Bruder Jaguar

Was ich gehört hatte, erfüllte mich mit Erstaunen. Woher hatte der seltsame Mann, in dem ich wohl das Mitglied einer Missionsgesellschaft zu verehren hatte, diesen Namen? Womit hatte er ihn verdient? Der Jaguar ist das gefürchtetste Raubtier Süd- und Mittelamerikas. Wenn ein Mann Gottes aus dem Munde des Volkes einen solchen Namen erhält, so müssen Gründe dazu vorhanden sein. Jaguar! Wie harmonierte dieses Wort mit der Sanftmut und Milde, welche sein bleiches, bartloses Gesicht so anziehend machte! Ich ahnte, daß ich da vor einem hochinteressanten Geheimnisse stand.

Die Art und Weise, in welcher er mit den Kavalleristen sprach, hatte etwas so Furchtloses, Selbstbewußtes, ja Kriegerisches. Und als er sich zu mir herumgedreht hatte, war ein so eigentümliches Leuchten in seinen Augen gewesen, als ob er sich zutraue, den stärksten und gefährlichsten Feind zu bezwingen. Er wendete sich wieder an das Guckloch und rief:

„Wartet hier! In einer halben Stunde werde ich euch Bescheid sagen. Aber wer nur einen feindseligen Griff wagt, der hat es mit Bruder Jaguar zu thun. Bedenkt das!“

Jetzt verschloß er das Guckloch. Ich war gleich anfangs vom Pferde gestiegen und hatte bis jetzt nicht aufgehört, dasselbe zu liebkosen und zu streicheln, weil es seine Schuldigkeit gethan hatte.

Der Bruder sah das. Er reichte mir die Hand und sagte:

„Ich heiße Sie willkommen, Sennor. Sie halten Ihr Pferd gut. Das ist hier eine große Seltenheit, und ich bin überzeugt, daß Sie ein guter Mensch sind. Kommen Sie herein in die Stube!“

Er öffnete eine schmale Thüre, durch welche wir in den Wohnraum traten, der höher war, als man es gewöhnlich in Ranchos findet, und eine Bretterdecke hatte. Die Glasfenster zeigten keinen einzigen Flecken, und die einfachen Tische und Stühle waren ebenso wie die Diele blitzblank gescheuert. Das mutete einen so heimatlich an. Neben der Thüre hing ein Weihwassergefäß, was ich während dieser Tage noch nirgend anderswo gesehen hatte, obgleich die Staatsreligion der Banda oriental die katholische ist. Gegenüber hing der Spiegel und zu beiden Seiten von ihm die Mater dolorosa und der Erlöser mit der Dornenkrone in nicht üblem Oelfarbendruck. In der Ecke stand ein großer Kachelofen und hinter demselben, in dem Raume, welchen man in einigen Gegenden Deutschlands die Hölle nennt, ein altes, mit Leder bezogenes Sofa. Es war mir ganz so, als ob ich mich in einer thüringischen oder bayerischen Bauernstube befände. Und ebenso wie die Wohnung heimelten mich auch die Besitzer an. Die Frau, welche mich so herzlich bewillkommnet hatte, mochte an die vierzig Jahre alt sein; ihr Mann vielleicht zehn Jahre älter. Beide trugen sich heimatlich gekleidet, ungefähr wie die Leute im Fichtelgebirge. Die Frau hatte offene, lebhafte Gesichtszüge, in denen aber ein Zug der Trauer lag. Der Mann war von behäbigem Aussehen, wie einer, welcher von sich sagen kann: Ich bin kein reicher Mann, aber was ich brauche, das habe ich, und sogar alle Wochen zwei Groschen mehr. Das andere Frauenzimmer, welches mit vor dem Thore gestanden hatte, war eine Dienstperson indianischer Abstammung. Sie war nicht mit in der Stube geblieben, sondern durch eine zweite Thüre gegangen. Das Klirren von Tellern und dergleichen verriet mir, daß dort die Küche liege.

So waren wir zu vier Personen. Während Wirt und Wirtin die Stühle an den Tisch schoben, sagte der Frater:

„Meinen Namen kennen Sie, Sennor. Ich muß Ihnen denjenigen unseres Ranchero sagen, damit Sie wissen, bei wem Sie sich befinden. Sie sind nämlich bei zwei Landsleuten, bei Sennor und Sennora Bürgli.“

„Ah, Sie stammen aus der Schweiz?“ fragte ich den Ranchero. „Ihr Name läßt es erraten.“

„Sie vermuten das richtige.“

„Und Sennora ist auch eine Schweizerin?“ Ich sprach spanisch, da ich nicht erwarten konnte, daß der Frater deutsch verstehe.

„Nein. Sie ist eine Thüringerin aus der Gegend von Arnstadt,“ lautete die Antwort.

„Das habe ich mir nicht gedacht. Ein Schweizer ist hier in der Banda oriental keine Seltenheit, aber daß ich hier am Rio Negro eine Thüringerin treffen würde, das konnte ich nicht erwarten, noch dazu eine Thüringerin, welche mir das Leben rettet!“

„O, so schlimm wird es nicht gewesen sein, Sennor!“ meinte sie.

„Doch! Hätten die Bolas mein Pferd gelähmt, so wäre ich verloren gewesen. Man hätte mich erschossen.“

„Wegen Landesverrates?“

„Ja, und wegen Mordes. Zufälligerweise aber war ich derjenige, welcher ermordet werden sollte.“

„Zürnen Sie mir, wenn ich Sie bitte, uns Ihre Erlebnisse mitzuteilen?“

„O nein. Sie haben ein Recht, es zu erfahren.“

Ich erzählte, was ich in den wenigen Tagen erlebt hatte, von dem Augenblicke an, an welchem ich vom Schiff gegangen war, bis jetzt. Sie waren sehr aufmerksame Zuhörer. Als ich geendet hatte, sagte der Bruder:

„Eigentümlich! Es hat nicht ein jeder das Glück oder das Unglück, in so kurzer Zeit so viel zu erleben wie Sie, Sennor. Sie befinden sich wirklich in Lebensgefahr.“

„Wüßte ich nur, wer mir diese wütenden Bolamänner auf den Hals geschickt hat!“

„Vielleicht erfahren wir es noch.“

„Ich habe Rixio im Verdacht.“

„Ich auch. Uebrigens kann es Ihnen, da Sie so schnell weiter und sich hier nicht verweilen wollen, eigentlich gleichgültig sein, wem Sie diese gefährliche Belästigung zu verdanken haben. Die Hauptsache ist, daß Sie von derselben erlöst werden.“

„Das wird schwer fallen.“

„Ich hoffe, daß es mir gelingen wird.“

„Und ich denke, daß sie draußen warten werden, bis ich den Rancho verlasse.“

„So bleiben Sie hier, bis ihnen die Geduld ausgegangen ist!“

„Das wäre schön!“ stimmte die Sennora bei. „Sie würden dadurch bei uns eine große Freude anrichten, trotzdem wir jetzt eine große Trauer im Hause haben.“

„Ja, den Sterbenden?“ fragte ich.

Ihre Miene verdüsterte sich.

„Es ist ein Oheim von mir,“ sagte sie leiser. „Hören Sie ihn nicht draußen in der andern Stube?“

Ich hatte wohl mehreremal ein unterdrücktes Aechzen und Stöhnen gehört, aber nicht darauf geachtet.

„Ist er sehr krank?“ fragte ich.

„An Leib und Seele,“ antwortete sie. „Leiblich kann er nicht genesen; es sind ihm wohl nur noch wenige Tage beschieden, vielleicht nur Stunden. Und doch ist die andere Krankheit noch schlimmer, denn er will den Arzt nicht zu sich lassen und von keiner Arznei etwas wissen.“

„Das ist freilich traurig. Ist er vielleicht ohne Glauben?“

„Das eigentlich nicht. Aber es scheint ihn etwas schwer zu drücken, irgend eine Schuld oder sonst eine Last, welche er vor seinem Tode von sich abwälzen möchte, ohne doch den Mut dazu zu haben. Er hat sich viel im Westen, im Gebirge umhergetrieben. Womit er sich da beschäftigte, wissen wir nicht genau. Er sagt, daß er nach vorsündflutlichen Tieren grabe. Dabei hat er sich ein kleines Vermögen gesammelt, mit welchem er für uns diesen Rancho kaufte. Er befindet sich fast das ganze Jahr in den Cordilleren und kommt nur hie und da einmal auf einige Wochen, um sich auszuruhen. Als er jetzt kam, es ist vor fast zwei Monaten, erschraken wir über sein Aussehen. Er glich einer Leiche. Von da an hat er seine Stube nicht mehr verlassen und ist wie das Abbild des Todes. Er weiß genau, daß er sterben muß.“

„So geben Sie sich alle Mühe, ihn dahin zu bringen, daß er sein Herz erleichtere! Es hängt die Seligkeit daran!“

„Sie haben recht, Sennor,“ sagte der Bruder, indem er mir die Hand drückte. Er hielt inne, denn draußen vor dem Thore erhob sich ein wahrer Heidenskandal. Der Ranchero griff zu seinem Gewehre, welches an der Wand hing, aber der Frater sagte:

„Lassen Sie, Sennor Bürgli! Waffen werden wohl nicht nötig sein. Ich glaube, diese Leute bändigen zu können. Aber Sie können mit herauskommen.“

Wir gingen in den Hof, in welchem mein Pferd sich nicht mehr befand. Ein Peon hatte es nach der andern Seite des Hauses geführt, wo die auch von Kaktusgehegen eingeschlossene Pferdeweide sich befand. Sie war von außen ebenso unzugänglich, wie der für die Rinder bestimmte Platz, welcher vorhin erwähnt wurde. Man schlug gegen die Thüre, und zehn, zwanzig Stimmen brüllten um Einlaß. Der Bruder öffnete das Guckloch abermals; es wurde still, und ich hörte den Major wieder reden:

„Zum Teufel, wie lange sollen wir warten! Es ist viel mehr als eine halbe Stunde vergangen!“

„So reitet weiter, wenn ihr keine Zeit zum Warten habt!“

„Wir werden reiten, aber ohne den Deutschen nicht! Gebt ihn heraus!“

„Das thun wir nicht.“

„Mann Gottes, bekümmere dich nicht um irdische Dinge! Ich befinde mich auf dem Wege nach meiner Garnison. Ich werde dort erwartet und muß Sie allen Ernstes ersuchen, uns hier nicht aufzuhalten.“

„Kein Mensch hält euch auf, Sennor. Reitet fort, so schnell ihr könnt! Ihr thut uns und vielen andern damit einen großen Gefallen!“

„Ohne den Deutschen nicht!“

„Den bekommt ihr nicht. Er befindet sich unter meinem ganz speziellen Schutz!“

„Ich frage nicht nach diesem Schutz und erkenne ihn auch nicht an,“ fuhr der Major fort. „Ich gebe Ihnen noch fünf Minuten Zeit. Ist bis dahin der Deutsche nicht ausgeliefert, so werdet Ihr sehen, daß wir uns ihn holen!“

„Ihr würdet nur in Euer Verderben rennen, Sennor!“

„Oho! Glaubt Ihr, daß er so sicher bei Euch ist, weil Sie ein Bruder sind? Das bilden Sie sich nicht ein. Ihre Amtswürde ist uns sehr gleichgültig. Wenn Sie uns widerstreben, so machen wir Sie ebenso nieder, wie jeden andern!“

„So machen Sie Ernst! Versuchen Sie es! Ich will Ihnen die Gelegenheit dazu geben.“

Er verschloß das Loch und griff nach den Riegeln. Die beiden schweren Balken flogen zurück, als ob sie Bleistifte seien. Der Frater mußte wahre Riesenkräfte besitzen. Dann öffnete er die beiden Flügel des Thores, so weit es möglich war. Wir konnten hinaussehen und die Kavalleristen herein. Wir sahen sie und sie uns.

„Dort steht der Hund, der mir den Säbel zerbrochen hat!“ rief der Major. „Drauf, Leute!“

Er war ein ganz anderer geworden. Als ich sein Gefangener war, hatte er mich mit wirklicher Höflichkeit behandelt. Jetzt aber war er rücksichtslos. Er hatte seine Pistolen wieder gefunden. In jede Hand eine nehmend, schritt er auf den Frater zu. Seine Leute folgten ihm zögernd. Der Bruder stand mitten in der Thoröffnung, hoch aufgerichtet und stolz.

„Zurück!“ gebot er.

Die Bolamänner blieben stehen; der Major aber gehorchte nicht; er schritt weiter.

„Zurück, oder – –!“ wiederholte der Bruder, indem er den Arm gebieterisch erhob. Jetzt hielt auch der Offizier den Schritt an. Ich konnte das Gesicht des Bruders nicht sehen; es mußte in demselben ein Ausdruck liegen, welcher dem Major imponierte. Er getraute sich nicht, an ihm vorüberzugehen, doch rief er in zornigem Tone:

„Nun gut, ich will nicht ohne Erlaubnis ein fremdes Haus betreten. Da Sie mir aber den Deutschen nicht ausliefern wollen, so mag die Sache schnell zu Ende gehen. Die Exekution mag gleich jetzt und hier stattfinden.“

Er erhob den Arm, um mit der Pistole auf mich zu zielen.

„Halt! Nieder mit der Waffe!“ donnerte der Frater ihn an.

Der Major erschrak wirklich vor dieser Stimme. Er ließ den Arm sinken, schien sich aber doch zu schämen, denn er richtete die Waffe von neuem auf mich und sagte:

„Pah! Ich lasse mir nichts befehlen, am allerwenigsten von einem Mönche. Dieser Deutsche soll zur Hölle fah – –“

Er kam nicht weiter, denn in demselben Augenblicke hatte er keine Pistole mehr. Der Bruder hatte sie ihm blitzschnell aus den Händen gerissen und warf sie in den Hof herein. Dann packte er den Major an beiden Armen, drückte sie ihm fest an den Leib, hob ihn empor und trug ihn wie eine Puppe herein. Neben der Thüre stand eine aus gestampfter Erde bestehende Bank. Auf diese steifte er den Offizier auf und fuhr ihn an:

„Hier bleibst du sitzen, Mann! Sobald du aufstehst, spreche ich noch anders mit dir!“

Er kehrte an das Thor zurück, machte es zu und schob die beiden Riegel vor, ohne daß einer der Kavalleristen es gewagt hätte, ihn daran zu hindern. Der Major saß gehorsam und bewegungslos da wie ein Kind. Jetzt hatte ich gesehen, worin die Macht des Fraters lag, nämlich in seinen Augen. Diese hatten einen Glanz angenommen und einen Blick gehabt, welche beide ganz unbeschreiblich waren. Der rätselhafte Mann trat jetzt wieder an die Bank heran und sagte, indem er die Arme über der Brust kreuzte:

„So, jetzt haben Sie Ihren Willen, Sennor. Sie haben Einlaß erhalten und sehen den, dessen Auslieferung Sie verlangen, neben mir stehen. Sagen Sie mir, was Sie mir zu sagen haben, denn ich habe nicht Zeit, lange mit Ihnen zu verhandeln!“

„Das geht mich nichts an!“ knurrte der Major grimmig. „Ich bleibe hier im Rancho, so lange es mir gefällt.“

„Oder vielmehr, so lange es mir gefällt! Denn wenn ich Sie nicht mehr hier sehen will, so werfe ich Sie über die Mauer hinaus. Sehen Sie, ungefähr so!“

Er faßte ihn an den beiden Hüften, hob ihn empor und schwenkte ihn hin und her, daß der Mann voller Angst schrie:

Dios mio! Wollen Sie mich denn schon jetzt hinauswerfen, Sennor? Da gehe ich doch lieber selber!“

„Wenn Sie das thun wollen, so beeile ich mich, Ihnen zu erklären, daß Sie weder bleiben können, so lange es Ihnen beliebt, noch gehen dürfen, sobald es Ihnen paßt. Seit ich Sie hierher auf diese Bank gesetzt habe, besitzen Sie keinen freien Willen mehr, da Sie unser Gefangener sind.“

Der Major starrte ihn erschrocken an, dann fuhr er von der Bank auf und rief:

„Was fällt Ihnen ein, mich für Ihren Gefangenen zu erklären! Welches Recht haben Sie dazu?“

„Dasselbe Recht, welches Sie hatten, diesen deutschen Sennor und seinen Gefährten gefangen zu nehmen, nämlich das Recht des Stärkeren. Ich füge hinzu, daß unser Recht eine weit bessere Begründung hat als das Ihrige. Die beiden Sennores hatten Ihnen gar nichts gethan, als Sie sich derselben bemächtigten; Sie aber hatten uns mit Ihren Pistolen und sogar mit Einäscherung dieses Rancho bedroht, bevor ich Sie gefangen nahm.“

„Sennor, ich bin Major und werde nächstens Oberst sein!“

„Das ist mir völlig gleichgültig. Sie haben Ihre Uniform und Ihren Rang befleckt. Sie haben Privatpersonen ergriffen und eine derselben hinrichten wollen; Sie sind also Polizist und Henker in einer Person gewesen. Wenn Sie glauben, dies mit Ihrer militärischen Würde vereinbaren zu können, so muß ich dagegen andrer Meinung sein. Uebrigens flößt mir diese Würde nicht den geringsten Respekt ein, da Ihnen Ihr Säbel zerbrochen worden ist, was ja bekanntlich für die größte Beleidigung gilt, welche einem Offizier widerfahren kann.“

„Sennor!“ brauste der Major auf, indem er die Hand ballte.

„Still! Mäßigen Sie sich, und setzen Sie sich gefälligst nieder! Sie dürfen nur dann, wenn ich Ihnen die Erlaubnis dazu erteile, sich von Ihrem Platze erheben, denn Sie haben keinen Willen mehr.“

Er drückte ihn wieder auf den Sitz nieder. Der Major wußte sichtlich nicht, ob er sich zornig oder nachgebend verhalten solle. Das erstere wäre unklug und das letztere gegen seine Ehre gewesen. Er machte überhaupt ganz und gar nicht den Eindruck eines schneidigen Kavallerieoffiziers. Seine Beinkleider waren bis zum Sitze durchnäßt, und an dem Fracke fehlte das große Stück, welches ich ihm losgerissen hatte.

„Aber was haben Sie denn mit mir vor?“ fragte er.

„Wir werden Sie wegen Bedrohung des Lebens eines Mitmenschen und ebenso wegen Bedrohung mit Brandstiftung zu einer diesen Verbrechen entsprechenden Strafe verurteilen.“

„Donnerwetter! Sie – mich?“

„Jawohl. Nebenbei gesagt, bitte ich Sie, ähnliche Wörter und Flüche, wie ich jetzt hörte, zu unterlassen! Sie sind das mir schuldig.“

„Aber was fällt Ihnen ein! Sie wollen sich zum Richter über mich setzen?“

„Gewiß! Warum etwa nicht?“

„Sie haben doch nicht das geringste Recht dazu!“

„Ich habe dazu wenigstens ganz dasselbe Recht, welches Sie sich anmaßten, als Sie heute ein Kriegsgericht konstituierten. Ich kenne die Rechtsverhältnisse dieses Landes und weiß sehr genau, daß Sie sich einen Uebergriff erlaubten. Ja, dieser Uebergriff war eigentlich eine Anmaßung, eine Gewaltthätigkeit, für welche Sie hart bestraft werden, falls die beiden Betreffenden Anzeige erstatten.“

„Sennor, vergessen Sie ja nicht, mit wem Sie reden! Ich habe Ihnen meinen Namen und Grad genannt!“

„Ich sage Ihnen aufrichtig, daß ich Ihnen keinen Glauben schenke.“

„Donnerw – – wollte sagen, ja, was wollte ich sagen? Was ich da hörte, das ist so stark, daß ich mich fragen möchte, ob ich es wirklich gehört habe!“

„So will ich es wiederholen: Ich glaube nicht, daß Sie derjenige sind, für den Sie sich ausgeben.“

„Sennor, wissen Sie, welch eine Beleidigung Sie da ausgesprochen haben?“

„Sehr wahrscheinlich ist es gar keine Beleidigung. Die Armee der Banda oriental zählt nicht nach Hunderttausenden. Sie ist nicht so stark, daß man die Zahl und Namen ihrer Stabsoffiziere nicht zu übersehen vermöchte. Ich rühme mich, die Namen sämtlicher dieser Herren zu kennen; ein Major Cadera aber ist nicht dabei.“

„So sind Sie ungenügend unterrichtet!“

„Bitte, wenn ich mich einmal unterweisen lasse, so pflege ich das genügend zu thun. Wohl aber kenne ich einen Sennor Namens Enrico Cadera. Er ist ein argentinischer Parteigänger, von welchem mir erzählt wurde, daß er jetzt zu irgend einem noch unaufgeklärten Zwecke Truppen sammle. Er rekrutiert an den Ufern des Uruguayflusses und soll es sogar einigemale gewagt haben, das diesseitige Gebiet zu betreten. Sonderbarerweise haben dann allemal die Herdenbesitzer derjenigen Gegenden, welche er mit seinem Besuche beehrte, beträchtliche Verluste an Pferden erlitten, welche ihnen fortgetrieben worden sind.“

Es war ein etwas ängstlicher Blick, welchen der Major auf den Frater warf, als er sagte:

„Von diesem Manne habe ich noch nichts vernommen. Ich kenne ihn nicht.“

„Wie? Sie als Major sollten von einem solchen Parteigänger nichts gehört haben? Das wäre erstaunlich. Sind Sie wirklich Stabsoffizier, so müssen Sie unbedingt benachrichtigt worden sein, daß wegen dieses Enrico Cadera ein Truppenkommando an den Uruguay gesandt worden ist, um derartige Uebergriffe zurückzuweisen. Mein Zweifel an Ihrer Identität wird also immer größer. Ueberdies befürchte ich, Sie werden von der Veröffentlichung Ihrer heutigen Heldenthaten wenig Ruhm haben.“

„Desto größer wird die Strafe sein, welche man Ihnen diktieren wird! Es versteht sich ja ganz von selbst, daß ich Sie vor den Strafrichter bringe!“

„Dazu werde ich Ihnen behilflich sein. Ich bin entschlossen, einen Boten nach Mercedes zu senden, welcher die dort stehenden Truppen herbeiholt, damit ich von denselben arretiert werden kann. Da dies für Sie eine Genugthuung sein wird, welche ich Ihnen aufrichtig gönne, so werde ich Sie, wenn nötig mit Gewalt, veranlassen, bis zur Ankunft dieser Leute hier zu bleiben.“

Dem Major kam die Selbstbeherrschung abhanden. Man sah, daß er erschrak.

„Alle Teufel! Das werden Sie bleiben lassen!“ rief er aus.

„Glauben etwa Sie, mich zwingen zu können, diesen meinen Vorsatz aufzugeben?“

„Ja. Nötigenfalls werden meine Leute diesen Rancho mit Gewalt stürmen, um mich zu befreien!“

„Sie wollen Gewalt anwenden, um von hier fortzukommen? Sie fürchten also die Ankunft unseres Militärs? Damit liefern Sie den unumstößlichen Beweis, daß meine vorhin ausgesprochene Vermutung richtig ist. Sie sind der Anführer von Freibeutern, deren Treiben ungesetzlich ist. Kommen Sie mit herein in die Stube! Ich werde sofort einen Boten absenden, und Sie haben die Güte, bis zur Rückkehr desselben hier zu verweilen.“

„Was muten Sie mir zu! Ich werde Ihnen zeigen, was ich zu thun beabsichtige oder nicht, und zwar gleich!“

Er schnellte von seinem Sitze auf und sprang nach der Stelle, an welcher seine beiden Pistolen lagen, welche der Bruder hereingeworfen hatte. Ich war darauf gefaßt gewesen, that einen Sprung, kam ihm zuvor und schleuderte ihn zurück, so daß er mit einem lauten Schlage auf die Bank flog. Das brachte ihn außer sich. Er fuhr schnell wieder auf, stieß einen grimmigen Fluch aus und wollte sich auf mich werfen. Aber der Frater faßte ihn wie vorher an den Armen, drückte ihm dieselben an den Leib und steifte ihn abermals auf die Bank zurück.

„Sie sehen, daß Sie nichts vermögen,“ sagte er. „Ergeben Sie sich also in die gegenwärtige Lage! Widerstand ist vergeblich. Sie haben es nicht mit Leuten zu thun, welche sich vor einem Freibeuter fürchten. Sie werden die Früchte Ihrer heutigen Thaten ernten, Sie und Ihre Leute, denn auch dieser werden wir uns versichern.“

Wie wollen Sie das anfangen?“ fragte der Major kleinlaut-höhnisch.

„Ich will es Ihnen sagen. Sie schließen wir ein, und dann locken wir Ihre Leute herein in den Hof und lassen unsere Toros und Novillos zu ihnen, welche sich da hinter diesem zweiten Thore befinden. Ich bin überzeugt, daß Ihre tapferen Guerilleros diesen Tieren gegenüber ganz andere Gesichter machen, als heute früh, wo es sich um zwei ungefährliche Männer handelte.“

Toro ist ein alter, heimtückischer Stier, welcher leicht auf den Mann geht. Novillos werden die jungen, wilden Ochsen genannt, welche sich der Zähmung widersetzen. Beide Arten sind höchst gefährlich, denn ist ein solches Tier einmal in Wut geraten, was bei der geringsten Veranlassung geschehen kann, dann ruht es nicht eher, als bis der Feind ihm aus den Augen gekommen oder vernichtet ist. Die Drohung des Bruders verfehlte deshalb ihren Eindruck nicht, zumal er hinzufügte:

„Oder glauben Sie, daß Ihre Leute meiner Einladung nicht folgen werden? Dann giebt es ein anderes Mittel. Sie sind von den Pferden gestiegen und also nicht zu einer augenblicklichen Flucht vorbereitet. Ich brauche nur das vordere und dieses zum Ochsenplatze führende Thor zu öffnen, so stürmen die Stiere hinaus. Sie kennen das und werden zugeben, daß Ihre Leute dann sicher verloren sind. Soll ich es Ihnen etwa gleich jetzt beweisen, Herr Major?“

Er that, als ob er zum Thore gehen wolle.

„Um Gottes willen!“ rief Cadera erschrocken. „Die Bestien würden sich ja zuerst auf uns werfen!“

„Allerdings. Aber den Ranchero und mich kennen sie; wir würden uns vor den deutschen Sennor stellen, und Sie würden es also allein sein, den sie auf ihre Hörner spießten. Es ist gar nicht scherzhaft gemeint, Sennor! Sie befinden sich in großer Gefahr. Sie haben nichts zu erwarten, als das Militär aus Mercedes und obendrein die wilden Stiere. Wir wissen sehr genau, wie man mit fremden Freibeutern umzugehen hat; das sehen Sie nun wohl ein.“

„Ich mag mit Ihnen nichts mehr zu thun haben und verlange, daß Sie mich hinaus lassen!“

„Hm! Dieses Verlangen ist sehr leicht erklärlich, und ich bin vielleicht bereit, Ihren Wunsch zu erfüllen, stelle aber die Bedingung, Sie gegen Ihren Gefangenen auszuwechseln.“

„Darauf lasse ich mich nicht ein! Sie müssen mich hinaus lassen. Sie haben kein Recht, mich hier zurückzuhalten!“

„Und Sie haben noch weniger Recht, sich des Sennor Monteso zu bemächtigen. Streiten wir nicht. Diese Differenz wird sofort ausgeglichen werden, wenn die Truppen aus Mercedes kommen. Sennor Bürgli, haben Sie einen sicheren Mann und ein schnelles Pferd?“

„Beides ist vorhanden,“ antwortete der Ranchero, welcher sich bisher nur mit den Augen und Ohren an der Scene beteiligt hatte.

„Lassen Sie augenblicklich satteln und bringen Sie den Mann zu mir. Ich werde ihm einige Zeilen mitgeben. Die Freischärler halten vorn am Thore; er mag also hinten durch die Oeffnung der Hürde reiten. Da sehen sie ihn nicht.“

Bürgli wollte in das Haus treten. Da aber rief der Major:

„Halt! Noch ein Wort! Ich habe die Truppen aus Mercedes nicht zu fürchten, denn sie sind meine Kameraden. Aber ich wäre blamiert, mich von ihnen in der gegenwärtigen Lage finden zu lassen. Ich gehe also auf Ihre Bedingung ein und liefere Monteso aus. Lassen Sie mich hinaus, so werde ich Ihnen den Mann hereinschicken.“

Der Frater schüttelte lächelnd den Kopf und antwortete:

„In dieser Weise möchte ich die Sache nicht beilegen, Sennor. Ich öffne das Thor, so daß Sie von den Ihrigen gesehen werden und mit ihnen sprechen können. Sie geben ihnen den Befehl, den Yerbatero frei zu lassen. Sobald er zum Thore hereinkommt, dürfen Sie zu demselben hinaus. Dadurch wird jede Unehrlichkeit von Ihrer oder unsrer Seite ausgeschlossen. Ich denke, Sie gehen auf diesen Vorschlag ein?“

„Ich bin bereit dazu.“

„Gut! Aber ich verlange von Ihnen Ihr Ehrenwort, daß Sie sich dann sofort mit Ihren Leuten entfernen und jeden Versuch unterlassen, uns zu schaden. Unter diesem Wörtchen uns verstehe ich die Bewohner dieses Rancho, die beiden Sennores, welche Ihre Gefangenen waren, und auch mich. Ich fordere also, daß Sie einen Eid darauf ablegen. Sind Sie bereit dazu?“

Er gab diese Zusage nur sehr widerstrebend; das war ihm anzusehen, aber er hatte keinen freien Willen mehr.

„Nun, so will ich öffnen,“ erklärte der Frater.

Er ging zum Thore, schob die Riegel zurück und machte beide Flügel auf. Mitten im Eingange blieb er stehen. Die Bolamänner waren abgestiegen und hielten in kurzer Entfernung von ihm. Monteso wurde von ihnen eingeschlossen und war an den Händen gebunden. Ich stand neben dem Major und hielt ihn scharf im Auge. Er hatte nun den betreffenden Befehl zu erteilen. Sein Auge sah das Thor offen; die Freiheit lag vor ihm; es schien ihm leicht zu sein, uns zu entkommen, ohne sein Versprechen zu halten; er schnellte plötzlich vorwärts, dem Ausgange zu. Aber er kam nicht weit. Ich sprang ihm nach und faßte ihn am Arme. Er versuchte sich loszureißen, doch vergeblich.

„Herbei, herein!“ schrie er seinen Leuten zu. „Zu Hilfe!“

Ich schleuderte ihn zu Boden und hielt ihn dort fest. Mehrere der Bolamänner wollten seinem Rufe folgen; aber der Frater rief ihnen zu:

„Ihr bleibt draußen! Wer wagt es, meinem Befehle entgegen zu handeln?“

Sie wichen zurück. Er allein hielt fünfzig Männer in Schranken. Es war, als ob sein Blick lähmend auf sie wirkte.

„Verräter, Lügner!“ wendete er sich an den Major. „Sie wollen Offizier sein und besitzen doch so wenig Ehrgefühl, daß Sie ein gegebenes Wort nicht achten. Ich sollte Sie dafür züchtigen, will es aber nicht thun, sondern auch jetzt noch unser Uebereinkommen festhalten. Geben Sie Sennor Monteso frei, so lassen wir Sie hinaus. Entschließen Sie sich schnell! Wollen Sie?“

„Ja,“ knirschte er. „Laßt mich nur auf!“

„Nein!“ antwortete ich, ihm auf der Brust knieend. „Erst geben Sie den Befehl!“

„Nun denn, laßt den Kerl herein!“

Er mußte dieses Gebot wiederholen, bevor es befolgt wurde. Montesos Fessel wurde gelöst, und er kam in den Hof.

„Nun aber will ich fort!“ rief der Major. „Ich habe Ihre Bedingungen erfüllt. Lassen Sie mich also frei!“

„Ich werde es thun, sobald Sie jetzt in aller Form Ihr Ehrenwort wiederholen, sich mit den Ihrigen sofort zu entfernen und allen Feindseligkeiten gegen uns zu entsagen.“

„Ich gebe es ja! Wir werden diese Gegend augenblicklich verlassen und nichts gegen Sie unternehmen.“

„Gut! Und das Pferd des Yerbatero verlange ich auch.“

„Nehmen Sie es sich! Aber schnell, damit ich endlich loskomme!“

Monteso holte es sich selbst, und nun erst ließ ich die Hände von dem Major, welcher schnell aufsprang und zum Thore hinaus rannte. Draußen stieg er, ohne ein Wort zu sagen, auf und ritt mit seinen Leuten davon. Der Frater war so vorsichtig, ihnen einen Gaucho von weitem nachzusenden, welcher aufzupassen hatte, daß sie sich auch wirklich entfernten und uns nicht etwa für unsere Rückkehr nach der Estanzia del Yerbatero einen Hinterhalt legten. Er meldete uns später, daß sie über den Fluß gegangen seien, ein sicheres Zeichen, daß sie nicht die Absicht hatten, sich weiter mit uns zu beschäftigen.

Die Ranchera hatte von der Wohnstube aus den Vorgang nicht ohne Angst betrachtet, dabei aber doch Zeit gefunden, der Dienerin zu helfen, den Tisch mit den Erzeugnissen der Küche zu schmücken. Als wir hinein kamen, wurden wir aufgefordert, tüchtig zuzulangen, was wir auch thaten. Dabei war natürlich das Ereignis der Gegenstand des Gespräches. Monteso war am meisten ergrimmt und erzählte während des Essens, auf welche Weise er entkommen war. Das ihm von mir zugeworfene Messer hatte ihn gerettet, aber die Verfolger waren zu schnell hinter ihm gewesen. Er hatte zwar das Pferd zum schnellsten Laufe angespornt, aber es war jenseits der Bergeshöhe mit dem Fuße in einen Kaninchenbau geraten und gestürzt und er selbst war dadurch aus dem Sattel geschleudert worden. Um dem Pferde aufzuhelfen und wieder aufzusteigen, hatte er so viel Zeit gebraucht, daß ihm die Verfolger gefährlich nahe gekommen waren. Sie hatten sich geteilt, um ihn von rechts und links zu nehmen. Das hatte die Krisis auf kurze Zeit verzögert, so daß er noch eine bedeutende Strecke vorwärts gekommen war. Endlich hatten sie mit Bolas nach seinem Pferde geworfen und dasselbe zu Fall gebracht. Er war zwar gesonnen gewesen, sich zu wehren, hatte aber nur das Messer gehabt, während sie mit langen Lanzen bewaffnet gewesen waren, und da war er denn doch zu dem Entschluß gekommen, sich lieber zu ergeben. Auf der Rückkehr hatten sie mich erblickt und sofort Jagd auf mich gemacht.

„Aber,“ fragte ich den Frater, „warum veranlaßten Sie mich denn, hier in den Hof einzubiegen? Warum riefen Sie mir zu, daß ich ins Verderben reiten werde?“

„Weil sich Ihnen jenseits des Rancho ein Flüßchen in den Weg gelegt hätte, über welches Sie nicht gekommen wären. Es mündet dort in den Negro.“

„Nun, wenn ich über diesen letzteren gekommen bin, hätte ich wohl auch durch dieses Flüßchen reiten können.“

„O nein. Die Ufer desselben sind außerordentlich sumpfig. Sie wären stecken geblieben und Ihren Verfolgern in die Hände gefallen. Es gibt nur wenige schmale Stellen, welche passierbar sind, und diese kennen Sie ja nicht. Nun sind Sie doch gerettet.“

„Wenigstens einstweilen. Ich traue diesen Bolaleuten nicht. Ihr Anführer hat zwar sein Ehrenwort gegeben, daß er keine weitere Feindseligkeit unternehmen will, aber ich denke, er ist nicht der Mann, welchem man zutrauen kann, daß er sein Versprechen halten werde. Am liebsten möchte ich selbst einmal hinunter zum Flusse reiten, um mich zu überzeugen, daß sie in Wirklichkeit fort sind.“

„Das wäre nur Zeitverschwendung; bleiben Sie ruhig hier! Sie befinden sich von jetzt an in vollständiger Sicherheit. Diese Leute sehen sich verraten. Der Boden brennt ihnen unter den Füßen, und sie werden sich gewiß beeilen, schleunigst über den Uruguay zu kommen.“

„So halten Sie sie für Argentinier?“

„Ja. Sie sind herüber gekommen, um hier zu remontieren, das heißt, Pferde zu stehlen. Ich glaube nicht, daß ich mich irre. Nun müssen sie gewärtig sein, daß wir Militär aus Mercedes holen. Darum fordert die Sorge für ihre eigene Sicherheit, daß sie sich so schnell wie möglich aus dem Staube machen.“

Jetzt ließ sich in der Nebenstube ein Ruf vernehmen. Der Frater stand auf und ging hinaus. Als er nach einiger Zeit wiederkam, teilte er mir mit, daß der kranke Oheim mich zu sehen wünsche. Der Patient hatte gehört, daß Ungewöhnliches vorgegangen sei und darnach gefragt. Als er hörte, daß ein Deutscher da sei, hatte er dringend verlangt, mit demselben reden zu dürfen, da er, außer aus dem Munde seiner Verwandten, lange Zeit kein deutsches Wort gehört habe.

„Thun Sie ihm den Gefallen, Sennor!“ bat der Frater. „Der Aermste befindet sich fast unausgesetzt in einem Zustande tiefster Grübelei. Er leidet an seelischer Pein, und es ist mir bisher nicht gelungen, ihn von derselben zu befreien. Vielleicht ist es Ihnen möglich, erlösenden Eindruck auf ihn zu machen.“

„Setzen Sie nicht eine solche Hoffnung auf mich! Ich bin überzeugt, daß Sie enttäuscht sein werden.“

„O, ich stelle ja gar nicht das Verlangen an Sie, in der Weise eines geistlichen Beraters zu ihm zu sprechen. Ich habe aber erfahren, welchen Eindruck das unerwartete Zusammentreffen mit einem Landsmanne, zumal auf einen Kranken, zu machen vermag. Die Mitteilung, daß ein Deutscher sich hier befinde, erweckte ihn aus seiner Versunkenheit. Er hat nur noch kurze Zeit zu leben; ich befürchte sogar seine baldige Auflösung. Wenn der Tod anklopft, so öffnet sich selbst das verschlossenste Herz. Es kam mir ganz so vor, als ob es nicht bloß die Landsmannschaft sei, deretwegen er Sie sehen will.“

Es verstand sich ganz von selbst, daß ich den Wunsch des Kranken erfüllte. Ich begab mich in die Nebenstube. Diese stellte das vor, was man in einigen Gegenden Deutschlands die gute Stube zu nennen pflegt. Sie war besser möbliert als die vordere. Ich sah sogar ein Harmonium dastehen. Es hatte den ersten Gewinn bei einer zu einem mildthätigen Zwecke in Montevideo veranstalteten Lotterie gebildet. Der Ranchero war zufällig dort anwesend gewesen, hatte einige Lose genommen und das Instrument gewonnen. Nun stand es als Luxusmöbel da, denn niemand besaß hier die Fertigkeit, es zu spielen.

Der Landsmann ruhte in einem sauberen Bette. Die Augen lagen ihm tief in den Höhlen, und die Wangen waren eingefallen. Seine hohe Stirn lief in einen haarlosen, glänzenden Schädel aus, und die Lippen bogen sich tief in die zahnarme Mundöffnung ein. Dadurch erhielt das Gesicht das Aussehen eines Totenkopfes. Es war, als ob der Mann jetzt eben zum letztenmale atmen dürfe.

Als ich grüßte, antwortete er nicht sofort, und sein Blick richtete sich unruhig forschend auf mein Gesicht. Vielleicht glaubte er, zu finden, was er in demselben suchte, denn nun ich zu ihm an das Bett getreten war, streckte er mir die beiden skelettartigen Hände zum Gruße entgegen und sagte, indem sein Mund ein Lächeln versuchte:

„Willkommen, Herr! Sie kommen natürlich nur ungem zu einem Sterbenden. Aber ich möchte Sie nach etwas fragen. Wollen Sie mir genau so antworten, wie Sie denken?“

„Gewiß! Ich werde Ihnen eine wahrheitstreue Antwort erteilen. Sie dürfen sich darauf verlassen.“

„Ich bitte Sie herzlichst darum! Ihre Antwort ist für mich von der größten Wichtigkeit.“

Er sprach langsam und mehr hauchend als laut. Seine Brust ging mühsam und hoch. Ich stützte seinen Oberkörper mit den Kopfkissen, so daß er eine sitzende Stellung erhielt, was ihn zu erleichtern schien. Anstatt mir nun, der ich einen Stuhl für mich an das Bett gezogen hatte, seine Frage vorzulegen, betrachtete er mich abermals eine ganze Weile, als ob er mir ins tiefste Herz sehen wolle. Es lag wirklich der Ausdruck der Angst in seinem Blicke, so daß ich ein herzliches Mitleid für den Aermsten empfand.

„Sprechen Sie getrost,“ munterte ich ihn auf. „Ich will denken, ich sei Ihr bester Freund, und werde als solcher zu Ihnen sprechen.“

„Ja, ja, denken Sie so! Sie sollen mir ja den größten Freundschaftsdienst erweisen, den es geben kann, und ich will Vertrauen zu Ihnen haben.“

Er faltete die Hände und fuhr fort:

„Ich muß sterben, ich weiß es, ich fühle es. Ich soll fort, fort, fort, und doch hängt ein Gewicht an meiner Seele, durch welches sie mit Gewalt zurückgehalten wird. Sind Sie Freigeist oder gläubig?“

„Das letztere, eigentlich auch das erstere, denn ich hege die Ueberzeugung, daß der Geist des Menschen nur durch den Glauben frei zu werden vermag.“

„So sind Sie der richtige Mann für mich. Wie denken Sie über den Eid?“

Das war eine sonderbare Frage. Sollte ein Eid es sein, der ihn beschwerte? Sollte er ein heiliges, nicht zurücknehmbares Versprechen gegeben haben, welches ihn mit Angst vor dem Tode erfüllte? Ich antwortete nicht sogleich; dar-um fügte er hinzu:

„Sie verwerfen ihn wohl überhaupt?“

„Nein. Ein Eid ist ein heiliges Versprechen, bei welchem Gott als Zeuge angerufen wird. Wer ihn bricht, macht sich der Gotteslästerung schuldig.“

„So meinen Sie, daß er unter allen Umständen gehalten werden muß?“

„Ja.“

Er ließ die Hände sinken und seufzte:

„Das war auch meine Ansicht, und so bleibt die Last auf mir liegen.“

„Aber wie schworen Sie den Eid? Freiwillig?“

„O nein!“

„Also gezwungen! Ich würde mich zur Ablegung eines solchen Eides niemals zwingen lassen.“

„Auch nicht durch Androhung des Todes?“

„Auch da nicht.“

„So würden Sie lieber sterben?“

„Hm! Das ist eine Frage, welche ich nicht so leichthin beantworten kann. Die Angst vor dem Tode kann mächtiger als der Wille sein. Es kommt auf die Verhältnisse an. Jedenfalls würde ich alles mögliche versuchen und wagen, bevor ich mich bereit erklärte, so ein Versprechen zu geben. Müßte ich es dennoch thun, so würde ich mein Wort nur dann als bindend erachten, wenn sich mein Gewissen nicht dagegen sträubte, das heißt, wenn mein Gelöbnis mich nicht mit den göttlichen Gesetzen in Konflikt brächte, welche mir natürlich über die menschlichen gehen. Wäre ich aber durch mein Versprechen zu einer Begehungs- oder Unterlassungssünde gezwungen, so würde ich es nicht für bindend erachten.“

„Das ist wirklich Ihre Ansicht?“

„Ja. Ein Eid, welcher mich zu einer Sünde zwingt, ist eben selbst auch eine Sünde, und zwar eine sehr gefährliche und große. Wer da zögern möchte, sich selbst von ihm zu entbinden, mag sich an seinen geistlichen Berater wenden, welcher ihm gewiß die Freiheit des Gewissens zurückgeben wird.“

„Herr, Sie machen mir mein Herz leicht!“ sagte er, indem er tief aufatmete. „Ich war Zeuge eines Verbrechens, und ich wurde von dem Thäter überfallen und zu dem Schwur gezwungen, es nicht zu verraten, selbst auf dem Totenbette nicht.“

„So war es ein schweres Verbrechen?“

„Ja, ein Mord. Ein Führer tötete den Reisenden, welchen er über die Cordilleras bringen sollte. Dieser Reisende war ein geistlicher Herr. Beide kamen aus Peru herüber. Ich befand mich in der Nähe und war Zeuge der schrecklichen That.“

„Konnten Sie dieselbe nicht verhüten?“

„Nein. Dazu war es zu spät. Das Opfer lag im letzten Zucken, und zwischen mir und dem Orte gab es eine steile Felsenwand.“

„Konnten Sie nicht wenigstens den Mörder durch einen Zuruf abschrecken?“

„Ich rief nicht nur, sondern ich brüllte geradezu vor Schreck. Er sah zu mir empor. Er bemerkte, daß ich nicht zu ihm konnte, hohnlachte zu mir herauf und würgte das Opfer vollends ab. Es war entsetzlich anzusehen.“

„Hatten Sie kein Gewehr bei sich, den Kerl zu erschießen?“

„Ich hatte eins, aber kein Pulver mehr. Ich floh von der Höhe und nahm mir vor, dem Mörder zu folgen und ihn anzuzeigen. Er aber hatte das gedacht und kam mir entgegen. Ich war nicht vorsichtig genug. Eben als ich um ein Felsenstück bog, trat er mir entgegen, warf mich zu Boden und setzte mir die Pistole auf die Brust.“

„Haben Sie sich nicht gewehrt?“

„Ja, aber ich war zu schwach. Ich hatte mich verirrt gehabt, droben in der öden Puna, und meine letzte Kugel verschossen, um ein Vicunna zu treffen, aber einen Fehlschuß gethan. Mehrere Tage des Hungers und des mühsamen Steigens hatten mich so elend gemacht, daß ich kaum mehr die Kraft eines Kindes besaß. Der Mann hätte mich sicher auch ermordet, aber er war – ein Bekannter, sogar ein früherer Gefährte von mir.“

„Hatten Sie ihn nicht sogleich erkannt?“

„Nein. Seine Gesichtszüge zu unterscheiden, war die Entfernung doch zu groß gewesen. Erst als er mich unter sich liegen hatte, erkannten wir einander. Er scheute sich doch, den Freund zu ermorden; er war mir von früher her zu Dank verpflichtet, und darum ließ er mir das Leben unter der Bedingung, daß ich einen Eid ablege, ihn nicht zu verraten. Ich war geschwächt, und nicht nur körperlich; darum gab ich den Schwur, welcher mich wie ein peinigendes Gespenst bis zu diesem Augenblick begleitet hat.“

Er hielt erschöpft inne. Er hatte nur langsam und mit vielen Unterbrechungen gesprochen; nun mußte er ausruhen. Das, was ich gehört hatte, machte einen tiefen Eindruck auf mich. Ich mußte bei dieser Erzählung an den Sendador denken, von welchem mir der Yerbatero erzählt hatte. Dieser Sendador hatte mit einem Padre den Uebergang über die Cordilleras unternommen und von ihm die Papiere geerbt, da der Padre unterwegs gestorben war. Sollte er jener Mörder sein? Ich hatte ja gegen Monteso ähnliche Gedanken ausgesprochen.

„Darf ich den Namen dieses Mannes erfahren?“ fragte ich.

Der Kranke schüttelte den Kopf.

„Oder wenigstens den Ort und die Zeit der That?“

Er verneinte durch ein abermaliges Schütteln.

„Haben Sie erfahren, weshalb der Mann den Padre ermordete? War es etwa wegen gewisser Papiere, in denen von Schätzen die Rede war, welche in einen See versenkt und in einem alten Schacht versteckt sein sollten, Schätze aus der Zeit der Inkas?“

Er griff im tiefsten Schrecken mit beiden Händen nach mir.

„Um Gottes willen, still!“ sagte er. „Sie wissen es, Sie wissen es?! Woher, woher?“

„Es ist mehr ein Schluß, den ich ziehe, als ein festes, bestimmtes Wissen. Der Padre wollte nach Tucuman in das Kloster der Dominikaner?“

„Er weiß es! Er weiß alles!“ hauchte der Patient leise vor sich hin.

„Und der Mörder ist ein berühmter Führer?“

„Auch das, auch das ist ihm bekannt! Aber, Herr, Sie müssen zugeben, daß ich Ihnen nichts gesagt habe, gar nichts, kein Wort!“

„Ja. Ich habe alles schon vorher gewußt.“

Er dachte nicht daran, daß er zwar direkt nichts verraten, aber ein indirektes Zugeständnis gemacht hatte. Um ihn nicht zu dieser Einsicht kommen zu lassen, fuhr ich schnell fort:

„Und das ist es, was Ihnen solche Sorge und Angst gemacht hat? Lieber Freund, ich an Ihrer Stelle hätte diese Last schon längst von meiner Seele geworfen! Ihre Pflicht war es, sich einem Priester anzuvertrauen. Indem Sie das nicht thaten, haben Sie sich einer schweren Unterlassungssünde schuldig gemacht. Da wir nun keinen Priester haben, so ziehen Sie wenigstens Frater Hilario ins Vertrauen. Er kann Ihnen sicher raten.“

„Ob ich das darf, das ist es eben, was ich nicht weiß!“

„Sie dürfen es. Die Sache ist ja kein Geheimnis mehr. Sie haben gehört, daß ich sie fast genau so kenne, wie Sie selbst. Bruder Hilario ist ein sehr würdiger Mann. Er wird, wenn Sie ihn um Rat fragen, Ihr Geheimnis ebenso sicher bewahren, wie wenn Sie es gebeichtet hätten. Freilich wird er Ihnen schwerlich eine andere Antwort geben, als wie ich es gethan habe.“

Er sah still vor sich hin. Nach einer längeren Weile meinte er:

„Wenn ich Sie so sprechen höre, muß ich Ihnen recht geben. Aber Sie wissen noch nicht alles. Der Senda – – jener Mörder hat mir noch mehr mitgeteilt.“

„Das thut nichts. Es kommt hier gar nicht darauf an, wie viel Sie verschweigen sollten; die Hauptsache ist, daß Ihr Eid Sie nicht dazu verpflichtet. Die Nähe des Todes, welche Sie doppelt bedenklich zu machen scheint, muß Sie veranlassen, aufrichtig zu sein. Ich spreche nicht aus mir selbst heraus, sondern ich versenke mich in Ihre Lage und in Ihre Qual. Ich denke mich ganz an Ihre Stelle und gebe Ihnen mein Wort, daß ich mich dem Bruder Hilario anvertrauen würde.“

Er zupfte mit den dürren Fingern an der Bettdecke herum, legte den Kopf müde zur Seite und sagte:

„Ich will es mir bedenken.“

„Thun Sie das, lieber Freund! Aber vergessen Sie nicht, daß einem jeden Menschen der große Augenblick kommt, an welchem es keine Zeit mehr zum Nachdenken giebt!“

„Ja, der Tod, der Tod!“ seufzte er. „Herr, fürchten Sie den Tod?“

„Nein.“

„Ich meine nicht, ob Sie ein beherzter Mann sind; ich meine nicht die Gefahren dieses Lebens, sondern das, was nach dem Tode kommt.“

„Ich verstehe Sie schon. Der Engel des Todes ist für den Reuigen ein Friedensbote Gottes, welcher das verlorne Kind zum Vater zurückbringt. Für den Verstockten aber ist er der Thürschließer am Thore zum ewigen Gerichte. Wer hier nach Kräften seine Pflicht gethan hat und seine Sünden aufrichtigen und gläubigen Herzens in Gottes Erbarmen legt, der kann ruhigen Herzens seine Augen schließen, denn Gott ist die Liebe!“

Er machte die Augen zu, als ob er meine letzten Worte befolgen wolle. So lag er lange, lange ruhig da; nur seine Finger zupften konvulsivisch an der Decke, und seine Brust bewegte sich. Wohl eine Viertelstunde verging. Dann öffnete er die Augen und sagte:

„Sie haben recht, Sie haben recht! Ich werde Frater Hilario fragen. Gehen Sie hinaus, und senden Sie ihn mir!“

Natürlich folgte ich dieser Aufforderung, und Bruder Hilario ging zu dem Sterbenden. Drin in der Wohnstube saßen wir wohl eine Stunde lang, doch ohne uns zu unterhalten. Dann kam der Frater zurück. Sein Gesicht war ernst; aber in seinem milden Auge leuchtete es warm. Er gab mir die Hand und sagte:

„Er verlangt nach einem Priester. Sendet sofort nach Montevideo, damit er ihn noch am Leben findet. Aber der Zweifel und die Angst sind bereits von dem Kranken gewichen.“

Natürlich ward sofort ein Gaucho nach Montevideo gesandt. Dann sagte Frater Hilario:

„Der Kranke fragte mich, wann Sie fort wollen, und läßt Sie bitten, heute noch dazubleiben.“

„Aber wir müssen nach der Estanzia del Yerbatero!“ widersprach Monteso.

„Nein, Sie bleiben!“ bat der Ranchero.

Seine Frau und der Bruder schlossen sich dieser Bitte an, und ich blieb gern. Aber Monteso trieb es fort. Man befand sich auf der Estanzia jedenfalls in großer Sorge um uns, und er wollte hin, die Seinen zu beruhigen. Ich versuchte, ihn zum Bleiben zu veranlassen, doch vergeblich. Er bestand darauf, sofort aufzubrechen, und versprach, später wieder hier einzukehren; wir würden nach unserem Aufbruche von der Estanzia hier vorüberkommen.

„Aber der Ritt ist gefährlich, Sennor,“ warnte ich ihn. „Sie haben gehört, daß ich den Bolamännern nicht traue.“

„Pah! Die sind jetzt so weit fort von hier, daß gar nicht mehr an sie zu denken ist.“

„Das möchte ich nicht beschwören. Lassen Sie sich wenigstens von Sennor Bürgli einige Gauchos mitgeben, welche Sie eine Strecke begleiten, bis Sie sicher sind, daß Ihnen kein Hinterhalt gelegt worden ist.“

„Das wäre ganz überflüssig. Uebrigens neigt sich die Sonne nieder. Ich habe mich zu sputen und kann nicht warten, bis die Gauchos fertig sind.“

Ich ließ aber nicht nach, bis er dem Ranchero erlaubte, zwei dieser Leute herbeizurufen. Bald trabten sie von dannen, nachdem ich versprochen hatte, morgen früh nachzukommen. Doch bereits nach kaum einer Viertelstunde kehrten die Gauchos zurück. Er hatte sie fortgeschickt, da ihre Begleitung eigentlich eine Beleidigung sei.

Bei seinem Aufbruche war ich mit vor das Thor gegangen und hatte ihm nachgeschaut. Unten am Flusse war kein lebendes Wesen zu sehen. Das beruhigte mich. Besser wäre es gewesen, wenn ich selbst ihn eine Strecke begleitet hätte. Mir wären sicher gewisse Spuren aufgefallen, aus denen zu ersehen war, daß sein Heimritt doch gefährlicher sei, als er glaubte.

Als ich in die Stube zurückkehrte, war der Kranke in einen tiefen, ruhigen Schlaf gefallen. Die Bewohner des Rancho waren dann bei ihrer täglichen Beschäftigung, und mich nahm der Bruder mit hinaus ins Freie, um mir die zum Rancho gehörigen Umzäunungen zu zeigen. Dann saßen wir rauchend miteinander auf der Bank vor der Thüre. Bis jetzt war kein Wort über den Sterbenden gefallen. Auch über sich selbst machte Frater Hilario keine Bemerkung, obgleich ich neugierig war, etwas Näheres zu hören. Natürlich vermied ich es, eine Frage auszusprechen. Nur das eine bemerkte ich, daß er eine ziemlich große Bildung besaß. Die Unterhaltung spann sich anfangs eigentlich nur um mich und meine Erlebnisse und Reiseabsichten. Als er hörte, wen ich in Tucuman besuchen wollte, sagte er überrascht:

„Sennor Pena? Wie haben Sie diesen kennen gelernt?“

„Ich traf ihn vor zwei Jahren in Mexiko und hörte von ihm, daß er sich nach dieser Zeit in Tucuman befinden werde.“

„Ganz recht. Sie werden ihn dort treffen. Er wohnt gegenwärtig in Tucuman, wo er sich zu neuen Ausflügen vorbereitet. Gehen Sie direkt dorthin?“

„Nein. Wir wollen vorher nach dem Gran Chaco.“

„Ah, das ist mir interessant, Sennor. Ein solches Zusammentreffen ist ganz unerwartet. Ich will nämlich auch nach dem Chaco und dann nach Tucuman.“

„Wirklich? Dann wäre es herrlich, wenn wir zusammen reisen könnten.“

„Es ist möglich. Wann brechen Sie auf?“

„In ganz kurzer Zeit, in nur einigen Tagen.“

„Ich ebenso. Ich würde mich Ihnen sehr gern anschließen, wenn ich wüßte, daß ich Ihren Gefährten willkommen sei. Wer reitet mit?“

„Sennor Monteso mit noch fünf seiner Gefährten. Die Leute werden nicht nur nichts gegen Ihren Anschluß haben, sondern sich herzlich über denselben freuen.“

„Aber, was wollen diese Yerbateros im Gran Chaco? Sie können doch reichlich Thee in anderen Gegenden finden, welche weit weniger gefährlich sind.“

„Dieses Mal reisen sie nicht als Theesucher, sondern in anderer Eigenschaft.“

„Wohl ein Geheimnis?“

„Eigentlich, ja. Ist dieser Gran Chaco wirklich so gefährlich, wie Ihre Worte vermuten lassen, Frater Hilario?“

„Ja. Ihnen freilich wird er nicht so gefährlich erscheinen. Wer, wie Sie, sich mit den Rothäuten und wilden Tieren des Nordens herumgeschlagen hat, der wird meinen, über den Gran Chaco lächeln zu können. Er hat indessen ebensoviele und große Gefahren, wie die Savanne oder die Wüste.“

„Sie meinen die wilden Tiere?“

„Nun, der Jaguar ist freilich kein bengalischer Tiger, ebenso wie der Puma nicht mit dem afrikanischen oder asiatischen Löwen zu vergleichen ist; aber beide sind doch gefährlich genug. Am meisten sind indessen die Wilden zu fürchten, welche sich mit der Unhörbarkeit einer Schlange zu bewegen verstehen!“

„Das verstehe ich auch.“

„Das möchte ich bezweifeln, natürlich, ohne Sie beleidigen zu wollen.“

„So wette ich mit Ihnen. Es soll finster sein. Sie sitzen hier auf dieser Bank, und ich stehe draußen vor dem Thore. Es ist Nacht. Kein Lüftchen regt sich, und man möchte darauf schwören, das geringste Geräusch hören zu können. Dennoch komme ich herein und setze mich hierher neben Sie. Wenn Sie nicht gerade an mich stoßen, sollen Sie gar nicht ahnen, daß jemand neben Ihnen sitzt.“

„Sennor, Ihre Worte in Ehren, aber das glaube ich nicht!“ „Sie werden es glauben lernen, da wir ja miteinander reisen. Ich denke, daß es da Gelegenheit geben wird, Ihnen zu beweisen, daß ich gar nicht zu viel gesagt habe.“

„Aber, wie wollen Sie herein? Das Thor ist ja verschlossen!“

„Ich steige über mit Hilfe des Lasso, dessen Schlinge ich nach oben werfe.“

„Dann mag es möglich sein. Aber das ist auch der einzige Punkt, an welchem Sie herein könnten.“

„Ich komme überall durch.“

„Auch durch den Kaktus?“

„Ja. Er mag noch so dicht oder voller Stacheln sein. Ich schneide mir ein Loch durch die Hecke. An die Schärfe und Festigkeit meines Bowiemessers kommt keine Ihrer Macheten.“

„Sennor, dann sind Sie ja ein ganz gefährlicher Mensch! Sie haben alles Talent zu einem Einbrecher. Aber selbst wenn Sie hier eingestiegen wären, würde ich Ihre Annäherung hören.“

„Machen wir einen Versuch?“

„Er könnte nicht gelingen. Denken Sie nur, daß ich jeden Schritt Ihrer Riesenstiefel hören müßte, selbst wenn Sie noch so leise aufzutreten suchten.“

„Warten Sie es ab! Wir haben zwar keine ägyptische Finsternis, aber Abend ist es doch und leidlich dunkel. Ich werde mich nach jener Ecke, da rechts, entfernen. Sie legen Ihren Hut hier neben sich auf die Stelle, an welcher ich jetzt sitze. Ich komme und hole ihn, ohne daß Sie es bemerken.“

„Ja, thun Sie es! Aber fertig bringen Sie es nicht.“

„Ich bringe es, obgleich sich der Hut viel leichter holen läßt, wenn der Besitzer nichts davon weiß. Ich mache aber natürlich die Bedingung, daß Sie ihn nicht festhalten.“

„Das versteht sich!“

„Sobald Sie merken, daß ich da bin und ihn wegnehme, sagen Sie es; aber nach dem Hute dürfen Sie dabei nicht greifen. Von dem Augenblicke meiner Entfernung an bis zum Ende des Versuches dürfen Sie ihn nicht berühren. Sobald Sie aber merken, daß ich da bin, sagen Sie es, und ich habe verloren.“

„Gut! Die Sache ist interessant. Ich werde natürlich aufpassen wie eine Eule auf die Fledermäuse.“

Er saß zu meiner Rechten. Ich stand auf, und er legte seinen Hut auf meinen Platz. Es war so dunkel, daß er ihn nicht sehen konnte. Der Mond kam erst später. Der Hut lag ihm zur Linken, und ich ging nach der Ecke, welche zu seiner rechten Hand lag. Also mußte ich an ihm vorüber, wenn ich den Hut holen wollte. Das sagte er sich, und darum war er sicher, daß er mich ertappen werde. Ich aber war ganz anderer Meinung. Ich ging zwar mit lauten Schritten nach rechts hin, mußte aber von seiner linken Seite herkommen, um den Hut zu erhalten. Darum war ich gezwungen, einen Umweg zu machen und mich am Thore vorüber und den Zaun entlang nach der linken Ecke schleichen. Dies that ich denn auch, indem ich mich lang am Boden ausstreckte und nur auf den Fingern und Fußspitzen ging. Das war ganz leicht. Der Boden war sandig und feucht; es gab nicht das geringste Geräusch.

Um ihn nun zu täuschen, als ob ich wirklich von rechts komme, und um seine ganze Aufmerksamkeit dorthin zu lenken, nahm ich alle drei oder vier Schritte ein Sandsteinchen auf und warf es nach dieser Richtung. Er hörte das und freute sich darauf, mich abfassen zu können, denn er glaubte, daß mein Heranschleichen dieses Geräusch verursache. Auf diese Weise erreichte ich seine linke Seite und kam an die Bank. Ich hätte den Hut nehmen können, machte mir aber das Vergnügen, noch einige Steinchen über ihn weg zu werfen. Er drehte sich ganz nach der rechten Seite, denn er glaubte mich nahe. Das gab mir Gelegenheit, den Hut zu ergreifen und mich wieder auf den Platz zu setzen, den ich vorher eingenommen hatte. Er lauschte angestrengt, doch ließ sich nichts mehr hören.

„Sie warten wohl immer noch auf mich?“ fragte ich.

Er fuhr ganz erschrocken herum.

„Ist es möglich! Sie sind da? Ich hörte doch nichts!“

Ich beschrieb ihm, wie ich es gemacht hatte, behielt aber dabei seinen Hut in der Hand und schlang mir den Lasso von der Hüfte los. Während ich sprach, band ich das eine Ende des letzteren an das Hutband fest.

„Ja, wenn Sie es in dieser Weise gemacht haben!“ meinte er. „Da bringe ich es auch fertig!“

„Jetzt bin ich es, welcher zweifelt. Mich würden Sie nicht täuschen.“

„O doch!“

„Nein. Ich würde das Geräusch eines geworfenen Sandkornes von demjenigen eines Menschenschrittes sofort unterscheiden. Uebrigens wirkt jede List dadurch, daß nur der sie kennt, welcher sie ausübt. Darum ist man im Leben der Wildnis gezwungen, stets neue Listen zu entdecken.“

„Mit einer zweiten würden Sie mich nicht täuschen.“

„Wollen wir es versuchen, Frater Hilario?“

„Ja, ich bitte Sie darum.“

„Nun gut. Aber passen Sie genau auf!“

„Daran soll es nicht fehlen. Wenn Sie auch jetzt Erfolg haben, gebe ich zu, daß Sie der beste Jäger sind, den ich gesehen habe.“

„Schön. Hier ist Ihr Hut. Ich stehe auf und lege ihn wieder an dieselbe Stelle, an welcher er vorhin lag und ich jetzt gesessen habe. Wollen Sie sich überzeugen, daß er da liegt!“

Ich hatte den Hut wirklich hingelegt und trat vier oder fünf Schritte von der Bank zurück, indem ich aber den Lasso in der Hand behielt.

„Er liegt da,“ sagte er, ohne sich zu rühren.

„Ueberzeugen Sie sich besser, denn Sie sehen ihn ja nicht. Fühlen Sie danach!“

Er that es.

„Ja, hier liegt er. Es ist gewiß.“

Es war gewagt von mir, ihn nach dem Hute greifen zu lassen. Wenn er den Lasso berührte, war der Streich verraten. Glücklicherweise geschah dies nicht.

„Passen Sie also auf!“ fuhr ich fort. „Ich werde wieder nach derselben Ecke rechts gehen. Sie berühren den Hut nicht, fassen aber sofort nach mir, wenn ich denselben nehmen will. Verstanden?“

Ich sagte das geflissentlich laut und hustete dabei einigemal, damit er nicht hören sollte, daß ich während des Sprechens den Hut von der Bank weg und zu mir herüberzog.

„Keine Sorge!“ sagte er. „Werde schon aufpassen. Geben Sie sich nur Mühe!“

Ich ging lauten Schrittes nach der Ecke, band den Hut los, stäubte ihn ab und schlang mir den Lasso wieder um die Hüften. Dann legte ich mich auf den Boden und kroch nach der Bank. Jetzt war er ganz überzeugt, daß ich ebenso wie vorhin von der linken Seite kommen werde. Daher richtete er seine ganze Aufmerksamkeit nach dieser Seite. Ich erreichte die Bank und richtete mich neben ihm auf. Mich an die Wand lehnend, zog ich eine Cigarre hervor, strich ein Zündholz an und sagte:

„Jetzt kann ich wieder rauchen, denn den Hut habe ich.“

„Wirklich!“ rief er und griff nach der Stelle, von welcher der Hut verschwunden war.

„ja, da sitzt er auf meinem Kopfe. Hier haben Sie ihn wieder, Frater Hilario.“

„Unbegreiflich! Ich schaute nach links, und da stehen Sie rechts. Aber wie ist denn das zugegangen?“

„Das mag einstweilen mein Geheimnis bleiben. Sie sehen, daß es sehr leicht möglich ist, sich Ihnen zu nähern und Ihnen sogar den Hut zu nehmen, ohne daß Sie es bemerken. Glauben Sie nun, was Sie vorhin bezweifelten, nämlich, daß ich mich in nächtlicher Finsternis von draußen hereinmachen und neben Sie setzen würde, ohne daß Sie es bemerken?“

„Ja, jetzt glaube ich es.“

„Nun werden Sie wohl auch meiner Ansicht sein, daß ich mich schwerlich von Ihren Indianern überlisten lassen würde. Ich gestehe Ihnen aufrichtig, daß ich mich auf den wilden Chaco freue, besonders da ich ihn und seine Indianer an Ihrer Seite kennen lernen soll.“

„Sind auch die andern verlässige Leute?“

„Ich kenne sie nicht und habe sie noch nicht prüfen können. Als Yerbateros sind sie jedenfalls tüchtig.“

„Hm! Sie sagten vorhin, daß sie zu anderen Zwecken nach jener Gegend wollten, und ich weiß nicht, ob das Können eines Yerbatero diesen Zwecken gewachsen ist.“

„Ich verstehe, Bruder Hilario! Der Zweck, welchen sie verfolgen, soll geheim gehalten werden. Aber Sie werden uns begleiten und doch bald erraten, um was es sich handelt. Sie wollen einen berühmten Sendador aufsuchen, um mit ihm in die Cordillera zu gehen und nach vermauerten und versenkten Schätzen zu suchen.“

„Und Sie gehen mit?“

„Ja. Ich soll, sozusagen, den Ingenieur dieses Unternehmens machen.“

„Worin sollen diese Schätze bestehen?“

„Aus Gefäßen, Schmucksachen und ähnlichen Dingen aus der Inkazeit.“

„Weiß man die Orte?“

„Man hat Pläne derselben.“

„Von wem?“

„Der Sendador hat sie von einem Padre geerbt, welcher unterwegs in der Cordillera gestorben ist.“

Er hatte ruhig gefragt und ich ihm auch unbefangen geantwortet. Ich wußte ja nicht, ob er von dem Kranken erfahren hatte, daß auch ich von der Angelegenheit wisse. Jetzt sagte er:

„Wollen nicht Versteckens spielen! Sie wissen, daß mir diese Angelegenheit nicht unbekannt ist?“

„Ich denke es mir. Der Kranke hat sich Ihnen jedenfalls anvertraut.“

„Ich kann darauf jetzt nicht antworten. Doch werde ich zu einer gewissen Zeit und unter gewissen Verhältnissen und Umständen sprechen. Ich bin entschlossen, mit den Yerbateros zu reisen. Ich muß diesen Sendador sehen. Doch warne ich Sie, den ersteren und am allerwenigsten dem letzteren etwas ahnen zu lassen. Mein Weg hätte mich für dieses Mal über Santa Fé und Santiago nach Tucuman geführt. Es ist mir kein Opfer, ein wenig nach links und in den Gran Chaco abzuschweifen. Wir brechen frühzeitig auf, und ich bekomme da gleich Gelegenheit, die fünf andem Männer kennen zu lernen, mit denen wir reisen werden. Jetzt möchte ich einmal nach dem Kranken schauen.“

Dieser schlief noch immer. Er schlief auch noch, als wir das Abendbrot eingenommen hatten; den Priester konnten wir erst nachts erwarten. Dann saßen wir ernst beieinander und sprachen von der Heimat, an welcher das Herz des Deutschen selbst dann noch hängt, wenn er sich eine Existenz in der Ferne gegründet hat. Gegen Mitternacht hörten wir seinen leisen Ruf. Der Frater ging hinaus zu ihm und holte dann das Ehepaar. Ich hörte eine Zeit lang den unterdrückten Ton ihrer Stimmen. Dann wurde es still. Später kamen sie zu mir zurück, die beiden weinend und der Bruder mit dem Gesichte eines Heiligen.

„Er ist entschlafen, ehe der Priester kam,“ sagte er. „Requiescat in pace! Er ging von uns voller Vertrauen auf die Gnade des Allbarmherzigen. Leben heißt kämpfen; sterben heißt siegen. Preis sei Gott, der uns den Sieg verliehen hat durch Jesum Christum, unsern göttlichen Heiland!“

Die Trauer um den Toten war tief und aufrichtig; doch trat die profane Notwendigkeit in ihre Rechte. Es war nicht mehr so zeitig, wie wir aufzubrechen beschlossen hatten. Bürgli machte uns den Vorschlag, nicht unsere Pferde, sondern zwei der seinigen zu nehmen. Der Frater wollte bei dem Begräbnisse zugegen sein, und auch ich wurde gebeten, teilzunehmen. Da konnten wir die Pferde zurückbringen. Bürgli wollte den Geistlichen bitten, einen Tag bei ihm zu verweilen. Unterdessen hatten die unseren ausgeruht und waren größeren Anstrengungen sofort gewachsen. Natürlich gingen wir gern auf dieses Anerbieten ein, und der Abschied war ein zwar sehr herzlicher, aber kurzer, da wir ja sehr bald wiederkommen wollten. Wir ritten nur ganz kurze Zeit auf dem Wege, auf welchem ich mit Monteso als Gefangener gekommen war. Die Bolamänner hatten so viel wie möglich alle im geraden Wege liegenden Siedelungen vermieden und waren aus diesem Grunde oft zu Umwegen gezwungen gewesen. Wir aber hatten das nicht nötig.

Bruder Hilario kannte die Gegend sehr genau. Er wußte alle Terrainschwierigkeiten zu vermeiden, und da wir die geradeste Richtung einschlugen, ritten wir zwei volle Stunden weniger, als ich mit den Kavalleristen gebraucht hatte.

Es war nicht viel über die Mittagszeit, als wir die Estanzia del Yerbatero erreichten. Dort sprangen wir von den Pferden, übergaben dieselben den Peons und gingen in das Haus. Droben im Empfangszimmer fanden wir einen Herrn, welcher uns fragend entgegenblickte. Seine Züge waren denjenigen des Yerbatero so ähnlich, daß ich in ihm sogleich Sennor Monteso, den Haziendero erkannte.

„Willkommen, Sennores!“ sagte er, indem er uns musternd betrachtete. „Aus Ihrer ledernen Kleidung, von welcher man mir gesagt hat, muß ich vermuten, daß Sie der deutsche Herr sind, mit welchem mein Bruder fortgeritten ist?“

„Der bin ich,“ antwortete ich. „Und dieser Herr ist Frater Hilario. Wo ist denn Ihr Bruder?“

„Er ist doch bei Ihnen,“ entgegnete er erstaunt. „Ich kam gestern am Nachmittage von meiner Reise zurück und fand meine Frau in Besorgnis um Sie. Und diese Besorgnis hat sich natürlich bis jetzt gesteigert.“

„Aber er ist doch bereits gestern gegen Abend von dem Rancho nach hier aufgebrochen!“

„Er ist nicht angekommen,“ sagte er. „Sollte ihm gar ein Unglück widerfahren sein?“

„Wenn er nicht zurückgekehrt ist, so muß man allerdings auf einen Unfall schließen,“ meinte ich betroffen. „Vielleicht haben die Bolamänner ihm wieder aufgelauert und ihn abermals gefangen genommen!“

„Bolamänner? Ah! Da Sie beide gar bis zum gestrigen Abende nicht da waren und man auch von dem Offiziere und seinen Kavalleristen nichts hörte, so zog ich natürlich Erkundigungen ein. Einige meiner Gauchos sagten mir, daß sich eine beträchtliche Reiterschar habe sehen lassen. Ueber den Zweck der Anwesenheit dieser Leute konnte ich aber nichts erfahren. Sie sind ebensoschnell verschwunden, wie sie gekommen waren.“

„Sie kamen, um mir und Ihrem Bruder aufzulauern. Man nahm uns schon einmal gefangen.“

Dios! Ist das möglich?“

„Man sollte es freilich für unmöglich halten. Man bemächtigte sich unser so schnell, daß an einen Widerstand gar nicht zu denken war. Uebrigens zählten sie über fünfzig Reiter, waren uns also weit überlegen.“

„Sennor, Sie sehen mich im höchsten Grade erstaunt, ja sogar erschrocken. Sie scheinen sich in großer Gefahr befunden zu haben, welche meinen Bruder auch jetzt noch umfängt. Kommen Sie schnell zu meiner Frau! Sie müssen erzählen, was geschehen ist. Die Damen haben so viel und gut von Ihnen gesprochen. Es sollte mir leid thun, wenn mein Haus Ihnen Unheil gebracht hätte.“

„Darüber kann ich Sie beruhigen, Sennor. Ihr Haus und dessen Bewohner tragen nicht Schuld an dem, was geschehen ist. Es ist wohl nur auf meine Person abgesehen gewesen, und Ihr Bruder hat mit leiden müssen, weil er sich bei mir befunden hat.“

„So kommen Sie schnell, damit wir erfahren, was sich ereignet hat!“

Er führte uns zu den Damen, welche natürlich eben solche Besorgnis zeigten, als sie hörten, daß Monteso sich eigentlich längst hier befinden müsse.

Ich erzählte, was geschehen war, und man folgte meinem Berichte mit dem allergrößten Interesse. Man konnte nur zweierlei vermuten. Entweder war er von den Bolamännern wieder ergriffen worden, oder es lag ein anderweitiger Unfall vor. Ich neigte mich der ersteren Ansicht zu, während der Frater die letztere verteidigte.

„Die Kavalleristen sind über den Fluß hinüber, wie wir uns überzeugt haben. Das hätten sie nicht gethan, wenn sie noch einen Streich beabsichtigt hätten,“ sagte er.

„Sie haben uns nur täuschen wollen,“ entgegnete ich. „Wären sie am diesseitigen Ufer geblieben, so hätten wir erraten, daß es uns gelte, und der Yerbatero wäre vorsichtiger gewesen. Als sie sahen, daß wir uns wirklich täuschen ließen, daß wir sie nicht weiter beobachteten, kehrten sie über den Fluß zurück und legten sich in den Hinterhalt.“

„Aber Sie geben doch zu, daß es eigentlich nur auf Sie abgesehen gewesen ist! Was haben sie also mit Monteso zu schaffen?“

„Sie glaubten natürlich, daß ich mich bei ihm befinden werde. Der Hinterhalt war einmal gelegt, und so mußten sie sich mit dem halben Erfolge zufrieden geben.“

„Wollen Sie wohl die Güte haben, mir diese Leute einmal zu beschreiben!“ forderte mich der Estanziero auf. „Sie haben das bisher unterlassen.“

Ich folgte seiner Aufforderung.

„Von einem Major haben Sie erzählt,“ fuhr er fort. „Konnten Sie den Namen desselben nicht erfahren?“

„Ja. Habe ich denselben noch nicht genannt? Dieser famose Offizier hieß Cadera.“

„Cadera! Da weiß ich nun freilich, woran ich bin. Dieser Cadera ist ein gefürchteter Parteigänger, welcher bereits einigemal über den Fluß herübergekommen ist, um sich Pferde zu holen. Gestern erfuhr ich auf meiner Reise, daß er sich wieder diesseits der Grenze befinde und daß man nach ihm fahndet. Er ist es gewesen und kein anderer!“

„Das habe ich ihm in das Gesicht gesagt,“ meinte der Bruder. „Er bestritt es aber.“

„Hätten Sie den Menschen nicht frei gelassen!“

„So hätte auch Ihr Bruder gefangen bleiben müssen!“

„Sie haben ihn doch wieder ergriffen. Uebrigens, so lange sich Cadera in Ihrer Gewalt befand, konnten seine Leute meinem Bruder nichts Böses thun. Jetzt befindet er sich aber wieder in ihren Händen, ohne daß wir den Major als Geisel besitzen.“

„Welch ein Unglück!“ klagte die Sennora. „Sie werden ihn töten.“

„Das befürchte ich nicht,“ tröstete der Estanziero. „Entweder zwingen sie ihn, in ihren Reihen Soldat zu werden, nur aus reiner Bosheit, oder sie fordern ihm für seine Freiheit eine Summe Geldes ab.“

„Ich glaube das letztere,“ stimmte der Frater bei. „Töten werden sie ihn nicht. Und ein widerwilliger Soldat bringt mehr Schaden als Nutzen. Das werden sie sich wohl sagen. Wie ich höre, ist Ihr Bruder reich. Auch sie wissen das. Der Lieutenant hat es hier erfahren. Darum glaube ich, daß sie eine bedeutende Summe von ihm fordern werden.“

„Erpressung, Räuberei! Ich werde auf der Stelle nach Montevideo reisen, damit unsere Regierung sofort in Buenos Ayres vorstellig werde!“

„Meinen Sie nicht, daß dies ein für Ihren Bruder gefährlicher Schritt sein wird?“ fragte ich ihn. „Ehe Sie nach Montevideo kommen, von dort aus die Reklamation nach Buenos Ayres geht und dann nach langen Nachforschungen die Schuldigen gefunden werden, haben die Bolamänner längst ihre Absichten erreicht. Bedenken Sie, was Ihr Bruder indessen zu leiden haben würde.“

„Das ist wahr. Sie meinen also, wir folgen den Bolaleuten nach?“

„Ja. Wir verfolgen sie so lange, bis sich uns die Gelegenheit bietet, ihn zu befreien. Ob durch Güte, List oder Gewalt, das werden die Umstände ergeben.“

„Ich kann Ihnen freilich nicht unrecht geben. Lassen Sie uns also sofort aufbrechen. Ich werde allen meinen Gauchos, welche abkommen können, Befehl erteilen, schleunigst sich zu rüsten!“

Er wollte fort.

„Halt, Sennor!“ hielt ich ihn zurück. „Noch sind wir nicht so weit.“

„Aber wir dürfen doch keinen Augenblick verlieren!“

„Das ist richtig; aber zunächst ist das Ueberlegen weit notwendiger, als das Reiten. Wir müssen wissen, was wir wollen, und dürfen dabei weder zu viel, noch zu wenig thun. Beabsichtigen Sie etwa, selbst mitzureiten?“

„Welche Frage! Ganz natürlich!“

„Aber Ihre Anwesenheit ist hier wohl nötig? Sind Ihre Damen einverstanden?“

Beide erklärten, daß es eine Pflicht sei, den Bruder zu retten. Sie sagten sich zwar, daß mit diesem Unternehmen vielleicht Gefahren verbunden seien, und darum ließen sie ihn nur widerstrebend fort, aber die Pflicht stehe doch höher als die Rücksicht auf die gehegten Befürchtungen.

„Sie sehen, daß es nun gar nichts weiter zu überlegen giebt,“ sagte der Estanziero. „Wir reiten eben, und zwar sofort.“

„Noch nicht. Wir müssen uns anders als zu einem gewöhnlichen Ritte ausrüsten. Wir dürfen uns nicht wegen der Nahrung aufzuhalten haben, müssen also einen Speisevorrat mitnehmen, welcher für mehrere Tage ausreicht, und die besten Pferde.“

„Dafür wird schleunigst gesorgt werden.“

„Viel Geld, um Ihren Bruder loszukaufen, im Falle es nicht gelingt, ihn auf andere Weise zu befreien.“

„Ich werde mich mit demselben versehen. Nun aber sind wir fertig, und ich will den Gauchos sagen, daß – –“

„Bitte!“ unterbrach ich ihn. „Haben Sie Gauchos, welche die Grenze kennen?“

„Nein.“

„So können wir sie nicht gebrauchen. Je mehr Leute wir mitnehmen, desto schwieriger wird unsere Aufgabe. Fünfzig bringen wir doch nicht zusammen, und so viele müßten wir doch haben, um den Bolamännem gleichzählig zu sein und sie offen anpacken zu können. Da dieses letztere nicht möglich ist, so sind wir auf List angewiesen. Sind wir zahlreich, so werden wir leicht bemerkt. Darum, je weniger Leute, desto besser.“

„Ich gebe Ihnen vollständig recht,“ sagte der Frater, „Gewalt möchte ich vermeiden. Blut soll nicht fließen. Wenige, aber tüchtige Männer werden mehr erreichen, als eine große Schar, welche die Aufmerksamkeit auf uns lenkt.“

„Sie sagen: auf uns lenkt?“ fragte ihn der Estanziero. „Sie drücken sich so aus, als ob Sie sich uns anschließen wollten?“

„Jawohl reite ich mit!“

„Aber, bedenken Sie! So ein anstrengender und sogar gefährlicher Ritt und Ihr Stand –“

„Hindert mich der, ein guter Reiter zu sein?“

„Nein, gewiß nicht. Aber vielleicht müssen wir kämpfen!“ „Nun gut, so kämpfen wir!“

Der Estanziero trat einen Schritt zurück und sah dem Bruder erstaunt in das Gesicht.

„Kämpfen? Sie selbst auch?“ fragte er.

„Wer verbietet es mir? Soll ein Laienbruder, wenn er angegriffen wird, sein Leben nicht verteidigen dürfen? Soll er sich der Vergewaltigung und Ueberlistung anderer nicht kräftig erwehren dürfen?“

„Auf diese Fragen verstehe ich nicht zu antworten, Sennor. So wie Sie, gerade so würde der berühmte Frater Jaguar sich aussprechen.“

„Kennen Sie diesen?“

„Gesehen habe ich ihn noch nicht, desto mehr aber von ihm gehört. Er gehört eigentlich zu den Mönchen von Tucuman, befindet sich aber stets auf Reisen. Er geht zu den Indianern des Urwaldes, der Pampa und der Cordillera. Er fürchtet keine Gefahr; er greift den Jaguar mit dem Messer an und flieht vor keinem Bravomanne. Man fürchtet ihn, obgleich er kein Blut vergießt, denn er steht jedem Bedrängten bei und besitzt eine ungeheure Körperkraft, die ihresgleichen sucht. Haben Sie, der Sie sein Kollege sind, noch nichts von ihm gehört?“

Der Frater antwortete lächelnd:

„Nur von Leuten, welche ihn noch nicht gesehen haben. Diejenigen, welche ihn kennen, pflegen zu mir nicht von ihm zu sprechen.“

„Sennor, sollte ich vielleicht ahnen, daß Sie selbst der Bruder Jaguar sind?“

„Ich bin es allerdings, den man so zu nennen pflegt.“

„Dann sind Sie mir zehnfach willkommen, und dann glaube ich auch gern, daß Sie sich uns anschließen wollen.“

„Ich reite nicht etwa mit aus purer Kampfes- oder Abenteuerlust, Sennor. Ihr Bruder will mit diesem Sennor und seinen Yerbateros nach dem Gran Chaco. Da ich dort auch zu thun habe, bat ich um die Genehmigung, mich anschließen zu dürfen. Sie wurde mir erteilt, und so habe ich mich als den Gefährten und Kameraden Ihres Bruders anzusehen und bin ihm zu Beistand verpflichtet. Töten werde ich keinen seiner Widersacher, denn Menschenblut, selbst das des ärgsten Feindes, darf meine Hände nicht beschmutzen; aber ich kenne den Grenzfluß genau und glaube also, Ihnen gute Dienste leisten zu können.“

„Ich danke Ihnen von Herzen. Uebrigens müssen wir auch mit dem Umstande rechnen, daß mein Bruder sich gar nicht bei den Bolamännern befindet, sondern unterwegs einen Unfall erlitten hat. Er kann vom Pferde gestürzt sein und nun auf einem Rancho liegen.“

Er hatte dies kaum gesagt, als ein Peon meldete, daß ein Reiter unten im Hofe sei, welcher mit dem Sennor sprechen wolle.

„Wer ist er?“ fragte Monteso.

„Einer von den Kavalleristen, welche mit dem Lieutenant hier waren, um Pferde zu kaufen.“

„Führe ihn hierher!“

Wir blickten einander erstaunt an. Dieser Major Cadera sandte uns einen Boten! Zu welchem Zwecke?

„Jetzt werden wir hören, was geschehen ist!“ sagte der Estanziero. „Ich bin im höchsten Grade gespannt darauf.“

„Ich würde Ihnen sehr dankbar für die Erlaubnis sein, an Ihrer Stelle mit ihm verhandeln zu dürfen,“ sagte ich.

„Warum? Glauben Sie, daß mir das Geschick dazu fehlen würde?“

„O nein. Sie kennen ja die hiesigen Verhältnisse weit besser als ich; aber Sie sind der Bruder des Yerbatero, um den es sich handelt, und darum denke ich, daß ein anderer die Angelegenheit weit mehr objektiv in die Hand nehmen würde.“

„Sie mögen recht haben. Sprechen Sie an meiner Stelle mit dem Manne!“

Der Kerl kam herein. Es war einer der beiden, welche ich vor der Laube im Garten belauscht hatte. Jedenfalls war er der Ansicht gewesen, nur den Estanziero zu treffen. Als er den Frater und mich erblickte, nahm sein Gesicht einen weniger selbstbewußten Ausdruck an.

„Was wollen Sie?“ fragte ich ihn.

„Von Ihnen nichts,“ antwortete er trotzig. „Ich habe allein mit Sennor Monteso zu sprechen.“

„Er hat mich beauftragt, Sie an seiner Stelle zu empfangen.“

„So geben Sie ihm diesen Brief!“

Er zog ein Couvert aus der Tasche und reichte es mir. Der Name des Estanziero war mit Tinte darauf geschrieben. Ich reichte es dem letzteren hin. Er sah die Schrift und sagte:

„Von meinem Bruder. Ich kenne seine Schrift.“

Er öffnete das Couvert, las es und erbleichte. Er zog einen Bleistift aus der Tasche, schrieb eine kurze Bemerkung dazu und gab dann den Brief mir und dem Frater zu lesen. Der Inhalt lautete:

„Mein Bruder! Ich bin abermals in die Hände derjenigen gefallen, denen wir entgangen waren. Unterwegs trafen wir dann zufälliger- und unglücklicherweise auf José, welcher Santa Fé eher verlassen hat, als wir dachten. Auch er ist ergriffen worden. Sende durch den Ueberbringer dieses Briefes sofort 10000 Bolivianos, mit denen ich ein ausgezeichnetes Geschäft machen kann, wenn sie zeitig genug eintreffen. Kommen sie zu spät, so bringst du uns und dich in großen Kummer. Vertraue dem Boten, und frage ihn nicht aus. Lege ihm auch nichts in den Weg, denn dadurch würdest du uns in eine sehr üble Lage bringen. Es ist ihm sehr streng verboten worden, euch ein Wort zu sagen. Dein Bruder Mauricio.“

Unter diese Zeilen hatte der Estanziero geschrieben:

„Das von Josés Gefangennahme dürfen meine Damen nicht erfahren; sie würden erschrecken.“

Das war sehr richtig. Damit die Sennora den Brief nicht in die Hand bekommen oder von ihrem Manne fordern könne, steckte ich ihn in meine Tasche.

„Sie kennen den Inhalt dieses Schreibens?“ wendete ich mich nun an den Ueberbringer desselben.

„Ja.“

„Was enthält es?“

„Die Aufforderung, an mich zehntausend Bolivianos zu zahlen.“

„Sind Sie allein hier?“

„Ja.“

Er gab diese Antwort schnell und ohne zu überlegen; ich sah es ihm dennoch an, daß er log.

„Sie sagen mir die Unwahrheit! Sie haben ja noch jemand mit!“

„Sie irren, Sennor!“

„Ich irre mich nicht. Ihr Gesicht sagt es mir und mein Verstand ebenso. Man konnte Sie nicht allein schicken. Man wußte nicht, wie Sie aufgenommen werden. Man gab Ihnen darum noch jemand mit, welcher, falls Ihnen hier etwas geschieht, sofort zurückeilt und den Major benachrichtigt.“

„Das ist nicht der Fall!“ behauptete er.

„Werden sehen! Ich glaube Ihnen nicht. Wissen Sie, was Sennor Monteso mit dem Gelde thun will?“

„Nein.“

„Das ist wieder eine Lüge! Sie wissen ganz bestimmt, daß es das Lösegeld sein soll. Sie sind übrigens außerordentlich kühn, indem Sie nach der Estanzia del Yerbatero kommen. Wissen Sie nicht, was Sie hier erwarten muß?“

„Ja, eine freundliche Aufnahme.“

„Und wenn Sie sich nun irren?“

„So wird der Yerbatero es sehr zu beklagen haben. Wenn ich nicht bis zu einer bestimmten Zeit zurückkehre und das Geld mitbringe, dürften Sie ihn schwerlich wiedersehen. Er würde sich nach einer sehr entfernten Gegend begeben, aus welcher gewöhnlich niemand wiederkehrt.“

„Hm! Ich muß freilich zugeben, daß Sie die Macht in den Händen haben, das Geld zu erpressen. Aber, wer giebt uns die Sicherheit, daß Sie ehrlich handeln?“

„Der Major hat sein Ehrenwort gegeben, daß die Sennores entlassen werden, sobald ich das Geld bringe.“

„Ihr Major hat uns zweimal sein Wort gebrochen. Ich glaube ihm nicht. Frißt der Fuchs zum erstenmal hier, so sehnt er sich nach Wiederholung. Geben wir die Summe, so wird vielleicht noch eine zweite verlangt.“

„Gewiß nicht.“

„Oder der Major meint es wirklich ehrlich. Wer aber giebt uns die Sicherheit, daß auch Sie es sind? Zehntausend Pesos aus Bolivien sind ein Reichtum für Sie. Wie nun, wenn Sie das Geld für sich behalten und gar nicht zum Major zurückkehren?“

„Sennor, ich bin kein Spitzbube!“

„So! Nun, Ihr Gesicht ist freilich nicht das eines Diebes, und ich möchte Ihnen Vertrauen schenken. Sie geben aber jedenfalls zu, daß diese Angelegenheit eine so wichtige ist, daß man die Entscheidung nicht in zwei Minuten treffen kann.“

„Darüber habe ich kein Urteil. Ich soll nicht lange warten.“

„So gehen Sie in die Küche, und lassen Sie sich etwas zu essen geben. Kommen Sie dann wieder, um den Bescheid zu hören. Ich werde mich für Ihre Forderung verwenden, denn ich sehe ein, das dies das beste ist.“

Ich rief den Peon herein, welcher draußen stand, und gab ihm den Befehl, den Fremden in die Küche zu führen, was auch gleich geschah. Zehntausend Bolivianos sind nach deutschem Gelde beinahe neunundzwanzig Tausend Mark. Darum war es sehr erklärlich, daß der Estanziero mich jetzt fragte:

„Wollen Sie mich wirklich bestimmen, ihm das Geld zu geben, Sennor?“

„Fällt mir gar nicht ein.“

„Dann kommt mein Bruder nicht frei!“

„Gerade darum kommt er frei. Wir wissen nun, daß er sich wirklich bei den Bolamännern befindet.“

„Aber wir wissen nicht, wo diese sind!“

„Wir werden es erfahren. Der Bote wird es sagen, darauf können Sie sich verlassen! Uebrigens ist er nicht allein da.“

„Denken Sie das wirklich?“

„Ja. Oder wollen Sie glauben, daß man diesem Menschen eine so große Summe anvertraut?“

„Das ist allerdings unwahrscheinlich!“

„Sehen Sie! Der Major legt dieses Geld jedenfalls nur in ganz sichere Hände. Selbst wenn der Bote ein ehrlicher Mann wäre, würde man ihn nicht so allein mit dem Gelde über den Camp reiten lassen. Er hat noch andere mit. Das ist entweder der Major selbst oder der Lieutenant, welcher uns so hübsch in die Falle lockte und damit dem Vorgesetzten bewies, daß er Vertrauen verdient. Ist’s der erstere, so haben wir gewonnenes Spiel. Ist’s der letztere, nun, so ergreifen wir ihn und zwingen ihn, uns den Weg zu den Bolamännern zu zeigen.“

„Sennor, das ist zu gefährlich! Man wird meinen Bruder umbringen!“

„O nein! Der Major wird ja gar nicht erfahren, was wir seinem Boten für einen Bescheid gegeben haben. Indem er auf denselben wartet, kommen wir selbst.“

„Aber, auch angenommen, daß Ihr Plan gut ist, wie erfahren wir, wo sich der eigentliche Bote befindet?“

„Dieser Kavallerist, welcher sich jetzt in der Küche befindet, wird es uns sagen. Haben Sie denn wirklich die verlangte Summe hier im Hause?“

„Glücklicherweise, ja. Ich hatte in den letzten Tagen Geld einkassiert.“

„Das werden wir aber diesem Kerl nicht sagen, Sennor. Er wird sofort glauben, daß Sie nicht so viel haben. Sie müssen zu einem Nachbar reiten, um sich das Fehlende geben zu lassen. Er wird bis zu Ihrer Rückkehr warten, aber nicht hier im Hause, sondern er wird zu den andern zurückkehren. Dabei folge ich ihm und entdecke das Versteck. Lassen Sie mir einen gestreiften Poncho und einen andern Hut besorgen. Auch ein Pferd wird gesattelt im Hofe bereit zu halten sein. Uebrigens ist es geraten, sich mehr auf das eigene Nachdenken, als auf die Aussagen dieser Leute zu verlassen. Der Mann wird, wenn er von hier fortreitet, nicht gleich die beabsichtigte Richtung einschlagen, sondern eine falsche. Ich werde mich nicht irre machen lassen.“

„Darf ich Sie begleiten, Sennor?“

„Eigentlich möchte ich Ihnen die Erfüllung dieses Wunsches versagen. Ihre Begleitung könnte mir meinen Plan verderben. Aber ich will trotzdem nichts dagegen haben, falls Sie mir versprechen, sich ganz nach meinen Wünschen zu richten.“

„Das versteht sich ganz von selbst.“

„So lassen Sie zwei der schnellsten Pferde für uns satteln und auch zwei Lassos bereit halten.“

„Sie haben ja bereits einen, und ich auch!“

„Wir brauchen noch zwei. Nehmen Sie auch eine Bola für sich mit, und lassen Sie die Pferde nicht unten im Hofe, sondern anderswo in der Nähe, wo sie nicht gesehen werden können, bereit sein. Ich glaube nicht, daß das Versteck auf Ihrem Grund und Boden liegt. Die Leute sind von Westen her gekommen. In dieser Richtung, jenseits der Grenze, müssen wir suchen. Auf einer kahlen, nackten Höhe versteckt man sich nicht. Wir haben also nicht auf den Bodenerhöhungen, sondern in den Vertiefungen zu suchen. Wenn wir es klug machen, erreichen wir das Versteck noch eher als der Kavallerist.“

Der Estanziero gab die betreffenden Befehle. Dann erwarteten wir die Rückkehr des Boten. Derselbe hatte sich mit dem Essen sehr beeilt und ließ sich wieder anmelden. Sein Gesicht war ein sehr zuversichtliches. Er sagte sich vielleicht, da er mit Speise und Trank regaliert worden sei, habe er ein feindseliges Verhalten nicht zu befürchten. Darum fragte er, ohne zu warten, bis er angeredet wurde:

„Nun, was haben Sie beschlossen?“

„Wir haben beschlossen, den Weg der Gütlichkeit einzuschlagen,“ antwortete ich ihm. „Aber Zehntausend ist zu viel!“

Ich wollte scheinbar abhandeln, um ihn desto sicherer zu machen.

„Ist nicht zu viel, gar nicht zu viel,“ antwortete er.

„Bedenken Sie, daß eine solche Summe geradezu ein Vermögen ist!“

„Der Yerbatero muß aber doch wissen, daß er es geben kann, sonst hätte er es nicht geboten.“

„Es ist ihm abverlangt worden.“

„Nein. Er hat sogleich von selbst dieses Angebot gemacht.“

„Unsinn! Sagen Sie uns, wie weit Sie in Ihrer Forderung herabgehen können!“

„Um keinen Peso. Das ist mir noch ganz ausdrücklich angedeutet worden. Der Yerbatero hat sich einverstanden erklärt und uns versichert, daß sein Bruder es geben werde.“

„So ist er sehr unvorsichtig gewesen. Er mußte doch wissen, daß man zehntausend Bolivianos nicht im Hause liegen hat, selbst wenn man ein reicher Mann ist.“

„Das geht mich nichts an. Das ist seine Sache und nicht die meinige!“

„Das ist sehr wohl auch Ihre Sache! Welche Instruktion haben Sie denn für den Fall erhalten, daß Sennor Monteso das Geld nicht vollständig daliegen hat?“

„Gar keine, das hängt von meiner Bestimmung ab.“

„Dann will ich Ihnen einen Vorschlag thun. Wir wollen Ihnen 6000 bar und einen Wechsel über 4000 geben.“

„Nein, nein! Einen Wechsel darf ich nicht annehmen. Das ist mir untersagt. Das Einkassieren desselben ist für uns zu gefährlich.“

„Hm! So müßte sich Sennor Monteso das Fehlende borgen. Ein Nachbar hat in den letzten Tagen eine Geldauszahlung erhalten. An diesen wird Ihnen Sennor Monteso eine Anweisung geben.“

„Danke! Darauf kann ich mich nicht einlassen. Ich will mit möglichst wenig Leuten zu thun haben. Ich halte mich an den Estanziero.“

„So müßte er selbst es holen.“

„Dauert das lange?“

„Er würde ungefähr drei Stunden bis zu seiner Rückkehr brauchen, vorausgesetzt, daß er den Nachbar daheim antrifft.“

„Hm! So werde ich mich wohl gedulden müssen!“

„Wir bitten Sie darum. Sie können ja auf der Estanzia bleiben und sich da ausruhen.“

„Danke sehr, Sennor! Ich will Sie nicht belästigen. Ich reite indessen fort und kehre nach drei Stunden wieder.“

„Ganz wie Sie wollen! Nach Empfang des Geldes verlangen wir aber natürlich Quittung!“

„Davon steht nichts in meinem Auftrage.“

„Wir müssen sie dennoch haben. Hat der Major Ihnen keine mitgegeben, so mögen Sie Ihren Namen unterzeichnen.“

„Den kennen Sie gar nicht. Wie leicht kann ich Sie täuschen?“

„Ihr ehrliches Gesicht ist uns Bürgschaft, daß Sie keinen falschen Namen unterzeichnen.“

„Sehr schmeichelhaft für mich, Sennor. Ich bemerke, daß Sie die Absicht haben, die Angelegenheit als Caballero zu erledigen. Das freut mich. – Schenken wir uns gegenseitig Vertrauen. A Dios!

Er ging, und ich trat schnell an das Fenster. Hinter der Gardine versteckt, blickte ich in den Hof und sah, daß er nach links schwenkte, als er zum Thore hinaus war. Nun eilte ich hinab vor das Thor und sah ihn an der nächsten Kaktushecke abermals nach links biegen. Natürlich ging ich nun auch zu dieser Ecke, wo ich ihn im Galopp das Freie gewinnen und dann in gerader Richtung gegen Osten reiten sah. Nun kehrte ich zurück und begab mich nach meiner Wohnung, die ich heute noch gar nicht betreten hatte. Ich wollte mein Gewehr holen und fand da den Poncho und den Hut. Ich warf den ersteren über, setzte den letzteren auf, und da kam auch der Estanziero mit dem Bruder.

„Nun, wo ist er hin?“ fragte der erstere.

„Nach Ost. Folglich will er nach West. Nehmen Sie mir die Frage nicht übel, Sennor Monteso, ob Sie ein guter Reiter sind?“

„Welche Frage!“ lachte er. „Natürlich bin ich es.“

„Vielleicht wird es notwendig, dies zu beweisen. Können Sie sich während des Rittes lang an die Seite des Pferdes legen?“

„Lang an die Seite des Pferdes legen? Wie meinen Sie das? Wie macht man das? Ich habe es noch nie gesehen.“

„Die Indianer Nordamerikas bringen dieses Kunststück sehr oft in Anwendung. Wenn man den Körper lang an denjenigen des Pferdes legt, kann man von der entgegengesetzten Seite weder gesehen noch von einer Kugel getroffen werden.“

„Da fällt man ja herab!“

„O nein. Ich habe zu diesem Zwecke zwei Lassos bestellt. Wir schlingen sie um die Hälse der Pferde. Das ist die ganze Vorkehrung, deren wir bedürfen. Gesetzt den Fall, wir haben zu unserer rechten Hand einen Feind, welcher uns nicht sehen soll, so müssen wir uns an der linken Seite des Pferdes verbergen. Zu diesem Zwecke rutschen wir langsam nach links aus dem Sattel, lassen aber den rechten Fuß im Steigbügel und ziehen ihn mit demselben hinter dem Sattel über die Kruppe des Pferdes. Wir hängen also mit dem Fuße im Bügel. Mit dem Arme fahren wir in den Lasso, welcher um den Hals des Pferdes geschlungen ist. In dieser Weise liegen wir links lang am Pferde und können unter dem Halse desselben hinweg nach rechts schauen und sogar nach dieser Richtung schießen.“

„Das geht ja nicht. Wie kann ich mich mit der großen Zehe im Bügel halten?“

„Ihre Steigbügel sind eben sehr unpraktisch. Glücklicherweise hängen sie im doppelten Riemen, zwischen welchen Sie den Fuß stecken können. Auf diese Weise ist der Feind zu täuschen. Befindet er sich so weit entfernt, daß er den Sattel nicht zu unterscheiden vermag, so hält er das Pferd für ein lediges, weidendes Tier.“

„Sennor, das bringe ich nicht fertig.“

„Wir werden sehen. Kommen Sie.“

Wir gingen nach dem Corral und schlangen den Pferden die Riemen mehrfach um den Hals. Im Hofe stand noch das Pferd, auf welchem ich gekommen war. Es trug meine Satteltaschen, und ich nahm mein Fernrohr aus denselben. Dann ging es fort. Der Frater wünschte uns Glück, und die Damen riefen uns von oben zu, vorsichtig zu sein. Wir ritten nach Nordwest. Als wir die Estanzia so weit hinter uns hatten, daß sie uns die Fernsicht nicht mehr hinderte, blieben wir halten, und ich suchte den östlichen Camp nach dem Kavalleristen ab. Nach einiger Zeit entdeckte ich ihn. Er hielt noch immer die anfängliche Richtung bei, ritt aber nur noch im Schritt.

Jetzt ging es im Carriere über den Camp dahin. Wie groß das Besitztum des Estanziero war, zeigt sich daraus, daß wir erst nach vollen zehn Minuten die Grenze erreichten und uns nun langsam südwärts wendeten. Hier gab es keine Umfriedungen. Wir hatten freies Land, da die Hecken sich nur in der Nähe der Gebäude befanden. Da gab es auch wenig Spuren von Vieh, weil die Gauchos es vermeiden, ihre Tiere bis zur Grenze zu lassen, durch deren Ueberschreiten sehr leicht Unzuträglichkeiten entstehen. Nun saß ich vornübergebeugt im Sattel und hielt das Camposgras scharf im Auge. Der Estanziero that ebenso.

„Wollen sehen, wer die Spur zuerst entdeckt,“ sagte er. „Vorausgesetzt, daß Sie sich nicht geirrt haben und sie sich wirklich hier befindet.“

„Sie muß hier sein. Passen wir nur gut auf!“

Er hatte zugeben müssen, daß ich im Reiten geschickter sei, als er. Nun wollte er mich bezüglich des Scharfsinnes im Auffinden einer Fährte schlagen. Ich that, als ob ich das nicht bemerkte. Bald richtete ich mich im Sattel auf. Ich hatte die Spur entdeckt. Er aber ritt weiter, und ich blieb an seiner Seite.

„Hm!“ sagte er endlich. „Wir suchen vergeblich. Ich sage Ihnen, Sennor, daß wir unsere Zeit verschwenden!“

„Das ist freilich wahr!“

„Sie geben das zu? Sind also nun auch meiner Meinung, daß es hier die gesuchte Fährte nicht giebt?“

„Ganz und gar.“

„So sind Sie also geschlagen?“

„Nein.“

„Aber Sie haben die Spur doch nicht!“

„Ich habe sie. Da hinter uns. Wir sind darüber weg.“

„Warum sagten Sie es nicht?“

„Weil ich Ihnen Zeit lassen wollte, einzusehen, daß sich ein Deutscher wenigstens ebenso wie ein Orientale in der Banda Uruguay zurechtfinden kann. Kehren wir um! Wir werden sehr bald wieder an der Stelle sein.“

Wir jagten zurück und stiegen ab, als wir den betreffenden Punkt erreichten. Der Boden war lehmig und das Gras ganz kurz abgefressen. Darum gab das Gras keinen Anhalt, aber in dem Lehm selbst hatten sich, obgleich er nicht feucht, sondern hart war, die Hufspuren eingedrückt. Ich erklärte dem Estanziero die betreffenden Zeichen. Er blickte mich groß an, gab aber schließlich kleinlaut zu, daß wir die Spuren dreier Pferde vor uns hatten.

„So sind es also zwei, die jetzt auf den Kerl warten?“ fragte er.

„Ja; anders ist es nicht. Folgen wir dieser Fährte!“

Wir stiegen wieder auf und ritten weiter, bis wir bemerkten, daß die Spur keine gerade Linie mehr bildete, sondern von jetzt an nur den Bodenvertiefungen folgte. Ich stieg ab, nahm mein Gewehr schußbereit und schlang mir den Zügel um den Arm.

„Wollen wir denn gehen?“ fragte Monteso erstaunt.

„Wenn wir zu Pferde kommen, so erblicken sie uns eher als wir sie und sind also vorbereitet. Das können wir vermeiden.“

Ich nahm das Fernrohr wieder zur Hand und brauchte nicht lange zu suchen. Ganz zufällig bekam ich gleich in den ersten Augenblicken eine Gestalt vor das Glas, welche auf der Höhe einer der Bodenwellen saß, uns den Rücken zukehrte und in der Richtung nach der Estanzia ausschaute. Nachdem auch der Estanziero durch das Rohr gesehen hatte, sagte er:

„Das ist jedenfalls einer von den beiden. Ein Glück, daß der nicht nach rückwärts sieht, sonst hätte er trotz der Entfernung die Pferde erkannt. Was thun wir?“

„Wir steigen wieder in den Sattel, um ihm schneller näher zu kommen, halten uns aber in den Vertiefungen. Nun wir wissen, wo die beiden sich befinden, können wir uns ihnen zu Pferde nähern.“

Die tiefer liegenden Wellenthäler schlangen sich in mehr oder weniger engen Windungen um die Bodenerhebungen. Sie waren feucht und mit Sträuchern bestanden. Darum fanden wir die Spuren hier auf das deutlichste charakterisiert.

Als wir nahe genug gekommen waren, stiegen wir ab. Ich kroch die Böschung empor, um nach der Gestalt zu sehen, Sie war verschwunden; aber das war mir nur lieb. Ich hatte mir die Stelle, an welcher sie gesessen hatte, ganz genau gemerkt. Es waren nur noch zwei Thalwindungen von uns zurückzulegen, um zu den Gesuchten zu gelangen. Da wir die Pferde hier zurücklassen mußten, banden wir sie ans Gesträuch, nahmen ihnen aber die Lassos von den Hälsen, um sie später als Fesseln zu benutzen. Nun gingen wir vorwärts, erst eine Windung nach links und dann eine nach rechts. Diese letztere brachte uns an Ort und Stelle. Die Terrainsenkung war hier weiter und tiefer als anderwärts. Auf ihrem Grunde hatte sich stehendes Wasser gesammelt, welches von einem ziemlich hohen und dichten Mimosengebüsch eingefaßt wurde. Jenseits des Wassers knabberten zwei Pferde an den jungen Zweigen. Diesseits, zu unserer linken Hand, hörten wir sprechen. Sehen konnten wir die Personen aber nicht.

„Dort sind sie!“ flüsterte mir der Estanziero zu. „Auf! Werfen wir uns auf sie!“ –

„Nein. Wir schleichen uns an, was ganz leicht ist, da die Mimosen unten am Boden genug freien Raum zum Kriechen lassen. Folgen Sie mir; machen Sie es wie ich, und vermeiden Sie jedes Geräusch! Die Gewehre lassen wir hier liegen, sie würden uns nur hindern. Wir müssen suchen, ganz nahe hinter sie zu kommen, ich an den einen, Sie an den andern. Wir fassen sie dann um die Hälse und drücken ihnen die Gurgel zusammen. Greifen Sie aber nicht eher zu, als bis Sie sehen, daß ich es thue!“

„Ganz wie bei den Indianern! Das kann mir gefallen, Sennor.“

Er war ganz begeistert, den Indianer zu spielen. Hätte ich es allein unternommen, so wäre ich des Gelingens sicherer gewesen; ich that ihm aber den Willen, weil ich ein Mißlingen selbst dann nicht zu befürchten hatte, wenn er einen Fehler beging. Es wäre nur ein wenig schwieriger geworden. Ich kroch also voran, und er folgte mir. Die Mimosen teilten sich erst vielleicht eine Elle oberhalb des Bodens in Zweige; infolgedessen kamen wir leicht und schnell vorwärts. Die Anwesenheit des Wassers gab dem Grase ein üppiges Wachstum. Es stand vor dem Gebüsch fast über eine Elle hoch, so daß man von draußen nicht hereinblicken und uns sehen konnte. Das war höchst vorteilhaft für uns.

Die Stimmen wurden vernehmlicher, je näher wir kamen. Bald hatten wir die betreffende Stelle erreicht. Wir kauerten unter dem Gezweig innerhalb der Sträucher auf dem Boden, und sie lagen draußen, ganz nahe dem Rande. des Gebüsches, im hohen Grase.

„Und wenn er aber nicht wiederkommt, wenn sie ihn festhalten?“ hörten wir fragen.

„Das wagen sie nicht,“ lautete die Antwort.

Ich erkannte in dieser Stimme augenblicklich diejenige des Lieutenants.

„Und wenn sie es dennoch wagen?“

„So soll es ihnen schlecht bekommen. Wir legen ihnen den roten Hahn an die Estanzia und schneiden dann nach unserer Rückkehr den beiden Montesos die Kehlen durch.“

„Davon haben wir aber nichts! Uebrigens habe ich einen Gedanken, welcher mich beunruhigt, der Gedanke, daß dieser Deutsche mit dem Bruder schon hier sein könnte. In diesem Falle wird unser Bote einen schweren Stand haben.“

„Sie können ihm doch auch nichts anderes sagen, als ja oder Nein!“

„Sie können wohl etwas anderes! Sie können ja sagen, um ihn sicher zu machen; sie können ihm das Geld geben, um uns heimlich zu folgen.“

Der Estanziero stieß mich an. Er brannte vor Begierde, zuzugreifen; aber ich wollte noch warten. Es lag mir vor allem daran, zu erfahren, wo der Major auf seine drei Gesandten wartete. Konnte ich diesen Ort erfahren, so war das Gelingen des Unternehmens meiner Ansicht nach leidlich sicher. Gefährlich war es trotzdem; aber man wußte dann doch wenigstens, daß man die Leute gewiß treffen werde, und konnte sich die zum Suchen erforderliche Zeit ersparen.

„Das werden sie bleiben lassen,“ meinte der andere. „Wir haben ja für diesen Fall den strengen Befehl, die Verfolger irre zu führen. Ich weiß ein Mittel, wie uns das gelingen kann.“

„Welches?“

„Wir trennen uns, um später wieder zusammenzutreffen. Da machen wir drei Fährten, und sie wissen nicht, welcher sie folgen sollen.“

„Schafskopf! Sie können jeder beliebigen folgen, so treffen sie uns dann doch beisammen.“

Himmel! Daran dachte ich nicht.“

„Ja, auf deine Klugheit brauchst du dir freilich nichts einzubilden. Unser einziges Gelingen liegt, falls wir verfolgt werden, in der Schnelligkeit unserer Pferde. Wir müssen sofort aufbrechen und die ganze Nacht durch reiten. Glücklicherweise scheint der Mond, daß es fast so hell ist, wie am Tage.“

„Das ist aber auch für sie ein Vorteil.“

„Kein großer. Sie können des Nachts trotz des Mondscheines unsere Fährte nicht sehen. Die Hauptsache ist, sobald wie möglich im Lager anzukommen. Dann unterrichten wir die Unserigen von der Verfolgung und empfangen die Kerle, wie sie es verdienen. Werden wir aber vorher erreicht,

so –-

„So hat es auch nichts zu bedeuten,“ fiel ihm der andere in die Rede.

„Wieso?“

„Weil man in Rücksicht auf die Gefangenen uns nichts thun darf.“

„Hm! ja! Das ist richtig. Aber wir dürfen uns nicht sehen lassen. Wenn man Militär zu Hilfe ruft und uns in der Ueberzahl angreift, so sind wir verloren. Kein Lopez Jordan kann uns dann retten. Glücklicherweise liegt die Peninsula del crocodilo für unsere Zwecke so gut, daß wir uns – horch!“

Wir hörten Hufschlag. Die beiden erhoben sich aus dem Grase. Nun war es zu spät, sie zu ergreifen, denn der Kavallerist war da. Wir sahen ihn draußen vor dem Gebüsch vom Pferde springen.

„Nun?“ fragte der Lieutenant.

„Wir bekommen das Geld,“ lautete die Antwort. „Der Estanziero hatte nicht genug. Er ist zum Nachbar geritten, um sich das Fehlende zu borgen.“

„Mit wem sprachst du?“

„Mit dem Deutschen und dem Frater.“

„War der Estanziero nicht da?“

„Auch dieser.“

„So hattest du doch mit ihm, nicht aber mit dem Deutschen zu reden!“

„Das wollte ich auch. Ich sagte ihm anfangs, daß ich mit Monteso allein zu sprechen habe; später aber war ich froh, daß der Deutsche für denselben sprach, denn er zeigte sich außerordentlich vernünftig. Monteso hätte das Geld wahrscheinlich verweigert; der Deutsche aber hat ihm jedenfalls zugeredet; er sagte es.“

„Dem Menschen traue ich nicht weiter, als ich ihn sehe. Erzähle einmal!“

„Viele Worte kann ich nicht machen, denn ich brauche anderthalb Stunden, um den Bogen wieder zu reiten und sie irre zu führen. Ich kam nur für die wenigen Minuten, um euch Nachricht zu bringen und zu beruhigen. Also hört!“

Er erzählte wortgetreu das Geschehene. Als er geendet hatte, standen sie eine kleine Weile still beieinander. Sie überlegten. Dann fragte der Lieutenant:

„Hast du nicht gesehen, ob dir jemand nachgeritten ist?“

„Ich hielt öfters an, um scharf zurückzublicken. Kein Mensch war zu sehen.“

„Und der Deutsche hat wirklich abhandeln wollen und deine Unterschrift verlangt?“

„Ganz so, wie ich es erzähle.“

„Hm! So scheint er einen Hintergedanken zu verbergen.“

„Welcher sollte das sein?“

„Das weiß man eben nicht. Sei vorsichtig! Wenn du das Geld erhalten hast, reitest du keinen Bogen wieder, sondern kommst direkt hierher.“

„Da weiß man ja gleich, woran man ist!“

„Das schadet nichts. Wir müssen schnell und stracks fort und dürfen keinen Augenblick verlieren. Natürlich schreibst du nicht deinen wirklichen Namen hin, sondern einen andern, falschen.“

„Das versteht sich ganz von selbst. Nun aber muß ich wieder fort. Ich darf die Sennores nicht warten lassen.“

„Ja, reite, und halte dich tapfer. Ich fürchte mich nicht, aber es ist doch immer eine gewisse Angst, bevor man das Geld in den Händen hat. Ich traue nicht.“

„Und ich traue. Uebrigens steht mein Entschluß fest, falls man die Absicht haben sollte, mich zu betrügen, dem Deutschen das Messer in den Leib zu rennen, auf das Pferd zu springen und fortzujagen. Ehe man sich vom Schreck erholt, befinde ich mich in Sicherheit. A dios!

Er bestieg sein Pferd und ritt davon. Die beiden andern gingen mit ihm. Sie stiegen auf die Bodenwelle, sahen ihm kurze Zeit nach und kehrten dann zurück.

„Mir gefällt die Geschichte wenig,“ erklärte der Lieutenant. „Wenn er sich wenigstens das vorhandene Geld hätte geben lassen, um uns einstweilen dieses zu bringen. Gab man ihm dasselbe wirklich, so konnten wir jetzt ruhig sein. So aber schweben wir noch im Zweifel.“

Der andere setzte sich in das Gras, zog eine Spielkarte hervor und meinte:

„Es ist nun nicht zu ändern und muß abgewartet werden. Brennen wir uns einen Cigarillo an und machen ein Spiel dazu! Nicht?“

„Ja, spielen wir! Mag geschehen, was da will, hier und jetzt sind wir sicher.“

„Sie irren, Sennor! Mit Ihrer Sicherheit steht es schlecht.“

Ich hatte dem Estanziero einen Wink gegeben, fuhr, während ich die letzteren Worte sprach, zwischen den Büschen hervor, faßte mit der Linken den noch aufrecht stehenden Lieutenant bei der Gurgel und schlug ihm die rechte Faust an den Kopf. Er sank zusammen. Monteso war nicht weniger schnell. Er faßte den andern mit beiden Händen von hinten um den Hals und drückte ihm denselben zusammen. Der Mensch stöhnte und strampelte dazu mit den Beinen. Er wurde schnell entwaffnet und mit dem einen Lasso gebunden. Der Lieutenant war nur für einige Augenblicke betäubt. Er begann, sich wieder zu bewegen, und wurde mit dem anderen Lasso umschnürt. Der Ausdruck seines Gesichtes, als er die Augen öffnete, war unbeschreiblich.

„Der Deutsche!“ stieß er hervor.

„Ja, der Deutsche, Sennor!“ nickte ich ihm zu. „Es ist mir sehr schmeichelhaft, daß Sie sich meines Gesichtes noch erinnern.“

„Sie sind ein Teufel!“

„O nein, Sennor! Ich bin vielmehr ein wahrer Engel an Geduld. Ich liege bereits seit über einer halben Stunde hinter Ihnen in den Büschen und höre, wie Sie auf mich schimpfen, und dennoch habe ich Ihnen den Mund nicht verschlossen. Ich verzeihe es Ihnen sogar, daß sie so unhöflich gewesen sind, uns einen Untergebenen zu senden, anstatt selbst zu kommen. Da ich aber weiß, was sich schickt, bin ich gekommen, Sie einzuladen, uns nach der Estanzia del Yerbatero zu begleiten.“

„Ich verlange, daß Sie mich freilassen,“ brüllte er mich an.

„Gedulden Sie sich noch. Ueber Ihre Freiheit sprechen wir später, wahrscheinlich schon nach einigen Wochen.“

„Spotten Sie nicht! Es handelt sich um das Leben des Yerbatero und seines Neffen.“

„Allerdings und nebenbei auch noch um zehntausend Bolivianos. Ich komme ja, um Sie über diese Punkte aufzuklären. Sie werden nämlich nichts bekommen, weder das Geld, noch das Leben der beiden Gefangenen.“

„Das wird sich finden! Vor allen Dingen verlange ich als Offizier behandelt zu werden! Ich bin Offizier der Banda Oriental und diene unter Latorre!“

„Vorhin, als Sie nicht wußten, daß Sie Ohrenzeugen hatten, haben Sie sich zu Lopez Jordan bekannt. Sie sind nicht Offizier, sondern Strauchdieb und werden als solcher behandelt werden.“

„Dann sterben die Gefangenen!“

„Ich werde mir das Vergnügen machen, Ihnen zu beweisen, daß wir Sie behalten und unsere Freunde dennoch glücklich wiedersehen.“

„Sie wissen nicht, wo sie sich befinden,“ brüllte er mich höhnisch an.

„Ich hoffe zuversichtlich, sie auf der Peninsula del crocodilo zu treffen. Wir werden schleunigst nach dort aufbrechen.“

„Teufel!“ stieß er hervor.

„Sie haben vorhin selbst gesagt, daß Sie dort erwartet werden, und daß dieser Ort sehr geeignet für Ihre Zwecke sei. Es mag sein, daß der Major auf dieser Krokodilshalbinsel sich sehr leicht zu verteidigen vermag, noch wahrscheinlicher aber ist es, daß er durch unsern Angriff von der Halbinsel hinunter ins Wasser getrieben und dort von den Krokodilen gefressen wird.“

„Vorher wird er die Gefangenen diesen Tieren als Fraß vorwerfen!“

„Wir werden das zu verhüten suchen. Und damit wir die dazu nötige Zeit gewinnen, wollen wir jetzt aufbrechen. Erlauben Sie mir, Ihnen beim Aufsteigen behilflich zu sein!“

„Ich bleibe liegen!“

„Pah! Meine Höflichkeit bringt Sie sehr schnell in die Höhe. Lassen Sie sich Folgendes sagen: Wir binden Ihnen die Hände auf dem Rücken und die Füße unter dem Bauche des Pferdes hinweg zusammen. Sie lassen sich das ohne Gegenwehr gefallen, sonst erzwingen wir uns den verweigerten Gehorsam.“

„Wie wollen Sie das thun?“

„Sehr einfach: durch Ohrfeigen. Leute Ihres Schlages dürfen nicht zarter behandelt werden.“

„Wagen Sie es nicht, sich an mir zu vergreifen!“

„Mensch, drohe nicht noch!“ donnerte ich ihn nun an. „Du bist ein Schuft und wirst als solcher angefaßt. Ihr habt mich morden wollen. Ihr habt Menschen gestohlen, um Lösegeld zu erpressen! Sag noch ein Wort, so werfe ich dich hier in das Wasser! Ich kann es verantworten, wenn ich es thue. Und nun auf mit dir! Und keinen Widerstand, sonst soll dich der Teufel reiten!“

Ich riß ihn auf und stieß ihn zum Pferde. Er knirschte mit den Zähnen, wagte aber kein Wort und keine Bewegung des Widerstandes. Damit er auf das Pferd steigen könne, ließ ich ihm die Füße frei, welche ich dann festband, als er im Sattel saß. Monteso that dasselbe mit dem andern, welcher kein Wort sprach und ganz starr vor Entsetzen war. Wir führten die Tiere fort, hoben vorn an dem Gesträuch unsere Flinten auf und kehrten zu unsern Pferden zurück. Nachdem wir diese bestiegen hatten, ergriffen wir die Zügel unserer Gefangenen, und fort ging es im Galopp, der Estanzia zu. Dort hatte sich das, was geschehen war, unter den Gauchos herumgesprochen. Als diese Leute uns mit den Gefangenen kommen sahen, empfingen sie uns mit Jubelrufen. Ich war gezwungen, sie versammeln zu lassen, um ihnen zu sagen, wenn der dritte Bolamann komme, sollten sie freundlich zu ihm thun und ihn ja nicht ahnen lassen, welch ein Empfang seiner warte. Die beiden Kerle wurden in eine Nebenstube geschafft und dort auf Stühle gesetzt und so an dieselben gebunden, daß sie weder Hände oder Füße, noch den Oberkörper zu bewegen vermochten. Dann erzählte Monteso. Der Frater hörte leuchtenden Auges zu. Als der Bericht beendet war, gab er mir die Hand und sagte:

„Sennor, Sie sind der Mann, mit dem ich gern nach dem Gran Chaco gehen will. Wir werden uns verstehen und einander nicht im Stiche lassen. Aber was soll nun mit den beiden Männern geschehen?“

„Zunächst müssen die vier Pferde in den Corral geschafft werden, damit der zurückkehrende Bote sie nicht sieht. Er würde sogleich ahnen, was geschehen ist, und die Flucht ergreifen.“

„Das sollte ihm nicht gelingen!“ meinte Monteso. „Herein läßt man ihn, aber nicht hinaus; dafür werde ich sorgen.“

„Haben Sie ein Gelaß, in welchem Sie die Gefangenen sicher aufbewahren können, Sennor?“

„Mehr als eins. Eine Flucht ist unmöglich. Aber wie lange soll ich sie hier behalten?“

„Das steht in Ihrem Belieben. Wollen Sie sie sofort der Behörde übergeben?“

„Soll ich das überhaupt thun?“

„Um ihrer Gefangenen willen wenigstens nicht sofort. Uebergeben Sie die Kerle gleich heute der Behörde, so spricht sich die Sache schnell fort. Sie wissen ja, welche Flügel die Fama besitzt. Wir müßten gewärtig sein, der Major erführe es, ehe wir ihn erreichten. Dann würde er sich aus dem Staube machen.“

„Sie haben recht. Ich werde die Gefangenen hier einschließen, bis ich zurückkehre.“

„Das ist das beste. Dann können Sie je nach den Verhältnissen thun, was Sie für klug halten, können sie dem Strafrichter übergeben oder auch, um Scherereien zu entgehen, sie laufen lassen. Was uns aber jetzt betrifft, so müssen wir uns auf den Ritt machen, sobald wir den dritten festgenommen haben. Frater Hilario, ist Ihnen in Uruguay die Krokodilshalbinsel bekannt?“

„Nein. Ich glaubte, die beiden Ufer des Flusses genau zu kennen, habe aber diesen Namen noch nicht gehört. Krokodile giebt es in den Lagunen genug, Halbinseln auch. Wollen Sie es sich nicht von den Gefangenen sagen lassen?“

„Nein. Sie werden uns falsch berichten, und wir können ihnen die Lüge nicht beweisen, sondern müssen sie wohl oder übel hinnehmen. Wir werden indessen nicht nur die Spuren der Bolaleute, sondern in der Nähe des Flusses jedenfalls auch Personen finden, welche diese Halbinsel kennen. Ich bin überzeugt davon.“

Jetzt eben meldete der Peon den Boten. Als der letztere hereintrat, warf er einen besorgten Blick rund umher, aber er fand gar nichts verändert. Unsere Gesichter waren zwar ernst, wie bei seinem ersten Besuche, aber nicht feindselig, und so fragte er den Estanziero:

„Nun, waren Sie bei dem Nachbar und haben Sie das Geld empfangen?“

„Leider nicht. Er war nicht daheim. Ich kann es erst morgen erhalten.“

„Aber so lange darf ich nicht warten!“

„Das sehe ich nicht ein. Warum können Sie nicht hier bleiben, bis ich das Geld habe?“

„Weil mein Auftrag lautet, höchstens zwei, drei Stunden zu warten. Geben Sie mir wenigstens das Vorhandene.“

„Dadurch würde ich meinen Bruder nicht retten. Sie haben ja gesagt, daß Sie nicht weniger nehmen dürfen.“

„So hole ich das Fehlende später.“

„Da schlage ich Ihnen doch lieber vor, das Ganze später zu holen. Teilzahlungen haben keinen Zweck, da Sie den Gefangenen nur dann freigeben, wenn Sie die volle Summe empfangen haben.“

Der Mann wurde verlegen. Er sah, daß der Bruder sich langsam nach der Thüre begab, ahnte aber doch nicht, daß dies nur geschah, um ihm die Flucht abzuschneiden. Was mich betrifft, so hatte ich mich bis jetzt schweigend verhalten und war langsam nach dem einen Fenster gegangen, dessen Flügel offen stand. Ich sah da hinaus. Im Hofe stand das Pferd des Mannes nicht mehr. Man war so vorsichtig gewesen, es zu entfernen.

„Da weiß ich wirklich nicht, was ich machen soll!“ sagte er mißmutig.

„Ich an Ihrer Stelle wüßte es,“ sagte ich. „Sie reiten zu dem Major zurück und lassen sich neue Befehle geben.“

„Aber das dauert lange. Sollen die Gefangenen bis dahin schmachten?“

„Es ist eben nicht zu ändern. Uebrigens ist die Peninsula del crocodilo kein ganz unangenehmer Ort. Sie werden sich dort leidlich wohl befinden.“

„Mein Gott!“ rief er erstaunt. „Sie wissen, wo der Major ist und kennen die Insel?“

„Zweifeln Sie daran?“

„Sennor, der Major hat Sie einen Teufel genannt. Sie sind wirklich einer!“

„Danke sehr! Grüßen Sie den Major von mir, wenn Sie sich neue Befehle holen, und sagen Sie ihm, er solle sich vor Latorre in acht nehmen!“

„Wir gehören zu Latorre!“

„Zu Lopez Jordan, wollen Sie sagen? Man darf solche Namen, hinter denen ganz verschiedene Länder, Völker und Parteien stehen, nicht verwechseln. Ich nehme an, daß Latorre ein sehr starkes Detachement nach Ihrer Halbinsel geschickt hat, um den Major aufzuheben.“

Der Mann vergaß sich so weit, mir zu antworten:

„Niemand sagt ihm, wo diese Halbinsel und welche sie ist!“

„Pah! Sie hören ja, daß ich sie kenne.“

„So sind Sie der einzige Weiße, zu dem Petro Aynas von ihr gesprochen hat.“

„Petro Aynas?“ fragte der Frater schnell, indem er mir einen bezeichnenden Blick zuwarf, denn er hatte verstanden, daß ich den Mann nach der Lage der Halbinsel ausforschen wolle. „Den kenne ich und werde, wenn ich ihn wieder aufsuche, sicherlich von ihm willkommen geheißen.“

Ich wußte nun, daß wir erfahren würden, was wir wissen wollten; darum gab ich meine Aushorcherei auf und sagte:

„Sie sehen, daß Sie Ihre Geheimnisse nicht allein besitzen. Andere plaudern sie aus und sind ebenso unzuverlässig, wie Sie selbst.“

„Ich, unzuverlässig?“

„Haben Sie mir nicht gesagt, daß wir Vertrauen zu einander fassen wollen? Und doch haben Sie mich belogen.“

„Nein, Sennor!“

„Gewiß! Sie sagten, Sie seien ganz allein nach hier gekommen.“

„Das ist die reine Wahrheit.“

„Es ist vielmehr die reine Lüge! In einem kleinen Thale mit einem noch kleineren Weiher, an welchem Gras und Mimosensträucher stehen, lagern Ihre Kameraden.“

Er blickte starr zu mir herüber und brachte keine Entgegnung fertig. Endlich sagte er:

„Sennor! Alle Wetter! Sie sind in Wirklichkeit ein Teufel!“

„Das ist gut. Man sagt, der Teufel sei kugel-, hieb- und stichfest. Also habe ich Ihren Messerstich nicht zu fürchten.“

„Welchen Messerstich?“

„Sie wollten mir doch Ihr Messer in den Leib rennen, wie Sie Ihrem Lieutenant erzählten, als Sie vor anderthalb Stunden von ihm fortritten.“

Der Mund stand ihm offen; er war ganz fassungslos. Dennoch bewegte seine Hand sich langsam nach dem Gürtel, in welchem das Messer steckte. Ich zog den Revolver, zielte auf ihn und gebot:

„Die Hand vom Messer, sonst erhalten Sie augenblicklich die Kugel!“

Sein Gesicht wurde blutleer, und er ließ die Hand vom Gürtel. Der Bruder trat von hinten zu ihm heran und zog ihm das Messer heraus. Er wollte sich dagegen wehren, aber der Bruder sagte ernst:

„Willst du dich an mir vergreifen? Bedenke, was du thust!“

Der Mann wußte jetzt, wie die Sache stand. Er warf einen Blick rundum, sah die Thüre frei, da der Frater dieselbe verlassen hatte, und sprang auf dieselbe zu. Ich hatte das vorausgesehen und stand, als er sie erreichte, schon zwischen ihm und ihr.

„Bleiben Sie!“ gebot ich ihm. „Soll ich wirklich auf Sie schießen? Kommen Sie! Schauen Sie da hinab!“

Ich faßte ihn an dem Arme und zog ihn, ohne daß er sich weigerte, an das Fenster. Er blickte hinab.

– „Wo ist mein Pferd?“ fragte er.

„Zur Seite geschafft. Sie sehen, daß es Ihnen unmöglich ist, zu entkommen. Draußen und unten stehen die Peons und die Gauchos. Uebrigens sind Sie nicht der einzige, der hier einen Empfang findet, auf den er vor anderthalb Stunden nicht eingerichtet war. Sehen Sie einmal weiter!“

Ich schob ihn bis zur Thüre des Nebenzimmers; der Haziendero öffnete dieselbe. Der Mann erblickte die beiden fest angebundenen Gefangenen. Er wollte sich fassen, sich beherrschen; aber ich sah seine Lippen beben, und fast stammelnd stöhnte er mir zu:

„Sennor, ich schwöre es Ihnen jetzt zu, daß Sie ein Teufel sind, der wirkliche, leibhaftige Teufel!“

„Wenn Sie davon so sehr überzeugt sind, so werden Sie einsehen, daß Widerstand der größte Unsinn wäre. Fügen Sie sich also in Ihre Lage, welche wenigstens nicht die sein wird, die Sie mir bereiten wollten. Wir denken, obgleich Sie mich einen Teufel nennen, weit menschlicher als Sie.“

Er wurde auch gebunden, ohne daß er Gegenwehr versuchte, und die drei saßen nun gefesselt nebeneinander auf ihren Stühlen. Hätten sie versucht, sich mit denselben zu bewegen, so wären sie mit ihnen umgestürzt. Keiner konnte dem andern helfen, eine Flucht war ganz ausgeschlossen. Trotzdem wurde einstweilen ein Peon zu ihnen gethan, so daß es von ihnen der reine Wahnsinn gewesen wäre, an das Entkommen zu denken. Nachdem wir aus der Stube gegangen waren und die Thür hinter uns zugemacht hatten, sagte der Estanziero zu mir:

„Jetzt haben wir sie alle drei, und die Ausführung Ihres Vorhabens ist Ihnen gelungen, Sennor. Aber die Hauptsache bleibt uns noch zu thun. Ob wir auch sie so gut erledigen, das erscheint mir leider als sehr zweifelhaft.“

„Ich denke anders,“ antwortete ich ihm. „Wie ich Ihnen bereits gesagt habe, wäre ich des Gelingens vollständig sicher, wenn ich allein reiten dürfte. Ein guter Koch kann überzeugt sein, daß ihm die Speise, auf deren Zubereitung er eingeübt ist, vollständig gelingen werde. Sobald man ihm aber andere Köche an die Seite stellt, welche ihm helfen sollen, ist es sehr möglich, daß sie ihm das Gericht verderben. Er wird nur dann den Erwartungen seines Herrn entsprechen können, wenn die andern Köche sich genau nach seinen Anordnungen zu richten haben.“

„Nun gut! Ihr Beispiel ist deutlich genug. Wir reiten mit, werden uns aber ganz nach Ihrem Willen richten. Sie sollen unser Anführer sein.“

„Das verlange ich nicht. Nur dann, wenn wir uns an Ort und Stelle befinden, werde ich Sie bitten, meine Vorschläge zu beachten. Sie haben vor mir die Kenntnis des Landes und der Sitten seiner Bewohner voraus; ich aber möchte die Ueberzeugung hegen, daß ich in der Ausführung von Aufgaben, wie die unserige ist, mehr Erfahrung und Uebung besitze, als Sie. Gewalt dürfen wir nur im äußersten Notfalle anwenden, denn die List wird uns viel schneller und sicherer zum Ziele führen. Wir müssen wie Diebe handeln, denn wir werden den Bolamännern ihre Gefangenen zu stehlen haben. Dazu ist die äußerste Vorsicht und Verschlagenheit erforderlich, und diese Art und Weise, einen Feind zu übervorteilen, habe ich bei den Indianern des Nordens gelernt. Brechen wir bald auf; sorgen Sie für gute Bewaffnung und für Proviant und Munition! Den Gefangenen hat man jedenfalls die Waffen abgenommen; wir müssen ihnen andere mitbringen.“

Der Haziendero zeigte uns nun ein festes Gelaß, in welchem die drei Gefangenen bis zu seiner Rückkehr untergebracht und auf das strengste bewacht werden sollten. Als wir sie da hinunter schafften, erging der Lieutenant sich in allerhand Drohungen. Er blieb bei der Behauptung, daß seine Truppe nur aus Soldaten der Banda oriental bestehe und man uns infolge dessen für unser gewaltthätiges Verhalten in hohe Strafe nehmen werde. Wir achteten aber nicht darauf.

Kurze Zeit später brachen wir auf. Es wurde ein Packpferd mitgenommen, welches den Proviant und allerlei Effekten zu tragen hatte. Da unser Unternehmen kein ungefährliches war, so verstand es sich ganz von selbst, daß die Damen den Estanziero nicht ohne große Besorgnis von sich ließen. Ich mußte seiner Frau und Tochter heimlich versprechen, über ihn zu wachen, damit er nicht zu viel wage und ihm infolgedessen ein Unglück geschehe. Ich konnte ihnen das nicht übel nehmen, obgleich sie damit indirekt sagten, daß ihre Sorge für uns andere nicht so groß sei, wie diejenige, welche sie um ihn hegten.

Wir waren vom Rancho her spät auf der Estanzia angekommen; das auf der letzteren Erlebte hatte eine lange Zeit in Anspruch genommen, und so war ein bedeutender Teil des Nachmittags vergangen, als wir die Grenze der Besitzung Montesos hinter uns hatten. Wir waren, wie bereits erwähnt, acht Personen, der Estanziero, der Frater, ich und die fünf Yerbateros, welche ganz darauf brannten, ihren Kollegen und Anführer zu befreien. Wir mußten zunächst nach dem Rancho, um dort den Toten zu begraben, wie wir es versprochen hatten. Willkommenerweise lag diese Besitzung ziemlich in der Richtung, welche wir einzuschlagen hatten, so daß unser Zeitverlust nicht bedeutend werden konnte. Wir ritten ganz durch dieselbe Gegend, durch welche wir herzugekommen waren, und erreichten, da wir die Pferde tüchtig antrieben, den Rancho kurz nach Einbruch der Dunkelheit. Dort erzählten wir, was geschehen war. Der brave Bürgli war darüber so erzürnt, daß er sich erbot, sich uns anzuschließen, um die Bolamänner bei der Parabel zu nehmen, wie er sich ausdrückte. Wir schlugen ihm die Erfüllung dieses Wunsches natürlich ab. Er konnte uns nicht verbessern, ganz davon abgesehen, daß seine Gegenwart auf dem Rancho nur schwer zu entbehren war.

Das Begräbnis fand noch am Abend statt unter Assistenz des von Montevideo geholten Priesters, dann nahmen wir Abschied von den lieben Leuten. Der Ranchero brachte uns trocken über den Fluß, denn er besaß ein Boot, welches an einer Stelle des Ufers untergebracht war, an welcher es von Fremden nicht so leicht entdeckt werden konnte. Ich mußte versprechen, ja wieder einzukehren, falls mein Weg mich wieder in diese Gegend führe. Möglich war es, daß wir mit dem Yerbatero und seinem Neffen zurück kamen; ebenso leicht aber konnte es geschehen, daß sich dieser sogleich bereit zeigte, die Reise nach dem Gran Chaco fortzusetzen. Ueberhaupt waren wir keineswegs Herren unserer Zukunft. Wir gingen ja einem Unternehmen entgegen, dessen Resultat keiner von uns wissen konnte.

Vom jenseitigen Ufer des Rio Negro an war der Frater unser Führer. Er glaubte, die Gegend besser als der Haziendero und selbst als die Yerbateros zu kennen, und es stellte sich heraus, daß er recht hatte.

Der Mond schien so hell, daß der nächtliche Ritt keinerlei Beschwerde für uns hatte. Wir kamen an Ranchos, Estanzias und Haziendas vorüber, zuweilen auch an einem kleinen, bewohnten Orte, dessen Namen mir wohl genannt, von mir aber schnell vergessen wurde. Bei Anbruch des Tages hatten wir eine bedeutende Strecke zurückgelegt. Der Estanziero hatte für sich und die Yerbateros seine besten Pferde ausgewählt; das Tier, welches der Frater ritt, war ausgezeichnet, obgleich sein Aussehen nicht darauf schließen ließ, und mein Brauner hatte seine Schuldigkeit auch gethan. Wir beiden letzteren hatten im Rancho unsere Pferde natürlich wieder umgetauscht. Jetzt wollten wir sie ein wenig ausruhen lassen und ihnen Wasser geben. Die Yerbateros hielten dies freilich nicht für nötig. Sie sagten, daß wir überall Pferde bekommen könnten, falls die unserigen abgetrieben seien. Ich drang aber durch, da auch der Bruder meiner Meinung war, daß die Pferde auch Geschöpfe Gottes seien und jeder brave Reiter ebenso auf sein Tier, wie auf sich selbst zu sehen habe.

Wir sahen uns nach einem Orte um, an welchem wir absteigen könnten. Ein wenig zur rechten Hand von unserer Richtung sahen wir einen dünnen, leichten Rauch aufsteigen. Es roch brenzlich in der Luft.

„Dort liegt eine Meierei,“ sagte der Bruder. „Ich möchte behaupten, daß man sie von hier aus sehen müsse. Der Rauch kommt mir verdächtig vor. Es wird den braven Leuten doch nicht ein Unglück geschehen sein!“

„Kennen Sie den Besitzer?“ fragte ich.

„Ja. Es ist ein alter Sennor mit einer sehr ehrwürdigen Sennora, die einen einzigen Sohn und vier Gauchos haben. Er ist bekannt als Züchter der besten Pferde. Er sucht eine Ehre darin. Die Gegend ist hier einsam, und es giebt im weiten Umkreise keine Siedelung. Sollte das Gebäude abgebrannt sein? Lassen Sie uns hinreiten!“

Nach wenigen Minuten konnten wir sehen, daß es allerdings ein Schadenfeuer gegeben hatte. Die Wände waren eingestürzt und bildeten einen nur noch leicht rauchenden Trümmerhaufen. Die Corrals waren leer, und nur hie und da sah man in der Ferne ein weidendes Rind, welches vor dem Rauch geflüchtet zu sein schien. Pferde aber sah man nicht ein einziges Stück.

„Da ist ein Ueberfall geschehen!“ rief der Bruder. „Sollten sich die Bolamänner hier befunden haben?“

„Warum ein Ueberfall?“ fragte ich.

„Weil die Tiere fort sind.“

„Sie sind vor dem Feuer entflohen.“

„O nein. Sehen Sie sich doch diese starken Kaktushecken an, durch welche zu dringen selbst der wildeste Stier sich hüten wird. Sie hätten nicht heraus gekonnt, sondern man hat die Tiere herausgejagt. Die Umzäunungen sind ja geöffnet. Ich ahne Unheil. Machen wir, daß wir zu der Brandstätte kommen!“

Als wir dort anlangten, sahen wir, daß alles verbrannt und wohl nichts gerettet worden war. Mit einigen Stangen, welche wir fanden, stocherten wir in der noch heißen Asche und fanden zu unserer Beruhigung keine Ueberreste menschlicher Körper.

„So müssen wir weiter suchen,“ meinte der Frater. „Zerstreuen wir uns zunächst in die Corrals. Vielleicht entdecken wir wenigstens eine Spur.“

Dieser Weisung wurde gefolgt. Die Yerbateros ritten nach den entfernteren Einfriedigungen, und wir andern suchten zu Fuße die näher liegenden ab. Bald vernahmen wir einen lauten Ruf. Die Yerbateros schienen etwas gefunden zu haben, und wir eilten zu ihnen. Wir fanden sie beschäftigt, mehrere Personen zu befreien, welche mit Lassos tief in eine stachelige Hecke gezogen und dort festgebunden worden waren. Es war der alte Besitzer der Meierei mit seiner Frau und drei Gauchos. Sie waren von den Stacheln verletzt, und besonders die beiden ersteren befanden sich in einem sehr erschöpften Zustande. Wasser war für sie die Hauptsache. In der Nähe des Hauses befand sich ein Ziehbrunnen, fast ganz so angelegt, wie man sie in der ungarischen Pußta zu sehen bekommt. Dorthin schafften wir die fünf Personen, welche wir mehr tragen als führen mußten. Die beiden alten Leute waren vollständig ermattet, und selbst die kräftigen Gauchos konnten nur mit Mühe gehen. Sie wollten uns erzählen, was geschehen war; wir baten sie aber, jetzt noch zu schweigen und sich erst zu kräftigen.

Das Wasser that die gewünschte Wirkung. Bei den Gauchos waren es nicht der Schreck, die Angst und der Durst allein, durch welche sie so ermattet worden waren. Wir bemerkten bald, daß sie schwere körperliche Mißhandlungen erduldet hatten. Die Alten saßen still da, die Blicke traurig auf die Trümmer des Hauses gerichtet, sie sagten nichts; der Mann stieß zuweilen einen tiefen Seufzer aus, und die Frau weinte leise vor sich hin. Die drei Peons oder Gauchos aber erhielten sehr bald die Fähigkeit zurück, ihrem Zorne in den kräftigsten Ausdrücken Luft zu machen. Nur die Gegenwart des Bruders, dessen Kleidung ihn kennzeichnete, hielt sie ab, allzu drastisch zu werden.

„Bitte, nicht fluchen!“ sagte er. „Das kann die Sache nicht besser machen. Ihr seid wohl erst seit kurzer Zeit hier, denn ich habe euch noch nie gesehen. Der Sennor und die Sennora aber kennen mich; sie wissen, daß ich Hilfe bringen werde, wenn dieselbe überhaupt möglich ist.“

„Hilfe?“ lachte einer der Gauchos. „Woher soll die kommen? Man hat das Haus in Brand gesteckt und dann alle unsere Pferde davongeführt.“

„Wer ist’s gewesen?“

„Eine Bande von Freibeutern war es, die sich für Regierungstruppen ausgab.“

„Eben diese Leute suchen wir. Wohin sind sie?“

„Das wissen wir nicht. Sie sind von hier aus südwärts geritten.“

„Wann kamen sie hier an?“

„Sie mußten vorgestern bereits während der Nacht gekommen sein. Als wir erwachten, kampierten sie in der Nähe des Hauses. Sie wollten Pferde kaufen!“

„Das heißt, sie wollten sie stehlen?“

„Natürlich! Das sagten sie aber nicht. Sie hatten, wie es schien, einen oder wohl auch mehrere Gefangene bei sich, welche gefesselt waren und von ihnen für Staatsverbrecher ausgegeben wurden.“

„Das war eine große Lüge!“

„Wir mußten es glauben, obgleich der junge Sennor es bestritt und von ihnen die sofortige Freilassung verlangte.“

„War das euer junger Sennor?“ fragte der Bruder weiter.

„Nein, sondern Sennor José Monteso von der Estanzia del Yerbatero. Er war am Abende gekommen, um am nächsten Morgen heimzureiten. Er kam aus Santa Fé herüber.“

„Das ist mein Sohn!“ erklärte Monteso. „Ich bin der Besitzer der Estanzia. Erzählt uns alles sehr genau! Wir wissen bereits, daß mein Sohn und mein Bruder Gefangene der Bolamänner sind, und befinden uns unterwegs, sie zu befreien.“

„Wenn das so ist, Sennor, so nehmen Sie uns mit, damit wir diesen Kerlen heimzahlen können, was sie an uns gethan haben.“

„Das geht nicht, denn dazu seid ihr zu schwach und werdet hier notwendig gebraucht. Ihr könnt doch unmöglich eure Herrschaft verlassen!“

„Sie haben recht, Sennor. Also nehmen Sie die Vergeltung für uns mit in Ihre Hand!“

„Das verspreche ich euch. Doch muß ich natürlich alles erfahren, was hier geschehen ist. Kanntet ihr meinen Sohn?“

„Er hatte uns am Abende gesagt, wer er ist. Er wollte mit Anbruch des Tages fort. Darum weckten wir ihn, als der Tag graute. Als er dann aus dem Hause kam, erkannte er in dem Gefangenen seinen Oheim. Er forderte dessen Freiheit, aber der Erfolg war, daß er selbst gefangen genommen wurde.“

„Konntet ihr das nicht verhüten?“

„Wir? Vier Männer und eine Frau gegen über fünfzig solche Kerle! Wir sind hier vier Gauchos. Der vierte ist mit unserem jungen Sennor hinauf nach Salto. Wir waren viel zu schwach und wußten auch gar nicht, wer recht hatte.“

„Gut, weiter!“

„Die Gefangenen wurden in die Stube geschafft, wo man heimlich mit ihnen verhandelte. Dann mußte unser Sennor Schreibzeug und Papier geben. Es wurde ein Brief geschrieben. Ich glaube, der ältere Sennor mußte ihn schreiben. Und dann machten sich drei, von denen einer als Lieutenant bezeichnet wurde, auf, um den Brief fortzuschaffen. Ich hörte, daß der Major ihm nachrief, er solle sich beeilen, daß er noch zur Mittagszeit am Ziele ankomme. Welches Ziel dies sei, wußten wir nicht.“

„Es war meine Estanzia. Der Brief galt mir. Was geschah dann?“

„Dann ließen sich die Leute einen Ochsen von uns geben, den sie schlachteten. Sie blieben während des ganzen Tages hier und erklärten, auch noch die Nacht da warten zu wollen. Unser Sennor aber glaubte, ihnen nicht trauen zu dürfen. Es waren rohe Leute. Wie leicht konnten sie des Nachts fortreiten, ohne den Ochsen bezahlt zu haben. Darum bat sie der Sennor, als es spät abend geworden war und er zur Ruhe gehen wollte, um das Geld. Aber sie erklärten die Worte unsers Herrn für eine große Beleidigung, und verlangten, er solle Abbitte thun, und als er sich dessen weigerte, fielen sie über ihn her.“

„Und ihr?“

„Wir eilten ihm sogleich zu Hilfe, wurden aber niedergerissen und gebunden. Auch den Herrn und die Sennora fesselte man. Dann wurden wir nach dem Corral geschafft, in welchem Sie uns gefunden haben, und dort angebunden, nachdem man uns drei geschlagen hatte, daß das Blut von uns lief.“

„Schändlich!“

„Ja, es war schändlich; aber wir konnten nichts thun, als mit den Zähnen knirschen. Im stillen aber habe ich geschworen, Rache zu nehmen. Ich habe sie alle so genau angesehen, daß ich jeden Einzelnen kenne. Wehe dem von ihnen, der mir begegnen sollte! Meine Bola würde ihm Arme und Beine zerschmettern.“

„Dann brannten sie wohl die Alqueria an?“

„Noch nicht. Erst öffneten sie die Corrals und trieben alle Rinder fort. Das beste aber suchten sie sich vorher heraus, um es zu schlachten und das Fleisch als Proviantvorrat mitzunehmen. Während sie damit beschäftigt waren, wurden alle Stricke und Riemen, welche es im Hause gab, zusammengesucht. Man schnitt auch Riemen aus den Fellen, welche wir daliegen hatten; zu welchem Zwecke, das sollten wir bald sehen. Sie fingen nämlich unsere sämtlichen Pferde und banden sie zu einer Tropa zusammen.“

„Die Gefangenen wurden wohl mitgenommen?“

„Wahrscheinlich. Sehen konnten wir es freilich nicht. Aber ich habe gehört, daß ihnen mit dem Tode gedroht wurde, falls die drei, welche mit dem Briefe fortgeritten sind, bis morgen ihren Zweck nicht erreicht haben.“

„So ist es, ganz genau so,“ ergriff der alte Sennor zum erstenmal das Wort. „Denken Sie sich, meine Pferde gestohlen, meine prächtigen, guten Pferde, und dann das Haus ausgeraubt und verbrannt! Ich bin dadurch zum Bettler geworden!“

„Trösten Sie sich, Sennor!“ antwortete der Estanziero. „Wir reiten den Banditen nach. Vielleicht läßt sich noch etwas retten.“

„Dazu ist keine Hoffnung vorhanden!“

„Selbst in diesem Falle dürfen Sie den Mut nicht verlieren. Sie fangen eben von neuem an. Ich bin reich. Die Anwesenheit meines Sohnes und Bruders hat Ihnen Unglück gebracht. Ich halte es für meine Schuldigkeit, Ihnen beizustehen, und werde auf dem Rückwege Sie wieder besuchen. Dann können wir ja über Ihre Angelegenheit sprechen. Sie sollen nicht zu Grunde gehen. Das Geld, welches Sie brauchen, um Ihre Verluste nach und nach wieder einzubringen, will ich Ihnen sehr gern vorstrecken.“

„Wollten Sie das wirklich, Sennor?“

„Ja. Damit Sie sehen, daß ich Ihnen nicht dieses Versprechen mache, nur um Sie zu trösten und Sie dann sitzen zu lassen, will ich Ihnen gleich jetzt eine Summe geben, über deren Anwendung Sie nachdenken können, bis ich wieder zu Ihnen komme.“

Er hatte für den Fall, daß er seinen Sohn und seinen Bruder nur durch Loskauf frei bekommen könne, die dazu nötige Summe eingesteckt. Jetzt zog er seine Brieftasche heraus und gab dem Alten mehrere Banknoten in die Hand. Dieser letztere warf einen Blick auf dieselben und rief erstaunt:

„So viel ist gar nicht – –“

„Still!“ unterbrach ihn Monteso. „Ich habe jetzt keine Zeit, Ihre Bedenken anzuhören. Wir müssen fort. Gern würden wir hier bleiben, um Ihnen zu helfen, Ihre Rinder einzufangen. Aber die Gauchos werden sich bald so weit erholt haben, daß sie es thun können. Die Tiere sind gezeichnet und können Ihnen nicht verloren gehen. Uebrigens werden wir bei Ihrem nächsten Nachbar vorsprechen, um Ihnen von dort aus Hilfe zu senden.“

So schnitt der brave Mann alle Einwendungen und Dankesworte ab. Wir stiegen auf und ritten davon. Es war nicht schwer, die Spuren der Bolamänner aufzufinden; aber wir verzichteten darauf, ihnen zu folgen. Der Frater wollte uns auf dem kürzesten Wege zu dem Indianer Petro Aynas führen, von welchem zu erfahren war, wo die gesuchte Halbinsel lag. Wir ritten weit über eine Stunde im Galoppe, bevor wir die nächste Besitzung erreichten. Dort hielten wir die Ruhe, auf welche der Estanziero verzichtet hatte, um den Danksagungen des Abgebrannten zu entgehen. Wir teilten den Leuten das Unglück mit, welches den letzteren betroffen hatte, und es wurden augenblicklich mehrere Männer abgeschickt, um den armen Leuten wenigstens die notwendige erste Hilfe zu bringen. So waren wir über diese Angelegenheit beruhigt. Auf der Hazienda, auf welcher wir uns jetzt befanden, hatte man die Bolamänner nicht gesehen.

„Sie sollen nach Süd geritten sein,“ sagte Monteso. „Warum?“

„Um nicht wissen zu lassen, wohin sie eigentlich wollen,“ antwortete ich.

„Sennor, diese Kerle treiben eine Pferdeherde mit sich. Sie haben keine Zeit zu verlieren.“

„Ja, aber sie dürfen sich auch nicht sehen lassen. Darum schlagen sie einen Bogen.“

„Sollten sie doch nach einem andern Orte wollen, als wir denken? Haben Sie wirklich alles ganz genau gehört, als Sie gestern die beiden belauschten?“

„Ganz genau. Es ist gar kein Irrtum möglich. Uebrigens brauchen sich die Kerle gar nicht so zu beeilen, wie Sie denken.“

„Aber sie müssen doch immer mit dem Falle rechnen, daß wir sie verfolgen!“

„Ganz richtig. Aber sie können es sich sehr gut ausrechnen, daß sie da sehr weit vor uns sind. Sie sind gestern am Spätabende von der Brandstätte fortgeritten und haben also einen Vorsprung von vielleicht sechs Stunden vor uns. Dazu kommt, daß sie sich nach einem Orte begeben, von dem sie meinen, daß wir gar nichts von ihm wissen, daß wir weder seinen Namen, noch seine Lage kennen. Sie sind jedenfalls der Ansicht, daß sie ganz unbesorgt sein können. Wie weit liegt der Uruguay von hier?“

„Von meiner Estanzia aus hat man über zwanzig Stunden zu reiten. Wir kommen wohl am Abende hin.“

„Das ist richtig,“ stimmte der Frater bei. „Da wir aber erst den Indianer aufsuchen müssen, so kann es auch später werden. Er wohnt in der Nähe des Flusses; aber er ist nur selten daheim. Wenn sein Weib uns keine Auskunft geben kann, so werden wir zu warten haben, bis er kommt, oder wir sind gezwungen, ihn zu suchen.“

„Indessen kommen unsere Gegner über den Fluß.“

„Gewiß nicht, denn sie müssen ja die Rückkehr des Lieutenants erwarten. Brechen wir jetzt auf! Die Pferde haben sich erholt.“

So ging es also wieder weiter, immer nach Westen zu. Am Mittag rasteten wir kurze Zeit auf einem Rancho, wo man von den Bolamännern kein Wort wußte und auch den Namen der Krokodilshalbinsel nie gehört hatte. Am Nachmittage kamen wir noch an andern Siedelungen vorüber, konnten aber nirgends eine Auskunft erhalten. Wir befanden uns jetzt im Gebiete zweier kleiner Flüsse, welche in den Uruguay gehen. Wir ritten ungefähr in der Mitte zwischen ihnen, und da bot sich eine ganz andere Vegetation unsern Augen dar. Der Boden trug zwar immer noch das Camposgras, aber es erschienen Büsche und später auch Bäume, welche das Bestreben hatten, einen Wald zu bilden, was ihnen aber freilich nicht gelingen wollte. Das, was Wald sein wollte, konnte besser Park genannt werden, denn die Bäume standen licht und nicht in der Weise, welche der Deutsche fordert, wenn er von einem geschlossenen Forste sprechen soll. Nun passierten wir noch mehrere Bäche und die schmalen Ausläufer von Lagunen, welche an ihrem anderen Ende mit dem Flusse in Verbindung standen. Das Camposgras hörte auf. Schilf und Bambusse traten an seine Stelle. Die Bäume waren meist Laubhölzer, welche von dichten Schlingpflanzen umrankt waren. Diese letzteren Gewächse umklammern ihr Opfer, mischen ihre Blätter mit den seinigen und bilden oft vom Boden bis zur Spitze des Baumes eine dichte, grüne Hülle, unter welcher der Baum vollständig verschwindet.

Die Dämmerung wollte sich niedersenken, und wir befanden uns auf einem Terrain, mit welchem im Dunkel der Nacht nicht zu scherzen war. Der Fluß mußte in ziemlicher Nähe sein, denn er schickte schmälere oder breitere Buchten zu uns herüber, welche teils eine helle Wasseroberfläche, oft aber auch eine trügerische Pflanzendecke zeigten, auf welche man in der Dunkelheit sehr leicht geraten konnte. Ich sah ein eigentümliches, dickplumpes Tier in einer dieser Buchten plätschern. Es floh bei unserer Annäherung.

„Das war ein Wasserschwein,“ erklärte der Frater auf meine Frage.

In einer anderen Bucht sah ich dunkle Baumstämme liegen, deren Enden aus dem Wasser ragten.

„Das sind Krokodile,“ belehrte er mich jetzt.

„Und da reiten wir so nahe vorüber?“

„Wir haben von ihnen nichts zu fürchten. Freilich, hineinsteigen in so einen Tümpel möchte ich nicht; da könnten mir ihre Rachen doch gefährlich werden.“

„Mir scheint unser jetziger Pfad überhaupt nicht recht geheuer zu sein!“

„Das ist richtig. Reiten wir einzeln hintereinander, ich voran. Wir kommen jetzt auf ein Terrain, wo man leicht einen Fehltritt thun kann, der einen in den Sumpf bringt.“

„Giebt es keinen andern, bessern Weg zu dem Indianer?“

„Nein, Sennor. Er wohnt so, daß man nur auf diese Weise und von dieser Seite an seine Hütte kommen kann. Sie ist eine kleine Festung für ihn.“

Nun ging es still und langsam auf dem weichen, wankenden Boden weiter. Der Frater mußte den Weg sehr genau kennen, da er es wagte, uns hier durchzuführen. Er stieg nicht einmal vom Pferde, was ich an seiner Stelle jedenfalls gethan hätte. Nun war es ganz dunkel geworden. Ich konnte nur notdürftig den vor mir reitenden Führer sehen. Dennoch ging es fast noch eine ganze Viertelstunde so fort, bis wir etwas wie einen Lichtschein vor uns sahen.

„Jetzt müssen wir absteigen,“ sagte der Bruder. „Jeder nehme sein Pferd beim Zügel und folge seinem Vordermanne, ohne nach rechts oder links abzuweichen. Der Pfad ist sehr schmal; er geht mitten durch tiefen Sumpf.“

Wir thaten so, wie er angeordnet hatte. Ich fühlte, daß die weiche Erde mir über den Füßen zusammenging wie Teig, und auch mein Pferd setzte nur langsam und zögernd den einen Fuß vor den andern. Das Licht wurde heller. Wir erreichten wieder festen Boden und brauchten den Gänsemarsch nicht mehr einzuhalten. Dann waren wir an Ort und Stelle.

Unter einem nicht hohen, aber breitästigen Baume stand eine Hütte, deren Wände aus Rasen erbaut waren. Das Dach bestand aus Schilf. Fenster gab es nicht, sondern nur eine Thüre, welche jetzt geöffnet war. Auf einem primitiven, auch aus Rasenerde gebildeten Herde brannte ein kleines Feuer, welches uns durch die offene Thüre entgegengeleuchtet hatte. Ueber dem Feuer stand ein eiserner Topf, in welchem eine dicke, übelriechende Masse brodelte. Kein Mensch war in der Hütte.

„Hier wohnt der Indianer?“ fragte ich.

„Ja.“

„So ist er daheim. Man kocht hier, folglich muß jemand zu Hause sein.“

„Höchst wahrscheinlich seine Frau. Lassen Sie uns sehen, was sie da zusammenbraut!“

Wir traten in den engen Raum. Der Bruder sah in den Topf und sagte:

„In diesem Gefäße steckt der Tod für mehrere hundert Geschöpfe. Es ist Pfeilgift.“

„Wirklich! Das berühmte oder vielmehr berüchtigte Gift der Indianer! Lassen Sie mich sehen!“

Ich sah freilich nichts als die schon erwähnte Masse, welche eine grünliche Farbe hatte und beinahe die Konsistenz des Sirupes besaß. Ein Stück Holz steckte in dem Topfe, um als Rührlöffel zu dienen. Der Frater rührte, zog das Holz heraus, an welchem ein Teil der Masse kleben blieb, nahm mit der Fingerspitze ein wenig weg, kostete es und sagte:

„Ja, es ist Pfeilgift. Ich kenne den Geschmack.“

„Sie essen davon?!“

„Das ist nicht gefährlich. Im Magen schadet das Gift gar nichts. Es äußert seine entsetzliche Wirkung nur dann, wenn es in das Blut kommt.“

„Kennen Sie das Rezept?“

„Nein. Der Indianer verrät es selbst seinem besten Freunde nicht. Man nimmt den Saft der Wolfsmilch, die Giftzähne und den Giftbeutel von Schlangen und die grünen Ranken einiger Kräuter und Schlingpflanzen, deren Namen ich nicht kenne. Diese Ingredienzen werden bis auf Sirupsdicke eingekocht und bilden nach dem Erkalten eine harz- oder seifenartige Masse, welche vor dem Gebrauche stets wieder aufgewärmt wird.“

„Hält sie sich lange Zeit?“

„Bis anderthalb Jahre, nämlich, wenn sie nicht schimmelig oder brüchig wird. Die Spitzen der Pfeile werden damit vergiftet. Hier sind welche.“

Der Frater schien in der Hütte genau bekannt zu sein. Er trat in eine Ecke und hob ein kleines Schilfbündel empor und öffnete es. Nun sahen wir, daß das Schilf eine Anzahl von wohl fünfzig Pfeilen umschlossen hatte, die aus den harten und nicht viel über fingerlangen Dornen einer Schlingpflanze bestanden. Die Spitzen waren, wie wir an der Färbung sahen, in das Pfeilgift getaucht. Die andern Enden waren, um die Geschosse flugfähiger zu machen, mit der Wolle von Bombax Ceïba befiedert. Die kleinen, niedlichen Waffen sahen gar nicht so gefährlich aus, wie sie waren.

Vom Boden der Hütte bis zur Spitze der trichterförmigen Decke lagen drei oder vier schwache, runde Stangen, deren Zweck ich nicht erriet. Der Bruder nahm eine derselben, zeigte sie mir und sagte:

„Sie ist hohl, nicht wahr? Das sind Blasrohre, durch welche die Giftpfeile geschossen werden. Man fertigt sie entweder aus einem glatten, geraden Palmentrieb oder aus Colihué-Rohr.“

„Wie weit schießen die Indianer mit so einem Dinge?“

„Ueber vierzig Schritte und zwar sicher und völlig lautlos.“

„Binnen welcher Zeit tötet es?“

„Affen und Papageien binnen wenigen Sekunden, den Jaguar und den Menschen in zwei bis höchstens drei Minuten.“

„Und welches Gegenmittel giebt es?“

„Keins.“

„Das ist ja eine schreckliche Waffe! Warum duldet man es, daß die Indianer sich derselben bedienen?“

„Erstens, weil man keine Macht hätte, einem solchen Verbote Nachdruck zu geben, und zweitens, weil der Indianer nur mit Hilfe dieses Giftes Herr seiner Feinde aus dem Tierreiche zu werden vermag. Ohne das Pfeilgift wären die Wälder unbewohnbar. Die Raubtiere, denen der Wilde im sichern Verstecke auflauert, würden sich so vermehren, daß die Menschheit fliehen müßte. Ein Jaguar, ein Puma braucht von so einem Pfeile nur ganz leicht geritzt zu werden; die Spitze desselben braucht nur das kleinste Haaräderchen zu treffen, so ist das Tier dem sichern Tode geweiht.“

„Aber es ist vergiftet und also unbrauchbar!“

„Sie meinen ungenießbar? O nein. Das Gift wirkt nur dann, wenn es direkt, also durch eine Wunde mit dem Blute in Berührung kommt. Das Fleisch eines Wildes, welches mit einem solchen Pfeile erlegt wurde, ist vollständig genießbar. Sie können getrost davon essen. Ich habe es viele hundertmal gethan, ohne daß es mir Schaden gebracht hat.“

Er hielt inne, denn gerade in diesem Augenblick tauchte eine Gestalt unter uns auf, welche ich beim ersten Blicke kaum für ein menschliches Wesen gehalten hätte. Die Person sah wie eine jener Mißgeburten aus, welche man zuweilen auf Jahrmärkten zu sehen bekommt. Klein, fast wie ein Kind, hatte sie doch die Züge eines alten Weibes. Die Backenknochen standen weit vor und die Augen waren schief geneigt. Auf dem Kopfe hatte sie ein dichtes, verworrenes Gestrüppe, welches ich wohl für trockenen, dürren Besenginster, aber nicht für Haare gehalten hätte. Sie war so mager, daß es schien, als ob kein Lot Fleisch an ihr vorhanden sei.

„Daya, du bist es?“ fragte der Frater.

Sie nickte und schlug ein Kreuz.

„Ist dein Mann hier?“

Sie nickte und schlug wieder ein Kreuz.

„So sprich doch!“ forderte er sie auf.

„Gieb mir was!“ ließ sie sich nun vernehmen.

„Nachher, Daya! Erst mußt du mir meine Fragen beantworten.“

„Ich weiß nichts!“ „Lüge nicht! Du weißt, ich verzeihe dir das nicht!“

Sie sah mit einem eigentümlichen, affenartigen, dummdreisten Gesichte zu ihm auf und antwortete:

„Du vergiebst alles, du bist gut!“

„Du hast noch nicht gesehen, daß ich zornig zu werden vermag, kannst es aber heute sehr leicht erfahren. Waren heute Männer bei euch?“

„Ich weiß es nicht.“

„Hm! Ich sehe wohl, daß ich dir etwas schenken muß. Was willst du denn haben?“

„Daya braucht einen schönen, glänzenden Knopf für ihr Kleid.“

„Du sollst einen haben.“

Er schien auf dergleichen Wünsche seiner Bekannten genügend vorbereitet zu sein, denn er zog einen Beutel aus der Tasche und gab ihr einen blankgeputzten Messingknopf, den sie sofort an einen Faden nahm und mit Hilfe desselben an ihr Kleid befestigte. Dabei funkelten ihre Augen vor Vergnügen, und ihr Gesicht nahm einen kindlich fröhlichen Ausdruck an, welcher einen fast zu rühren vermochte.

„Bist du nun zufrieden?“ fragte der Bruder.

„Ja, ich bin zufrieden, und du bist gut.“ „So sei auch du gut! Wirst du mir die Wahrheit sagen?“ „Daya sagt dir keine Lüge.“ „Waren heute Leute da?“

„Nein.“

„Gar niemand?“ fragte er dringlicher.

„O ja. Ein Mann.“

„Siehst du, daß du vorhin die Unwahrheit sagtest! Kanntest

du den Mann?“

„Nein.“

„Kam er gegangen oder geritten?“

„Er war auf einem Pferde.“

„Wie war er gekleidet?“

„Wie ein weißer Sennor. Er hatte eine Lanze.“

„Gut. Sprach er mit dir?“

„Nein, sondern mit Petro.“

„Also mit deinem Manne. Was sagte er denn?“

„Ich hörte es nicht.“

„So weißt du nicht, was er gewollt hat?“

„Ich weiß es. Meinen Mann wollte er.“

„So ist er mit ihm fort? Wohin?“

„Sie sagten es nicht.“

„Hm! Wann wollte Petro wieder kommen?“

„Auch das sagte er nicht.“

„Wann war es, als dieser Mann bei euch war?“

„Es war noch nicht dunkel.“

„Hast du denn keine andern Männer gesehen?“

„Nein.“

„Hast du vielleicht einmal einen Mann gesehen, welcher

Enrico Cadera heißt?“

„Nein.“

„Oder einen, welcher Major ist?“

„Auch nicht.“

„Hat Petro nicht zu dir von zwei Männern gesprochen,

welche gefangen sind?“

„Er sagte nichts.“

„Nun, so sage mir wenigstens, ob du einen Ort am Flusse

kennst, welcher die Peninsula del crocodilo heißt!“

„Den weiß ich.“

„Wo liegt er? Weit oder nahe von hier?“

„Nicht weit.“

„Kannst du uns dorthin führen?“

„Ganz leicht.“

„So wirst du uns jetzt dorthin bringen, aber so leise, daß niemand es hört.“

„Daya wird hingehen und nachsehen, ob wer da ist.“

„Gut! Wenn du aber nun deinen Mann dort findest?“

„Darf er mich sehen, Bruder?“

„Nein.“

„So werde ich ganz heimlich sein.“

„Das verlange ich von dir. Schau, wenn du deine Sache gut machst, schenke ich dir auch noch diesen Knopf.“

Er zog einen zweiten Messingknopf aus der Tasche. Die Indianerin ließ einen Ruf des Entzückens hören und sagte:

„Daya wird den Knopf bekommen. Sie geht. Niemand wird sie hören oder sehen, selbst Petro nicht.“

Sie huschte leicht wie eine Fledermaus zur Thüre hinaus und verschwand im Dunkel der Nacht. Der Frater ließ die Schilfmatte herab, welche den Zweck hatte, den Eingang zu verdecken.

„Ihre Daya scheint nicht sehr verläßlich zu sein?“ fragte ich.

„Sie ist es, wenn man nichts verlangt, was über ihr Begriffsvermögen geht. Sie ist verwahrlost, halb Weib, halb wilde Katze. In diesen Sümpfen ist sie daheim, und ich bin überzeugt, daß ihr Mann sie nicht sieht, selbst wenn sie an ihm vorüberhuscht. Sie besitzt die Gewandtheit und Gelenkigkeit eines wilden Tieres.“

„Ich bin begierig, ob die Kerle schon da sind!“

„Natürlich sind sie da, denn der Mann, von welchem Daya sprach, war sicher einer von ihnen.“

„Es kann auch ein anderer gewesen sein.“

„Das glaube ich nicht, da er eine Lanze getragen hat. Lanzen tragen nur die Indianer und die Kavalleristen. Warten wir es ab!“

Wir acht Personen standen still an der kleinen, engen Hütte. Ich suchte, ob ich in derselben noch etwas Interessantes finden könnte, doch vergebens. Nach Verlauf von ungefähr einer Viertelstunde kehrte die Indianerin zurück. Sie zog die Matte hinter sich zu und sagte:

„Frater, meinen Knopf!“

„So schnell geht das nicht. Erst mußt du ihn dir verdienen. Was hast du gesehen?“

„Nichts.“ „Daya, du mußt dich geirrt haben!“ „Daya irrt sich nie. Ihre Augen sehen auch des Nachts.“ „Oder lügest du?“

„Daya sagt dem heiligen Manne keine Lüge, denn er ist gut.“

„Willst du uns etwa verraten?“ „Das thue ich nicht, denn du giebst mir einen Knopf.“

„Nun gut, ich will dir glauben. Hier hast du den Knopf! Aber nun mußt du uns auch nach der Peninsula führen!“

Sie nickte zustimmend, indem sie sich beeilte, auch diesen Knopf zu befestigen.

„Aber ganz heimlich!“ fuhr er fort. „Es darf uns niemand hören.“

„Das geht nicht.“ „Warum?“ „Weil du Pferde dabei hast.“ „Die lassen wir hier.“ „Wenn aber jemand hierher kommt!“ „So würden sie freilich entdeckt.“ „Soll Daya sie verstecken?“ „Giebt es einen Ort, wo niemand sie finden kann?“ „Ja. Er liegt in der Nähe.“ „So wollen wir sie hinschaffen.“

„Das geht nicht. Nur ein Mensch und nur ein Pferd können miteinander hin. Mehrere würden in den Sumpf fallen und ersticken.“

„So führe mich! Ich allein werde die Pferde transportieren.“ „Nein. Du vermagst es nicht, denn du kennst den Weg nicht. Daya wird das allein machen, wenn du mir noch einen Knopf giebst.“

„Höre, Daya, du wirst unbescheiden!“

Sie sah ihn an, als ob sie der Erfüllung ihres Wunsches ganz gewiß sei, und kicherte:

„Daya liebt die Knöpfe.“

„Das weiß ich, und da ich Daya liebe, so soll sie noch einen dritten haben, aber erst dann, wenn wir unsere Pferde wieder haben. Du sollst dieselben bewachen.“

„Daya wird gut aufpassen. Jetzt schafft sie die Pferde fort.“

Sie ging wieder hinaus. Ich wollte mit.

„Warum?“ fragte der Bruder.

„Ich habe so wichtige Sachen in meinen Satteltaschen.“

„Die sind sicher.“

„Haben Sie mir nicht selbst gesagt, daß die Indianer Ihres Landes ganz unverschämte Diebe sind?“

„Mich bestiehlt keiner. Und da Sie sich bei mir befinden, sind Ihre Sachen vollständig sicher.“

„Wollen es hoffen!“

„Ich gebe Ihnen mein Wort. Dieser Daya ist ein Knopf von mir lieber, als sämtliche Gegenstände, welche Sie bei sich haben.“

Wir hörten den dumpfen Huftritt der Pferde im weichen Boden. Dieses Geräusch wiederholte sich so viele Male, wie Pferde da waren, da die Indianerin sie einzeln in das Versteck schaffte. Dann holte sie uns ab. Es ging nicht auf demselben Wege zurück, auf welchem wir gekommen waren, sondern gerade dem Flusse entgegen. Der Pfad ging im Zickzack zwischen Sümpfen hin. Vielleicht hätten wir ihn selbst am Tage nicht gefunden. Da ich der Indianerin doch nicht traute, ging ich hinter ihr und hielt den gespannten Revolver in der Hand. Nicht auf sie, auf dieses arme, beklagenswerte und unzurechnungsfähige Wesen wollte ich schießen, aber auf jeden, der sich uns etwa feindlich in den Weg gestellt hätte. Es geschah aber nichts dergleichen.

Sie hatte den Weg vorhin wohl doppelt so schnell zurückgelegt als wir, denn wir brauchten eine Viertelstunde, ehe wir uns durch einen Schilfbruch quer durchgearbeitet hatten und nun am Wasser des Flusses standen, welches wie eine schmale Bucht in das Land hereintrat.

„Das ist doch Wasser, aber keine Peninsula,“ flüsterte der Bruder der Indianerin zu.

„Die Bucht ist das Land hier links,“ antwortete sie. „jenseits dieses schmalen Landes giebt es wieder Wasser; also ist es eine Peninsula.“

„Und ist es wirklich die Peninsula del crocodilo? Solltest du es wirklich ganz genau wissen, Daya?“

„Ganz gewiß! Daya weiß es, und Petro weiß es und sonst niemand.“

„Das ist nicht wahr! Andere wissen es!“

„Nein. Daya und Petro verraten es nicht. Sie wissen auch, warum.“

„Nun, warum?“

„Das sagt Daya nicht.“

„Auch nicht, wenn ich dir noch einen schönen Knopf gebe?“

„Auch für den Knopf nicht!“

„Aber warum auch dann nicht? Ich habe so schöne Knöpfe, und du liebst sie ja!“

„Petro hat es verboten.“

„Richtig! So mußt du gehorchen. Das ist wahr. Aber befindet sich wirklich niemand hier?“

„Nein.“

„Willst du nicht lieber noch einmal nachschauen?“

„Ich sehe nach, Bruder.“

Sie verschwand. So still und bewegungslos wir standen, es war kein Laut, nicht das Rascheln eines Schilfhalmes zu hören. Dieses Weib war außerordentlich gewandt im Schleichen. Als sie nach ungefähr zwei Minuten zurückkehrte, meldete sie, daß kein Mensch vorhanden sei.

„Gut, gehe nun in deine Hütte zurück!“ sagte ihr der Bruder.

„Ja, ich kann nicht dableiben,“ sagte sie; „ich muß Gift kochen. Soll ich wiederkommen?“

„Nein. Wir kommen selbst, wenn es Tag geworden ist.“

„Was thut ihr hier?“

„Das wirst du später erfahren.“

„Darf Petro wissen, daß ihr hier seid?“

„Ja, Daya. Aber sage es ihm so, daß nur er allein es hört.“

„Es wird niemand bei ihm sein, denn es ist kein Mensch da.“

Sie huschte fort, und nun waren wir auf uns selbst angewiesen.

„Nun, Sennor, Sie wollten uns Ihre Vorschläge machen,“ sagte der Estanziero zu mir. „Wir befinden uns jetzt bei der Halbinsel. Was sollen wir thun?“

„Warten, bis sie kommen,“ antwortete ich, „vorausgesetzt, daß sie wirklich noch nicht da sind.“

„Diese Daya behauptete es doch!“

„Ich traue ihr nicht.“

„Sie thun ihr unrecht,“ sagte der Bruder. „Ich kenne sie. Die Indianer sind ja alle listig und verschlagen, wenn es gilt, einen Weißen zu betrügen. Mich aber und meine Begleiter wird diese Frau niemals täuschen.“

„Dennoch will ich mich lieber auf mich selbst verlassen. ich werde die Halbinsel selbst untersuchen. Warten Sie hier! Ich lasse mein Gewehr da. Es würde mir hinderlich sein.“

Wenn die Erwarteten sich hier befanden, so hatte ich es mit Bolamännern, aber nicht mit Apachen oder Sioux zu thun. Ich brauchte mir also keine Mühe zu geben, zumal es so dunkel war, daß ich mich nicht zu verbergen brauchte. Ich ging also aufrecht vor und suchte zunächst die Umrisse der Halbinsel kennen zu lernen. Sie war schmal und lief auch nicht sehr weit in den Fluß hinein.

Warum hatte man ihr den Namen der Krokodilshalbinsel gegeben? Es befand sich sicherlich kein einziges dieser Tiere auf ihr, denn sie hatte hohe Ufer, und Krokodile klettern nicht. Sie war mit Bäumen ziemlich dicht bestanden. Ich schritt von Baum zu Baum. Mein Auge war das Dunkel gewöhnt. Ich hätte die Kavalleristen sicher bemerkt, wenn sie dagewesen wären, aber sie waren eben wirklich nicht da.

Als ich dieses Resultat den Gefährten brachte, sagte der Bruder:

„Jetzt werden Sie zugeben, daß Daya ehrlich gewesen ist.“

„Dennoch möchte ich noch zweifeln. Die Bolaleute müssen hier sein. Und ferner sage ich mir, daß sie da, wo sie sind, auch ihre Pferde haben werden und daß die Stelle, an welcher sie sich befinden, zum Uebersetzen geeignet sein muß.“

„Dieser Ansicht bin ich auch. Sie müssen sich bereit halten, in jedem Augenblicke an das andere Ufer zu gehen. Dazu scheint aber diese Stelle gar nicht passend zu sein.“

„Auch Pferde können hier nicht gestellt werden. Ich werde wirklich ganz irre.“

„Warten wir, bis der Mond kommt! In einer halben Stunde ist er da. Dann können wir uns leichter orientieren als jetzt.“

Wir setzten uns, so gut es eben ging, in das Schilf nieder und warteten. Nichts, gar nichts regte sich rund um uns her, und nur zuweilen hörten wir das Wasser des Flusses am Ufer gurgeln. Auch wir schwiegen. Die Augenblicke der Entscheidung waren nahe, und in solcher Lage wird der Mensch am liebsten wortkarg.

Eine Viertelstunde verging und noch eine. Der Mond kam herauf, aber wir sahen ihn nicht. Sein Licht färbte die Oberfläche des Flusses, daß sie wie flüssiges Silber erglänzte. Nun konnten wir unsere Umgebung deutlich sehen.

Blickten wir über die Bucht hinüber, so bemerkten wir, daß der Strom durch einzelne Inseln eingeengt wurde, jedenfalls ein schlechter Punkt zum Uebergange über den Fluß, da das Wasser zwischen den Inseln eine doppelte Schnelligkeit erhielt, welcher die Pferde wohl kaum widerstehen könnten. Gerade vor uns hatten wir das Wasser der Bucht, links lag die Halbinsel. Rechts schob sich das Ufer nur langsam vor. Wir saßen in dem Schilfbruche, hinter welchem sich der Wald aus feuchten Tümpeln und gefährlichen Sümpfen erhob.

Mir schien es, als ob wir vergeblich auf die Bolamänner warten müßten, und auch der Bruder brummte:

„Hm! Wenn ich nicht wüßte, daß Daya mich nie belügt, so würde ich glauben, daß diese Landzunge zwar eine Halbinsel, aber nicht diejenige des Krokodils ist. Ich traue diesem Platze nicht.“

„Ich auch nicht.“

„Warum?“

„Kann es eigentlich nicht deutlich sagen. Warum gefällt einem irgend ein menschliches Gesicht nicht, was doch andern ganz gut gefällt?“

„So ist es. Dieser Ort hat so etwas Abstoßendes an sich. Meinen Sie nicht?“

„Ja. Er ist ganz und gar nicht zum Beschleichen und Ueberraschen geeignet. Wohin sollen wir uns verstecken?“

„Weiß es auch nicht. Hier aber können wir nicht bleiben.“

„Gewiß nicht. Wenn die Kerle kommen, sehen sie uns sofort. Aber es giebt kein anderes Versteck, als unter den Bäumen der Halbinsel. Das können wir auch nicht benützen.“

„Nein, denn da würden sie doch uns erwischen, anstatt wir sie. Wie leicht könnten sie uns da in das Wasser drängen.“

„Wohin also uns wenden? Weiter aufwärts oder abwärts?“

„Das überlassen wir Ihnen. Wir haben ja beschlossen, uns nach Ihren Bestimmungen zu richten.“

„So gehen wir abwärts. Ich denke, daß wir da einen passenderen Ort finden werden. Freilich müssen wir so in der Nähe bleiben, daß wir sehen und hören können, was auf der Halbinsel vorgeht.“

Wir standen auf und gingen leise südwärts, doch nur eine kurze Strecke, bis links von uns eine Baumgruppe stand, welche uns ein recht passendes Versteck zu bieten schien. Ihr Schatten verbarg uns ganz und gar, wenigstens nach drei Seiten. Die vierte war offen, und gerade von dieser her schien der Mond herein. Das gefiel mir freilich nicht; aber es war kein besser geeigneter Platz vorhanden, und die offene Seite lag der Halbinsel entgegengesetzt, also so, daß wir wahrscheinlich von ihr nichts zu befürchten hatten. Wir machten es uns also unter diesen Bäumen bequem und warteten der Dinge, welche da kommen sollten. Aber leider schien nichts kommen zu wollen.

„Sollten sich diese Kerle ganz anders besonnen haben?“ fragte der Estanziero. „Dann warten wir freilich vergeblich hier.“

„Sie können sich nicht anders entschließen,“ antwortete ich.

„Sie müssen ihre drei Boten doch da erwarten, wohin sie dieselben bestellt haben.“

„Das ist richtig. Aber sie denken vielleicht, daß sie noch nicht da sein können, und haben sich aus diesem Grunde anderswo gelagert.“

„So kämen sie also doch noch hierher.“

„Das freilich, aber wann?“

„Vielleicht mit Tagesanbruch. Sie können sich des Nachts unmöglich hierher zwischen die Sümpfe wagen. Uebrigens wiederhole ich, daß es sehr unvorsichtig von ihnen sein würde, von hier aus über den Fluß zu gehen. Derselbe ist zwischen den Inseln so reißend, daß er die Pferde mit sich fortziehen würde.“

„Hm! Die Pferde unsres Landes schwimmen sehr gut!“

„Auch nicht besser als die Pferde anderer Länder, Sennor Uebrigens haben diese Leute eine Herde gestohlener Tiere bei sich, welche sehr schwierig über den breiten Fluß zu bringen sein wird.“

„Das ist wahr.“

„Ich kann mir überhaupt gar nicht denken, daß sie selbe durch Schwimmen hinüberbringen können.“

„Hinüber aber müssen sie doch! Vielleicht durch einen Kahn.“

„Eine solche Tropa mit einem Kahne übersetzen? Nehmen wir an, die gestohlenen Pferde zählten fünfzig Stück, so wären über hundert hinüberzuschaffen. Bei der Breite, welche der Uruguay hier zu besitzen scheint, würde das die Zeit eines ganzen Tages erfordern. Aber sagen Sie einmal, kommen nicht auch zuweilen Flöße den Fluß herab?“

„Sehr oft sogar. Sie sind entweder aus unbehauenen Stämmen zusammengesetzt, oder aus Balken, Planken und Brettern, welche bearbeitet worden sind. Im Süden ist das Holz so rar, daß diese Flößer ein ganz gutes Geschäft machen.“

„Nun, so ein Floß wäre das einzige praktische Mittel für die Bolaleute, über den Fluß zu kommen. Ist das Floß groß genug, so trägt es sämtliche Pferde und Menschen auf einmal.“

„Aber wird der Flößer bereit dazu sein?“

„Gegen gute Bezahlung, gewiß. Und wenn er nicht will, so muß er.“

„Sie meinen, man könnte ihn zwingen?“

„Ja. Ein Floß muß sich ganz nach der Strömung richten. Läuft diese nahe am Ufer hin, so können die Flößer von dort aus mit Gewehren gezwungen werden, anzulegen und die Tropa aufzunehmen. Diese Ueberfahrt könnte dann freilich nicht in gerader Linie bewerkstelligt werden, weil man erst viel weiter unten das gegenüber liegende Ufer erreichen könnte. Wie gesagt, ich halte das für das einzige Mittel, dessen sich die Bolamänner bedienen könnten, und darum sollte es mich wundern, wenn sie es nicht thaten und – –“

Ich hielt inne, denn ich hatte in diesem Augenblicke einen Schlag auf die Brust erhalten. Niederblickend, gewahrte ich zu meinem Schreck einen Pfeil, welcher vorn in meinem Jagdrocke steckte.

„Weiter! Was wollten Sie vorhin sagen?“ fragte nun der Estanziero.

„Werfen Sie sich schnell auf die Erde, schnell, schnell!“

Ich selbst legte mich augenblicklich nieder, und die andern folgten meinem Beispiele.

„Warum denn?“ fragte der Bruder.

„Man schießt auf uns.“

„Ich höre doch nichts!“

„Pfeile hört man nicht.“

Dios! Man schießt mit Pfeilen? Woher wissen Sie das?“

„Daher – sehen Sie?“

Ich zog den Pfeil aus meinem Jagdrocke und reichte ihm denselben hin.

Cielo mio!“ sagte er erschrocken. „Waren Sie getroffen?“

„Nur der Jagdrock.“

„Wissen Sie das genau?“

„Ja. Unter demselben befindet sich noch das lederne Jagdhemde. Der Pfeil hat nicht durch den ersteren, noch viel weniger durch alle beide zu dringen vermocht. Sie sehen, wozu so eine lederne Kleidung gut ist.“

„Sennor, wenn Sie dieselbe nicht trügen, wären Sie in weniger als zwei Minuten eine Leiche! Der Pfeil ist vergiftet. Ich werde diesem Manne sogleich das Schießen verbieten!“

„Er wird sich nicht befehlen lassen.“

„O doch. Hier hat nur einer solche Pfeile, und dieser eine ist Petro Aynas. Der Mann ist gefährlicher, als ich dachte. Schießt auf Leute, die ihm nichts gethan haben. Hätte er einen andern getroffen, so wäre derselbe verloren gewesen!“

Er nahm einen Finger in den Mund und ließ einen eigenartigen, halblauten Pfiff hören, fast wie die Stimme eines Regenpfeifers.

„Ist das ein Signal für den Indianer?“ fragte ich.

„Ja. Er weiß nun, daß er auf einen guten Freund geschossen hat. Alle seine Bekannten, welche zuweilen zu ihm kommen, kennen diesen Pfiff. Wenn sie ihn nicht daheim antreffen, rufen sie ihn durch denselben.“

„So meinen Sie, daß er kommen wird?“

„Ganz gewiß. Er wird nicht wenig darüber erschrocken sein, daß er einem Freunde den fast sichern Tod entgegengeschickt hat.“

„Wo mag er stecken?“ fragte der Estanziero.

„Natürlich da drüben, nach welcher Seite unser Versteck offen ist. Von dorther scheint der Mond herein, und er hat uns sehen können. Horch!“

Es ertönte von jenseits des Sumpfes genau derselbe Pfiff, aber leise, hörbar absichtlich leise, als ob er nicht weit gehört werden solle.

„Ist das der Indianer?“ fragte ich den Bruder.

„Ja.“

„Antworten Sie ihm, aber ebenso leise! Die Bolaleute sind in der Nähe.“

„Woher wissen Sie das?“

„Eben daher, daß er leise pfeift. Er hat Sie an dem Pfiffe als einen Freund erkannt, dessen Anwesenheit er bei ihnen nicht bemerken lassen will.“

„Möglich, daß Sie recht haben.“

„Stehen Sie beim Pfeifen auf, daß Sie von drüben gesehen werden können!“

Er erhob sich vom Boden und ließ das Signal gedämpft hören. Sofort sahen wir drüben auch eine Gestalt unter den Bäumen hervortreten. Sie winkte mit dem Arme und verschwand dann. Die Entfernung betrug ungefähr fünfzig Schritte. Also so weit hatte der Mann mit dem Pfeile getroffen!

„Er kommt,“ sagte der Bruder. „Für einen Mörder habe ich ihn bisher nicht gehalten. Ob er im eigenen oder im fremden Interesse gehandelt hat? Die Schuld ist in beiden Fällen gleich groß. Er mag nur kommen!“

Da der Sumpf zwischen dem Indianer und uns lag, so mußte der Mann einen Umweg machen, wenn er zu uns kommen wollte. Doch sahen wir ihn schon nach kurzer Zeit herbeikommen, von der andern Seite und in gedrückter Haltung, wie derjenigen eines Schuldbewußten.

„Was fällt dir ein, auf uns zu schießen, Petro!“ begrüßte ihn der Bruder, als er zu uns unter die Bäume trat.

Der Indianer antwortete erschrocken:

„Sie sind es, Bruder, Sie selbst! Hat der Pfeil getroffen?“

„Ja.“

„Dios! So ist der Mann verloren!“

„Glücklicherweise nicht. Der Pfeil kam diesem Sennor auf die Brust, drang aber nicht durch das Leder seines Gewandes.“

„Leder? Ah! O! Also ist – –“

Er hielt inne.

„Weiter! Was wolltest du sagen?“ fragte der Frater.

„Nichts, gar nichts; ich bin nur so sehr erschrocken.“

Aber ich wußte wohl, was er hatte sagen wollen. Daß ich ein ledernes Gewand hatte, war die Veranlassung seines unterbrochenen Ausrufes gewesen. Er mußte also von meiner hier zu Lande auffälligen Kleidung wissen. Er konnte von ihr nur durch die Bolamänner erfahren haben. Folglich befanden sie sich hier, und zwar gar nicht etwa weit entfernt. Der Bruder ließ sich täuschen und sagte:

„Erschrocken bist du? Das könnte aber diesen Sennor nicht retten, wenn der Pfeil ihn getroffen hätte. Petro, Petro, das hätte ich von dir nicht gedacht, daß du ein Mörder bist!“

„Ich, ein Mörder? O Bruder, wie kränken Sie mich!“

„Kannst du leugnen, auf uns geschossen zu haben?“

„Nein. Aber ich habe nicht gewußt, daß es Menschen sind!“

„Was denn? Für was hast du uns gehalten?“

„Nur für Affen.“

Anderswo hätte diese Ausrede auch anders geklungen, als hier. Es giebt am Uruguay in Wirklichkeit Affen; ja dieselben sind dort zahlreich anzutreffen.

„Für Affen!“ meinte der Bruder. „Menschen für Affen zu halten. So eine Dummheit traue ich dir gar nicht zu.“

„Der Mondschein trügt. Ich glaubte, eine Affenherde zu sehen. Sie saßen so beisammen, wie Affen zu thun pflegen.“

„So hat sich die Schärfe deiner Augen gegen früher sehr verschlechtert. Nimm dich in Zukunft in acht, abermals Menschen für Affen zu halten!“

Der Bruder hatte diese Mahnung in erhobenem Tone gesprochen. Darum sagte der Indianer rasch:

„Pst, Bruder, nicht so laut, nicht so laut!“

„Warum?“

„Weil es gefährlich ist, des Nachts am Flusse laut zu reden.“

„Sind Menschen da?“

„Nein. Aber seit einigen Tagen schleicht sich ein Jaguar mit seinem Weibchen hier herum. Ich weiß schon, er geht auf Menschenfleisch; aber wir fürchten uns nicht. Petro und Daya sind klüger als der Jaguar.“

„Auch ich fürchte ihn nicht!“

„Ich weiß es. Kein Jaguar thut Ihnen ein Leid; aber auf Ihre Begleiter hat er nicht Rücksicht zu nehmen. Darum wollen wir leise sprechen, um ihn nicht herbeizurufen.“

Der Indianer war ein schlauer Patron. Er hielt es mit den Bolamännern und hegte doch auch Freundschaft für den Bruder. Er wollte die eine Partei der andern nicht verraten und erfand also das Märchen vom Jaguar.

„Er mag kommen mitsamt seinem Weibe!“ sagte der Bruder. „Wir fürchten beide nicht. Dennoch hast du recht. Es ist nicht nötig, daß wir allzu laut reden. Setze dich! Ich habe dich zu fragen.“

Der Indianer gehorchte nur widerstrebend. Er sagte:

„Wollen wir uns nicht anderswo setzen, Bruder? Hierher könnte leicht der Jaguar kommen.“

Er wollte uns fortlocken, um uns vor den Bolamännern zu retten, ohne uns von ihnen sagen zu müssen.

„Nein, wir bleiben hier,“ erklärte der Bruder.

„Aber ich weiß einen andern und viel bessern Platz!“

„Dieser hier gefällt uns ausgezeichnet. Woher kommst du?“

„Von der Jagd.“

„Das kann ich nicht glauben. Du hast ja keine Beute. Das wäre zum erstenmale in deinem Leben, daß du kein Fleisch nach Hause brächtest.“

„Habe es da drüben niedergelegt, wo ich glaubte, auf Affen zu schießen.“

„So! Aber dann bist du sehr spät ausgegangen, denn Daya –“

Der gute Bruder mochte ein ganz vorzüglicher Klostermann sein; als einen Juristen, einen Untersuchungsrichter erwies er sich aber nicht, wenigstens jetzt nicht. Er schenkte dem Indianer zu viel Glauben. Petro Aynas meinte es zwar nicht böse mit uns, davon war ich überzeugt; aber er wollte unsere Gegner nicht verraten und suchte infolgedessen uns zu täuschen. Mit dem Bruder und den andern wäre ihm dies wohl gelungen, denn der fromme Herr legte ihm die Antworten geradezu in den Mund, oder vielmehr er gab ihm Fragen, aus denen Petro ersehen konnte, wie die Sache stand. Dem schlauen Menschen mußte man anders kommen. Darum ergriff ich den Bruder, noch bevor er ausgesprochen hatte, beim Arme und sagte:

„Mit Erlaubnis! Nicht solche Fragen. Lassen Sie lieber mich mit ihm reden!“

„Ganz gern! Ich höre zu.“

„Nein. Der Bruder mag mit mir reden, kein Fremder!“ sagte der Indianer, indem er mich mit einem ängstlichen Blicke streifte.

Er saß so, daß ihm der Mond in das Gesicht schien. Dasselbe war nicht so schmutzig, wie dasjenige seines Weibes, auch nicht so abstoßend. Er war überhaupt in seinem Aeußeren nicht mit Daya zu vergleichen. Seine Figur war nicht hoch, aber stark und breitschulterig. Er war ein Gegner, den man im Kampfe nicht gering schätzen durfte. Seine starken Glieder steckten in Callico. An den Füßen trug er nichts, trotz der schlangenreichen Gegend, in welcher er wohnte. Auch sein Kopf war unbedeckt. Das Haar trug er kurz geschoren. Seine Bewaffnung bestand aus einem Messer, dem Blasrohre und einem kleinen ausgehöhlten Kürbis, welcher ihm an einer Schnur von der Achsel hing. In diesem Kürbisse steckten die vergifteten Pfeile. Er wollte sich nicht von mir ausfragen lassen, weil er mich mehr fürchtete als den Bruder. Das war mir ein Beweis, daß er mit den Bolamännern von uns gesprochen hatte, und daß dabei auch von mir, vielleicht ganz besonders von mir, die Rede gewesen war. Man hatte mich wohl als denjenigen bezeichnet, vor welchem man sich am meisten in acht nehmen müsse.

„Petro Aynas, haben Sie denn ein böses Gewissen, daß Sie sich vor uns anderen fürchten?“ fragte ich ihn.

„Nein,“ antwortete er. „Hätte ich ein böses Gewissen, so müßte ich doch gerade den Bruder am meisten fürchten.“

Der Mann war nicht nur schlau, sondern auch spitzfindig.

„Nun, wenn Sie ein so gutes Gewissen haben, so können Sie auch mit uns reden. Weigern Sie sich dessen, so müssen Sie unser Mißtrauen erwecken.“

„Sie brauchen mir nicht mißtrauen, denn ich bin ein ehrlicher Mann!“

„Das glaube ich Ihnen gern. Wo befindet sich denn eigentlich Ihre Wohnung?“

„Gar nicht weit von hier.“

„So! Könnten wir nicht vielleicht dort übernachten?“

„Nein, nein, Sennor!“ antwortete er schnell und ängstlich.

Daraus war zu schließen, daß die Bolamänner dort zu thun hatten.

„Warum nicht?“ fragte ich. „Der Bruder hat uns von Ihnen erzählt. Nach seiner Schilderung von Ihnen hätte ich Sie für einen gastfreundlicheren Mann gehalten, als Sie zu sein scheinen.“

„Meine Hütte paßt nicht für Sie, denn das Fieber schleicht um sie.“

„Das fürchte ich nicht.“

„Es würde Sie ergreifen, ganz gewiß, weil Sie neu im Lande sind.“

Jetzt vergaloppierte er sich trotz seiner Schlauheit abermals.

„Woher wissen Sie denn, daß ich ein Neuling bin?“

Er sah ein, daß er eine Dummheit begangen hatte, antwortete aber ohne alle Verlegenheit:

„Ich sehe es Ihnen an.“

„So haben Sie ein sehr scharfes Auge für Fremde, Petro. Da wir nicht in Ihrer Hütte bleiben können, so weisen Sie uns wohl einen bessern Platz zum Lagern an. Sie kennen ja die Gegend.“

„O, sehr genau! Ich weiß einen herrlichen Platz für Sie, am Flusse aufwärts.“

„Wie weit?“

„Nur eine ganz kleine halbe Stunde.“

Er ahnte nicht, daß er mit diesen Angaben mir sehr wichtige Fragen beantwortete, welche ich nicht direkt an ihn richten wollte. Da er uns stromaufwärts bringen wollte, so lagerten unsere Gegner stromabwärts. Aus der ganz kleinen halben Stunde wären vielleicht drei große Viertelstunden geworden. Wollte er uns des Abends eine so bedeutende Strecke weit nach der einen Seite fortbringen, so war mit Sicherheit zu schließen, daß wir nach der andern Seite gar nicht weit zu gehen hätten, wenn wir auf unsere Feinde stoßen wollten. Diese letztere Annahme wurde auch durch den Umstand bestätigt, daß er uns gebeten hatte, nicht so laut zu sprechen.

„Wollen wir gleich aufbrechen, Sennor?“ fügte er hinzu.

„Nicht sofort. Ich möchte vorher noch einiges wissen. Waren Sie heute lange Zeit auf der Jagd?“

„Sehr lange.“

„Wann gingen Sie von Ihrer Hütte fort?“

„Schon früh.“

„Aber bis dahin waren Sie einige Male wieder dort?“

„Kein einziges Mal!“

Der gute Mann wollte ein Alibi stellen für den Fall, daß es eines solchen bedürfe. Er beachtete nicht, daß wir uns so nahe bei seiner Hütte befanden. Da der Bruder dieselbe kannte, so stand doch zu erwarten, daß wir sie aufgesucht hatten. Auch hatten wir unsere Pferde nicht bei uns. Sie mußten irgendwo untergestellt sein.

„So wissen Sie also auch nicht, wer heute bei Ihnen gewesen ist?“ fuhr ich fort.

„Nein. Ich werde es erfahren, wenn ich heimkehre.“

„Ich hätte nämlich sehr gern erfahren, ob einige Personen bei Ihnen eingekehrt sind, welche wir hier treffen wollten.“

„Ich werde Daya fragen und es Ihnen dann sagen, Sennor. Was für Personen meinen Sie?“

„Soldaten.“

„Da sind keine bei mir gewesen.“

„Woher wissen Sie das, da Sie so lange Zeit von der Hütte fort waren?“

„Sie würden meine Hütte nur durch großen Zufall finden. Indessen werde ich Daya fragen.“

„Ja, thun Sie das, Petro! Haben Sie einmal die Namen Monteso und Cadera gehört?“

„Nein. Welche Fragen sind das, die Sie mir vorlegen, Sennor! Sie erscheinen mir ganz sonderbar.“

„Nun, ich will Ihnen nur noch die eine vorlegen: Wer hat Ihnen den Auftrag erteilt, auf einen Mann zu schießen, welcher lederne Kleidung trägt?“

„Kein Mensch! Niemand! Es ist ja nur aus Versehen geschehen. Sie können das glauben.“

„Gut, ich will es glauben und Ihnen verzeihen, daß Sie mich in Todesgefahr gebracht haben.“

„Sind Sie nun mit Ihren Fragen zu Ende?“

„Ja.“

„So darf ich Sie nach dem Lagerplatz führen, von welchem ich Ihnen vorhin sagte?“

„Wir bitten darum, Petro. Vorher aber können Sie uns einen großen Gefallen thun. Wollen Sie uns die Jagdbeute verkaufen, welche Sie da drüben niedergelegt haben? Ich bezahle sie Ihnen gut.“

„Das geht nicht, Sennor!“ antwortete er erschrocken.

„Warum nicht?“

„Weil Sie das Fleisch nicht essen können.“

„Ich esse jedes Fleisch.“

„Auch das des Meerschweines, das den Europäern so sehr nach Thran schmeckt?“

„Wer sagt Ihnen, daß ich ein Europäer bin?“

„Ich sehe es Ihnen an.“

„Lieber Freund, Ihr Scharfblick beginnt mir beinahe unbehaglich zu werden. Vor Ihrem Auge scheint kein Geheimnis sicher zu sein. Wollen Sie uns das Fleisch verkaufen?“

Nach einigem Nachdenken antwortete er:

„Ich brauche es selbst sehr nötig.“

„Ein ganzes Wasserschwein, welches wohl einen Zentner wiegt, für zwei Personen? Wir wollen nur einige Stücke davon. Sie werden doch den guten Bruder Hilario nicht hungern lassen wollen!“

„Nein, nein! Aber Wasserschwein braucht er nicht zu essen. Ich habe gute, frische Fische daheim. Mein Weib hat sie gefangen.“

„Dennoch ziehen wir das Wasserschwein vor. Holen Sie es!“

„Nun, wenn Sie durchaus wollen, so muß ich freilich gehorchen. Ich bin gleich wieder da!“

Er entfernte sich. Als seine Schritte nicht mehr zu hören waren, sagte der Bruder leise:

„Wer hätte das gedacht! Er will uns betrügen!“

„Nicht betrügen, sondern nur täuschen,“ antwortete ich. „Er sagt die Unwahrheit, um uns nützlich zu sein. Gar nicht weit von hier, da, zur linken Hand, befinden sich unsere Feinde.“

„Woher wissen Sie das?“

„Er hat es gesagt.“

„Ich hörte kein Wort!“

„Und ich habe meine Fragen so gesetzt, daß er mir es sagen mußte. Er hat kein Wasserschwein erlegt.“

„Sollte er auch da gelogen haben?“

„Ich bin überzeugt davon. Er wird es nicht bringen.“

„So straft er sich ja selbst Lügen!“

„Nein. Er wird eine Ausrede machen, vielleicht, daß der Jaguar gekommen ist.“

„So meinen Sie, daß er es mit unsern Feinden hält?“

„Ja, aber auch mit uns. Nun fragt es sich, was bei ihm schwerer wiegt, die Zuneigung für Sie oder der Vorteil, welcher ihm von den andern versprochen worden ist.“

„Ich hoffe das erstere.“

„Ich auch. Sollte das nicht sein, so werde ich noch eine kleine Drohung für uns in die Wagschale legen. Pst, er kommt!“

Es war ganz so, wie ich erwartet hatte: Er kam mit leeren Händen.

„Nun, wo haben Sie das Wasserschwein?“ fragte ich im Tone der Enttäuschung.

„O, Sennor, habe ich nicht recht gehabt, als ich Sie zur Vorsicht mahnte? Der Jaguar war in der Nähe!“

„Was geht uns der Jaguar an?“

„Sehr viel. Er hat mein schönes Wasserschwein geholt! Ich beklage das sehr, da ich Ihnen nun nicht davon geben kann; aber es ist ein großes Glück dabei. Hätte er das Wasserschwein nicht gefunden, so wäre er hier über uns hergefallen. Wir wollen diesen Ort sofort verlassen!“

„Das hat keine Eile. Hat der Jaguar das Schwein gefressen, so ist er satt, daß er nach uns kein Verlangen trägt.“

„Aber sein Weibchen ist auch da!“

„Setzen Sie sich getrost noch einen Augenblick nieder! Ich hege die Ueberzeugung, daß der Jaguar so höflich und liebevoll gewesen ist, seine Sennora an der Mahlzeit teilnehmen zu lassen.“

„Herr, Sie sind sehr verwegen!“

„Nein, sondern ich lasse mir nur nicht leicht da bange machen, wo gar keine Gefahr vorhanden ist.“

Er setzte sich zögernd wieder nieder und meinte in mürrischem Tone:

„Ganz wie Sie wollen! Aber auf mich kommt keine Schuld, wenn ein Unglück geschieht. Wir sollten lieber sogleich aufbrechen.“

„Dazu bin ich unter der Bedingung bereit, daß Sie uns nicht flußauf-, sondern flußabwärts führen, weil wir überzeugt sind, daß wir dort ein gutes Essen finden werden.“

„Bei wem denn?“

„Beim Major Cadera und seinen Leuten.“

„Sennor, ich verstehe Sie nicht!“

„Mag sein. Um so besser aber habe ich Sie verstanden. Petro Aynas, Sie sind wirklich ein ganz schlechter Kerl!“

„Ich? Wie kommen Sie dazu, mich so zu beschimpfen?“

„Durch die Lügen, welche Sie uns vorgemacht haben.“

„Sennor, es ist kein unwahres Wort aus meinem Munde gekommen!“

„Schön! Sie behaupten, seit heute früh nicht daheim gewesen zu sein. Und doch waren Sie dort.“

„Keinen Augenblick!“

„Auch nicht, als der Major den Boten schickte, der Sie holen sollte?“

Er ließ aus Ueberraschung eine kurze Zeit verstreichen, bevor er antwortete:

„Davon weiß ich nichts.“

„Besinnen Sie sich! Es war ein Mann mit einer Lanze. Sie gingen mit ihm zur Hütte hinaus, damit Ihr Weib nicht hören sollte, was Sie mit ihm sprachen.“

„Sennor, ich – ich – ich weiß eben kein Wort davon. Ich war ja gar nicht daheim!“

„Und doch sagten Sie vorhin, daß Sie in der Hütte gewesen seien!“

„Das habe ich nicht gesagt. Ich habe stets nur behauptet, daß ich früh fort und seitdem bis jetzt nicht wieder heimgekommen bin!“

„Besinnen Sie sich! Sie waren doch da, als Ihre Frau kurz vor der Dämmerung die Fische brachte! Sie haben diese Fische selbst in die Lache gethan! Sie sagten uns das doch vorhin!“

„Sennor! – –“

„Nun, was? Verteidigen Sie sich!“

„Es war Scherz. Ich war nicht daheim. Ich habe keine Fische gesehen.“

„Ganz, wie Sie wollen! Ich mag Sie nicht zwingen, uns etwas zu sagen, was Sie uns verschweigen wollen. Aber dann müssen Sie auch klüger sein, als bisher und mir nicht alles sagen.“

„Was soll ich gesagt haben?“

„Daß der Major mit seinen Leuten da am Wasser liegt.“

„Davon habe ich nichts gesagt!“

„Pah! Ferner, daß diese Menschen heute abend bei Ihrer Hütte zu thun haben werden. Daß wir getötet werden sollen, Sie aber uns retten wollen, indem Sie uns von hier fortschaffen. Ist es nicht so?“

„Nein.“

„Mich mögen Sie immerhin belügen. Aber wollen Sie diese Unwahrheit auch dem guten Bruder Hilario gegenüber aufrecht erhalten?“

„Ich – ich – ich kann nicht anders!“

„Sie können anders, wenn Sie nur wollen.“

„Nein. Ich – ich – ich weiß von nichts, von geradezu gar nichts.“

„Ist das wirklich, wirklich wahr? Es ist das nun meine letzte Frage. Von der Art und Weise, wie Sie antworten, hängt die Art und Weise ab, wie ich mich dann zu Ihnen verhalten werde.“

„Es ist – wirklich wahr.“

„Nun gut! Haben Sie schon einmal so ein Ding gesehen?“

Ich hielt ihm meinen Revolver hin.

„Ja, Sennor!“

„So nehmen Sie sich vor demselben in acht, Petro Aynas!“

„Wollen Sie mir drohen? Das wird der Bruder nicht dulden!“

„Er will es gerade so haben, denn Sie belügen ihn!“

„Dann, Sennor, bedenken Sie, daß ich Ihren Revolver nicht zu fürchten brauche! Ich habe Waffen, welche noch gefährlicher sind, als er!“

„Jetzt noch – – jetzt aber nicht mehr!“

Zwischen den beiden jetzt griff ich ihm rasch in den alten Zeugfetzen, welcher ihm als Gürtel diente, riß ihm denselben ab und schleuderte ihn mit samt dem Messer und dem kleinen Flaschenkürbis weit fort.

„Senn– –!“

Er wollte aufspringen und diesen lauten Ausruf ausstoßen; aber ich riß ihn neben mich nieder, kniete ihm auf die Brust und preßte ihm die Kehle zusammen.

„Um Gottes willen, Sie erwürgen ihn, Sennor!“ sagte der Bruder, indem er meinen Arm faßte.

„Fällt mir nicht ein. Ihm geschieht kein Leid.“

„Ich garantiere Ihnen, daß er nichts Feindseliges unternimmt!“

„Ihr Wort in Ehren, Bruder, aber ich verlasse mich doch lieber auf mich selbst.“

„Ich verbürge mich für ihn!“

„Er hat Sie ja getäuscht. Wie können Sie da Bürge sein? Sie behaupteten, daß er Sie nie belügen werde, und doch hat er eine ganze, lange Reihe von Lügen aufgestellt!“

„Lassen Sie ihn wenigstens für einen Augenblick los!“

„Na, ja. Ich werde ihm nur erst die Hände zusammenbinden, und zwar auf dem Rücken. Oder vielmehr, Sennor Monteso mag dies thun.“

Während ich dem Indianer den Revolver vor die Nase hielt und ihm drohte, ihn augenblicklich zu erschießen, falls er einen lauten Schrei ausstoße, band ihm der Estanziero mit meinem Taschentuche die Hände. Der liebe, aufrichtige Petro Aynas sagte kein Wort; er holte nur tief Atem. Er war im höchsten Grade eingeschüchtert. Nun lag er am Boden, blickte voller Angst im Kreise umher und bat endlich den Bruder mit fürsorglich gedämpfter Stimme:

„Retten Sie mich, Bruder! Der Germano ist schrecklich!“

„Woher weißt du denn, daß er ein Germano ist?“ „Man sagte es mir.“ „Wer denn?“ „Das darf ich nicht sagen.“ „Hast du es geschworen?“ „Nur versprochen.“

„Ein Versprechen, welches ein Unrecht enthält, darf man nicht halten.“

„Aber dieser Germano ist ein Mörder, Dieb und Räuber!“ „Gewiß nicht!“ „Er will die Banda oriental nach Brasilien verraten!“

„Das fällt ihm gar nicht ein. Willst du denen, welche dich in dieser Weise belogen haben, mehr glauben, als mir?“

„Sie machen mir keine Lügen, Bruder, das weiß ich. Aber vielleicht werden Sie selbst von ihm getäuscht?“

„Das ist nicht der Fall, Petro. Diesen Germano kenne ich noch genauer, als dich. Er will zu den Indianern, um ihnen Gutes zu thun und ihnen Geschenke zu bringen. Man hat dich grauenhaft belogen. Die Leute, welche dich vor ihm gewarnt haben, sie sind Diebe, Räuber und Mörder.“

„Sollte das wahr sein?“ „Ja. Nicht wahr, es sind Reiter?“ „Ueber fünfzig, mit noch mehr Pferden.“

„Diese Pferde haben sie gestern einem armen, alten Ranchero gestohlen und ihm dann dazu das Haus verbrannt.“

„Bruder, ist’s möglich!“

„Es ist so, wie ich dir sage. Befinden sich nicht zwei Gefangene bei ihnen?“

„Mehrere!“ „Ah! Sollten noch andere dazu gekommen sein?“

„Erst hatten sie weniger; die andern haben sie heute festgenommen.“

„So! Die beiden ersten sind der Bruder und Sohn dieses Sennor, welcher an meiner Seite sitzt. Man hat sie geraubt, um ein großes Lösegeld zu erpressen.“

Der Indianer schüttelte erstaunt den Kopf. Der Bruder Jaguar fuhr fort:

„Und diesen Germano wollten sie an einen Baum binden und erschießen, obgleich er ihnen nicht das Geringste zuleid gethan hatte. Diejenigen, denen du vertrautest, sind die Missethäter. Wir aber haben sie verfolgt, um ihnen ihre Gefangenen abzunehmen.“

„Sie wollen das thun? Sie selbst wollen dabei helfen?“

„Ja, Petro.“

„Dann glaube ich, daß dieser Germano ein guter, ehrlicher Mann ist, und daß auch die Gefangenen keine Missethäter sind. Sie, Bruder, werden keine Räuber und Mörder befreien wollen!“

„Nein, gewiß nicht. Jetzt also hast du Vertrauen zu uns?“

„Ja. Binden Sie mich los! Ich helfe Ihnen.“

„Willst du mir das versprechen? Willst du nichts gegen uns unternehmen?“

„Ich bin Ihr Freund und werde nur thun, was Sie wollen!“

„Dann sollen Sie wieder frei sein,“ sagte ich jetzt zu ihm, indem ich mein Taschentuch von seinen Händen löste. Er richtete sich in sitzender Stellung auf, reichte mir die Hand und sagte:

„Ich danke Ihnen, Sennor! Ich habe auf Sie geschossen, und Sie haben mich fast erwürgt. Wir sind also quitt.“

„Noch nicht. Bei Ihnen war es Ernst, mich zu töten; ich aber hielt Ihnen die Kehle nur in der Absicht zu, Sie am Schreien zu verhindern; erwürgen wollte ich Sie nicht.“

„So vergeben Sie mir!“

„Gern, denn ich hoffe, daß Sie Ihren Fehler gutmachen werden. Vor allen Dingen, gestehen Sie ein, daß der Major sich hier flußabwärts in der Nähe befindet?“

„In zehn Minuten ist man dort.“

„Hat er Wachen ausgestellt?“

„Ja.“

„Aber Patrouillen sendet er nicht aus?“

„Nein. So lange man uns nicht hört, wird keiner seiner Leute hierher kommen.“

„So sind wir also sicher, und Sie mögen uns erzählen, wie Sie dazugekommen sind, der Beschützer dieser Menschen zu werden.“

. „Ja, ich will alles erzählen, Sennor! Und da muß ich bei dem Manne anfangen, welcher vor ungefähr einer Woche bei mir war, um sich nach den Holzflößen zu erkundigen.“

„Zu welchem Zwecke that er das?“

„Das wußte ich nicht. Er fragte, ob ich die Ufer des Flusses genau kenne, und als ich das bejahte, erkundigte er sich, ob es hier eine Stelle gebe, welche einsam liege und an welcher doch zuweilen die Flöße anlegen.“

„Giebt es eine solche?“

„Ja. Unterhalb derselben ist der Strom sehr reißend,- so daß das Flößen gefährlich wird. Man darf nur bei vollem Tageslichte und mit frischen Kräften dort fahren. Darum pflegen die Flößer vor dem Einbruch des Abends ihre Flöße dort anzulegen, nämlich oberhalb der gefährlichen Strömung, um den Morgen abzuwarten.“

„Ist die Anlegestelle weit von hier?“

„Nein. Sie befindet sich eben da, wo jetzt die Reiter lagern, vielleicht zehn Minuten abwärts von hier.“

„Hat diese Stelle einen Namen?“

„Ja. Es liegt eine Halbinsel da, welche man die Peninsula del Jacare nennt.“

„Nicht del crocodilo?“

„Nein. Diese letztere Halbinsel liegt da vor uns.“

„Hm! So muß eine Verwechslung stattgefunden haben, denn wir hörten, daß die Reiter an der Peninsula del crocodilo lagern würden.“

„Der Ihnen das sagte, hat Krokodil mit Alligator verwechselt.“

„Sonderbar, daß diese beiden Halbinseln, welche so ähnliche Namen haben, so nahe beieinander liegen!“

„Die Peninsula del Jacaré geht sehr seicht in das Wasser, und dort halten sich in einer Bucht zahlreiche Alligatoren auf.

Die schmale Halbinsel hier aber hat die Gestalt eines Krokodiles; daher ihr Name.“

„Aber ein Geheimnis birgt diese Halbinsel doch und Sie wissen es.“

„Wie kommen Sie zu dieser Meinung?“

„Ich habe gehört, daß Sie von dieser Insel nicht gern sprechen.“

„Das ist wahr. Ich habe meine Gründe dazu, die aber niemanden etwas angehen.“

„Ich habe auch nicht die Absicht, in dieses Geheimnis einzudringen. Wir interessieren uns nur für die Halbinsel del Jacaré. Sie haben wohl heute erst erfahren, welchen Zweck jener Mann mit seiner Erkundigung verfolgte?“

„Ja, erst heute.“

„Ist inzwischen etwas geschehen?“

„Nein. Aber heute früh kam der Mann wieder, und zwar zu Pferde. Sein Tier war ermüdet und ganz abgehetzt. Er ließ es im Walde fressen und setzte sich am Ufer der Halbinsel nieder und beobachtete die Schiffe und Flöße, welche hier vorüberkamen.“

„Was sagte er?“

„Er sagte, daß Latorre eine Schar seiner Reiter senden werde, welche hier über den Fluß wollen. Sie hätten sehr gefährliche Gefangene bei sich, und ich solle mit Achtung geben, daß dieselben nicht entfliehen könnten.“

„Gingen Sie darauf ein?“

„Nein, denn mich interessierte die Sache ja gar nicht. Ich legte mich in meiner Hütte nieder, um den ganzen Nachmittag zu schlafen. Am späten Nachmittag aber kam einer, mich zum Major Cadera zu holen. Dieser lagerte mit seinen Reitern auf der Halbinsel. Er bot mir ein Goldstück, wenn ich mit dafür sorgen wolle, daß die beiden Gefangenen, welche er bei sich hatte, nicht entfliehen könnten. Und darauf ging ich ein, denn ein Goldstück ist viel, sehr viel für mich.“

„Aber das konnte Sie doch nicht veranlassen, auf mich zu schießen!“

„Das nicht, aber ein anderes. Er erzählte mir nämlich, einer seiner Leute habe mehrere Räuber belauscht, welche von der Peninsula del crocodilo gesprochen und den Entschluß gefaßt hätten, dieselbe zu untersuchen.“

„Haben Sie eine solche Untersuchung zu befürchten?“

„Unter Umständen, ja.“

„Sie haben ein Geheimnis dort. Der Fluß bildet die Grenze. Sind Sie vielleicht Pascher?“

„Ich könnte ja oder auch nein sagen, um Sie irre zu führen. Ich höre, daß Sie unsre Verhältnisse nicht kennen, und will Ihnen nur sagen, daß man auf der Halbinsel etwas finden könnte, dessen Verlust mir sehr schaden würde.“

„Wie konnte der Major davon wissen?“

„Das frage ich mich auch. Vielleicht habe ich gegen seinen ersten Boten ein Wort fallen lassen, ein unvorsichtiges Wort, aus welchem er auf das Uebrige geschlossen hat.“

„Sollte denn ich mit zu den Räubern gehören?“

„Sie sollten der Anführer sein und mein ganzes Geheimnis kennen. Der Major beschrieb Sie mir so genau, daß ich Sie selbst beim Mondenscheine erkennen mußte. Er sagte mir, daß einer Ihrer Leute wahrscheinlich als Bruder verkleidet sei. Wie viele Männer Sie mitbringen würden, das wisse er nicht, sicher aber sei, daß Sie, wenn Sie überhaupt kämen, morgen oder übermorgen hier eintreffen würden.“

„Wie klug! Er hatte mit der Möglichkeit zu rechnen, daß wir ihn verfolgen würden, und ersann das Märchen, um Sie auf uns zu hetzen.“

„Das ist wohl wahrscheinlich. Heute abend nun strich ich hier am Flusse auf und ab, gleich vom Beginn der Dunkelheit an, von einer Halbinsel zur andern. Ich hatte mit auf die Gefangenen aufzupassen und dachte auch an die Räuber, welche zu mir kommen wollten. Drüben, jenseits des Sumpfes, blieb ich einmal stehen und schaute herüber nach dem Crocodilo. Da sah ich Sie sitzen. Der Mond schien in Ihr Versteck; ich konnte acht Männer zählen und erkannte auch den Germano, welcher der Anführer der Bande war, die mich berauben und sogar die Banda oriental an Brasilien verraten wollte.“

„Solchen Unsinn haben Sie sich vormachen lassen!“

„Ich glaubte es, Sennor.“

„So sind Sie wohl ein sehr loyaler Unterthan?“

„Nur wie jeder andere auch. Wo es mir wohl geht, da bleibe ich.“

„Oder hassen Sie Brasilien?“

„Sehr! Ich habe schlimme Zeiten dort verlebt.“

„Haben Sie das gegen den Major erwähnt?“

„Ja, denn er fragte mich, zu welcher Partei ich gehöre.“

„Der Schlaukopf. Er hat sich Ihren Haß zu nutze gemacht und Ihnen den ganz heidenmäßigen Bären aufgebunden, daß ich ein brasilianischer Agent sei. Weiter! Also, Sie sahen uns sitzen?“

„Ja. Ich sagte mir, daß Sie in dem Besitz meines Geheimnisses seien, welches Sie mir entreißen wollten. Waren Sie tot, so hatte ich nichts zu befürchten. Ich steckte einen Pfeil in das Rohr, legte auf Sie an und schoß. Ich hatte auf Ihr Gesicht gezielt, aber die Entfernung nicht genau berechnet; sie war zu groß; darum senkte sich der Pfeil und traf Sie an der Brust.“

„Was ein Glück für mich und auch für Sie ist, denn ehe ich gestorben wäre, hätte meine Kugel Sie getroffen.“

„Das war unmöglich. Sie wußten ja nicht, wo ich mich befand?“

„Das wußte ich genau. Sie befanden sich in der Richtung, aus weicher der Pfeil gekommen war. Er steckte fest im Leder und zeigte die Richtung an. Schauen Sie hinüber, jenseits des Sumpfes! Sehen Sie den schmalen Busch, welcher sich aus dem Schilf erhebt?“

„Ja.“

„Nach diesem Busch hätte ich meine Kugeln gesandt.“

Dios! Dahinter steckte ich!“

„Sehen Sie! Ich hätte auf die halbe Höhe des Busches gezielt, denn ich nahm an, daß Sie dort knieen würden, um den Erfolg Ihres Pfeilschusses zu beobachten.“

„Das ist richtig. Sennor, Sie hätten mich gerade in den Kopf getroffen! Es ist wahr, Sie sind ein entsetzlicher Mann!“

„Sagte das der Major?“

„Ja. Er riet mir die äußerste Vorsicht an, denn Sie seien ein wahrer Teufel.“

„Er freilich konnte keinen Engel in mir finden. Die Hauptsache ist, daß Sie mich nicht verwundet haben.“

„Ich bin jetzt ganz glücklich darüber. Wie erschrak ich, als ich dann den Pfiff hörte, welchen nur meine Freunde kennen. Es befand sich einer von ihnen bei Ihnen, und Sie konnten also doch wohl nicht in feindlicher Absicht hierher gekommen sein.“

„So sind wir also einig und haben Frieden geschlossen. Nun zu der Hauptsache. Sie sprachen von Gefangenen, welche der Major hier gemacht hat. Was sind das für Leute?“

„Die acht Personen des Floßes, welches am Nachmittag an der Halbinsel anlegte, um morgen weiter zu fahren.“

„Es wundert mich, daß er Gewalt gebraucht hat. Hätte er sie bezahlt, so hätten sie ihm wohl gern seinen Willen gethan.“

„Es handelte sich nicht um die Bezahlung, sondern um die Zeit. Er weiß noch nicht, wann er hinüber kann, ob morgen oder erst später. Er erwartet jemand, bis dahin sollen die Flößer warten. Sie weigerten sich aber, dies zu thun, weil sie da den hohen Lohn nicht bekommen, welchen die Fremden ihnen versprochen haben.“

„Fremde sind bei ihnen?“

„Zwei.“

„Aus welchem Lande sind sie?“

„Ich weiß es nicht. Sie sprechen ein Mischmasch von Spanisch und einer andern Sprache, welche ich nicht verstehe.“

„Wie sind sie gekleidet?“

„Blau, fast wie Seeleute. Der eine hat einen Hut mit einer so breiten Krempe, wie ich noch keine gesehen habe. Gerade dieser hat sich so giftig gegen den Major benommen, daß dieser höchst zornig auf ihn geworden ist. Beide haben sich gewehrt wie die Elefanten und konnten nur durch die große Uebermacht überwunden werden. Viele der Reiter haben Beulen und Flecke davongetragen.“

„Brave Kerls! Wir machen sie frei.“

„Das ist unmöglich!“

„Pah! Zwei alte und acht neue Gefangene, macht zehn. Wir sind acht Mann, das ergiebt in Summa achtzehn Mann, wobei Sie noch nicht gerechnet sind.“

„Ich helfe mit, Sennor!“

„So sind es neunzehn gegen fünfzig, immerhin kein ganz schlimmes Verhältnis. Uebrigens sollen Sie das Goldstück, welches der Major Ihnen geboten hat, nicht einbüßen, denn –“

„Ja, er soll es nicht einbüßen,“ fiel der Estanziero ein. „Wenn es uns wirklich gelingt, meinen Bruder und meinen Sohn zu befreien, so zahle ich zehn Goldstücke an Petro Aynas.“

„Ist’s wahr, Sennor?“ fragte der Indianer, vor Freude viel lauter, als die notwendige Vorsicht es gestattete.

„Ja, ich zahle Ihnen sogar zwanzig!“

„Welch ein Glück! Halten Sie aber auch Wort?“

„Ich versichere es auf meine Ehre.“

„Dann bin ich mit hundert Freuden bereit, bei der Befreiung mitzuwirken! Sennor, nehmen Sie meine Hilfe an?“

Diese Frage war an mich gerichtet. Darum antwortete ich:

„Ja; aber ich stelle die Bedingung, daß Sie genau nach meiner Weisung handeln.“

„Natürlich! Ich werde nichts, gar nichts thun, was Sie nicht wollen.“

„Gut. Vielleicht müssen Sie die Hauptrolle übernehmen. Wollen Sie uns nun den Ort beschreiben, an welchem die Gefangenen sich befinden! Ist die Halbinsel lang und breit?“

„Zweihundert Schritte breit und vielleicht doppelt so lang.“

„Mit Bäumen besetzt?“

„Nur mit Bäumen. Sträucher giebt es nicht mehr, denn die Flößer, welche hier seit Jahren übernachteten, haben das Unterholz entfernt, um guten Platz zu erhalten.“

„Wie sind die Posten aufgestellt?“

„Da, wo die Halbinsel an das Ufer stößt, stehen vier Soldaten, je fünfzig Schritte auseinander. Sie sperren also die Halbinsel von dem Lande ab. Es kann niemand hindurch, zumal beim Mondenscheine. Höchstens könnte meine Daya es fertig bringen, sich auf die Peninsula zu schleichen. Sie versteht das wie eine Schlange.“

Ich wollte indessen die Indianerin für einen solchen Zweck nicht benützen und antwortete:

„Ich bringe es auch fertig, und darum denke ich, daß –“

„Sie?“ unterbrach er mich. „Das ist unmöglich, Sennor!“

„Er bringt es viel leichter und besser fertig, als Daya,“ nickte ihm der Bruder zu. „Ich weiß es sehr genau. Wir brauchen deine Daya nicht.“

„Haben sie ein Feuer auf der Insel brennen?“ fragte ich.

„Zwei sogar. Sie braten daran das Fleisch, welches sie mitgebracht haben.“

„Es ist gestohlenes. Und wo befinden sich die Gefangenen?“

„Sie sind mit dem Rücken an Bäume gebunden, und zwar so weit auseinander, daß sie nicht heimlich miteinander reden können. Der Major sprach aber davon, daß er sie zu größerer Sicherheit auf das Floß bringen und obendrein auch bewachen lassen werde. Das wäre wohl sehr unangenehm für uns?“

„Nein. Ob wir sie vom Lande oder vom Floße holen, ist im allgemeinen gleich schwer. Die größere Schwierigkeit des einen vor dem andern liegt nur in den nebensächlichen Hindernissen, welche zu überwinden sind. Darum ist es notwendig, daß ich mir die Sache einmal selbst anschaue.“

„Sennor, was denken Sie! Das ist unmöglich!“ sagte der Indianer. „Man wird Sie unbedingt ergreifen!“

„Unsinn! Einen Mann, welcher zwei Revolver mit zwölf Schüssen hat, zu ergreifen, das fällt keinem Menschen ein, und diesen Kerlen am allerwenigsten.“

„Bedenken Sie: Fünfzig gegen einen und bei Mondschein.“

„Diese Fünfzig sehen mich gar nicht und der Mondschein schadet nicht. Mein helles Ledergewand sticht nicht von der Farbe des Schilfes ab. Ich wage nicht das mindeste dabei.“

„Nun, ich habe Ihnen nichts zu befehlen, aber ich bin überzeugt, daß Sie in Ihr Verderben rennen. Und durch Ihre Anwesenheit verraten Sie diejenige Ihrer Gefährten.“

„Haben Sie nur keine Sorge. Sie werden mich jetzt so weit begleiten, bis ich die Halbinsel von weitem sehe. Das weitere überlassen Sie dann mir.“

„Sie befehlen mir das, und ich gehorche; aber ich habe Sie gewarnt!“

Auch die andern forderten mich auf, möglichst vorsichtig zu sein, eine sehr überflüssige Bitte, da mein eigenes Interesse mir schon gebot, mich nicht in allzu große Gefahr zu begeben.

Der Indianer führte mich fort. Ich wußte jetzt, daß ich ihm Vertrauen schenken könne, dennoch aber behielt ich jede seiner Bewegungen im Auge. Wir kamen über eine kurze, ziemlich sumpfige Strecke; dann standen wir am Ufer der Bucht, welche sich zwischen den beiden Halbinseln del crocodilo und del Jacaré hereinzog, Ich schickte den Führer zurück und überschaute das Terrain. Da ich im Schatten einer Mimose stand, konnte mich niemand sehen, obgleich der Mond seinen vollen Glanz über die Bucht ausbreitete. Das Floß befand sich hier nicht. Es mußte jenseits des Jacaré verankert sein. Die Halbinsel selbst erstreckte sich wie eine sanfte Böschung nach dem Wasser herab. Das Licht der beiden Feuer, welche unter den Bäumen brannten, zuckte in brillanten Blitzen unter den dunkeln Wipfeln hin. Menschen waren nicht zu sehen.

Ich konnte zwei Wege einschlagen. Der eine führte rechts unten am Ufer hin. Meine Kleidung konnte da von dem angespülten Geröll gar nicht unterschieden werden. Dann kam ich aber vielleicht dem ersten Posten zu nahe, welcher nach der Aussage des Indianers da stehen mußte, wo die Grundlinie der Halbinsel vom Ufer aus nach dem korrespondierenden Punkte der andern Seite führte. Der zweite Weg ging in einiger Entfernung vom Ufer parallel mit demselben durch Schilf und Büsche hin und war weniger gefahrvoll, und darum schlug ich ihn ein.

Ich hatte ungefähr an die hundert Schritte kriechend zurückzulegen, was keine Anstrengung bedeutete. Ich gab mir keine Mühe, Geräusch zu vermeiden, denn die Kerle, welche ich vor mir hatte, besaßen nicht die Augen und Ohren erfahrener Prairiemänner. Bald lag ich am Boden, gerade gegenüber dem Punkte, an welchem die Halbinsel begann. Ungefähr dreißig Schritte von mir entfernt sah ich einen Kerl an einem Baume lehnen. Es war der erste Posten.

Ich kroch nun etwas vorsichtiger weiter und gewahrte auch den zweiten, dritten und vierten Posten. Sie standen in der von dem Indianer angedeuteten Entfernung auseinander und schienen ihrer schläfrigen Haltung nach alles in der Welt angenehmer zu finden, als das Wachestehen.

Nun fragte ich mich, ob es geraten Sei, mich zwischen zweien von ihnen hindurchzuschleichen. Ich getraute mir wohl, es fertig zu bringen. Aber erst, wenn ich hindurch war, begann die Gefahr. Wenn sie gegen das Feuer blickten, mußten sie mich unbedingt bemerken. Das sagte ich mir sehr wohl. Lieber kroch ich noch eine Strecke weiter, um nach dem Floße zu sehen. Es lag jenseits der Halbinsel und war doppelt verankert, einmal an der Spitze der Halbinsel und das andere Mal an einem abwärts liegenden Punkte des Ufers. So entstand ein Dreieck, dessen Linien von der Halbinsel, dem Floße und dem Ufer gebildet wurden. Das Floß war ziemlich groß. Auf der Mitte desselben war eine Bretterhütte erbaut, bei welcher zwei Männer standen. Indem ich diese beobachtete, entfernten sie sich langsam von der Hütte nach demjenigen Teile des Floßes, welcher an das Ufer stieß. Sollten sie, oder wenigstens einer von ihnen, dort an das Land steigen wollen? Das mußte ich schleunigst benützen, aber sehr schnell, wenn ich nicht zu spät kommen wollte.

Ich kroch rasch weiter, bis ich aus den Augen des vierten Postens war, richtete mich dann auf und rannte dem Ufer parallel, immer Deckung vor den beiden suchend, welche mich sonst wohl erblicken konnten.

Gegenüber der Stelle angekommen, an welcher das hintere Ende des Floßes am Ufer saß, bückte ich mich nieder und kroch näher. Es gab da ein Gewirr von hohem Pampasgras und Schilf. Es gelang mir, da hineinzukommen und es mir bequem zu machen. Ich lag höchstens fünf Schritte vom Floße entfernt.

Keine Minute war ich zu früh gekommen, denn kaum hatte ich mich überzeugt, daß mein Körper vollständig verborgen sei, so kamen die beiden Männer auch schon über das letzte Feld des Floßes nach dem Ufer zu.

Welche Freude! Der eine war der Major! Er hatte die Absicht, das Floß zu verlassen und sich von da aus nach der Halbinsel zurückzubegeben. Der andere schien, seiner Haltung nach, auf dem Floße zurückbleiben zu wollen. Vielleicht hatte er die Wache auf demselben.

Als der Major das Ufer erreichte, blieb er stehen und sagte:

„Also, die Gefangenen werden lang auf die Stämme gebunden, wo sie bis früh zu liegen haben. Du beaufsichtigst die Wächter. Entkommt ein einziger, so ist dir eine Kugel sicher. Melde das vorn!“

Der Mann drehte sich um und ging nach dem vordern Teile des Floßes zurück. Mir kam ein verwegener Gedanke. Wie, wenn ich mich des Majors bemächtigte!

Ich sah nach der Halbinsel. Von dort aus konnte man nichts sehen, da die Stelle des Ufers, an welcher der Major stand, ein wenig rückwärts trat. Der einzige Zeuge konnte der Mann sein, welcher jetzt den Major verlassen hatte. Aber ich schloß aus seinem eiligen Gange, daß er sich nicht nach uns umdrehen werde. So schnell, wie der Gedanke gekommen war, so schnell wurde derselbe ausgeführt. Noch stand der Major am Ufer und sah dem Manne nach, da erhob ich mich aus meinem Verstecke. Das that ich nicht etwa langsam und vorsichtig, denn Geräusch war gar nicht zu vermeiden, sondern ich schoß blitzschnell aus dem Schilfe auf und stand mit einem Satze hinter dem Major.

Er drehte sich um. Der Mond erleuchtete sein Gesicht. Ich hatte ihn augenblicklich fassen und niederschlagen wollen, aber ich sah sogleich, daß das nicht nötig war. Sein Gesicht wurde erst leichenblaß, dann schoß ihm das Blut in den Kopf. Er taumelte vor Schreck. Er wollte schreien und brachte doch keinen Laut hervor, als sei ihm der Wille und auch die Bewegungsfähigkeit abhanden gekommen. Er hatte den Mund offen, aus welchem nun endlich einige Stammellaute hervorquollen. Schnell hatte ich mein Taschentuch da und stieß es ihm in den Mund, und ebenso schnell riß ich mir den Lasso los und schlang ihm denselben um die herabhängenden Arme. Noch nie hatte ich ein solches verkörpertes Bild des Schreckens gesehen, wie der Major es jetzt bot. Nun machte er endlich eine Bewegung der Gegenwehr, aber es war zu spät. Mein Lasso hielt ihm bereits die Arme fest an den Leib.

„Keine Bewegung, Sennor!“ raunte ich ihm drohend zu, „sonst stoße ich Ihnen das Messer in den Leib. Ah, Sie haben einen andern Rock an, da ich Ihnen den Frack verschimpfiert habe! Thut mir leid, nun auch den Rock nicht schonen zu können. Ich brauche ein Band zur Befestigung des Knebels.“

Ich riß ihm den Rockschoß ab und schnitt mit dem Messer einen Streifen daraus, den ich dem Offizier um den Mund band, damit er mit der Zunge nicht das Taschentuch herausstoßen könne.

Wie oft habe ich mich später darüber gewundert, daß der Mann nicht wenigstens den Versuch gemacht hat, mir davonzulaufen. Er brauchte nur auf das Floß zu springen, so wurde er von allen seinen Leuten gesehen. Freilich hätte ich es doch versucht, ihn herunterzureißen und mit ihm zu entkommen. So aber rührte er kein Glied, obgleich er nicht an den Beinen gebunden war. Es war ihm eben vor Schreck die ganze Geistesgegenwart und Thatkraft abhanden gekommen. Er stand wie ein willenloses Kind vor mir. Ich zog das Messer, faßte ihn am Arme und sagte:

„Nun vorwärts, Sennor! Und keine Weigerung! Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß Sie meine Klinge fühlen, sobald Sie einen Augenblick aufhören, mir zu gehorchen.“

Ich stieß ihn vorwärts. Nun erst kam ihm der Gedanke des Widerstandes. Er hielt den Schritt an.

„Allons, sonst steche ich!“ drohte ich.

Ich schob wieder, aber er gehorchte nicht. Sogleich stach ich ihn in die Muskel des Oberarmes, die am wenigsten gefährliche Stelle. Man mag das Grausamkeit nennen, aber es handelte sich um mein Leben. Brachte ich ihn nicht so fort, wie ich wollte, so konnte es sehr leicht um mich selbst geschehen sein. Ehe ich mein Leben auf das Spiel setzte, nahm ich ihm lieber einige Tropfen seines Blutes, was ihm übrigens weder körperlich, noch moralisch etwas schaden konnte.

Das Mittel half. Er begann fast schneller zu laufen, als mir lieb war. Natürlich leitete ich ihn nicht nach der Halbinsel zu, sondern ich entfernte mich zunächst noch weiter von derselben, bis ich gute Deckung hatte, dann kehrte ich um. Ich konnte nicht wagen, allzuweit von ihr entfernt vorüber zu kommen, denn dort gab es Sumpf; ich mußte mich vielmehr so nahe wie möglich an sie halten. Da aber konnte mir der Säbel des Majors gefährlich werden, denn das Klirren desselben war weithin zu vernehmen. Ich schnitt ihn also von dem Riemen ab und legte ihn ins dichte Schilf. Dann ging es weiter.

Nur vierzig Schritte waren wir von den Posten entfernt, als wir parallel mit der Grundlinie der Halbinsel dahinschritten. Er schien Lust zu haben, einen Fluchtversuch zu wagen; aber ich nahm ihn fester und hielt ihm das Messer vor die Brust.

Der Duft des Fleisches, welches über den beiden Feuern gebraten wurde, drang zu mir herüber. Das konnte mich nicht irre leiten; desto aufmerksamer aber wurde ich auf den Ruf, den ich jetzt hörte:

„Holla, hier ist der Braten!“

Sollte etwa eben jetzt das Fleisch verteilt werden? Disciplin war bei den Leuten nicht zu erwarten. Vielleicht ließen sich die Wachen durch den Braten verlocken, ihre Posten zu verlassen. Wirklich! Alles lief nach den Feuern zu, die Posten auch. Einer von ihnen nahm sein Gewehr mit, die andern aber lehnten die ihrigen an die nächsten Bäume.

Sollte ich es wagen? Ich konnte einige Gefangene befreien, setzte aber dagegen mich selbst und den Major auf das Spiel.

In solchen Augenblicken gilt kein Zagen. Der Gedanke, den der erste Moment bringt, muß ausgeführt werden. Gewöhnlich ist er der richtige. Ich riß dem Major das Wehrgehänge vom Leibe, schnallte es ihm um die Unterschenkel und warf ihn zu Boden. Dann flog ich auf die Halbinsel zu.

Die ganz eng sich um die Feuer drängenden Leute warfen ihre Schatten hinter sich, und ich gelangte glücklich aus der vom Monde beschienenen Fläche in den dunkeln Bereich derselben. Nur zwei Männern konnte ich Hilfe bringen; die andern waren mir fern. Ihnen mit dem Messer die Riemen durchschneidend, forderte ich sie auf, mir schleunigst nachzurennen, und kehrte um.

Die zwei kamen hinter mir her, und wahrhaftig, sie hatten Flinten in der Hand. Sie waren so geistesgegenwärtig gewesen, die Gewehre der Wachen aufzunehmen.

Heigh-day! Qué alagria!“ sagte der eine von ihnen, als sie bei mir ankamen, in englischer und spanischer Sprache. „Das war brav! Ich sah Sie kommen. Rief dann dem Steuermanne zu, nach der alten Schlüsselbüchse zu greifen, die am Baume lehnte. Ist Rettung in großer Not. Wohin jetzt, Sir? Wer seid Ihr, und wohin gehört Ihr, Sennor?“

Diese Stimme mußte ich schon früher gehört haben; aber welchem Bekannten konnte ich hier an diesem Orte und unter diesen Umständen begegnen? Ich hatte auch keine Zeit, auf ihn zu achten. Ich sah nur, daß er einen Panamahut mit fürchterlich breiter Krämpe trug, unter welcher sein Gesicht verschwand, und antwortete ihm:

„Nur immer mir nach, und zwar schnell!“

Ich nahm mir nicht Zeit, dem Major den Säbelriemen aufzuschnallen; ich schnitt ihn einfach durch, riß den Mann in die Höhe und stieß ihn wieder vor mir her.

„Alle Teufel!“ meinte der Breitkrempige. „Das ist der General dieser Spitzbuben! Da habt Ihr einen herrlichen Lachs gefangen. Werde ihn mit in den Hafen bugsieren!“

Er faßte den Major am andern Arme, und dann ging es mit verdoppelter Geschwindigkeit vorwärts, genau denselben Weg zurück, den ich gekommen war, bis wir das Versteck erreichten, in welchem die Gefährten auf mich warteten.

Da sie anstatt einen Mann vier Männer kommen sahen, schöpften sie Verdacht. Sie sprangen auf und griffen nach ihren Waffen.

„Bleiben Sie sitzen, Sennores!“ rief ich ihnen zu. „Sie haben nichts zu befürchten. Ich bin es!“

„Sie? Gott sei Dank!“ antwortete der Bruder, indem er mir entgegentrat. „Wir hatten bereits große Sorge um Sie. Wen bringen Sie denn da mit?“

„Zwei Gefangene, welche ich befreit, und einen Freien, den ich gefangen genommen habe.“

„Die beiden Fremden vom Floß!“ rief der Indianer.

„Der Major!“ rief der Bruder.

„Ja, der Major,“ antwortete ich. „Ich habe den Sennor ersucht, Ihnen seinen Besuch zu machen, und da ich annehmen mußte, daß er nicht gleich dazu bereit sein werde, kam ich seinem Widerstande zuvor, indem ich ihn band.“

„So haben wir gewonnen; so haben wir gewonnen!“ jubelte der Estanziero. „Nun müssen die Kerle meinen Bruder und meinen Sohn gegen diesen Mann auslösen!“

„Nicht so laut, Sennor!“ bat ich. „Wir haben noch keine Veranlassung, wissen zu lassen, daß wir hier sind und wo wir uns verborgen haben. Ich vermute, daß man nach diesen drei Personen suchen wird. Hier könnte man uns leicht finden. Petro Aynas, haben Sie keinen Ort, wo wir die Nacht zubringen und ein Feuer brennen können, ohne gesehen zu werden?“

„Ich weiß einen. Kommen Sie! Wie freue ich mich, daß die Sache so glücklich abgelaufen ist!“

Er führte uns durch schilfige Stellen, über mooriges Grün, durch dichtes Gebüsch bis an einen Platz, wo wir zu unserer Ueberraschung unsere Pferde stehen sahen. Er hatte während meiner Abwesenheit über alles Aufklärung erhalten und also auch erfahren, daß wir bei seinem Weibe gewesen waren und ihr unsere Pferde übergeben hatten.

Der Platz war ausgezeichnet zum Lagern. Er wurde von Laubbäumen überdacht und ringsum von Büschen umgeben. Ein kleines Wasser floß dem Strome zu. Die lästigen Mücken konnten wir durch Feuer vertreiben, welches wir anzündeten.

Kaum hatte es begonnen, seinen Schein zu verbreiten, so that der Breitkrempige einen Sprung auf mich zu und schrie:

Heavens! Ist es die Möglichkeit? Ihr seid es, Charley, Ihr? Kommt in meine Arme, in alle meine Arme! Schnell, schnell!“

Er riß den Hut vom Kopfe, so daß ich sein Gesicht erkennen konnte, schlang die Arme um mich und drückte mich an sich, als ob es seine Absicht sei, mich und sich zu gleicher Zeit zu zermalmen.

Man denke sich mein Erstaunen: Es war mein alter Turnerstick, mein alter Kapitän Frick Turnerstick, der originelle Seebär und Sprachkünstler, mein Gefährte in China und Bekannter schon von früher her! Meine Verwunderung war ebenso groß wie meine Freude über dieses so ganz unerwartete Wiedersehen, doch hatte ich augenblicklich keine Zeit, die vielen Fragen zu beantworten, mit denen er mich überschüttete, und bat ihn:

„Setzt Euch nieder, und wartet noch eine Weile, Capt’n; dann sollt Ihr erfahren, was ich hier zu suchen habe. Wir müssen zunächst das thun, was uns der Augenblick gebietet.“

Er sah ein, daß ich recht hatte, und folgte meiner Weisung, obgleich ihm dies Ueberwindung kostete. Der Major war für uns die Hauptsache. Wir banden ihn in der Nähe des Feuers an einen Baumstamm. Als ich kurz erzählt hatte, wie es mir gelungen war, ihn gefangen zu nehmen, entfernte ich den Knebel aus seinem Munde, sagte ihm aber, daß er beim ersten lauten Hilferufe mein Messer bekommen werde.

„Sie haben sich bereits einmal in unseren Händen befunden,“ fuhr ich dann fort. „Sie gelobten, auf alle Feindseligkeiten gegen uns zu verzichten, und wir schonten Sie. Sie haben Ihr Wort gebrochen, und von einer abermaligen Schonung kann also keine Rede sein. Das haben Sie sich selbst zuzuschreiben. Petro Aynas, nehmen Sie ihm einmal alles heraus, was er in den Taschen bei sich trägt!“

„Schurke!“ knirschte der Major dem Indianer zu, als dieser ihm die Taschen leerte.

Petro gab ihm eine tüchtige Ohrfeige und antwortete:

„Der Schurke bist nur du, Lügner! Jetzt weiß ich alles. Schimpfest du noch einmal, so schlage ich dir den Schädel entzwei.“

Der Major hatte eine Uhr, eine Brieftasche und einen Geldbeutel einstecken. Die Uhr gab ich ihm in die Tasche zurück. Den Beutel und die Brieftasche öffnete ich. Beide enthielten in Summa ungefähr achtzehntausend Papierthaler, was nicht ganz dreitausend Mark beträgt. Mein Entschluß bezüglich dieses Geldes war gefaßt. Ich fragte die Yerbateros:

„Könnten nicht zwei von Ihnen gleich nach der eingeäscherten Alqueria zurückreiten?“

„Warum?“

„Um dem Besitzer zwölftausend Papierthaler von dem Major Enrico Cadera zu überbringen als Entschädigung für den Schaden, welchen er mit seinen Leuten angerichtet hat.“

Alle fünf waren sofort bereit dazu.

„Losen Sie untereinander! Und zugleich sagen Sie dem alten Herrn, er soll schnell seine Gauchos senden, um die gestohlenen Pferde in Empfang zu nehmen.“

„Die haben wir ja bis jetzt noch gar nicht,“ warf Monteso ein.

„Wir werden sie aber bekommen. Oder glauben Sie, daß ich diesen sogenannten Major freigebe, ohne daß er die Pferde zurückliefert?“

„Darüber ist erst Beschluß zu fassen!“ sagte der Major zornig.

„Der ist bereits gefaßt, nämlich ich bin es, der ihn gefaßt hat, und das genügt, Sennor!“

„Nein, das genügt nicht. Ich habe da vor allen Dingen ein Wort zu sprechen.“

„Wenn ich es Ihnen verbiete, müssen Sie schweigen.“

„Noch sind keine Präliminarien verhandelt!“

„Was verstehen Sie von Präliminarien! jedenfalls nicht mehr als der Frosch vom Zitherspielen. Gebärden Sie sich um aller Welt willen nicht etwa, als ob Sie klüger seien, oder mehr zu befehlen hätten, als wir! Das könnte Ihnen schlecht bekommen!“

„Sennor, ich bin Stabsoffizier unter Latorre!“

„Dann ist es eben zu Ihrem Unglück, daß es so ist, denn ich bin ein Gegner Latorres. Wenn Sie sich zu ihm bekennen, verschlimmern Sie nur Ihre Lage.“

„Ich weigere mich entschieden, auf einen Vergleich einzugehen!“

„Wir fragen weder nach dem, was Sie wollen, noch nach dem, was Sie nicht wollen. Wir thun, was uns beliebt.“

„Bedenken Sie, daß sich Geiseln in den Händen der Meinigen befinden!“

„Machen Sie sich nicht lächerlich! Was sind denn wohl Sie in unsern Händen? Glauben Sie, daß ich Sie beim Kragen genommen habe, um mit Ihnen Staat zu machen? Sie weisen jeden Vergleich von sich. Wie wollen Sie denn Ihre Freiheit wieder erlangen, wenn nicht durch einen Vergleich?“

„So bleiben die Montesos in Gefangenschaft und werden gar getötet!“

„Bilden Sie sich auch das nicht ein! Ich habe Sie ergriffen und dabei zugleich zwei Ihrer Gefangenen befreit. Denken Sie etwa, es falle mir schwer, auch die beiden Montesos zu befreien? Ich allein bringe das fertig. Und hier sind noch andere Männer, welche sich ebensowenig vor euch fürchten, wie ich.“

„Sie werden also eine Auswechslung der Gefangenen beantragen?“

„Jawohl, Sennor! Fällt es mir ein, Sie gegen den Yerbatero und dessen Neffen freizugeben, so werde ich es thun. Behebt es mir, diese beiden zu befreien und Ihnen dann eine Kugel durch den Kopf zu jagen, so werde ich auch das thun, und meine Gefährten werden vollständig mit mir einverstanden sein.“

„Streiten wir jetzt nicht darüber! Auf alle Fälle aber unterlassen Sie, sich an meinem Gelde zu vergreifen!“

„Ist es das Ihrige?“

„Ja.“

„Das erklären Sie hiermit vor allen diesen Zeugen?“

„Natürlich!“

„So bin ich befriedigt. Das Eigentum eines andern hätte ich nicht angegriffen, um den Schaden zu ersetzen, welchen Sie hervorgebracht haben. Da Sie aber fest erklären, daß das Geld Ihnen gehöre, so bestimme ich eben zwölftausend Papierthaler als Entschädigung für das niedergebrannte Haus und Inventar des Alquerio.“

„Oho! Sie haben mich um Erlaubnis zu fragen, und diese verweigere ich!“

„Haben auch Sie etwa um die Erlaubnis gefragt, die Alqueria niederzubrennen? Sie wäre Ihnen natürlich auch verweigert worden, und doch haben Sie es gethan.“

„Sennor, Sie bestehlen mich!“

„Nun gut, so bin ich ein ehrlicher Dieb, Sie aber ein ehrloser Brandstifter und Pferderäuber. Es bleiben Ihnen sechstausend Papierthaler übrig, welche ich Ihnen hiermit in die Tasche zurückstecke, ebenso wie Sie die Uhr zurückerhalten haben. Das ist ehrlich. Sie aber kaufen und schlachten Rinder und bezahlen sie nicht. Sie nehmen brave Menschen, die Ihnen nie etwas zuleid thaten, gefangen, um von den Angehörigen derselben ein Lösegeld zu erpressen!“

„Ein Lösegeld? Davon weiß ich kein Wort. Ich habe mich des Yerbatero bemächtigt, weil er mit Ihnen eines schweren Verbrechens bezichtigt ist. Ich würde mich auch Ihrer bemächtigen, wenn ich in der Lage dazu wäre. Von einem Lösegeld aber hat kein Mensch ein Wort gesprochen.“

„So! Sie führen Ihre Verteidigung so sprachselig, weil Sie glauben, wir seien eher zu Ihrer Verfolgung aufgebrochen, als Ihre Boten die Estanzia del Yerbatero erreichten.“

„Meine – Boten?“ fragte er stockend.

„Ja, Ihr Lieutenant mit seinen beiden Begleitern.“

„Die sind auf der Estanzia gewesen?“

„Pah! Thun Sie doch nicht, als ob Sie nichts davon wüßten! Wie konnten Sie nur so dumm sein, einen solchen Schulbubenstreich zu begehen! Wir haben diese Kerle natürlich eingesperrt, so klug sie es auch angefangen zu haben vermeinten; sie sind geständig und sehen ihrer Bestrafung entgegen. Ihr Name wird dabei eine bedeutende Rolle spielen, und Ihre Person wahrscheinlich auch, denn ich habe große Lust, Sie einzuladen, mit uns nach der Estanzia del Yerbatero zu kommen. Dann schaffen wir Sie nach Montevideo, wo Sie Ihren famosen Comisario criminal ersuchen können, Ihre Verteidigung zu übernehmen.“

Er schwieg. Er sah sogar ruhig zu, als ich den beiden Yerbateros, welche das Los getroffen hatte, das Geld gab, mit welchem sie sogleich aufbrechen sollten.

Zwölftausend Papierthaler waren noch lange nicht zweitausend Mark. Mochte ich unrecht handeln oder nicht, mochte daraus werden, was da wollte, der alte Alquerio mußte und sollte das Geld bekommen. Die beiden Yerbateros entfernten sich mit ihren Pferden, und der Indianer übernahm es, sie so weit zu führen, bis das Sumpfland hinter ihnen lag und sie dann offenen Weg vor sich hatten. Der Mond leuchtete ihnen hell zu ihrem Ritte.

Der Major kochte vor Wut. Sein Blick schweifte von einem auf den andern. Wären diese Blicke Dolche gewesen, so hätten sie uns sicherlich getötet. Um ihn nicht so vor Augen haben zu müssen, wurde er vom Baume gelöst. Wir banden ihm die Füße auch zusammen und legten ihn dahin, wo er nicht gesehen werden, aber auch nichts von unserm Gespräch hören konnte. Doch waren wir so vorsichtig, ihn noch extra mit einem Riemen lose an einen Stamm zu binden. Er hätte sonst, indem er sich fortrollte, uns entkommen können. Nun wurden die Speisevorräte ausgepackt, und wir aßen. Daya, welche herbeikam, mußte sich auch zu uns setzen und mitessen.

Turnerstick hatte seinen Gefährten Steuermann genannt; er saß mir gegenüber. Dieser lange, starke, breitschulterige Kerl war ein Seemann vom echtesten Schrot und Korn. Blond und blauäugig, wie er war, hatte ich große Lust, ihn für einen Friesen zu halten. Darum sagte ich in deutscher Sprache zu ihm:

„Wie haben denn eigentlich Sie bei Ihren Fäusten sich gefangen nehmen lassen können?“

„Ich?“ antwortete er deutsch. „Was? Wie? Sie reden deutsch?“

„Ich bin ein Deutscher.“

„So will ich mich kielholen lassen, wenn ich das geahnt hätte! Ich bin ein Friese von der Nordsee her und heiße Hans Larsen.“

„Hätte nicht vermutet, hier in diesem Sumpfe einen Landsmann zu treffen!“

„Und herauszuangeln, nicht wahr, Herr! Und meine Fäuste – –“

Er hob sie empor und blickte sie wehmütig an. Ja, das waren Fäuste! Für diese Größe und Stärke hätte er keine passenden Glacéhandschuhe bekommen, denn Handschuhe Nummer sechsunddreißig werden meines Wissens in keiner Fabrik der Welt gefertigt. Er schüttelte den Kopf, sah mich betrübt an und fuhr dann fort:

„Herr, ja meine Fäuste, auf die halte ich große Stücke, denn ich brauche sie gar notwendig. Glauben Sie es mir oder nicht, mit diesen Fäusten schleppe ich einen Buganker zweimal längs der Reiling um das ganze Deck, und wo ich sie nur hinlege, ohne groß zuzuschlagen, da wächst weder Reseda noch Ranunkel wieder. Darum ist es jammerschade, daß ich sie heute nicht in Gebrauch nehmen konnte; ich kam nicht recht dazu, denn es ging alles zu schnell. Einige Beulen werde ich wohl gequetscht haben, doch sind sie jedenfalls von keiner Bedeutung. Wenn man sich nicht sehr in acht nimmt, so greift man diese zarten La Plataleute gleich durch und durch. Und geradezu zerdrücken wollte ich doch keinen.“

Er schob ein Stück Fleisch in den Mund, welches wenigstens ein viertel Pfund wog, schüttelte abermals den Kopf und kaute ruhig weiter. Die Bekanntschaft war gemacht; was sollte da sonst noch viel gesprochen werden? Turnerstick fragte mich:

„Gefällt er Euch, Charley?“

„Sehr!“ nickte ich.

„Ist mein liebster Mate, der Larsen. Ein Kerl aus Eisen und Buttermilch, so fest und doch so zart von Gemüt. Nun aber sagt mir, wie es Euch seit unserer Trennung ergangen ist, und was Ihr eigentlich hier in dieser traurigen, dummen Gegend wollt!“

„Davon später, wenn’s Euch beliebt, Kapt’n. Für jetzt ist’s von größerem Vorteil, zu wissen, wie Ihr dazu gekommen seid, der Gefangene dieser Leute zu werden.“

Er kratzte sich hinter dem Ohre, zog ein verlegenes Gesicht und antwortete.

„Grad so, wie mein The wind in das Loch gekommen ist, was sie da unten in Buenos Ayres einen Hafen nennen – ohne eigentliche Absicht von mir. War nach Bahia in Ballast gekommen und erhielt Ladung nach Buenos Ayres – schlechter Hafen, dieser Froschteich! Wollte neue Ladung nehmen, wußte aber nicht, was. Hörte da von den Produkten von Rio Grande do Sul, welche auf dem Uruguay verschifft werden, kostbare Holzarten, Paraguaythee, Kupfer, Zink, Bergkrystalle, Achate, Jaspis und anderes. Wollte das selber sehen und machte mich per Dampfer nach da oben. Bin bis zum Salto Grande gekommen und habe Fracht bestellt. Wollte wieder hinab nach Buenos, hatte aber Lust, mir die Gegend etwas genauer zu betrachten, und setzte mich also mit meinem Mate auf das Floß, welches heute hier anlegte. Sind wohl fünf Tage lang auf demselben geschwommen, wie die Fliege auf dem Gurkenblatt.“

„Und hier wurdet ihr überfallen?“

Well! Sogar sehr. Wir lagen in der Koje, was diese Leute hier zu Lande eine Cabanna, eine Bretterhütte nennen, als das Floß anlegte. Was ging uns das an? Wir rauchten ruhig weiter und blieben liegen, denn morgen schwammen wir wieder fort. Da erhob sich auf dem Vorderdeck, wollte sagen, auf dem Vorderteile des Flosses ein Heidenspektakel und eben als ich den Kopf aus dieser Cabanna stecken wollte, bekam ich einen Klapps auf denselben, daß ich ihn schleunigst zurückzog. War gar nicht überhöflich von diesen Leuten. Well! Dann krochen einige Kerle zu uns herein, welche sagten, wir dürften nicht weiter, wir müßten morgen und übermorgen hier vor Anker bleiben. Darauf gingen wir nicht ein, denn wir hatten das Passagegeld bezahlt, nicht aber sie. Sie wurden grob, und darum multiplizierten wir sie hinaus und krochen ihnen nach, um ihnen für den Klapps, den ich bekommen hatte, noch einen Extragrog zu geben. Aber alle Wetter, wir hatten geglaubt, es seien so zehn, fünfzehn oder zwanzig; aber Prosit die Mahlzeit, es waren über die fünfzig! Sie ließen uns gar nicht Zeit, ihre Gesichter einzeln auszuluven, sondern sie fielen gleich über uns her, bevor wir noch recht aus der Hütte waren. Wir bekamen keinen rechten Platz zum Zuschlagen und wurden von ihnen und mit ihnen nur so hin und her gewickelt, bis sie uns in ihren verteufelten Riemen hatten, was sie hier zu Lande Lasso oder Bola nennen. Aber einige Knüllen, Schrammen, Risse und sonstige Kleinigkeiten haben wir ihnen doch verehrt. Wir selbst sind mit heiler –Haut davongekommen. Dann strickte man uns förmlich in Riemen ein und schaffte uns auf die Landzunge, die man hier vielleicht das Vorgebirge der Prügeleien nennt. Dort wurden wir wenigstens von der Uebermasse der Riemen befreit und nur so an die Bäume gebunden, daß es Euch gelang, uns mit zwei Schnitten wieder flott zu machen. Werde Euch das nicht vergessen, Sir! War zwar keine gefährliche Situation, aber verteufelt unangenehm.“

„Wie steht es mit Eurem Eigentum? Hat man Euch in dieser Beziehung geschädigt?“

„Nein, obgleich man große Lust dazu zu haben schien. Aber Frick Turnerstick ist nicht dasjenige Mannskind, welches sich so leicht den Kopf barbieren läßt. Habe ihnen gar keine Haare gezeigt. Hatte im Beutel nur einige Papiere, welche sie in dieser gesegneten Gegend Thalen schimpfen. Das andere ist versteckt, ausgezeichnet versteckt, so daß ich selbst es nicht zu finden vermöchte, wenn ich nicht wüßte, wo es steckt. Die Thaler haben sie mir freilich abgenommen. Mögen sie immerhin behalten. Will sie ihnen gern als Almosen lassen. Aber, Sir, was hat nun zu geschehen? Bin zwar nicht sehr pressiert, möchte aber doch gern so bald wie möglich nach Buenos Ayres, und mich nicht in diesen Sumpf setzen, um das Fieber zu bekommen.“

„Hoffentlich könnt Ihr bereits morgen fort von hier.“

„Wird die Bande das Floß freigeben?“

„Ich denke es. Wenn sie es nicht gutwillig thut, werden wir sie dazu zwingen.“

„Wohl dadurch, daß Ihr nur unter dieser Bedingung den Major freigebt?“

„Ja.“

„Hm! Die Sache hat aber doch einen Haken. Gesetzt den Fall, Ihr gebt den Offizier frei und erhaltet dafür die Gefangenen heraus und die Erlaubnis für uns, mit dem Flosse in See zu stechen, so seid Ihr doch nicht eher sicher, als bis die Kerle fort sind, hinüber an das andere Ufer. Ist das richtig?“

„Ja.“

„Ihr müßt also dafür sorgen, sie so bald wie möglich los zu werden. Das kann aber eben nur mit Hilfe unseres Floßes geschehen. Ferner kalkuliere ich, daß auch dem Major daran liegen wird, schnell von hier zu verschwinden. Er wird dazu eben auch unser Floß benutzen wollen. Ich kann also die Sache betrachten, wie ich will, so kommt nur das heraus, daß die Bolamänner mit Hilfe unsers Floßes über den Fluß setzen. Dagegen aber muß ich Einsprache erheben.“

„Warum?“

„Weil diese Entscheidung mir großen Schaden machen würde. Es würde da einer von zwei Fällen eintreten. Entweder die Kerle fahren ohne mich über; dann ist das Floß für mich fort, denn es kann nicht wieder zurück. Oder ich fahre mit Larsen gleich mit; dann falle ich den Kerlen in die Hände, und sie nehmen Rache an mir. Ich kann also auf keinen Fall zugeben, daß sie unser Floß benutzen. Das wird Euch freilich nicht sehr lieb sein.“

„Es wird sich wohl ein Ausweg finden lassen. Vielleicht kommt am Morgen ein anderes Floß vorüber, welches diese Leute benutzen können.“

„Das ginge wohl an. Oder – hm, ich glaube, es wird am besten sein, wenn ich es ihnen dennoch lasse und lieber hier warte, bis ein Dampfer thalwärts kommt. Es ist ja in diesem guten Lande Sitte, daß man nur vom Ufer aus zu winken braucht, um aufgenommen zu werden.“

„Das rate ich Euch an, Capt’n, denn durch diesen Entschluß vermeiden wir alle Unbequemlichkeiten für uns und jede Gefahr für Euch.“

„Richtig! Also mögen sie mit dem Floße abdämpfen; ich warte auf den nächsten Dampfer oder das nächste Schiff, welches mich aufnehmen wird. Wo aber wollt Ihr von hier hin, Sir?“

„Das kommt auf den Ausgang an, welchen das gegenwärtige Abenteuer nimmt. Ich kann nicht eher einen Entschluß fassen, als bis ich mit dem Yerbatero gesprochen habe, welcher jetzt noch gefangen ist.“

„Wollt Ihr nicht mit nach Buenos Ayres? Zwar ist der Hafen miserabel; aber wir könnten doch ein wenig beisammen sein, um über vergangene Zeiten zu sprechen.“

„Da hinab komme ich wohl nicht. Ich will nach einer ganz andern Richtung.“

„Wohin denn, wenn ich fragen darf?“

„Nach dem Gran Chaco und dann durch die Pampa hinüber nach Tucuman.“

„Hm!“ brummte er dann nachdenklich. „Eigentlich beneide ich Euch, Sir. Habe mir oft gewünscht, auch einmal so einen Ritt durch diese Pampa zu machen, doch fehlt mir die Gelegenheit. Bevor die Ladung für meinen Wind beisammen ist, kann eine lange Zeit vergehen, die ich dazu benutzen könnte, einmal einen wilden Gaucho aus mir zu machen. Wenn ich nicht erst nach Buenos Ayres müßte, würde ich sagen, daß ich Euch begleite.“

„Versteht Ihr die Sprache des Landes?“

„Ausgezeichnet! Ich spreche überhaupt alle Sprachen, wie Ihr von früherher wißt. Reiten und Schießen kann ich auch; was verlangt Ihr mehr?“

Ich hatte keine Zeit, ihm zu antworten, denn jetzt kam der Indianer zurück und meldete, daß er die beiden Yerbateros durch das unsichere Gebiet des Sumpfes gebracht habe. Er teilte uns mit, daß er soeben auch sich nach der Halbinsel geschlichen und dort gesehen habe, daß man über das Verschwinden des Majors und der beiden Seeleute ganz bestürzt zu sein scheine und eifrig nach ihnen suche.

„Wird man dabei auch nach Ihrer Hütte kommen?“ fragte ich ihn.

„Wahrscheinlich, Sennor.“

„Kann man auch hierherkommen?“

„Nein. Einem Fremden ist das des Nachts ganz unmöglich. Sogar am Tage würde er sich schwerlich hierherfinden, denn der Weg geht durch Wasserlachen, in welche sich niemand wagen darf.“

„So senden Sie Ihre Daya hin! Sie mag ihnen, falls sie kommen, sagen, daß die Gesuchten nicht dort gewesen sind.“

Petro Aynas folgte dieser Aufforderung. Seine Frau ging fort, kehrte aber bald wieder zurück und teilte uns mit, daß soeben einige der Leute bei der Hütte gewesen seien, um nach den Verschwundenen zu suchen. Sie hatten auch nach ihrem Manne gefragt und dabei merken lassen, daß sie ihm zu mißtrauen begannen. Er hatte sich, seit er mit uns zusammengetroffen war, nicht wieder bei ihnen sehen lassen, ein Umstand, welcher freilich ganz geeignet war, ihren Verdacht zu erregen. Aynas fragte, ob es nicht angezeigt sei, daß er sich einmal zu ihnen begebe; es werde ihm dabei nicht schwer fallen, ihre Nachforschungen von uns abzulenken. Darauf antwortete der Bruder an meiner Stelle:

„Nein, das würde überflüssig oder gar verkehrt sein. Warum soll die Aufmerksamkeit dieser Leute von uns abgelenkt werden, da doch soeben gesagt wurde, daß sie uns hier ganz unmöglich finden können? Und ist es nicht gerade notwendig, daß sie erfahren, was geschehen ist? Wir fürchten sie nicht und wollen ihnen dies dadurch zeigen, daß wir ihnen ihren Anführer finden helfen. Sind Sie nicht auch meiner Meinung, Sennor?“

Er richtete diese Frage an mich, und ich stimmte ihm mit den Worten bei:

„Ich gebe Ihnen vollständig recht. Wir wollen ihnen zu wissen thun, daß die Gesuchten sich in unserer Gewalt befinden. Nur fragt es sich, wer ihnen diese Mitteilung machen soll. Ich selbst erkläre mich bereit dazu.“

„Nein, das ist zu gefährlich für Sie.“

„Pah! Ich fürchte mich nicht!“

„Davon bin ich überzeugt; aber Sie dürfen sich nicht in Lebensgefahr bringen. Viele Hunde sind des Hasen Tod. Man wird Sie festhalten; man wird Sie nicht zurücklassen. Dann ,Wird man sich bereit zeigen, Monteso und seinen Neffen gegen den Major auszuwechseln, und Sie bleiben gefangen.“

„Ich lasse mich aber nicht ergreifen!“

„Das heißt, wenn man versucht, dies zu thun, so wollen Sie sich wehren? Das ist es ja eben, was ich vermeiden will. Nein, Sie bleiben hier, Sennor. Ich weiß einen, welcher gehen kann, ohne daß ihm die geringste Gefahr droht.“

„Wer ist das?“

„Ich selbst bin es. Es wird niemand wagen, sich an dem Bruder Jaguar zu vergreifen. Davon dürfen Sie überzeugt sein, Sennor.“

„Sind Sie wirklich sicher, daß die Macht, welche Sie ausüben, ihre Wirkung nicht auch einmal versagen kann?“

„Es ist möglich, aber keineswegs wahrscheinlich. Und wenn ich mich irrte, so weiß ich, daß ich mich auf Sie verlassen kann. Hält man mich zurück, so ist das nicht so schlimm, wie wenn man Sie gefangen nimmt. Man trachtet nach Ihrer Person, aber nicht nach der meinigen.“

Er war, während er sprach, von seinem Platze aufgestanden, als ob er es für ganz außer allem Zweifel halte, daß er den gefährlichen Gang unternehmen werde. Ich wollte nicht einwilligen; aber er wußte die andern auf seine Seite zu bringen, so daß ich schließlich gezwungen war, ihm seinen Willen zu lassen.

„Nun gut, gehen Sie!“ sagte ich ihm. „Aber ich werde Sie begleiten.“

„Unmöglich! Zu zweien zu kommen, wäre das schlimmste, was wir thun könnten!“

„Ich will nicht ganz mit hin. Ich bleibe an einer Stelle zurück, von welcher aus ich beobachten kann, was geschieht.“

„Gut, so begleiten Sie mich, so weit es Ihnen beliebt, aber nicht bis ganz mit zur Halbinsel! Und seien Sie so klug, ein Gewehr mitzunehmen!“

„Das würde im Gegenteile unklug sein. Ich darf mich beim Anschleichen nicht mit einem Gewehre schleppen, welches mich nur hindern würde. Die Revolver genügen vollständig. Nehmen Sie auch die Ihrigen mit?“

„Natürlich, obgleich es mir gar nicht einfällt, auf einen Menschen zu schießen. Schon der bloße Anblick zweier Revolver erweckt Respekt. Dazu kommt die heilige Scheu, welche ihnen mein Stand einflößt, und endlich giebt es für einen jeden, der von mir gehört hat, noch einen Grund, mir nicht feindlich zu nahe zu kommen.“

„Welchen?“

„Ich will es Ihnen zeigen. Passen Sie einmal auf! Fürchten Sie nicht, daß ich Ihnen wehe thue.“

Er faßte mich mit seiner Rechten unter der Brust beim Jagdrocke und hob mich langsam mit dieser einen Hand empor, um mich ebenso langsam wieder auf die Füße zu setzen.

„Alle Wetter!“ rief ich aus. „Ich habe Ihnen freilich eine ungewöhnliche Körperkraft zugetraut, aber eine solche Riesenstärke doch nicht!“

„Nicht wahr, Sennor?“ lächelte er. „Diese Stärke ist es, welche man fürchtet. Glauben Sie mir, daß es nicht so leicht jemand wagen wird, Hand an mich zu legen. Ich würde zwar nicht auf ihn schießen, aber ihn so zwischen die Finger nehmen, daß es ihm vergehen müßte, den Versuch zum zweitenmal zu machen.“

Hans Larsen, der friesische Steuermann, hatte außer den wenigen Worten, welche er mit mir gewechselt hatte, keine Silbe hören lassen. Jetzt stand er plötzlich auf und sagte zu mir, und zwar zu meiner Verwunderung in einem ganz leidlichen Spanisch:

„Sie reden von Riesenstärke, Sennor? Meine Hände habe ich Ihnen schon gezeigt; nun aber sollen Sie auch sehen, was sie machen können. Wer einen Anker schleppen kann, der schaukelt auch zwei Männer auf und nieder. Passen Sie auf!“

Er ergriff mich gerade so mit der Rechten, wie vorher der Bruder, faßte auch diesen mit der Linken an der Brust, hob uns beide empor, streckte seine Arme aus und ließ uns abwechselnd und langsam auf und nieder gehen wie zwei Wagschalen an dem Wagbalken, den seine Arme bildeten. Dann setzte er uns nieder und meinte:

„Hätte ich auch hinten zwei Arme, so würde ich gern vier nehmen, anstatt nur zwei.“

„Aber, Mann,“ rief ich ganz erstaunt, „Sie sind der richtige Goliath! Sie können Häuser einreißen!“

„Pah! Das kann der schwächste Kerl, wenn er es richtig anfängt! ich knacke die härtesten Köpfe auf wie Walnüsse, habe aber leider keine Gelegenheit dazu. Verschaffen Sie mir eine solche, so sollen Sie Ihr blaues Wunder sehen!“

„Aber können Sie auch mit Gewehren umgehen?“

„Das ist nichts. Habe es da oben in Westindien gelernt, wo ich jahrelang von Hafen zu Hafen gesegelt bin. Könnt mich auch mit auf die Wiese nehmen, der ihr Leute hier den unbegreiflichen Namen Pampa gebt!“

Während er das sagte, setzte er sich wieder nieder und machte eine Miene, als habe er soeben die längste Rede seines Lebens gehalten. Auch er war ein halbes Original. Der Bruder gab zu, daß er sich in Beziehung auf Körperkraft doch nicht mit diesem Manne messen könne. Die rohe Kraft freilich thut es nicht allein. Ein gewandter und beweglicher Mann, der die erforderliche Intelligenz und Geisteskraft besitzt, vermag einen Riesen von doppelter Körperstärke zu besiegen.

Als dieses kleine Intermezzo vorüber war, brachen wir auf, der Bruder und ich. Ich hatte mir die vielen Windungen des Weges ganz genau gemerkt, so daß wir glücklich die gefährlichen Stellen desselben hinter uns brachten. Wir mußten dafür sorgen, daß wir nicht beisammen gesehen wurden. Darum schritt der Bruder nun eine kurze Strecke voran, und ich folgte ihm in angemessener Entfernung.

Bald traf er auf zwei von den Bolaleuten. Er blieb einige Augenblicke mit ihnen stehen. Ich hörte sie mit ihm sprechen, und dann kehrten sie mit ihm um. Sie hatten nach den drei Vermißten gesucht und führten ihn nun nach der Halbinsel des Jacaré. Ich huschte hinter ihnen drein und kam, als sie die Peninsula erreichten, an die Stelle, an welcher ich vorhin dem Major die Füße gebunden und ihn auf die Erde gelegt hatte. Von hier aus konnte ich ziemlich gut sehen, was vorging. Die beiden Begleiter des Bruders machten ihre Meldung; aber sie schienen dieselbe noch gar nicht beendet zu haben, als ich die lauten Rufe der andern hörte. Sie hatten den Bruder erkannt.

Er wurde von ihnen umringt. Ich vernahm ihre verworrenen Stimmen, dazwischen die seine, welche laut, fest und bestimmt erklang. Er sprach wie befehlend zu ihnen. Sie antworteten erregt. Ihre Entgegnungen schienen zornig zu sein. Dann hörte ich deutlich, daß nur zwei sprachen, nämlich der Bruder und einer der Leute, welcher jedenfalls der Rangnächste des Majors war. Es dauerte ziemlich lang, doch befürchtete ich nichts mehr für den mutigen Herrn. Ich hätte es gewiß ihren Stimmen angehört, wenn er von ihnen feindselig behandelt worden wäre.

Es fiel mir der Umstand auf, daß sich alle eng um seine Person gedrängt hatten. Selbst die Posten waren hinzugelaufen; sie vergaßen die Lehre, welche sie vorhin durch mich bekommen hatten. Es war mir jetzt wohl nicht schwer, mich auf die Halbinsel zu schleichen, und ich beschloß bei mir, diese Sorglosigkeit der Leute, wenn möglich, für uns auszunutzen.

Endlich öffnete sich der Kreis der Leute, und ich sah den Bruder hervortreten. Er verließ die Halbinsel, und einer der Männer ging mit ihm. Die andern blieben zurück. jedenfalls wollte er den Mann mit nach unserem Verstecke nehmen. Derselbe durfte nicht sehen, daß auch ich mich hier befunden hatte, und darum schlich ich mich hinter ihnen her, ohne aber zu ihnen zu stoßen. Als beide eine kurze Strecke zurückgelegt hatten, blieben sie stehen, und ich sah, daß der Bruder dem andern die Augen verband. Das war lobenswert von ihm; denn dadurch wurde das Geheimnis unseres Aufenthaltortes gewahrt, und ich konnte mich ihnen so weit nähern, daß es mir möglich wurde, dem Bruder mit einem Zeichen zu bedeuten, daß er nicht mit mir reden solle. Er verstand mich, denn er nickte. Nun huschte ich an ihnen vorüber und ging voran. An den gefährlichen Stellen führte der Bruder den Mann an der Hand. So gelangten wir in unser Versteck, ohne daß der letztere gemerkt hatte, daß der erstere nicht allein gewesen war. Dies war für mich von großer Wichtigkeit.

Die am Boden Sitzenden standen auf, als sie uns kommen sahen. Der Bruder nahm seinem Begleiter das Tuch von den Augen und dieser sah sich bei uns um.

„Sie bringen jemand mit?“ fragte ich Bruder Hilario. „War das denn notwendig?“

„Ja, Sennor,“ antwortete er. „Er mag als Unterhändler zwischen uns und den Seinigen dienen.“

„Gut. Wie hat man Sie denn aufgenommen?“

„Man war natürlich ganz erstaunt bei meinem Anblicke. Man hatte doch nicht geglaubt, daß wir kommen würden, oder wenigstens nicht angenommen, daß wir schon jetzt hier eingetroffen sein könnten.“

„Verhielt man sich feindselig?“

„Man hatte große Lust dazu, aber ich sagte ihnen, daß in diesem Falle der Major sofort erschossen würde.“

„Das wäre jedenfalls geschehen. Hätte man Ihnen nur ein Haar gekrümmt, so wären nicht allein er, sondern auch die drei Kerle, welche wir in der Estanzia del Yerbatero gefangen nahmen, dem Tode verfallen gewesen. Ich habe keine Lust, mit solchen Menschen allzu freundlich umzugehen. Also, man glaubte Ihnen nicht, daß wir den Major haben?“

„Nur schwer.“

„Und nun will dieser Mann ihn sehen?“

„Ja, und auch mit ihm sprechen.“

„Das kann ich nicht erlauben.“

„Warum nicht, Sennor?“

Ich zog ihn zur Seite und erklärte ihm:

„Der Mann darf nicht erfahren, auf welche Weise ich die beiden Seeleute befreit habe. Er würde es seinen Kameraden sagen, und diese sollen nicht wissen, daß ich auf der Halbinsel war. Ich will nochmals hin, um die beiden Montesos zu holen.“

„Sennor, das ist zu gefährlich!“

„O nein. Es wird sogar ziemlich leicht sein, wenn Sie die Rolle gut spielen, welche ich Ihnen dabei zugedacht habe.“

„Welcher Art ist sie, Sennor?“

„Bevor wir darüber sprechen, muß ich erst wissen, ob sich die Bolamänner bereit gezeigt haben, ihre Gefangenen frei zu geben.“

„Sie wollen es nicht thun.“

„Was verlangen sie denn?“

„Sie wollen die beiden Montesos nur gegen den Major, den Lieutenant und dessen beide Begleiter herausgeben.“

„So! Das würde uns zu lange aufhalten.“

„Das ist auch meine Ansicht.“

„Haben Sie ihnen nicht gedroht, daß wir den Major und die andern drei auch töten, oder diese letzteren wenigstens dem Gerichte übergeben werden?“

„Ich gab mir alle mögliche Mühe, sie umzustimmen. Sie blieben aber bei ihrer Forderung.“

„Das ist freilich leicht begreiflich. Sie haben uns ebenso fest, wie wir sie. Keine der beiden Parteien darf den in ihren Händen befindlichen Geiseln Gewalt anthun, da in diesem Falle die andere sich augenblicklich rächen würde. Aus diesem Grunde habe ich den Vorsatz, Monteso und seinen Neffen herauszuholen. Gelingt mir das, so ist uns geholfen.“

„Aber, Sie begeben sich dabei in eine ganz bedeutende Gefahr!“

„Ich habe es bereits einmal gethan, und es ist mir gelungen. Sie werden den Unterhändler, welchen Sie mitgebracht haben, wieder zur Halbinsel zurückbringen. Dabei haben Sie nur zu beachten, daß Sie dieselbe nicht betreten. Sie können sich ja verstellen und so thun, als ob Sie unsern Gegnern doch nicht trauten. Ich bin überzeugt, daß sie alle zu Ihnen kommen werden. Dadurch locken Sie sie von der Jacaré fort, und ich gewinne freie Hand.“

„Hm! Der Plan ist nicht schlecht. Aber ich bleibe dabei, daß Sie zu viel wagen.“

„Gewiß nicht. Gehen Sie mit dem Manne nicht zu schnell, und stellen Sie sich an einem solchen Orte auf, daß mir, wenn die Kerle zu Ihnen kommen, Raum bleibt, mich zu den Gefangenen zu schleichen.“

„Wollen Sie etwa auch die Flößer mit befreien?“

„Wenn es möglich ist, ja.“

„Sechs Mann! Bedenken Sie, welche Zeit das erfordert!“

„Nun, ob ich es thue, das kommt eben ganz darauf an, ob ich denken werde, daß ich die dazu nötige Zeit habe. Muß ich sie dort lassen, so ist es auch kein Unglück für sie, denn ich bin überzeugt, daß die Bolamänner nur beabsichtigen, mit Hilfe des Floßes überzusetzen, sonst aber nichts Böses gegen sie vorhaben.“

Jetzt wendeten wir uns wieder zu dem Unterhändler zurück, welcher seinen Vorgesetzten zu sehen verlangte.

„Wollen Sie mit ihm sprechen?“ fragte ich ihn.

„Natürlich!“ antwortete er. „Ich muß ihn doch fragen, was wir thun sollen!“

„Das ist nicht nötig. Sie sind über fünfzig Männer, welchen ich doch wohl Verstand genug zutrauen muß, um zu wissen, wie man in einer solchen Lage zu handeln hat.“

„Ohne seinen Befehl können wir nichts unternehmen!“

„Er kann Ihnen nichts befehlen, da er sich in unserer Gewalt befindet. Wählen Sie einen andern Anführer!“

„Den haben wir.“

„Nun, so haben Sie sich nach diesem zu richten, nicht aber nach unserm Gefangenen. Ich werde Ihnen denselben zeigen, damit Sie Ihren Kameraden sagen können, daß er wirklich unser Gefangener ist. Mehr kann ich nicht thun. Auch werde ich keinen Ihrer Leute wieder hierher zu uns lassen. Ich gebe Ihnen den Bruder mit, welchem Sie sagen können, was Sie thun wollen. Dann sind wir fertig.“

Ich ging zum Major, gab ihm seinen Knebel wieder, band ihn vom Baume los, machte ihm auch die Füße frei, so daß er gehen konnte, und führte ihn zum Feuer. Als er seinen Untergebenen sah, wollte er diesem trotz des Knebels etwas zurufen, man hörte aber nichts als einen aus der Nase kommenden röchelnden Ton.

„Nun,“ fragte ich den Mann, „ist das der Major Cadera?“

„Ja,“ antwortete er. „Sie knebeln ihn? Wir werden das mit unsern Gefangenen nun auch machen.“

„Ganz, wie es Ihnen beliebt! Uebrigens hat er den Knebel nur für diesen kurzen Augenblick bekommen, damit er nicht zu sprechen vermag. Sobald Sie fort sind, wird er von demselben befreit. Haben Sie noch etwas zu bemerken?“

„Darf ich dem Major eine Frage vorlegen?“

„Ja,“ antwortete ich, da ich sicher war, daß Cadera nicht verraten konnte, was geheim bleiben sollte.

„Sollen wir Sie gegen unsere Gefangenen auswechseln?“ fragte der Mann seinen Vorgesetzten.

Dieser schüttelte sehr energisch den Kopf.

„Was aber sollen wir sonst thun?“

Der Major deutete nach Osten und hob drei Finger in die Höhe.

„Wir sollen auch den Lieutenant mit den zwei Begleitern verlangen?“

Der Major nickte, zeigte auf mich und machte mit den Händen die Pantomime des Geldzählens.

„Was bedeutet das? Ich verstehe es nicht,“ sagte der Mann.

„Ich will es Ihnen sagen,“ antwortete ich ihm. „Der Major hat einen Teil des Geldes, welches er bei sich trug, hergegeben, und ich sandte es dem Alquerio, dessen Haus Sie niedergebrannt haben, als Ersatz des ihm zugefügten Schadens. Er will es wieder haben.“

Cadera nickte. Sein Untergebener fragte ihn weiter-

„So sollen wir also unsere Gefangenen nur unter der Bedingung freigeben, daß wir Sie, den Lieutenant nebst seinen zwei Gefährten und auch Ihr Geld herausbekommen?“

Ein abermaliges Nicken gab die Bestätigung des Gefragten. Dann sagte der Mann zu mir:

„Sie hören es, Sennor. Wir müssen diesem Befehle gehorchen. Was sagen Sie dazu?“

„Jetzt gar nichts. Ich gebe Ihnen den Bruder mit, welcher den Ihrigen sagen wird, was ich verlange.“

„Aber Sie können mir doch jetzt schon sagen, ob Sie auf die Forderung unsers Majors eingehen!“

„Ich gehe nicht auf sie ein. Das Geld gebe ich auf keinen Fall zurück; ich habe es nicht mehr. Ferner verlange ich auch die Pferde, welche Sie dem Alquerio gestohlen haben.“

„Die geben wir nicht her. Sie sind gar nicht gestohlen. Wir haben sie ihm abgekauft und bezahlt.“

„Das ist nicht wahr!“

„Es ist wahr, und er hat Sie belogen. Auch sind nicht wir es, welche das Haus in Brand gesteckt haben!“

„Lassen wir das! Wir wollen uns darüber gar nicht streiten. Wir sind miteinander fertig. Bruder Hilario wird mir Ihre Entscheidung bringen. Ich verlange die Gefangenen und die Pferde und gebe Ihnen dafür den Major frei. So, da haben Sie nun doch meinen Entschluß, den Sie verlangten. Damit ists genug für jetzt. Man wird Ihnen die Augen wieder verbinden.“

Das geschah. Der Major wurde wieder so an den Baum befestigt, wie vorher, und dann entfernte sich der Bruder mit dem Manne. Ich befahl den andern leise, ihre Gewehre aufzunehmen und mir zu folgen. Der Estanziero blieb als Wächter des Majors zurück; die übrigen gingen mit mir, auch der Indianer, welchen ich doch nicht zurücklassen wollte. Sie waren sehr neugierig, was geschehen werde. Ich sagte es ihnen noch nicht und winkte ihnen nur zu, mir ganz geräuschlos zu folgen.

Der Bruder ging infolge der Weisung, welche ich ihm gegeben hatte, sehr langsam. Wir hielten uns möglichst nahe hinter ihm, aber doch so weit, daß sein Begleiter uns nicht hören konnte. An der vor der Jacaré liegenden Bucht angekommen, stellte ich die Leute in den Schatten der Bäume und Sträucher auf, übergab ihnen meine Gewehre und sagte:

„Hier bleiben Sie stehen, Sennores, und treten nicht unter dem Schatten heraus. Man darf Sie nicht sehen.“

„Was geht denn los, Sir?“ fragte Turnerstick. „Sollen wir etwa einige dieser Halunken erschießen?“

„Das werdet Ihr erfahren, wenn ich wiederkomme.“

„Wie! Ihr wollt fort?“

„Ja, aber nicht weit. Also begehen Sie keine Unvorsichtigkeit, Sennores! Es mag geschehen, was da wolle, Sie haben hier zu bleiben. Sollten Sie aber meinen Revolver hören, so kehren Sie mit dem Bruder, welcher hier vorüberkommt, nach unserem Versteck zurück und warten das Weitere ruhig ab!“

Auf der Halbinsel brannten die beiden Feuer noch hell, so daß man die Gestalten sah, welche an denselben saßen und sich in der Nähe bewegten. Der Bruder hielt sich mehr links und blieb dann stehen. Er nahm dem Manne die Binde ab und ließ ihn gehen. Ich bemerkte, daß die Bolamänner ihn kommen sahen und sich neugierig erhoben. War meine Berechnung richtig, so verließen sie für kurze Zeit die Halbinsel, um mit dem Bruder zu verhandeln, welcher außerhalb derselben stand und sich klugerweise sogar noch ein Stück weiter zurückzog. Ich legte mich auf das Sandgeröll des Ufers und kroch auf die Halbinsel zu. Ich war sicher, daß man mich nicht sehen werde, denn mein Anzug war von dem Sande nicht zu unterscheiden.

Zu meiner großen Genugthuung hörte ich die zornigen Rufe der Leute. Sie waren mit den von mir gestellten Bedingungen nicht einverstanden und suchten den Bruder auf. Kein einziger blieb zurück. Jetzt bewegte ich mich mit doppelter Schnelligkeit vorwärts und erreichte ganz glücklich die ersten Bäume der Halbinsel. Dort richtete ich mich halb auf. Die Gefangenen waren noch da. Man hatte nach dem Major gesucht und infolgedessen noch keine Zeit gehabt, sie auf das Floß zu bringen.

In der Nähe des Feuers waren die beiden Montesos in einiger Entfernung voneinander an Bäume gebunden: Die Floßleute befanden sich in weit größerer Entfernung von mir. An sie konnte ich die kostbare Zeit nicht verschwenden. Ich kroch also schnell zu dem Yerbatero heran. Er sah mich kommen und sagte:

„Sennor, Sie? Um Gottes willen, was wagen Sie!“

„Still! Ich zerschneide Ihre Riemen.“

„Schön! Aber schnell, damit wir fortkommen!“

„Nein, Sie bleiben. Sehen Sie, daß schon einige zurückkommen! Bleiben Sie so an dem Baume gelehnt, als ob Sie noch gefesselt seien, und warten Sie ab, bis ich glücklich fort bin. Ich werde Ihnen durch einen Pfiff das Zeichen geben. Sobald Sie ihn hören, springen Sie fort, hier am Ufer hin, bis zum ersten Gebüsch, an welchem wir Sie empfangen werden.“

Schnell kroch ich auch zu seinem Neffen und sagte ihm ganz dasselbe, indem ich ihm gerade so wie dem Oheim die Riemen zerschnitt. Und nun war es die höchste Zeit, daß ich fortkam, denn ich sah einzelne, welche langsam zum Feuer zurückkehrten. Es gelang mir, den sandigen Uferstreifen zu erreichen und da unbemerkt zu den Gefährten zurückzukehren.

„Alle Wetter, ich glaube gar, Ihr seid auf der Halbinsel gewesen!“ empfing mich der Kapitän.

„Allerdings.“

„Um die Gefangenen gerade so loszuschneiden, wie vorhin uns?“

„Ja. Sie sind frei.“

„Warum kommen sie nicht?“

„Weil erst der Bruder bei uns sein muß. Man könnte sich seiner bemächtigen, wenn man sieht, daß sie entfliehen.“

„Well! Das ist hochinteressant!“

„Nicht wahr? So paßt also auf! Ich werde pfeifen. Da kommen sie gerannt, hierher zu uns. Im ersten Augenblicke wird man aus Bestürzung gar nicht daran denken, sie zu hindern, auf sie zu schießen, oder ihnen nachzuspringen. Dann aber wird man desto eifriger hinter ihnen her sein. Da geben wir eine Salve ab, aber blind. Wir wollen sie nur abschrecken, nicht aber töten. Nur ich allein werde nicht in die Luft schießen, sondern meine Kugel für den Fall aufheben, daß es nötig ist, einen allzu eifrigen Verfolger zurückzuhalten. Man scheint mit dem Bruder fertig zu sein. Sie kehren auf die Insel zurück.“

Ich hatte bis zu meiner Rückkehr doch fast eine halbe Stunde zugebracht; das war Zeit genug gewesen, die Verhandlung zu Ende zu bringen. Wir sahen den Bruder kommen. Er mußte nahe an uns vorüber, wußte aber nicht, daß wir alle uns hier befanden.

„Pst!“ machte ich, als er nahe genug war. Er trat zu uns unter die Bäume.

„Sie alle hier?“ fragte er. „Es ist mit angst um Sie gewesen, Sennor. Ist es gelungen?“

„Ja. Und Sie? Welche Antwort ist Ihnen geworden?“

„Sie gehen nicht darauf ein.“

„Nach fünf Minuten werden sie es sehr gern thun. Passen wir jetzt auf! Also nur in die Luft schießen, Sennores!“

Ich steckte den Finger in den Mund und ließ einen schrillen Pfiff hören. Ein kurzer Augenblick der tiefsten Stille trat ein. Man fragte sich, woher dieser Pfiff komme und was er zu bedeuten habe. Da sahen wir die Gestalten der Montesos unter den Bäumen hervor und über den schmalen Streifen des Ufersandes springen. Ein wüstes Geschrei erscholl. Einige Schüsse krachten, ohne daß die Kugeln trafen. Man hatte sich nicht Zeit genommen, richtig zu zielen. Dann aber brachen auch die Verfolger aus dem Wäldchen der Halbinsel hervor; aber schon waren die beiden Flüchtigen herüber und bei uns. Wir ließen die Kerle bis halb herüber, dann gaben meine Begleiter Feuer. Die Verfolger stutzten und blieben stehen. Auf unserer Seite wurde schnell wieder geladen und abermals abgedrückt. Das wirkte, obgleich niemand getroffen worden war. Sie wußten, daß wir alle da waren und getrauten sich nicht näher. Sie standen im hellen Mondenscheine, wir aber im Schatten der Bäume. Wir mußten sie, sie aber konnten nicht uns mit den Kugeln treffen. Darum zogen sie sich unter die schützenden Bäume zurück.

„So habe ich es gewollt,“ sagte ich. „Wir haben nun Zeit, gemächlich nach dem Versteck zu gehen. Ich glaube nicht, daß vor Tagesanbruch einer der Kerle es wagt, hierher zu kommen. Gehen wir also!“

Die Freude der beiden Befreiten war groß. Sie wollten ihrem Dank in Worten Luft machen, doch mahnte ich sie, still zu sein, da die Bolamänner sonst hören würden, daß wir uns entfernten. Aber als wir dann so weit gekommen waren, daß wir unmöglich noch gehört werden konnten, blieb Monteso stehen, faßte mich am Arme und sagte:

„Ich kann nicht schweigen. Es ist mir ganz unmöglich, Wie seid Ihr eigentlich hierher gekommen?“

„Zu Pferde,“ lachte ich.

„Natürlich! Ich ahnte zwar, daß Ihr mich nicht im Stiche lassen würdet, Sie und meine Yerbateros, aber es war doch ungeheuer schwer, unsere Spur zu finden und uns aus so Vielen herauszuholen!“

„Es ist uns ganz im Gegenteile sehr leicht geworden. Sie werden alles erfahren. Jetzt wollen wir machen, daß wir in Sicherheit kommen.“

„Haben Sie wirklich den Major?“

„Ja. Sie wissen das?“

„Ich erriet es aus den Flüchen de; Kerle. Zwei Gefangene waren fort und der Major auch. Sie waren ganz außer sich. Es stand nun zu erwarten, daß sie mit uns desto strenger verfahren würden. Es war mir wirklich nicht ganz wohl zu Mute.“

„Desto größer wird nun Ihre Freude sein, zumal Sie mit Ihrem Bruder zusammentreffen werden, den Sie hier wohl nicht vermuten.“

„Mein Bruder ist da?“ fragte er voller Freude, während der junge Monteso aufjubelte. „Das ist freilich prächtig! Eilen wir, damit ich ihn beim Kopfe nehmen kann!“

„Nur langsam, Sennor! Wir wollen die Sache möglichst ruhig abmachen. Der Major soll nicht sofort merken, daß Sie nun auch frei sind. Es gelüstet mich, zu sehen, welch ein Gesicht er machen wird, wenn er Sie erblickt. Begrüßen Sie sich also leise mit Sennor Monteso.“

Als wir das Versteck erreichten, gingen wir so zu dem Feuer, daß der Major die beiden nicht sehen konnte. Die Verwandten umarmten und küßten sich auf das herzlichste, vermieden aber dabei, allzu laut zu sein. Dann versteckte sich der Yerbatero mit seinem Neffen hinter den Bäumen, und der Indianer mußte den Major bringen. Dieser warf einen forschenden Blick auf mich, um mir anzusehen, welche Folge die Verhandlung mit seinen Leuten gehabt habe. Ich machte ein sehr ernstes Gesicht und sagte zu ihm:

„Sennor Cadera, Sie werden es sich wohl noch lange Zeit bei uns gefallen lassen müssen.“

„Das ist mir eben recht,“ lachte er höhnisch. „Wollen es abwarten. Uebrigens haben Sie sich dieses Mal verrechnet. Meine Leute sind nicht so dumm gewesen, auf Ihre Vorschläge einzugehen.“

„Das ist freilich wahr.“

„Nun warten Sie, bis Sie Ihren Monteso und seinen Neffen bekommen!“

„Sie bilden sich wohl ein, daß ich sehr lange Geduld haben werde? Das ist keineswegs der Fall! Ich hole mir die beiden.“

„Lächerlich!“

„Lachen Sie immerhin, wenn das Ihnen so beliebt! Ich habe Sie dingfest gemacht und die beiden Seeleute geholt. Ich denke, daß ich da auch zu den andern kommen werde, wenn ich nur will.“

„Ja, wenn es auf Ihr Wollen ankäme, so holten Sie den Mond vom Himmel herab. Aber ziehen Sie mit in Berechnung, daß meine Leute nun doppelt vorsichtig sein werden.“

„Schön! Uebrigens kann ich Sie wirklich nicht begreifen. Sie stehen sich doch selbst im Lichte, wenn Sie meinen Auswechslungsvorschlag zurückweisen. Sie könnten sofort frei sein.“

„Das will ich nicht.“

„Nun, was haben Sie denn davon? Gar nichts. Ich werde Sie ganz einfach nach Montevideo schaffen.“

„Pah! Nach Montevideo bringen Sie mich nicht; dafür ist gesorgt.“

„Sie täuschen sich. Wir werden direkt dorthin reiten.“

„Vielleicht auch nicht.“

Er sagte das in so bestimmter Weise, daß anzunehmen war, er habe irgend einen Plan, von welchem wir noch gar nichts ahnten. Vielleicht stellte er sich auch nur so getrost, um uns zur Nachgiebigkeit zu bewegen. Ich hatte keine Lust, lange mit ihm zu verhandeln. Darum sagte ich:

„Wenn es uns beliebt, werden wir sofort dorthin aufbrechen.“

„Das machen Sie mir nicht weis. Sie lassen Ihre Montesos nicht zurück!“

„Allerdings. Aber, wenn wir sie nun schon hätten, Sennor?“

„Den Teufel haben Sie, aber nicht diese beiden Männer!“

„Den Teufel kann ich nicht haben, weil ich selbst der Teufel bin, wie Sie wiederholt sagten. Wollen Sie sich die beiden Sennores ansehen, welche sich Ihnen jetzt vorstellen werden!“

Die beiden Montesos traten hinter den Bäumen hervor. Der Major zuckte ganz erschrocken zusammen, als er sie erblickte. Er riß an dem Riemen, welcher seine Hände auf dem Rücken zusammenhielt und schrie:

Diabolo! Das sind sie! ja, das sind sie wirklich!“

„Ja, Halunke, wir sind es!“ antwortete der Yerbatero. „Dieser Sennor hat uns befreit, und nun ist Ihr Pferd gesattelt. Sie reiten zur Hölle. Ich werde mir das Messer wetzen.“

„Ist das möglich!“

„Sie sehen, daß es sogar wirklich ist,“ antwortete ich ihm. „Glauben Sie noch, daß wir nicht nach Montevideo reiten werden?“

„Sie sind ein Teufel, ja ein wirklicher, wahrhaftiger Teufel!“

„Aus Ihrem Munde ist das ein Lob für mich. Sie sehen, daß Sie nun auch Ihre letzte Karte verspielt haben. Wollen Sie trotzdem weiter spielen?“

„Ja, jawohl!“ knirschte er.

„Womit denn? Sie haben doch keine Karte mehr!“

„Daran ist nur dieser Halunke, dieser Verräter schuld!“

Indem er diese Worte ausstieß, machte er, noch ehe wir es hindern konnten, zwei Schritte auf Petro Aynas zu und trat ihm mit aller Gewalt den Fuß auf den Leib. Der Indianer stürzte nieder. Er wollte aufspringen, um sich zu rächen, blieb aber liegen; er schien verletzt worden zu sein.

„Sind Sie wahnsinnig!“ fuhr ich den Major an. „Sie befinden sich nun ganz in unseren Händen, ohne jede Waffe und ganz nur unserer Gnade anheimgegeben. Wenn Sie nicht Verstand annehmen, werden Sie es zu bereuen haben!“

„Ich renne dem Halunken das Messer in den Leib!“ fügte Mauricio Monteso hinzu, indem er seinem Bruder das Messer aus dem Gürtel zog und sich dem Major in drohender Haltung näherte.

Dieser mochte nun doch einsehen, daß es geradezu wahnwitzig sei, die Rache gegen sich herauszufordern. Er wendete sich zu mir und fragte:

„Machen Sie es kurz! Was werden Sie mit mir thun?“ ,

„Eigentlich wollte ich Sie der Justiz übergeben, aber ich will das doch nicht thun, denn ich denke, daß – –“

„Nein!“ unterbrach mich der Estanziero. „Wir halten ihn fest und nehmen ihn mit und lassen ihn bestrafen.“

„Machen Sie es lieber, wie man es mit jedem Lumpen macht: Werfen Sie ihn hinaus, und lassen Sie ihn laufen! Er kommt gewiß nicht wieder. Was sagen Sie, Frater Hilario?“

„Ich bin ganz Ihrer Meinung, Sennor,“ antwortete der Bruder.

„Gut!“ wendete ich mich an den Major. „So hören Sie, was ich von Ihnen verlange! Wir sind bereit, Sie frei zu lassen, stellen aber unsere Bedingungen. Erstens verlangen wir die gestohlenen Pferde heraus.“

„Immerhin. Weg damit!“

„Sodann versprechen Sie uns, mit Anbruch des Tages mit dem Floße an das andere Ufer zu setzen.“

„Sehr gern. Ich bin sogar bereit, das augenblicklich zu thun, nur um Ihr verwünschtes Gesicht nicht mehr sehen zu müssen!“

„An dem Ihrigen ist uns wohl noch weniger gelegen. Sodann werde ich hier in meinem Notizbuche einen Revers eintragen, welchen Sie unterzeichnen, und in dem Sie bestätigen, daß Sie dem Alquerio das Geld als Entschädigung gern und willig gesandt haben.“

„Gern und willig! Kann man so eine Forderung denn für möglich halten! Und wenn ich nicht darauf eingehe?“

„So gehen Sie eben mit uns.“

Caracho! Schreiben Sie! Ich werde unterzeichnen. Verlangen Sie außerdem noch etwas von mir?“

„Allerdings. Sehen Sie Petro Aynas da liegen! Sie haben ihm wahrscheinlich Schaden gethan, und ich verlange ein Schmerzensgeld für ihn.“

„Sind Sie bei Sinnen?“

„So bleiben Sie gefangen!“

„Sennor, wenn jetzt aus hellem Himmel ein Blitz käme und Sie träfe, so würde ich keine kleine Freude darüber empfinden!“

„Davon bin ich vollständig überzeugt. Glücklicherweise steht es nicht in Ihrem Belieben, Blitze zu versenden. Also wollen Sie, oder wollen Sie nicht?“

„Wie viel verlangen Sie?“

„Fünfhundert Papierthaler.“

Das waren achtzig Mark. Der Major wollte handeln, aber ich ließ nichts ab. Er ging endlich auf meine Forderung ein; freilich verlangte ich noch:

„Sie stellen ihm einige Zeilen darüber aus, daß Sie ihm das Geld geschenkt haben! Gehen Sie auf alle diese Bedingungen ein?“

„Ja.“

„Wann bekommen wir die Pferde?“

„Wann Sie wollen, meinetwegen sogleich.“

„Darauf verzichte ich. Bei Uebernahme der Pferde ist eine Berührung unsererseits mit Ihren Leuten gar nicht zu umgehen. Darum wollen wir lieber den Tag erwarten, wo wir uns besser so sicher stellen können, daß wir keiner Hinterlist verfallen.“

„So wollen Sie mich also so lange hier behalten?“

„Ja. Wahrscheinlich aber wird Bruder Hilario sich nochmals zur Peninsula del Jacaré verfügen, um einen Ihrer Leute herbeizuholen, welchem Sie mitteilen können, daß der Friede zwischen uns geschlossen ist. Sie werden sich jetzt an meine Seite setzen und die Zeilen schreiben, welche ich diktiere.“

„Mit gefesselten Händen schreiben?“

Es lag etwas Lauerndes in seinem Blicke. Er dachte, daß ich ihm die Hände freigeben werde. In diesem Falle lag die Aussicht vor, plötzlich aufspringen und im Dickicht verschwinden zu können.

„Da Sie mit geschlossenen Füßen sitzen können,“ antwortete ich, „so wird man sie Ihnen wieder zusammenbinden. Aber die Hände binden wir Ihnen nach vorn, und zwar so weit auseinander, daß Sie schreiben können.“

Er mußte sich zu mir setzen; er wurde in der bezeichneten Weise gebunden und schrieb nun ohne alle Weigerung das, was ich ihm diktierte. Das Geld nahm ich aus seiner Tasche und gab es dem Indianer, welcher große Freude darüber hatte. Noch weit größer wurde dieselbe, ja, sie verwandelte sich geradezu in Entzücken, als der Estanziero zwanzig Goldstücke hervorzog und sie ihm hinreichte als den versprochenen Lohn. Der arme Teufel fühlte große Schmerzen. Als Linderung derselben gab der Haziendero ihm noch das Versprechen, ihm bei sich eine gute Anstellung zu erteilen.

Bruder Hilario ging nochmals nach der Peninsula und brachte denselben Mann mit, welcher schon vorher dagewesen war. Diesmal hatten wir ihm nichts als nur die Lage unsers Versteckes zu verheimlichen. Er durfte mit dem Major reden und erfuhr genau, wie es uns gelungen war, uns des letzteren zu bemächtigen und dann auch die Gefangenen zu befreien. Der Major sandte durch ihn seinen Leuten den Befehl, sich während der Nacht ruhig zu verhalten und dann am Tage betreffs der Pferde den Anordnungen des Bruders zu gehorchen, den man zu ihnen senden werde.

Als der Mann fort war, trafen wir unsere Vorkehrungen zum Schlafe. Der Major wurde wieder angebunden. Wir alle konnten uns der Ruhe hingeben, denn Petro Aynas wollte mit seinem Weibe wachen. Aber es wurde spät, bevor wir die Augen schlossen. Es gab so viel zu fragen, zu erklären, daß die Unterredung fast kein Ende nehmen wollte.

Was den jungen José Monteso betrifft, so war er ein stiller, ernster, junger Mann, welcher den besten Eindruck auf mich machte. Ein Held schien er nicht zu sein, und er gestand auch ganz aufrichtig, daß er während seiner Gefangenschaft große Angst ausgestanden hatte.

Es verstand sich ganz von selbst, daß Turnerstick und ich die letzten waren, die zum Schlafe kamen. Wir hatten uns ja so viel zu erzählen. Doch ist hier kein Grund, die Fahrten aufzuzeichnen, welche er nach unserer letzten Trennung unternommen hatte.

Als der Indianer uns weckte, graute der Morgen. Der Major lag ruhig an seinem Baume und that, als ob er schlafe. Jedenfalls aber hatte er keine Ruhe gefunden. Nun galt es zunächst, einen Platz ausfindig zu machen, an welchem wir die Pferde, welche uns übergeben werden sollten, unterbringen konnten. Bevor die Bolamänner fort waren, mußten wir die Tiere verstecken. War der Major wieder frei, so lag die Möglichkeit vorhanden, daß er auf den Gedanken geriet, uns alles wieder abzufordern. Wir fürchteten uns vor seinen Leuten nicht; wenn es uns aber durch Vorsicht gelingen konnte, neue Feindseligkeiten zu vermeiden, warum sollten wir das nicht thun?

Aynas wußte einen passenden Platz. Er wollte ihn mir zeigen. Derselbe lag nach derjenigen Richtung zwischen den Büschen, aus welcher wir an den Fluß gekommen waren. Wir mußten an seiner Hütte vorüber und dann noch eine Strecke weiter. Indem wir still hintereinander gingen, vernahmen wir vor uns das Schnauben von Pferden.

Wir traten natürlich hinter das Gesträuch, um uns zu verbergen. Wir erkannten die beiden Yerbateros, welche wir mit dem Gelde nach der Alqueria geschickt hatten; acht oder neun Männer waren bei ihnen. Die beiden ersteren waren froh, uns zu treffen, da sie den Weg durch das Gesumpf doch nicht genau kannten und auch nicht wußten, wie sonst die Sache stand. Ihre schnelle Rückkehr war sehr leicht erklärt. Sie hatten in der nächsten Hazienda Licht gesehen und waren dort auf einige Augenblicke eingekehrt. Sie fanden die Fremden da, welche kaum vor einer Stunde hier angekommen waren und am Morgen weiter reiten wollten. Zu ihrer freudigen Genugthuung erfuhren sie, wer diese Leute seien.

Es wurde bereits erwähnt, daß der Alquerio einen Sohn hatte, welcher nach Salto oder Belen verreist war. Kurz nachdem wir die niedergebrannte Besitzung verlassen hatten, war er zurückgekommen. Voller Wut über das Geschehene, hatte er beschlossen, uns zur Verfolgung der Thäter nachzueilen. Er war auch sogleich aufgebrochen, als die ersten Leute eintrafen, welche wir seinen alten Eltern zur Hilfe geschickt hatten. Unterwegs war er bemüht gewesen, Leute für sich anzuwerben und hatte es bis auf die Zahl seiner gegenwärtigen Begleiter gebracht.

Als er nun auf der Hazienda die Yerbateros traf, welche zu seinen Eltern wollten, hatte er große Freude gehabt. Daß der Estanziero Monteso seinen Eltern eine Summe vorgestreckt hatte, war nicht geeignet gewesen, seinen Grimm zu mildern, denn dieses Geld mußte früher oder später zurückgezahlt werden. Als er aber von den Yerbateros das Geld erhielt, welches ich dem Major abgezwungen hatte, fühlte er sich zur Milde gestimmt, und nun er erfuhr, daß auch die Pferde zu retten seien, war er bereit, die Diebe und Brandstifter laufen zu lassen.

Das war mir lieb, denn es konnte uns nichts an neuen Feindseligkeiten liegen, und so that ich mein möglichstes, ihn zur Güte zu stimmen. Am besten war es, wenn er und seine Begleiter die Bolamänner gar nicht zu sehen bekamen. Darum wurde ausgemacht, daß wir ihm die Pferde, sobald wir sie erhalten hatten, übergeben würden, worauf er sogleich die Rückkehr antreten sollte. Wir führten die Leute nach unserem Verstecke. Es war nicht zu umgehen, daß er den Major sah und auch erfuhr, daß dieser der Anführer sei. Er gab ihm einige derbe Fußtritte, bekümmerte sich dann aber nicht mehr um ihn.

Nun sollte der Bruder aufbrechen, um anzugeben, in welcher Weise die Auslieferung der Pferde erfolgen sollte.

„Das ist eine heikle Sache,“ sagte er. „Es kann sehr leicht zu Thätlichkeiten kommen.“

„Nein,“ antwortete ich. „Es wird möglich sein, dieselben zu vermeiden, wenn wir den Major nicht sofort frei lassen, nachdem wir die Tiere empfangen haben.“

„Man wird nicht damit einverstanden sein.“

„O doch. Der Major hat den Befehl gegeben, daß Ihren Weisungen Gehorsam zu leisten sei.“

„Das ist wahr; ich dachte nicht daran.“

„Die Pferde werden zu einer Tropa zusammengebunden. Nur vier Männer dürfen sie bringen, und zwar auch nur dahin, wo wir gestern standen, als Monteso mit seinem Neffen floh. Dort stehen wir alle und nehmen die Tiere in Empfang. Der rechtmäßige Besitzer derselben ist hier. Er mag untersuchen, ob es die richtigen sind, was er am Brandstempel erkennt. Sind sie es, so bricht er sogleich mit ihnen auf, und dann lassen wir den Major frei.“

„Wenn dieser ihn nun verfolgt?“

„Das können wir leicht verhüten. Seine Leute müssen im Gänsemarsch durch den Sumpf reiten. Wenn wir uns ihnen in den Weg legen, können sie doch nicht fort.“

„Gut! Wir lassen sie überhaupt nicht anders fort, als auf dem Floße.“

„Gewiß. Das ist so ausgemacht. Doch auch da traue ich ihnen nicht ganz, denn sie können mit Hilfe des Floßes wieder an dieses Ufer zurück, um uns zu überfallen.“

„Zuzutrauen ist es ihnen, denn sie werden nach Rache dürsten. Aber wir können ja aufpassen, ob sie drüben aussteigen.“

„Ist es möglich, das andere Ufer zu sehen?“

„Hier an dieser Stelle, ja. Auch haben Sie doch ein Fernrohr bei sich. Wenn sie an das jenseitige Ufer gehen und das Floß weiter lassen, so haben wir von ihnen nichts zu befürchten.“

„Davon bin auch ich überzeugt. Wollen Sie also jetzt zu den Leuten gehen, Bruder Hilario?“

„Ja.“

„Wir werden Ihnen nach einiger Zeit folgen, um die Pferde an der angegebenen Stelle zu erwarten. Der Estanziero wird bei dem Major bleiben. Gehen Sie!“

Nach zehn Minuten folgten wir andern alle ihm. Er hatte seine Aufgabe sehr gut gelöst, denn wir befanden uns noch gar nicht lange an dem bezeichneten Punkte, so kam er von der Halbinsel her, hinter ihm die Pferde, welche von nur vier Männern getrieben wurden. Die Tiere gingen eins hinter dem andern. Das folgende war immer an den Schwanz des vorangehenden gebunden. Diese halbwilden Tiere gehorchten hier ganz vortrefflich, denn sie hatten Angst vor dem sumpfigen Terrain. Als die Tropa bei uns anlangte, kehrten die vier schleunigst um. Ihre Kameraden standen drüben unter den Bäumen und sahen zu. Der junge Alquerio untersuchte die Pferde und erklärte dann, daß sie alle sein Eigentum seien.

Der junge Mann wußte nicht, wie er seinem Danke Worte geben solle. Wir versprachen ihm, auf seiner Alqueria einzukehren, falls wir in der Nähe derselben vorüberkommen sollten. In diesem Falle sollte der Estanziero sein Geld zurückerhalten, welches nun doch nicht gebraucht wurde, da dem Schaden nun viel besser beigekommen war.

Wir warteten, bis die Tropa hinter den Büschen, durch welche der Indianer ihren Führer machte, verschwunden war, und kehrten zu unserm Versteck zurück. Der Major wurde nun von den Riemen befreit; nur die Hände blieben noch gebunden. Er erhielt ein Tuch um die Augen, denn er durfte den Weg nicht sehen, welcher zu uns führte, und dann brachten wir ihn nach derselben Stelle, an welcher wir die Pferde in Empfang genommen hatten. Dort nahm ich ihm die Binde ab und band ihm auch den Riemen los.

„So, jetzt sind Sie frei, Sennor,“ sagte ich. „Es ist nun alles in Ordnung.“

„Meinen Sie?“ antwortete er. „Ich denke da ganz anders. Wir haben eine bedeutende Abrechnung miteinander, Sie dreifacher Satan! Ich treffe Sie sicher, und dann werden Sie alles bezahlen.“

„Hoffentlich geht diese Ihre Erwartung nicht in Erfüllung.“

„Jedenfalls, jedenfalls, sage ich Ihnen!“ rief er, indem er mich mit seinem glühenden Blicke fast verschlang.

„Es ist von Ihnen eine große Unvorsichtigkeit, das zu sagen, denn nun werde ich mich doppelt in acht nehmen.“

„Das hilft Ihnen gar nichts. Ich treffe Sie doch!“

„Nun, das könnte eben wohl nur hier geschehen! Wenn Sie irgend eine Heimtücke beabsichtigen, so werden wir gegen dieselbe gerüstet sein.“

„Hier? Halten Sie mich wirklich für so dumm? Bleiben Sie nur noch kurze Zeit hier stehen, so werden Sie sehen, daß wir mit dem Flosse an das Ufer gehen.“

„Um dann weiter unten wieder herüber zu kommen! Nicht wahr? Ich vermute das.“

„Teufel! Sie täuschen sich sehr. Hier habe ich nichts mehr mit Ihnen zu schaffen. Aber später, Sennor, später!“

„Pah, später!“

„Lachen Sie nicht! Denken Sie, ich habe nicht gehört, daß Sie auch über den Fluß wollen, nach dem Gran Chaco und dann nach Tucuman? Irgendwo da treffen wir uns.“

„Ist’s so gemeint? Meinetwegen auch! Aber, lassen Sie sich sagen, daß ich Sie, wenn wir uns wieder einmal feindselig gegenüber stehen sollten, nicht so schonen werde, wie bisher!“

Er schritt davon, indem er ein widerliches, höhnisches Gelächter ausstieß.

„Sennor,“ fragte Monteso, „soll ich ihm eine Kugel nachsenden?“

Es war sein Ernst.

„Nein, wir morden keinen.“

„Aber jetzt ist es noch Zeit. Später werden wir es bereuen!“

„Nehmen Sie das Gewehr nieder! Er ist die Kugel nicht wert.“

„Wie Sie wollen. Ich ahne aber, daß es besser wäre, wenn ich ihm eine gäbe!“

Wir lagerten uns unter den Bäumen, um die Bolamänner zu beobachten. Sie empfingen ihren Kommandanten still. Wir sahen, daß er unter sie trat und eine Weile zu ihnen sprach. Dann wurden die Flößer losgebunden, auch mit ihnen sprach er eine ganze Weile. Die Leute holten ihre Pferde herbei und schafften sie mit allen ihren Sachen auf das Floß. Als die Halbinsel verlassen war, gingen wir hin.

Hinter ihr sahen wir das Floß vom Ufer gelöst und schon im Wasser schwimmen. Flößer und Soldaten standen an den Rudern und arbeiteten mit Anstrengung, um das Floß ohne viel Abtrift an das jenseitige Ufer zu bringen.

Wir gingen diesseits langsam stromabwärts und ließen es nicht aus den Augen. Es war freilich nicht leicht, diesem sumpfigen Ufer zu folgen. Von einer weit in das Wasser gehenden Landzunge aus sahen wir dann, daß das Floß drüben anlegte. Ich hatte mein Fernrohr mitgenommen und konnte alles beobachten. Die Reiter gingen an das Land und stiegen auf. Der Major gab den Flößern Geld, die Bezahlung für die Ueberfahrt; dann ritt er mit den Seinigen davon, und das Floß verließ das Ufer wieder, um nach der Mitte des Stromes zu lenken und die so gewaltsam unterbrochene Reise nun fortzusetzen.

Wir kamen wieder nach der Halbinsel del Jacaré und suchten dort nach etwa zurückgelassenen Gegenständen, fanden aber nichts. Der Kapitän hörte von dem Indianer, daß erst kurz nach Mittag ein thalwärts gehendes Schiff zu erwarten sei. Infolgedessen bat Frick Turnerstick, noch nicht gleich aufzubrechen, falls wir dies beabsichtigen sollten. Wir waren gern bereit, seinen Wunsch zu erfüllen, denn ein halber Tag der Ruhe that uns sehr not. Außerdem gab es noch immer so viel zu erzählen, daß wir uns gern zusammensetzten, um uns gehörig auszusprechen.

Es wurde beschlossen, auf der Halbinsel zu lagern und dort ein gutes Frühstück zu halten. Das wurde gethan. Auch unsere Pferde holten wir herbei. Da ich aber doch dem Major nicht traute, so stellte ich eine Strecke flußabwärts von der Halbinsel eine Wache auf, welche von Halbstunde zu Halbstunde abgelöst werden sollte.

Wie der Yerbatero wieder in die Hände der Bolamänner gefallen war, läßt sich leicht denken. Er war sehr schlimm behandelt worden und brannte vor Begierde, dem Major später einmal zu begegnen. Sonst aber waren alle froh, daß das Abenteuer ein so gutes, zufriedenstellendes Ende gefunden hatte. Nur der Indianer war nicht so zufrieden, wie die andern. Er fühlte noch immer Schmerzen im Unterleib und ging in seine Hütte, um sich dort niederzulegen und von seinem Weibe einen heilsamen Trank brauen zu lassen. – – –

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