Vierzehntes Capitel.

Zur Auffindung Franklin’s.

Mittwochs, den 23. Mai, setzte der Forward seine abenteuerliche Fahrt fort, indem er mitten zwischen den Eisblöcken und Eisbergen geschickt lavirte, Dank der fügsamen Dampfkraft, welche so vielen Polarmeer-Fahrern abging; es schien für ihn ein Spiel inmitten der schwimmenden Klippen; es war, als erkenne er die Hand des erfahrenen Herrn, und gleich einem Roß unter einem geschickten Reiter war er dem Gedanken seines Kapitäns dienstbar.

Die Temperatur war wieder im Steigen. Das Thermometer zeigte um sechs Uhr früh sechsundzwanzig Grad (-3° hunderttheilig), um sechs Uhr Abends neunundzwanzig (-2° hunderttheilig) und um Mitternacht fünfundzwanzig (-4° hunderttheilig); es wehte ein leichter Südwest.

Donnerstags um drei Uhr Morgens kam der Forward gegenüber der Bai Possession an der Küste Amerika’s beim Anfang des Lancaster-Sunds; bald sah man Cap Burney. Es fuhren einige Eskimo’s auf das Schiff zu, aber Hatteras nahm sich nicht die Zeit auf sie zu warten.

Die das Cap Liverpool beherrschenden Spitzen Byam-Martin, welche man links ließ, verloren sich im Abendnebel; dieser hinderte auch das Cap Hay aufzunehmen, dessen übrigens sehr niedrige Spitze sich unter den Eisblöcken der Küste verlor, ein Umstand, welcher die hydrographische Bestimmung der Polar-Meere oft sehr schwierig macht.

Die Sturmvögel, Enten, weißen Möwen zeigten sich in sehr großer Zahl. Die Breite betrug 74° 01′, die Länge 77° 15′.

Die beiden Berge Katharine und Elisabeth ragten mit ihren Schneekappen über dem Gewölk empor.

Freitags um sechs Uhr fuhr man Cap Warender auf der rechten Küste der Meerenge vorüber, auf der linken vor Admiralty-Inlet, einer von den Seefahrern, die westwärts eilten, noch wenig untersuchten Bai. Das Meer wogte stark, so daß oft das Verdeck der Brigg von den Wellen bespült und mit Eisstücken besprengt wurde. Das Land der Nordküste bot den Blicken merkwürdige Ansichten dar mit fast wagerechten Hochflächen, welche die Sonnenstrahlen zurückwarfen.

Hatteras wäre gern längs den Nord-Ländern gefahren, um desto eher zur Beechey-Insel und der Einfahrt des Wellington-Canals zu gelangen; aber eine zusammenhängende Eisdecke nöthigte ihn, zu großem Bedauern, sich südlicher zu halten.

Aus diesem Grunde befand sich am 26. Mai, mitten im Nebel mit Schneegestöber, der Forward dem Cap York gegenüber; ein großes und steiles Gebirge machte es kenntlich, da das Wetter ein wenig heller geworden; es zeigte sich gegen Mittag eine Weile die Sonne, so daß man ziemlich gute Beobachtung anstellen konnte: 74° 4′ Breite und 84° 3′ Länge. Der Forward befand sich demnach am Ende des Lancaster-Sundes.

Hatteras zeigte dem Doctor auf den Karten den Weg, welchen er einschlug und verfolgen wollte. Die Lage der Brigg war in dem Augenblick interessant.

»Es wäre mir lieber, sagte er, wir befänden uns weiter nördlich; aber nach dem Unmöglichen muß man nicht streben. Sehen Sie genau unsere Lage.« Es war nicht weit vom Cap York.

»Wir befinden uns mitten in dem nach allen Richtungen hin offenen Kreuzungspunkt, welcher durch die Mündungen des Lancaster-Sunds, der Barrow-Straße, des Wellington-Canals und der Regenten-Durchfahrt gebildet wird. An diesen Punkt müssen nothwendig alle Befahrer dieser Meere kommen.

– Nun, erwiderte der Doctor, da mußten sie in Verlegenheit kommen; denn es ist wirklich ein Kreuzpunkt, wie Sie sagen, wo vier Hauptstraßen zusammenlaufen, und es sind da keine Wegweiser! Wie haben es da die Parry, Roß und Franklin gemacht?

– Sie haben gar nichts gemacht, Doctor, sie haben gewähren lassen; sie hatten sicherlich keine Wahl; bald verschloß sich dem Einen die Barrow-Straße, welche im folgenden Jahr einem Anderen offen war; bald wurde das Schiff unausweichlich in die Regenten-Durchfahrt hingeführt. Aus alle dem ergab sich durch die Gewalt der Dinge zuletzt eine genauere Kenntniß der hier so verwickelten Meere.

– Was für ein sonderbares Land, sagte der Doctor mit einem Blick auf die Karte. Wie ist da Alles ausgezackt, zerrissen, zerfetzt, ohne alle Ordnung und Gedankeneinheit. Es hat den Anschein, als seien die Länder in der Nähe des Nordpols nur deshalb so zerstückelt, um die Annäherung schwieriger zu machen, während auf der andern Hemisphäre sie in milden und glatten Spitzen auslaufen, wie das Cap Horn, das der guten Hoffnung, und der Indischen Halbinsel! Liegt der Grund dieser Gestaltungen etwa in der raschen Rotationsbewegung unter’m Aequator, während das Land in der Umgebung der Pole, als es in der Urepoche noch flüssig war, sich nicht so verdichten, aneinander anschichten konnte, wegen geringerer Rotationskraft?

– Das muß wohl der Grund sein, denn Alles in der Welt hat seine gesetzmäßige Regel, und es ist nichts ohne hinreichende Gründe entstanden, welche Gott bisweilen den Gelehrten zu erforschen gestattet; also, Doctor, machen Sie Gebrauch von dieser Gewährung.

– Ich werde leider darin bescheiden sein, Kapitän. Aber was herrscht für ein entsetzlicher Wind in dieser Straße? fügte der Doctor bei, indem er sich so viel als möglich einwickelte.

– Ja, der Nordwind tobt da zumeist, und treibt uns aus unserer Bahn.

– Er sollte jedoch zwar die Eisblöcke südwärts treiben, aber sonst nicht die Bahn stören.

– Er sollte wohl Doctor, aber der Wind thut nicht immer seine Schuldigkeit. Sehen Sie! Diese Eisdecke scheint undurchdringlich. Kurz, wir wollen versuchen, bis zur Insel Griffith zu kommen, dann um die Insel Cornwallis zu fahren, um den Canal der Königin zu erreichen, ohne durch den Wellington-Canal zu fahren. Und inzwischen will ich durchaus an der Insel Beechey landen, um meinen Kohlenvorrath zu ergänzen.

– Wie so? erwiderte der Doctor erstaunt.

– Allerdings; auf Befehl der Admiralität sind dort große Vorräthe gelagert, um künftige Expeditionen damit zu versehen; und obwohl der Kapitän Mac Clintock im August 1859 davon mitgenommen hat, so versichere ich Sie, daß noch welche für uns vorhanden sind.

– In der That, sagte der Doctor, sind diese Gegenden während fünfzehn Jahren untersucht worden, und bis zu dem Tag, wo man den unzweideutigen Beweis vom Untergang Franklin’s erhielt, hat die Admiralität stets fünf bis sechs Schiffe in diesen Meeren unterhalten. Irre ich nicht, so ist selbst die Insel Griffith, welche ich da auf der Karte sehe, fast mitten auf der Kreuzung, zu einem allgemeinen Rendezvous der Seefahrer geworden.

– So ist es in Wahrheit, Doctor, und die unglückliche Expedition Franklin’s hatte zum Resultat, daß wir mit diesen fernen Gegenden näher bekannt wurden.

– Sie haben Recht, Kapitän, denn seit 1845 haben zahlreiche Unternehmungen stattgefunden. Seit 1848 ward man über das Verschwinden des Erebus und Terror, der beiden Schiffe Franklin’s, unruhig. Man sah damals den alten Freund des Admirals, Doctor Richardson, der schon im siebenzigsten Jahre stand, nach Canada eilen und dem Kupferminenfluß entlang bis zum Polar-Meer dringen. Sodann ist James Roß, Commandant der Entreprise und des Investigator, im Jahre 1848 zu Uppernawik unter Segel gegangen und bis zum Cap York, wo wir uns eben befinden, gekommen. Er warf tagtäglich eine Tonne mit Papieren in’s Meer, welche den Zweck hatten, seinen Aufenthalt bekannt zu geben; während des Nebels löste er Kanonen; bei der Nacht ließ er Raketen werfen und bengalische Feuer anzünden, und fuhr dabei immer mit wenig Segeln; zuletzt überwinterte er, 1848 auf 1849 im Hafen Leopold; hier ließ er eine große Zahl weißer Füchse einfangen und ihnen kupferne Halsbänder anschmieden, worauf die Angabe vom Aufenthaltsort der Schiffe, und der Niederlage von Lebensmitteln eingegraben war, – und ließ diese Füchse nach allen Richtungen laufen. Nachher im Frühling fing er an, die Küste von North-Sommerset auf Schlitten zu untersuchen, inmitten von Gefahren und Entbehrungen, wodurch fast seine gesammte Mannschaft krank oder verstümmelt wurde, errichtete kleine Steinpyramiden, worin er kupferne Röhren barg mit den erforderlichen Notizen, um die Leute der verlorenen Expedition wieder zu sammeln; während seiner Abwesenheit durchforschte sein Lieutenant Mac Clure erfolglos die Nordküsten der Barrow-Straße. Bemerkenswerth ist, Kapitän, daß James Roß unter seinem Befehl zwei Officiere hatte, welchen später berühmt zu werden beschieden war, Mac Clure, welcher die nordwestliche Durchfahrt entdeckte, und Mac Clintock, welcher die Reste Franklin’s auffand.

– Jetzt zwei tüchtige, wackere Kapitäne, zwei brave Engländer. Verfolgen Sie weiter, Doctor, die Entdeckungsgeschichte dieser Meere, worin Sie so bewandert sind; man kann bei der Erzählung dieser kühnen Unternehmungen stets etwas lernen.

– Also, um mit James Roß fertig zu werden, habe ich noch hinzuzufügen, daß er noch weiter westlich die Insel Melville zu erreichen trachtete; aber er war nahe daran, seine Schiffe zu verlieren, blieb zwischen den Eisblöcken stecken und wurde wider Willen in’s Baffins-Meer getrieben.

– Zurückgetrieben, sagte Hatteras mit Stirnrunzeln, wider Willen zurückgetrieben!

– Er hatte nichts aufgefunden, fuhr der Doctor fort. Seit diesem Jahr 1850 wurden jene Meere unablässig von englischen Schiffen befahren, und es wurde eine Prämie von zwanzigtausend Pfund einem Jeden zugesagt, welcher die Mannschaften des Erebus und Terror auffände. Bereits im Jahre 1848 versuchten die Kapitäne Kellet und Moore, Commandanten des Herald und Plover, durch die Behrings-Straße zu dringen. Ich habe weiter beizufügen, daß der Kapitän Austin während 1850–1851 auf der Insel Cornwallis überwinterte, der Kapitän Penny auf der Assistance und Resolute den Wellington-Canal erforschte, der alte John Roß, der Held des magnetischen Pols, auf seiner Jacht Felix nochmals zur Auffindung seines Freundes ausfuhr, die Brigg Prinz Albert eine erste Fahrt auf Kosten der Lady Franklin machte, und endlich zwei von Grinnel ausgerüstete amerikanische Schiffe unter dem Kapitän Haven, aus dem Wellington-Canal heraus in den Lancaster-Sund zurückgeworfen wurden. Während dieses Jahres drang Mac Clintock, damals Austin’s Lieutenant, bis zur Insel Melville und dem Cap Dundas, jener äußersten von Parry im Jahre 1819 erreichten Punkte vor, und fand auf der Insel Beechey Spuren der Ueberwinterung Franklin’s im Jahre 1845.

– Ja, erwiderte Hatteras, drei seiner Matrosen waren dort beerdigt worden, und diese drei Mann waren glücklicher daran, als die Andern!

– Von 1851–1852, fuhr der Doctor, der Bemerkung des Kapitän Hatteras zustimmend, fort, sehen wir den »Prinz Albert« eine zweite Fahrt mit dem französischen Lieutenant Bellot vornehmen; er überwinterte in der Batty-Bay in der Prinz-Regenten-Straße, erforschte den Südwesten von Sommerset und untersuchte ihre Küste bis zum Cap Walker. Während dessen wurde die Entreprise und der Investigator, als sie nach England zurückkamen, unter den Befehl Collinson’s und Mac Clure’s gestellt und vereinigten sich mit Kellet und Moore in der Behrings-Straße. Collinson kehrte zur Ueberwinterung nach Hongkong zurück, indeß Mac Clure vorwärts drang, und nach dreimaligem Winteraufenthalt, 1850–1851, 1851–1852 und 1852–1853 die nordwestliche Durchfahrt entdeckte, ohne über Franklin’s Schicksal etwas erfahren zu können. Von 1852–1853 wurde eine neue Expedition, aus drei Segelschiffen, Assistant, Resolute und North-Star, nebst zwei Dampfboten, Pionnier und Intrepide bestehend, unter dem Obercommandanten Sir Edward Belcher, und dem Kapitän Kellet als Unterbefehlshaber, ausgesendet; Sir Edward besuchte den Wellington-Canal, überwinterte in der Bai Northumberland und befuhr die Küste, während Kellet, bis Bridport auf der Insel Melville weiter dringend, diesen Theil der Nordländer ohne Erfolg durchforschte. Damals aber verbreitete sich in England das Gerücht, es seien zwei, mitten zwischen den Eisblöcken verlassene Schiffe unweit der Küsten Neu-Schottlands gesehen worden. Sogleich rüstete Lady Franklin den kleinen Schraubendampfer Isabelle aus, und der Kapitän Inglefield fuhr die Baffins-Bai hinauf bis zur Spitze Victoria unter’m achtzigsten Breitegrad, und kam ohne weiteren Erfolg zur Insel Beechey zurück. Zu Anfang 1855 wendete der Amerikaner Grinnel die Kosten für eine neue Expedition auf, und der Doctor Kane suchte bis zum Pol vorzudringen…

– Aber er hat es nicht dahin gebracht, rief Hatteras heftig, und Gott Lob! Was er nicht fertig brachte, werden wir zu Stande bringen!

– Ich weiß es, Kapitän, und ich rede nur deshalb von dieser Expedition, weil sie nothwendig an die Bestrebungen, Franklin aufzusuchen, sich anschließt. Uebrigens führte sie auch zu keinem Resultat. Ich hätte beinahe vergessen anzuführen, daß die Admiralität, indem sie die Insel Beechey als die allgemeine Versammlungsstätte der Expeditionen ansah, im Jahre 1853 den Dampfer Phönix, Kapitän Inglefield, beauftragte, Vorräthe dahin zu schaffen; dieser Seemann begab sich nebst dem Lieutenant Bellot dahin, und verlor diesen wackeren Officier, welcher zum zweitenmal England seine eifrigen Dienste widmete; wir können über diese Katastrophe um so genauer die Umstände erfahren, als unser Rüstmeister Johnson Zeuge dieses Unglücks war.

– Der Lieutenant Bellot war ein wackerer Franzose, sagte Hatteras, und sein Andenken ist in England geehrt.

– Darauf, fuhr der Doctor fort, fingen die Schiffe des Geschwaders Belcher an allmälig zurückzukehren; nicht alle, denn Sir Edward mußte 1854 die Assistance ebenso zurücklassen, wie Mac Clure 1853 den Investigator. Unterdessen meldete der Doctor Rae in einem Schreiben vom 29. Juli 1854, aus der Repulse-Bai, wohin er durch Amerika gekommen war, datirt, die Eskimo’s des König-Wilhelmlandes besäßen verschiedene Gegenstände, welche vom Erebus und Terror herrührten. Nun war kein Zweifel über das Schicksal der Expedition mehr möglich; der Phönix, North-Star, und Collinson’s Schiff kehrten heim nach England; in den Nordpolar-Meeren befand sich kein englisches Schiff mehr. Aber schien die Regierung auch alle Hoffnung aufgegeben zu haben, so hielt Lady Franklin noch an der Hoffnung fest und rüstete mit den Resten ihres Vermögens den Fox aus unter dem Commando Mac Clintock’s; er fuhr 1857 ab, überwinterte in den Gegenden, wo Sie sich uns zu erkennen gaben, Kapitän, gelangte am 11. August 1858 zur Insel Beechey, überwinterte zum zweitenmal in der Straße Bellot, setzte sein Forschen im Februar 1859 fort, entdeckte am 6. Mai das Document, welches über das Schicksal des Erebus und Terror keinen Zweifel mehr ließ, und kam zu Ende desselben Jahres nach England zurück:

Dieses Alles ist während fünfzehn Jahren in diesen unheilvollen Gegenden vorgegangen, und seit der Rückkehr des Fox hat kein englisches Schiff mehr es unternommen, inmitten dieser gefahrvollen Meere das Schicksal zu versuchen!

– Nun, so wollen wir es versuchen«, erwiderte Hatteras.