Viertes Kapitel.

Kongres Räuberbande.

Hätten Vasquez, Felipe und Moriz einmal den äußersten Westen der Stateninsel besucht, so würden sie gesehen haben, wie auffallend sich hier die Küste von der unterschied, die sich zwischen dem Kap Sankt-Johann und der Severalspitze hinzog. Hier erhoben sich nur steile, oft bis zweihundert Fuß hohe Uferwände, die meist wie glatt abgeschnitten erschienen und ebenso tief ins Wasser hinabreichten, unablässig, selbst bei ruhigem Wetter, gepeitscht von einer schweren Brandung. Vor den nackten Felswänden, deren Risse, Zwischenräume und Klüfte unzählige Seevögel beherbergten, dehnten sich noch zahlreiche Klippenbänke aus, von denen einzelne bei Tiefwasser bis zwei Seemeilen weit hinausreichten. Dazwischen verliefen enge, gewundene Kanäle, meist gar nicht oder doch nur für flachgehende Boote befahrbare Rinnen. Da und dort tauchte auch etwas Strand auf, aus dessen feuchtem Sande verschiedene magere Seepflanzen aufkeimten, und dazwischen lagen Muscheln verstreut, die vom Wogenschlag zerbrochen waren. Im Innern der Uferwände fehlte es nicht an Aushöhlungen, an tiefen, trocknen, dunkeln Grotten mit schmalem Eingange, die weder von den Stürmen belästigt, noch von dem schäumenden Wasserschwalle, selbst in der gefährlichen Zeit der Tag- und Nachtgleichen, erreicht wurden. Man gelangte dahin auf steinigen, unsichern Stegen, über Felsengeröll, das von der Flut nicht selten durcheinander geworfen wurde. Schwer zu erklimmende Schluchten vermittelten den Zugang zum Kamme der Uferhöhen, doch um die Hochebene des Inselinnern zu erreichen, hätte man auf einer ziemlich fünfzehn Seemeilen langen Strecke Bergrücken von mehr als neunhundert Metern Höhe übersteigen müssen. Im ganzen zeigte die Westküste also einen viel wildern, ödern Charakter als die ihr entgegengesetzte, an der die Elgorbucht sich öffnete.

Obgleich der Westen der Stateninsel durch die Berge des Feuerlandes und der magellanischen Inseln gegen die Nordwestwinde geschützt war, herrschte hier doch ein ebenso heftiger Seegang wie in der Umgebung des Kaps Sankt-Johann von der Diegos- bis zur Severalspitze. War nun ein Leuchtturm an der atlantischen Seite errichtet worden, so würde für die Schiffe, die um das Kap Horn herumkamen und den Kurs nach der Le Mairestraße einschlugen, ein zweiter an der Seite nach dem Stillen Ozean ebenso notwendig gewesen sein. Vielleicht hatte die chilenische Regierung sich jetzt auch schon vorgenommen, dem Beispiele Argentiniens zu folgen.

Wären diese Arbeiten aber gleichzeitig auf beiden Ausläufern der Stateninsel in Angriff genommen worden, so wäre dadurch eine Räuberbande, die in der Nachbarschaft des Kaps Saint-Barthelemy hauste, arg ins Gedränge gekommen.

Mehrere Jahre vorher war diese Verbrecherrotte am Eingange zur Elgorbucht ans Land gestiegen und hatte hier am steilen Ufer eine tiefe Höhle entdeckt. Diese bot den Burschen eine gute Zuflucht, und da niemals ein Schiff die Stateninsel anlief, befanden sie sich hier in vollkommener Sicherheit.

Die etwa aus einem Dutzend Männern bestehende Rotte hatte als Anführer einen gewissen Kongre, dem als zweiter ein gewisser Carcante zur Seite stand.

Die Rotte war aus verschiednen Eingebornen Südamerikas zusammengewürfelt. Fünf davon waren argentinischer oder chilenischer Nationalität. Die übrigen, wahrscheinlich geborne Feuerländer, die Kongre angeworben hatte, hatten nur über die Le Mairestraße zu setzen brauchen, um die Bande hier auf der Insel zu vervollständigen, die ihnen bekannt war, da sie sie in der schönen Jahreszeit schon wiederholt des Fischfanges wegen besucht hatten.

Von Carcante wußte man weiter nichts, als daß er von chilenischer Herkunft war, es wäre aber sehr schwierig gewesen, zu sagen, in welcher Stadt oder welchem Dorfe der Republik seine Wiege gestanden hätte oder welcher Familie er eigentlich angehörte. Zwischen fünfunddreißig und vierzig Jahre alt, mittelgroß, eher etwas mager, aber ganz Nerv und Muskel, und folglich ungemein kräftig, dazu von heimtückischem Charakter und hinterlistigem Sinne, schrak er gewiß niemals vor der Ausführung eines Raubes oder der Begehung eines Mordes zurück.

Von der Vergangenheit des ersten Anführers war so gut wie gar nichts bekannt. Über seine Nationalität hatte er selbst nie ein Wort fallen lassen, ja niemand wußte sogar, ob er wirklich Kongre hieß. Übrigens ist dieser Name unter den Eingebornen des Magellan- und des Feuerlandes sehr verbreitet. Bei Gelegenheit der Weltreise der ‚Astrolabe‘ und der ‚Zélée‘ nahm der Kapitän Dumont d’Urville, als er an der Magellanstraße im Hafen von Peckett vor Anker lag, einen Patagonier, der diesen Namen führte, auf. Es blieb aber zweifelhaft, ob Kongre von Geburt Patagonier war oder nicht. Er hatte nicht das oben mehr schmale, am untern Teile breitere Gesicht der Urbewohner Patagoniens, auch nicht die abfallende Stirn, die länglichen Augen, die etwas eingedrückte Nase und die gewöhnlich hohe Gestalt, die diese auszeichnet. Ebenso fehlte seinem Gesicht der Ausdruck von Sanftmut, den man bei den meisten Vertretern dieser Volksstämme findet.

Kongre war von heftigem und höchst energischem Temperament. Das erkannte man leicht an den wilden, durch einen dichten, schon etwas ergrauenden Bart nur schlecht verdeckten Zügen des Mannes, der übrigens erst einige vierzig Jahre zählte. Es war ein richtiger Bandit, ein furchtbarer, schon mit allen Verbrechen behafteter Übeltäter, der nirgends anders hatte eine Zuflucht finden können, als auf dieser Insel, von der ihm nur die Küste einigermaßen bekannt war.

Wie hatten nun Kongre und seine Spießgesellen, seitdem sie sich nach der Stateninsel geflüchtet hatten, ihr Leben fristen können? Das möge im nachfolgenden kurz geschildert werden.

Als Kongre und sein Komplize Carcante infolge von Verbrechen, wegen der ihnen der Galgen oder die Garotte (das Erwürgtwerden) drohte, aus Punta Arenas, dem Haupthafen an der Magellanstraße, entflohen waren, hatten sie sich nach dem Feuerlande durchgeschlagen, wo es sehr schwierig gewesen wäre, sie weiter zu verfolgen. Hier lebten sie nun in Gesellschaft von Pescherähs, hörten aber bald, wie häufig sich Schiffbrüche an der Stateninsel ereigneten, die damals noch nicht durch den Leuchtturm am Ende der Welt kenntlich gemacht war. Jedenfalls mußten die Ufer hier mit Trümmern und Seetriften aller Art bedeckt sein, wovon viele ja von hohem Werte sein mochten. Da kam Kongre und Carcante der Gedanke, mit zwei oder drei verwegenen Gesellen ihres Schlages, die sie im Feuerlande kennen gelernt hatten, und denen sich etwa noch zehn Pescherähs anschließen sollten, die ebenfalls keinen Heller mehr wert waren… eine richtige Räuberrotte zu bilden. Auf einem der hier landesüblichen Boote setzten sie nach der andern Seite der Le Mairestraße über. Obwohl aber Kongre und Carcante von Beruf Seeleute waren und lange Zeit die gefährlichen Gewässer am Großen Ozean befahren hatten, konnten sie dabei einen Unfall doch nicht verhindern. Ein heftiger Wind verschlug sie weiter nach Osten, und das wild aufgeregte Meer zertrümmerte ihr Boot an den Felsen des Kaps Colnett, gerade als sie sich bemühten, in das ruhige Wasser des Parry-Hafens einzulaufen.

Vom genannten Kap aus erreichten sie zu Fuß die Elgorbucht. In ihren Erwartungen sollten sie nicht getäuscht werden. Das Strandgebiet zwischen dem Kap Sankt-Johann und der Severalspitze war mit den Trümmern früherer und neuerlicher Schiffbrüche bedeckt. Da lagen noch ganz unverletzte Ballen, Kisten mit Proviant, die die Ernährung der Bande für viele Monate sicherstellen mußten, ferner fanden sich Waffen, Revolver und Flinten, die leicht wieder in Stand zu setzen waren, gut erhaltene Munition in metallenen Kasten, Gold- und Silberbarren von hohem Werte, die wohl aus reichen Schiffsladungen von Australien herstammen mochten, dazu noch Möbel, Planken und Bretter, Holz aller Art, und dazwischen endlich Reste von menschlichen Skeletten, doch keinen Überlebenden von diesen Seeunglücksfällen.

Die so gefährliche Stateninsel war den Seefahrern übrigens hinreichend bekannt. Jedes Schiff, das vom Sturme an ihre Küste verschlagen wurde, war rettungslos mit Mann und Maus dem Untergange geweiht.

Kongre suchte für sich und seine Genossen einen Schlupfwinkel nicht im Hintergrunde der Bucht, sondern nahe an ihrem Eingange, da ihm das geeigneter für seine Pläne erschien, vor allem das Kap Sankt-Johann zu überwachen. Ein Zufall ließ ihn eine Höhle entdecken, deren Eingang durch dicht wuchernde Seepflanzen, meist Blättertange und Seegras, verdeckt wurde, die aber geräumig genug war, die ganze Bande aufzunehmen. An der Rückseite der Vorberge der Küste gelegen, war sie auch gegen die Winde von der Seeseite vortrefflich geschützt. Dorthin wurden nun alle die Überreste von frühern Schiffbrüchen geschafft, die zur wohnlichen Ausstattung der Höhle dienen konnten: Bettwäsche, Kleidungsstücke, nebst einer Menge Fleischkonserven, Kisten mit Schiffszwieback und Fäßchen mit Wein und Brantwein. Eine zweite, neben der ersten gelegene Grotte diente zur Lagerung der Seetriften von besonderm Werte, wie von Gold, Silber und kostbaren Schmucksachen, die auf dem Strande gefunden worden waren. Gelang es Kongre später, sich eines durch falsche Signale nach der Bucht irregeführten Schiffes zu bemächtigen, so wollte er es mit der gesamten Beute beladen und nach den Inseln des Stillen Ozeans. dem Schauplatze seiner bisherigen Räubereien, zurückkehren.

Bis jetzt hatte sich dazu keine Gelegenheit geboten und die Übeltäter hatten die Stateninsel noch nicht wieder verlassen können. Im Verlauf von zwei Jahren war ihre reiche Beute aber immer mehr gewachsen, denn es kamen in dieser Zeit wiederholt Schiffbrüche vor, die sie sich zunutze machen konnten. Wie die Strandräuber an gewissen gefährlichen Küstenstrecken der Alten und der Neuen Welt, wußten sie gelegentlich selbst solche Unfälle herbeizuführen. Tauchte in der Nacht und bei schwerem Oststurme ein Fahrzeug in der Nähe der Insel auf, so lockten sie es durch Feuerzeichen nach den Klippen heran, und gelang es ausnahmsweise einem der Schiffbrüchigen, sich aus den tobenden Wellen zu retten, so wurde er ohne Bedenken ermordet. Das war die ganze Tätigkeit dieser Banditen, von denen bisher niemand etwas wußte.

Immerhin blieb die Rotte auf der Insel so gut wie gefangen. War es Kongre auch gelungen, mehrere Schiffsverluste herbeizuführen, so konnte er doch kein Fahrzeug in die Elgorbucht hereinlocken, wo er versucht hätte, es in seine Gewalt zu bekommen. Auch von selbst war keines in die, den Kapitänen wenig bekannte Bucht eingelaufen, und dann wär‘ es ja noch immer darauf angekommen, daß seine Besatzung nicht stark genug gewesen wäre, einen Angriff der fünfzehn Raubgesellen abzuschlagen.

Die Zeit verstrich, die Höhle erstickte fast unter der Menge wertvoller Beute. Natürlich wurden Kongre und die übrigen allgemach ungeduldig und wetterten über das Mißgeschick, nicht fortkommen zu können. Das bildete auch unausgesetzt den Gegenstand des Gesprächs zwischen Carcante und dem Haupte der Bande.

»Zum Teufel, auf dieser traurigen Insel zu sitzen wie ein an der Küste gestrandetes Schiff! rief er ärgerlich. Und dabei könnten wir eine Ladung im Werte von hunderttausend Piastern mit nach Hause nehmen!

– Ja freilich, antwortete Kongre, von der Insel hier müssen wir fort, es koste, was es wolle.

– Wann aber und wie?« erwiderte Carcante, eine Frage, die jedoch stets ohne Antwort blieb.

»Unser Proviant wird schließlich zu Ende gehen, fuhr Carcante fort. Liefert auch der Fischfang einigen Zuschuß, so ist doch die Jagd wenig erfolgreich. Und dann die entsetzlichen Winter, die man auf dieser Insel aushalten muß. Alle Teufel, wenn ich an die denke, die wir vielleicht noch ertragen müssen!«

Was hätte Kongre zu dem allen sagen können? Er sprach gewöhnlich nicht viel und war überhaupt nicht mitteilsamer Natur… und doch wallte die Wut in ihm auf angesichts der Ohnmacht, wozu er sich verurteilt sah.

Nein, er konnte nichts tun… nichts! Wenn kein Schiff hier Anker warf, dessen sich die Bande durch Überrumpelung hätte bemächtigen können, so wäre das Kongre doch gegenüber einem Boote aus dem Feuerlande möglich gewesen, wenn sich ein solches nur bis nach der Ostseite der Insel hinausgewagt hätte. Wenn nicht er selbst, so würde sich Carcante oder einer der Chilenen darauf eingeschifft haben, und einmal in der Magellanstraße mußte sich leicht Gelegenheit bieten, Buenos-Ayres oder Valparaiso zu erreichen. Mit dem Gelde, woran es ja nicht fehlte, wäre dann dort ein Schiff von hundertfünfzig bis zweihundert Tonnen gekauft und von Carcante mit Hilfe einiger Matrosen nach der Bucht gesteuert worden.

Lag das dann erst in dem Landeinschnitte, so hätte man sich der neuen Mannschaft kurzer Hand entledigt… dann wäre die ganze Bande mit ihren Schätzen an Bord gegangen und hätte sich nach den Salomonsinseln oder den Neuen Hebriden zurückgezogen.

Das war die Lage der Dinge, als fünfzehn Monate vor dem Beginn unsrer Erzählung darin eine unerwartete Änderung eintrat.

Anfang Oktober 1858 erschien plötzlich ein Dampfer unter argentinischer Flagge in Sicht der Insel und manövrierte offenbar in der Weise, in die Elgorbucht einzulaufen.

Kongre und seine Genossen hatten ihn sofort als ein Kriegsschiff erkannt, gegen das sie nichts unternehmen konnten. Nachdem sie jede Spur ihrer Anwesenheit sorgsam verwischt und den Eingang beider Höhlen noch mehr verdeckt hatten, zogen sie sich nach dem Innern der Insel zurück, um da die Wiederabfahrt des Schiffes abzuwarten.

Es war das die von Buenos-Ayres eingetroffene ›Santa-Fé‹, die einen mit der Errichtung eines Leuchtturmes beauftragten Ingenieur an Bord hatte, der zunächst einen für das Bauwerk geeigneten Platz aussuchen sollte.

Der Aviso ankerte nur wenige Tage in der Elgorbucht und fuhr wieder ab, ohne den Schlupfwinkel Kongres und seiner Genossen entdeckt zu haben.

Carcante, der sich in der Nacht bis an den Landeinschnitt herangeschlichen hatte, war es gelungen, zu erlauschen, zu welchem Zwecke die ›Santa-Fé‹ nach der Stateninsel gekommen war. Im Hintergrunde der Elgorbucht sollte ein Leuchtturm erbaut werden! Damit schien der Bande nichts mehr übrig zu bleiben, als der Insel schleunigst den Rücken zu kehren, und das wäre gewiß auch geschehen, wenn… ja, wenn es nur möglich gewesen wäre.

Kongre kam infolgedessen zu dem einzigen Entschlusse, der hier angezeigt schien: er kannte schon den Westen der Insel in der Umgebung des Kaps Barthelemy, wo ihm andre Höhlen voraussichtlich Unterschlupf gewähren konnten. Ohne einen Tag zu zögern – der Aviso mußte gewiß bald und dann mit einer Anzahl Arbeiter zurückkehren, um die Arbeiten in Angriff zu nehmen – betrieb er die Überführung alles dessen, was notwendig erschien, den Lebensunterhalt der Räuberrotte auf ein Jahr zu sichern, in der begründeten Überzeugung, daß er so entfernt vom Kap Sankt-Johann nicht Gefahr liefe, aufgespürt zu werden. Immerhin hatte es ihm an Zeit gefehlt, beide Höhlen auszuleeren; er mußte sich deshalb darauf beschränken, den größten Teil des Proviants, Fleischkonserven, Getränke, Bettzeug, Kleidungsstücke und einige besonders wertvolle Kostbarkeiten fortschaffen zu lassen. Nach sorgfältiger Verschließung der Eingänge mit Gestein und trocknem Gestrüpp wurde alles übrige dann einstweilen seinem Schicksale überlassen.

Fünf Tage nach dem Verschwinden der Bande erschien die ›Santa-Fé‹ früh morgens wieder vor dem Eingange zur Elgorbucht und ging bald in dem kleinen Einschnitt vor Anker. Die Arbeiter, die sie an Bord hatte, wurden gelandet und das mitgebrachte Material ausgeladen. Da die Baustelle auf dem etwas höher liegenden Plateau schon bestimmt war, wurden die Arbeiten sofort begonnen und, wie wir wissen, schnell ausgeführt.

Infolgedessen war die Kongresche Räuberbande also genötigt gewesen, nach dem Kap Saint-Barthelemy zu flüchten. Ein von der Schneeschmelze gespeister Bach lieferte ihr das notwendige Wasser. Der Fischfang und in gewissen Grenzen auch die Jagd ermöglichte es, an dem von der Elgorbucht mitgenommenen Proviant ein wenig zu sparen.

Mit welcher Ungeduld erwarteten aber Kongre, Carcante und deren Gefährten die Vollendung des Turmbaues und die Abfahrt der ›Santa-Fé‹, die dann erst, wenn sie eine Ablösung brachte, nach drei Monaten wiederkommen sollte.

Selbstverständlich hielten sich Kongre und Carcante immer von allem unterrichtet, was im Hintergrunde der Bucht vorging. Indem sie sich entweder an der Küste von Süden nach Norden heranschlichen, sich vom Inselinnern her näherten oder endlich von den Anhöhen, die den Neujahrshafen einrahmten, hinabspähten, konnten sie den Fortgang der Arbeiten beobachten und sich ein Urteil bilden, wann diese abgeschlossen sein würden. Dann gedachte Kongre einen längst gehegten Plan zur Ausführung zu bringen. War denn nicht zu vermuten, daß nach Eröffnung der Beleuchtung der Insel weit eher ein Schiff in die Elgorbucht einlaufen würde, ein Schiff, dessen er sich nach Überrumpelung und Niedermetzelung der Besatzung bemächtigen könnte?

Kongre glaubte nicht, daß er einen gelegentlichen Ausflug der Offiziere des ‚Avisos‘ nach dem äußersten Westen der Insel zu befürchten habe. Niemand würde es, wenigstens dieses Jahr, in den Sinn kommen, etwa bis zum Kap Gomez vorzudringen, was nur über nackte, hohe Felsenebenen, über fast unpassierbare Schluchten hinweg und überhaupt durch ein schwer zugängliches Berggebiet mit ungeheuern Schwierigkeiten möglich gewesen wäre. Freilich konnte der Befehlshaber des Avisos auf den Gedanken kommen, eine Rundfahrt um die Insel zu unternehmen, doch auch dann würde er schwerlich an der von Klippen durchsetzten Küste zu landen suchen, und jedenfalls würde die Räuberrotte Maßregeln ergreifen, eine Entdeckung zu verhindern.

Zu einem solchen Zwischenfalle kam es indessen nicht und es wurde Dezember, als die Einrichtung des Leuchtturms vollendet war. Dessen Wächter blieben dann allein zurück, was Kongre daraus abnehmen konnte, daß die Laterne ihre Strahlen zum ersten Male in die Nacht hinaussandte.

Im Laufe der letzten Wochen legte sich auch einer oder der andre von der Bande auf die Lauer auf einem der Berggipfel, von denen aus man den Leuchtturm in der Entfernung von sieben bis acht Seemeilen erblicken konnte, und das immer mit dem Befehl, sofort zurückzukehren, sobald das Licht zum ersten Mal aufblitzte.

Diese Meldung überbrachte Carcante in der Nacht vom 9. zum 10. Dezember nach dem Kap Saint-Barthelemy.

»He, rief er, als er Kongre in der Höhle antraf, der Teufel hat es fertig gebracht, das Licht anzuzünden, das der Teufel auch wieder auslöschen möge!

– Ja, wir brauchen es nicht!« antwortete ihm Kongre, der die Faust drohend nach Osten ausstreckte.

Einige Tage vergingen ohne besondre Zwischenfälle. Zu Anfang der zweiten Woche schoß da Carcante, als er in der Umgebung des Parryhafens auf der Jagd war, ein Guanako mit einer Kugel an. Der Leser weiß schon, daß das verletzte Tier ihm entkam und erst auf der Stelle zusammenbrach, wo es von Moriz am Felsenrande nahe bei dem Buchenwalde gefunden wurde. Von diesem Tage an überwachten nun Vasquez und seine Kameraden, da sie die Überzeugung gewonnen hatten, nicht die einzigen Bewohner der Insel zu sein, die Umgebung der Elgorbucht mit erhöhter Aufmerksamkeit.

Inzwischen war der Tag gekommen, wo Kongre sich rüstete. das Kap Saint-Barthelemy wieder zu verlassen und nach dem Kap Sankt-Johann zurückzukehren. Von Lebensmitteln sollte dabei nur der Bedarf für drei bis vier Marschtage mitgenommen werden, da der Bandit schon auf die beim Leuchtturm lagernden Vorräte rechnete. Das übrige Material ließ man in der schwer auffindbaren Höhle an der Westküste zurück. Es war jetzt der 22. Dezember. Mit dem Morgenrot aufbrechend, gedachte die Bande auf einem ihr genügend bekannten Wege durch das bergige Gebiet der Insel am ersten Tage den dritten Teil der Strecke zurückzulegen. Nach dieser etwa zehn Seemeilen betragenden Etappe durch bergiges Terrain sollte entweder unter dem Schutze von Bäumen oder vielleicht in einer Aushöhlung Rast gemacht werden.

Am nächsten Tage wollte Kongre noch vor Sonnenaufgang aufbrechen und etwa dieselbe Strecke wie am Tage vorher zurücklegen, und am übernächsten hoffte er am Abend die Elgorbucht mit seiner Bande zu erreichen.

Kongre nahm an, daß nur zwei Wärter zur Bedienung des Leuchtfeuers zurückgelassen worden wären, während es deren doch drei waren. Das machte jedoch keinen weitern Unterschied. Vasquez, Moriz und Felipe würden doch der ganzen Bande, deren Anwesenheit in der Nähe der Umfriedigung niemand ahnte, keinen erfolgreichen Widerstand leisten können. Zwei davon mußten wohl in der Wohnung leicht zu überwältigen sein, und mit dem dritten, der sich voraussichtlich in der Wachstube auf dem Turme befand, konnte das auch keine besondern Schwierigkeiten machen.

Kongre würde danach der Herr des Leuchtturmes sein und konnte dann mit Muße das vorläufig beim Kap Saint-Barthelemy zurückgelassene Material heranschaffen und in der Höhle am Eingange zur Elgorbucht niederlegen lassen.

Das war der Plan, den der gewissenlose Bandit für die nächste Zeit entworfen hatte und an dessen Gelingen kaum zu zweifeln war. Doch ob das Glück die Räuber dann auch noch weiter begünstigte, das erschien wohl weniger sicher.

Der fernere Verlauf der Dinge hing ja nicht allein von ihnen ab, denn dazu gehörte es, daß wirklich ein Schiff in der Elgorbucht vor Anker ging. Nach der Rückfahrt der ›Santa-Fé‹ mußte freilich den Schiffern dieser geschützte Platz bald mehr und mehr bekannt werden. Es war deshalb ja nicht unmöglich, daß ein Fahrzeug, wenigstens eines von geringerm Tonnengehalt, lieber in der von letzt ab durch einen Leuchtturm bezeichneten Bucht Schutz suchte, als daß es bei stürmischem Wetter wagte, durch die Meerenge oder im Süden um die Insel zu steuern. Kongre war fest entschlossen, dann das erste beste Schiff in seine Gewalt zu bringen, das ihm damit die lang herbeigewünschte Möglichkeit böte, nach dem Stillen Ozean zu flüchten und dort ungestraft die Ausbeute von seinen Raubzügen zu genießen.

Dazu war es freilich nötig, daß alles in dieser Weise verlief, ehe der Aviso mit einer Ablösung für die Wärter zurückkehrte. Hatten Kongre und seine Spießgesellen die Insel bis zu diesem Zeitpunkte noch nicht verlassen, so mußten sie nochmals nach dem Kap Saint-Barthelemy flüchten. Dann waren die Verhältnisse aber nicht mehr dieselben. Wurde dem Kommandanten Lafayate das Verschwinden der drei Wärter bekannt, so konnte er nicht daran zweifeln, daß diese entweder gewaltsam weggeschleppt worden oder als Opfer eines Mordanschlages gefallen wären. Dann veranlaßte er aber jedenfalls Nachforschungen auf der ganzen Insel, und der Aviso fuhr in keinem Falle eher wieder ab, als bis diese von einem Ende bis zum andern sorgsam abgesucht worden wäre. Wie hätte sich die Räuberbande aber solchen Nachsuchungen entziehen können, und wie gefährdet war für sie der weitere Lebensunterhalt, wenn diese Sachlage längere Zeit anhielt! Im Notfalle schickte die argentinische Regierung ja gewiß auch noch andre Schiffe hierher. Selbst wenn es Kongre gelang, sich eines Bootes der Pescherähs zu bemächtigen – wozu nur wenig Aussicht war – würde die Meerenge scharf überwacht werden und es ihm unmöglich sein, nach dem Feuerlande überzusetzen. Würde ein glücklicher Zufall nun wirklich die Banditen so weit begünstigen, daß sie von der Insel entwischen konnten, so lange es dazu noch Zeit war?

Am Abend des 22. ergingen sich Kongre und Carcante im Gespräch vorn auf dem Ausläufer des Kaps Barthelemy, und nach Gewohnheit der Seeleute beobachteten sie Himmel und Meer. Das Wetter war leidlich gut. Am Horizont lagerten einige Wolken und von Nordosten wehte eine mäßig steife Brise.

Es war jetzt halb sieben Uhr abends. Kongre und sein Begleiter wollten eben nach ihrem Schlupfwinkel zurückkehren, als Carcante noch sagte:

»Es bleibt also dabei, daß wir unser Material hier am Kap Saint-Barthelemy zurücklassen?

– Jawohl, antwortete Kongre. Es wird ja leicht genug sein, alles später holen zu lassen… später, wenn wir da unten erst die Herren sind und wenn…«

Er vollendete den Satz nicht. Die Augen nach dem Meere hinausgerichtet, blieb er stehen und sagte:

»Carcante… sieh doch… dort… da draußen… nicht weit vom Kap…«

Carcante blickte in der angedeuteten Richtung nach der offnen See hinaus.

»Wahrhaftig, rief er, nein… ich täusche mich nicht… ein Schiff!…

– Das sich der Insel zu nähern scheint, fuhr Kongre fort. Es kreuzt mit kleinen Schlägen, denn es hat den Wind von vorn.«

In der Tat lavierte eben ein Fahrzeug unter vollen Segeln etwa zwei Seemeilen vor dem Kap Saint-Barthelemy.

Obgleich es Gegenwind hatte, kam es doch langsam näher, und wenn es auf die Meerenge zusteuerte, mußte es noch vor der Nacht in diese eingelaufen sein.

»Das ist eine Goelette, sagte Carcante.

– Ja… eine Goelette von hundertfünfzig bis zweihundert Tonnen,« antwortete Kongre.

Kein Zweifel: die Goelette suchte mehr die enge Wasserstraße zu erreichen, als das Kap Saint-Barthelemy zu umschiffen. Vor allem kam es nun darauf an zu wissen, ob sie auf dessen Höhe noch vor dem Eintritt tiefer Dunkelheit anlangte. Lief sie bei dem mehr und mehr abflauenden Winde nicht Gefahr, von der Strömung nach dem Klippengürtel getrieben zu werden?

Jetzt hatte sich die ganze Bande draußen auf dem Kap versammelt.

Seit sie hier weilte, war es nicht das erste Mal, daß sich ein Schiff in so geringer Entfernung von der Insel zeigte. Wir wissen, daß es die Räuberbande dann durch bewegliche Feuerzeichen nach der Felswand zu verlocken suchte; auch jetzt wurde der Vorschlag laut, zu diesem teuflischen Mittel zu greifen.

»Nein, widersetzte sich dem Kongre, diese Goelette darf nicht zugrundegehen, wir wollen uns lieber bemühen, sie in die Hände zu bekommen. Wind und Strömung stehen ihr entgegen… Die Nacht wird ganz finster werden, so daß es unmöglich sein wird, in die Meerenge einzulaufen. Noch morgen liegt das Schiff gewiß nahe vor dem Kap, und dann wollen wir sehen, was zu tun ist.«

Eine Stunde später war das Schiff in der tiefen Dunkelheit verschwunden und kein Signallicht verriet seine Lage draußen auf dem Meere.

In der Nacht wechselte der Wind seine Richtung und sprang nach Südwesten um.

Als Kongre und seine Genossen am andern Morgen mit Tagesanbruch nach dem Strande hinausgingen, sahen sie die Goelette liegen… gestrandet auf den Klippen vor dem Kap Saint-Barthelemy.