in so höflicher, ja demütiger Haltung, daß man ihm wohl eine freundliche Antwort hätte gönnen mögen; aber ich brachte es nicht dazu. Sein Auge blickte so scharf und spitz unter den buschigen Brauen hervor; seine schmalen Lippen waren an den Mundwinkeln breit niedergezogen, als ob er im Begriffe stehe, ein Hohngelächter aufzuschlagen, und seine Nase – – ja diese Nase! Sie war dick angeschwollen und gelb, rot, grün und blau gefärbt. Was hatte der Mann nur gemacht, sich sein Gesicht in dieser Weise zu verschimpfieren! Ich mußte ganz unwillkürlich an den Geist Nummer Drei denken, mit dessen Nase meine Faust heute nacht in so kräftige Berührung gekommen war. Es stieg ein Verdacht in meiner jetzt sehr zum Mißtrauen gestimmten Seele auf. Als man vorhin das Segel löste, war dies unter dem singenden Rufe der Matrosen »Ah ia sidi Abd el Kader« geschehen. Dies ist der beliebte Ausruf aller zur Kadirine gehörigen Moslemin. Sollte der Reïs dieses Schiffes und mit ihm die Bemannung desselben Mitglieder dieser Verbrüderung sein? Sollte Abd el Barak, der jawohl von Selim den Namen der Dahabijeh erfahren hatte, dem Reïs den Befehl erteilt haben, meinen Geist Nummer Drei an Bord zu nehmen? Das war höchst bedenklich! Es galt, vorsichtig und klug zu sein. Ich verriet meine Gedanken durch keine Miene und überraschte den Mann durch die schnelle Frage:
»Wie ist dein Name?«
Er hatte auf seine Erkundigung von meiner Seite gewiß nichts anderes als ein zustimmendes Ja erwartet; er zögerte mit der Antwort. Warum? Hatte er Veranlassung, seinen Namen zu verschweigen?
»Nun, antworte!« drängte ich ihn in scharfem Tone.
»Ich heiße Ben Schorak,« meinte er jetzt.
Er hatte das in einer Weise gesagt, als ob er den ersten besten Namen, der ihm einfiel, über die Lippen gehen lasse. Und Ben Schorak, also Schoraks Sohn. Das genügte nicht. Dieser Mann war gegen fünfzig Jahre alt und mußte also einen eigenen Namen haben, hinter welchen dann allerdings Ben Schorak zu setzen war. Ich hielt mich aber nicht lange bei meinem Bedenken auf und erkundigte mich weiter:
»Warum meldest du dich zu dieser Arbeit?«
»Weil ich die Kajütenpassagiere zu bedienen habe.«
»Ah so! Bist du ein Araber?«
»Ja, vom Stamme der Maazeh.«
»Wie lange dienst du schon auf diesem Schiffe?«
»Seit über einem Jahre.«
»Gut! Hole die Sachen! Bin ich mit dir zufrieden, so wird dich mein Bakschisch erfreuen.«
Jjetzt galt es, diesem Manne keine Zeit zu lassen, die mir gegebenen Antworten draußen mitzuteilen. Ich ging also hinaus. Der Reïs stand hinten beim Steuermann; ich trat zu ihnen und zog einige unverfängliche Erkundigungen ein, welche sich auf meine Rechte und Pflichten als Passagier bezogen. Dann fragte ich, ob mir nicht ein Mann zu kleinen Dienstleistungen angewiesen werden könne. Der Reïs antwortete ahnungslos:
»Dieser Mann ist bereits bestimmt. Er hat schon deine Sachen in die Kajüte getragen und befindet sich noch in derselben.«
»Wie heißt er?«
»Barik.«
»Ein Beduine?«
»Nein. Er stammt aus Minieh.«
»Ist er treu und zuverlässig? Wie lange befindet er sich auf dieser Dahabijeh?«
»Schon seit vier Monaten.«
Ich wußte genug; ich war von diesem Gespenst Nummer Drei belogen worden. Er hatte noch nicht die Vorsicht gehabt, mit der Bemannung des Schiffes die notwendigen Personalien zu verabreden. Er befand sich meinetwegen hier. Mir fiel es auf, daß er sich noch immer in meiner Kajüte aufhielt. Was hatte er in derselben zu suchen? Ich näherte mich in einer Weise, daß er mich nicht bemerken konnte, und trat dann schnell ein. Da saßen die beiden Kinder und knabberten an einigen Datteln, mit denen er ihre Aufmerksamkeit gefangen genommen hatte; er aber hatte seine Hand in der Innentasche meines Haïks, natürlich um den Inhalt derselben zu untersuchen. Ich that, als ob ich das nicht bemerkte, und erteilte ihm irgend einen kleinen Auftrag, infolgedessen er sich zu entfernen hatte.
Wie wohlbegründet waren meine Befürchtungen gewesen! Nun fragte es sich, welchen Auftrag dieser Mann von Abd el Barak empfangen hatte. Mich zu ermorden? Wohl möglich, aber ganz so Schlimmes wollte ich doch nicht vermuten. Wahrscheinlicher war es, daß seine Aufgabe darin bestand, mir die Unterschriften zu entwenden. Vielleicht hatte er soeben in der Haïktasche nach ihnen gesucht. Aber sei dem, wie ihm wolle, ich befand mich in keiner angenehmen Lage und hätte lieber, wenn dies möglich gewesen wäre, die Dahabijeh sofort verlassen. Dies konnte später leicht geschehen, denn diese Schiffe legen des Abends fast regelmäßig am Ufer an, und es stand wohl nicht zu befürchten, daß es mir schon heute an den Kragen gehen solle. Ich gab zunächst alles Grübeln auf und machte mich an die Einrichtung meiner kleinen, schwimmenden Häuslichkeit. Man reist mit dem Nilboote sehr langsam, und ich hatte mich also auf eine Reihe von Tagen einzurichten. Da galt es vor allen Dingen, mein Eigentum, besonders die mitgenommenen Lebensmittel, vor den Ratten zu schützen, welche eine wahre Plage auf diesen Booten sind. Dabei kam mir auch ein Paket Rauchtabak in die Hände. Ich öffnete dasselbe und fand ein zusammengelegtes Papier obenauf liegen, auf welchem geschrieben stand: Ihr Reisegeld bis Siut. Das Papier war schwer; als ich es auseinandergeschlagen hatte, blinkten mir zwanzig Sovereigns entgegen. Das waren nach türkischer Ausdrucksweise zwanzig Inglis liraszy, über vierhundert Mark nach deutschem Gelde. Mein dicker Murad Nassyr war gar kein übler Türke. Leider hatten wir in Beziehung auf den Glauben sehr verschiedene Meinung; aber in Hinsicht auf Geldangelegenheiten schien zwischen uns die erfreulichste Harmonie zu bestehen. Nur fragte es sich, zu welcher Art von Diensten er mich dadurch verpflichten wollte. Es bestand noch immer eine leise Ahnung in mir, daß seine Geschäfte doch nicht ganz von derjenigen Gattung seien, zu welcher ich mich bedenkenlos verstehen durfte. Über sein sonst so ehrliches Gesicht war zuweilen ein Zug gegangen, wie man ihn nur bei Personen bemerkt, denen jeder Weg recht ist, falls er sie nur zum Ziele führt. Sein Verhalten zu mir war ganz gewiß auch mit die Folge eines gewissen Wohlwollens; das gab ich gerne zu; der eigentliche Grund desselben lag aber sicher in einer selbstsüchtigen Berechnung, die ich ihm freilich nicht übelnehmen konnte, da wir Menschen ja alle mehr oder weniger Egoisten sind, wie jeder Aufrichtige gestehen wird.
Ich baute, um die Ratten abzuhalten, von den Flaschen eine Unterlage, auf welche sämtliche Effekten und Vorräte zu liegen kamen. Dabei halfen mir meine beiden Neger, und es stellte sich bei dieser Gelegenheit heraus, daß sie recht geschickt waren und ein gutes Fassungsvermögen besaßen. Freilich hätte ich mir diese Arbeit ersparen können, aber ich ahnte nicht, daß mein Aufenthalt auf der Dahabijeh nicht einmal einen Tag währen werde.
Wie in dieser Jahreszeit fast immer, herrschte Nordwind, und das Segelboot machte eine ziemlich schnelle Fahrt, bis die Sonne im Westen verschwand und das Moghreb, gebetet wurde. Dann aber ließ der Reïs halbe Luft nehmen; die Dahabijeh ging langsamer, und ich sah, daß das Steuer nach dem linken Ufer des Stromes gelegt wurde. Ich ging infolgedessen zum Reïs und fragte ihn nach der Ursache dieses Manövers.
»Wir legen in Giseh an,« antwortete er mir.
»Aber warum das? Unsere Fahrt hat ja eben erst begonnen. Aus welchem Grunde soll sie schon unterbrochen werden? Es ist ja noch nicht finster, und bald werden die Sterne erscheinen, bei deren Licht wir recht gut noch bis Atar en Nebi und Der et Tin oder gar bis Menil Schiba und Der Ibn Sufgan segeln können!«
»Woher kennst du diese Orte?« fragte er verwundert. »Wer hat dir von ihnen erzählt?«
Es lag in meinem Interesse, ihn wissen zu lassen, daß ich nicht so unerfahren sei, wie er vielleicht denken mochte; darum antwortete ich ihm:
»Hast du mich für einen Neuling gehalten? Ich bin nicht zum erstenmale hier und habe schon die Katarakte befahren.«
»Dann wirst du wissen, daß jedes Schiff bei hereinbrechender Dunkelheit ans Ufer gelegt wird.«
»Bei wirklicher Dunkelheit, ja. Aber es ist noch nicht Nacht und wird heute überhaupt nicht dunkel werden, da wir den schönsten Sternenschein zu erwarten haben. Auch das Wasser leuchtet. Wir können recht wohl die ganze Nacht durch segeln.«
»Das thut kein erfahrener und vorsichtiger Reïs.«
»O doch! Ich habe es selbst erlebt. Wir sind sehr oft im Mondschein oder wenn die Sterne am Himmel standen, während der Nacht unter Segel gewesen. Wenn du schon in Giseh anlegen willst, war es ganz überflüssig, die Fahrt heute überhaupt zu beginnen. Ich möchte nicht, daß du anlegst, und du weißt, daß jeder verständige Reïs sich nach den Wünschen der Passagiere richtet.«
»Es giebt darüber keine Vorschrift. Ich bin der Gebieter dieser Dahabijeh und handle ganz nach meinem Wohlgefallen.«
»So mußt du gewärtig sein, daß ich deine Ungefälligkeit bekannt gebe und dann von den Franken, welche die besten Passagiere und Zahler sind, kein einziger wieder mit dir fährt.«
»Sie mögen es bleiben lassen. Ich brauche sie nicht!«
Er drehte sich um und ging fort. Damit war die Sache abgemacht. Das zeitige Anlegen in Giseh mußte einen besonderen Grund haben, die Folge einer ganz bestimmten Absicht sein, welche jedenfalls mit der Anwesenheit meines Gespenstes Nummer Drei zusammenhing. Es sollte etwas vor sich gehen, was man nicht aufschieben, sondern noch in der Nähe von Kairo geschehen lassen wollte. Was aber konnte das sein? Rache an mir nehmen? Die beiden Neger entführen? Mir die Unterschriften Abd el Baraks entreißen? Wahrscheinlich waren die drei Vermutungen sämtlich richtig, da diese Punkte in innigem Zusammenhange miteinander standen.
Was Giseh betrifft, so ist es der Landungsplatz aller Reisenden, welche von Kairo aus die Pyramiden besuchen, welche in einer Entfernung von acht Kilometern liegen. Zur Zeit der Überschwemmung, während welcher man auf den sich aus dem Wasser erhebenden Dämmen einen bedeutenden Umweg zu machen hat, beträgt diese Entfernung fast das Doppelte. Der Ort ist wegen seiner künstlichen Brutöfen bekannt, und es führt da eine eiserne Drehbrücke über den Nil. Gegenüber der Insel Roda liegt der Haremsgarten und der Park des Selamlik. Sonst giebt es nur verfallene Bazars und Ruinen alter Landhäuser der Mameluken, auch einige Cafés, welche aber der Fuß des Europäers nur ungern betritt. Giseh konnte mir also gar nichts bieten, und darum nahm ich mir vor, nicht am Lande zu übernachten, sondern an Bord zu bleiben. Aber ich hatte Grund, mich zu verstellen und so zu thun, als ob ich das Segelboot verlassen wollte. Darum warf ich, als die Dahabijeh ans Ufer befestigt worden war, meinen Haïk. über, nahm die beiden Neger bei den Händen und gab mir den Anschein, als ob ich aufzubrechen beabsichtige. Da kam der Reïs schnell herbei und fragte:
»Was hast du vor? Willst du etwa aussteigen, Effendi, um während der Nacht in Giseh zu schlafen?«
»Ja.«
»Du wirst kein Nachtlager finden!«
»Warum nicht? Man wird mich, da ich gut bezahle, gern in jedem Hause aufnehmen.«
»Aber wir werden sehr zeitig absegeln, und wenn du das verschläfst, so bleibst du hier sitzen!«
»Das ist unmöglich, denn ich werde dich benachrichtigen lassen, wo ich mich befinde, so daß du mich holen lassen kannst.«
»Holen lassen kann ich dich nicht. Ich muß mich nach dem Morgenwinde richten und sofort absegeln, wenn er zu wehen beginnt.«
»Mir vorher einen Boten zu senden, das würde doch nur eine Versäumnis von wenigen Minuten nach sich ziehen!«
»Selbst diese wenigen darf ich nicht versäumen.«
»Warum bist du plötzlich so eilig, während du hier angelegt hast, obgleich du weitersegeln konntest?«
»Ich bin Reïs und brauche dir meine Gründe nicht mitzuteilen. Wenn du gehen willst, so gehe; aber ich werde dich nicht rufen lassen. Wenn ich sehe, daß die Sterne hell genug scheinen, werde ich sogar noch vor Mitternacht abfahren. Dann magst du zusehen, ob du uns einzuholen vermagst.«
»So muß ich mich in deinen Willen fügen und hier bleiben. Allah vergelte dir die Freundlichkeit, mit welcher du deine Passagiere behandelst!,
Ich sagte das in unwilligem Tone und zeigte dabei absichtlich ein mißvergnügtes Gesicht. Über das seinige aber glitt eine sichtbare Genugthuung, welche zu bemerken ich mir jedoch nicht den Anschein gab. ich hatte meinen Zweck erreicht und wußte nun, woran ich war. Ich sollte nicht von Bord gehen; man beabsichtigte also das, was man gegen mich vorhatte, in dieser Nacht auszuführen. Das war mir lieb. Wenn gleich hier der Handel zu Ende ging, hatte ich nicht für längere Zeit in Ungewißheit zu schweben.
Die Matrosen bekamen die Freiheit gewährt, welche mir versagt wurde; sie durften an das Land gehen. Ich beobachtete ihre Entfernung; sie gingen alle, und nur drei Personen blieben zurück, nämlich der Reïs, der Steuermann und der famose Kajütendiener mit der Karfunkelnase. Ich konnte mir sehr wohl denken, weshalb es den Leuten erlaubt worden war, von Bord zu gehen. Man wollte sich aller unnötigen Zeugen entledigen.
Bald kam der Diener zu mir in die Kajüte, um mich zu fragen, ob ich irgend einen Wunsch habe. Ich verlangte Wasser und eine Lampe, um immer Feuer für die Pfeife zu haben. Er brachte mir beides, und bei dieser Gelegenheit bemerkte ich ihm so nebenbei, daß ich mich unwohl fühle und infolgedessen die Kajüte nicht verlassen werde. Dabei zog ich meine Brieftasche aus der Jacke, öffnete sie so beiläufig und ließ sehen, daß sie Papiere enthielt. Das that ich, um die Sache abzukürzen und die guten Leute auf den Leim gehen zu lassen. Daß ich das Richtige gedacht und getroffen hatte, erfuhr ich sofort, denn der Mann antwortete mir in freundlich besorgtem Tone:
»Das machest du recht, Effendi. Bleibe in der Kajüte. Die Nachtluft ist für den Fremden äußerst schädlich, und schon mancher hat sich eine unheilbare Augenentzündung geholt, weil er abends im Freien geblieben ist. Schone also das Licht deiner Augen! Wirst du heute meiner noch einmal bedürfen?«
»Nein. Ich speise jetzt einige Datteln, rauche noch zwei Pfeifen und lege mich dann zur Ruhe.«
»So will ich gehen, um dich nicht zu stören. Deine Nacht sei glücklich!«
Er machte mir eine Verbeugung, wenn auch keinen so halsbrecherischen Katzenbuckel wie der lange Haushofmeister meines dicken Türken, und entfernte sich, wobei er die Strohmatte herabließ, um meine Koje gegen das Deck hin zu verschließen. Kaum hatte er das gethan, so blies ich die Thonlampe aus, um den Raum zu verdunkeln, damit ich nicht gesehen werden könne, hob die Matte ein wenig empor und blickte ihm nach. Ich ahnte nämlich, daß er die anderen Biedermänner sofort von dem, was ich gesagt hatte, benachrichtigen werde.
Es brannte auf dem ganzen Deck kein Licht. Das Heer der Sterne war noch nicht erschienen; nur einzelne Vorboten desselben standen am Himmel und vermochten nicht, das gegenwärtige Dunkel zu lichten. Meine geübten Augen waren wohl schärfer als diejenigen der Araber. Ich sah den Diener nach der Mitte des Schiffes gehen, kroch unter der Matte hinaus und folgte ihm nach. Zwar konnte ich nicht so weit sehen, aber ich hatte bemerkt, daß dort mehrere große, in Bastmatten gehüllte Tabaksballen standen, welche wohl nach dem Süden bestimmt waren. Dorthin kroch ich auf den Händen und Knieen so rasch wie möglich. Meine Voraussetzung bewährte sich, denn als ich in die Nähe kam, hörte ich sprechen. Rechts an die Ballen gelehnt, saß ein Mann; ein anderer stand neben ihm. Ich schob mich also nach links hinüber und legte mich lang und eng an die andere Seite der Tabakskolli. Dabei hörte ich, daß der eine zu dem andern sagte:
»Warte noch! Man soll eine Sache nicht zweimal erwähnen, wenn man sie nur einmal zu sagen braucht. Der Reïs wird gleich zurückkommen.
»Wo ist er?«
»Am Ufer, um dort die Laterne zu befestigen, damit der Muza’bir, sich zurechtfinden kann, wenn er kommt.«
Diese beiden Männer waren der Steuermann und mein Kajütendiener. Also es wurde am Lande eine Laterne als Zeichen angesteckt, und zwar für einen Gaukler. Wozu dieser Kerl? War er aus Giseh oder aus Kairo? Kam er meinetwegen oder um die Fahrt mitzumachen und das Schiffsvolk zu belustigen? Solchen Leuten pflegt man als Bezahlung ihrer Kunststücke das Passagiergeld zu schenken.
Da ich am Boden lag und der Rand des Deckes beinahe Brusthöhe hatte, konnte ich das Ufer und also auch die Laterne nicht sehen; dafür aber meinte der Diener, welcher aufrecht stand:
»Jetzt brennt sie. Er hat eine Stange in die Erde gesteckt und sie daran befestigt. Nun wird er zurückkehren.«
Ich lag nach der Fluß- und der Reïs mußte von der Landseite das Schiff betreten; darum durfte ich hoffen, von ihm nicht bemerkt zu werden. Ich befand mich ungefähr in der Lage eines Indianer beschleichenden Prairiejägers. Nun, darin hatte ich leidliche Übung, und so war ich überzeugt, irgend etwas Wichtiges zu erfahren.
Jetzt kam der Reïs an Bord und quer über das Deck gegangen. Er wurde mit einem »Pst!« herbeigerufen, sah die beiden und fragte, indem er bei ihnen stehen blieb:
»Nun, was thut dieser Giaur, den Allah ewig brennen lassen wird?«
Das war freilich etwas ganz anderes als die Höflichkeit, mit welcher er mich bei meiner Ankunft empfangen hatte!
»Er sitzt in seiner Kammer und raucht,« antwortete der Geist Nummer Drei.
»Wird er nicht herauskommen?«
»Nein. Er fühlt sich unwohl, will zwei Pfeifen rauchen und dann schlafen. Außerdem habe ich ihm gesagt, daß er die Augenentzündung bekommen werde, wenn er herausgeht.«
»Das ist sehr klug von dir gewesen. Möge dieser Hund an seinem Tabake ersticken! Wie kann so ein stinkender Kadaver es wagen, sich an unserm frommen Mokkadem zu vergreifen und ihm seine Sklaven zu stehlen! Die Hand, mit welcher er das gethan hat, soll verdorren und nie wieder gesund werden! Warum hat der Mokkadem, den Allah beschirmen möge, dir den Tod dieses Ungläubigen nicht anbefohlen?«
»Nur aus dem Grunde, dich nicht in Gefahr zu bringen, denn man weiß, daß er auf deine Dahabijeh gestiegen ist, und würde, wenn er verschwände, dich zur Rechenschaft ziehen.«
»Das ist wahr. Aber ich könnte sagen, daß er unterwegs ausgestiegen sei, und alle meine Leute würden es, wie ich hoffe, mir bezeugen.«
»Du hast einige dabei, denen nicht zu trauen ist, weil sie noch nicht lange bei dir sind. Darum habe ich dir geraten, sie jetzt vom Schiffe zu entfernen. Sie brauchen nicht zu wissen, daß der Muza’bir an Bord kommt.«
»Es war gar nicht nötig, mir ihn zu schicken. Ich habe seinetwegen hier anlegen müssen, was dem Christen aufgefallen ist. Glücklicherweise scheint er nichts zu ahnen. Ein gläubiger Diener des Propheten hätte sofort bemerkt, daß er sich in Gefahr befinde. Müßten wir nicht auf den Muza’bir warten, so hätten wir weiter fahren können, und du hättest an seiner Stelle die Papiere stehlen können, um sie dem Mokkadem zu bringen.«
»Allah, Wallah! Was traust du mir zu! Der Giaur ist ein starker Kerl; ich habe es fühlen müssen. Er hat den Mokkadem, der doch die Kraft eines Löwen besitzt, besiegt, seinen Diener niedergeschlagen und hätte auch bald noch mich ergriffen. Ich werde die Spuren seiner Faust noch einen Monat lang im Gesichte tragen. Daß er mir den Glanz meines Daseins in dieser Weise geschändet hat, dafür mag der Teufel seinen Leib in tausend Stücke zerreißen und seine Seele durch das stärkste Feuer verzehren lassen! Ich fürchte mich nicht, und mein Herz ist voller Kühnheit wie dasjenige des Panthers, aber des Nachts Papiere unbemerkt aus der Tasche eines solchen Totschlägers zu holen, das kann ich nicht, das habe ich nicht geübt; das kann nur der Muza’bir, welcher tausend Kunststücke kennt und zugleich der berühmteste Taschendieb ist. Darum ist er uns von dem Mokkadem nachgeschickt worden. Er wird kommen, die Papiere nehmen und dann verschwinden. Der Giaur mag, wenn er sie vermißt, thun, was ihm beliebt; auf der Dahabijeh sind sie nicht zu finden.«
»Weißt du denn, ob er sie auch wirklich bei sich hat?«
»Er hat sie ganz gewiß!«
»Du kannst dich irren. Ebenso gut kann Murad Nassyr, der Türke, sie in Aufbewahrung genommen haben.«
»Nein. Ich bin ganz der Ansicht, welche unser frommer Mokkadem ausgesprochen hat. Der Giaur ist klüger, vorsichtiger und stärker als der Türke und wird ihm also nicht so wichtige Dinge anvertrauen, sondern sie auf alle Fälle selbst behalten. Außerdem sah ich, als ich jetzt bei ihm war, eine Brieftasche in seiner Hand, in welcher sich Briefe und viele andere Papiere befinden. Die drei Unterschriften werden gewiß dabei sein.«
»Ich hoffe es! Aber es ist keine leichte Sache, sie ihm abzunehmen. Wenn er dabei erwacht, wird es mißlingen.«
»Der Muza’bir hat eine leichte Hand und noch weit Schwereres vollbracht. Du kannst dir doch denken, daß der Mokkadem nicht einen ungeschickten Mann senden wird, sondern einen, der den Streich gewiß vollbringt.«
»Mag sein; aber dennoch wäre es besser gewesen, den Ungläubigen zu töten! Da hätte auch nicht der leiseste Zweifel über das Gelingen vorhanden sein können.«
»Ein Zweifel ist ja auch jetzt nicht da.Der Mokkadem muß seine Papiere auf alle Fälle haben und hat dem Muza’bir jedenfalls die genaueste Unterweisung gegeben. Dieser ist natürlich mit einem Messer versehen. Erwacht der Christ nicht, nun gut, so bleibt er einstweilen noch am Leben, damit dir nichts geschehen kann; wacht er dabei auf, so stößt ihm der Muza’bir das Messer in das Herz.«
»Einstweilen noch am Leben? Also sterben soll er später doch?«
»Ja, aus Strafe für das, was er gegen den Mokkadem gesündigt hat.«
»Wann und wo?«
»Das ist noch unbestimmt. Wie ich dir schon sagte, wird er jetzt nur um deinetwillen geschont, weil du ein treues Mitglied der Kadirine und ein Schützling Abd el Baraks bist; aber auf Thaten, wie die seinigen sind, muß der Tod erfolgen. Für heute behält er sein Leben, aber es hängt an einem dünnen Haare, welches bei der nächsten Gelegenheit zerrissen wird.«
»Wohl in Siut, wo er aussteigen und auf den Türken warten will?«
»Das kann ich nicht sagen, denn man muß sich nach den Umständen richten, und wir wissen nicht, ob sie dort günstig für uns sein werden.«
»Dann entgeht er euch, da er euch dort aus den Augen ist.«
»O nein. Du weißt doch, daß es noch unbestimmt ist, wie weit du mich mitzunehmen hast. Ich will offen sein und dir sagen, daß ich den Befehl habe, bei dem Giaur zu bleiben.«
»Du sollst ihn beobachten?«
»Ja. Ich darf ihn nicht aus den Augen lassen. Ich muß so höflich und aufmerksam gegen ihn sein, daß ich sein Vertrauen erwerbe; dann wird es mir nicht schwer fallen, ihn so weit zu bringen, daß er mich als Diener bei sich behält.«
»Der Plan ist gut, und ich werde dich ihm sehr empfehlen. Aber sollst auch du es sein, der ihn dann tötet?«
»Nein. Der Mokkadem hat den Wunsch, ihn sterben zu sehen, um ihm in seinem letzten Augenblicke den Fluch eines gläubigen Moslem nachschleudern zu können.«
»Aber der Mokkadem befindet sich doch hier in Kahira!«
»Heute, ja; aber er wird auch nach dem Süden gehen, nach Chartum und noch weiter.«
»Wohl im Interesse der heiligen Kadirine?«
»Ja. Er hat einen Brief erhalten, welcher diese Reise zur Notwendigkeit macht. Es giebt dort einen außerordentlich frommen und gelehrten Fakih (muhammedanischer Mönch), welcher in die Kadirine getreten ist und einen großen Plan ausgedacht hat, den heiligen Islam über die ganze Welt zu verbreiten. Er heißt Schech Mohammed Achmed oder Achmed Suleimani; ich weiß es nicht mehr genau, und sein Plan soll von so großer Wichtigkeit sein und, wenn er zur Ausführung kommt, unsere Kadirine zu solchem Glanze bringen, daß der Mokkadem sich entschlossen hat, dem Ruf dieses Mannes zu folgen und ihn zu besuchen, um alles weitere mit ihm zu besprechen. Du siehst also, daß Abd el Barak nicht in Kahira bleiben, sondern auch nach Chartum gehen und dort diesen Christenhund treffen wird. Vielleicht begegnet er ihm schon früher. Ich werde dafür sorgen, daß es geschieht, denn ich weiß, mit welchem Schiffe der Mokkadem fahren wird.«
»Was ich da höre, ist von großer Wichtigkeit. ja, nun begreife ich, daß es nicht nötig ist, diesen Giaur hier auf meiner Dahabijeh umzubringen. Da oben im Süden haben die fremden Konsuls nicht die Macht wie hier, und es bekümmert sich kein Mensch um das Verschwinden eines ungläubigen Hundes. Der Mokkadem wird sicherlich in Siut anlegen und aussteigen. Wenn du den Giaur so lange festhalten kannst, so wird es dir leicht sein, ihn in die Hände Abd el Baraks zu liefern, und ich hoffe, daß es ihm nicht gelingen wird, der Rache desselben zu entkommen. Aber sage, darfst du davon sprechen? Die drei Schriften, welche ihm abgenommen werden sollen, müssen von großer Wichtigkeit sein. Kennst du ihren Inhalt?«
»Nein. Der Muza’bir wird ihn kennen, da er die Papiere zu lesen und zu prüfen hat, ob es die richtigen sind. Mir aber hat der Mokkadem nichts anvertraut, denn ––«
Er wurde unterbrochen. Es kam ein Mann, welcher eine Laterne in der Hand hielt, an Bord, jedenfalls der eben erwähnte Muza’bir, der erwartete Gaukler und Taschendieb. Er hatte die Laterne unten weg- und mit an Bord genommen. Mit derselben umherleuchtend, erblickte er die drei, kam auf sie zu und grüßte:
»Massik bilchair!«
»Ahla wa sahla wa marhaba!«, antwortete der Reïs.
»Marhaba!« fielen die beiden andern ein.
Man pflegt gewöhnlich nur das Wort Marhaba zu sagen, welches dann »Willkommen« bedeutet. Daß der Kapitän sich der ausführlichen Formel bediente, ließ erraten, welchen Respekt er vor diesem »größten Taschendieb« Ägyptens hatte. Ich mußte mir den Gaukler und Gauner betrachten und schob den Kopf ein wenig vor. Er setzte die Laterne auf den nächsten Tabakballen, und das Licht derselben fiel hell auf sein Gesicht und seine Gestalt. Er stand in dem Alter des Mokkadem, hatte dieselbe Farbe und denselben negerartigen Typus des Gesichts und war nicht ganz so hoch, aber weit breitschulteriger als er. Dieser Mensch war wenigstens ebenso stark, gewiß aber viel gewandter als Abd el Barak, sein ehrenwerter Auftraggeber. Gekleidet war er in ein langes, dunkles Hemde, um welches ein Strick geschlungen war, in dem ein Messer steckte. An den Füßen trug er Strohsandalen. Das war der Anzug eines armen Mannes; aber in den Ohren hingen schwere, dicke Goldringe, und an den dunklen Fingern glänzten wenigstens zehn wertvolle Reife mit funkelnden Steinen. Seine Stimme klang stolz und selbstbewußt, als er sich erkundigte:
»Meine Ankunft ist euch gemeldet?«
»Ja, Herr, wir erwarteten dich,« antwortete der Reïs.
»Befindet sich der Hund hier oder ist er ausgestiegen?«
»Er liegt in der Kajüte.«
»Mit Licht?«
»Ja; aber vielleicht löscht er es vor dein Einschlafen aus. Die Negerkinder sind bei ihm.«
»Mag er es auslöschen oder brennen lassen, mir ist es gleich. Mein Werk wird vollbracht, selbst wenn er sich in die Finsternis des Grabes hüllen öder hundert Flammen brennen sollte. Ich habe nicht Lust, lange zu warten, und werde bald beginnen. Da ich aber die Örtlichkeit nicht kenne, werdet Ihr sie mir beschreiben und mir auch die Lage jedes Gegenstandes, welcher sich bei ihm befindet, sagen.«
Da der Geist Nummer Drei bei mir gewesen war, so übernahm er die geforderte Beschreibung. Ich hielt es für geboten, diese nicht mit anzuhören, sondern mich zu entfernen. Der Taschendieb hatte es eilig, und auch mir lag daran, die Spannung, in welcher ich mich ganz natürlich befand, möglichst abzukürzen. Darum kroch ich fort, der Kajüte zu.
Der erste Teil dieses wenn auch kurzen Weges, war nicht leicht zurückzulegen, da die Laterne brannte. Glücklicherweise standen der Reïs und der Muza’bir so, daß ihre Schatten zusammenfielen und einen langen, dunklen Strich auf das Deck warfen. Es gelang mir, denselben zu erreichen, und indem ich mich in diesem Dunkel hielt und nicht vor-, sondern rückwärts kroch, um die vier Männer fest im Auge zu behalten, gelangte ich glücklich an die Strohmatte und unter derselben durch in meine Koje.
Noch mit dem letzten Blicke, den ich nach vorn warf, sah ich, daß der Gaukler die Laterne auslöschte. Wäre er so vorsichtig gewesen, dies eher zu thun, so hätte ich mir sein Äußeres nicht einprägen können, was, wie ich später erfuhr, von den schlimmsten Folgen für mich geworden wäre. Man sieht, selbst der berühmteste Taschendieb Ägyptens macht Fehler. Zunächst brannte ich meine Lampe wieder an, was nicht schwer war, da ich mit einem guten Vorrat von Schwefelhölzern, welche im Süden selten und teuer sind, versehen war. Ich wollte mich nämlich nicht im Dunkeln, was für mich gefährlicher war, sondern bei Licht bestehlen lassen.
Sodann nahm ich die drei Unterschriften und einige mir wichtige andere Papiere aus der Brieftasche und versteckte sie, während ich das Portefeuille wieder in die Brusttasche meiner Jacke steckte. Der Diener hatte vorhin gesehen, daß ich es dort aufhob, und es war als sicher anzunehmen, daß er dies dem Gauner sagen werde. Warum wollte ich die Spitzbüberei zur Ausführung kommen lassen? Nur des Beweises halber? Wenn ich aufrichtig sein will, so geschah es wohl auch ein wenig mit, um diesen Menschen zu beweisen, daß sich in dem Kopfe eines Christenhundes auch Gehirn befindet, und daß ich weder blind noch taub war. Mein Vorhaben war gar nicht so ungefährlich für mich. Es konnte dem Muza’bir doch aus irgend einem Grunde belieben, mir das Messer zu geben; aber ich glaubte, mich auf meine Augen und meine Schnelligkeit verlassen zu können.
Die Kinder hatten schon vorher zu essen bekommen. Sie lagen bei einander, schliefen aber noch nicht. Ich teilte ihnen mit, daß ein Mann kommen und mir in die Tasche greifen werde, bat sie aber, keine Angst zu haben und sich nicht zu bewegen, sondern so zu thun, als ob sie schliefen. Sie versprachen es mir, und ich war überzeugt, daß sie das Versprechen halten würden. Dann legte ich beide so, daß sie dem Eingange den Rücken zukehrten.
Ich selbst legte mich auf die rechte Seite, so, daß die Lampe mein Gesicht beschien. Eigentlich hätte ich dasselbe im Dunkel lassen sollen; aber der Spitzbube sollte gleich im ersten Augenblicke überzeugt sein, daß ich schlafe. Die Jacke öffnete ich, so daß er, da ich mit der linken Seite nach oben lag, auf das leichteste mit der Hand in meine Brusttasche greifen konnte. Je weniger schwer ich ihm die Sache machte, desto mehr verringerte ich die Gefahr, in welcher ich mich dabei befand. Um aber auf alles vorbereitet zu sein, schob ich mir einen meiner beiden Revolver so unter den Nacken, daß ich ihn mit der rechten Hand, auf welcher ich den Kopf liegen hatte, schnell ergreifen und spannen konnte. Nun war ich bereit und wünschte sonst nichts, als daß ich nicht allzu lange zu warten haben möge.
Dieser Wunsch ging in Erfüllung. Ich hielt die Augen so weit geschlossen, daß ich durch die Wimpern die Strohmatte sehen konnte. Sie wurde bewegt, ganz unten in der einen Ecke, leise, ganz leise, einen Zoll hoch, zwei, drei, vier, sechs Zoll hoch. Der Kerl sah herein. Nach einiger Zeit räusperte er sich. Ich atmete ruhig wie ein tief Schlafender fort. Nun hustete er, nicht laut, aber doch so, daß ich es hören und davon erwachen Mußte, falls mein Schlaf ein leichter war. Ich regte mich auch jetzt nicht. Es wurde mir doch angst, nicht um mich, sondern um die Kinder, denn wenn eins derselben im kritischen Augenblicke die Mahnung vergaß, so konnte es um mich und dann natürlich auch um sie, wenigstens um ihre Freiheit geschehen sein. Ich begann einzusehen, daß ich die Sache denn doch ein wenig zu leicht genommen hatte.
Wie ich später erfuhr, hatten die Kinder das Räuspern und Husten zwar gehört, aber geglaubt, daß es von mir ausgehe. Sehen konnten sie den Muza’bir nicht, und was er that, geschah vollständig geräuschlos, daß sie es nicht hörten und, als er sich entfernt hatte, gar nicht wußten, daß der betreffende Mann schon dagewesen sei.
Er hatte jetzt die Überzeugung gewonnen, daß ich in festem Schlafe liege, und kam herein, indem er erst den Kopf, die Schulter, dann den Leib unter der Matte vorschob und endlich die Beine nachzog. In der Rechten hielt er das Messer. Seine Augen wichen nicht von meinem Gesichte; sie glichen den Augen eines wilden Tieres vor dem tödlichen Sprunge auf die Beute. Als er den ganzen Körper diesseits der Matte hatte, richtete er sich knieend auf und räusperte sich noch einmal. Ich rührte mich nicht. Der Kerl ging sehr sicher. Wie vorsichtig und gefährlich er war, ging daraus hervor, daß er sein Gewand vollständig abgelegt und den dunklen Körper mit Öl eingerieben hatte. Die Hände des stärksten und gewandtesten Gegners hätten ihn nicht zu ergreifen vermocht, da sie von ihm abgeglitten wären.
Jetzt rutschte er heran zu mir, setzte mir die Spitze des Messers auf die Brust und legte zugleich die Finger seiner linken Hand auf die Stelle, an welcher er die Brieftasche vermutete. Er fühlte sie, hob die Jacke empor und zog den begehrten Gegenstand aus der Brusttasche, nicht schnell, sondern langsam, so langsam, daß es mir schien, er brauche Viertelstunden dazu. Endlich befand er sich in dem Besitze des Portefeuilles. Er nahm das Messer von meiner Brust und befühlte mit beiden Händen seine Beute. Es war noch genug Papier darin, und über sein Gesicht zuckte es wie Befriedigung.
Nun sah er sich im Raume um, jedenfalls, um noch etwas mitgehen zu heißen. Er schien aber doch zu glauben, daß dies nicht ohne Geräusch abgehen werde, und begnügte sich mit der bisherigen Beute. Sein Rückzug ging ebenso langsam und vorsichtig von statten, wie seine Annäherung gewesen war; ja, als er sich schon draußen befand, hob er die Matte nochmals auf, um herein zu blicken und sich zu überzeugen, daß ich wirklich geschlafen habe.
Ich wartete höchstens eine Minute, länger nicht; dann blies ich die Lampe aus, nahm den Revolver in die Linke und sprang auf. Die Matte ein wenig zurückschlagend, sah ich drei von den vier Halunken dort bei den Tabaksballen stehen, nämlich den Reïs, mein liebes Gespenst Nummer Drei und den Muza’bir. Letzterer hatte sein langes Hemd schon wieder angelegt, drehte mir den Rücken zu, so daß ich sein Gesicht nicht sehen konnte, und schien mit der Untersuchung meiner Brieftasche eben fertig zu sein, denn er schwenkte dieselbe vor den Gesichtern der beiden andern hin und her und teilte ihnen, wie ich aus diesen ärgerlichen Bewegungen erriet, mit, daß sie die gesuchten Papiere nicht enthielt.
Wo war der vierte, der Steuermann? Sein jetziger Aufenthaltsort schien mir, freilich irrtümlicherweise, wie ich sofort erkennen sollte, gleichgültig sein zu können, denn ich hatte es mit dem Muza’bir zu thun. Ich schob also die Matte vollends zurück und trat auf das Deck, um mich den drei Männern zu nähern. Da aber ertönte neben mir der laute Warnungsruf.
»Der Effendi, der Effendi!«
Es war der Steuermann, welcher diese Worte rief. Er war oben am Steuer gewesen, aus irgend einem Grunde, den ich nicht kannte, kam eben die schmalen Stufen herab, welche neben meiner Kajüte hinaufführten, und hatte mich gesehen. Jetzt hatte ich Gelegenheit, die bewundernswerte Geistesgegenwart des Taschendiebes zu beobachten. Der Ruf des Steuermannes sagte ihm, daß ich auf dem Deck sei. Ich mußte also erwacht sein und vielleicht gar meinen Verlust schon bemerkt haben. Jetzt gab es für ihn nur zweierlei, entweder mich zu ermorden und die Papiere dann doch noch zu finden, oder zu fliehen. Es schien ihm geraten, auf das erstere zu verzichten. Jedenfalls hatte er von dem Mokkadem genug über mich gehört, um anzunehmen, daß ein Angriff auf mich nicht ungefährlich sei. Also gab es nur das zweite, die Flucht; aber wegen etwaiger späterer Vorkommnisse mußte er vermeiden, mir hierbei sein Gesicht zu zeigen, damit ich ihn gegebenen Falls nicht wieder erkenne. Das mußten die Gedanken sein, welche in einem einzigen Augenblicke durch seinen Kopf gingen. Jeder andere hätte sich infolge des Warnungsrufes nach mir umgesehen; auch der Reïs und der Diener blickten erschrocken nach hinten; der Gaukler aber drehte sich nicht um; ich hörte seine schnelle, halb unterdrückte, mir aber dennoch vernehmliche Frage:
»Ist’s der Hund wirklich?«
»Jedenfalls!« antwortete der Reïs.
»So war’s für dieses Mal umsonst!«
Er warf meine Brieftasche weg, so daß die Papiere zerstreut umherflogen, schnellte sich wie eine Schlange nach dem Landungsbrette und verschwand im Dunkel des Abends, dessen Sterne jetzt allerdings schon zu leuchten begannen, doch nicht so sehr, daß ich dem Flüchtigen mit dem Auge zu folgen vermocht hätte.
Da er sich meiner Brieftasche entledigt hatte und ich dieselbe also wieder in meinen Besitz bringen konnte, so war mir sein Entkommen gar nicht unlieb. Was hätte ich, falls ich ihn ergriffen hätte, wie es in meiner Absicht lag, mit ihm thun sollen? Ihn dem Mudir von Gisehl der hiesigen Polizei ausliefern? Welche Scherereien wären für mich dadurch entstanden! Oder ihn laufen lassen, nachdem ich ihm meine Meinung gesagt hatte? Nun, er war selber gegangen, und so war ich der Mühe, ihm meine Ansicht über ihn mitzuteilen, enthoben. Ich fragte also den Steuermann gar nicht etwa zornig, sondern im ruhigsten Tone:
»Warum schreiest du so? Soll man es in Kahira hören, daß ich hier bin!«
»Verzeihe, Effendi!« antwortete er. »Ich war so über dich erschrocken.«
»Habe ich ein so entsetzliches Aussehen?«
»Nein, nein; aber – aber – ich glaubte, ich dachte – –« stotterte er.
»Nun, was denn? Was dachtest du?«
»Ich glaubte dich schlafend, und da – erschrak ich so!«
»Gerade als ob ich ein Gespenst sei, welches unerwartet erscheint?«
»Ja, gerade so!« meinte er, froh, eine Ausrede, wenn auch eine noch so schlechte, souffliert erhalten zu haben.
»Das thut mir leid,« tröstete ich. »Ich hoffe aber, daß der Schreck, welchen ich dir verursacht habe, dir nicht schaden wird. Komm nach vorn zum Reïs!«
Er ging mit. Während dieses kurzen Gespräches hatte ich die beiden andern nicht aus dem Auge gelassen. Sie hatten sich gebückt, schnell meine Papiere zusammengelesen, dieselben in die Brieftasche gelegt, und dann war die letztere unter dem Gewande des Reïs verschwunden. Auch ich hatte etwas eingesteckt, nämlich den Revolver, der mir nun nicht mehr nötig zu sein schien, wenigstens in diesen ersten Augenblicken. Es war recht gut möglich, daß dem Taschendieb der Gedanke kam, unbemerkt, was gar nicht schwer war, zurückzukehren und dann über mich herzufallen. Er hatte vielleicht nur in der ersten Überraschung das Spiel für heute aufgegeben. Er sollte die Papiere bringen; ich mußte sie bei mir haben, wenn nicht in der Brief- dann jedenfalls in einer anderen Tasche. Hatte er mich erstechen wollen, falls ich mich während des Diebstahles bewegte, nun, so schreckte er jedenfalls auch nicht davor zurück, mich, um zu seinem Ziele zu gelangen, nachträglich noch kalt zu machen. Es galt also, aufzupassen, ob er wiederkomme. Das war aber nur bei guter Beleuchtung möglich, und diese mußte sofort geschafft werden, ohne langes Gerede, ohne Zeitversäumnis. Darum fragte ich den Reïs in ganz freundlichem Tone.
»Hast du Fackeln an Bord?«
»Nein. Wozu diese Frage?« antwortete er in erstauntem Tone.
»Weil ich meine, daß du so etwas haben mußt, für den Fall, daß es einmal nötig ist, des Nachts das Schiff und das Wasser sehr hell zu erleuchten.«
»Dann stellen wir vorn und hinten eine Pechpfanne auf.«
»Wo befinden sich diese Schüsseln?«
»Da vorn in dem Verschlage.«
Er deutete nach dem Schnabel des Schiffes, an dessen Innenseite aus Brettern ein schrankartiges Behältnis angebracht worden war. Ich nahm ohne weiteres die Laterne, ging hin, öffnete und sah zwei eiserne Gefäße und einen Vorrat von Pech, Ich füllte das eine und hatte mit Hilfe der Laterne schnell ein Pechstück angebrannt, welches seine Flamme den anderen Stücken mitteilte.
»Was ist das? Was fällt dir ein?« fragte der Reïs, welcher mir mit den beiden andern gefolgt war.
»Frage lieber, was diesem dort einfällt!« antwortete ich, indem ich nach dem Landebrette zeigte, auf welchem soeben eine Gestalt schnell nach dem Ufer huschte. Der Gaukler hatte sich also doch besonnen und zurückkehren wollen. Er stand schon auf dem Brette, welches den Schiffsbord mit dem Ufer verband, und floh nun vor der Helle, welche die Pechflamme verbreitete.
»Wer ist es? Wen meinst du? Ich sehe ja nichts!« meinte der Reïs, obgleich er die Gestalt ebenso gut wie ich gesehen haben mußte.
»Wenn du es wirklich nicht weißt, werde ich es dir sagen,« versprach ich ihm, indem ich auch die zweite Schüssel anbrannte und dann hinauf an das Steuer trug. Auf diese Weise hatte ich die gewünschte Beleuchtung innerhalb zweier Minuten hergestellt, während dies, wenn ich mit dem Reïs hätte darüber verhandeln wollen, kaum binnen einer Stunde oder auch wohl gar nicht zu erreichen gewesen wäre. Dann stieg ich die schmalen Stufen hinab und zog das Landungsbrett an Bord, eine Arbeit, zu welcher eigentlich zwei Männer gehörten.
»Aber, Effendi, welcher Geist ist in dich gefahren!« rief der Reïs. »Allah schütze uns! Wir wissen nicht, was wir aus dir machen und von dir denken sollen!«
Er stand mit den beiden andern am Maste. Ich ging zu ihnen und antwortete: »Welcher Geist in mich gefahren ist? Ja, es scheint freilich hier Geister zu geben. Soeben wollte einer auf das Schiff, aber das Pechfeuer hat ihn vertrieben. Glaubte doch vorhin dieser gute Diener der Kajüte, ich selbst sei ein Gespenst! Welch eine Verwechslung, da er das eigentliche, leibhafte Gespenst ist!«
»Ich?« fragte der Genannte.
»Ja, du! Ich hoffe, daß du das nicht bestreiten wirst.«
»O Allah! Ich ein Gespenst! Effendi, deine Seele ist abwesend. Komm zu dir!«
Ich hatte mich an den Mast gelehnt. Die beiden Feuer beleuchteten das Ufer und die ganze Umgebung des Fahrzeuges, auch die Gesichter der drei Biedermänner, welche nicht wußten, ob sie höflich oder grob mit mir sein sollten. Am liebsten wären sie wohl das letztere gewesen; aber das böse Gewissen veranlaßte sie, sich noch zuwartend zu verhalten.
»Ja, ein Gespenst bist du!« nickte ich dem Kerl in gemütlicher Weise zu. »Ich bin bei mir und brauche also nicht zu mir zu kommen; aber du scheinst dich selbst verloren, du scheinst vergessen zu haben, wer und was du bist, nämlich das Gespenst Nummer Drei.«
Es war ergötzlich, das Gesicht zu sehen, welches er machte, als er, zwei Schritte zurücktretend, mich ganz betroffen und stockend fragte:
»Gespenst – – Nummer – – Drei? Ich verstehe dich nicht.«
»So will ich dir den Gefallen thun, deinem Gedächtnisse zu Hilfe zu kommen. Den Geist Nummer Eins band ich in meinem Zimmer fest; Nummer Zwei schlug ich im Hofe mit der Flinte nieder, und Nummer Drei verfolgte ich bis in den Garten, wo er mir entkam, weil er mit dem Messer nach mir stach. Begreifst du mich nun?«
»Noch – immer nicht!« stotterte er.
»Nicht? Und doch hast du vorhin den beiden Männern, welche da neben dir stehen, gesagt, ich hätte dir den Glanz deines Daseins geschändet und du würdest die Spuren meiner Faust noch einen Monat lang im Gesichte tragen!«
Er antwortete nicht und sah die beiden anderen an, welche auf ihn, auf mich, dann wieder auf ihn blickten und schwiegen.
»Dafür,« fuhr ich fort, »hast du gewünscht, daß der Scheitan meinen Leib in tausend Stücke zerreißen und meine Seele durch das stärkste Feuer der Hölle verzehren lassen möge.«
Der Mann starrte mich wie abwesend an, und brachte kein Wort hervor. Der alte Reïs aber war ein noch härter gesottener Sünder und frech genug, mir zu sagen:
»Effendi, ich weiß nicht, was dich veranlassen kann, diesem frommen und treuen Manne so harte Worte zu sagen. Ich will –«
»Ihn mir empfehlen, nicht wahr ?« fiel ich ihm in die Rede. »Das wolltest du doch. Du hast es ihm versprochen. Er soll mein Diener werden und mich dem Mokkadem in die Hände liefern.«
Der Steuermann war kein so starker Kopf; es wurde ihm himmelangst, als er die Worte hörte, welche vorhin gesprochen worden waren, konnte es nicht länger aushalten und rief, indem er beide Arme erhob und die Hände über dem Kopfe zusammenschlug:
»Ia Allah, ia faza, ia hijarahn – o Gott, o Schreck, o Entsetzen! Er ist allwissend; er weiß jedes Wort! Ich gehe; ich laufe; ich verschwinde!«
Er wollte fort; ich hielt ihn am Arme zurück und gebot:
»Bleib‘! Hast du gehört, was diese beiden vorhin miteinander gesprochen haben, so magst du auch vernehmen, was ich ihnen sagen werde.«
Er ergab sich in sein Schicksal und blieb stehen. Der Reïs hielt es für geraten, nichts zu wissen, denn er fuhr mich nun in zornigem Tone an:
»Effendi, du bist mein Passagier, und ich bin gewohnt, höflich mit diesen Leuten zu sein; aber wenn du – –«
»Höflich?« schnitt ich ihm die Rede ab. »Ist es höflich,wenn du mich einen Christenhund nennst, wenn du sagst, ich habe einen Kopf aber keinen Verstand, ich besitze wohl Augen und Ohren, sei aber trotzdem blind und taub? Ist es höflich, daß du es für geraten hieltest, mich lieber hier ermorden – –«
»Ermorden?« unterbrach er mich im Tone beleidigter Unschuld.
»Als mir nur die Brieftasche abnehmen zu lassen?« fuhr ich fort.
»Brieftasche?« wiederholte er erstaunt. »Was geht mich denn deine Brieftasche an!«
»Nichts, gar nichts; das ist wahr. Und dennoch hast du sie bei dir! Gieb sie heraus!«
Da richtete sich seine Gestalt möglichst hoch auf, und er fuhr mich an:
»Effendi, ich bin ein Moslem, und du bist ein Christ. Weißt du, was das hier in diesem Lande zu bedeuten hat? Ferner, ich bin der Reïs, und du bist mein Passagier. Weißt du, was auch das zu bedeuten hat, hier an Bord?«
»Und endlich,« ergänzte ich seine Rede, »bin ich ein ehrlicher Mann; du aber bist ein Schurke. Weißt du, was daraus folgt? Wir befinden uns nicht im Sudan, sondern hier in Giseh, wo es einen Mudir giebt und wo nach deinen eigenen Worten unsere Konsuls eine Macht besitzen, welche du zu fürchten hast. Der Muza’bir ist entkommen und – –«
»Der Muza’bir!« schrie der Steuermann auf. »Er weiß alles, alles, sogar das!«
»Ja, ich weiß freilich alles. Dieser Reïs hat sich über mich lustig gemacht, indem er meinte, ich sei zu dumm, um etwas zu merken. Er sagte, ein wahrer Gläubiger hätte sofort geahnt, daß eine Gefahr für ihn im Anzuge sei. Nun, ihr wahren Moslemin, wer ist denn klüger gewesen, ihr oder ich? Hundert Kerle von eurer Sorte bringen zwar genug Verschlagenheit und Bosheit, aber nicht so viel Weisheit und wahre Klugheit zusammen, wie ein einziger guter Christ besitzt. Ihr frommen Anhänger der heiligen Kadirine wollt mich bestehlen, verderben, töten. Ich aber verlache euch. Ich habe gewußt, daß der Muza’bir kommen werde; ich habe mir die Brieftasche nehmen lassen, aber die drei Unterschriften vorher versteckt. Hier sind sie!«
Ich zog die Papiere hervor, hielt sie ihnen hin, steckte sie wieder ein und fuhr dann fort:
»Dort bei den Tabaksballen stand der Dieb; er fand die Papiere nicht und warf die Brieftasche fort, um zu entfliehen, als ich kam. Du, Reïs, hast sie eingesteckt; ich habe es gesehen. Gieb sie heraus!«
»Ich habe sie nicht!« knirschte der Mann.
»Nicht? Siehe dir einmal die Nase dieses Gespenstes Nummer Drei an! Willst du auch eine solche haben? Willst du meine Hand kennen lernen? Heraus, oder ich nehme sie dir!«
Ich trat drohend auf ihn zu. Er wich zurück, griff unter sein Gewand und rief höhnisch:
»Ich habe eine Brieftasche, ja; aber sie gehört nicht dir, sondern dem Nile. Da, schau!«
Er zog die Brieftasche hervor und wollte sie in das Wasser schleudern. Ich war darauf gefaßt gewesen – ein rascher Sprung auf den Kerl zu, ein Griff, und ich hatte sie in meiner Hand. Er stand einen Augenblick wie starr; dann ballte er die Fäuste und fuhr auf mich los. Ich hob den Fuß und stieß ihm denselben gegen den Unterleib, so daß er seitwärts taumelte und hinstürzte.
»O Allah, o Reïs, o Jammer, o Unglückseligkeit, o Niederlage!« wehklagte der Steuermann, indem er zu seinem Vorgesetzten eilte, um demselben beim Aufstehen behilflich zu sein, während der liebenswürdige Kajütendiener wie ein Schulknabe dastand und sich nicht rührte.
»Wie konntest du es wagen, die Hände gegen mich zu erheben!« zürnte ich dem Kapitän. »Du, ein bejahrter, elender Schiffer gegen einen jungen Franken! Du hast es nur deinem Alter zu verdanken, daß ich dich nicht anders strafte, und deiner Bosheit, daß ich dich nicht der Berührung meiner Hand für wert hielt, sondern dich mit dem Fuße empfing. Führt ihn hin zu dem Tabak! Er mag sich auf einen Ballen setzen und dort vernehmen, was ich von ihm fordere.«
Dieses Gebot war an die beiden anderen gerichtet, welche demselben gleich gehorchten. Der Reïs war übel angekommen, und mein Fußtritt hatte ihn zur Erkenntnis seiner Schwäche gebracht. Rechts und links geführt und beide Hände an den Leib haltend, hinkte er ächzend und nach Luft schnappend nach dem nächsten Ballen, auf welchen er sich wie halb tot niederließ. Ich ging ihm nach. Der Greis dauerte mich doch. Man soll den Menschen nicht nach dem beurteilen, was er ist, sondern darnach, wie er es geworden ist, dann wird manche Härte sich in Milde verwandeln, aber auch leider ebenso oft die Hochachtung sich in ihr Gegenteil verkehren. Er war wie gebrochen. Was keins meiner Worte, was alle meine vorgebrachten Beweise nicht vermocht hatten, das war meinem Stiefel gelungen. Der Mann saß jetzt in sich zusammengesunken da und wagte nicht, mich anzusehen. Darum klang es unwillkürlich fast teilnehmend, als ich ihm nun sagte:
»Du wirst einsehen, daß ich jetzt nichts mehr mit dir zu thun haben mag. Ich fahre nicht weiter mit dir.«
»Fahr‘ mit dem Teufel und zur Hölle!« fauchte er mich katzenartig an.
»Wie viel hat Murad Nassyr Passage für mich bezahlt?«
»Nur hundert Piaster,« antwortete er, das Folgende ahnend.
»Lüge nicht! Zweihundert für mich und hundert für die beiden Schwarzen. Er hat es mif gesagt, bevor ich an Bord ging, und ihm glaube ich mehr als dir.«
»Hundert!« behauptete er starr.
»Dreihundert! Die wirst du mir wiedergeben, denn ich verlasse deine Dahabijeh.«
»Er hat nur hundert gegeben. Es soll mir eine Wonne sein, dich nicht mehr zu sehen. Mache dich also fort! Aber du bist mit mir von Bulak nach Giseh gefahren; das macht fünfzig Piaster; also werde ich dir nur die übrigen fünfzig zahlen.«
»Für diese kurze Strecke fünfzig Piaster ? Nun, meinetwegen; rechne, wie du willst; ich habe nichts dagegen. Ich werde also nicht gehen, sondern bleiben, bis die hiesige Polizei über den Fall entschieden hat.«
»Das kann mehrere Wochen dauern!«
»Ich weiß es; aber ich habe Zeit.«
»Ich auch!«
»Und dabei wird natürlich auch zur Sprache kommen, warum ich nicht weiter mit dir fahre. Ich werde den Bescheid in der Freiheit erwarten, während ihr indessen im Gefängnis darüber nachdenken könnt, ob es geraten ist, einen Christen nicht nur für einen Giaur, sondern auch noch für einen Dummkopf zu halten.«
Ich trat von der unglückseligen Gruppe weg und schritt an dem nach dem Ufer zu gelegenen Borde auf und ab. Nach demselben hinüberblickend, sah ich drei Männer stehen, deren Gestalten von dem Scheine unserer Pechfeuer hell beleuchtet wurden. Der Muza’bir war nicht bei ihnen. Um uns her lag die Stille des Abends, und wir hatten laut gesprochen; ja, es war sogar geschrieen worden. Man hatte uns also vom nahen Ufer aus hören können. Die Stelle, an welcher wir lagen, schien freilich eine einsame zu sein.
Als ich stehen blieb, um die drei Personen zu betrachten, trat die eine näher heran und fragte:
»Ist das nicht die Dahabijeh es Semek?«
»Ja,« antwortete ich.
»Und du bist Passagier?«
»So ist es.«
»Woher?«
»Ich bin ein Franke aus Almanja.«
»Aus Almanja!« rief der Mann in einem Tone, welchem man es anhörte, daß es ihn freute, einen Deutschen vor sich zu haben. »Nimm es mir nicht übel, wenn ich dich frage, wohin du willst!«
»Nach Siut.«
»Mit diesem Schiffe? Nimm dich in acht!«
»Vor wem?«
»Vor allen, mit denen du an Bord bist. Als wir hier vorüber wollten, sahen wir einen Menschen schleichen, den ich sehr wohl kenne. Er schien hören zu wollen, was bei euch gesprochen wurde. Es war ein Muza’bir.«
»Der war an Bord, um mich zu bestehlen; es ist ihm aber nicht gelungen.«
»Danke Allah, daß es so gekommen ist! Es hätte leicht schlimmer, viel schlimmer werden können.«
»Habt ihr Zeit?«
»Ja.«
»Ich bitte euch, einen Augenblick an Bord zu kommen!«
Ich gab dem Landungsbrette einen Schwung, daß es drüben aufzuliegen kam, fühlte mich aber hinten gepackt und zurückgezogen. Der Reïs war es. Er raunte mir, als ob es am Ufer nicht gehört werden solle, in unterdrücktem Tone zu:
»Was fällt dir ein! Wer hat hier Leute einzuladen, du oder ich?«
»Wir beide.«
»Nein, nur ich. Und gerade diesen Menschen, den ich an der Stimme erkenne ––«
Er hielt inne und wagte nicht, weiter zu sprechen, denn das Brett hatte feste Lage erhalten und die drei kamen nun eben an Bord. Als der Steuermann sie erblickte, sah ich, daß er schleunigst in einer Luke verschwand; der famose Kajütendiener folgte ihm ebenso schnell. Dem Reïs wäre es vielleicht auch lieber gewesen, wenn er sich in der Ferne befunden hätte; jedenfalls kamen ihm diese Leute höchst ungelegen; aber er konnte weder verschwinden noch sie fortweisen, und so blieb er stehen, legte beide Hände auf der Brust übereinander, berührte mit der Rechten Stirn, Mund und Herz und verneigte sich fast so tief, wie ich es von dem Haushofmeister meines Türken gesehen hatte. Aus dieser Begrüßung war mit Sicherheit zu schließen, daß die drei Ankömmlinge, wenigstens der vorderste von ihnen, keine gewöhnlichen Leute waren.
Dieser war ein Mann in den besten Jahren, kräftig gebaut und, so viel ich sehen konnte, fein gekleidet. Er trug weite, weiße Hosen mit dunklen Halbstiefeln und eine goldverbrämte blaue Jacke, um die Hüften einen rotseidenen Shawl, an welchem ein krummer Säbel hing, während die mit Gold und Elfenbein ausgelegten Griffe zweier Pistolen vorn hervorblickten. Darüber hing ein weißseidener Mantel. Der Turban auf seinem Haupte war von demselben Stoffe und derselben Farbe. Sein Gesicht, dessen dunkle Augen mit forschendem Wohlwollen auf mir ruhten, wurde von einem schwarzen Vollbarte eingerahmt, wie ich gleich schön noch selten einen gesehen hatte. Ohne auf den Reïs einen Blick zu werfen, grüßte er mich:
»Allah schenke dir einen glücklichen Abend!«
»Heil sei dir!« antwortete ich ebenso kurz wie höflich.
Seine Begleiter verneigten sich stumm gegen mich, was mich veranlaßte, ihnen eine ebensolche Verbeugung zu machen. Jetzt wendete er sich zu dem Reïs und fragte in strengem Tone:
»Du kennst mich?«
»Das Glück, dein Angesicht zu sehen, ist mir wiederholt zu teil geworden,« antwortete der Gefragte in orientalischer Weise.
»Es ist kein Glück für dich gewesen. Waren nicht noch zwei Männer hier?«
»Mein Steuermann und der Fremdendiener.«
»Weiter niemand?«
»Nein, Sijadetak; meine Matrosen sind nach dem Kaffeehause gegangen.«
»Nun, warum sind die beiden verschwunden? Wo sind sie hin? Etwa hinunter in den Raum zu den Ratten?«
Der Reïs wagte nicht, zu antworten; er ließ den Kopf sinken.
»Also doch! Ich weiß gar wohl, was sie wollen. Rufe sie sofort, wenn du nicht die Kurbatsche haben willst!«
Er deutete bei diesen Worten auf den einen seiner Begleiter, an dessen Gürtel eine sehr verheißungsvolle Peitsche hing. Der Mann verstand es, gebietend aufzutreten! Der Reïs hatte ihn Sijadetak genannt, ein Wort, welches »Deine Herrlichkeit« bedeutet und in dieser Form nur Respektspersonen gegenüber angewendet wird. Der Alte eilte zur Luke und rief hinab. Nach einiger Zeit erschienen die Verschwundenen und ließen sich in gedrückter Haltung und wohl ebenso gedrückter Stimmung am Maste nieder. Unterdessen hatte der Fremde mir gewinkt, ihm zu folgen. Er stieg hinauf zum Steuer, wo ein Teppich lag, winkte gegen denselben und sagte:
»Setze dich zu mir, denn mir ahnt, daß wir eine Beratung halten werden müssen! Und nimm eine europäische Cigarre von mir an!«
Ich mußte mich an seine rechte Seite setzen, während sein erster Begleiter an seiner Linken Platz nahm. Derselbe war ähnlich, nur aus einfacherem Stoffe gekleidet und trug auch einen Degen. Der Träger der Peitsche blieb seitwärts stehen. Auf einen Wink des Herrn zog er ein Etui aus dem Gürtel und reichte es ihm, nachdem er es geöffnet hatte. Der Gebieter zog zwei Cigarren heraus und reichte mir eine, um die andere für sich zu behalten. Der erste Begleiter bekam keine, und der zweite mußte Feuer geben. Ich kann sagen, daß es ungefähr eine Hundertmarkcigarre, also das Stück zu zehn Pfennigen war. Wie viel aber mochte dieser Ägypter dafür bezahlt haben! Da er mein Gesicht beobachtete, so gab ich demselben den befriedigtsten Ausdruck und ließ mit möglichster Behaglichkeit den Rauch sich mit dem Qualme der Pechpfanne, welche in unserer Nähe stand, vereinigen. Das schien ihn zu erfreuen, denn er fragte im Tone eines Knaben, der einem andern ein Stück Lakritzen oder eine Zuckermandel geschenkt hat.
»Nicht wahr, sie schmeckt?«
»Ausgezeichnet!« erklärte ich.
»Man sagt, der Kuran verbiete die Cigarren. Was sagst du dazu?«
»Er kann sie nicht verboten haben, weil es zur Zeit des Kuran noch keine gegeben hat.«
Er sah mir wunderlich betroffen in das Gesicht und meinte dann:
»Allah! Das ist ja ganz richtig! Nun soll mir wieder einmal einer kommen! Aber der Tabak ist verboten, wie einige Ausleger des Kuran sagen?«
Da er sich in dieser Weise gab, so antwortete ich ganz gemütlich:
»Laß dir nichts weiß machen! Als man drüben in Amerika die Menschen zum erstenmale rauchen sah, waren seit der Hedschra achthundertsiebzig Jahre vergangen.«
»Was du sagst! Du weißt das so genau aufs Jahr! Auch die Hedschra kennst du? Ja, ihr Deutschen wißt alles. Ich habe Deutsche gesehen und gesprochen, welche den Kuran und alle Erklärungen besser, viel besser kannten, als ich selbst. Allah ist groß, und ihr Deutschen seid klug. Hast du den Kaiser von Deutschland gesehen?«
»Oft.«
»Und seinen großen Wessir?«
»Bismarck? Auch.«
»Vielleicht auch seinen berühmten Obergeneral, welcher alle Schlachten gewinnt?«
»Mit diesem habe ich an einem Tische gespeist.«
»Allah! Welch ein glücklich Mensch bist du! So bist du wohl auch ein deutscher Offizier?«
»Nein. Ich schlage keine Schlachten, sondern ich verbrauche möglichst viel Tinte und verderbe jährlich einige hundert Stahlfedern.«
»Ich errate! Du bist ein Gelehrter, vielleicht gar ein Musannif, welcher sich hier befindet, um über uns ein Buch zu schreiben?«
»Erraten!« nickte ich.
»Das ist schön! Das ist gut! Das freut mich ungemein! Ich habe auch ein Buch schreiben wollen.«
»Worüber?«
»Über die Sklaverei.«
»Das ist ein hochinteressantes Thema. Hoffentlich wirst du diesen guten Vorsatz zur Ausführung bringen?«
»Ganz gewiß! Es fehlt mir eins, nur eins. Der Titel! Denn schau, der Titel ist der Kopf eines Buches, und wenn der Kopf nichts taugt, so ist der ganze Körper dumm. Aber wo nehme ich einen klugen Titel her! Du bist Fachmann. Vielleicht kannst du mir einen guten Rat erteilen.«
»Nun, es giebt Schriftsteller, welche sehr gute Bücher schreiben, ohne dazu gute Titel zu finden, und umgekehrt giebt es andere, deren Kopf voller vortrefflicher Titel steckt, ohne daß sie eine gescheite Seite fertig bringen.«
»Das mag sein. Wie ist’s denn bei dir?«
»Wir haben in Deutschland eine Redensart, welche lautet: Rede, wie dir der Schnabel gewachsen ist! Verstehst du das?«
»Ja. Man soll offen und natürlich sprechen.«
»Gerade so schreibe ich.«
»Welchen Titel würdest du mir da raten?«
»Nun zum Beispiel: ›Die Sklavenpest des Sudan‹ oder ›Sklavenmarkt und Menschlichkeit‹.«
Ein anderer wäre über diese Ausdrucksweise wohl stutzig geworden; er aber schlug sich mit der Hand aufs Knie und rief ganz entzückt:
»Ich hab’s, ich hab’s! Zwei Titel auf einmal! Und gerade die beiden, die ich auch hatte, die mir nur nicht einfallen wollten. Nun fehlt mir aber noch die Vorrede.«
»Sollte dir nicht auch die Einleitung noch fehlen?«
»Allerdings, denn man kann doch nicht sofort nach der Vorrede beginnen. Und dann die Sklaverei selbst. Was und wie soll ich über sie schreiben?«
»Und dann der Schluß!« bemerkte ich mit großem Ernste.
»Ja. der Schluß ist die Hauptsache, denn wenn der nicht gut ist, so sieht das Buch aus wie ein Pferd ohne Schwanz. Und endlich, wenn ich fertig bin, wer wird es drucken? Weißt du das?«
»Jetzt noch nicht. Wenn wir öfters darüber sprechen könnten, so wäre es möglich, daß mir das Richtige einfiele.«
Wie sonderbar! Vor kurzem noch in Lebensgefahr, saß ich jetzt an derselben Stelle in einer Unterhaltung, welche gar nicht komischer sein konnte. Als dieser Mann bei seiner Ankunft an Bord den Reïs förmlich niederschmetterte, erschien er mir wie ein Pascha mit der höchsten Zahl von Roßschweifen, und nun hörte ich, daß er ein Buch schreiben wolle, zu welchem ihm nicht weniger und nicht mehr als alles fehlte. Sein Auftreten gegen den Reïs hatte mich eine Katastrophe erwarten lassen, und jetzt plauderte er mit mir, als ob es gar keinen Kapitän hier gäbe. Und wie kam dieser Moslem dazu, sich mit der Sklavenfrage beschäftigen zu wollen? Ich hatte nur Scherz getrieben und meine letzten Worte auch nicht im Ernst gemeint; er aber ging sofort auf dieselben ein, indem er ausrief:
»Wer sagt dir denn, daß wir nicht darüber sprechen werden? Du willst nach Siut, und ich muß auch dorthin.«
»Ja, das ist etwas anderes!« meinte ich.
»Wir werden zusammen fahren. Du bleibst nicht auf dieser Dahabijeh.«
»Ich will auch nicht, aber der Reïs weigert sich, mir mein Geld herauszugeben. Ich habe nämlich schon bis Siut bezahlt.«
»Du hast es zurückverlangt? Weshalb? Hast du einen Grund gehabt, dieses Schiff zu verlassen?«
»Hm! Die Rücksicht auf mich verbietet mir, davon zu sprechen!,«
»Warum?«
»Weil ich sonst gezwungen sein würde, hier in Giseh lange zu bleiben, und dazu habe ich keine Zeit.«
»Aber die Rücksicht auf mich gebietet dir, es mir mitzuteilen. Ich habe dich vor dieser Dahabijeh gewarnt, ohne noch zu wissen, daß du schon entschlossen warst, von Bord zu gehen. Ich bin so unhöflich gewesen, dich auszufragen, ohne dir zu sagen, wer und was ich bin. Das muß ich jetzt nachholen. Oder hast du es vielleicht schon selbst erraten?«
Er sah mich von der Seite so gutmütig pfiffig an, daß ich fühlte, ich müsse ihn rasch lieb haben können. Er war kein bigotter Moslem; er besaß Lebhaftigkeit, Energie und Wohlwollen, wie ich beobachtet hatte. Das war kein träger, stumpfsinniger Orientale, der sein Nichts für etwas hält und nichts von Etwas wissen will. Ich wünschte wohl, die Reise mit ihm machen zu können.
»Du bist ein Offizier,« antwortete ich.
»Hm!« brummte er lächelnd. »Nicht eigentlich, und doch hast du nicht übel geraten. Mein Name ist Achmed Abd el Insaf.«
Das heißt: Achmed, Diener der Gerechtigkeit. Hatte er diesen Namen stets getragen oder ihn infolge seines jetzigen Berufes erhalten? Ich nannte ihm den meinigen, und darauf erklärte er mir:
»Ich bin nämlich auch Reïs, und du sollst zu mir auf mein Schiff kommen.«
Ich konnte nicht anders, ich mußte ihn ungläubig anblikken. Dieser Mann, der Kapitän einer Dahabijeh, welche Sennesblätter und Gummi vom obern Nile holt? Nein!
»Du bezweifelst es?« fragte er. »So will ich dir sagen, das ich den Titel Reïs Effendina führe und der einzige bin, dem es gestattet ist, denselben zu tragen.«
»Der Kapitän des Vizekönigs? Das muß eine ganz besondere Bewandtnis haben!«
»Allerdings. Und diese Bewandtnis hängt sehr eng mit dem Buche, welches ich schreiben will, zusammen. Ich will es dir erklären. Ich liebe die Deutschen, und du gefällst mir ganz besonders. Der Sklavenhandel ist verboten, wird aber noch immer betrieben. Du hast gar keine Ahnung, wie viel Menschen jährlich an demselben zu Grunde gehen!«
»Ob ich es weiß, das sollst du sogleich erfahren. Sprechen wir nur von Ägypten, wo doch der Sklavenhandel aufgehoben ist. Vom obern Nil werden jährlich 40 000 Sklaven über das rote Meer geführt. Davon gehen 16 000 in andere Gegenden, 24 000 aber nach Ägypten. Dazu kommen 46 000, welche auf dem Nile und auf Landwegen nach Nubien und Ägypten geführt werden. Dieses Land erhält also über 4 Hafenplätze und auf 14 Landrouten jährlich 70 000 Sklaven. Nun muß man rechnen, daß auf einen verkauften Sklaven vier andere kommen, welche während der Sklavenjagd getötet werden oder während des Transportes umkommen. Das ergiebt den fürchterlichen Schluß, daß die Sudanländer allein für Ägypten jährlich 350 000 Menschen einbüßen. Soll ich weiter sprechen, nicht bloß von Ägypten allein?«
Er sah mich mit weit geöffneten Augen an und antwortete nicht.
»Soll ich dir sagen, daß die Harems von Konstantinopel von zehn- bis vierzehnjährigen tscherkessischen Sklavinnen wimmeln, für welche man pro Stück zwanzig Thaler zahlt, während sie noch vor kurzem achtmal teurer waren? Wie viele Neger und Negerinnen wird es da erst geben? Und dabei versichern uns die Gesandtschaften der hohen Pforte, daß der Sklavenhandel nicht mehr existiere!«
»Effendi, du weißt es, du weißt es sogar noch viel, viel besser und genauer als ich!« gestand er. »Ihr Deutschen wißt wirklich alles!«
»Nun, wenigstens wissen wir, daß es noch viel zu niedrig gegriffen ist, wenn man annimmt, daß in den Sudanländern jährlich über eine Million Menschen an den Sklavenjagden zu Grunde gehen. Solche Zahlen mußt du in deinem Buche bringen!«
»Ich bringe sie; bei Allah, ich bringe sie! Vergiß diese Ziffern nicht, denn du sollst sie mir bei Gelegenheit diktieren. Aber ich habe mich vorhin selbst unterbrochen, als ich sagte, daß der Sklavenhandel noch fortbestehe. Es kommen viele Schiffe mit Sklaven den Nil herab. Wir haben Polizeischiffe, welche aufpassen sollen; aber die Kapitäne sind nicht ehrlich; die Hunde machen mit den Sklavenjägern gemeinschaftliche Sache. Nun muß es also einen gerechten und ehrlichen Mann geben, der da Achtung giebt, und der bin ich. Abd, el Insaf, Diener der Gerechtigkeit, heiße ich, verstanden? Und Reïs Effendina bin ich, der Kapitän unsers Herrn, des Khedive. Ich bin es noch nicht lange; aber alle Schurken kennen mich bereits, weil ich keinen durchlasse, keinen einzigen, und wenn er mir noch so viel Gold bietet. Mein Schiff heißt Esch Schahin; es ist so schnell wie ein Falke und stößt auch wie ein Falke. Es fliegt wirklich wie ein Falke, und keine Dahabijeh, kein Sandal, kein Noqer kann ihm entgehen. Willst du es sehen?«
»Ich bin sogar sehr begierig darauf.«
»Es liegt gar nicht weit von hier am Ufer. Ich mußte heute in Giseh anlegen, weil ich mit dem Mudir zu sprechen hatte. Als es Abend war, suchte ich das Ufer ab, weil solche Gänge oft zu einem guten Fange führen. Und ich habe ihn gemacht, diesen Fang.«
»Wo?«
»Hier, diese Dahabijeh.«
»Ist’s möglich? Sie ist doch heute erst in Bulak ausgelaufen!«
»Ja, Sklaven hat sie nicht an Bord; aber ich bin schon seit langer Zeit hinter ihr und ihrem Reïs her. Ihr Inneres ist zur Aufnahme von Sklaven eingerichtet. Ich habe es gesehen.«
»Du warst ja noch nicht unten im Raume!«
»Das nicht. Aber warum erschrak der Reïs so, als ich kam? Warum verschwand der Steuermann sofort durch die Luke? Doch nur, um unten irgend etwas zu verändern oder zu verbergen. Du wirst bald sehen, daß ich mich nicht irre. Aber das Pech wird alle. Der Reïs soll die Schüsseln wieder füllen, und wenn er sich nicht beeilt, giebst du ihm die Peitsche.«
Dieser Befehl war an seinen zweiten Begleiter gerichtet, welcher sich entfernte, um ihn auszuführen.
Welch ein Zusammentreffen! Mein neuer Bekannter war also, so zu sagen, Marineoffizier; er jagte Sklavenjäger. Das versprach etwas; ja, das versprach sogar viel, sehr viel!
Der alte Reïs brachte Pech geschleppt; er wagte nicht, aufzublicken. Als er wieder fort war, knüpfte der Reïs Effendina die unterbrochene Unterhaltung wieder an:
»Nun weißt du, wer ich bin und welchen Beruf ich habe. Meinst du noch immer, daß es geraten ist, mir zu verschweigen, warum du diese Dahabijeh verlassen willst?«
»Nun vielleicht erst recht. Ich würde hier festgehalten werden und muß doch nach Siut, um dort meinen Freund zu erwarten.«
»So verspreche ich dir hiermit, daß deine Reise keine Verzögerung erleiden wird. Ich gehe nach dem oberen Nil, nach Chartum und noch weiter hinauf, und lege in Siut an. Übermorgen segle ich ab, und da kommst du zu mir an Bord, natürlich als mein Gast, denn zahlende Passagiere giebt es bei mir nicht. Willst du?«
Als ich nur einige Augenblicke mit der Zusage zögerte, hielt er mir die Hand hin und rief.
»Schlag‘ ein; ich bitte dich! Nicht ich thue dir einen Gefallen, sondern du sollst ihn mir thun.«
»Dann gut; hier meine Hand. Ich fahre mit dir nach Siut.«
»Wie gern würde ich dich weiter mitnehmen; aber wenn du jemanden erwartest, so mußt du dein Wort halten. Und nun erzähle, was hier geschehen ist!«
»Das reicht nicht aus; ich muß noch mehr erzählen, auch das, was vorher geschehen ist. Und du wirst keine Zeit haben, mich anzuhören.«
»Ich habe genug Zeit, denn ich muß warten, bis die Matrosen kommen. Ich möchte wissen, warum dieser Kerl alle seine Leute von Bord geschickt hat.«
»Nur meinetwegen.«
»So? Wirklich? Das macht mich doppelt neugierig. Also, zum Beginn! Du brauchst dich nicht zu genieren. Mein Nachbar hier ist mein Steuermann, und der Mann da mit der Peitsche mein Liebling, meine rechte Hand, welche alles thut, was ich befehle. Schon mancher Sklavenhändler und Sklavenbesitzer hat es auf seinem Rücken gefühlt, daß diese meine Hand schnell, willig und stark genug ist, meinen Wahlspruch auszuführen: Wehe dem, der wehe thut!«
Nun konnte ich nicht anders; ich mußte erzählen, und ich begann meinen Bericht von dem Augenblicke an, in welchem der Türke mich in das Kaffeehaus gewinkt hatte. Es war interessant, zu beobachten, wie das Gesicht des Reïs Effendina zeigte, daß seine Aufmerksamkeit von Minute zu Minute immer gespannter wurde. Er unterbrach mich mit keinem Worte, mit keinem noch so kurzen Ausrufe; aber als ich bis dahin gekommen war, daß ich den Reïs, den Steuermann und den Kajütendiener belauschte und nun berichtete, was sie gesprochen und beschlossen hatten, da legte er mir die Hand auf den Arm und bat:
»Entschuldige einen Augenblick!« Und sich zu seiner »rechten Hand« wendend, gebot er: »Eile rasch auf unsern Falken, und hole zehn Mann herbei, um die Dahabijeh zu besetzen! Ich werde die Bande zwingen, an Allah und alle seine neunundneunzig erhabenen Eigenschaften zu denken. – Und nun, Effendi, fahre fort!«
»So bist du nicht auch Mitglied der frommen Kadirine?« fragte ich ihn.
»Nein. Ich bin überhaupt nicht Mitglied einer Bruderschaft. Muhammed war ein Prophet, und Johannes war ein Prophet. Allah ist die Liebe und die Gerechtigkeit, und dein Gott ist Allah. Wir Menschen sind alle Gottes Kinder; wir sollen einander lieben und gerecht gegen einander sein. Ich preise meinen Glauben nicht und schände keinen andern; ich mag nicht bekehren und lasse mich nicht bekehren. Meine Augen können nur das Irdische sehen und werden erst, wenn ich gestorben bin, das Himmlische erblicken. Warum soll ich darüber streiten, wer Gott in der rechten Weise anbetet? Wir sind eine einzige große Familie und haben einen einzigen Vater. Jedes Kind hat seine besonderen Gaben und Eigenschaften und spricht in seiner besonderen Art und Weise mit dem Vater. Gieb mir die Hand, Effendi! Du bist ein Christ, und ich bin ein Moslem; aber wir sind Brüder und gehorchen unserm Vater, weil wir ihn lieben!«
Er reichte mir seine Hand, und ich legte die meinige in dieselbe. Hätte ich das nicht thun, hätte ich ihm sagen sollen, daß ich ihm als Christ nicht beistimmen könne? Nein; ein solches Wort sagt man nicht in solchem Augenblicke. Indem ich schwieg, wurde ich nicht Muhammedaner; aber indem ich ihn reden ließ, gab ich ihm Gelegenheit, fast wie ein Christ zu sprechen. Indem er sich von der Aggressivität des Islam lossagte, hörte er auf, ein Muhammedaner zu sein. Er that einen großen Schritt zum Christentume herüber, und durch eine Gegenrede hätte ich ihn nur veranlaßt, diesen Schritt zurück zu thun. Man ist nicht Lehrer, nicht Missionar durch Worte allein; man lehrt auch durch die That; ja die That wirkt oft mächtiger als das Wort, und zuweilen ist auch das Schweigen eine That, wenn auch nur eine That, welche Ärgernis verhindert.
Ich erzählte weiter. Gerade als ich geendet hatte, kehrte die »rechte Hand«, der »Liebling« zurück. Er postierte seine zehn bewaffneten Männer auf verschiedene Stellen des Deckes, wo sie, um vom Ufer aus nicht bemerkt zu werden, sich hinter den hohen Bord niedersetzten. Dann kam er zu uns herauf und meldete:
»Emir, das Schiff ist besetzt; aber als wir jetzt kamen, stand da drüben unter dem Baume ein Mensch, welcher scharf nach der Dahabijeh blickte. Das kam mir verdächtig vor; ich befahl, ihn zu ergreifen, doch er floh noch zur rechten Zeit. Wenn Allah mir gute Augen verliehen hat, so kann ich darauf schwören, daß es derselbe Mensch war, welchen wir schon vorhin sahen, bevor wir das Schiff betraten.«
»Also der Taschendieb? Wie schade, daß er euch entgangen ist! Er weiß nun, in welcher Hand sich die Dahabijeh befindet, und wird sich aus dem Staube machen. Aber morgen bin ich in Kahira und werde ihn festnehmen lassen.«
»Wenn du ihn findest!« warf ich ein.
»O, ich finde ihn. Ich bringe die ganze Polizei in Alarm, und wo dieser Kerl sich herumzutreiben pflegt, das weiß man ziemlich genau. Also, Effendi, du bist nun fertig. Ich weiß, was geschehen ist; aber ich weiß auch noch etwas, nämlich, daß du ein Mann bist, den ich auf meinem ›Falken‹ haben möchte. Willst du mein Lieutenant sein?«
»Leider ist mir das unmöglich.«
»Ich weiß, warum. Lieutenant, das ist nichts. Aber ich kann doch unmöglich sagen, daß du meinen ›Falken‹ kommandieren sollst, und daß ich dein Untergebener sein will!«
»Es ist wohl beides unnötig, denn ich denke, daß du bereits einen Lieutenant haben wirst.«
»Den habe ich allerdings. Aber so will ich dich wenigstens fragen, ob du nicht Lust hast, meine jetzige Fahrt nach dem Obernil mitzumachen.«
»Lust wohl, aber ich darf nicht.«
»Wegen dieses Türken? Weil du ihm dein Wort gegeben hast? ja, du mußt es halten, da er die Neger bei sich aufgenommen hat. Wie war doch sein Name?«
»Murad Nassyr.«
»Und woher ist er?«
»Aus Nif bei Ismir.«
Er blickte schweigend vor sich nieder. Das Gesicht, welches er mir jetzt zeigte, gefiel mir nicht. Darum fragte ich:
»Kennst du ihn vielleicht?«
»Es ist mir, als ob ich diesen Namen schon einmal gehört hätte.«
»Auf gute Weise oder nicht?«
»Nicht! Ich kann das nicht genau sagen, aber es liegt so in mir. Wenn ich länger nachdenke, werde ich wohl auf das Richtige kommen. Wir haben Zeit dazu, da wir ja mit einander fahren. Lassen wir das jetzt also fallen, und beschäftigen wir uns mit der Gegenwart. Wenn deine Angelegenheit den vorgeschriebenen Gang einschlagen sollte, so müßtest du trotz deines Konsuls mehrere Wochen hier bleiben. Da ich dir aber versprochen habe, daß dies vermieden werden soll, so werde ich der Sache diejenige Wendung geben, welche ich für die allerbeste halte. Wir brauchen dich gar nicht; wir bedürfen nur das Geständnis dieser Schurken und einige Zeugen, welche es hören und später wiedergeben. Zeugen habe ich da, nämlich meine Leute.«
»Also werden die Thäter bestraft werden?« »Natürlich! Wehe dem, der wehe thut!« »Auch Barak, der Mokkadem?«
»Hm! Gerade weil dieser Abd el Barak Mokkadem der Kadirine ist, wird ihm schwer beizukommen sein, da niemand, selbst der Höchste nicht, sich mit einer so mächtigen Bruderschaft verfeinden mag; aber ich werde dennoch Mittel und Wege finden, mit meiner ›rechten Hand‹ an ihn zu kommen. Jetzt folgt mir hinab auf das Deck! Ich werde die drei Kerle vornehmen.«
Wir stiegen die mehrmals erwähnten schmalen Stufen hinab, wobei die »rechte Hand«, der »Liebling«, die Karbatsche von seinem Gürtel löste. Dieser brave Diener seines energischen Herrn schien die inquisitorischen Schwächen oder Stärken des letzteren sehr gut zu kennen. Als wir uns dem Maste näherten, an welchem die drei saßen, standen sie auf. Ihre Haltung war gar nicht selbstbewußt, und ihre Gesichter sahen schon jetzt erbärmlich aus. Der Emir – denn so will ich den Reïs Effendina nennen, weil sein »Liebling« ihm vorhin diesen Titel gegeben hatte, erhob die Hand, und augenblicklich kamen die zehn Männer herbei, um einen Kreis um uns zu bilden. Der Untersuchungsrichter wendete sich zunächst an den Kajütendiener:
»Wie heißest du?«
»Barik,« antwortete der Gefragte.
»Also fast wie dein lieber Mokkadem! Woher bist du?«
»Aus Minieh.«
»Und doch hast du zu diesem Effendi gesagt, du seiest ein Beni Maazeh namens Ben Schorak! Wie darfst du wagen, einen Mann belügen zu wollen, der in jeder einzelnen Spitze seines Haares mehr Klugheit besitzt als du mit all deinen Vorfahren und Nachkommen gehabt hast und noch haben wirst! Ich rate dir, die Wahrheit zu sagen, da ich nicht so langmütig wie dieser Effendi bin. Hast du gestern den Geist gemacht?«
»Nein.«
»Gut! Besinne dich! Den Takt wollen wir dir dazu angeben.«
Ein Wink von ihm, vier Leute legten den Leugnenden auf den Boden, hielten ihn dort fest, und der »Liebling« schlug den Takt in einer solchen Weise, daß der gefühlvolle Mann schon beim fünften Hiebe schrie:
»Halt! Ich will gestehen!«
»Dachte es mir! Also warst du eines der Gespenster?«
»Ja,« antwortete der Gefragte, welcher noch liegend festgehalten wurde.
»Wer waren die beiden andern?«
»Der Mokkadem und sein Diener, welcher zugleich sein Schreiber ist.«
»Wie oft habt ihr schon gespukt?«
»Von kurz nach dem Tode des Hausbesitzers an.«
»So sind wir jetzt mit dir fertig. Stehe auf, und stelle dich hier an den Mast.«
Die vier ließen ihn los, und der »Liebling« zog ihm noch einen solchen Hieb über den Rücken, daß er so schnell wie wohl noch nie in seinem Leben emporflog. Der Emir richtete nun den Blick auf den Reïs und sagte:
»Du kennst mich und weißt genau, wie lieb ich dich habe und welche Macht mir über dich gegeben ist. Du wirst mir genaue und wahre Antwort geben, sonst bekommst du auch die Peitsche!«
Das war dem Alten wohl noch nicht geboten worden; er fuhr daher zornig auf:
»Emir, ich bin ein gläubiger Moslem und kein Sklave oder Diener, sondern der Kommandant dieser Dahabijeh!«
Der »Liebling« wußte schon, was er in einem solchen Falle zu thun hatte; er fragte nicht, nicht einmal durch einen Blick, sondern strich ihm im Gefühle seiner Majestät, oder kürzer deutsch gesagt, seiner Peitschenoberlehensherrlichkeit die Karbatsche zweimal in solcher Weise über den Rücken, daß der Alte gewiß nicht wieder aufzubegehren wagte.
»So!« nickte der Emir, sehr befriedigt über den Amtseifer seines Untergebenen. »Ob einer Sklave, Diener, Kommandant, Moslem oder Heide ist, das bleibt sich vor Allah, mir und meiner Peitsche vollständig gleich. Wer widerspricht oder lügt, hat es auf seinen Rücken zu nehmen. Jetzt rede, du berühmter Kommandant: Seit wann dient dieser Barik aus Minieh auf deinem Schiffe?«
»Seit heute,« erklang es in unterdrücktem Grimme.
»Wer brachte ihn?«
»Der Mokkadem.«
»Welche Aufgabe war ihm hier geworden?«
»Er sollte den fremden Effendi bedienen.«
»Sich bei demselben einschmeicheln, um in seine Dienste zu treten und ihn später dem Mokkadem, das heißt, dem Tode zu überliefern?«
»Davon weiß ich nichts.«
»So hast du es vergessen, und wir werden dir den Dienst erweisen, dein Gedächtnis zu stärken.«
Der Reïs wurde niedergezogen und empfing die Peitsche, aber nur dreimal, dann gestand er das Gefragte ein.
»Sieh, wie schnell die Peitsche die Vergeßlichkeit beseitigt!« meinte der Emir. »Ja, die Haut des Nilpferdes öffnet gleich beim ersten Hiebe das Fleisch des Leibes und die Verstocktheit des Herzens. Du wirst so liegen bleiben und ferner antworten. Hast du gewußt, daß die Brieftasche gestohlen werden sollte?«
»Ja – ja,« gestand der Alte zögernd.
»Und die Hand dazu geboten?«
»Nein – – ja, o ja!« schrie er überlaut, als er sofort wieder die Peitsche fühlte.
»Hast du gewußt, daß der Effendi später getötet werden sollte?«
Das Eingeständnis erfolgte erst nach dem zweiten Hiebe.
»Hast du den Rat gegeben, daß er besser gleich heute ermordet werden sollte?«
Der Reïs schwieg. Ja wollte er nicht sagen, und doch fürchtete er sich vor dem Zwangsmittel, welches von dem echten Türken Kyr-, von dem Araber aber Karbatsch genannt wird. Die Thätigkeit des »Lieblings« aber brachte ihn schnell zum Geständnisse.
»Ich könnte noch weiter fragen,« fuhr der Emir fort; »aber du ekelst mich an. Du bist ein feiger Hund, der wohl den Mut zur Sünde, aber nicht auch zum Geständnisse hat. Du wirst in deinem eigenen Schlamm ersticken. Lehnt ihn an den Mast! Und nun zum Steuermann!«
Dieser hatte schon vom Zusehen allein gezittert. Als er hörte, daß die peinliche Frage jetzt an ihn gerichtet werden Solle, fiel er gleich in die Kniee und zeterte:
»Ö Allah, o Himmel, o ihr Mächte! Nicht schlagen! Ich bekenne alles, alles!«
»Emir,« bat ich den Reïs Effendina, »habe Nachsicht mit ihm! Er scheint nicht so schlimm zu sein. Er mußte dem Reïs gehorchen, hat, während ich lauschte, kein einziges Wort gesagt und dann, als ich ihnen ihre Schlechtigkeit vorwarf, die Wahrheit meiner Anklage durch seine Angst, sein Entsetzen über meine vermeintliche Allwissenheit zugegeben. Er ist in schlechte Gesellschaft geraten; das ist sein Vergehen.«
»Er hat recht, der Effendi; er hat recht. Allah wird ihn für diese Worte segnen!« jammerte der Furchtsame.
»Gut, ich will es glauben,« entschied der Emir, »und dir nur eine einzige Frage vorlegen. Giebst du zu, daß alles, was der Effendi uns erzählt hat, wahr ist?«
»Ja, es ist wahr, alles, alles!«
»So steh‘ auf! Man wird Erbarmen mit dir haben. Aber ich setze da voraus, daß du nachher auf eine andere Frage ebenso aufrichtig antworten wirst!«
»Welche Frage? Ich sage alles!«
»Du wirst es erfahren. Du sollst nicht bei diesen beiden verstockten Bösewichtern bleiben. Setze dich hin an die Kajüte; aber rühre dich nicht!«
Ich verstand die Absicht des Emirs. Der Steuermann sollte fern von dem Reïs gehalten werden, damit dieser ihn nicht durch Drohungen oder Versprechungen bewegen könne, das von ihm noch erwartete Geständnis zu verweigern. Jetzt ließ der Reïs Effendina nach drei Lampen suchen, und als diese gebracht und angebrannt worden waren, stieg er mit seinem »Liebling« und dem Muhamel, jeder eine Lampe tragend, in die schon erwähnte Luke hinab.
Ich sah, daß der Reïs die Lippen zusammenpreßte, wohl nicht allein infolge des Schmerzes, welchen die aufgesprungenen Peitschenschwielen ihm verursachten; es war auch die Angst vor der Entdeckung, welche jetzt zu erwarten stand. Ich mochte diesen Menschen nicht mehr ansehen. Ein jugendlicher Verbrecher erweckt sicher unser Mitleid; aber ist ein alter Mann, welcher aus wirklicher Freude am Bösen sündigt, obgleich er mit einem Fuße bereits im Grabe steht, dieser Teilnahme auch noch wert? Der Christ mag auch hier mild urteilen, der Bürger aber kann das nicht und der Psycholog wohl auch nicht. Ich ging nach hinten zu dem Steuermanne. Er streckte mir die Hand entgegen und sagte:
»Effendi, ich danke dir, daß du für mich gesprochen hast! Ich bin ein Verwandter des Reïs und kann nicht von ihm fort. Ich habe dir nichts Böses thun wollen und darum zu allem geschwiegen.«
»Aber du mußt doch einsehen, daß dein Schweigen eine Sünde, ein Verbrechen war!«
»Ich hätte nichts ändern können. Sollte ich den Reïs gegen dich verraten?«
»Ja, und dann wäre es nicht so schlimm für euch geworden, denn der Emir hätte die Dahabijeh nicht bestiegen, da wir ihn erst durch unsere lauten Reden herbeigezogen haben, und würde nun auch nicht entdecken, daß dieses Segelboot eine Sklavenschiff ist.«
»Ein – Skla – ven – schiff!« stammelte er entsetzt. »Wer -wer – behauptet – das?«
»Der Emir, und der ist ein Kenner.«
»O Unheil, o Verwirrung meiner Gedanken! Allah, Allah, Allah! Mein Körper wankt, meine Gebeine beben, und meine Seele zittert. Ich tauche unter im Meere der Trübsal, und die Wirbel des Entsetzens mahlen mich hinab in die Tiefe der Verzweiflung! Welche Seele erbarmt sich meiner, und welche Hand streckt sich aus, mich zu retten?«
»Schweige! Schrei nicht so! Man soll uns nicht beachten. Giebst du zu, daß diese Dahabijeh zum Sklavenraube bestimmt ist?«
»Zum Raube nicht, aber zum Transport.«
»Du bist schon fast sechzig Jahre alt. Hast du Familie?«
»Einen Sohn und mehrere Enkel und Enkelinnen, droben in Gubatar, bei denen sich auch mein Weib befindet.«
»Das ist in der Nähe der freien Uled-Ali-Beduinen, die ich kenne. Fliehe zu ihnen, und bleibe dort, bis diese Sache vergessen ist. Hast du Geld?«
»Nur wenige Piaster, und die hat der Reïs.«
Ich suchte zusammen, was ich entbehren konnte, gab es ihm und sagte:
»Ich habe bemerkt, daß das kleine Boot hinten am Steuer befestigt ist. Laß dich an dem Tau, an welchem es hängt, hinab, und mach‘ dich schnell davon!«
»Recht gern, o wie gern! In einem Jahre wird alles vergessen sein, und dann darf ich mich wieder sehen lassen. Aber wie komme ich hinauf zum Steuer? Man wird mich sehen!«
»Nein, denn ich gehe jetzt vor und werde die Leute so beschäftigen, daß sie ihre Aufmerksamkeit nur auf mich richten. Also paß auf! Sobald du bemerkst, daß niemand hersieht, springst du die Stufen hinauf.«
»Ja, ja, Effendi! O, welchen Dank bin ich – –«
»Rede nicht, und handle lieber! Allah beschirme deine Flucht und lasse dich nicht wieder auf solche Abwege geraten!«
»Nie wieder werde ich Böses thun! Effendi, kein Moslem hätte sich meiner erbarmt; du aber, der du ein Christ bist, hast mich – –«
Mehr hörte ich nicht, denn ich war schon von ihm fort, um zum Mast zu gehen, wo ich die Leute des Emir nach ihrem »Falken« fragte. Sie waren so voller Bewunderung über die Vorzüge dieses ihres Fahrzeuges, daß sie alle zugleich auf mich einsprachen. Und als ich ihnen mitteilte, daß ich mit ihnen fahren würde, drängten sie sich so um mich, daß dem Steuermanne die beabsichtigte Gelegenheit geboten wurde. Ich sah ihn die Stufen emporeilen und hinter dem Qualme der Pechpfanne verschwinden. Wer mir jetzt gesagt hätte, daß ich ihn bald wiedertreffen werde, nicht bei den Uled-Ali-Beduinen, sondern droben im Sudan, dem hätte ich es wohl kaum geglaubt.
Jetzt kehrte der Emir mit seinen beiden Begleitern zurück. Schon befürchtete ich, daß er zunächst den Steuermann aufsuchen und also dessen Flucht vorzeitig entdecken werde; aber glücklicherweise kam er direkt zu uns an den Mast und wendete sich an den Reïs:
»Zunächst will ich noch eine Nebensache beenden. Wie viel hat dieser Emir für Passage bezahlt?«
»Hundert Piaster,« behauptete der alte, freche Sünder selbst noch jetzt.
»Der Effendi aber spricht von dreihundert. Du giebst also zweihundert weniger an. Einer von euch will mich täuschen. Dir glaube ich nicht. Lieber nehme ich an, daß der Effendi sich um zweihundert geirrt hat. Das sind also fünfhundert, welche du ihm sofort auszahlen wirst.«
»Das ist Betrug, der offenbarste Betrug!« schrie der Alte, fühlte aber sofort die Peitsche des »Lieblings« auf seinem Rücken, wodurch er zu der Erklärung bewegt wurde, daß er mit der Zahlung einverstanden sei.
»Gut! Wo hast du dein Geld?« fragte der Emir.
Der Reïs zögerte mit der Antwort, wurde aber durch die drohend erhobene Peitsche gezwungen, zu sagen, daß er seine Kassa unten im Raume verborgen habe.
»So wirst du uns hinab begleiten,« meinte der unerbittliche Inquisitor. »Wohin ist denn deine Dahabijeh bestimmt?«
»Nur bis Chartum.«
»Nicht weiter? Das ist Lüge. Du giebst mir diese Antwort, damit ich nicht erraten möge, welche Art von Handel du da oben treiben willst. Welche Waren hast du geladen?«
»Solche, welche dort gesucht werden, Zeugstoffe, Werkzeuge, billige Schmucksachen für die Neger und ähnliche Dinge; dafür will ich die Produkte des Landes eintauschen.«
»Das klingt recht unverfänglich, doch glaube ich dir nicht. Die Kisten und Ballen, welche ich unten liegen sah, haben eine Gestalt, welche erraten läßt, daß sie ganz andere Dinge enthalten. Ich werde sie also öffnen lassen, und wehe dir, wenn ich dich auf verbotenen Wegen ertappe!«
»Emir, ich wandle auf den Wegen des Gesetzes,« versicherte der Alte, »und du kannst dir die Mühe des Öffnens getrost ersparen.«
»Wirklich? Ich habe glauben müssen, daß du mit Brettern, Pfosten und anderen Hölzern handelst, denn ich habe eine Menge derselben unten liegen sehen. Wozu sind dieselben denn bestimmt?«
»Auch zum Verkaufe. Im Süden giebt es keine zugeschnittenen Hölzer, weshalb sie von wohlhabenden Leuten, welche sie zum Baue ihrer Wohnungen brauchen, sehr gut bezahlt werden.«
»Einem andern dürftest du das sagen, mir aber nicht. Wie kommt es dann, daß diese Stützen, Balken und Latten so zugeschnitten und abgepaßt sind, daß du mit ihnen zwei oder gar drei Unterböden herzustellen vermagst?«
»Das ist Zufall, Emir!«
»Wenn du ein gläubiger Sohn des Propheten wärst, würdest du wissen, daß es keinen Zufall giebt. Handelst du etwa auch mit eisernen Ketten? Ich habe einen ganzen Haufen im Raume liegen sehen. Die Bretter und Ketten verraten dein eigentliches Gewerbe, und dein Leugnen ist erfolglos. Ich brauche dein Geständnis nicht und werde dir den Beweis, daß du ein Sklavenhändler bist, durch die Aussage deines eigenen Steuermannes liefern. Man hole ihn her! Er fürchtet sich vor der Peitsche und wird uns sofort die Wahrheit sagen.«
Infolge dieser Worte richteten sich aller Augen nach der Stelle, an welcher sich der Steuermann befunden hatte. Er war nicht mehr dort; man suchte, doch ohne ihn zu finden. Der Reïs Effendina nahm die Sache weit leichter, als ich vermutet hatte. Er gebot schon nach kurzer Zeit seinen eifrig forschenden Leuten:
»Gebt euch keine Mühe! Ich sehe, daß er fort ist. Ihr habt nicht aufgepaßt, und es ist ihm gelungen, sich unbemerkt über das Landungsbrett nach dem Ufer zu schleichen. Ich sollte euch eigentlich bestrafen; da er aber kein so verstockter Halunke wie hier dieser sein Reïs war, so mag er immerhin entkommen sein, und ich will euch verzeihen. Jetzt wollen wir wieder hinab, um uns das Fahrgeld zurückzahlen zu lassen.«
Er lud mich ein, ihm zu folgen. Zwei seiner Leute ergriffen den Reïs, um ihn zur Luke zu führen. Die anderen blieben oben. Unten angekommen, war es mit Hilfe der Laternen leicht, sich zurecht zu finden. Das Innere der Dahabijeh bildete einen großen Raum, von welchem hinten und vorn ein kleiner Verschlag abgeschnitten war. In diesem Raume sah ich nur etwa zwanzig Kisten und Ballen liegen. Das war allerdings auffällig, da diese Schiffe gewöhnlich Kairo nicht eher verlassen, als bis sie volle Ladung haben. In dem hinteren, unverschlossenen Verschlage stand ein Werkzeugkasten; dort lagen auch die erwähnten Ketten, die von verschiedener Länge, Stärke und Konstruktion, aber ohne Ausnahme zur Fesselung der Sklaven bestimmt waren. In dem großen Raume waren zu beiden Seiten desselben hohe Lagen von Brettern und Balken aufgeschichtet. Dazu bemerkte ich drei übereinander liegende, horizontale Reihen von Pfosten, welche an die Schiffsrippen festgeschraubt waren. Diese sollten offenbar die Seitenstützen der drei Unterdecks bilden, welche man aus den vorhandenen Brettern herzustellen beabsichtigte. Diese Unterdecks oder Böden waren natürlich zur Aufnahme von Negern bestimmt. Die Entfernung der Rippenpfosten ließ erkennen, daß jedes dieser Decks nur eine Höhe von noch nicht einmal vier Fuß besaß und die armen Schwarzen also während des langen Transportes nicht stehen, ja, kaum sitzen konnten. Übrigens gestand der Reïs später, daß es ihnen nur ausnahmsweise erlaubt werde, sich zu setzen, sie vielmehr gewöhnlich in liegender Stellung festgekettet seien. Da ich mich lebhaft dafür interessierte, forschte ich ihn aus und erfuhr näheres über die Einteilung dieser Räume und die Unterbringung der Schwarzen. Infolge der beiden Bretterverschläge am Vorder- und Hinterteile des Schiffes, welche die Rundung wegnahmen, hatte jeder zwischen ihnen liegende Sklavenraurn die Gestalt eines regelmäßigen Rechteckes, in welchem die Schwarzen in folgender Weise unterzubringen waren:
Jeder Raum war in die Abteilungen geschieden, welche, wie die Striche andeuten sollen, je fünfzig Schwarze enthielten, die so plaziert wurden, daß sie mit den Füßen gegen einander lagen. In der Mitte dieser Abteilungen, da, wo auf dem Risse das L steht, befand sich eine Luke, durch welche die übereinander liegenden Räume mittels einer Treppe miteinander verbunden waren. Denkt man sich die geringe Höhe dieser Zwischendecks, welche nicht die Spur einer Ventilation besaßen, die Hitze Ägyptens, die jedenfalls armselige Verpflegung und die schlechte, ja grausame Behandlung, so ist es nicht schwer, sich die schreckliche Lage dieser 450 in der Dahabijeh untergebrachten Schwarzen auszumalen.
Der Reïs wurde nach dem vorderen Verschlage geführt, welcher verschlossen war. Er mußte öffnen, und nun sahen wir ein kleines Gelaß, dessen Bretterwände mit Negerpeitschen behangen waren. Eine bedeutende Anzahl von Raki-Flaschen, wohl nur für den Kapitän bestimmt, war aufgestapelt, und in einer Ecke stand ein Blechkasten, an welchem zwei Vorlegeschlösser hingen. Der Reïs hatte die dazu gehörigen Schlüssel bei sich. Als er geöffnet hatte, zeigte es sich, daß dieser Kasten einige tausend Maria-Theresien-Thaler enthielt. Der Emir griff ohne Umstände zu und zählte eine Anzahl davon ab, welche er mir mit den Worten hinhielt:
»Da, nimm, Effendi! Es sind deine fünfhundert Piaster.«
»Es ist ja viel mehr!« antwortete ich, ohne zuzulangen. »Der Thaler gilt hier ja – –«
»Schweig!« unterbrach er mich. »Das verstehe ich besser als du. Dieser sklavenhandelnde Reïs hat das Geld für den Sudan bestimmt, wo der Thaler zehn Piaster gilt. Darum rechne ich nach dem dortigen Werte und gebe dir fünfzig Thaler, was genau fünfhundert Piaster beträgt.«
»Aber mein Passagegeld betrug nicht fünfhundert Piaster, sondern – –«
»Still!« unterbrach er mich abermals. »Ich weiß sehr wohl, was ich thue. Wehe dem, der wehe thut! Das ist der Grundsatz, nach welchem ich zu handeln pflege.«
Ich mußte schweigen, konnte mir aber seine Art der Berechnung nicht gefallen lassen. Seine Behauptung in Beziehung auf den Wert des Maria-Theresienthalers sagte das gerade Gegenteil der Wahrheit, denn diese Münze hat im Sudan einen weit höheren Wert als in Kairo. Ich hätte also viel weniger erhalten sollen, selbst wenn von Murad Nassyr fünfhundert Piaster für mich bezahlt worden wären, Als ich die fünfzig harten Thaler in meine Tasche gleiten ließ, faltete der alte Reïs die Hände, hob das Auge nach oben und seufzte:
»O Allah! Die Geschicke, welche du deinen Gläubigen sendest, sind zuweilen hart, sehr hart; aber du wirst mir diese Grausamkeit dereinst mit den ewigen Wonnen des Paradieses vergelten.«
»Die Karbatsche wirst du dort erhalten, so wie du sie hier bekommen hast und jedenfalls noch öfter fühlen wirst!« fuhr ihn der Emir an. »Du wirst Qualen leiden wie ein umgestülpter Igel, dessen Stacheln ihm in das eigene Fleisch fahren. Wer Menschen raubt und mit Sklaven handelt, der hat nach dem Tode nur die Hölle zu erwarten.«
»Ich begreife nicht, was du sagest, Emir! Es kann mir nicht einfallen, etwas zu treiben, was verboten ist. Ich gehe den Weg der Gerechten, und meine Pfade sind die Pfade der Tugendhaften, welche Allah lieb hat.«
»Schweig‘, Hund!« donnerte ihn der Reïs Effendina an, »Wenn du nichts begreifst, so werde ich dafür sorgen, daß du wenigstens etwas fühlst, nämlich meine Peitsche. Deine Bosheit ist groß; aber deine Frechheit geht noch über dieselbe hinaus. Meinst du, ich sei blind? Ich, der Reïs Effendina, werde wohl aus der Einrichtung eines Schiffes erraten können, wozu es gebraucht werden soll! Komm her, ich will dir beweisen, daß ich alles errate und verstehe!«
Er zog ihn hinaus in die Hauptabteilung und gab dort eine so genaue Erklärung des Zweckes und der Konstruktion der später herzustellenden Einrichtung, als ob er selbst die Zeichnung dazu entworfen hätte. Die wiederholte Drohung mit der Peitsche that das übrige; der Reïs sah sich gezwungen, ein umfassendes Geständnis abzulegen, worauf Achmed Abd el Insaf das Schiff und dessen Inhalt, also auch das Geld für beschlagnahmt erklärte. Infolgedessen wurde der Kasten aus dem Verschlage genommen und der Reïs in dem letzteren eingesperrt. Der Verlust der schönen Maria-Theresien-Thaler schien ihm mehr zu Herzen zu gehen als das Schicksal, welches ihn außerdem erwartete.
Wir stiegen wieder an Deck, wobei die zwei Leute, welche uns begleitet hatten, den Geldkasten tragen mußten. Oben angekommen, gab der Emir den Befehl, auch den Geist Nummer Drei einzusperren. Während dies geschah, kamen die Matrosen an Bord. Sie ahnten nichts von dem, was hier vorgegangen war, und zeigten sich nicht wenig erstaunt, die Dahabijeh in andern und und zwar in solchen Besitz übergegangen zu sehen. Der Emir stellte ein Verhör mit ihnen an, wobei sich herausstellte, daß sie zwar nicht mit Sicherheit gewußt, aber doch geahnt hatten, wozu das Schiff bestimmt gewesen war. Der Reïs Effendina stellte ihnen mehrmalige Bastonnade in Aussicht und ließ sie in den Raum bringen, dessen Zugänge verschlossen und dann unter Bewachung gestellt wurden.
Nun forderte er mich auf, ihm mit meinen beiden Pflegbefohlenen nach dem »Falken«, seinem Schiffe, zu folgen. Meine Effekten sollten später geholt werden. »Esch Schahin«, der Falke, lag eine Strecke aufwärts am Ufer. Da es dunkel war, so konnte ich seine Gestalt, seine äußeren Umrisse, nicht genau erkennen, doch sah ich beim Scheine der Decklaterne, daß er sehr lang und schmal gebaut war und zwei Masten mit ganz eigenartiger Takelung trug. Hinten befand sich eine doppelte Kajüte. Die eine lag an Deck und die andere eine Treppe tiefer. Diese letztere wurde mir und den Kindern angewiesen. Sie war mit Fenstern versehen und mehr als geräumig genug für uns drei Personen. Die Einrichtung war zwar eine orientalische, aber es gab doch verschiedene Vorrichtungen und Gegenstände, welche auch einem Abendländer erlaubten, es sich nach seiner Art und Weise bequem zu machen.
Der Emir sandte noch fünf Männer zur Bewachung der Dahabijeh ab; mit diesen gingen zwei andere, welche meine Sachen holen sollten. Als ich ihn fragte, wie hoch sich die Besatzung des »Falken« belaufe, erfuhr ich, daß sie aus vierzig kriegstüchtigen Männern bestand, deren Vorleben ein solches war, daß sie sich für das Leben im Sudan und die Jagd auf Sklavenjäger ganz vorzüglich eigneten.
Da es für mich nichts zu thun gab, so legte ich mich nieder. Die Polster waren eines Pascha würdig, und ich schlief, ohne einmal aufzuwachen, weit in den lichten Morgen hinein. Als ich dann auf das Deck kam, wurde ich von dem Oberlieutenant sehr höflich begrüßt und nach meinen Befehlen gefragt. Er teilte mir mit, daß man meinen Wünschen ebenso nachzukommen habe, als ob sie diejenigen des Befehlshabers selbst seien. Ich bestellte Kaffee für mich und die Kinder und fragte nach dem Reïs Effendina. Er war nicht da, sondern befand sich mit der Dahabijeh bereits nach Kairo unterwegs, um dieselbe und den Reïs mit seinen Leuten der Behörde zu übergeben; zugleich hatte er die Absicht, nach dem Gaukler zu fahnden. Es war nur aus Höflichkeit geschehen, daß er mich vor seinem Abgange nicht geweckt hatte.
Es wurden für mich und die Kinder Kissen auf das Hinterdeck gebracht, von welchem aus wir die ganze Breite des Stromes überblicken konnten. Zunächst beschäftigte mich nur das Schiff, auf welchem ich mich befand. Seine Linien waren scharf aber doch graziös, und ein Blick auf die Masten, das Takelwerk und die jetzt allerdings beschlagenen Segel sagte mir, daß es ein ausgezeichneter Segler sein müsse.
Noch saßen wir beim Kaffee und dem noch warmen Gebäck, welches der Schiffskoch für uns zubereitet hatte, als wir einen Sandal erblickten, welcher drüben auf der Mitte des Stromes langsam herangeglitten kam. Er wollte vorüber. Ich konnte seinen Namen »Abu ‚l adschal«, lesen und schickte meinen schwarzen Knaben nach der Kajüte, um mir mein Fernrohr zu bringen. Dies that ich ohne alle Ahnung; doch sollte ich sehen, daß dieser Gedanke sehr am Platze gewesen war, denn als ich das Rohr auf den Sandal richtete, welcher sich jetzt in gleicher Höhe mit uns befand, sah ich auf dem Decke desselben bei anderen Leuten einen Mann stehen, welcher scharf nach uns herüberblickte. Ich erkannte sofort den Muza’bir, den Gaukler, den der Emir fangen wollte. Der Kerl hatte sich wohlweislich mit dem ersten aufwärtsgehenden Schiffe aus dem Staube gemacht.
Natürlich teilte ich dem Jüz baschi meine Entdeckung mit und fragte ihn, ob er diesen Menschen nicht vom Sandal holen könne; leider aber sagte er mir, daß er ohne den besonderen Befehl des Emirs weder selbst den »Falken« verlassen, noch Leute von Bord schicken dürfe. Wir mußten also den Gaukler einstweilen laufen oder vielmehr fahren lassen. – – –