Achtzehntes Capitel
Ein sprechender Strauß
Nach dieser erschreckenden Katastrophe hatten Cyprien und Lî nur noch einen Gedanken: die Stelle derselben schnellstens zu verlassen.
Sie beschlossen also, längs des Dickichts nach Norden hinzuziehen, ritten so eine Stunde lang weiter und kamen endlich an ein fast ausgetrocknetes Flußbett, welches einen Durchgang in dem Mastix- und Feigenwald bildete, den sie bequem benützen konnten.
Hier wartete ihrer aber eine neue Ueberraschung. Der Strom ergoß sich nämlich in einen geräumigen See, an dessen Ufer sich eine Wand von üppigstem Grün erhob, die dem Auge bis jetzt verdeckt gewesen war.
Cyprien wäre gerne umgekehrt, um längs des Seeufers hinzugehen, das Ufer war aber so abschüssig, daß er bald darauf verzichten mußte. Eine Rückkehr auf dem eben zurückgelegten Wege beraubte ihn andererseits auch fast jeder Hoffnung, Matakit wiederzufinden.
Am jenseitigen Ufer erhob sich nun eine Hügelreihe, welche sich durch eine Strecke wellenförmigen Landes an ziemlich hohe Berge anschloß. Cyprien hoffte durch Erklimmung eines Gipfels einen allgemeineren Ueberblick gewinnen und dann einen bestimmten Plan entwerfen zu können.
Lî und er brachen also auf, um den See zu umkreisen. Der Mangel jedes eigentlichen Weges machte das sehr schwierig, vorzüglich, da sie zuweilen genöthigt waren, die beiden Giraffen am Zügel nachzuführen. Deshalb brauchten sie wohl über drei Stunden, um eine Entfernung von sieben bis acht Kilometern in der Luftlinie zurückzulegen.
Als sie dann endlich auf dem Wege rund um den See etwa an einer, ihrem ersten Ausgangspunkt ziemlich genau gegenüberliegenden Stelle anlangten, wurde es schon finster. Erschöpft von der Anstrengung, beschlossen sie zu übernachten. Bei den wenigen ihnen gebliebenen Hilfsmitteln konnte das Lager freilich nur sehr nothdürftig ausgestattet werden. Lî ließ sich das jedoch mit gewohntem Eifer angelegen sein, und als er damit fertig war, trat er an seinen Herrn heran.
»Väterchen, begann er mit seiner schmeichelnden und gleichzeitig tröstenden Stimme, ich sehe, daß Sie sehr ermattet sind. Unser Proviant ist fast gänzlich erschöpft. Lassen Sie mich nach einem Dorfe auf Kundschaft gehen, wo man mir Hilfe gewiß nicht verweigern wird.
– Mich verlassen, Lî? rief zuerst Cyprien.
– Es muß sein, Väterchen! antwortete der Chinese. Ich nehme die eine Giraffe und reite nach Norden zu hinauf … Tonaïa’s Hauptstadt, von der Lopepe uns sprach, kann nun nicht mehr weit sein, und ich werde Alles vorbereiten, daß Sie dort einen guten Empfang finden. Dann kehren wir nach dem Griqualande zurück, wo Sie nichts mehr von solchen Schurken zu fürchten haben werden, wie von den Dreien, welche im Laufe unserer Reise alle zu Grunde gegangen sind!«
Der junge Ingenieur überlegte den Vorschlag, den ihm der ergebene Chinese machte. Er sah einerseits ein, daß, wenn der junge Kaffer wieder gefunden werden könnte, es bestimmt in der hiesigen Gegend sein mußte, wo man ihn am Tage vorher gesehen, und daß es von Bedeutung war, diese nicht zu verlassen. Andererseits erschien es höchst nothwendig, die allmählich unzureichend werdenden Vorräthe zu erneuern. Cyprien entschied sich also, wenn auch zu seinem großen Leidwesen, dafür, sich von Lî zeitweilig zu trennen und es wurde dabei abgemacht, daß er diesen achtundvierzig Stunden lang an der nämlichen Stelle erwarten werde. In achtundvierzig Stunden konnte der auf seiner schnellen Giraffe reitende Chinese eine ziemlich große Wegstrecke zurückgelegt haben und nach dem Lagerplatz zurückgekehrt sein. Nachdem dieser Beschluß gefaßt, wollte Lî auch keine Minute verlieren. Ob er ausruhen konnte oder nicht, das machte ihm keine besondere Sorge. Er war schon im Stande, einmal eine Nacht den Schlaf zu übergehen. Er nahm also Abschied von Cyprien, indem er diesem die Hand küßte, holte seine Giraffe, sprang auf dieselbe und verschwand in der Finsterniß.
Zum ersten Male seit seinem Aufbruche aus der Vandergaart-Kopje sah Cyprien sich nun allein in der weiten Wüste. Er fühlte sich recht traurig und konnte nicht umhin, sich, nachdem er seine Decke umgeschlagen, den traurigsten Ahnungen zu überlassen. Vereinsamt, fast am Ende mit allen Nahrungsmitteln und mit dem Schießbedarf, was sollte hier im unbekannten Lande, mehrere Hundert Meilen von jeder civilisirten Gegend wohl noch aus ihm werden? Matakit wieder zu treffen, war ja nur eine ziemlich schwache Aussicht. Konnte dieser sich nicht vielleicht einen halben Kilometer von ihm entfernt befinden, ohne daß er dessen Nähe zu muthmaßen vermochte? Wahrhaftig, dieser Zug wurde schwer vom Unglück verfolgt und war schon durch so viele traurige Vorkommnisse ausgezeichnet. Fast jedes Hundert zurückgelegter Meilen hatte einem seiner Mitglieder das Leben gekostet. Nur ein Einziger war noch übrig! … Er selbst! … War vielleicht auch ihm ein ebenso elender Tod beschieden, wie den Uebrigen?
Solcher Art waren die trüben Reflexionen Cypriens, der aber doch zuletzt dabei einschlief.
Die Morgenfrische und die Ruhe, welche er eben genossen, verliehen seinen Gedanken, als er wieder erwachte, eine mehr Hoffnung erweckende Richtung. In Erwartung der Rückkehr des Chinesen beschloß er, den höchsten Hügel zu besteigen, an dessen Fuße sie Halt gemacht hatten. Dort konnte er voraussichtlich eine größere Strecke der Umgebung überblicken und vielleicht mit Hilfe seines Fernrohres gar irgend eine Spur von Matakit entdecken. Um das auszuführen, mußte er sich freilich unbedingt von seiner Giraffe trennen, da bekanntlich noch kein Naturforscher diese Vierfüßler in die Ordnung der Kletterthiere versetzt hat.
Cyprien begann also damit, jener die von Lî so sinnreich hergestellte Halfter abzunehmen, dann band er einen Stock an das Knie des Thieres und an einen mit dichtem feinen Grase umgebenen Baum, wobei er den Strick so lang hängen ließ, daß jenes nach Belieben Futter suchen konnte. Wenn man die Länge seines Halses der des Stockes hinzurechnete, so ließ gewiß der Umkreis der dem graziösen Thiere gelassenen Weidefläche nichts zu wünschen übrig.
Nach Vollendung dieser Vorbereitungen nahm Cyprien die Büchse auf die eine Schulter, seine Decke auf die andere, und nachdem er sich von der Giraffe mit einem freundlichen Streicheln verabschiedet, begann er die Besteigung des Berges.
Dieser Aufstieg wurde lang und beschwerlich. Der ganze Tag verlief damit, steile Abhänge emporzuklimmen, Felsen oder unübersteigliche Spitzen zu umgehen und von Osten oder Süden her einen von Norden oder Westen fruchtlos gebliebenen Versuch auf’s Neue anzufangen.
Bei Anbruch der Nacht befand sich Cyprien erst in halber Höhe und mußte die weitere Besteigung bis zum nächsten Tage verschieben.
Mit Tagesanbruch, und nachdem er sich durch scharfes Heruntersehen überzeugt, daß Lî noch nicht nach dem Lager zurückgekehrt war, gelangte er endlich gegen elf Uhr Vormittags auf den Gipfel des Berges.
Hier erwartete ihn eine grausame Enttäuschung. Der Himmel hatte sich mit Wolken bedeckt. Dichte Nebelmassen wallten um die unteren Bergwände, und vergeblich bemühte sich Cyprien die Schleier zu durchschauen, um die benachbarten Thalmulden zu überblicken. Das ganze Land ringsum verschwand unter dieser Anhäufung unförmlicher Dunstmassen, welche unter sich nicht das mindeste erkennen ließen.
Cyprien ließ sich nicht abschrecken; er wartete und hoffte noch immer, daß eine Aufklärung ihm gestatten würde, den fernen Horizont, wie er wünschte, absuchen zu können – vergeblich! Je mehr der Tag vorschritt, desto mehr schienen die Wolken an Dichtheit zuzunehmen, und als die Nacht herankam, schlug das Wetter gar noch in Regen um.
Der junge Mann sah sich also von dieser höchst prosaischen Naturerscheinung gerade auf der Höhe dieser kahlen Hochfläche überrascht, welche keinen einzigen Baum trug und kein Felsstück zeigte, das einigen Schutz hätte gewähren können. Nichts als der nackte, ausgetrocknete Erdboden und alles ringsum von herabsinkendem Regen verhüllt, der nach und nach Decken, Kleidung und Alles bis auf die Haut durchtränkte.
Die Lage war in der That eine kritische, und doch mußte er sich wohl oder übel mit derselben abfinden. Unter jetzigen Verhältnissen einen Abstieg zu versuchen, wäre die reine Tollheit gewesen. Cyprien ließ sich denn auch ruhig bis auf die Knochen durchnässen, indem er darauf rechnete, sich am Morgen in der warmen Sonne wieder zu trocknen.
Nachdem die erste Unannehmlichkeit überwunden, sagte sich Cyprien, daß dieser Regen – eine erfrischende Douche nach der Trockenheit der vorhergehenden Tage – wie um sich über sein Mißgeschick zu trösten, eigentlich etwas recht wünschenswerthes sei, eine der peinlichsten Folgen bestand aber darin, daß er sein Essen, wenn auch nicht ganz roh, so doch ganz kalt genießen mußte. Ein Feuer anzuzünden oder selbst nur ein Streichhölzchen bei solchem Wetter in Brand zu setzen, daran war gar nicht zu denken. Er begnügte sich also, eine Büchse mit conservirtem Fleisch zu essen, und dasselbe zu verzehren, wie es eben war.
Eine oder zwei Stunden später gelang es dem jungen Ingenieur, der von dem Regen halb erstarrt war, doch einzuschlafen, wobei er den Kopf auf einen großen, mit seiner tropfenden Decke belegten Stein stützte.
Als er mit dem Morgenrothe erwachte, war er – die Beute eines hitzigen Fiebers geworden.
Unter der Einsicht, daß er verloren sei, wenn er einer solchen Douche noch länger ausgesetzt blieb – denn der Regen fiel noch immer in Strömen herab, raffte sich Cyprien mit aller Anstrengung auf, erhob sich auf die Füße und begann, auf seine Büchse wie auf einen Stock gestützt, den Berg wieder hinabzuklettern.
Wie er unten ankommen würde, das hätte er sich freilich selbst nur schwer sagen können. Bald auf den erweichten Lehnen halb rollend, bald über das nasse Felsgestein gleitend, erschöpft, keuchend, halb erblindet und vom Fieber geschüttelt, vermochte er doch seinen Weg fortzusetzen, und gelangte gegen Mittag nach dem Lagerplatze, wo er seine Giraffe zurückgelassen hatte.
Das Thier war jedenfalls ungeduldig, weil es sich so allein befand, oder vielleicht auch getrieben durch den Hunger, denn in dem großen Kreise, dessen Radius sein Stock gebildet hatte, war das Gras abgefressen, davon gelaufen. Jedenfalls hatte es zuletzt den Strick, der dasselbe hielt, angenagt und war, nachdem es diesen durchbissen, frei geworden.
Cyprien hätte diesen neuen Schlag des Mißgeschickes gewiß viel schwerer empfunden, wenn er sich in normalem Zustande befunden hätte. Die unendliche Schlaffheit und die Erschöpfung ließen ihm dazu jedoch kaum die Kraft. Als er ankam, konnte er sich nur noch auf seinen Reisesack werfen, der keinen Regen durchließ und den er zum Glücke wieder fand, warf sich dann schnell noch in trockene Kleider und brach dann aber unter dem Schutze eines Baumes, der das Lager beschattete, zusammen.
Nun begann für ihn eine Periode wunderlichen Halbschlafes, von Fieber und Delirien, in der sich alle Wahrnehmungen vermischten, wo Zeit, Raum und Entfernung für ihn keine Bedeutung mehr hatten. War es Nacht oder Tag? Herrschte Regen oder Sonnenschein? Befand er sich hier seit zwölf oder sechzig Stunden? Lebte er noch oder war er todt? Er wußte sich über nichts Rechenschaft zu geben. Liebliche Träume und peinliches Alpdrücken lösten einander auf der Bühne seiner Einbildung ab. Paris, die Bergwerksschule, der väterliche Herd, die Farm der Vandergaart-Kopje, Miß Watkins, Annibal Pantalacci, Hilton, Friedel, Legionen von Elephanten, Matakit und große Vogelschwärme, die einen grenzenlosen Himmel bedeckten, alle Empfindungen, alle Antipathien, Alles, was er liebte und haßte, prallte in seinem Gehirn, wie in unzusammenhängendem Kampfe, gegen einander. An diese Fiebergestalten schlossen sich dann noch zuweilen äußere Eindrücke. Wahrhaft schrecklich war vorzüglich ein solcher, als der Kranke inmitten eines vollen Ungewitters von bellenden Schakals, vom Geschrei von Tigerkatzen und dem Grinsen von Hyänen ängstlich diese Bilder seines Deliriums verfolgte und einen Flintenschuß zu hören glaubte, auf den es dann merkwürdig still wurde.
Bald darauf begann aber das Höllenconcert von Neuem, um bis zum Tagesgrauen fortzudauern.
Unter diesen Bildern wäre Cyprien sicherlich, ohne eine Empfindung davon zu haben, zur ewigen Ruhe eingegangen, wenn nicht ein höchst eigentümlicher Zwischenfall, auf den hier gewiß kein Mensch gerechnet hätte, dem natürlichen Laufe der Dinge Einhalt that.
Als der Morgen kam, regnete es nicht mehr und die Sonne stand schon ziemlich hoch am Himmel, als Cyprien die Augen aufschlug. Da bemerkte er, ohne besondere Ueberraschung, einen sehr großen Strauß, der auf ihn zukam und zwei oder drei Schritte vor ihm stehen blieb.
»Sollte das vielleicht der Strauß Matakit’s sein?« fragte er sich, noch immer seiner fixen Idee nachhängend.
Der Stelzfüßler selbst übernahm es da, ihm Antwort, und was gewiß noch merkwürdiger war, in französischer Sprache zu geben.
»Ich täusche mich nicht! … Cyprien Méré! … Mein armer Kamerad, was zum Teufel machst denn Du hier?«
Ein Strauß, der seine Muttersprache redete, ein Strauß, der seinen Namen kannte, das hätte gewiß jeden Mann mit gesundem Verstande in das größte Erstaunen versetzt. Cyprien wurde durch dieses so unwahrscheinliche Phänomen dagegen nicht im Geringsten erregt, und fand es vielmehr ganz natürlich. Er hatte im Laufe der letzten Nacht in seinen Träumen noch ganz Anderes gesehen! Das Ganze erschien ihm höchstens als eine Folge seiner augenblicklichen geistigen Verwirrung.
»Sie sind nicht besonders höflich, Madame Strauß!« antwortete er »Wer giebt Ihnen das Recht, mich zu dutzen?«
Er sprach mit dem trockenen, kurz abgebrochenen Tone, der Fieberkranken eigen ist und keinen Zweifel über deren Zustand aufkommen läßt, was dem Strauße hier sehr zu Herzen zu gehen schien.
»Cyprien! … Alter Freund!… Du bist krank und allein in dieser Einöde!« rief das Thier und sank neben ihm in die Knie.
Das war eine nicht minder abnorme physiologische Erscheinung, wie die Sprachfähigkeit eines Stelzfüßlers, denn die Kniebeuge ist eine Bewegung, die ihnen gewöhnlich von der Natur versagt ist. In seinem Fieber erstaunte Cyprien auch hierüber nicht weiter. Er fand es sogar ganz einfach, daß der Strauß unter seinem linken Flügel eine Art Lederflasche mit frischem, mit etwas Cognac vermischtem Wasser hervorlangte und ihm die Oeffnung derselben an den Mund brachte.
Das Einzige, was ihn doch zu verwundern anfing, war, daß das merkwürdige Thier plötzlich aufstand, dann eine Art mit Marabuts bedeckten Pelzes zur Erde warf, der sein natürliches Gefieder zu bilden schien, und nachher ebenso einen langen Hals, auf dem ein Vogelkopf saß. Dieser erborgten Zieraten entkleidet, zeigte er sich ihm dann als ein großer, kräftiger Bursche, der kein Anderer war, als Pharamond Barthès, der große Jäger vor dem Herrn und den Menschen.
»Nun ja, ich bin es!« rief Pharamond. »Hast Du mich denn nicht bei den ersten Worten, die ich an Dich richtete, erkannt? … Du erstaunst über meine Vermummung? … Das ist eine Kriegslist, die ich den Kaffern nachgeahmt habe, um richtige Strauße aufzusuchen und sie mit dem Wurfspieße zu erlegen. Doch reden wir jetzt von Dir, armer Freund! … Wie kommst Du krank und verlassen hierher? … Nur infolge großen Zufalls hab‘ ich Dich aufgefunden, als ich diese Seite des Berges umwanderte, und wußte ja nicht einmal, daß Du hier im Lande warst.«
Cyprien, der ja kaum sprechen konnte, vermochte seinem Freunde natürlich nur sehr dürftige Auskunft über sich selbst zu geben. Pharamond sah auch zeitig genug ein, was hier am nöthigsten zu thun sei, das heißt, dem Kranken mußte die Hilfe werden, die er bis jetzt entbehrt, und er ging denn sofort daran, ihn so gut wie er konnte in Behandlung zu nehmen.
Der kühne Jäger hatte in der Wüste schon hinreichende Erfahrungen gesammelt und von den Kaffern eine sehr wirksame Heilmethode des Sumpffiebers, von dem sein armer Freund befallen war, kennen gelernt.
Pharamond Barthès begann also in der Erde eine Grube auszuheben, die er mit Holz anfüllte, wobei er eine Röhre aussparte, um der freien Luft den Eingang zu gestatten. Als das Holz entzündet und verbrannt war, hatte es die Grube zu einem wirklichen Backofen umgewandelt. Pharamond Barthès steckte den sorgfältig eingewickelten Cyprien dann so hinein, daß nur dessen Kopf noch frei blieb. Zehn Minuten waren noch nicht verflossen, als sich schon reichlicher Schweiß zeigte, eine Absonderung, welche der improvisirte Doctor noch mit fünf bis sechs Tassen eines Aufgusses zu verstärken suchte, welchen er aus mehreren ihm bekannten Kräutern hergestellt hatte.
Cyprien verfiel in diesem Backtrog bald in tiefen erquickenden Schlaf.
Als er bei Sonnenuntergang die Augen wieder öffnete, fühlte der Kranke sich so bemerkbar erleichtert, daß er zu essen verlangte. Sein erfinderischer Freund wußte allemal zu helfen; er bereitete ihm sofort eine kräftige Suppe, die er aus den besten Erzeugnissen der Jagd und verschiedenem Wurzelwerk hergestellt hatte. Ein gebratener Trappenflügel, eine Tasse heißes Wasser mit Cognac vervollständigten diese Mahlzeit, welche Cyprien einige Kräfte wiedergab und sein Gehirn von dem dasselbe noch umhüllenden Dunste befreite.
Eine Stunde nach diesem Wiedergenesungs-Diner saß Pharamond Barthès, der auch selbst tüchtig gegessen hatte, neben dem jungen Ingenieur und erzählte, wie es gekommen, daß er sich hier allein und in dieser seltsamen Vermummung befunden hatte.
»Du weißt, sagte er, wessen ich fähig bin, wenn sich’s darum handelt, eine neue Art der Jagd zu versuchen. Seit sechs Monaten hab‘ ich nun soviel Elephanten, Zebras, Giraffen, Löwen und anderes Haar- und Federwild – einen Kannibalen-Adler, den Stolz meiner Sammlung, nicht zu übergehen – erlegt, daß mich vor einigen Tagen die Lust anging, einmal meine Jagdbelustigungen zu verändern. Bis hierher zog ich in Begleitung meiner dreißig Bassutos, einer Heerde entschlossener Gesellen, die ich per Monat mit einem Säckchen Glaskügelchen bezahle und die für ihren Herrn und Meister durch’s Feuer gehen würden. Kürzlich hab‘ ich aber die Gastfreundschaft Tonaïa’s, des großen Häuptlings des Landes, genossen, und in der Absicht, von ihm die Berechtigung zur Jagd auf seinem Gebiete zu erhalten – ein Recht, auf das er ebenso eifersüchtig ist, wie ein schottischer Lord – stimmte ich zu, ihm meine Bassutos nebst vier Flinten zu einem Zuge gegen seine Nachbarn zu leihen. Diese Bewaffnung machte ihn natürlich unbesiegbar, und er hat auch über seine Feinde den erhofften Triumph davon getragen. Daraus entstand eine innige Freundschaft zwischen ihm und mir, die durch einen Blutsaustausch besiegelt wurde, das heißt, wir brachten uns gegenseitig einen kleinen Stich am Vorderarm bei. Seitdem bin ich also mit Tonaïa auf Leben und Tod verbündet. Vor jeder Belästigung in seinem ganzen Gebiete sicher, zog ich nun vorgestern aus, um Tiger und Strauße zu jagen. Einen Tiger hatte ich das Glück vergangene Nacht zu erlegen, und es sollte mich wundern, wenn Du den Lärm, der jenem Zweikampfe voranging, nicht vernommen hättest. Stelle Dir vor, daß ich neben dem Körper eines vorher getödteten Büffels eine Schutzhütte errichtet hatte, in der gegründeten Hoffnung, einen Tiger im Laufe der Nacht heranschleichen zu sehen. Und wahrlich, der Bursche ließ nicht auf sich warten, da ihn der Geruch des frischen Fleisches anziehen mochte; das Unglück wollte aber, daß zwei- bis dreihundert Schakals, Hyänen und Tigerkatzen den nämlichen Gedanken wie er gehabt hatten. Daraus entstand denn ein Höllenconcert, das wohl bis zu Dir hierher hörbar gewesen sein muß.
– Ja, ich glaube es vernommen zu haben, antwortete Cyprien. Ich glaubte sogar, dasselbe würde mir zu Ehren gegeben!
– Keineswegs, wackerer Freund! rief Pharamond Barthès. Es ertönte zu Ehren eines todten Büffels, dort in dem Thale, das Du zur rechten Hand sich öffnen siehst. Als der Tag graute, hatte ich von dem gewaltigen Wiederkäuer nur noch die Knochen übrig. Ich werde Dir’s zeigen. Es ist ein hübsches anatomisches Präparat! Du wirst auch meinen Tiger sehen, das schönste Thier, welches ich seit meiner Ankunft in Afrika erlegt habe. Ich habe es schon abgehäutet und sein Fell hängt nun zum Trocknen an einem Baume.
– Warum aber die seltsame Verkleidung, welche Du heute Morgen trugst? fragte Cyprien.
– Ja, das war ein Straußcostüm. Wie ich Dir sagte, gebrauchen die Kaffern oft diese List, um sich den Stelzfüßlern zu nähern, welche sonst sehr scheu und nur schwer zu schießen sind. Du wirst mir antworten, ich hätte ja meine vorzügliche Büchse. Das ist wohl wahr, doch … ich hatte nun einmal Lust bekommen, auf Kaffernweise zu jagen, und das hat mir außerdem den Vortheil gewährt, Dich gerade zur rechten Zeit aufzufinden, nicht wahr?
– Wahrhaftig, zur rechten Zeit, Pharamond! … Ich glaube, ohne Dich gehörte ich dieser Welt jetzt wohl nicht mehr an!« antwortete Cyprien, indem er die Hand des Freundes herzlich drückte.
Er befand sich jetzt nicht mehr im Backofen, sondern lag gemächlich ausgestreckt auf einem Bette von Blättern, das sein Gefährte ihm am Fuße des Baobab hergerichtet hatte.
Der wackere junge Mann begnügte sich aber hiermit noch nicht. Er wollte aus dem benachbarten Thale das Schutzzelt holen, welches er bei allen Ausflügen mit sich zu führen pflegte, und eine Viertelstunde später hatte er es schon über dem ihm theuren Kranken aufgestellt.
»Und nun lass‘ mich Deine Geschichte hören, Freund Cyprien, sagte er, vorausgesetzt, daß Dich die Erzählung nicht zu sehr anstrengt.«
Cyprien fühlte sich kräftig genug, den so natürlichen Wunsch Pharamond Barthès‘ zu erfüllen. Immerhin nur ziemlich kurz, schilderte er ihm die Ereignisse, welche sich im Griqualande zugetragen; warum er dasselbe in der Verfolgung Matakit’s und seines Diamanten verlassen, ferner die Hauptvorkommnisse des Zuges, den dreifachen Tod Annibal Pantalacci’s, Friedel’s und James Hilton’s, das Verschwinden Bardik’s und endlich, daß er hier die Wiederkehr seines Dieners Lî erwarte, welcher ihn an eben dieser Stelle wieder aufsuchen sollte.
Pharamond Barthès lauschte dem allen mit gespannter Aufmerksamkeit. Auf die Frage, ob er einem jungen Kaffer begegnet sei, dessen äußere Erscheinung Cyprien ihm möglichst genau beschrieb – er meinte Bardik – antwortete er verneinend.
»Aber, setzte er hinzu, ich habe doch ein herrenloses Pferd aufgefunden, welches vielleicht das Deinige sein könnte.
So erzählte er denn in einem Athem, unter welchen Umständen das betreffende Pferd in seine Hände gefallen sei.
»Es ist genau zwei Tage her, sagte er, ich jagte mit meinen Bassutos in den Bergen des Südens, als ich plötzlich aus einem Hohlwege ein sehr schönes graues Pferd hervorbrechen sah, das nur noch eine Halfter hatte und eine Leine hinter sich herzog. Das Thier wußte offenbar nicht, was es beginnen sollte. Da rief ich es an, wies ihm eine Hand voll Zucker und – es kam zu mir heran. Damit war genanntes Pferd also gefangen, ein herrliches Thier voll Feuer und Muth, und »gesalzen« wie der beste Schinken.
– Das ist das meinige! … Das ist Templar! rief Cyprien.
– Natürlich, lieber Freund, Templar gehört Dir, antwortete Pharamond Barthès, und es wird mir ein besonderes Vergnügen gewähren, Dir denselben zurückzugeben. Doch nun, gute Nacht! Schlaf ordentlich aus! Morgen mit Tagesanbruch machen wir uns auf den Weg!«
Um dem Freunde mit gutem Beispiele voranzugehen, wickelte sich auch Pharamond in seine Decke und schlief neben Cyprien ein.
Am folgenden Morgen kehrte der Chinese pünktlich mit einigem Mundvorrath nach dem Lagerplatz zurück. Nachdem Pharamond Barthès ihn, noch ehe Cyprien erwachte, über Alles unterrichtet, empfahl er ihm, über seinen Herrn zu wachen, während er das Pferd holen wollte, dessen Verlust dem jungen Ingenieur so schmerzlich gewesen war.