Vater Jaguar

„Corrida de toros, corrida de toros!“ ertönte es aus dem Munde der Ausrufer, welche, mit bunten Schleifen und Bändern geschmückt, die rechtwinkelig sich kreuzenden Straßen von Buenos Ayres durchzogen. Corrida de toros war das Thema, welches seit mehreren Tagen alle Blätter der Stadt ausführlich behandelten, und Corrida de toros bildete den Gegenstand des Gesprächs in allen öffentlichen und Privatlokalen.

Corrida de toros, zu deutsch Stiergefecht, ist ein Wort, welches jeden Spanier und jeden, dem ein Tropfen spanischen Blutes in den Adern fließt, zu begeistern vermag. Er bekümmert sich nicht um die Argumente, welche die Gegner dieser seiner Lieblingsvergnügung vorbringen, um zu beweisen, daß dieselbe nicht nur moralisch, sondern auch anderweit verwerflich ist; er eilt zur Arena, um der Tierquälerei aus voller Kehle zuzujauchzen, und gerät vor Entzücken gar außer sich, wenn ein mannhafter Stier einem Pferde den Leib aufschlitzt oder einen der Toreadores auf die Hörner spießt.

Ja, Corrida de toros! Wie lange hatte man in Buenos Ayres kein Stiergefecht gegeben; seit welcher Zeit war in der Plaza de toros das Wiehern der Pferde, das Brüllen der Stiere, das Geschrei der Kämpfer und das jauchzen der Zuschauer nicht mehr vernommen worden! Es war eine ganze lange Reihe von Jahren her, seit das letzte Stiergefecht stattgefunden hatte. Und daran waren die leidigen politischen Verhältnisse des Landes schuld.

Der Krieg, in welchen Lopez, der Diktator von Paraguay, die argentinische Konföderation gezogen, hatte der letzteren bis jetzt vierzig Millionen Dollar und fünfzigtausend Menschenleben gekostet, ganz abgesehen von den zweimalhunderttausend Opfern, welche die, infolge des Krieges eingeschleppte Cholera noch forderte. Da war an Vergnügungen nicht zu denken gewesen. Das argentinische Heer befand sich gegen Lopez stets im Nachteile; in voriger Woche aber hatte es einen bedeutenden Erfolg errungen. Derselbe wurde in Buenos Ayres durch Illumination und festliche Umzüge gefeiert, und um sich bei der Bevölkerung beliebt zu machen, ergriff der neu erwählte Präsident Sarmiento diese Gelegenheit, die Erlaubnis zu einem Stiergefechte zu erteilen.

Obgleich es zur Vorbereitung für dasselbe nur wenig Zeit gegeben hatte, waren zufälligerweise günstige Umstände eingetreten, welche erwarten ließen, daß diese Corrida de toros eine ungewöhnlich interessante sein werde. Buenos Ayres besaß nämlich selbst mehrere Stierkämpfer, welche sich einen Namen erworben hatten und noch von keinem toro (Stier) geworfen worden waren. Voller Eifersucht gegeneinander, brannten sie darauf, jetzt zu entscheiden, welcher von ihnen der geschickteste sei. Da meldete sich ein Fremder, ein Spanier aus Madrid, welcher seit einigen Tagen im Hotel Labastie wohnte, und bat um die Erlaubnis, sich mit um den Preis bewerben zu dürfen. Als er seinen Namen nannte und seinen Beruf angab, waren die Herren des Komitees mit Freuden bereit, ihre Einwilligung zu erteilen, denn dieser Mann war kein andrer als Señor Crusada, der berühmteste Espada im ganzen spanischen Königreiche.

Die Kunde davon war geeignet, die Einwohnerschaft der Stadt in Erregung zu versetzen, und doch sollte es noch viel besser kommen. Es meldeten sich nämlich noch zwei Señores, deren Anerbietungen diese Erregung auf das höchste steigerten. Der eine war der Besitzer großer Viehherden. Er hatte vor einiger Zeit unter bedeutendem Kostenaufwande mehrere nordamerikanische Bisons kommen lassen, um zu versuchen, ob eine Kreuzung derselben mit der einheimischen Rinderrasse zu erzielen sei; aber diese mächtigen Tiere hatten sich als so wild und unzähmbar erwiesen, daß er zu dem Entschlusse gekommen war, sie, um sie unschädlich zu machen, erschießen zu lassen. Er erbot sich, den stärksten dieser Bisons kostenfrei zum Stiergefechte zu liefern. Der andre Señor war Besitzer einer Hacienda in der Gegend von San Nicolas. Seine Peons (Knechte) hatten, um einen Jaguar, welcher seine Schafherde lichtete, zu fangen, Gruben gegraben und waren so glücklich gewesen, das Raubtier lebendig und unverletzt in ihre Hände zu bekommen. Um es an einen Händler verkaufen zu können, hatte man es nicht getötet, und nun erklärte der Haciendero, daß er den Jaguar bringen lassen werde, um ihn dem Komitee zu schenken.

Es läßt sich denken, daß diese Umstände, die Anwesenheit des berühmten Stierkämpfers und die Aussicht auf einen Kampf mit dem Büffel und dem Jaguar nicht allein für das Publikum, sondern vor allen Dingen auch für die einheimischen Toreadores von höchstem Interesse war.

Toreadores oder Toreros werden die Stierfechter im allgemeinen genannt. Das Wort kommt von toro, der Stier, her. Sie gliedern sich in mehrere besondere Abteilungen, von denen jede ihre eigene, bestimmte Aufgabe zu lösen hat. Da sind zunächst die Picadores, welche, auf Pferden sitzend, den Stier mit ihren Lanzen zu reizen haben. Sodann die Chulos oder Banderilleros, denen es obliegt, falls ein Picador in Gefahr kommen sollte, die Aufmerksamkeit des Stieres durch bunte Schärpen von demselben ab- und auf sich zu lenken und ihm dünne, mit Widerhaken versehene Stäbe in den Nacken zu stecken. Endlich die Espadas, die eigentlichen Kämpfer, welche den Stier mit dem Degen zu erlegen haben. Sie haben ihren Namen von dem Worte espada, Degen, erhalten. Zu erwähnen sind noch die Matadores, nach dem Worte matar, schlachten, so genannt. Diese Schlächter gehören nicht zu den eigentlichen Stierkämpfern; sie sind Zirkusknechte und haben dem Stier, falls derselbe von dem Espada nicht tödlich getroffen wird, aber doch niederstürzt, den Gnadenstoß zu geben.

Wie bereits erwähnt, durchzogen Ausrufer die Straßen von Buenos Ayres, um zu verkünden, daß der Stierkampf morgen stattfinden werde. Zuweilen blieben sie stehen, um den Passanten mit weithin schallender Stimme das Programm und alle nähern Umstände mitzuteilen. Es war gegen Abend. Wer es thun konnte, der schloß sein Geschäft, um eine Restauration, ein Café oder eine Confiteria aufzusuchen und dort sich über das Ereignis des Tages auszusprechen. Confiterias sind öffentliche Lokale, in denen man nur Kuchen und Eis genießt.

Das Café de Paris, welches als das feinste in Buenos Ayres gilt, war so von Gästen gefüllt, daß fast kein leerer Stuhl zu sehen war. Es ging da sehr lebhaft her, besonders an einem Tische, zu welchem die Blicke der Anwesenden immer und immer wiederkehrten, denn dort saßen die drei argentinischen Espadas, welche morgen ihre Geschicklichkeit zu zeigen hatten. Unter sich voller gegenseitiger, heimlicher Eifersucht, zeigten sie sich in ihren Worten darin einig, daß es ein geradezu unverzeihlicher Fehler des Komitees sei, den Spanier zugelassen zu haben. Sie nahmen sich vor, alles mögliche zu thun, ihm seinen bisherigen Ruhm zu entreißen. Einer von ihnen, welcher das große Wort führte, vermaß sich, den nordamerikanischen Bison gleich mit dem ersten Stoße zu erlegen, und wendete sich an die Anwesenden, indem er sich erbot, mit jedem zu wetten, daß er sein Wort halten werde.

In seiner Nähe saßen an einem andern Tische vier feingekleidete Herren, von denen besonders einer in die Augen fiel. Er war von beinahe riesiger Gestalt und trug, obgleich er nicht viel über fünfzig Jahre alt sein konnte, einen langen, dichten Vollbart, welcher fast die Weiße des Schnees hatte. Sein Haupthaar besaß dieselbe Farbe. Infolge seines sonnverbrannten Gesichtes hätte man ihn für einen Gaucho oder überhaupt einen Mann halten sollen, der nur im Freien, auf der Pampa oder gar in der Wildnis lebe, aber sein eleganter, nach dem neuesten Pariser Schnitte gefertigter Anzug sprach vom Gegenteile. Seine drei Nachbarn waren ebenso sonnverbrannt wie er. Einer derselben wendete sich mit den Worten an ihn:

„Hast du den Großsprecher gehört, Carlos?“

Der Weißbärtige nickte mit dem Kopfe.

„Was sagst du dazu?“

Der Gefragte zuckte mit der Achsel, indem ein leichtes, geringschätziges Lächeln über sein ernstes Gesicht glitt.

„Ganz deiner Meinung!“ fuhr der andre fort. „Es gehört schon etwas dazu, einen hiesigen Toro, bevor er abgemattet ist, mit dem Degen zu erlegen. Du wirst besser wissen als wir, was ein nordamerikanischer Büffel zu bedeuten hat, denn du bist jahrelang dort oben gewesen und hast Bisons gejagt. Dieser Espada hier wird wohl schwerlich im stande sein, sein Versprechen zu halten.“

„Das meine ich auch. Mit dem Munde tötet man keinen Büffel.“

Er hatte diese Worte lauter gesprochen, als es von ihm wohl beabsichtigt worden war. Der Espada hörte sie, sprang von seinem Stuhle auf, trat herbei und sagte in fast befehlendemTone:

„Señor, wollen Sie mir wohl sagen, wie Sie heißen?“

Der Weißbärtige maß ihn mit einem unendlich gleichgültigen Blicke und antwortete dann:

„Warum nicht, wenn ich vorher Ihren Namen kennen gelernt habe.“

„Mein Name ist weithin berühmt. Ich heiße Antonio Perillo.“

Da leuchteten die Augen des Riesen für einen Augenblick ganz eigentümlich auf, doch ließ er schnell die Lider sinken und meinte in demselben Tone wie vorher:

„Mein Name ist schwerlich so berühmt wie der Ihrige. Ich heiße Hammer.“

„Ist das ein deutscher Name?“

„Ja.“

„So sind Sie ein Deutscher?“

„Allerdings.“

„So halten Sie gefälligst den Mund, wenn es sich um hiesige Angelegenheiten handelt! Ich bin ein Porteño, verstanden?“

Er sagte dieses Wort mit scharfer Betonung und blickte dem andern dabei von oben herab stolz in das Gesicht. Porteños nennen sich die eingeborenen Bewohner des Landes im Gegensatze zu den Eingewanderten. Sie halten sich, doch ohne allen Grund, für besser, als dieselben. Wenn der Espada glaubte, mit diesem Worte Eindruck zu machen, so hatte er sich geirrt, denn der Riese that gar nicht, als ob er die Bedeutung desselben kenne. Darum fuhr der Espada in noch zornigerem Tone fort:

„Sie haben mit Geringschätzung von mir gesprochen. Wollen Sie Ihren Ausdruck zurücknehmen?“

„Nein. Ich habe gesagt, daß man einen Büffel nicht mit Worten tötet, und weil ich eben ein Deutscher bin, pflege ich stets zu wissen, was ich sage.“

„Carracho! Das ist stark! ich, der berühmteste Espada dieses Landes, soll mich von einem Deutschen verhöhnen lassen! Mann, wenn ich Sie nun vor meine Klinge fordre, was werden Sie da sagen?“

„Nichts, gar nichts werde ich sagen, da es ja der Rede gar nicht wert ist,“ antwortete Hammer, indem er sich auf seinem Stuhle behaglich zurücklehnte und dem Espada einen Blick zuwarf, welcher auf alles andre, aber nur nicht auf Furcht schließen ließ. Das erregte diesen noch mehr. Er trat mit vor Zorn funkelnden Augen noch einen halben Schritt näher, hob den Arm wie zum Schlage und rief:

„Wie, Sie wollen mir die Beleidigung nicht abbitten und mir auch keine Genugthuung geben?“

„Nein.“

„Gut, so werde ich Sie als einen ehrlosen Feigling kennzeichnen. Hier haben Sie das!“

Er wollte dem Deutschen mit der Faust in das Gesicht schlagen; dieser aber parierte den Hieb von unten herauf mit dem Arme, fuhr schnell empor, nahm den Espada bei den beiden Armen, drückte sie ihm an den Leib, hob ihn in die Höhe und warf ihn, als ob er ein federleichter Gegenstand sei, an die Wand, daß es krachte.

Alle Gäste erhoben sich von ihren Sitzen, um zu sehen, was nun geschehen werde. Der Espada war, wie überhaupt alle Anwesenden, von denen keiner das Gewand der Pampa trug, auf französische Art gekleidet, und es stand also nicht zu erwarten, daß er eine Waffe bei sich tragen werde, doch griff er, nachdem er sich rasch aufgerafft hatte, unter den Rock, zog ein langes Gauchomesser hervor und drang wutbrüllend mit demselben auf den Deutschen ein. Dieser wich keinen Zoll zurück, sondern sah ihm mit scharfem Auge entgegen, packte ihn mit raschem Griffe an dem das Messer hochhaltenden Arm und drückte ihm denselben so, daß er die Waffe mit einem Schmerzensschrei fallen ließ. Dann gebot er ihm in drohendem Tone:

„Gib Ruhe, Antonio Perillo! Mir kommt man nicht in dieser Weise. Wir befinden uns in Buenos Ayres, nicht aber in der Salina del Condor. Verstanden?“

Bei diesen Worten nahm er seinen Gegner so scharf in das Auge, als ob er ihm in das innerste Herz blicken wolle. Perillo fuhr zurück und starrte den Sprecher erschrocken an. Er war bleich, sehr bleich geworden; sein Auge flimmerte in einem ungewissen Scheine und seine Stimme zitterte beinahe, als er antwortete:

„Die Salina del Condor? Was ist’s mit dieser? Ich kenne sie nicht.“

„Du kennst sie nur zu gut; ich sehe es dir an.“

„Ich bin nie, niemals dort gewesen. Was wollen Sie mit dem Namen dieses Ortes sagen?“

„Ganz dasselbe, was du dir jetzt im stillen sagst, freilich ohne es laut werden zu lassen. Aber es wird laut werden, früher oder später; das versichere ich dir!“

„Ich weiß nicht, was Sie reden und was Sie wollen. Ich mag mit Ihnen nichts zu thun haben.“

„Dazu hast du allen Grund; also hüte dich davor, daß ich einmal mit dir zu thun bekomme, denn du würdest da schwerlich so gut davonkommen wie heute!“

Er griff in die Tasche, warf, um das Genossene zu bezahlen, eine Anzahl von Papierthalern auf den Tisch, nahm den Hut vom Nagel und schritt der Thüre zu, ohne daß jemand es wagte, ihn anzuhalten. Seit er nicht mehr auf dem Stuhle saß, sondern sich aufgerichtet hatte, sah jeder ein, daß mit diesem Goliath nicht gut anzubinden sei. Seine drei Gefährten folgten ihm.

Erst als die Thüre sich hinter ihnen geschlossen hatte, kehrte dem Espada der Mut zurück. Er wendete sich an seine Gefährten, um seine Niederlage zu beschönigen, denn einer derselben rief ihm höhnisch zu:

„Welch eine Blamage, Antonio Perillo! Er hat dich geworfen!“

„Laufe ihm doch nach und binde mit ihm an! Gegen so einen Riesen kann kein Mensch aufkommen.“

„Das mag sein. Aber er nannte dich Du. Welche Verächtlichkeit! Und du ließest es dir nicht nur gefallen, sondern nanntest ihn Sie, wie vorher.“

„Ich habe auf das Du gar nicht geachtet.“

„Und was war es mit dieser Salina del Condor? Was meinte er damit?“

„Weiß ich es? Dieser Aleman scheint an einer fixen Idee zu leiden. Ihr wißt ja, daß die Deutschen alle Träumer oder mondsüchtig sind. Sprechen wir nicht mehr davon.“

Vielleicht hätte man dieses Thema doch nicht fallen lassen, wenn nicht eben jetzt eine Person eingetreten wäre, welche die Blicke aller auf sich zog. Es war ein Gaucho, aber von so kleiner, schmächtiger Gestalt, wie keiner der Anwesenden in seinem Leben jemals einen Gaucho gesehen hatte. Das Männchen trug eine sehr weiße und sehr weite Hose, welche ihm nur bis an die Kniee reichte, und eine rote, baumwollene Chiripa. Das ist eine Decke, welche der Bewohner der Pampa schräg um die Hüften schlägt, vorn und hinten emporzieht und dann um den Leib legt, wo sie von einem Gürtel festgehalten wird. Die Ärmel des Hemdes, welches ebenso rein und weiß wie die Hose war, hatte der kleine Träger bis über die Ellbogen aufgewickelt, so daß seine Vorderarme unbedeckt waren. Über den Gürtel war eine rote Schärpe gebunden, deren Enden an der Seite herunterhingen. Ein ebenfalls roter Poncho bedeckte den Oberkörper. Das ist eine wollene Decke, in deren Mitte sich ein Schnitt befindet, durch welchen man den Kopf steckt. Die Unterschenkel waren mit echten Gauchostiefeln bekleidet, welche folgendermaßen zubereitet werden. Man zieht beim Schlachten eines Pferdes von den unteren Beinen die Haut, doch ohne sie zu zerschneiden, noch lebenswarm herunter und legt sie in heißes Wasser, um die Haare leichter abschaben zu können. Man steckt, während diese Häute noch naß sind, die Füße hindurch und zieht sie wie Strümpfe an. Sobald das Leder trocken wird, legt es sich fest um die Waden und bildet eine sehr wetterfeste Bekleidung, welche man freilich niemals ablegen kann, sondern tragen muß, bis sie von selbst zerreißt und von den Beinen fällt. Natürlich sind da nur die Unterschenkel und der obere Teil des Fußes bedeckt; die Zehen aber sehen vorn heraus und auch die Fußsohle bleibt nackt. Der Gaucho, welcher solche Stiefel trägt, geht also barfuß – wenn er nämlich geht. Von Gehen ist bei ihm nur dann die Rede, wenn er sich im Innern seiner Hütte befindet, sonst aber sitzt er ununterbrochen im Sattel. Daß die Zehen ’nackt sind, kommt ihm bei der Beschaffenheit seiner Steigbügel zu statten, denn dieselben sind so klein, daß er nur die große Zehe hineinzustecken vermag. Desto größer sind die Sporen, welche er trägt. Auch der kleine Mann, welcher jetzt in das Café getreten war, hatte ein paar Räder angeschnallt, welche die Größe eines silbernen Fünfmarkstückes besaßen. Ein graues Filzhütchen, von welchem eine Troddel hing, saß ihm auf dem Kopfe, und unter diesem Hute trug er ein rotseidenes Tuch, dessen hinten herabgehenden Zipfel er vorn am Halse festgebunden hatte. Solche Tücher trägt der Gaucho unter dem Hute, da sie den Nacken vor dem Sonnenbrande schützen und zugleich eine angenehme Kühlung gewähren, weil sie beim Reiten vorn die Luft auffangen und dem Nacken zuführen. In dem Gürtel unter der Schärpe steckte ein langes Messer und eine zweiläufige Pistole, und über die Achsel hing an einem breiten Riemen eine Doppelflinte, welche nicht viel kürzer als der Mann selber war, welcher zwei Bücher in den Händen hatte.

Dieser letztere Umstand war es besonders, welcher die Augen auf ihn zog. Ein Gaucho mit Büchern! Das hatte man noch nicht gesehen. Dazu war er vollständig glatt rasiert, was ebenso auffallen mußte. Auch blieb er vorn an der Thür für einen Augenblick stehen und grüßte, was keinem andern jemals eingefallen wäre, mit einem lauten „Buenos dias – guten Tag!“ Dann schritt er auf den Tisch zu, welcher soeben leer geworden war, setzte sich an demselben nieder, schlug beide Bücher auf und begann, grad so als ob er ganz allein sei, höchst eifrig in denselben zu blättern und zu lesen. Es waren zwei Abhandlungen der königlichen Akademie der Wissenschaften in Berlin, von E. d’Alton und von Weiß.

Der vorhin herrschende Lärm hatte sich in die tiefste Stille verwandelt. Der Kleine frappierte die Leute alle. Sie wußten nicht, was sie von ihm und über ihn denken sollten. Das kümmerte ihn aber nicht im mindesten; ja, er bemerkte es gar nicht; er las und las und fühlte sich auch nicht gestört, als man wieder lauter wurde und von neuem auf das Stiergefecht zu sprechen kam. Nur als einer der Kellner, ein ebenso kleiner Bursche wie er selbst, zu ihm trat, um ihn zu fragen, was er wünsche, blickte er auf und fragte im reinsten Spanisch:

„Haben Sie Bier? Ich meine nämlich Cerevisia, wie es lateinisch heißt.“

„Ja, Señor, Bier haben wir, die Flasche zu sechs Papierthalern.“

„Bringen Sie eine Flasche, eine Ampulla oder Lagena auf lateinisch.“

Der Kellner sah ihn verwundert an, brachte Flasche und Glas und goß das letztere aus der ersteren voll. Der Gast trank aber nicht und sah nicht von den Büchern auf. Man beschäftigte sich, einen ausgenommen, nicht mehr mit ihm, und dieser eine war Antonio Perillo, der Espada. Er ließ den Kleinen fast nicht aus den Augen; er schien sich innerlich nur mit ihm zu beschäftigen und beteiligte sich gar nicht mehr an der Unterhaltung. Endlich stand er gar auf, kam herbei, verbeugte sich und sagte in sehr höflichem Tone:

„Entschuldigung, Señor! Wir scheinen uns zu kennen?“

Der kleine, rote Gaucho blickte überrascht von seiner Lektüre auf, erhob sich und antwortete in ebenso höflicher Weise:

„Es thut mir leid, Señor, Ihnen sagen zu müssen, daß Sie sich irren. Ich kenne Sie nicht.“

„So müssen Sie Gründe haben, dies jetzt zu sagen. Aber ich kann einen solchen Grund nicht einsehen!“

„Einen solchen Grund? Auf lateinisch Causa? Ich habe ja gar keinen Grund, zu sagen, daß ich Sie kenne. Es wäre eine Lüge.“

„Aber ich bin überzeugt, daß wir uns oben am Flusse schon begegnet sind.“

„Nein, denn ich bin noch gar nicht da oben gewesen. Ich befinde mich erst seit einer Woche hier im Lande und habe Buenos Ayres noch mit keinem Schritte verlassen.“

„So darf ich vielleicht fragen, wo Sie eigentlich zu Hause sind?“

„In Jyterbogk, welches auch Jüterbog oder Jüterbock geschrieben wird. Es ist bis jetzt unentschieden geblieben, welche Schreibweise die richtige ist. Ich entscheide mich aber unbedingt für Jüterbogk, weil da bog und bock vereinigt ist.“

„Dieser Ort ist mir vollständig unbekannt. Würden Sie die Güte haben, mir Ihren Namen zu sagen?“

„Ganz gern. Morgenstern, Dr. Morgenstern.“

„Und Ihr Stand?“

„Ich bin Gelehrter oder, genauer ausgedrückt, Privatgelehrter.“

„Und womit beschäftigen Sie sich?“

„Mit Zoologie, Señor Gegenwärtig bin ich nach Argentinien gekommen, um das Glyptodon, das Megatherium und das Mastodon aufzusuchen.“

„Das verstehe ich nicht. Ich habe diese Worte noch nie gehört.“

„Ich meine das Riesenarmadill, das Riesenfaultier und den Riesenelefanten.“

Der Espada machte ein langes Gesicht, sah den Kleinen mit prüfendem Blicke an und fragte dann:

„Sprechen Sie im Ernste, Señor?“

„Natürlich!“

„Und wo wollen Sie diese Tiere suchen?“

„Natürlich in der Pampasformation, von welcher man leider noch nicht genau sagen kann, ob sie sich schon vor oder gleichzeitig mit dem Diluvium gebildet hat.“

„Diluvium? Señor, ich verstehe l Sie bewegen sich in dieser unverständlichen Sprache, um mir anzudeuten, daß ich Ihnen unbequem bin.“

„Diese Sprache ist keineswegs so unverständlich, wie Sie meinen. Sehen Sie in diese beiden Bücher, deren Verfasser sehr tüchtige Kenner des Diluviums sind! Weiß und d’Alton; sie müssen Ihnen unbedingt bekannt sein, und – – –“

„Nein, gar nicht, gar nicht,“ unterbrach ihn der Stierkämpfer. „Diese beiden Herren kenne ich nicht. Von Ihnen aber möchte ich selbst jetzt noch behaupten, daß ich Sie kenne, und zwar genauer noch, als Sie denken. Hoffentlich geben Sie doch zu, daß der Anzug, welchen Sie jetzt tragen, eine Verkleidung ist?“

„Eine Verkleidung? Hm! Wenn ich wahr sein will, so muß ich allerdings zugeben, daß ich sonst nicht gewohnt bin, als Gaucho zu gehen.“

„Aber Sie reiten doch ausgezeichnet, wie ich gesehen habe!“

„Das ist ein Irrtum, Señor. Ich habe zwar schon einigemal nicht bloß die Veranlassung, sondern auch die Gelegenheit gehabt, ein Roß, lateinisch Equus, zu besteigen, was aber der Lateiner equo vehi nennt, nämlich die Kunst des Reitens, ist mir doch zu vollen neun Zehnteilen fremd geblieben.“

Perillo konnte sich, obgleich er seiner Sache vollständig sicher war, eines Kopfschüttelns nicht erwehren. Er zog sein Gesicht in ein diplomatisches Lächeln und meinte, indem er sich verbeugte:

„Ich darf nicht weiter in Sie dringen, Señor, denn jedes Ihrer Worte sagt mir, daß Sie unerkannt bleiben wollen. Haben Sie die Güte, meine Zudringlichkeit zu verzeihen! Ich bin überzeugt, daß die Zeit kommt, in welcher Sie Ihre gegenwärtige Maske fallen lassen werden.“

Er begab sich nun an seinen Tisch zurück. Der rote Gaucho schüttelte nun seinerseits den Kopf, setzte sich nieder und murmelte:

„Maske! Fallen lassen! Dieser Señor scheint sehr zerstreut zu sein.“

Dann beugte er sich wieder über seine Bücher nieder. Aber er sollte bald wieder gestört werden, denn der kleine Kellner, welcher in der Nähe gestanden und die Unterhaltung gehört hatte, kam näher und sagte:

„Señor, wollen Sie nicht trinken? Es ist schade um das Bier, es so lange offen stehen zu lassen.“

Der Gaucho blickte zu ihm auf, griff nach dem Glase, that einen Zug und meinte dann in freundlichem Tone:

„Ich danke Ihnen, Señor. Man soll sich gewöhnen, über dem Notwendigen nicht das Angenehme zu vergessen. Und das Trinken, lateinisch potio, ist nicht nur angenehm, sondern sogar notwendig.“

Er wollte weiter lesen, da er aber bemerkte, daß der Kellner noch stehen blieb, fragte er:

„Belieben Sie noch eine Bemerkung, Señor?“

„Wenn Sie gestatten, ja. Sie sprachen vorher von Jüterbogk. Kennen Sie diese Stadt?“

„Natürlich kenne ich sie; ich wohne nämlich dort.“

„Sie wohnen dort? Sollten Sie ein Deutscher sein?“

„Der bin ich allerdings, wie auch mein Name Morgenstern beweist. Wäre ich ein Römer, so würde ich lateinisch jubar heißen.“

„Das freut mich ungeheuer, Señor! Darf ich deutsch mit Ihnen reden?“

„Deutsch? Sind Sie denn ein Deutscher?“

„Na, und wat for einer! Ick bin in Stralau bei Berlin jeboren, also een näherer Landsmann von Sie, Herr Doktor. Denn dat Sie ooch Doktor sind, dat habe ick vorhin jehört.“

„Ein Stralauer! Wer hätte das gedacht! Ich habe Sie für einen Argentiner gehalten. Wie kommen Sie denn über die See herüber?“

„Als jeborene Wasserjungfer, wat man sonne Libelle nennt. Sie wissen doch, von wejen dem Stralauer Fischzug und dem Rummelsburger See. Da ist man dat Wasser jewöhnt und jeht dem Wasser nach. So bin ick nach Hamburg jekommen und dann weiter ins Südamerika.“

„Was wollten Sie hier?“

„Reich werden wollte ick natürlich.“

„Nun, und?“

„Ja, nun, und! Das Reichwerden jeht nicht so schnell, wie ick mich’s jedacht hatte. Es kommen auch arme Zeiten mit mang, und wenn die nicht wieder uffhören, da bringt man die Million, von welcher ick jeschwärmt habe, eben nicht zusammen.“

„Haben Sie Verwandte zu Hause?“

„Nee. Hätte ick so wen oder wat jehabt, so wäre ick daheim jeblieben. Dann wollt‘ ick jern beis Militär, denn mein Herz ist stets jut patriotisch jestimmt jewesen; aber da ick um zwei Zoll zu kurz jewesen bin, haben sie mir nicht assentiert, sondern for untauglich erklärt. Darüber bin ick so ergrimmt jewesen, daß ich in die Fremde jegangen bin, um zu sehen, ob man mir da für tauglich halten wird.“

„Wie lange sind Sie nun schon hier?“

„Fünf Jahre, wat mit die fünfundzwanzig Lenze stimmt, die ich bisher in Blüte jestanden habe.“

„Und womit haben Sie sich während dieser Zeit beschäftigt?“

„Mit allem möglichen, wat ehrlich war, doch ohne es zu wat zu bringen. Jetzt bin ick Kellner hier, doch auch nicht fest, sondern nur zur Aushilfe für heute, weil man viel Jäste erwartet hat. Zuletzt habe ick mir mit Hafenarbeit beschäftigt.“

„Waren Sie schon im Innern des Landes? Ich frage nämlich nicht ohne Ursache.“

„Damit kann ick auch dienen. Ick bin schon zweimal bis nach Tucuman hinein jewesen, und zwar als Pferdeknecht.“

„So können Sie reiten?“

„Wie im Löwenritt von Freiligrath. So wat lernt sich hier zu Lande oft und manchmal schneller, als man’s vorher jedacht hat.“

„Das ist gut, sehr gut! Und nun die Hauptsache. Es soll hier in Argentinien sehr viel Knochen geben?“

„Massenhaft!“

„Ausgezeichnet! Ich suche welche.“

„Knochen? Weshalb?“

„Aus Interesse für die Sache.“

„So? Dat ist freilich ein Interesse, wie ick noch keins jefunden habe. Aber da kann ick Ihnen trösten. Wenn Sie Knochen haben wollen, so kann ick Ihnen janze Schiffsladungen voll verschaffen.“

„Antediluvianische?“

„Dat verstehe ick nicht; ick sage nur, dat sie von allen Sorten zu haben sind.“

„Vom Mastodon?“

„Von Mastrindern? Soviel Sie haben wollen.“

„Ich meine, ob vom Riesenelefanten.“

„Dat wohl weniger, denn ick habe noch nicht jehört, daß hier Riesenelefanten jemästet und jeschlachtet werden.“

„Aber vom Megatherium?“

„Wahrscheinlich auch.“

„Und vom Glyptodon?“

„Dieses Vieh kenne ick nicht.“

„Das ist begreiflich, da es schon vor der Sündflut gelebt hat.“

„Dann ist’s futsch und hat keine Knochen mehr. Hier jibt’s nach der Sündflut nur noch Knochen von Rindern, Pferden und Schafen.“

„Sie verstehen mich nicht. Ich suche nach Knochen von vorweltlichen Tieren, wie man sie im hiesigen naturhistorischen Museum findet.“

„Ah, ick verstehe! Von Professor Burmeistern jesammelt? Die stecken in der Erde, wo man sie herausbuddeln muß. Habe ick ooch jesehen. Die sind in der janzen Pampa zu finden. Man soll sogar vorsündflutliche Pferde jefunden haben.“

„Sehr richtig! Das ist übrigens aus dem Grunde sehr interessant, weil bisher behauptet worden ist, daß das Pferd nur der alten Welt angehört.“

„Also sonne Sachens wollen Sie suchen und ausgraben?“

„Ja, dazu brauche ich Leute. Ich werde Gauchos engagieren, und habe deshalb, um ihnen gleich von vornherein als ein sympathischer Mensch zu erscheinen, mich so wie sie gekleidet. Vor allen Dingen brauche ich einen Diener, auf den ich mich verlassen kann. Sie gefallen mir, Sie haben ein ehrliches und zugleich pfiffiges Gesicht und scheinen nicht an Dummheit zu leiden, was der Lateiner Vecordia nennt. Haben Sie nicht Lust, sich von mir engagieren zu lassen?“

„Warum nicht, wenn Sie mir jut behandeln und mir auch sonst oft und manchmal so stellen, daß ick nicht zu klagen brauche.“

„So kommen Sie morgen früh zu mir, damit wir das Nötige besprechen können. Kennen Sie den Bankier Salido?“

„Ja. Er hat sein Jeschäft hier janz in der Nähe, wohnt aber in seiner Quinta draußen vor der Stadt.“

„Da wohne auch ich, denn ich bin ihm empfohlen und sein Gast. jetzt lassen Sie mich weiter lesen.“

„Jut, lesen Sie man immer weiter, Herr Doktor. Morjen werde ick mir einstellen, und ick denke, daß wir beide dabei ein jutes Jeschäft machen werden. Ich schaffe Ihnen jeden Knochen aus der Erde, und wenn er noch so groß ist.“

Er zog sich zurück, und man sah es ihm an, daß er sich über die zu erhoffende Stellung freute. Er besaß, wie Morgenstern ganz richtig gesagt hatte, ein ehrliches Gesicht und jenen gesunden Mutterwitz, welcher den Bewohnern seiner Heimat angeboren zu sein pflegt.

Der Inhalt dieses Gespräches schien Morgenstern noch weiter zu beschäftigen, denn er las nun weniger aufmerksam als vorher und vergaß auch das Trinken nicht. Als er seine Flasche ziemlich geleert hatte, stand Antonio Perillo auf, um zu bezahlen und fort zu gehen. Einige Zeit später brach auch Morgenstern auf. Er bezahlte seine sechs Papierthaler. Das klingt sehr hoch, ist aber nicht so gefährlich, wie es scheint, da der Papierthaler einen Wert von sechzehn deutschen Pfennig hatte. Dennoch aber ist der Preis von sechsundneunzig Pfennig für eine Flasche Bier kein niedriger zu nennen, aber das Bier, wenigstens das aus Europa eingeführte, galt damals noch mehr als heute als Luxusgetränk.

Als er das Café verlassen hatte, wendete er sich links in die Straße, welche direkt und in schnurgerader Richtung nach der Quinta des Bankiers führte. Er war zu sehr mit seinen gelehrten Gedanken beschäftigt, um die zwei Gestalten zu sehen, welche gegenüber wartend an den Pfeilern einer Thür lehnten. Sie wären ihm aber wohl auch dann nicht aufgefallen, wenn er weniger an seine vorsündflutlichen Tiere gedacht hätte. Und doch war gerade er es, auf den sie es abgesehen hatten. Es war nämlich Antonio Perillo und ein andrer, der sich vorhin nicht mit im Café befunden hatte. Als sie den Doktor erscheinen sahen, flüsterte der erstere dem letzteren zu:

„Schau ihn genau an, ob er es nicht ist!“

Als der andre die Züge des deutschen Gelehrten im Lichte der Fenster des Café, an denen dieser vorüberging, deutlich erkannte, antwortete er:

„Gar keine Zweifel; er ist’s, und wenn er noch so sehr geleugnet hat.“

„Er hat sich nur den Bart scheren lassen und die Tracht eines Gaucho angelegt. Damit macht er doch Leute, wie wir sind, nicht irre. Ich muß wissen, wo er wohnt. Schleiche ihm nach!“

„Gehst du nicht mit?“

„Nein. Er könnte sich umdrehen und mich erkennen. Dann würde er Verdacht fassen. Ich trete in die Confiteria hier rechts, um auf deine Rückkehr zu warten.“

Perillo ging in die Kuchenstube, und der andre folgte dem Deutschen heimlich nach. Die Straße, welche dieser langsam hinaufschritt, führte, wie bereits gesagt, in schnurgerader Linie fort, denn Buenos Ayres ist höchst regelmäßig gebaut. Es besteht aus lauter Häuservierecken, zwischen denen die Straßen sich genau rechtwinkelicht kreuzen. Man kann also den Plan der Stadt mit einem Schachbrette vergleichen.

Die Umgebung derselben ist landschaftlich ganz und gar unbedeutend. Es gibt keine Abwechselung, keine Höhen und Thäler, keine Büsche und Wälder. Hat man die Stadt hinter sich, so steht man auf der offenen, ebenen Pampa, und am Horizonte schwimmen Himmel und Erde so zusammen, daß von einer Grenzlinie zwischen beiden keine Rede ist.

Der Hafen ist schlecht, und das Wasser des Plata hat eine lehmichte, schmutzige Farbe, so daß auch er der Stadt keinen Reiz verleiht.

Buenos Ayres bedeckt ungefähr den gleichen Flächenraum wie Paris. Man kann sich also denken, wie weitläufig alles ist. Es gibt mehrere sehr schöne Straßen und Plätze, kommt man aber über den Kern der Stadt hinaus, so trifft man auf roh gemauerte Magazine, häßliche Hütten und Schuttplätze. Einige der Außenstraßen freilich haben ein elegantes Aussehen, da an ihnen die Villen der reichen Einwohner stehen. Eine solche Villa wird hier Quinta genannt.

In den innern und belebtesten Vierteln der Stadt findet man zwei-, drei- und wohl auch vierstöckige Häuser; sonst aber bestehen die Gebäude nur aus dem Erdgeschosse; sie ragen nicht in die Höhe, dehnen sich aber desto mehr in die Breite und Tiefe. Diese Gebäude haben flache, mit Ziegelsteinen belegte Dächer, über denen sich kleine Warttürme erheben, die man Miradores nennt. Die Dächer sind ein klein wenig geneigt, damit der Regen in den Hof und die in demselben befindliche Zisterne ablaufen kann. Denn bis vor kurzem trank man nur dieses Zisternenwasser.

Wenn von dem Hofe die Rede ist, so haben nur die ärmeren Leute einen einzigen solchen. Bessere Häuser aber schließen drei, vier und auch noch mehr Höfe ein. Steht man vor der in durchbrochener Eisenarbeit künstlerisch modellirten Thüre eines solchen Gebäudes, so kann man durch dieselbe eine ganze Reihe von saubern, mit Springbrunnen und Blumen geschmückten Marmorhöfen sehen. Denn Marmor ist das Material, aus welchem die Häuser der Wohlhabenden gebaut werden.

Wird gefragt, warum es in Buenos Ayres nur flache Dächer gibt, so ist die Antwort sehr einfach. Zunächst erfordern schräge, hohe Dächer weit mehr Material und sind nur in solchen Gegenden notwendig, wo eine durchschnittlich große Regenmenge fällt. In Buenos Ayres aber fällt bedeutend weniger Regen als bei uns. Sodann würden hohe Dächer und Giebel dem Pampero, dem gewaltigen, verheerenden Sturme, welcher von den Cordilleren niederstreicht, viel zu große Flächen bieten. Und endlich bieten flache Dächer die Annehmlichkeit, daß man auf ihnen des Abends spazieren gehen und frische Luft schöpfen kann.

Wer da glaubt, daß man auf den Straßen von Buenos Ayres eine Menge dahergaloppierender Gauchos sehen kann, hat sich sehr geirrt. Man möchte vielmehr glauben, sich in einer europäischen Stadt zu befinden. Alles kleidet sich hier in französische Tracht. Auch ist die Zahl der Europäer, welche hier wohnen, eine ganz beträchtliche. Nur die Hälfte der Bevölkerung sind Argentiner. Es gibt 4000 Deutsche, 15000 Franzosen, 20000 Spanier und 50000 Italiener, außerdem viele Engländer und noch mehr Schweizer. Dieses Durcheinander so vieler Nationalitäten hat eine ungewöhnliche Sprachgewandtheit zur Folge. Leute, ja sogar junge Personen, welche mit vollster Fertigkeit drei, vier und wohl noch mehr Sprachen beherrschen, finden sich hier mehr als selbst in Paris, London und New York.

Was nun den Namen der Stadt betrifft, so trägt sie denselben wohl kaum mit vollem Rechte. Buenos Ayres heißt „gute Lüfte“, aber wenn die Sonne heiß auf die platten Dächer der tiefliegenden Stadt brennt, so vermag man es in den dumpfen, drückenden Räumen kaum auszuhalten. Und Bäume, die eigentlichen Luftverbesserer, gibt es ja nicht, wenigstens nicht das, was man bei uns unter Baumwuchs versteht. Schon Zitronen und Apfelsinen gedeihen hier nicht mehr, Tropenfrüchte noch weniger. Für Äpfel, Pflaumen, Kirschen und andre Obstsorten ist das Klima zu heiß, und so trifft man nur Wein, Birnen, Pfirsiche und Aprikosen an, diese aber allerdings in vortrefflicher Qualität. Wälder aber gibt es in dem östlichen Teile des Landes gar nicht. Höchstens hat einmal hier oder da der reiche Besitzer einer Quinta den Garten, in welcher sie steht, so dicht bepflanzt, daß man unter den Bäumen eine wirkliche Kühlung verspürt.

Eine der schönsten Quinten war diejenige des Bankiers Salido, eines höchst gastfreundlichen Mannes, welcher nicht allein nur auf den Erwerb bedacht war, sondern auch die Künste und die Wissenschaften liebte und selbst mit europäischen Jüngern derselben in Briefwechsel stand. Infolge dieses letzteren Umstandes war Doktor Morgenstern an ihn empfohlen worden und hatte eine freundliche Aufnahme bei ihm gefunden. Die Quinta lag am südlichen Ende der Stadt, so daß der Gelehrte einen weiten Weg zurückzulegen hatte, infolgedessen Antonio Perillo sehr lange auf die Rückkehr seines Verbündeten zu warten hatte.

Die Zeit wurde ihm aber nicht lang, denn es waren auch hier zahlreiche Gäste vorhanden, denen das morgen stattzufindende Stiergefecht einen reichen Stoff der Unterhaltung bot. Perillo kannte keinen dieser Leute, und ebensowenig war er ihnen bekannt. Man sprach von Señor Crusada, dem fremden Stierkämpfer, und war überzeugt, daß ihn die hiesigen Espadas nicht erreichen würden. Das ärgerte Perillo gewaltig, doch hütete er sich, zu sagen, daß er einer dieser Espadas sei. Man erwähnte natürlich auch den Jaguar und den wilden Bison und war der Meinung, daß die Kämpfer einen schweren Stand haben würden.

„Blut wird auf alle Fälle fließen,“ meinte einer, „und zwar auch Menschenblut. Von dem Büffel will ich nicht sprechen, denn ich habe noch kein solches Tier gesehen; aber der Jaguar ist ein schlimmer Gesell, der ein zähes Leben hat und nicht gleich beim ersten Streiche liegen bleibt.“

Da konnte Perilio sich doch nicht enthalten, einzuwerfen:

„Ein Feigling ist der Jaguar! Ich mache mich anheischig, ihm nur mit dem Messer in der Hand zu Leibe zu gehen.“

„Und dann von ihm zerrissen zu werden!“ lachte der andre.

„Ich spreche im Ernste. Habt Ihr denn noch nicht gehört, daß der Jaguar flieht, wenn er einen Menschen sieht, und daß es Gauchos gibt, die ihn mit dem Lasso fangen?“

Da antwortete ein alter, sonnverbrannter Mann, welcher allein saß und sich bis jetzt nicht mit an dem Gespräch beteiligt hatte:

„Da haben Sie sehr recht, Señor. Der Jaguar flieht den Menschen und ist auch schon von Gauchos mit dem Lasso gefangen worden. Aber welcher Jaguar war das? Der Jaguar des Flusses.“

„Gibt es denn auch andre Jaguare?“

„Mehrere Arten gibt es nicht, denn Jaguar ist Jaguar; aber vergleicht einmal den am Flusse wohnenden mit demjenigen, welcher über die Pampas streift oder gar droben in den Schluchten des Gebirges wohnt. Der Fluß bietet Nahrung in Hülle und Fülle. Da leben Tausende von Wasserschweinen, an denen sich der Jaguar satt fressen kann. Die Jagd auf diese dummen Tiere fällt ihm nicht schwer; er frißt sich satt und wird faul und feig. Wenn er den Menschen sieht, nimmt er Reißaus. Der Jaguar auf den Pampas aber hat es nicht so leicht. Er hat mit den Rindern, den Pferden und, wenn er sich ein Schaf holen will, mit den Hirten zu kämpfen; der ist gewiß nicht feig. Oder wohnt er gar in den Bergen, so muß er die wilden Lamas jagen, welche schneller sind als er und sich nicht so leicht erwischen lassen. Da muß er hungern, und Hunger macht wütend. So ein Gebirgsjaguar fällt am hellen, lichten Tage offen über den bewaffneten Menschen her. Das, Señores, ist die Sache, welche ich gern richtig stellen wollte.“

Da meinte Antonio Perillo in spöttischem Tone:

„Sie scheinen in diesem Fache sehr große Kenntnisse zu besitzen, Señor. Sind Sie denn schon einmal über die Grenzen der Stadt hinausgekommen?“

„Zuweilen, ja.“

„Bis wohin denn?“

„Bis nach Bolivia hinauf und auch nach Peru hinüber. Auch bin ich im Gran Chaco gewesen.“

„Bei den wilden Indianern?“

„Ja.“

„Und die Indianer haben Sie nicht aufgefressen, wie der Jaguar das Wasserschwein auffrißt?“

„Entweder bin ich ihnen nicht fett genug gewesen, oder sie haben sich nicht an mich herangetraut, Señor. Wahrscheinlich hat der letztere Grund vorgelegen, denn ich bin all mein Lebtag nicht der Mann gewesen, den man so leicht auffressen kann. Und selbst jetzt in meinen alten Tagen habe ich Kraft genug im Arme, einen, der sich über mich lustig machen will, auf das lose Maul zu schlagen. Merken Sie sich das, Señor!“

„Nur nicht gleich so hitzig, Alter! Es war ja gar nicht so gemeint,“ lenkte Perillo ein, denn die Scene im Café de Paris hatte ihn vorsichtig gemacht. „Ich wollte nur sagen, daß ich den Jaguar nicht für gefährlich halte.“

„Er ist gefährlich für jeden Menschen, nur für einen einzigen nicht.“

„Wer ist das?“

„Das können Sie sich denken. Es hat doch jeder von ihm gehört, und sein Name beweist das, was ich von ihm behaupte.“

„So meinen Sie den Vater Jaguar?“

„Ja.“

„Man sagt von ihm freilich, daß er dem wildesten Jaguar mit unbewaffneten Händen zu Leibe gehe, aber ich glaube es nicht.“

„Und ich glaube es, denn ich habe es gesehen.“

„Gesehen? Hm!“

„Mit diesen meinen Augen gesehen. Señor, Sie können es glauben.“

„Wo ist denn das gewesen?“

„Im Gran Chaco.“

„Da sind Sie mit diesem Manne zusammengetroffen?“

„Nicht zusammengetroffen, sondern mit ihm hingeritten. Er ist unser Anführer, und ich gehöre noch heute zu seinen Leuten.“

Kaum hatte der Alte diese Worte gesagt, so wurden rundum Ausrufe des Staunens, der Verwunderung laut. Man sprang auf, um an seinen Tisch zu kommen und ihm die Hand zu drücken. Man wollte aus mehreren zusammengeschobenen Tischen eine lange Tafel bilden, an welche er sich mit setzen sollte, um von dem berühmten Manne zu erzählen, dessen Namen und Thaten in aller Munde waren. Er aber wehrte ab und begründete seine Weigerung mit den Worten:

„Der Vater Jaguar liebt es nicht, daß wir von ihm sprechen. Er hat uns geradezu verboten, von ihm zu erzählen, und Sie dürfen es mir nicht übelnehmen, Señores, wenn ich sage, daß ich ihm Gehorsam schulde.“

„Wie sieht er denn eigentlich aus?“ erkundigte sich Perillo.

„Wie jeder andre Mensch.“

„Und wie alt ist er?“

„Vielleicht fünfzig Jahre.“

„Ein Eingeborener?“

„Ich habe seinen Geburtsschein noch nicht in der Hand gehabt, Señor.“

„So sagen Sie mir wenigstens, ob er wirklich so ungeheuer stark ist, wie man von ihm erzählt!“

„Was das betrifft, so habe ich gesehen, daß er einen Ochsen bei den Hörnern packte und ihm den Kopf fest auf die Erde drückte.“

Caramba! Das wäre stark! Sie übertreiben doch nicht?“

„Ihretwegen mache ich keine Lüge. Darauf können Sie sich verlassen. Ich kann nur einem jeden wünschen, nicht einmal in die Lage zu kommen, die Fäuste des Vaters Jaguar zu fühlen.“

„Darf man denn nicht erfahren, was er eigentlich treibt? Bald sagt man, er sei ein Yerbatero; bald nennt man ihn einen Goldsucher, bald einen Sendador, welcher die Karawanen über die Anden führt. Ich habe sogar schon gehört, daß er ein politischer Parteigänger sei, welcher sein Gewehr bald diesem und bald jenem Aufrührer leihe.“

Yerbateros sind Theesammler, welche in die Urwälder ziehen, um den bekannten Paraguaythee zu suchen. Ihr Leben ist mit vielen Gefahren verknüpft. Sendador heißt Pfadfinder, bedeutet also genau dasselbe, was das nordamerikanische Wort Scout bedeutet. Der Alte antwortete:

„Was er eigentlich ist, das kann ich Ihnen wohl sagen: Er ist ein Mann, und zwar ein ganzer Mann, wie es wohl selten einen zweiten gibt, auch Sie nicht ausgenommen. Aufrührern hat er noch nicht gedient und wird er auch nie dienen. Er ist ein Freund aller guten und ein Feind aller schlechten Leute. Sollten Sie vielleicht nicht zu den ersteren gehören, so hüten Sie sich ja, ihm einmal zu begegnen.“

„Sie werden immer schärfer und anzüglicher, mein alter Señor! Hat es Sie denn gar so sehr verdrossen, daß ich den Jaguar für ein feiges Tier gehalten habe?“

„Das nicht. Aber daß Sie behaupteten, ihm nur mit dem Messer zu Leibe gehen zu wollen, sagte mir, daß Sie entweder ein Aufschneider oder ein unwissender Mensch seien, und beide kann ich nicht leiden. Der Jaguar, den wir morgen sehen werden, hat wahrscheinlich am Flusse gewohnt, kann aber auch aus der Pampa gekommen sein. Wir werden ja erfahren, wie er sich benimmt. Was mich betrifft, so bin ich auf ihn nicht im geringsten neugierig. Viel eher verlangt es mich, ob sich einer der Espadas an den Büffel wagen wird.“

„Alle werden sich an ihn wagen, alle; das versichere ich Ihnen!“

„Wollen sehen. So ein Bison ist, wenn er gereizt wird, ein gefährliches Tier.“

„Woher wissen Sie das denn?“

„Vom Vater Jaguar, welcher Hunderte erschossen hat.“

„Auf der Pampa etwa?“ lachte Perillo.

„Nein, sondern in den Prairieen von Nordamerika, wo er früher gejagt hat.“

„Auch dort ist er gewesen? So ist er also kein Porteño, sondern ein Fremder? Das ist ein Umstand, der mir freilich nicht zu imponieren vermag.“

„Nicht? Nun, was das betrifft, so glaube ich nicht, daß der Vater Jaguar viel danach fragt, ob er Ihnen imponiert oder nicht.“

„Weil er mich nicht kennt. Würde er aber meinen Namen erfahren, so würde er es wohl für eine Ehre halten, mir die Hand drücken zu können.“

„So? Wie lautet denn dieser Ihr berühmter Name?“

„Perillo.“

„Ah! Sind Sie etwa Antonio Perillo, der Espada, welcher morgen mit auftreten wird?“

„Der bin ich allerdings.“

Er sah den Alten mit einem Blicke an, aus welchem zu ersehen war, daß er erwartete, jetzt eine ehrerbietige Lobesüberhebung zu hören. Aber die Worte, welche er zu hören bekam, waren ganz andre, nämlich:

„So sagen Sie mir einmal, Señor, warum Sie mit den Stieren kämpfen!“

„Um sie zu töten natürlich.“

„Und warum töten Sie dieselben?“

„Welch eine Frage! Wir erstechen sie, um unsre Kunst zu zeigen.“

„Eine schöne Kunst! Es ist nicht etwa ein Heldenstück, einen vorher matt gehetzten Ochsen zu erstechen. Ich töte ein Tier, weil ich das Fleisch desselben brauche, um leben zu können; aber es um einer so fadenscheinigen Ehre willen erstechen, das ist Mord. Und wenn man es gar vorher mit Stichen quält und halb zu Tode hetzt, das ist Schinderei. Sie sollten sich also nicht einen Espada, sondern viel richtiger einen Desoflador (Schinder) nennen.“

Da fuhr Perillo, wie von einer Feder geschnellt, von seinem Stuhle auf. Er wollte auf den Alten eindringen. Glücklicherweise wurde gerade in diesem Augenblick die Thüre geöffnet, und sein Verbündeter trat ein. Er besann sich eines andern, setzte sich wieder nieder und warf dem Alten nur die Worte hin:

„Sie wollen sich an mir reiben, können mich aber nicht beleidigen, weil Sie so tief unter mir stehen, daß es Ihnen unmöglich ist, zu mir aufzusehen.“

„Geradeso sagte die Fliege zum Löwen, als sie über ihm summte. Da aber kam ein Vogel und verschluckte sie.“

Perillo that so, als ob er diese Worte nicht höre. Sein Kamerad setzte sich zu ihm und flüsterte ihm zu:

„Schon wieder Streit? Nimm dich in acht! Unser stilles Handwerk erfordert Vorsicht. Zehn Freunde können uns nicht so viel nützen, wie ein einziger Feind uns zu schaden vermag.“

„Schweig! Dieser alte Schwätzer kann uns gar nicht schaden. Sag mir lieber, was du erfahren hast!“

Sie sprachen natürlich so leise miteinander, daß sie von den übrigen Gästen nicht gehört werden konnten. Trotzdem blickte der andre sich vorsichtig um, und als er sah, daß jetzt niemand auf sie achtete, sagte er:

„Er ist’s wirklich, ganz gewiß. Und wenn ich noch darüber im Zweifel gewesen wäre, hätte derselbe schwinden müssen, als ich sah, bei wem er wohnt.“

„Nun, wo?“

„Bei Salido, dem Bankier.“

Todos demonios! Bei Salido? Wer hätte das geahnt l Das ist ja ganz und gar gefährlich für uns!“

„Leider! Er wird ihm alles erzählen.“

„Natürlich! Aus welchem andern Grunde könnte er gerade ihn aufgesucht haben.“

„Bist du überzeugt, daß er dich wieder erkannt hat?“

„Ich möchte darauf schwören. Warum gab er sich für einen andern aus, als er ist? Doch nur, um mich in Sicherheit zu wiegen.“

„So müssen wir nach einem Mittel suchen, ihn zum Schweigen zu bringen.“

„Das müssen wir, und zwar schnell.“

„Wird Geld helfen?“

„Nein, denn dieser kleine Halunke ist reich genug.“

„So gibt es nur noch eins.“

„Was?“

„Frage doch nicht! Du weißt es selbst so gut wie ich.“

„Hm! Ich verstehe dich: ein Stich mit dem Messer oder eine Kugel in den Kopf. Und zwar darf keine Zeit verloren werden. Morgen früh wäre es vielleicht schon zu spät. Er darf gar nicht bis vor die Polizei kommen. Wenn man erfahren könnte, welches Zimmer er bewohnt!“

„Ich weiß es.“

„Nun?“

„Ich wartete, bis er in das Haus getreten war, und stieg dann über den Zaun in den Garten. Glücklicherweise hat die Quinta keine Höfe und Mauern; sie steht mitten im Garten, so daß man rund um sie gehen kann. Bald nachdem er in der Thür verschwunden war, wurde auf der hintern Seite des Hauses ein oberes Zimmer hell. Er hatte seine Lampe angebrannt.“

„Das kann auch eine andre Person gewesen sein.“

„Nein, denn er kam an das offene Fenster, um es zu verschließen. Ich sah ihn deutlich stehen.“

„Wie viele Fenster hatte das Zimmer?“

„Zwei.“

„Ließ er die Rouleaux herab?“

„Nein.“

„Ob irgendwo eine Leiter in der Nähe ist?“

„Auch daran habe ich gedacht und sah mich nach einer solchen um. In der Ecke des Gartens steht ein Baum, welcher verschnitten worden ist; die Leiter lehnte noch an demselben. Sie ist lang genug, um an das Fenster zu reichen.“

„Schön, sehr schön! Leider aber können wir jetzt noch nicht an das Werk gehen. Es ist zu früh. Die Straßen sind noch zu belebt. Man könnte uns sehen.“

„Wir müssen bis gegen Mitternacht warten.“

„Aber ob er dann noch wach sein wird!“

„Wach oder nicht, das bleibt sich gleich. Er darf den morgenden Tag nicht sehen. Ist er noch wach, so bekommt er durch das Fenster eine Kugel. Schläft er schon, so steigen wir ein. Jetzt aber wollen wir gehen. Es gefällt mir hier nicht.“

Perillo bezahlte das Eis, welches er genossen hatte, und dann entfernten sich die beiden Menschen, welche so leichten Herzens bereit waren, ein Menschenleben zu zerstören, um die Entdeckung eines frühern Verbrechens zu verhüten.

Die Straßen und öffentlichen Lokale waren heute länger belebt als sonst. Der Bewohner von Buenos Ayres ist häuslich gewöhnt und legt sich gewöhnlich zeitig schlafen; heut aber hatte es elf Uhr geschlagen, als der letzte der Gäste das Café de Paris verließ. Der deutsche Lohnkellner erhielt sein Tagessalär und konnte gehen. Draußen vor der Thür blieb er stehen. Es gab noch Passanten in den Straßen. Wenige Laternen brannten, denn im Kalender stand Vollmond. Es war anfangs Dezember, ein schöner, lauer Frühlingsabend. Der Kellner hatte noch nicht Lust, schlafen zu gehen. Ihm lag das neue Engagement im Sinne, und die Freude, einen deutschen Herrn gefunden zu haben, ließ keine Müdigkeit in ihm aufkommen. Er beschloß, noch einen Spaziergang zu unternehmen, und lenkte seine Schritte ganz unwillkürlich in diejenige Richtung, von welcher er wußte, daß Dr. Morgenstern in derselben wohne. Er kannte die Quinta, ohne sich aber vorzunehmen, sie jetzt aufzusuchen. Jedoch das Handeln des Menschen wird oft durch innere Vorgänge bestimmt, über welche er sich nicht selbst klar wird, und so kam es, daß der Deutsche plötzlich vor der Quinta stand und selbst ganz überrascht darüber war.

Hier, fern vom Mittelpunkte des Verkehres, brannten keine Laternen mehr. Es war dunkel; nur die Sterne verbreiteten einen ungewissen Schimmer, bei welchem man einige Schritte weit zu sehen vermochte. Schon wollte er umkehren, als es ihm war, als ob er das Geräusch leise schleichender Schritte vernehme. Das kam ihm verdächtig vor. Warum so leise? Wer ein gutes Gewissen hat, kann fest auftreten. Er drückte sich eng an den Zaun und wartete.

Ein Mensch kam drüben mitten auf der Straße, ging vorüber und blieb dann stehen; ein zweiter folgte und hielt bei dem ersten an. Sie sprachen leise miteinander, näherten sich dann dem Zaune und stiegen mit großer Gewandtheit über denselben in den Garten.

„Also Diebe!“ dachte der Deutsche. Aber was wollten sie stehlen? Nur Gartenfrüchte? Oder galt es gar vielleicht einen Einbruch bei dem reichen Bankier? Von Früchten konnte jetzt, im Frühjahre, keine Rede sein, das sagte er sich doch; also galt es einem wertvolleren Gegenstande. Er mußte folgen und schwang sich also auch so leise wie möglich über den Zaun. Jenseits desselben gab es Rasen, welcher die Schritte unhörbar machte. Er schlich zu der Villa hin und an der schmalen Seite derselben vorüber. Da sah er an der Ecke einen der Männer stehen und blieb halten, um ihn zu beobachten. Er sah, daß der Mensch nach einiger Zeit um die Ecke auf die hintere Seite des Hauses verschwand. Er bückte sich nieder und kroch auf den Händen und Füßen zu der Ecke hin. Da stand der Kerl und blickte nach zwei erleuchteten Fenstern des ersten Stockes empor. Und jetzt kam der zweite Gesell von der Seite herbeigeschlichen; er trug eine Leiter, welche so an die Mauer gelehnt wurde, daß ihr oberes Ende an den Stock des einen Fensters zu liegen kam.

Was beabsichtigten diese Menschen eigentlich? Man bricht doch nicht in eine erleuchtete Wohnung ein? Sollte vielleicht nur ein Scherz oder etwas Ähnliches beabsichtigt werden? Dann wäre es Thorheit gewesen, Lärm zu schlagen. Doch hielt der Deutsche die Augen scharf auf die beiden Männer gerichtet. Jetzt stieg der eine derselben empor, während der andre die Leiter hielt. Oben angekommen, sah er in das Zimmer, kam dann einige Sprossen herab und raunte dem Untenstehenden einige Worte zu. Es schien dem Kellner, als ob der Sprecher einen leise metallisch glänzenden Gegenstand in der Hand halte. Dann gab es ein zweimaliges Knacken, wie wenn die Hähne einer Doppelpistole aufgezogen werden. Nun wurde ihm himmelangst; er schlich schnell näher. Noch flüsterten die beiden miteinander. Sie konnten ihn nicht sehen, weil er sich tief an der Erde bewegte. Er hörte die Worte:

„Er sitzt und liest.“

„In welcher Lage?“

„Die linke Seite dem Fenster zugekehrt.“

„Ist sein Gesicht frei?“

„Ja. Er hat die andre Seite des Kopfes in die Hand gelegt.“

„Dann schieße ihn in die Schläfe; das ist die sicherste Stelle.“

Also um einen Mord handelte es sich! Der Kellner erschrak so, daß er sich für einige Augenblicke nicht zu bewegen vermochte. Und da stieg der Kerl wieder aufwärts und richtete den Lauf der Pistole, welche er in der Rechten hielt, in das Zimmer. Das gab dem Lauscher seine Beweglichkeit zurück. Er schrie laut auf, sprang zur Leiter, warf den Untenstehenden zur Seite und stieß sie um, so daß der Obenstehende, welcher soeben abdrückte, gerade beim Krachen des Schusses jäh zum Sturze kam. Der Kellner warf sich auf ihn, um ihn festzuhalten.

„Laß los, Hund, sonst erschieße ich dich!“ knirschte der Mörder.

Der Schuß ging los, und der Deutsche fühlte einen stechenden Ruck im linken Arme. Er war getroffen worden und konnte den Menschen nicht mehr halten, welcher aufsprang und schnell in der Dunkelheit verschwand. Der andre war schon vorher davongerannt.

Die beiden Schüsse hatten die Bewohner des Hauses geweckt. Es begann in demselben lebendig zu werden. Zugleich wurde droben in dem erleuchteten Zimmer eines der Fenster geöffnet; der Doktor steckte den Kopf heraus und rief:

„Welcher Mordbube schießt denn da nach mir! Warum läßt man mich nicht ruhig lesen?“

Da erschrak der Kellner von neuem und antwortete:

„O jerum, jerum! Sind denn Sie’s, Herr Doktor, welcher umgebracht hat werden sollen?“

„Wer ist denn da unten? Diese Stimme kommt mir bekannt vor.“

„Ick bin es, ick, Fritze Kiesewetter, Herr Doktor.“

„Fritze Kiesewetter? Mir ist ein Individuum dieses Namens noch nicht vorgekommen.“

„O doch! Heute, im Café de Paris haben Sie mir kennen jelernt. Sie wollten mir wegen die Sündflutsknochen engagieren.“

„Ah, der Kellner! Aber, Mensch, wie kommen Sie denn auf die Idee, nach mir zu schießen?“

„Als wie ick? Dat ist stark! Da hört nun oft und manchmal allens auf! Ick soll es jewesen sind, der jeschossen hat?“

„Wer denn? Oder sind Sie nicht allein?“

„Ick bin janz allein, nach Schiller die einzige fühlende Larve hier in dem Jarden.“

„Wohnen Sie denn hier im Hause?“

„Auch nicht.“

„Aber was wollen Sie da denn hier?“

„Ihnen retten. Und nun, da Sie mich dat Leben zu verdanken haben, halten Sie mir für den reinen Meuchelmord. Dat kränkt mir in die Seele!“

Er sollte nicht von dem Doktor allein, sondern auch von noch andern verkannt werden. Die Hausbewohner kamen mit Lichtern und Laternen, mit allen möglichen Waffen in den Händen heraus, um den Missethäter zu ergreifen. Da half kein Bitten und Reden; Fritze Kiesewetter wurde festgenommen und hineingeschafft, wobei es nicht ohne einige kräftige Stöße abging, deren Spuren er noch später fühlte. Man wollte nach Polizei senden, um ihn abholen zu lassen, doch bat er, ihn doch erst ruhig anzuhören. Der Doktor unterstützte diese Bitte durch die Erklärung:

„Der Mensch ist ein vorzugsweise denkendes Geschöpf; lassen Sie uns also denken, da wir Menschen sind. Ich habe diesem jungen Manne kein Leid gethan, ihn vielmehr in meinen Dienst nehmen wollen. Ist das ein Grund, mich zu erschießen? Nein. Auch hat er kein Mörder-, sondern ein ehrliches Gesicht. Und selbst wenn er ein Meuchler wäre, so ist das noch kein Grund, ihm das Sprechen zu verbieten. Ich beantrage also, ihm die Erlaubnis zu erteilen, seine Verteidigung, lateinisch Defensio, vorzubringen.“

Der erzürnte Bankier war eigentlich dagegen, mußte aber seinem Gaste schon aus Höflichkeit zu Willen sein. Fritze erzählte den Hergang der Sache, konnte aber damit seine Unschuld nicht beweisen, denn es sprach ebensoviel für wie gegen ihn. Da verlangte er, daß man die Spuren untersuche. Man willfahrte ihm und kam da allerdings zu der Überzeugung, daß er nicht gelogen hatte. Man sah die Fußeindrücke nicht nur an der Stelle, wo die Mörder über den Zaun hereingestiegen waren, sondern es wurden auch die Stellen entdeckt, wo sie wieder hinausgesprungen waren. Schließlich fand man hinter dem Hause den Hut des einen, den er während des Sturzes oder beim Ringen mit Fritze verloren hatte. Dieser letztere blutete. Seine Wunde wurde untersucht; sie war nicht gefährlich; die Kugel hatte den Arm nur gestreift.

Man wußte jetzt, daß zwei Menschen eingestiegen waren, um den deutschen Doktor zu erschießen; nur durch das Eingreifen Fritzens hatte die Kugel eine andre Richtung erhalten. Wer aber waren die Mörder, und welchen Grund konnten sie haben, einen Menschen zu töten, der sich erst eine Woche lang im Lande befand und ganz gewiß niemand beleidigt hatte?

„Konnten Sie denn nicht wenigstens eins der Gesichter erkennen?“ fragte der Bankier.

„Nicht vollständig,“ antwortete Fritze; „aber als der eine auf der Leiter stand und die Pistole nach dem Zimmer richtete, befand sich sein Kopf im Lichte der Lampe; ich konnte sein Gesicht halb von der Seite sehen, und da kam es mir vor, als ob es Ähnlichkeit mit demjenigen des Espada Antonio Perillo habe.“

Das machte die Angelegenheit nur noch verwickelter.‘ Perillo war zwar ein Mann ziemlich zweideutigen Rufes, doch eines Mordes, selbst auch nur von der Fama, noch nicht geziehen worden. Und wollte man ihm ein solches Verbrechen zutrauen, was hätte er für einen Grund haben können, den Doktor mittels einer Kugel zu beseitigen? Er hatte im Café sogar freundlich mit ihm gesprochen. Allerdings gab der Umstand zu bedenken, daß er ihn offenbar für einen andern gehalten und von einer Maske gesprochen hatte, welche noch fallen werde. Aus diesem letzteren Grunde ließ der Bankier die Polizei doch benachrichtigen. Sie stellte sich in Gestalt zweier Oberbeamten der blau gekleideten Vigilantes ein, von denen Buenos Ayres gerade tausend besitzt. Sie betrachteten die Spuren, erwogen alle Thatsachen und meinten schließlich, daß man zunächst heimlich erfahren müsse, wo Perillo sich zur Zeit der That befunden habe. Keinesfalls aber könne vor dem Stiergefecht gegen ihn eingeschritten werden, da er als Espada unentbehrlich sei und seine Arretur auf das Publikum einen unerwünschten Eindruck machen könne.

Was Fritze Kiesewetter betrifft, so war es ganz unzweifelhaft, daß er dem Doktor das Leben gerettet hatte. Dieser nahm ihn sofort in Dienst, und zwar unter Bedingungen, welche vorteilhafter gar nicht hätten sein können. Er durfte gleich in der Quinta bleiben.

Am andern Morgen war jedermann bestrebt, Billette zu guten Plätzen für die Vorstellung zu erhalten. Die Kasse wurde förmlich belagert. Der Bankier hatte für vier Plätze zu sorgen, drei für sich, seine Gattin und seinen Gast, den Doktor, und den vierten für einen jungen Neffen, welcher während der Herbst- und Wintermonate bei ihm zu Besuch war.

Die Frau des Bankiers war nämlich eine Deutsche, deren Bruder in Lima, der Hauptstadt von Peru, wohnte. Er hieß Engelhardt und hatte zwei Söhne, denen voraussichtlich später einmal das Erbe des kinderlosen Bankiers zufallen mußte. Aus diesem Grunde hatte der letztere gewünscht, einmal einen der Brüder auf längere Zeit bei sich zu haben, und so war ihm der jüngere derselben, Namens Anton, zugeschickt worden. Der sechzehnjährige Knabe hatte die Reise zur See um Kap Horn gemacht und eine sehr unglückliche Überfahrt gehabt. Darum sollte eine zweite Seereise vermieden und die Heimkehr zu Lande über die Anden vorgenommen werden. Nun galt es, eine passende Gelegenheit dazu zu finden. Eine Reise quer durch Südamerika ist mit ungewöhnlichen Gefahren und Entbehrungen verknüpft, und nicht jeder Maultiertreiber ist der Mann, dem man für eine solche Tour einen hoffnungsvollen Knaben anvertraut.

Das Stiergefecht sollte Punkt ein Uhr beginnen; die Plaza de Toros, wie der Cirkus genannt wird, hatte sich aber schon zwei Stunden vorher so gefüllt, daß es für keinen Zuschauer Raum mehr gab. Nur die Logen des Präsidenten und der oberen Behörden waren noch leer.

Auf riesigen Plakaten war in fußlangen Buchstaben das Programm zu lesen. Mehrere Musikkapellen konzertierten, indem sie einander ablösten. Das Publikum suchte sich durch Plaudern die Zeit bis zum Beginn der Vorstellung zu vertreiben. Die Matadores glätteten mit Rechen und Besen den Sand der Arena, und zuweilen erschien aus irgend einer Thür ein bunt gekleideter Kämpfer, welcher langsam und gravitätisch über die Bühne schritt, um sich bewundern zu lassen.

Die Arena war von dem Zuschauerraume durch eine Bretterwand getrennt, welche stark genug war, den Stößen eines Stieres zu widerstehen, doch nicht zu hoch, damit es den Toreadores, welche in Gefahr kamen, möglich war, sich dadurch zu retten, daß sie sich über diese Wand wegschwangen. Vorn war die Thür, aus welcher man die Stiere, hinten diejenige, aus welcher man den Jaguar zu erwarten hatte. Es wurde erzählt, daß man betreffs des nordamerikanischen Bisons zu ganz ungewöhnlichen Vorsichtsmaßregeln gezwungen gewesen sei. Jetzt konnte man das Tier zwar noch nicht sehen, aber man hörte es brüllen, und diese Stimme ließ gar wohl ahnen, daß es sich nicht ohne Widerstand abschlachten lassen werde.

Diejenigen Plätze, welche hinter der erwähnten Bretterwand begannen, waren die billigen. Da saß Fritze Kiesewetter, welcher von seinem neuen Herrn ein Billet geschenkt bekommen hatte. Die höher liegenden Plätze waren bedeutend teurer. Da saßen die reichen Leute, unter ihnen der Bankier mit seinen drei Begleitern. Der Zufall hatte es gefügt, daß der weißbärtige Herr, welcher sich gestern im Café de Paris Hammer genannt hatte, nebst seinem gestrigen Kameraden die nebenanliegenden Sitze erhalten hatte. Er saß neben Dr. Morgenstern, welcher sich Mühe gab, seinem Nachbar, dem jungen Peruaner, das Ungebührliche und Verwerfliche solcher Tierkämpfe zu demonstrieren.

„Haben Sie schon einmal einen solchen Kampf mit angesehen, mein lieber, kleiner Señor?“ fragte er.

„Nein,“ antwortete Anton Engelhardt, welcher trotz seiner sechzehn Jahre und trotzdem er von dem Doktor „klein“ genannt wurde, schon ebenso lang wie dieser war.

„Dann muß ich Ihnen sagen, daß diese Tierquälereien nichts Neues sind. Sie fanden schon bei den alten Griechen, namentlich in Thessalien, und bei den Römern unter den Kaisein statt. Das waren Heiden, die man entschuldigen kann. Wir aber sind Christen und sollten solche Abscheulichkeiten unterlassen.“

„Aber, Señor, Sie sind ja selbst auch mitgekommen, um sie sich mit anzusehen!“

Diese Bemerkung des Knaben brachte den Gelehrten sichtlich in Verlegenheit; er rettete sich aber durch die Antwort:

„Würde das Gefecht unterbleiben, wenn ich nicht mit hier säße?“

„Nein.“

„So ist mir also kein Vorwurf zu machen. Außerdem bin ich gekommen, um Studien zu machen; ich habe also eine doppelte Entschuldigung, Excusatio, wie der Lateiner sagt. Ich bin Zoolog, und es ist ein zoologisches Schauspiel, welches uns erwartet. Ein reichlicher Fund im Diluvium würde mir aber doch weit lieber sein.“

„Hat es vor der Diluvialzeit auch schon solche Tiergefechte gegeben?“ fragte Anton, indem er ein schelmisches Lächeln kaum zu unterdrücken vermochte.

Der Doktor warf ihm einen forschenden Seitenblick zu und antwortete:

„Diese Frage läßt sich nicht so ohne weiteres mit einem kurzen ja oder Nein abthun. Man spricht von einem antediluvianischen, ja von einem sogar noch älteren Menschen. Hat es diesen wirklich gegeben, so ist bei der damaligen niedrigen sittlichen Bildungsstufe anzunehmen, daß dieser Mensch allerdings die Saurier gegeneinander und das Mastodon auf das Megatherium gehetzt haben kann. Es ist das sehr beklagenswert, aber wir leben in einer zu späten Zeit, um es ändern zu können. Wir haben uns – – –“

Er wurde unterbrochen, denn die Musik blies einen schmetternden Tusch; der Präsident hatte seine Loge betreten und mit der Hand das Zeichen gegeben, daß das Kampfspiel beginnen möge. Waren vorher die Stimmen der miteinander sprechenden Zuschauer wie ein dumpfes Brausen erklungen, so trat jetzt mit einemmal eine Stille ein, daß man den Nachbar Atem holen hörte. Ein abermaliger Wink des allgebietenden Herrn, die Musik begann einen Marsch zu blasen, und es öffnete sich ein Thor, um zunächst die Picadores einzulassen. Sie ritten schlechte Pferde, da man wertvollere Tiere den Hörnern der Stiere nicht aussetzen mag. Ihnen folgten zu Fuße die Banderilleros und Espadas, um einmal rund um die Arena zu ziehen. Dann nahmen die Picadores in der Mitte des Platzes dem Thore, aus welchem die Stiere erwartet wurden, gegenüber Aufstellung, da sie den ersten Angriff an- oder vorzunehmen hatten. Die Banderilleros und Espadas zogen sich hinter Pfeilern und in die Nischen zurück, welche zu diesem Zwecke angebracht waren. Nun gab der Präsident einen dritten Wink, als Zeichen, daß der erste Stier eingelassen werden solle. Die Barriere wurde geöffnet, und er kam.

Es war ein Rappstier mit spitzen und nach vorn gebogenen Hörnern. Plötzlich aus dem engen Pferch befreit, wollte er die Freiheit genießen und kam in weiten Sätzen angejagt. Da erblickte er die Picadores, stutzte einen Augenblick und rannte dann gerade auf sie zu. Sie stoben auseinander, aber er nahm doch das Pferd des einen von der Seite und schlitzte ihm den Leib auf. Der Reiter wollte abspringen, blieb aber mit dem Fuße im Bügel hängen und wurde von seinem Pferde mit niedergerissen. Er schien verloren zu sein, denn schon senkte der Stier den Kopf zum zweiten Stoße, da waren aber auch schon die Banderilleros da, ihn zu retten. Sie warfen dem Stier mit blitzartiger Geschwindigkeit drei, vier buntseidene Schärpen über den Kopf und die Augen. Er stutzte, und das gab dem Picador Zeit, sich zu retten, während sein Pferd mit heraustretenden Eingeweiden sich schnaubend am Boden hinschob und dann stöhnend liegen blieb.

Dies war so schnell geschehen, daß man die einzelnen Bewegungen kaum voneinander zu unterscheiden vermochte. Die Picadores waren in altspanische Rittertracht gekleidet, während die Banderilleros modern spanische, mit vielen Tressen und Bändern geschmückte Anzüge trugen. Sie waren nur mit den Schärpen und den schon erwähnten Stäben mit Widerhaken, welche Banderillas genannt werden, versehen.

Der schwarze Stier schüttelte den Kopf, um die Schärpen loszuwerden, und als ihm dies nicht sofort gelang, brüllte er vor Wut. Es war vorauszusehen, daß sein nächster Angriff ein sehr gefährlicher sein werde. Darum hielten sich die Banderilleros zur Hilfe bereit. Da ertönte hinter ihnen einen helle Stimme:

„Weg mit euch! Laßt mich heran!“

Es war Crusada, der Espada aus Madrid. Sie zögerten, ihm zu gehorchen, denn das Wagnis, welches er unternahm, war ein großes; aber auf ein zweites gebieterisches Wort von ihm wichen sie zurück. Er war, um den Stier zu reizen, ganz in roten Sammet gekleidet, natürlich nach spanischem Schnitte. In der linken Hand hielt er die Muleta, ein Stück glänzendes Seidenzeug, welches an einem Stabe hing, und in der rechten den blanken, blitzenden Degen. So stand er auf zehn Schritt Entfernung dem Stier gegenüber, eine große Kühnheit, da das Tier noch nicht ermattet war. Er schien gleich am Anfange seine hiesigen Kollegen durch diesen Bravourstreich schlagen zu wollen. Jetzt bekam der Ochse das Gesicht frei und sein erster Blick fiel auf den Feind, welcher herausfordernd die Muleta schwang. Er senkte den Kopf und stürmte auf ihn zu, um ihn aufzuspießen. Der Espada blieb stehen, bis die Hörnerspitzen ihm bis auf zwei Zoll nahe waren; dann schwang er sich leicht zur Seite und stieß dem vorüberschießenden Stier mit erstaunenswerter Sicherheit und Eleganz den Degen in die Brust. Das Tier lief nur eine kurze Strecke weit und brach dann tot zusammen. Der Espada zog ihm den Degen aus der Brust und schwang ihn unter den brausenden Beifallsrufen der entzückten Menge über seinem Haupte. Er hatte ein Meisterstück gezeigt.

Nun kamen die Matadores, um die Tierleiche und das noch immer stöhnende Pferd hinauszuschleifen. Dann gab der Präsident das Zeichen, den zweiten Stier einzulassen. Es sei nur gesagt, daß er einen Banderillero und einen Espada verwundete und dann von dem Spanier erlegt wurde. Der nächste Stier riß zwei Pferde über den Haufen und verwundete Antonio Perillo leicht. Der bisherige Sieger tötete auch ihn. Er hatte seine hiesigen Konkurrenten geschlagen und wurde mit Jubel, von den Damen aber mit Blumen und Taschentüchern überschüttet. Perillo war am Beine verwundet und mußte sich zurückziehen. Sein Ärger schien ungeheuer zu sein.

Jetzt folgte die Hauptnummer des zwar kurzen aber sehr interessanten Programmes, nämlich der Kampf des Jaguars mit dem Büffel. Der Sieger sollte es dann zum Schlusse mit den Toreadores aufzunehmen haben.

Zunächst wurde die hintere Thüre geöffnet, aus welcher der Jaguar hervorschoß. Er kam nicht weit, da er an ein langes Lasso gefesselt war, dessen anderes Ende an einem eisernen Haken hing. Er bemühte sich vergeblich, loszukommen, und legte sich dann unzufrieden nieder. So lag er, scheinbar unbekümmert um das große Publikum. Die weit geöffneten Nüstern zitterten. Er hatte einige Tage gehungert und roch das Blut, welches hier geflossen war. Er war ein ungewöhnlich starkes, doch nicht zu altes Tier.

Nun wurde auch vom geöffnet. Man erwartete, daß der Büffel hereinstürmen werde; aber das that er nicht, sondern er kam langsam hergeschritten, als ob er sich bewußt sei, daß man ihn anstaunen werde. Er war ein wirklicher Riese seiner Gattung, fast drei Meter lang und sehr gut genährt, so daß er leicht gegen dreißig Zentner wiegen konnte. Nach einigen Schritten stehen bleibend, schüttelte er sich das lange Stirnhaar aus den Augen und sah den Jaguar. Man war aufs äußerste gespannt, was nun geschehen werde. Der Jaguar war aufgesprungen und begann zu heulen. Hätte er auch angreifen wollen, der Lasso hielt ihn fest. Der Büffel neigte den Kopf zur Seite und musterte ihn mit dem einen Auge. Er schien zu überlegen, ob es sich der Mühe lohne, mit diesem Gegner anzubinden. Sein Entschluß war gefaßt; er wendete sich ab und trollte von dannen, einen Rundgang um den Cirkus unternehmend. Natürlich mußte er auf der andern Seite dem Jaguar nahekommen. Dieser ließ ihn weit genug heran und duckte sich zum Sprunge nieder. Da senkte der Büffel den Kopf, zeigte die Hörner und den mächtigen Nacken und ließ ein warnendes Brummen hören. Das war genug gesagt; der Jaguar zog sich zurück und der Bison trottete an ihm vorüber, doch vorsichtigerweise so, daß er ihm im Vorbeigehen die Vorderseite zukehrte. Der Jaguar blieb wider alles Erwarten eingeschüchtert liegen; ohne Zweifel fürchtete er sich.

Während dieser Art von Waffenstillstand zwischen den beiden Tieren erklärte der Privatgelehrte seinem jungen Nachbar:

„Der nordamerikanische Bison bildet im Vereine mit dem europäischen Auerochsen, auch Wisent genannt, eine Unterabteilung des Geschlechtes der Ochsen, lateinisch Bos geheißen. Diese Untergattung zeichnet sich aus durch einen sehr gewölbten Schädel, breite Stirn, kurze, runde, aufwärts gekrümmte und vorn auf die Stirn gestellte Hörner, zottige Mähne um Hals und Brust, einen Höcker und den verhältnismäßig sehr stark entwickelten Vorderkörper. Der Bison hat einen dickeren Kopf, eine stärkere Mähne und kürzere Beine als der Auerochs. Er ist eigentlich ein geselliges Tier, was der Lateiner mit dem Worte congregabilis bezeichnet und – – –“

Seine weiteren Worte blieben unhörbar; sie wurden durch das Geschrei und die stürmischen Rufe des Publikums verschlungen, welches sich bei dem friedlichen Verhalten der beiden Kampftiere zu langweilen begann und nun verlangte, daß der Jaguar gegen den Büffel aufgereizt werde.

Tirad los buscapies, tirad los buscapies – werft die Schwärmer, werft die Schwärmer!“ brüllte einer der Zuschauer, und die andern riefen es ihm nach.

Der Präsident gab mit der Hand das Zeichen, daß man diesem Wunsche willfahren möge. Da wendete sich derjenige Kamerad des Weißbärtigen, welcher ihm zur Rechten saß, mit der Frage an ihn:

„Meinst du, daß er sich reizen lassen wird, Carlos? Ich glaube, daß er den Büffel mehr fürchtet, als das Feuerwerk.“

„Und ich glaube, daß es leicht ein Unglück geben kann,“ antwortete der Gefragte. „Siehst du nicht, daß er den Lasso, an welchem er hängt, im Rachen hat? Wenn er ihn zerkaut, so kommt er los und wird nicht den Bison, sondern Menschen anfallen.“

Das im Sande hingestreckte Tier kaute allerdings an dem Lasso, was aber von den Cirkusbediensteten gar nicht beachtet wurde. Sie brannten, im sichern Hinterhalte sich befindend, Schwärmer an und warfen dieselben nach dem Jaguar.

Dieser wurde getroffen, sprang auf und ließ den Lasso aus dem Maule fallen; der Riemen war fast ganz zerbissen. Da erreichten die Zündfunken den Pulversatz, und das Feuer begann zu sprühen. Der Jaguar brüllte vor Schreck und that einen weiten Sprung; der Lasso wurde angespannt und zerriß an der zerbissenen Stelle; das Raubtier war frei.

Das Publikum begrüßte dieses unerwartete Ereignis mit jauchzendem Beifalle, denn man war überzeugt, daß der Jaguar seine Freiheit nun sofort zu einem Angriffe auf den Bison benutzen werde. Er rannte allerdings auf diesen zu, wendete sich aber, als der Büffel ihm die Hörner zeigte und sich gar anschickte, auf ihn loszugehen, zur Seite, jagte in wenigen Sätzen in der Arena hin und her und duckte sich dann nieder, die rollenden Augen empor nach den ihm gegenüberliegenden Sitzplätzen richtend.

Estad atento – aufgepaßt!“ rief der Weißbärtige. „Jetzt kommt es so, wie ich vermutet habe. Das Tier wird über die Schutzwand gehen.“

Por amor de Dios – um Gottes willen, das wird er doch nicht!“ schrie der Privatgelehrte, als er diese Worte hörte. „Die Bestie schaut gerade direkt zu mir herauf, als ob sie mich verschlingen wolle.“

Er fuhr von seinem Sitze empor und machte eine Bewegung, als ob er fliehen wolle, was aber bei der Enge der Plätze ganz unmöglich war. Diese hastige Bewegung des kleinen, noch dazu rot gekleideten Männchens zog die Aufmerksamkeit des Jaguars erst recht auf sich. Das Tier hob den Hinterkörper halb empor, stieß ein kurzes, heiseres Brüllen aus und flog dann in einem weiten Satze gegen die hölzerne Scheidewand. Es gelang ihm, den obern Rand derselben mit den Vordertatzen zu erreichen und den Körper nachzuziehen.

In diesem Augenblicke verstummte alles Geschrei; es trat eine so tiefe Stille ein, daß man das Kratzen der Klauen des Raubtieres an den Balken deutlich hörte. Jedermann sah, daß der Jaguar es auf das rote Männchen abgesehen habe. Alle, die in der Nähe desselben saßen, waren hoch gefährdet. Welche Verwüstung mußten die Pranken und Zähne des wilden, vor Hunger knirschenden Tieres unter diesen so dicht sitzenden Personen anrichten! Man war überzeugt, daß der Jaguar sofort den zweiten Sprung thun werde; er that ihn nicht; er blieb noch auf der Scheidewand hängen, denn sein Auge wurde durch einen andern Gegenstand angezogen, und dieser Gegenstand war der graubärtige Señor, welcher sich gestern Hammer genannt hatte.

Dieser war nämlich, als das Tier zum Sprunge angesetzt hatte, von seinem Sitze aufgefahren und hatte dem Gelehrten den Poncho von den Schultern und das Messer aus dem Gürtel gerissen. Das letztere in der rechten Hand haltend, wickelte er sich den ersteren um den linken Arm und sprang auf die Vorderlehne seines Sitzes. Das war so blitzschnell geschehen, daß er diesen Fußhalt in demselben Augenblick erreichte, in welchem der Jaguar auf die Bretterwand gelangte.

Punto en boca,“ gebot er mit seiner kräftigen, weithin schallenden Stimme; „ninguno menease – still, niemand bewege sich!“

Dann sprang er auf die Scheidewand des nächsten und zweitnächsten Vordersitzes, welche leer zu sein schienen, aber es nicht waren; die Inhaber derselben waren vor Entsetzen unter dieselben gekrochen. Noch ein Schritt, und Hammer stand auf dem vordersten Sitze, dem Jaguar so nahe gegenüber, daß er ihn mit der Hand erlangen konnte. Das Tier hatte die Bewegungen des riesenhaften Deutschen mit glühenden Augen verfolgt, ohne dieselben durch den erwarteten zweiten Sprung zu verhindern; es sah sich angegriffen, ohne aber den Gegenangriff zu wagen; es hielt sich mit drei Tatzen fest, riß den Rachen auf und hob die eine Vorderpranke zum abwehrenden Schlage empor. So hielten Mensch und Tier, die Augen ineinander gebohrt, einige Sekunden einander gegenüber. Da nahm Hammer, um die rechte Hand frei zu bekommen, das Messer zwischen die Zähne und stieß dem Jaguar die Faust mit solcher Kraft gegen den Hinterkörper, daß dieser den Halt verlor; seine hinteren Pranken glitten von der Bretterwand; er suchte sich mit den vordern festzuhalten und fauchte den Feind wütend an, erhielt aber von diesem einen solchen Hieb auf die Nase, daß er auch vorn abglitt und in die Arena zurückstürzte. Diejenigen, welche sich in Gefahr befunden hatten, waren gerettet.

Aber damit begnügte sich der Deutsche nicht. Er sprang auf die Wand und, zum Schreck aller Zuschauer, in die Arena hinab. Ein vielstimmiger Schrei erscholl rundum, denn der kühne Mann kam gerade vor den Jaguar zu stehen, welcher sich laut brüllend zum Sprunge niederduckte.

Nun geschah etwas, was niemand für möglich gehalten hätte. Hammer nahm das Messer aus dem Mund, setzte den linken Fuß vor und hielt dem Tiere den linken, durch den Poncho geschützten Arm entgegen. War es diese sichere Haltung, oder war es die Macht des weit geöffneten grauen Auges, dessen nicht zuckenden Blick der Jaguar auf sich gerichtet sah – – er unterließ nicht nur den Sprung, sondern setzte die Pranken langsam hinter sich, um sich in schleichender Haltung zurückzuziehen. So allmählich, wie er wich, folgte ihm der Deutsche Schritt um Schritt, ohne ihn auch nur für einen Moment aus dem Auge zu lassen. Das Raubtier nahm wie ein geprügelter Hund den Schwanz zwischen die Beine und retirierte immer schneller, in die Flucht getrieben durch die Macht eines furchtlosen Menschenauges, welcher es nicht zu widerstehen vermochte. Da ertönte von einem der entferntesten Plätze herab der Ruf:

Que maravilla! Este caballero es el padre Jaguar – welch ein Wunder! Dieser Herr ist der Vater Jaguar!“

„Ist das wahr?“ fragte eine andre laute Stimme.

„Es ist wahr. Ich kenne ihn sehr genau. Er ist es.“

Hatte man bis jetzt vor banger Erwartung kaum zu atmen gewagt, so fühlte man sich beim Klange dieses berühmten Namens von aller Sorge befreit. Man hatte ja so oft gehört, daß es nur des Auges dieses Mannes bedürfe, um einen Jaguar in die Flucht zu treiben. Es erhob sich ein Beifallssturm, wie er selbst hier wohl nur selten gehört worden war.

El padre Jaguar, el padre Jaguar!“ so riefen alle Lippen.

Es war ein wahres Brausen von Stimmen in allen möglichen Tonlagen. Dieser unbeschreibliche Lärm schüchterte das Raubtier noch mehr ein. War es bisher nur rückwärts geschritten, so wendete es sich jetzt um und rannte davon, der Thür entgegen, aus welcher es vorhin gekommen war. Sie war verschlossen worden. Der Deutsche folgte mit schnellen Schritten und gebot mit selbst in diesem Lärm noch hörbarer Stimme:

Abrid la puerta, presto, presto – öffnet die Thür, schnell, schnell!“

Der mit diesem Dienste betraute Peon zog von seinem sichern Standorte aus die Fallthür empor und ließ sie, als der Jaguar in den nun offenen Käfig sprang, wieder nieder. Das Raubtier war unschädlich gemacht.

jetzt brach ein Applaus los, welcher gar kein Ende nehmen wollte. Der Vater Jaguar schritt nach der Mitte der Arena, verbeugte sich rundum und ging dann nach der Schutzwand, von welcher er vorhin den Jaguar getrieben hatte, schwang sich hinauf und stieg dann von Lehne zu Lehne, bis er seinen Sitz erreichte. Dort gab er dem Privatgelehrten den Poncho und das Messer zurück und sagte:

„Dank, Señor! Und Verzeihung, daß ich nicht Zeit hatte, Sie erst um Erlaubnis zu bitten!“

„Hat nichts zu sagen, obgleich Sie mir mit dem Poncho auch den Hut und das Kopftuch herabgerissen haben,“ antwortete der Kleine. „Wozu Sie das Messer brauchten, kann ich begreifen; aber bitte, mir zu sagen, warum Sie die Decke mitnahmen?“

„Um meinen Arm, den ich als Schild benutzen wollte, vor den Zähnen und Krallen des Jaguars zu schützen.“

„Señor, Sie sind ein Held, lateinisch, doch in griechischer Abstammung, Heros genannt. Ihre Tapferkeit, die, ohne aus dem Griechischen zu stammen, lateinisch Fortitudo, Virtus bellica und auch Strenuitas heißt, bewundere ich aus vollem Herzen. Sie haben das Untier wie eine Hauskatze vor sich hergetrieben. Was wird aber nun mit dem Büffel, Bison americanus, werden?“

„Das können Sie sofort sehen, wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit nach der Arena richten wollen.“

Der Bison hatte sich in den Sand gestreckt und war da auch vorhin ruhig liegen geblieben, als der Vater Jaguar den Kampfplatz betreten hatte. An einen Kampf zwischen ihm und dem „Tiger“, wie der Gaucho den Jaguar nennt, war nun nicht mehr zu denken. Darum verlangte das Publikum jetzt das abermalige Auftreten der Stierkämpfer, die sich mit dem Bison messen sollten. Diese Aufforderung geschah in so stürmischer Weise, daß man ihr nachkommen mußte. Die Toreadores kamen nach kurzer Zeit in der schon beschriebenen Weise herein, um den Kampf mit diesem letzten und gefährlichsten Gegner aufzunehmen. Dieses Mal war nur ein Espada vorhanden, nämlich Crusada aus Madrid, doch kam nach einigen Minuten Antonio Perillo nach. Er hinkte infolge seiner Verwundung, die allerdings nur eine leichte war, hielt es aber für ein Gebot der Ehre, trotz dieser Verletzung an dem Schauspiele mit teilzunehmen.

Der Bison wurde zunächst von den Picadores umringt. Er blieb liegen, als ob sie gar nicht vorhanden wären. Da schleuderte einer von ihnen seine Lanze nach ihm. Sie fuhr einige Zoll tief in den Höcker. Da er sich so gleichgültig gezeigt hatte, hielten die Picadores es nicht für nötig, sich nach diesem Lanzenwurfe schnell zurückzuziehen; sie hatten sich geirrt. Kaum fühlte er die Verwundung, so sprang er zu gleichen Beinen und viel schneller auf, als man es bei seinem schwerfälligen Körperbau hätte für möglich halten können, und schoß auf den Angreifer los. Ehe dieser Zeit fand, sein Pferd zu wenden, hatte dieses die Hörner des Bison schon in den Weichen und wurde aufgehoben und so zur Seite geworfen, daß es auf seinen Reiter zu liegen kam. Mit derselben Schnelligkeit machte der Büffel eine Seitenbewegung, um auf den nächsten Picador einzudringen. Dieser floh; aber es zeigte sich, daß sein Pferd nicht schneller als der Bison war. Dieser stürmte hinterdrein, ohne auf die andern Picadores und Banderilleros zu achten, welche ihn mit ihren Lanzen und Stäben stören wollten. Er erreichte das Pferd und stieß ihm das eine Horn in die Seite, so daß es zum Stürzen kam und den Reiter aus dem Sattel warf. Der Büffel hatte es mehr auf den Mann als auf das Pferd abgesehen; ehe sich derselbe aufraffen konnte, war er erreicht, schwebte auf den Hörnern des ergrimmten Tieres, wurde in die Luft geworfen, wieder aufgefangen, abermals emporgeschleudert und dann unter den Füßen zerstampft. Der Mann schrie nicht, sondern brüllte um Hilfe; man wollte sie ihm bringen, aber der Büffel achtete nicht auf die neuen Angreifer und auf die Lanzen, die ihm durch die dicke Haut drangen; er ließ nicht vom dem Picador ab, bis dieser eine formlose Leiche war. Dann trat er um einige Schritte zurück und stieß ein Gebrüll aus, gegen welches dasjenige des Jaguars ein Kindergeschrei zu nennen war.

Von allen Seiten wurde ihm Beifall zugerufen. Wer noch eine Blume hatte, warf sie ihm zu, und das Klatschen so vieler Hände machte einen beinahe betäubenden Eindruck auf die wenigen Personen, welche sich durch eine so wilde und blutige Scene abgestoßen fühlten.

Der Bison schüttelte die Speere ab und sah sich nach einem neuen Opfer um. Er fand es nur zu bald und leicht. Der erste Picador war von einigen Banderilleros unter seinem Pferde hervorgezogen worden; er sollte fliehen, konnte es aber nicht, da er das Bein gebrochen hatte. Man mußte ihn, um ihn zu retten, forttragen. Drei Banderilleros hoben ihn auf, um sich schnell mit ihm zu entfernen; aber noch schneller war der Büffel hinter ihnen drein, und was nun folgte, geschah in noch viel kürzerer Zeit, als man zur Beschreibung desselben bedarf. Man sah den wütenden Stier mit Kopf und Nacken in die Gruppe fahren und dieselbe auseinander schleudern; dann folgten Hörnerstöße nach rechts und links, ein schrecklich zu vernehmendes Stampfen der Füße – einer der Banderilleros vermochte sich zu retten; zwei blieben liegen, und auch der Picador war tot. Ein junger, mutiger Banderillero riß einem Picador die Lanze aus der Hand und sprang von hinten auf den Büffel ein, um sie ihm in den Leib zu rennen. Das Tier aber hatte seine Absicht bemerkt, warf sich blitzschnell herum und senkte den Kopf zum Stoße. Die Lanze glitt an dem eisenfesten Hörnergrunde ab, und im nächsten Augenblicke wurde der tapfere Fechter in die Luft geschleudert, um dann unter die Hufe des Siegers zu kommen.

Dann rannte der Bison im Galopp, und nach neuen Opfern brüllend, in der Arena umher. Entsetzen packte die Toreadores. Sie flohen nach allen Seiten. Wer nicht durch das rasch geöffnete Thor entkommen konnte, schwang sich auf und über die Rettungswand. Die Toreadores warfen sich von ihren Pferden, die armen Tiere preisgebend, um nur sich in Sicherheit zu bringen. Einige Pferde entkamen durch das Thor; die übrigen wurden niedergerannt. Dazu das Beifallsgebrüll der hochbegeisterten Menge. So einen toro hatte man noch nicht gehabt, überhaupt noch nie gesehen. Daß seine Tapferkeit und ungeheure Stärke so viele Opfer gefordert hatten, wurde nicht beklagt, sondern bejubelt; man gab sich mit seinem bisherigen Erfolge keineswegs zufrieden, sondern die erregte Zuschauermenge schrie in einem fort:

Los espadas, los espadas; fuera, adelante los espadas – die Espadas, die Espadas; heraus, vorwärts die Espadas!“

Es waren, wie erwähnt, nur zwei Espadas erschienen, Antonio Perillo und der berühmte Crusada aus Madrid; die andern waren vorher kampfunfähig gemacht worden. Crusada hatte sich durch die Thür geflüchtet, und Perillo war, durch seine Verwundung an schnellem Laufen verhindert, auf die Holzwand geklettert. Dort saß er jetzt und entgegnete, als man seinen Namen rief und dann auf seine Antwort wartete:

Este bufalo es un demonio; el diablo debe combatir contra. esta bestia, mas yo eso no – dieser Büffel ist ein Dämon; der Teufel mag mit ihm kämpfen, aber ich nicht!“

Ein verächtliches Gelächter war sein Lohn; dann rief man nach Crusada, dieser war noch unverletzt und mußte sich sagen, daß sein Ruhm dahin sei, wenn er sich jetzt als ein Feigling zeige. Aber ganz allein konnte er sich unmöglich an den Büffel wagen; er mußte Helfer haben, welche die Aufgabe hatten, im Falle der Gefahr die Aufmerksamkeit des Tieres von ihm ab und auf sich zu lenken. Aber nur gegen das Versprechen einer hohen Belohnung ließen sich drei Banderilleros bereit finden, den schlimmen Gang mit ihm zu wagen.

Als die vier in die Arena traten, wurden sie mit beifälligen Bravorufen empfangen.

Der Bison hatte sich noch keineswegs beruhigt. Er ging von einer Tier- und Menschenleiche zur andern, um zu untersuchen, ob etwa noch Leben vorhanden sei, und warf dabei die Körper und Kadaver mit den Hörnern hin und her. Er blutete aus mehreren Wunden, welche jedoch nicht tief und gefährlich waren. Als er die neuen Angreifer sah, richtete er den zottigen Kopf gegen sie, stampfte den Boden mit den Füßen und ließ ein herausforderndes Brüllen hören.

„Was meinst du, Carlos, was geschehen wird?“ wurde Vater Jaguar von seinem Nachbar gefragt.

„Wer von ihnen nicht flieht, ist verloren,“ lautete die Antwort. „Es ist Menschenmord, diese Leute auf den Bison zu hetzen.“

„Meinst du, daß er unüberwindbar ist?“

„Nein; aber es gibt hier nur einen einzigen Menschen, der es wagen darf, mit ihm anzubinden.“

„Wer ist dieser Mann? Meinst du dich selbst?“

„Vielleicht wirst du nachher sehen, wen ich meine. Jetzt sei aufmerksam, denn sie beginnen eben!“

Crusada näherte sich von der Seite her mit langsamen, fast zaghaften Schritten dem Büffel. Er hielt die Muleta, den Stab mit dem seidenen Tuche, in der linken, und den blanken Degen in der rechten Hand. Sein kräftiger und schöner Körperbau, welcher durch die reich geschmückte Kleidung noch hervorgehoben wurde, ließ beinahe erwarten, daß er auch jetzt wie schon vorher Sieger bleiben werde. Während die drei Banderilleros sich auf der andern Seite herbeischlichen, hielt der Bison, ohne auf sie zu achten, den Blick nur auf Crusada gerichtet, in dem er seinen eigentlichen Feind erkannte.

Das Tier war nicht nur stark und mutig, sondern auch schlau. Es schien die Absicht seines Gegners zu ahnen und bewegte sich nicht von der Stelle. Es stand, ohne den Kopf zu senken, da und erwartete den Angriff. Crusada war bis auf nur fünf Schritte herangekommen und fühlte sich, da ihm dies gelungen war, des leichten Sieges gewiß. Er sah die breite Brust des Stieres nahe vor sich, ein Ziel, welches nun gar nicht zu verfehlen war. Er schwang also die bunte Muleta, um das Auge des Büffels von sich ab und auf diese zu lenken und sprang auf das Tier ein; es war ein Sprung ins Verderben, in den Tod. Der Stier achtete der Muleta nicht, sondern nur des Mannes. Als der gezückte Degen ihm in die Brust fahren sollte, senkte er den Kopf und fing den Stoß zwischen den Hörnern auf; eine kurze, kaum bemerkbare Bewegung seines Kopfes, und das eine Horn saß dem Espada tief im Leibe; Crusada wurde empor und nach hinten geschleudert. Die drei Banderilleros wollten aus dieser Richtung auf den Bison eindringen; dieser aber machte Kehrt, um Crusada von neuem zu packen, erblickte sie und senkte die Hörner; da rannten sie laut schreiend davon; der Bison aber nahm Crusada nochmals auf die Hörner und schleuderte ihn in die Höhe, um ihn dann unter die Füße zu treten.

Vaya, quita, soga! Que cobardia, que bajeza, que infamia – pfui, pfui, pfui, welche Feigheit, welche Niederträchtigkeit, welche Ehrlosigkeit!“ rief man von allen Seiten den Banderilleros zu, da sie den Espada so schmachvoll im Stiche ließen.

Das hatte die Wirkung, daß sie umkehrten und sich dem Büffel wieder näherten, ohne aber Crusada retten zu können, denn er war bereits tot. Aus diesem Grunde schenkte ihnen der Stier mehr Aufmerksamkeit als vorher; er machte Miene, zum Angriff überzugehen; da ergriffen sie zum zweitenmal die Flucht. Es war, als ob er genau wisse, auf welche Weise er ihr Entkommen verhindern könne, denn er rannte nach der Thür, wie um ihnen den Weg abzuschneiden. Sie konnten sich also nur auf die Bretterwand retten und eilten auf dieselbe zu; er sah das und hielt nun von seitwärts her dieselbe Richtung ein. Der erste von ihnen gelangte glücklich hinauf; der zweite auch; der dritte aber war nicht schnell genug; er that den Sprung und ergriff die obere Kante der Wand, doch ehe er den Leib emporzuziehen vermochte, war der Büffel hinter ihm und traf ihn mit dem einen Horn in den Schenkel. Glücklicherweise zog er das Horn zu einem neuen Stoße zurück; dadurch kam der Mann frei, und konnte sich, wenn auch blutend aber doch lebend, durch eine Anstrengung, zu welcher ihm die Todesangst doppelte Kräfte verlieh, vollends emporschwingen. Der zweite Stoß des Tieres traf die Wand so, daß das betreffende Brett zerbrach. Das Tier wußte, wo es die Feinde zu suchen hatte, und stieß von neuem gegen die Wand, glücklicherweise an einer Stelle, welche durch die dahinter befindliche Säule einen festern Halt besaß. Aber die Säule erzitterte unter den fortgesetzten, wuchtigen Stößen; die Wand krachte in allen Fugen; sie mußte, wenn der Büffel nicht abließ, zusammenbrechen, und dann waren alle, die hinter derselben saßen, seinen Hörnern preisgegeben.

Es war also kein Wunder, wenn auf dieser Seite des Cirkus eine Panik eintrat, welche schnell weiter um sich griff. Man schrie und zeterte. Jeder, der sich bedroht sah, wollte sich retten. Man sprang auf die Sitze und Scheidewände, um nach den hintern Plätzen zu flüchten, und doch waren alle Plätze besetzt. Einer sprang auf und über den andern; man stürzte heulend und fluchend übereinander weg. Welche Unglücksfälle, welche Verletzungen mußte das ergeben! Da übertönte eine laute Stimme das wüste Geschrei:

Quedad sentado – bleibt sitzen, Señores! Es ist keine Gefahr vorhanden. Ich nehme den Büffel auf mich.“

Der Vater Jaguar war es, der diese Worte rief. Er zog seinen Rock aus, um nicht von ihm gehindert zu werden, riß das Messer des Privatgelehrten abermals an sich und sprang gerade so, wie er es vorhin auf die Veranlassung des Jaguars gethan hatte, von Platz zu Platz auf die Scheidewand und von da in die Arena hinab.

Nicht auf seiner Seite, sondern auf der entgegengesetzten drohte die Gefahr. Darum rannte er über die Arena hinüber und stieß jenes Geschrei aus, welches die Indianer Nordamerikas bei ihren Jagd- und Kriegsangriffen hören lassen. Es ist das ein langgedehntes, in hohem Fisteltone gegebenes Hiiiiiih, bei welchem man die Finger möglichst schnell vibrierend gegen die Lippen bewegt, wodurch ein durchdringendes Tremolo entsteht, welches durch Buchstaben nicht bezeichnet werden kann.

Der aus den nördlichen Prairien stammende Bison kannte diesen Jagdruf; er hatte ihn aus dem Munde jagender Indianer wohl oft gehört. Als er ihn jetzt vernahm, fuhr er rasch herum; er sah den Vaterjaguar und ließ von der Wand ab, um den neuen Gegner zu erwarten.

Aber Hammer zeigte keine Eile, das Tier anzugreifen; das Messer in der Rechten, blieb er mitten in der Arena stehen. Da, wo noch vor einigen Augenblicken das wildeste Durcheinander geherrscht hatte, trat jetzt tiefe Stille ein. Nur eins war zu hören: der Name „Vater Jaguar“ ging leise und erwartungsvoll von Mund zu Munde. Wollte dieser Mann sich wirklich nur mit dem Messer an das riesige Tier wagen? Riese gegen Riese! Aber was ist die Kraft selbst eines Athleten gegen die Stärke eines Bisons, zumal eines Bisons von dieser ausgewachsenen Größe! Es läßt sich denken, welch hohe Spannung sich jedes Zuschauers jetzt bemächtigte.

Der Büffel stierte den Vater Jaguar mit heimtückischem Blicke an; dieser wiederum hielt sein Auge ebenso scharf und offen und ohne Zucken auf ihn gerichtet wie vorhin auf den Jaguar. Das Tier begann sich in Bewegung zu setzen, langsam, Schritt um Schritt, als ob es wisse, daß es jetzt einen ganz andern, weit gefährlichern Feind vor sich habe. Hammer folgte dem gegebenen Beispiele und schritt auch vorwärts, ebenso langsam wie der Büffel. So näherten sie sich einander mehr und mehr, bis nur der Raum von wenigen Ellen sie noch trennte. Da war es mit der Zurückhaltung des Büffels zu Ende; er hob den Kopf, um ein zorniges Brüllen hören zu lassen, und senkte ihn dann tief zu Boden nieder, um zum Angriff überzugehen.

Alle Welt meinte, daß der Vater Jaguar zur Seite weichen werde; er that dies zum allgemeinen Entsetzen aber nicht, sondern blieb stehen, wo er stand. Jetzt war der Büffel da; seine Hörner mußten den Mann treffen, den eine plötzliche Angst bewegungslos gemacht zu haben schien. Der Vater Jaguar wurde in die Höhe geschleudert – ein einziger, aber vielstimmiger Schrei erscholl im Zuschauerraume. Aber was war denn das? Der Vater Jaguar war in aufrechter Haltung durch die Luft geflogen, kam hinter dem wütenden Bison auf die Füße und blieb da so ruhig stehen, als ob er seinen vorigen Platz gar nicht verlassen habe! Das Tier wendete sich und drang wieder auf ihn ein, warf ihn abermals in die Luft und hinter sich, drehte sich dann wieder um und schleuderte ihn in die Höhe, um ganz dasselbe Spiel immer wiederholen zu müssen.

Nun sah man allerdings, daß dieses fürchterlich gewagte Spiel vom Vater Jaguar beabsichtigt und mit ebenso großer Kühnheit wie Gewandtheit ausgeführt wurde. So oft der Stier die Hörner zum tödlichen Stoße hob, setzte ihm, allerdings keinen Augenblick zu früh oder zu spät, der verwegene Mann den rechten Fuß zwischen dieselben und ließ sich von ihm emporwerfen, um in einem weiten Sprunge hinter dem Tiere den Boden zu erreichen. Wäre vorher den Zuschauern erzählt worden, daß so etwas möglich sei, kein einziger hätte es geglaubt. Ihr Erstaunen war grenzenlos. Welche Kraft, Geschicklichkeit und Eleganz lag in jeder Bewegung Hammers! Es ging auf Leben oder Tod, und dennoch sah man seine Lippen lächeln, und dennoch führte er jede seiner Bewegungen mit einer Leichtigkeit und Sicherheit, mit einer Ruhe aus, als ob es sich um eine harmlose Unterhaltung handle.

je ruhiger er blieb, desto unruhiger wurde der Stier. Daß er den Feind nicht zu beschädigen vermochte, sondern ihn immer und immer wieder unverletzt hinter sich stehend fand, brachte ihn in Wut. Er brüllte vor Grimm; seine Bewegungen und Wendungen wurden hastiger und unsicher; seine Augen unterliefen mit Blut, wodurch er am Sehen verhindert wurde. Schon kam es vor, daß er den Gegner nicht deutlich stehen sah und mit den Hörnern in die Luft stieß. Das hatte der Vater Jaguar abwarten wollen. Wieder war er emporgeworfen worden, und wieder kam er hinter dem Stiere zu stehen; da blieb er dieses Mal nicht halten, sondern sprang schnell seitwärts nach vorn. Der Büffel, eben im Begriff, sich umzudrehen, kehrte ihm dabei die Seite zu – ein kühner, federkräftiger Sprung, und Hammer saß ihm auf dem Rücken. Das Messer blitzte in seiner Hand; die Klinge desselben drang genau da ein, wo der letzte Hals- an den ersten Rückenwirbel stößt. Der Büffel blieb mehrere Sekunden, ja fast eine Minute, starr und völlig bewegungslos stehen; dann ging ein Zittern durch seine mächtigen Glieder, und er brach, ohne einen Laut hören zu lassen, da, wo er stand, leblos zusammen, wobei der Vater Jaguar von seinem Rücken glitt, um dann dem gestürzten Tiere das Messer aus dem Nacken zu ziehen.

Es war, als ob niemand glauben könne, daß dies keine Täuschung sei. Keine Lippe bewegte sich; aller Augen warteten, daß der Büffel aufspringen und den Angriff wieder beginnen werde. Dem Vater Jaguar war es sehr gleichgültig, ob man ihm applaudierte oder nicht. Er gab seinen drei Kameraden, welche neben ihm gesessen hatten, einen Wink, den sie verstanden. Sie kamen mit gewandten Sprüngen auf demselben Wege, den er selbst vorhin eingeschlagen hatte, zu ihm in die Arena herab und brachten ihm seinen Rock. Sie entwickelten dabei gerade wie er eine Elasticität der Gliedmaßen, welche man wohl eher bei einem Seiltänzer als bei so feingekleideten Señores gesucht hätte. Nachdem Hammer seinen Rock wieder angelegt hatte, verließ er mit ihnen die Arena durch die Thür, welche für das Publikum bestimmt war.

jetzt wagten sich mehrere Campeadores herein. Sie sahen den Büffel liegen und näherten sich ihm in sehr vorsichtiger Weise, um ihn zu untersuchen. Die Toreadores, welche sich auf und über die Rettungswand geflüchtet hatten, folgten diesem Beispiele. Noch regten sich die Zuschauer nicht, so sehr standen sie unter dem Einflusse staunender Überraschung, aber der Präsident fragte von seiner Loge herab:

Esta el bufalo muerto – ist der Büffel tot?“

Si, Vuestra merced; esta muerto – ja, Ew. Gnaden; er ist tot,“ wurde ihm geantwortet.

Esta en verdad muerto, todo muerto – ist er wirklich tot, ganz tot?“ erkundigte er sich besorgt.

Completamente difunto, indudablemente finado – vollständig tot, ohne allen Zweifel verendet. Por medio de un golpe de cuchillo en la nuca – infolge eines Messerstiches in das Genick.“

Diese Fragen und Antworten waren so laut gegeben worden, daß jeder sie verstehen konnte; sie brachen den Bann, in welchem das Publikum sich befunden hatte. Auf das bisherige Schweigen folgte ein Schreien, Klatschen und Stampfen, daß man hätte meinen mögen, der Cirkus breche zusammen.

Donde esta el padre Jaguar? Aca, venid aca, entre, el padre Jaguar – wo ist der Vater Jaguar? Herbei, herein, der Vater Jaguar!“ so riefen hunderte, ja tausend Stimmen durcheinander.

Man wollte den Sieger sehen, ihm den verdienten Beifall zujubeln. Die Peons eilten fort, ihn zu suchen, kehrten aber mit dem Bescheide zurück, daß er nicht zu sehen sei, sich also schon entfernt habe. Es dauerte lange Zeit, ehe das Publikum sich beruhigte. Inzwischen kamen die Matadores, um die Menschen- und Pferdeleichen fortzuschaffen. Zuletzt sollte auch der Büffel hinausgeschleift werden; aber das gab man nicht zu. Man wollte ihn sehen, ihn genau betrachten, seine Größenverhältnisse ausmessen und die kleine, fast unsichtbare Wunde bewundern, durch welche das mächtige Tier gefällt worden war. Alles drängte nach der Arena, und die eigentlichen Cirkusbediensteten mußten sich die Hilfe der Toreadores erbitten, um nur einigermaßen Ordnung in den Wirrwarr zu bringen und schwere Unglücksfälle zu vermeiden.

Von keinem der Espadas wurde gesprochen, weder von Crusada aus Madrid, noch gar von Antonio Perillo. Der Vater Jaguar war der Held des Tages; sein Name lebte heute in aller Mund, und wo dann später, nachdem der Cirkus sich geleert hatte, zwei oder mehrere miteinander gingen oder beisammen saßen, war er der Gegenstand nicht nur ihres Gespräches, sondern auch ihrer Bewunderung.

Sonderbar, wie vollständig er verschwunden war! Niemand wußte zu sagen, wo er zu finden sei. Und doch war aus seiner Kleidung zu schließen, daß er nicht im Freien kampiere, sondern sich in der Stadt aufhalte. Er und seine Begleiter, die jedenfalls Kameraden von ihm waren, hatten Anzüge getragen, welche man ablegt, bevor man hinaus in die Pampas geht.

Es versteht sich ganz von selbst, daß man auch im Hause des Bankiers Salido von ihm sprach; hatte er doch die Glieder der Familie von dem Tode errettet oder wenigstens vor schweren und schlimmen Verwundungen bewahrt. Salido sandte einige Peons aus, um den Aufenthalt des berühmten Mannes zu erfahren; sie kehrten aber alle unverrichteter Sache zurück. Das war dem Bankier im höchsten Grade unangenehm.

„Ich muß ihm doch unbedingt meinen Dank abstatten,“ sagte er. „Am liebsten hätte ich es gleich, als er vom Jaguar zurückkehrte, gethan, aber es gab keine Zeit dazu.“

„Und ich habe eine noch viel größere Unterlassungssünde begangen,“ meinte Dr. Morgenstern. „Er hat sich bei mir für die Decke und das Messer bedankt, und ich habe ihm mit keinem Worte Dank, lateinisch Gratia, gesagt, obgleich ich es war, auf den dieser blutdürstige Jaguar die Augen gerichtet hatte. Was mag er von mir denken! Fast jedes Tier besitzt die Tugend der Dankbarkeit, obgleich es einige Individuen und sogar Ordnungen gibt, welche, wie die Zoologie und speziell die Lehre von den Insekten, Mollusken, Würmern und Bacillen beweist, dieser schönen Eigenschaft wenigstens teilweise zu entbehren scheinen; ein Mensch aber, in Griechenland Anthropos und in Rom Homo geheißen und nach diesen beiden Worten in allen zivilisierten Ländern so genannt, sollte sich von den Tieren, die doch nach der Klassifikation der Lebewesen unter ihm stehen, nicht beschämen lassen. Ich danke dem Vater Jaguar mein Leben und werde ihm dies, sobald ich ihn sehe, offen eingestehen. Denn daß er mir mein Messer nicht wiedergegeben hat, dadurch werde ich doch wohl nicht quitt mit ihm.“

Da kam ein Diener und meldete, daß ein fremder Señor gefragt habe, ob der Hausherr zu sprechen sei, und gab eine Karte ab, auf welcher der einfache Name Carlos Hammer zu lesen war. Der Bankier begab sich nach dem Sprechzimmer und war nicht nur sehr erstaunt, sondern auf das freudigste überrascht, in dem Fremden den – – Vater Jaguar zu erkennen. Er trat schnell auf ihn zu, streckte ihm beide Hände entgegen und sagte:

„Sie sind es, Señor, Sie, nach dem man so vergeblich sucht

Erlauben Sie mir, Ihnen die Hand zu drücken und Sie herzlichst willkommen zu heißen! Wie brav und liebenswürdig, daß Sie uns Gelegenheit geben, Ihnen wenigstens sagen zu dürfen, daß wir Ihnen tief, sehr tief verpflichtet sind!“

Über das ernste Gesicht Hammers glitt ein leises Lächeln, als er antwortete:

„Bitte, Señor, ja nicht zu glauben, daß dies der Grund ist, welcher mich zu Ihnen führt. Es ist vielmehr eine geschäftliche Angelegenheit, in welcher ich Sie für eine Minute zu stören gezwungen bin.“

Während dieser Worte zog er eine Brieftasche heraus, der er ein Papier entnahm, welches er dem Bankier überreichte. Dieser warf einen Blick darauf und sagte:

„Eine Anweisung von meinem Geschäftsfreunde in Cordova. Die Summe steht Ihnen sofort zur Verfügung, obgleich mein Geschäft des Stiergefechtes wegen heute geschlossen ist.“

„Solche Eile hat es nicht. Ich hielt es für angezeigt, mich Ihnen vorzustellen, und bitte um die Erlaubnis, den Betrag in den nächsten Tagen erheben zu dürfen.“

Er machte eine Verbeugung und wollte sich entfernen; da ergriff ihn der Bankier am Arme und bat:

„Bleiben Sie noch, Señor! Ich kann Sie unmöglich jetzt schon gehen lassen. Sie retteten uns das Leben; ich bitte dringend um die Erlaubnis, Sie meiner Frau vorstellen zu dürfen!“

„Und ich bitte sehr, davon absehen zu wollen, Señor. Gerade der Dank, von welchem Sie sprechen, verschließt mir Ihre Thür. Ich darf mir unmöglich ein Verdienst anmaßen, welches nur dem Zufalle zuzuschreiben ist.“

Man sah ihm an und hörte es auch aus seinem Tone, daß die Bescheidenheit, welche ihm diese Worte diktierte, eine wahre und keine gemachte war. Infolge dieses Eindruckes, den auch er empfand, antwortete Salido:

„Señor, Sie haben über den Wert dessen, was Sie thaten, eine andre Ansicht, als die meinige ist; dennoch muß ich sie achten und verspreche Ihnen, daß dieselbe berücksichtigt wird. Ich versichere Ihnen, daß Sie von mir und den Meinigen das Wort Dank nicht hören werden, und denke, daß Sie unter dieser Bedingung Ihren Entschluß ändern werden.“

„Unter dieser Bedingung, ja; da bin ich allerdings bereit, auf Ihr freundliches Anerbieten einzugehen.“

Der darüber hoch erfreute Bankier führte ihn in das Familienzimmer, wo das so unerwartete Erscheinen des Vater Jaguar ebenso große Überraschung wie Freude hervorrief. Ganz besonders entzückt war der Privatgelehrte, welcher sich zunächst von seinem Erstaunen gar nicht erholen zu können schien, dann aber, Hammer die Hand entgegenstreckend, ausrief:

„Señor, ich bin voller Freude, lateinisch Gaudium oder auch Laetitia genannt, Sie hier begrüßen zu können, zumal ich es für meine Pflicht halte, Ihnen meinen Dank dafür abzustatten, daß – –“

„Halt!“ fiel der Bankier ihm in die Rede. „Señor Hammer ist nur unter der Bedingung mitgekommen, daß wir nicht von Dank sprechen. Bitte also, dieses Wort wenigstens jetzt nicht mehr zu erwähnen.“

„Aber, wenn ich nicht von Dank sprechen soll, wovon denn sonst?“

„Von allem möglichen, zum Beispiel von Ihren antediluvianischen Tieren.“

Das hatte Salido scherzhaft gemeint; der kleine, rote Gelehrte ergriff aber sofort die Gelegenheit, von seinem Lieblingsthema zu sprechen, und antwortete hastig, damit ihm ja niemand mit einer Frage zuvorkomme:

„Das ist wahr; das ist allerdings sehr richtig! Señor Hammer, haben Sie schon einmal ein Megatherium oder gar ein Mastodon gesehen?“

„Schon wiederholt,“ antwortete der Gefragte.

„Wo denn, wo?“

„In den Pampas. Wer ein gutes Auge für dergleichen Fundorte hat, braucht gar nicht lange zu suchen.“

„Wirklich, wirklich? Haben etwa Sie ein solches Auge?“

„Ich will es zwar nicht mit einem ja behaupten, doch hatte ich zuweilen Gelegenheit, gelehrten Herren als Führer durch die Pampas zu dienen.“

„Waren diese Herren mit Ihnen zufrieden?“

„Ihren Versicherungen nach glaube ich nicht, dies verneinen zu müssen.“

„So! Aber es gehört doch ein gewisser paläontologischer Blick dazu, einem Orte anzusehen, daß er vorweltliche Pflanzen oder Tiere birgt. Die fossilen Überreste vorsündflutlicher Faunen und Floren sind uns in sehr verschiedenen Zuständen überliefert.“

„Allerdings,“ antwortete Hammer lächelnd. „Man spricht von Verkohlung, Auslaugung, Inkrustation, von Petrifizierung und endlich auch von Abformung.“

Der Kleine trat einen Schritt zurück, betrachtete den Riesen erstaunt und sagte:

„Señor, Sie sprechen da wie ein Professor der Paläontologie! Das ist meine Lieblingswissenschaft. Ich beabsichtige, ein größeres Werk über diejenigen Tiere zu schreiben, welche man bis in die Silurzeit zurückdatieren muß.“

„Es hat schon vorher eine ungeheure Menge von Tieren existiert, denn aus dem Silur allein sind uns wohl zehntausend Arten bekannt.“

„Zehntau – – – !“ Dem Kleinen blieb vor Erstaunen das Wort im Munde stecken, dann fuhr er fort – – „send Arten! Das wissen Sie? Welche Arten sind das?“

„Cölenteraten, Stachelhäuter, Würmer, Gliedertiere, Mollusken und in den obern Schichten sogar Wirbeltiere, z.B. Haifische. Die Landbewohner aber treten erst im Devon auf. Insekten und Reptilien treffen wir in der Steinkohlen- und Diasperiode, im Trias, Jura und in der Kreide.“

„Und Säugetiere?“ fragte der Gelehrte erwartungsvoll.

„Im obersten Trias findet man schon Beuteltiere, den ersten Vogel im obern Jura; im Tertiär aber spielen sie die leitende Rolle, welche vorher den Reptilien zukam.“

„Und der Mensch?“

„Dieser erscheint frühestens in der jungtertiären Zeit.“

Da that der Kleine vor Freude einen Luftsprung und rief aus:

„Sollte man so etwas für möglich halten! Und gar hier in Buenos Ayres! Sie sind ja wahrhaftig der reine Professor Giebel, der ein berühmtes Handbuch über die Fauna der Vorwelt geschrieben hat! Setzen Sie sich, setzen Sie sich schnell! Ich muß Ihnen einige sehr wichtige zoopaläontologische Fragen vorlegen. Warum ist der Schwanz bei allen Fischen bis in die Jurazeit hinauf heterocerk wie jetzt noch bei den Rochen und Haien? Warum traten die echten Ammoniten, die im obern Jura und in der untern Kreide zur höchsten Entfaltung gelangen, im alpinen Trias so vereinzelt auf? Findet da eine Epacme statt oder nicht? Aus welchem Grunde rechnen Sie Nautilus und Lingula zu den Dauertypen, und wie wollen Sie auf eine Differenzierung der Tierwelt hinweisen, wenn man Ihnen sagt, daß – – –“

Valgame Dios – Gott stehe mir bei!“ unterbrach ihn da der Bankier, indem er sich die beiden Hände an die Ohren legte. „Señores, ich bitte Sie, zu bedenken, daß Sie sich nicht in der vorsündflutlichen Kreide, sondern hier bei mir befinden, der ich von solchen Dingen leider nicht das mindeste verstehe. Haben Sie die Gnade, dieses Thema, welches ja ganz interessant sein mag, für später aufzusparen. Ich würde Ihnen das sehr, sehr hoch anrechnen.“

Der Vater Jaguar erklärte sich lachend einverstanden; dem Kleinen aber war es ganz und gar nicht heb, daß er abbrechen mußte. Man sprach wohl noch eine Viertelstunde lang von verschiedenem, und dann wollte Hammer aufbrechen. Er sagte erst jetzt, daß seine drei Kameraden auf der Straße auf ihn warteten, da er nicht geahnt habe, daß er sich hier so lange verweilen werde. Der Bankier ließ ihn aber nicht fort, sondern eilte hinaus, um die drei Männer selbst herbeizuholen.

Sie kamen; ein Diener brachte Wein, und die Unterhaltung wurde nun viel lebhafter, als sie vorher gewesen war.

Der Vater Jaguar behandelte seine Gefährten mit freundschaftlicher Vertraulichkeit; sie aber wagten nicht, eine solche Vertraulichkeit auch ihrerseits zu zeigen. Man sah und hörte aus allem, was sie sagten und wie sie es sagten, daß sie ihn als hoch über sich stehend anerkannten und einen großen Respekt vor ihm hatten.

Da nicht von Dank gesprochen werden sollte, hatte man es bisher vermieden, das heutige Stiergefecht zu erwähnen, doch war es nicht zu umgehen, daß das Gespräch später dennoch darauf kam. Doktor Morgenstern war es, welcher es zuerst in Erwähnung brachte, um einige kulturhistorische Bemerkungen daran zu knüpfen. Er sprach von den römischen Gladiatoren und nahm dabei Gelegenheit, dem Vater Jaguar das Kompliment zu machen:

„Sie wären jedenfalls ein ausgezeichneter Forumkämpfer gewesen, Señor, und hätten sowohl unter den Retiarii, Velites und Secutores, als auch unter den Galli, Thraces und Hoplomachi Großes geleistet. Es ist wirklich jammerschade, daß Sie nicht schon damals gelebt haben!“

„Warum jammerschade?“ fragte Hammer still belustigt,

„Weil Sie dann jedenfalls in Friedländers Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms und in Marquardts Römische Staatsverwaltung auf das rühmlichste erwähnt worden wären.“

„Ich danke, Señor. Hätte ich damals gelebt, so wäre ich schon über tausend Jahre tot. Lieber ist mir’s, daß ich lebe und in den Büchern dieser beiden Herren nicht erwähnt werde.“

Mag sein! Aber der Erwähnung werden Sie auf keinen Fall entgehen. Sie werden in den Werken über die Stiergefechte als einer der größten Toreadores angeführt werden. Wie ist es Ihnen nur möglich gewesen, diesen gräßliche Bison americanus mit einem einzigen Messerstiche zu erlegen?“

„Das ist nur eine Folge der Übung. Ich habe schon viele Büffel auf dieselbe Weise getötet.“

„Ich denke, es gibt hier in Argentinien keine Bisons. Oder hätte sich die Wissenschaft, die sonst untrüglich ist, einmal geirrt?“

„Sie irrt sich nicht. Ich habe die Büffel, von denen ich sprach, in den Vereinigten Staaten erlegt.“

An den Vereinigten Staaten? Ah, da muß ich Sie sogleich fragen, ob Sie die berühmte Mammutshöhle in Kentucky kennen, und vielleicht gar ein Ohiotier gesehen haben?“

„Davon vielleicht ein andres Mal, lieber Señor, da wir nicht von antediluvianischen Dingen sprechen sollen.“

„Also weder von dem Danke, den wir Ihnen schuldig sind, noch von petrefakten Tieren darf man sprechen. Nun frage ich Sie bloß, wovon man da reden soll! Ich als Deutscher bin gewöhnt, zu reden – – –“

„Ein Deutscher sind Sie?“ fiel da der Vater Jaguar ein.

„Allerdings, wie Sie schon aus dem Namen Morgenstern ersehen, den Sie vorhin wohl nicht genau vernommen haben. Ich bin Privatgelehrter und studiere die Vorwelt.“

„Und ich bin Laie und studiere die Mitwelt. Mein Name Hammer mag Ihnen sagen, daß wir Landsleute sind.“

„Wie, auch Sie sind ein Deutscher? Ich stamme aus Jüterbogk. Und Sie, wenn ich fragen darf?“

„Ich wurde im goldenen Mainz geboren.“

„Ah, in Mainz, dem von Drusus erbauten Moguntiacum! Castel liegt auf der andern Seite, ulterior, jenseits, wie der Lateiner sagt. Was hat Sie von da nach Nordamerika getrieben?“

„Die Thatenlust.“

„Und von da nach Südamerika?“

„Eine Veranlassung, über welche ich lieber schweige, als spreche.“

Sein bisher so freundliches Gesicht wurde bei diesen Worten plötzlich tiefernst. Der zartfühlende Bankier ahnte, daß der berühmte Mann an einer wunden Stelle berührt worden sei, und gab dem Gespräch eine andre Richtung, indem er sich in höflichem Tone erkundigte:

„Man hat Sie allenthalben gesucht, Señor. Daraus schließe ich, daß Sie nicht in einem Hotel wohnen, denn Sie sind nicht gefunden worden.“

„Wir besitzen Freunde in Buenos Ayres, bei denen wir ungestört wohnen können,“ lächelte der Deutsche.

„Und werden Sie längere Zeit hier verweilen?“

„Nein. Ich werde ich kurzer Zeit nach den Anden gehen.“

An welcher Richtung?“

„Über Tucuman wahrscheinlich nach Peru hinüber.“

Der Bankier horchte auf und fragte schnell:

„Kommen Sie da vielleicht bis Lima?“

„Möglich.“

„Ich habe nämlich einen sehr triftigen Grund zu dieser Erkundigung, Señor. Es ist ein Neffe bei mir zu Besuch, welcher nur auf eine günstige Gelegenheit wartet, um über die Anden nach Lima zu gehen.“

„Wie alt?“

„Sechzehn Jahre.“

„Dann soll er lieber hier bleiben!“

„Er muß hinüber. Er wäre schon längst fort, wenn ich einen tüchtigen und zuverlässigen Sendador (Wegweiser, Pfadfinder) gefunden hätte, dem ich den Knaben anvertrauen kann. Übrigens ist er für seine Jahre körperlich und geistig sehr gut entwickelt.“

„Aber, Señor, bedenken Sie die Gefahren, welche des Reisenden auf diesem Wege lauern!“

„Ich habe es bedacht. Diese Gefahren werden desto geringer, je zuverlässiger und erfahrener die Reisenden sind. Sie wollen über die Anden. Fast möchte ich eine Frage aussprechen und eine Bitte an dieselbe knüpfen.“

Er sah den Vater Jaguar erwartungsvoll an und fügte, als dieser schweigend vor sich niederblickte, hinzu:

„Natürlich würde ich eine solche Gefälligkeit so reichlich honorieren, wie meine Mittel es mir erlauben.“

Hammer schüttelte leise den Kopf, indem er antwortete:

„So etwas läßt sich nicht honorieren. Ich bin als Yerbatero (Theesucher) im Gran Chaco, als Gambusino (Goldsucher) in Peru, als Chinchillero (Pelzjäger auf Chinchillas) in den Anden und als Cascarillero (Chinarindensammler) in Brasilien herumgestiegen. Meine Gefährten haben mich überall begleitet. Gefahren fürchten wir nicht, denn wir sind ihnen gewachsen, nämlich solange wir uns unter uns befinden. Die Gegenwart eines andern aber, zumal eines unerwachsenen, also unerfahrenen Begleiters würde uns nicht nur unsrer innern, sondern infolgedessen auch unsrer äußern Sicherheit berauben, so daß wir kaum im stande sein möchten, das Vertrauen, welches man in uns zu setzen hätte, zu rechtfertigen.“

„Sie sprechen, wie ein vorsichtiger und ehrenwerter Mann sprechen muß, Señor; aber so unerfahren, wie Sie meinen, ist mein Antonio nicht. Er reitet und schießt ausgezeichnet und ist schon zweimal über die Anden herüber in Bolivia gewesen, die Seereise von Peru hierher gar nicht gerechnet. Er ist kräftig, ausdauernd, unternehmend und anspruchslos, so daß er Entbehrungen und Anstrengungen nicht sehr achtet. Da ist er ja. Sehen Sie ihn sich an, und sprechen Sie mit ihm, Señor! Seine Eltern sind auch Deutsche. Ich denke, dieser letztere Umstand wird geeignet sein, als Fürsprache bei Ihnen zu gelten. Komm her, Antonio! Dieser Señor will nach Peru hinüber. Möchtest du mit ihm gehen?“

. „Mit keinem so gern wie mit ihm!“ antwortete der Knabe sofort und in freudigem Tone.

Er war wirklich ein ungewöhnlich starker und auch hübscher junge. Sein von der Sonne bräunlich gefärbtes Gesicht hatte charakteristische Züge, welche auf selbständiges Denken und Handeln schließen ließen. Sein Haar war dunkel, aber das Blau seiner Augen und der ehrliche, offene Blick derselben ließen die germanische Abstammung deutlich erkennen. Er selbst schien dem Vater Jaguar ebenso sehr wie seine Antwort zu gefallen, denn dieser streckte ihm die Hand entgegen, zog ihn näher zu sich heran, strich ihm liebkosend über den Kopf und sagte:

„Also gern würden Sie mitgehen? Aber die Anstrengungen, das lange Reiten?“

„O, das halte ich nicht nur aus, sondern ich habe es sogar sehr gern.“

„Und der Weg durch den fürchterlichen Gran Chaco, die Jaguare und die Indianer?“

„Die fürchte ich nicht. Ich weiß mein Gewehr und mein Messer zu führen,“ antwortete der Knabe, indem seine Augen blitzten und seine Wangen sich röteten.

„So! Also mutig ist man. Was hat man denn sonst gelernt, mein verwegener junger Señor?“

Bei dieser Frage bemächtigte sich des Jünglings eine kleine, sichtbare Verlegenheit; er antwortete aber, sie schnell überwindend:

„Ich weiß gar wohl, Señor, daß die Knaben meines Alters drüben in Deutschland schneller vorwärts schreiten und ihre Ziele leichter erreichen als wir, da sie bessere Schulen und Lehrer haben. Aber ich besuche das Institut für Kunst und Gewerbe, da ich der Nachfolger meines Onkels werden soll; Vater hält mir und dem Bruder einen deutschen Hauslehrer, und später werde ich eine deutsche Universität besuchen. Wollen Sie mich examinieren, so will ich sehr gern antworten.“

„Das will mir wohl gefallen, denn so spricht keiner, welcher der Letzte auf der Schulbank ist. Zum Examinator bin ich nicht berufen; aber für den Ritt über die Pampas und die Anden würden Sie wohl gute Lehrer an uns haben. Und ein Deutscher sind Sie? Aber freilich wohl nur der Abstammung nach?“

„Nein, Señor, sondern mit meinem ganzen Herzen. Ich bin nicht drüben geboren, halte aber doch das schöne Deutschland für mein Vaterland. Um ein Deutscher und zwar ein ganzer Deutscher zu sein, braucht man nicht drüben zu wohnen, denn Alldeutschland ist an jedem Orte, da wo die deutsche Zunge klingt und Gott im Himmel Lieder singt.“

Er hatte dies aus vollstem Herzen gesagt. Der kleine, rote Privatgelehrte sprang begeistert auf, breitete die Arme aus und rief:

„Ja, wo des Deutschen Zunge klingt und Gott im Himmel Lieder singt! Das Lied ist gedichtet von Ernst Moritz Arndt, am 26. Dezember 1769 in Schoritz auf Rügen geboren und am 29. Januar 1860 in Bonn gestorben. Komponiert wurde es von vielen Tonsetzern. Meine Lieblingsmelodie ist diejenige von Heinrich Marschner, für vierstimmigen Männerchor in C dur gesetzt. Ich bin Mitglied des Jüterbogker Gesangvereins Deutsche Lyra und singe ersten Baß, vom großen As bis zum eingestrichenen e hinauf und habe bei Konzerten die Noten auszugeben, da ich Bücherwart des Vereins bin. Hurra! Was ist des Deutschen Vaterland? Allüberall wird es genannt. O Gott vom Himmel sieh darein: Der ganze Erdkreis wird’s noch sein! So ungefähr wird’s wohl lauten, denn auswendig kann ich es nicht, da es keine vorsündflutliche Ausgrabung ist.“

Die Begeisterung des Kleinen nahm sich höchst possierlich aus, und doch war sie sehr ernsthaft gemeint. Der Vater Jaguar nickte dem Knaben freundlich zu und sagte:

„Recht So, mein lieber Señorito! (Kleiner Herr, Herrchen). Es geht auch älteren Leuten, als Sie sind, das Herz auf, wenn vom heiligen Vaterlande die Rede ist. Sie scheinen ein braver Knabe zu sein, und so will ich es mir überlegen, ob es möglich sein wird, den Wunsch Ihres Oheims zu erfüllen.“

„Thun Sie es, Señor, thun Sie es!“ bat der Knabe. „Ich werde Ihnen gern gehorchen und mich in alles schicken.“

„Ja, thun Sie es!“ bat auch der Bankier. „Sie erweisen mir damit einen großen, sehr großen Dienst.“

„Es kommt nicht nur auf mich, sondern auch auf meine Gefährten an,“ antwortete der Vater Jaguar. „Wir werden uns besprechen. Bange dürfen Sie um den Knaben nicht sein, denn von Santa Fe aus, wo der Ritt beginnen würde, sind wir vierundzwanzig Mann, von denen kein einziger sich vor dem Schlimmsten fürchtet. Freilich würde die Reise anders, besonders langsamer, vor sich gehen, als Sie sich denken. Ihren Neffen glücklich hinüberzubringen, das kann für uns nur nebensächlich sein, da wir andre Aufgaben zu lösen haben, die sich nicht aufschieben lassen. Eine Abteilung von uns wird im Gran Chaco bleiben, um dort Thee zu sammeln.“

„lm Gran Chaco?“ fragte da der kleine Gelehrte. „Gibt es dort nicht auch Versteinerungen, Señor Hammer?“

„Erst recht! Mehr als anderswo! In der Pampa hat man schon überall gesucht, im Chaco aber nicht, weil sich wegen der dortigen Indianer kein Forscher hingetraute.“

„So ist der Boden dort noch jungfräulich in dieser Beziehung?“

„Ja. Ich weiß Orte, an denen man nur nachzugraben braucht, um ausgezeichnete Funde zu machen.“

„Hurra! Da lasse ich Pampa Pampa sein, und gehe mit nach dem Gran Chaco! Einen solchen Vorteil, lateinisch Fructus und auch Commodum genannt, darf ich mir unmöglich entgehen lassen!“

„Nicht so rasch, mein Lieber! Von Buenos Ayres bis in den wilden Chaco kommt man nicht so leicht, wie von Jüterbogk nach Berlin. Und dort gibt’s auch keine deutschen Männergesangvereine. Sie könnten leicht mit Ihrem schönen ersten Baß den Todesgesang anstimmen müssen.“

„Wenn auch! Geben mir die Indianer die Noten dazu, so

singe ich ihn vom Blatte, prima vista, wie wir Deutschen sagen, wenn wir etwas gelernt haben. Sie nehmen mich doch hoffentlich mit?“

„Hoffentlich?“ brummte der Vater Jaguar, indem er ein bedenkliches Gesicht machte. „Hm! Sie sprechen doch wohl nur im Scherze?“

„Es ist mein völliger Ernst, asseverare oder serio, wie der Lateiner sich ausdrücken würde.“

„Bitte, lieber Señor Morgenstern, gehen Sie in sich, und fragen Sie sich, ob Sie der Mann zu einem so gewagten Unternehmen sind!“

„Für ein Mastodon oder ein Glyptodon wage ich alles, selbst mein Leben. Sie werden doch einem Landsmann aus Jüterbogk seine Bitte nicht abschlagen!“

„Vom Abschlagen kann jetzt noch keine Rede sein, da ich Señor Salido noch nicht zugesagt habe. Es ist noch nicht genau bestimmt, wann wir abreisen, und bis dahin kann sich vieles ändern.“

Es war ihm ganz und gar nicht übel zu nehmen, daß er auf seinem gefährlichen Ritte nur zuverlässige Leute bei sich haben wollte. Man sah es ihm an, daß ihm der Antrag nicht angenehm war. Darum brachte der Wirt das Gespräch auf ein andres Thema, infolgedessen sich das Gesicht des Vaters Jaguar schnell wieder aufheiterte. Er glaubte, dem kleinen roten Gelehrten entgangen zu sein, hatte aber wohl noch nicht erfahren, mit welcher Beharrlichkeit solche Herren an einem einmal gefaßten Gedanken festhalten.

Die Gäste blieben bis nach dem eingenommenen Abendmahle. Als sie sich dann verabschiedeten, war der Wirt so zartfühlend, seinen Wunsch nicht zur Sprache zu bringen. Er wußte, daß der Vater Jaguar wiederkommen werde, um seine Anweisung zu präsentieren, und dann konnte über die Angelegenheit ja nochmals gesprochen werden. Doktor Morgenstern aber war weniger skrupulös; er nahm Hammer beim Arme und fragte in bestimmtem Tone:

„Also, Señor, wieviel Pferde soll ich mir kaufen?“

„Pferde? Wozu?“

„Nun, zu unsrer Reise. Ich muß doch Pferde haben und Hacken und Schaufeln und sonstige Werkzeuge.“

„Weiter nichts?“ fragte der Vater Jaguar in beinahe zornigem Tone.

„Was sonst noch?“

„Einen Eisenbahngüterzug. Oder meinen Sie, wenn Sie den Riesenelefanten ausgegraben haben, laufe er allein nach Jüterbogk, um dort Mitglied Ihrer Deutschen Lyra zu werden?“

„Mein Himmel! Verstehen Sie es aber, einen anzublitzen und anzudonnern!“ rief der Kleine, indem er erschrocken zurückfuhr. „Wir wollen doch in Ruhe und Freundlichkeit verhandeln, Señor. Ich werde Ihnen gar nicht zur Last fallen. Ich bin nicht allein; ich nehme einen Diener mit.“

„Ah! Was für einen?“

„Einen guten Germanen. Er heißt Fritz Kiesewetter und ist aus Stralau am Rummelsburger See.“

„So! Das soll ein Trost für mich sein? Lassen Sie Ihren Rummelsburger nur getrost dort, wo er ist. Da befindet er sich jedenfalls besser als im Gran Chaco, wo es keinen Stralauer Fischzug mit Eisbein und Weißbier gibt.“

Bei diesen Worten ging Hammer zur Thür hinaus und ließ den Kleinen stehen. Seine Gefährten folgten ihm und der Bankier begleitete sie bis an den Ausgang. Eben als sie im Begriff standen, sich dort zu verabschieden, kam der Kriminalbeamte, welcher den gestrigen Vorfall zu untersuchen hatte, und meldete, daß der Espada Antonio Perillo der Thäter nicht gewesen sein könne, da er im stande sei, seine Unschuld durch ein unanfechtbares Alibi zu beweisen.

Die Herren sprachen noch einige Zeit über diese Angelegenheit. Sie wurden dabei von dem Licht, welches ein Peon hielt, hell beleuchtet und bemerkten nicht, daß sie mehrere, wenn auch nicht Ohren-, so doch Augenzeugen hatten.

Als der Polizist vorhin in die Straße, in welcher die Quinta stand, eingebogen war, hatte er dieselbe nicht allein betreten, sondern es waren ihm zwei Männer gefolgt, so heimlich und so leise, daß ihm ihre Gegenwart entging. Jetzt standen sie drüben auf der andern Seite der Straße. Es war dunkler Abend; aber selbst wenn es heller gewesen wäre, hätte man sie schwerlich sehen können, da sie sich dicht an das Gebüsch des Oleanderzaunes schmiegten. Bei mehr Beleuchtung hätte ein Lauscher bemerken können, daß von diesen beiden Männern der eine älter als der andre war. Der jüngere aber war – Antonio Perillo, der heute leicht verwundete Espada.

„Dachte es mir, daß dieser Vigilant zum Bankier gehen würde,“ flüsterte er seinem Begleiter zu. „Wir haben also nicht umsonst vor seiner Wohnung gelauert. Möchte wissen, was er zu sagen hat.“

„Das weiß ich sehr genau,“ antwortete der andre ebenso leise. „Er wird ihm sagen, daß du gestern um die betreffende Zeit bei mir gewesen bist.“

„Und wenn man es nicht glaubt und die Untersuchung einleitet?“

„So werde ich es schon einzurichten wissen, daß meinen Aussagen Glauben beigemessen wird.“

„Nun, ich wünsche, daß es gelinge, vorläufig glaube ich nicht daran. Bist du denn plötzlich fromm geworden, obgleich es auch dir an den werten Kragen gehen kann? Es war eine Dummheit von euch, die Sache in dieser Weise abmachen zu wollen. Der Kleine war gestern doch nicht zum letztenmal auf der Straße, und dann hätte ein stiller Messerstich viel leichter und besser gewirkt als eure unsinnige Schießerei. Ich bin – – Tempestad – Donnerwetter!“ unterbrach er sich. „Wer ist denn der Kerl?“

„Welcher?“

„Der Riese, welcher neben dem Bankier steht.“

Der Schein des Lichtes war soeben hell auf Hammers Gesicht gefallen.

„Den kennst du nicht?“ fragte Antonio Perillo. „Ah, ich vergaß, daß du heute nicht mit beim Stiergefecht warst. Das ist der Vater Jaguar, der Halunke, der uns alle so blamiert hat. El diabolo se le lleve – der Teufel hole ihn!“

„Der – Va – ter – Ja – gu – ar?“ fragte der Ältere, indem er die einzelnen Silben weit auseinander dehnte. „Der also ist der Vater Jaguar! Der!“

„So kennst du ihn?“

„Und ob ich ihn kenne! Also so lange Jahre habe ich mich gesehnt, den Vater Jaguar zu sehen, und der Zufall, oder vielmehr mein gutes Glück hat mir diesen Wunsch stets versagt. Und nun ich ihn sehe, glücklicherweise ohne daß er mich sieht, muß ich erfahren, daß es dieser – dieser – dieser ist! Welch eine Neuigkeit! Welch eine Erfahrung, die ich da mache!“

Er flüsterte diese Worte abgebrochen, lang gedehnt und doch wie abwesend. Antonio Perillo konnte sich dieses Verhalten seines Gefährten nicht erklären; darum fragte er:

„Was ist’s denn mit dir? Wie redest du? Wer ist er denn?“

„Wer er ist, das will ich dir sagen; du kennst ja die Geschichte. Dieser Mann wurde bei den nordamerikanischen Indianern Metana Mu genannt.“

„Dieses Wort verstehe ich nicht.“

„Die englisch sprechenden Jäger, nennen ihn Lightning-hand.“

„Auch Englisch verstehe ich nicht.“

„So sollst du hören, daß er bei den spanisch redenden Mexikanern El Mano relampagueando hieß.“

„Wie? Was? Ist das möglich?“ fragte Perillo betroffen. „So ist er also der Bruder jenes – jenes – – den du damals – –?“

„Ja, ja, jenes – – jenes – – den ich damals – –! Dieser Lightning-hand befindet sich schon so lange hier unter dem Namen des Vater Jaguar. Er ist also gleich darauf nach Argentinien gekommen. Er hat meine Fährte entdeckt und ist mir gefolgt, um den Tod seines Bruders zu rächen, hat mich aber nie getroffen, ebenso aus Zufall, wie ich ihn auch nie gesehen habe.“

„So ist es; ja, so ist es; anders kann es nicht sein. Nimm dich in acht!“

„Das werde ich. Nun ich die große Gefahr kenne, in welcher ich so lange geschwebt habe, ohne es zu ahnen, werde ich ihr in meiner Weise begegnen. Er sucht mich und hat mich nicht gefunden; ich aber habe ihn gefunden, ohne ihn zu suchen. Er wird mir nicht entkommen.“

„Du willst ihn – – – ?“

„Ja.“

„Gerade wie seinen Bruder?“

„Geradeso! Oder meinst du etwa, daß ich ihn leben lassen soll, um ihm in die Hände zu laufen? Übrigens was thut er hier bei diesem Bankier Salido, bei dem der kleine Rote wohnt, der sich wie ein Gaucho kleidet, ohne einer zu sein?“

„Das ist allerdings ein Umstand, welcher auch mir auffällt.“

„Sollten beide befreundet sein? Dieser Zwerg und dieser Riese? Sie müssen beide verschwinden. Willst du mir helfen?“

„Frage nicht erst! Es versteht sich ganz von selbst, daß meine Hand, mein Messer und meine Kugel dir gehören. Wir sind verwandt und haben gleiche Interessen.“

„So müssen wir zunächst erfahren, wo dieser Vater Jaguar wohnt. Horch!“

Der Gerichtsbeamte entfernte sich zuerst. Er wiederholte zu Perillos Freude mit lauter Stimme, daß dieser unschuldig sei. Dann ging, nachdem er mit dem Bankier noch einige höfliche Worte gewechselt hatte, auch der Vater Jaguar mit seinen drei Gefährten.

„Jetzt ihm nach!“ flüsterte der Kamerad Perillos. „Wir müssen unbedingt erfahren, wo er sich aufhält. Lassen wir ihn also ja nicht aus den Augen!“ –

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