IV.

Erste Untersuchung des Uferlandes. – Briant und Gordon im Strandwald. – Vergeblicher Versuch eine Grotte zu finden. – Eine Inventur der Vorräthe. – Nahrungsmittel, Waffen, Kleidungsstücke, Bettzeug, Geräthe, Werkzeuge und Instrumente. – Erstes Frühstück. – Erste Nacht.

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Die Küste war verlassen, wie Briant es erkannt hatte, als er sich auf der Raa des Fockmastes zum Auslugen befand. Seit einer Stunde lag der Schooner auf dem Ufersande, und noch war von keinem Eingebornen etwas bemerkt worden. Weder unter den Bäumen, welche von dem hohen Ufer aufragten, noch neben dem Rande des Rio, der jetzt von der anschwellenden Fluth erfüllt war, sah man ein Haus, eine Hütte oder nur ein Zelt. Nicht einmal ein Eindruck eines menschlichen Fußes zeigte sich auf der Oberfläche des Strandes, den das an- und ablaufende Wasser mit einer langen Anhäufung von Varec eingefaßt hatte. In den Mündung des kleinen Flusses schaukelte kein Fischerboot, und längs des ganzen Umfanges der Bai, zwischen den beiden Vorgebirgen im Norden und im Süden, wirbelte keine Rauchsäule in die Luft.

In erster Linie hatten Briant und Gordon den Gedanken unter die Baumgruppen einzudringen, um die höhere Wand zu erreichen und wenn möglich zu erklimmen.

»Da wären wir nun auf dem Lande; das ist ja schon etwas, sagte Gordon. Doch welches ist dieses Land, das ganz unbewohnt scheint …

– Die Hauptsache bleibt doch, daß es nur nicht unbewohnt ist, erwiderte Briant. Für einige Zeit haben wir ja Mundvorrath und Munition. Es fehlt uns zunächst nur ein Obdach, und ein solches müssen wir finden … Mindestens für die Kleinen … Vorwärts also!

– Ja, Du hast Recht! … stimmte ihm Gordon zu.

– Zu wissen, wo wir uns befinden, fuhr Briant fort, das aufzuklären wird noch Zeit genug sein, wenn wir erst für das allernöthigste gesorgt haben. Wenn es ein Festland wäre, so hätten wir ja einige Aussicht Hilfe zu finden, wäre es eine Insel … eine unbewohnte Insel … so werden wir ja sehen! … Komm, Gordon, komm zur Entdeckungsreise!«

Beide erreichten schnell genug den Saum des Waldes, der schräg zwischen dem steilen Ufer und der rechten Seite des Rio, drei- bis vierhundert Schritte stromaufwärts hinzog.

In diesem Gehölz fand sich keine Spur, daß hier Menschen hindurchgezogen wären, kein Durchhau, kein Fußsteg. Alte morschgewordene Stämme lagen hie und da auf der Erde und Briant und Gordon sanken bis ans Knie in den Teppich von weichem Laube ein. Die Vögel dagegen entflohen so furchtsam, als hätten sie menschlichen Wesen schon mißtrauen gelernt. Danach schien es also, als ob diese Küste, wenn sie auch nicht selbst bewohnt war, doch dann und wann von Eingebornen des Nachbargebietes besucht wurde.

In zehn Minuten hatten die beiden Knaben das Gehölz durchschritten, dessen Dichtheit sich nahe der felsigen Rückseite vergrößerte, die gleich einer Mauer auf eine mittlere Höhe von hundertachtzig Fuß schroff emporstieg. Es wäre höchst wünschenswerth gewesen, daß der Fuß dieser Felswand irgend eine Ausbuchtung enthielte, in der man hätte Obdach suchen können. Hier hätte ja eine gegen den Seewind durch die Bäume geschützte und vor dem Ansturm des Meeres gesicherte Höhle einen vortrefflichen Zufluchtsort geboten; hier hätten die jungen Schiffbrüchigen sich vorläufig einrichten und so lange aushalten können, bis eine eingehende Untersuchung der Küste ihnen gestattete, mit mehr Sicherheit in’s Innere des Landes vorzudringen.

Unglücklicher Weise entdeckten Gordon und Briant an dieser Wand, welche so schroff wie eine Festungsmauer abfiel, weder eine Grotte, noch auch nur einen Einschnitt, durch den sie hätten bis zum Scheitel derselben gelangen können. Um zu dem Inneren des Gebietes zu gelangen, mußten sie wahrscheinlich dieses steile Ufer, dessen Anordnung Briant, als er sich von den Raaen des »Sloughi« aus umsah, überblickt hatte, vollständig umwandern.

Etwa eine halbe Stunde lang zogen Beide längs des Strandes am hohen Ufer hin nach Süden zu hinab. Damit erreichten sie die rechte Seite des Rio, der in vielen Windungen nach Osten zu verlief. War dieses Ufer von schönen Bäumen beschattet, so begrenzte das andere eine Landschaft von ganz verschiedenem Aussehen – ohne Grün und ohne jede Bodenunebenheit. Man hätte einen ungeheuren Sumpf vor sich zu sehen geglaubt, der sich bis zum südlichen Horizont hin ausdehnte.

Getäuscht in ihrer Hoffnung, bis zur Höhe des steilen Ufers emporklimmen zu können, von wo aus sie ohne Zweifel das Land hätten auf einen Umkreis von mehreren Meilen überschauen können, kehrten Briant und Gordon nach dem »Sloughi« zurück.

Doniphan und einige Andere liefen auf den Felsen hin und her, während Jenkins, Iverson, Dole und Costar sich mit dem Einsammeln von Muscheln belustigten.

In einem Gespräch, das sie mit den Größeren hatten, setzten Briant und Gordon diese von dem Erfolg ihres kurzen Ausfluges in Kenntniß. Bevor diese Untersuchungen nicht weiter ausgedehnt werden konnten, erschien es rathsam, den Schooner nicht zu verlassen. War dieser auch in seinem ganzen Rippenwerke erschüttert und lag er ziemlich tief nach Backbord geneigt, so konnte er doch an Ort und Stelle, wo er fest lag, als einstweilige Wohnung dienen. Hatte sich das Deck auch über dem Volkslogis geöffnet, so boten doch der Salon und die übrigen Räume des Hintertheiles ein hinreichendes Obdach gegen den stürmischen Wind. Die Küche hatte ebenfalls durch das Streifen über die Klippen nicht gelitten – zur großen Befriedigung der Kleinen, welche die Frage der Mahlzeiten vor allem Anderen interessirte.

In der That war es ein Glück zu nennen, daß die Knaben nicht nöthig hatten, die zu ihrer Einrichtung nöthigsten Gegenstände nach dem Strande zu schaffen. Selbst wenn ihnen das gelungen wäre, mit welchen Schwierigkeiten, welchen Anstrengungen wäre es verknüpft gewesen! Blieb der »Sloughi« innerhalb der Klippenbank eingeklammert sitzen, wie hätten sie die Bergung des gesammten Materiales bewerkstelligen sollen? Das Meer mußte die Yacht doch bald demoliren, und was hätten sie dann von den Conserven, Waffen, dem Schießbedarf, den Kleidern, der Bettwäsche und den Geräthen aller Art wohl retten können? Glücklicher Weise hatten jene Fluthwellen den »Sloughi« bis über den Klippengürtel hinausgeworfen. Wenn er damit auch niemals wieder flott werden konnte, so war er wenigstens bewohnbar geblieben, da sein Oberwerk sowohl dem Wellenschlage als auch dem nachfolgenden Stoße widerstanden hatte und nichts ihn wieder aus diesem sandigen Bette reißen konnte, in das sein Kiel tief eingesenkt war. Unter der abwechselnden Einwirkung der Sonne und des Regens mußte er wohl endlich aus den Fugen gehen, seine Wand mußte sich öffnen und das Verdeck schließlich aufspringen, so daß das Obdach, welches er jetzt noch bot, einmal unzulänglich zu werden drohte.

Doch bis dahin hatten die jungen Schiffbrüchigen entweder eine Stadt oder ein Dorf aufgefunden, oder wenn der Sturm sie auf eine ganz öde Insel verschlagen hatte, würden sie doch eine Grotte in den Uferfelsen entdeckt haben.

Am besten erschien es also, vorläufig am Bord des »Sloughi« zu bleiben, und dazu richtete man sich noch an demselben Tage ein. Eine am Backbord – nach welcher Seite die Yacht gesenkt lag – befestigte Strickleiter gestattete den Großen wie den Kleinen die Treppenkappe des Verdeckes zu erreichen. Moko, der etwas vom Kochen verstand, wie es ihm als Schiffsjungen zukam, beschäftigte sich, unterstützt von Service, dem es Vergnügen machte, bei der Zubereitung der Speisen zu helfen, mit der Herrichtung einer Mahlzeit. Alle verzehrten dieselbe mit größtem Appetit, und Jenkins, Iverson, Dole und Costar verfielen selbst in ihre frühere gewohnte Heiterkeit. Nur Jacques Briant, ehemals der Singvogel des Pensionats, hielt sich auch jetzt noch bei Seite. Eine solche Veränderung seines Charakters, seiner Gewohnheiten mußte überraschen. Jacques aber, der jetzt höchst schweigsam geworden war, wußte sich allen diesbezüglichen Fragen seiner Kameraden geschickt zu entziehen.

Stark ermüdet nach so vielen Tagen und so vielen Nächten der Angst während des furchtbaren Sturmes, dachten endlich Alle daran, sich schlafen zu legen. Die Kleinen vertheilten sich in die Zimmer der Yacht, wo die Großen sich ihnen bald anschlossen. Briant, Gordon und Doniphan wollten jedoch der Reihe nach Wache halten. Konnten sie nicht den Ueberfall einer Bande wilder Thiere oder vielleicht gar eines Haufens Eingeborner erwarten, welch‘ Letztere gewiß nicht weniger zu fürchten waren? Doch nichts von dem geschah. Die Nacht verlief ohne Störung und als die Sonne aufging, machten sich Alle nach einem Dankgebet zu Gott an die durch die Umstände gebotene Arbeit.

Zuerst galt es, sich über die Vorräthe der Yacht Rechenschaft zu geben, und dann das Material an Waffen, Instrumenten, Geräthen, Werkzeugen, Kleidungsstücken u.s.w. aufzunehmen. Die Frage bezüglich der Nahrung erschien als die dringendste, da die Küste ja völlig verlassen schien. Die Hilfsquellen hier beschränkten sich offenbar auf die Ausbeute der Fischerei oder der Jagd, wenn es an eßbarem Wild nicht mangelte.

Bisher hatte Doniphan, ein geschickter Jäger, überhaupt nichts bemerkt, als zahlreiche Gesellschaften von Vögeln auf der Oberfläche der Klippen und den Felsen des Vorlandes. Es wäre aber sehr bedauerlich gewesen, sich nur von Seevögeln ernähren zu sollen. Man mußte also wissen, wie viel Proviant der Schooner noch führte und wie lange dieser noch ausreiche, wenn man sparsam damit umging.

Ein Ueberschlag ließ erkennen, daß, abgesehen von dem in sehr großen Mengen vorhandenen Schiffszwieback, die Konserven, der Schinken, das Fleischbisquit – bestehend aus Mehl erster Sorte mit gehacktem Schweinefleisch und Gewürz – das Corn-beef, Salzfleisch und die Leckerbissen in Blechdosen nicht länger als zwei Monate reichen würden, selbst wenn man sehr sparsam damit umging. Demnach empfahl es sich von Anfang an, auf die Erzeugnisse des Landes zurückzugreifen, um den Proviant zu schonen, für den Fall, daß es nothwendig würde, einige hundert Meilen weiter zu ziehen, um einen Hafen an der Küste oder eine Stadt im Innern des Landes zu erreichen.

»Wenn nur ein Theil dieser Conserven nicht schon verdorben ist! bemerkte Baxter. Ist nach unserer Strandung das Meerwasser in den Schiffsrumpf eingedrungen? …

– Das werden wir sehen, wenn wir die Kisten öffnen, die uns beschädigt erscheinen, antwortete Gordon. – Wenn man den Inhalt derselben noch einmal aufkochte, könnte man ihn doch vielleicht verwenden.

– Das soll meine Sorge sein, ließ sich Moko vernehmen.

– So mach‘ Dich recht bald daran, empfahl ihm Briant, denn während der ersten Tage werden wir doch gezwungen sein, von dem Proviant des »Sloughi« zu leben.

– Warum aber, fiel Wilcox ein, sollten wir nicht schon heute die Felsen absuchen, welche sich im Norden der Bai erheben, und dort eßbare Vogeleier einsammeln?

– Ja! … Ja! … riefen Dole und Costar.

– Und warum sollten wir nicht fischen? fügte Webb hinzu. Sind denn nicht Angelschnuren an Bord und Fische im Meere? – Wer will mit mir angeln gehen?

– Ich! … Ich! … riefen die Kleinen.

– Gut, gut! sagte Briant. Aber es handelt sich nicht darum, nur zu spielen, und Angelschnuren erhalten von uns nur ernsthafte Fischer.

– Beruhige Dich, Briant, versicherte Iverson, wir werden es als eine Pflicht betrachten …

– Schon gut, doch laß‘ uns damit beginnen, ein Inventar von Allem aufzunehmen, was unsere Yacht enthält, sagte Gordon. Wir dürfen nicht allein ans Essen und Trinken denken.

– Wir könnten einstweilen Schalthiere zum Frühstück einsammeln, bemerkte Service.

– Nun, meinetwegen! antwortete Gordon. Nun auf, Ihr Kleinen, drei oder vier von Euch mögen gehen. Moko, Du wirst sie begleiten.

– Gewiß, Herr Gordon.

– Und Du gibst hübsch auf sie Acht, setzte Briant hinzu.

– Aengstigen Sie sich nicht!«

Der Schiffsjunge, auf den man sich verlassen konnte, ein sehr dienstwilliger, geschickter und entschlossener Bursche, versprach den jungen Schiffbrüchigen nach besten Kräften Dienste zu leisten. Er fühlte sich vorzüglich zu Briant hingezogen, der seinerseits kein Hehl aus der Theilnahme machte, die er für Moko hegte, eine Theilnahme, über welche seine angelsächsischen Gefährten ohne Zweifel gespöttelt hätten.

»Nun vorwärts also! rief Jenkins.

– Du begleitest sie nicht, Jacques?« fragte Briant, sich an seinen Bruder wendend.

Jacques antwortete verneinend.

Jenkins, Dole, Costar und Iverson brachen also unter Führung Moko’s auf und gingen am Rande der Klippen hin, welche das Meer jetzt ganz trocken gelegt hatte. Vielleicht konnten sie in den Zwischenräumen der Felsblöcke eine reichliche Ernte von Schalthieren, Miesmuscheln, Taschenkrebsen oder gar Austern einheimsen, und roh oder gekocht mußten diese Schalthiere eine angenehme Zugabe zu dem Frühstück bilden. Sie sprangen lustig dahin, da sie in diesem Ausfluge weniger dessen Nutzen als ein Vergnügen erkannten. Das entsprach ja ihrem Alter, und jetzt fehlte ihnen fast schon jede Erinnerung an die schweren Prüfungen, die sie ausgestanden, ebenso wie die Sorge um die drohende Zukunft.

Sobald die kleine Gesellschaft sich entfernt hatte, gingen die Großen an die Nachsuchungen an Bord der Yacht. Auf der einen Seite nahmen Doniphan, Croß, Wilcox und Webb die Durchsicht der Waffen, des Schießbedarfs, der Kleidungsstücke, Bettwäsche, Geräthe und Werkzeuge des Schiffes vor; auf der anderen berechneten Briant, Garnett, Baxter und Service, was an Getränken, Wein, Ale, Brandy, Wisky und Gin, die sich in zehn bis vierzig Gallonen haltenden Fäßchen im unteren Räume befanden, vorhanden war. Nach der Aufnahme eines jeden einzelnen Gegenstandes verzeichnete Gordon die Anzahl oder das Maß in sein Notizbuch. Dieses Notizbuch war übrigens schon vorher mit Aufzeichnungen, betreffend die Ausrüstung und Ladung des Schooners, angefüllt. Der methodische Amerikaner – der sich fast von Geburt an für Alles verantwortlich zu fühlen schien – besaß schon ein allgemeines Inventarverzeichniß, das bei dieser Gelegenheit nur etwas berichtigt zu werden brauchte.

Zuerst stellte sich hierbei heraus, daß noch eine vollständige Serie von Segeln und Takelwerk aller Art, Leinen, Seile, Taue u. dergl. vorhanden war. Wäre die Yacht noch flott gewesen, so hätte nichts gefehlt, sie wieder in segelklaren Zustand zu setzen. Wenn diese vortreffliche Leinwand, diese neuen Taue nun zwar nicht mehr zu einer Schiffsausrüstung dienen sollten, so versprachen sie doch sehr nützlich zu werden, wenn es darauf ankam, sich häuslich einzurichten. Einige Fischereigeräthschaften, Hand- und Grundangeln, sowie Schleppnetze befanden sich ebenfalls unter diesem Inventar, und diese waren höchst schätzbar, vorausgesetzt, daß es im Wasser hier reichlich Fische gab.

Was die Waffen betrifft, so hatte Gordon in sein Notizbuch folgendes eingetragen; acht Centralfeuer-Jagdgewehre, eine weittragende Entenflinte und ein Dutzend Revolver. Der Schießbedarf bezifferte sich auf dreihundert Patronen für die Hinterladungsgewehre, zwei Tonnen Pulver von je fünfundzwanzig Pfund und eine große Menge Blei, Schrot und Kugeln. Diese Munition, ursprünglich bestimmt, auf den Jagdzügen verwendet zu werden, wenn der »Sloughi« an der Küste Neuseelands Aufenthalt nahm, versprach hier einem viel nützlicheren Zwecke, nämlich der Beschaffung von Nahrungsmitteln zu dienen – wenn sie nicht gar gelegentlich zur Vertheidigung in Anspruch genommen wurde. Die Pulverkammer enthielt daneben eine große Anzahl Raketen, zu Nachtsignalen bestimmt, und etwa dreißig Kartuschen und Projectile für die beiden kleinen Kanonen der Yacht, von denen Gebrauch zu machen, man hoffentlich nicht zur Abweisung eines Angriffs Eingeborner genöthigt wurde.

Was die Toilettengegenstände und das Küchengeräth anging, so war hiervon so viel vorhanden, daß es die Bedürfnisse der jungen Schiffbrüchigen deckte, selbst wenn deren Aufenthalt sich unerwartet verlängern sollte. Wenn ein Theil des Geschirrs bei dem Aufschlagen des »Sloughi« zerbrochen war, so war doch mehr als genug für Speisekammer und Tafel übrig. Unentbehrlich nothwendige Gegenstände waren das ja ohnehin nicht. Von größerer Wichtigkeit erschien ein hinlänglicher Vorrath von Kleidungsstücken aus Flanell, Tuch, Baumwolle und Leinwand, um mit diesen, je nachdem die Temperatur es erforderte, wechseln zu können. Lag dieses Land nämlich unter derselben Breite wie Neuseeland – was schon der Umstand wahrscheinlich machte, daß der Schooner von dem Hafen von Auckland aus stets durch westliche Winde fortgetrieben worden war – so mußte hier im Sommer große Hitze, im Winter aber recht empfindliche Kälte herrschen. Glücklicherweise befand sich an Bord eine große Menge solcher, bei einem mehrwöchentlichen Ausfluge unentbehrlicher Kleidungsstücke, denn auf dem Meere muß man damit reichlich versehen sein. Die Kisten und Koffer der Mannschaft enthielten unter Anderem Beinkleider, wollene Jacken, Wachstuchröcke, dicke gestrickte Westen und Strümpfe, welche man für Große und Kleine passend machen zu können hoffen durfte – kurz eine so reiche Auswahl, daß man auch der winterlichen Jahreszeit beruhigt entgegensehen konnte. Es versteht sich von selbst, daß wenn die Umstände zum Vertauschen des Schooners gegen eine andere Wohnung zwangen, Jeder sein vollständiges Bettzeug mitnehmen sollte, und von Matratzen, Pfühlen, Kopfkissen und Decken gab es einen solchen Vorrath, daß derselbe bei sorgsamer Behandlung auf lange Zeit auszureichen versprach.

Lange Zeit! … Ein Wort, das vielleicht »für immer« bedeutete? …

Bezüglich der an Bord vorhandenen Instrumente verzeichnete Gordon in seinem Notizbuche: Zwei Aneroid-Barometer; ein hunderttheiliges Weingeist-Thermometer; zwei Schiffsuhren; mehrere jener kupfernen Trompeten oder Hörner, welche im Nebel benützt werden und deren Ton auf sehr weite Entfernungen hinausdringt; drei Fernrohre mit schwächerer und stärkerer Vergrößerung; einen Deckcompaß (im Häuschen) und zwei tragbare kleinere dergleichen; ein »Storm-glaß,« welches herannahende Stürme vorher meldet; mehrere englische Flaggen, ohne das Sortiment von Flaggen und Wimpeln zu rechnen, deren man sich auf dem Meere zur Verständigung von einem Schiffe zum anderen bedient. Endlich fand sich hier auch ein Exemplar jener Halketts-Boote, d. h. jener kleinen Fahrzeuge aus Kautschuk, die sich in Form eines Reisesackes zusammenlegen lassen und zur Überschreitung eines Flusses oder Binnensees recht wohl genügen.

Was die Werkzeuge betraf, so enthielt der Arbeitskasten des Tischlers davon ein ganzes Sortiment, abgesehen von den Säcken mit Nägeln, den Schraubenziehern, Holz- und Metallschrauben und Eisenvorräthen jeder Art, welche zu gelegentlichen kleinen Reparaturen der Yacht bestimmt waren. Knöpfe, Nähfaden und Nadeln fehlten ebenfalls nicht, denn in der Voraussicht häufig nothwendiger Ausbesserungen hatten die Mütter der Zöglinge hierfür ausreichend gesorgt. Außerdem liefen die Schiffbrüchigen keine Gefahr, des Feuers entbehren zu müssen, denn neben einem großen Vorrath an Streichhölzchen mußten die Zündschnüre und Feuerstähle auf lange Zeit hinaus genügen, so daß sie in dieser Hinsicht völlig beruhigt sein konnten.

An Bord befanden sich ferner in großem Maßstabe entworfene Land- und Seekarten, welche freilich, da sie sich nur auf die Küsten Neuseelands bezogen, hier im unbekannten Lande nutzlos erschienen. Zum Glück hatte Gordon einen allgemeinen Atlas der Alten wie der Neuen Welt mitgenommen, und zwar den »Großen Stieler«, der bezüglich der neueren Geographie allen übrigen ähnlichen Werken voransteht. Die Bibliothek der Yacht zählte überdies viele gute englische und französische Bücher, meist Reiseschilderungen und ältere wissenschaftliche Arbeiten, ohne von den beiden berühmten Robinsons zu reden, welche Service ebenso, wie einst Camoëns seine »Lusiaden«, gerettet hatte – und dasselbe galt auch von Garnett’s Ziehharmonika, welche die Stöße bei der Strandung heil und gesund überstanden hatte. Neben vorgenanntem Lesestoffe fanden sich endlich alle Schreibbedürfnisse, Federn, Bleistifte, Tinte und Papier, und schließlich ein Kalender des Jahres 1860, in welchem Baxter jeden verflossenen Tag zu streichen übernahm.

»Es war am 10. März, sagte er, als unser armer »Sloughi« auf die Küste geworfen wurde. Ich streiche also den 10. März, sowie alle schon vergangenen Tage dieses Jahres.«

Zu erwähnen wäre hier noch eine Summe von fünfhundert Pfund in Goldstücken, welche im Geldschrank der Yacht vorgefunden wurde. Vielleicht fand dieses Geld einmal Verwendung, wenn die jungen Schiffbrüchigen etwa einen Hafen erreichten, von dem aus sie nach der Heimat zurückkehren konnten.

Gordon beschäftigte sich dann mit sorgfältiger Aufnahme der im unteren Räume verstauten Fässer. Verschiedene derselben, welche mit Gin, Ale und Wein angefüllt gewesen waren, hatten durch die Stöße bei der Strandung so arg gelitten, daß ihr Inhalt völlig ausgelaufen war. Nach diesem nicht wieder zu ersetzenden Verluste empfahl es sich also doppelt, mit dem Restbestand sorgsam umzugehen.

Der Raum des Schooners barg aber immer noch etwa hundert Gallonen Weißwein oder Sherry, fünfzig Gallonen Gin, Brandy und Wisky; vierzig Tonnen Ale, jede zu fünfundzwanzig Gallonen (1 Gallone englisch gleich 4 ½ Liter), und mehr als 30 Flaschen mit verschiedenen Liqueuren, die in ihrer dichten Strohverpackung den Stößen an den Klippen unbeschädigt widerstanden hatten.

Man ersieht hieraus, daß den fünfzehn früheren Insassen des »Sloughi« für eine gewisse Zeit kein Mangel an eigentlichen Lebensbedürfnissen drohte, und es erübrigte nur festzustellen, ob auch das Land selbst noch einige Hilfsmittel lieferte, um jene nicht allein in Anspruch nehmen zu müssen. War es nämlich eine Insel, auf welche der langandauernde Sturm sie verschlug, so durften sie kaum hoffen, dieselbe je wieder verlassen zu können, wenn nicht etwa ein Schiff in die Nähe derselben kam, dem sie ihre Anwesenheit zu erkennen zu geben vermochten.

Eine Reparatur der Yacht, die Ausbesserung ihrer bis in den Grund gelockerten Rippen, wie die Dichtung der leckgewordenen Verplankung überstieg ebenso ihre Kräfte, wie es die Benutzung von Hilfswerkzeugen erfordert hätte, die ihnen nicht zu Gebote standen. An die Herstellung eines neuen Fahrzeuges aus den Trümmern des alten konnten sie aber gar nicht denken, und wie hätten sie, bei ihrem Mangel an Kenntnissen in der Schifffahrtskunde, es ermöglichen sollen, durch den Stillen Ocean nach Neuseeland zurückzusegeln? Vielleicht wäre es mittels der Boote des Schooners thunlich gewesen, ein Festland oder eine andere Insel zu erreichen, wenn sich in der Nähe dieses Theiles des Stillen Oceans eine solche befand. Die beiden Boote wurden aber durch den Wogenschlag weggerissen und an Bord lag nur noch die Jolle, welche höchstens zu kürzeren Fahrten längs der Küste genügte.

Gegen Mittag kamen unter Führung Moko’s die Kleinen nach dem »Sloughi« zurück. Durch ernsthafte Durchführung ihres Vorhabens hatten sie sich wirklich nützlich zu machen verstanden, denn sie brachten einen reichlichen Vorrath an Schalthieren mit, deren Zubereitung der Schiffsjunge sofort in die Hand nahm. Eier mußte es wohl auch in großer Menge geben, denn Moko hatte sich von dem Vorhandensein unzähliger eßbarer Felsentauben überzeugt, welche in den Löchern und Spalten des hohen Steilufers nisteten.

»Das ist schön! rief Briant; so werden wir an einem der nächsten Morgen eine Jagd veranstalten, welche sehr erfolgreich auszufallen verspricht.

– Ganz gewiß, bestätigte Moko; drei bis vier Flintenschüsse müssen uns Dutzende von jenen Tauben liefern. Was die Nester angeht, so dürfte es durch Emporklettern oder Herablassen an einem Tau nicht allzuschwierig sein, dieselben auszunehmen.

– Einverstanden! bemerkte Gordon. Vielleicht spürt Doniphan Lust, sich schon morgen auf die Jagd zu begeben? …

– Mit größtem Vergnügen! versicherte Doniphan. Webb, Croß und Wilcox, Ihr begleitet mich doch dabei?

– Herzlich gern! riefen die jungen Knaben, erfreut, auf die nach Tausenden zählenden Tauben Feuer geben zu sollen.

– Ich empfehle Euch jedoch, ließ Briant sich vernehmen, nicht gleich zu viele Tauben zu erlegen. Im Falle des Bedarfs finden wir sie schon wieder. Vor Allem gilt es, Pulver und Blei nicht zu vergeuden …

– Schon gut! … Schon gut! fiel ihm Doniphan ins Wort, der solche Ermahnungen nicht liebte, vorzüglich wenn sie von Briant ausgingen. Wir nehmen nicht zum ersten Male ein Gewehr in die Hand und brauchen keine guten Rathschläge.«

Nach Verlauf einer Stunde meldete Moko, daß das Frühstück fertig sei. Alle begaben sich eilig wieder an Bord des Schooners und nahmen im Speisesalon Platz. Bei der Lage der Yacht neigte sich die Tafel sehr merklich nach Backbord. Das belästigte jedoch die Kinder nicht, welche die Bewegungen des Schiffes schon gewöhnt waren. Die Schalthiere, vorzüglich die Miesmuscheln, wurden vortrefflich befunden, obwohl ihre Zubereitung zu wünschen übrig ließ. In diesem Alter ist der Hunger aber ja stets der beste Koch. Schiffszwieback, ein tüchtiges Stück Corn-Beef und frisches Wasser, geschöpft an der Mündung des Rio zur Zeit der Ebbe, wo es also keinen Salzgeschmack haben konnte, und gewürzt mit wenigen Tropfen Brandy – das Alles bildete zusammen eine gar nicht zu verachtende Mahlzeit.

Der Nachmittag wurde verschiedenen Aufräumungsarbeiten im Schiffsraume und der Ordnung der inventarisirten Gegenstände gewidmet. Während dessen beschäftigte sich Jenkins nebst einigen kleinen Genossen mit dem Angeln im Flusse, der von Fischen mancherlei Art geradezu wimmelte. Nach dem Abendessen aber begaben sich Alle zur Ruhe, mit Ausnahme Baxter’s und Wilcox‘, welche bis Tagesanbruch die Wache übernahmen.

So verging die erste Nacht auf diesem Erdenwinkel des Stillen Oceans.

Alles in Allem sahen sich diese Knaben nicht von den Hilfsquellen entblößt, welche Schiffbrüchigen an öden Küsten so häufig mangeln. Unter den Verhältnissen, in welchen sie sich befanden, hätten arbeitsfähige und umsichtige Männer alle Aussicht gehabt, ihre Lage ganz erträglich zu gestalten. Würden diese Knaben aber, deren ältester vierzehn Jahre zählte, wenn es ihnen bestimmt war, lange Jahre unter solchen Verhältnissen auszuharren, es auch vermögen, sich alle Lebensbedürfnisse zu beschaffen? … Das ist wohl einigermaßen zu bezweifeln.