Eilftes Kapitel.

Eine auf etwas Solides gegründete Philosophie; – einige deutlich dargestellte Gründe und spöttische Einwürfe dagegen in die Flucht geschlagen durch einen logischen Bayonettenangriff.

Doktor Raisono war in Verschönerung seiner Person wie seines Lyceums ganz so vernünftig, als ich nur jemals einen öffentlichen Professor mich erinnere gesehen zu haben, wenn er sein Lehramt in Gegenwart von Damen üben soll. Wenn ich sage, daß sein Fell gebürstet, sein Schweif neu gekräuselt und sein ganzes Aeussere mehr als gewöhnlich »solennisirt« war, wie Kapitain Poke es in einem bescheidnen Lispeln beschrieb, glaube ich alles gesagt zu haben, was nöthig und wahr ist. Er stellte sich hinter einen Schemel, der als Tafel diente, glättete dessen Teppich ein wenig mit seinen Pfoten, und schritt alsbald zur Sache. Ich muß wohl noch hinzufügen, daß er ohne Geschriebenes las, und da der Gegenstand nicht gerade Experimente verlangte, auch ohne einigen Apparat.

Seinen Schweif nach den verschiednen Theilen des Zimmers wedelnd, wo seine Zuhörer saßen, begann er also:

»Da gegenwärtig, meine Zuhörer, nur ganz zufällig die Wissenschaft in Anspruch genommen wird, wo alle den Academie’n Zugehörige auftreten mögen, und jetzt nur eine Erklärung der Hauptstücke unsrer Thesis verlangt wird, werde ich nicht auf den Grund des Gegenstands eingehen, sondern mich auf allgemeine Bemerkungen beschränken, die nur dazu dienen mögen, eine Skizze unsrer Philosophie zu geben, die moralischen, natürlichen und politischen – –«

»Wie, Sir,« schrie ich, »haben Sie eine politische und eine Moral-Philosophie?«

»Unstreitig und eine sehr nützliche Philosophie ist es. Keine Interessen verlangen mehr Philosophie als die mit der Politik verbundnen. Nochmals – nur eine Skizze unsrer Philosophie wollen wir geben, der natürlichen Moral- und politischen Philosophie, indem wir den größten Theil der Sätze, Beweise und Folgerungen größerer Muße und einem weiter fortgeschrittenen Stande der Gelehrsamkeit bei unsren Zuhörern aufbewahren. Indem ich mir also selbst diese heilsamen Schranken setze, werde ich nun mit der Natur beginnen.

»Natur ist ein Ausdruck, den wir gebrauchen, um das alles durchdringende und beherrschende Princip der erschaffenen Dinge auszudrücken. Es ist bekanntlich eine allgemeinere und besondere Bezeichnung, indem sie im ersteren Falle die Elemente und Verbindungen der Allmacht, angewandt auf die Materie, im Allgemeinen bezeichnet, im andern, deren besondre Unterabtheilungen, in Verbindung mit der Materie in ihren unendlichen Verschiedenheiten. Sie wird ferner wieder eingetheilt, in ihre physische und moralische Attribute, und bekommt dann diese beiden Beziehungen. So wenn wir sagen, die Natur in abstracto und es physisch meinen, so verstehen wir darunter jene allgemeinen, gleichförmigen, unumgänglichen, feststehenden und schönen Gesetze, die das ganze Wirken, die Verwandschaften und Bestimmungen des Weltalls als eines großen Ganzen beherrschen und in Harmonie bringen, und wenn wir sagen die Natur im Besondern, so wollen wir z. B. von der Natur eines Felsen, eines Baums, der Luft, des Feuers, Wassers und der Erde reden. Wieder, wenn wir auf eine moralische Natur in abstracto hinweisen, meinen wir die Sünde, ihre Schwäche, ihr Anzügliches, ihr Häßliches, in Einem Wort, ihre Totalität, während auf der andern Seite, wenn wir den Ausdruck in diesem moralischen Sinn, aber speciell gebrauchen, wir seine Bedeutung auf die besondern Schattirungen der natürlichen Eigenschaften beschränken, die den besonders genannten Gegenstand bezeichnen. Lassen Sie uns unsre Sätze durch einige kurze Beispiele erläutern.

»Wenn wir sagen: O Natur, wie glorreich, erhaben und belehrend bist du! meinen wir, daß ihre Gesetze aus einer Allmacht unendlicher Weisheit und Vollkommenheit herfließen; und wenn wir sagen: O Natur, wie bist du hinfällig, eitel und unzulänglich! meinen wir, daß sie bei dem allen doch nur etwas Untergeordnetes ist, unterworfen dem, der sie in’s Dasein rief, und zwar zu bestimmten, begrenzten und unzweifelhaft weisen Zwecken. In diesen Beispielen sprechen wir von der Natur in abstracto

»Die Beispiele über Natur im Besonderen werden meinen Zuhörern geläufiger und obwohl keineswegs wahrer, so doch verständlicher erscheinen. Die Natur im Besondern in physischer Bedeutung fällt in die Sinne, verräth sich in den äußern Formen der Dinge, durch ihre Stärke, Größe, Substanz und ihre Verhältnisse; und in ihren mehr geheimnißvollen Eigenthümlichkeiten, erst bei näherer Untersuchung, durch ihre Gesetze, Harmonie und Wirkungen. Besondre moralische Natur zeigt sich in den verschiednen Neigungen und Fähigkeiten, in dem Benehmen der verschiednen Classen aller moralischen Wesen. In diesem letztren Sinn haben wir Monikins-Natur, Hunde-Natur, Pferde-Natur, Schwein-Natur, Menschen-Natur – –«

»Erlauben Sie mir, Dr. Raisono;« unterbrach ich, »hier zu fragen, ob Sie diese Classifizirung für mehr als zufällige Stellung von Beispielen geltend machen wollen.«

»Nur das letztre, versichre Sie, Sir John.«

»Und geben Sie den großen Unterschied zwischen animalischer und vegetabilischer Natur zu?«

»Unsre Academie’n sind über diesen Punkt getheilter Meinung. Eine Schule behauptet, die ganze lebende Natur müsse in ein großes alles begreifendes Genus zusammengefaßt werden, während die andre die von Ihnen genannten Unterscheidungen zuläßt. Ich bin der letztern Meinung, und neige mich zu der Ansicht, daß die Natur selbst die Linie zwischen den zwei Classen gezogen hat, indem sie der einen die doppelte Gabe moralischer und physischer Natur zugetheilt und der andern die erstere vorenthalten hat. Das Dasein der moralischen Natur zeigt sich im Dasein eines Willens. Die Academie von Springhoch hat eine scharfsinnige Classification aller bekannten Thiere gemacht, an deren Ende sich der Schwamm, an deren Spitze sich der Monikin befindet.«

»Schwämme sind sonst gewöhnlich am obersten,« murmelte Noah.

»Herr,« sagte ich mit einem unangenehmen Anschwellen der Kehle, »soll ich das so verstehen, daß Ihre Gelehrten den Menschen für ein Thier halten, in einem Mittelzustand zwischen Schwamm und Affe?«

»Wirklich, Sir John, diese Hitze ist ganz unstatthaft bei philosophischen Verhandlungen; wenn Sie fortfahren, sich ihr zu überlassen, muß ich die Vorlesung aussetzen.«

Bei diesem Tadel machte ich einen glücklichen Versuch mich zu fassen, ob mich gleich der esprit de corps fast erstickte. Ich gab, so gut ich konnte, Besserung zu verstehen, und Dr. Raisono, der über seinen Tisch gelehnt, zweifelhaft da gestanden hatte, wedelte mit dem Schweif und fuhr fort:

»Schwämme, Austern, Krabben, Störe, Kröten, Schlangen, Eidechsen, Opossum, Ameisenlöwen, Paviane, Neger, Waldtauben, Löwen, Eskimo, Faulthiere, Schweine, Hottentoten, Ourangnikins sind ohne allen Zweifel alles Thiere, der einzige bestrittene Punkt bei uns ist, ob sie alle von demselben Genus sind und nur Varietäten oder Species bilden, oder ob sie in drei große Familien wieder zerfallen müssen, in die verbesserlichen, unverbesserlichen und die rückgängigen. Die, welche behaupten, daß wir nur eine große Familie bilden, urtheilen nach gewissen in die Augen fallenden Analogien, die als eben so viele Glieder dienen, um die animalische Welt in einer großen Kette zu vereinen. Indem sie z. B. den Menschen als den Mittelpunkt annehmen, zeigen sie, daß dieß Wesen, gemeinsam mit jedem andern Geschöpf, eine sehr bemerkbare Eigenthümlichkeit besitzt. So ist der Mensch in einer Hinsicht gleich einem Schwamm, in einer andern gleich einer Auster, ein Schwein ist dem Menschen ähnlich, der Hamster hat etwas eigenthümliches von dem Menschen, der Ourang-Outang wieder etwas anders, das Faulthier ebenfalls – –«

»König!«

»Und so bis zuletzt. Diese Philosophenschule jedoch, während sie sehr scharfsinnig vertheidigt wird, ist gerade in diesem Augenblick nicht die begünstigste in der Academie von Springhoch.«

»Gerade in diesem Augenblick, Doktor!«

»Freilich, Sir. Wissen Sie nicht, daß Wahrheiten, eben sowohl physische als moralische, eben so sehr ihre Umwälzungen erleiden, als die ganze geschaffne Natur. Die Academie hat diesem Gegenstand große Aufmerksamkeit geschenkt, und sie gibt jährlich ein Taschenbuch heraus, worin die verschiednen Phasen, Umwälzungen, Umläufe, Verfinsterungen, totale und partielle, die Entfernungen vom Mittelpunkt des Lichts, die Erdferne und Erdnähe aller wichtigsten Wahrheiten mit seltner Genauigkeit berechnet sind, und vermittelst dessen die Vorsichtigen sich so nah als möglich im Bereich der Vernunft halten können. Wir halten diese Bemühung des Monikin’schen Geistes für die erhabenste aller seiner Erfindungen, für den stärksten Beweis seiner nahen Annäherung zu der Erreichung seiner irdischen Bestimmung. Doch hier ist nicht der Ort, bei diesem besondern Punkt unsrer Philosophie zu verweilen, und für jetzt wollen wir diesen Gegenstand aussetzen.«

»Doch werden Sie mir erlauben, Dr. Raisono, kraft der ersten Bestimmung des Art. 5. Protokoll Nro. 1. (welches Protokoll, wenn auch nicht geradezu angenommen, doch den Geist des damals angenommenen enthielt) Sie zu fragen, ob die Berechnungen der Umwälzung in der Wahrheit nicht zu gefährlichen moralischen Ausschweifungen führen, zu verderblichen Speculationen mit Ideen, und zum Umsturz der Staatsgesellschaft.«

Der Philosoph zog sich einen Augenblick mit Mylord Chatterino zurück, um zu berathschlagen, ob es klug sei, die Gültigkeit des Protokolls Nummer 1. selbst in dieser indirekten Weise zuzulassen; worauf sie denn übereinkamen, daß eine solche Annahme alle kitzliche Fragen, die eben noch so glücklich beseitigt worden, wieder in Anregung bringen würden, da die erste Bestimmung des Artikels 5. in direkter Verbindung mit der zweiten stünde, indem sie nur einen Artikel ausmachten, und der 5. Art. in seiner Gesammtheit einen wesentlichen Theil des ganzen Dokuments bildete, die Lehre der Auslegung aber einschärfe, daß Dokumente gleich Testamenten nach ihrem allgemeinen Inhalt ausgelegt werden müßten, nicht aber nach ihren besondern Bestimmungen; es würde also für die Zwecke der Zusammenkunft gefährlich sein, diese Anwendung zuzugeben. Aber unser Vorbehalt, daß es nicht in ein Recht übergehe, könnte man wohl als Höflichkeit zugeben, was man als Recht verweigert hätte, und so benachrichtigte mich denn Dr. Raisono, daß diese Berechnungen über die Umwälzung in den Wahrheiten zu gewissen moralischen Übertreibungen führten, und in manchen Fällen selbst zu gefährlichen Spekulationen mit Ideen. Die Academie von Springhoch, und soweit seine Kenntniß ginge, die Academie jedes andern Landes hätte die Sache mit der Wahrheit, und besonders mit moralischer Wahrheit immer als die allerschwierigste zu leiten gefunden, als die, welche am leichtesten mißbraucht, und am gefährlichsten allgemein verbreitet würde. Es ward mir ausserdem für die Zukunft weitre Erläuterung über diesen Zweig des Gegenstandes versprochen.

»Den regelmäßigen Faden meiner Vorlesung wieder anzuknüpfen,« fuhr Dr. Raisono fort, nachdem er aus Höflichkeit diese Abschweifung gemacht, »theilen wir also diese Classen der erschaffnen Welt in belebte und vegetabilische Natur; die erstre wird wieder eingetheilt in verbesserliche, unverbesserliche und rückgängige. Die verbesserliche umfaßt alle jene Arten, welche in langsamen, fortschreitenden aber unabwendbaren Verändrungen nach der Vollkommenheit des irdischen Lebens fortgehen, nach jenem letzten, erhabenen, höchsten Zustand der Sterblichkeit, wo das materielle seinen letzten Streit mit dem immateriellen, – der Geist mit der Materie auskämpft. Die verbesserliche Classe von Thieren fängt nach der Monikins-Lehre mit jenen Arten an, wo die Materie das augenscheinlichste Uebergewicht hat, und endigt mit denen, wo der Geist der Vollkommenheit so nahe ist, als diese sterbliche Hülle nur immer zuläßt. Wir halten dafür, daß Geist und Materie in jener geheimnißvollen Vereinigung, die das geistige mit dem physischen Wesen verbindet, in einem Mittelzustand anfängt, und nicht, wie einige behauptet haben, nur Seelenwanderungen erleidet, sondern jene stufenförmigen und unmerklichen Veränderungen beides der Seele und des Leibes erfährt, die die Welt mit so wunderbaren Wesen bevölkert haben; wunderbar, geistig und physisch, und die alle (die verbesserliche Classe nämlich) nichts weiter als Thiere von demselben großen Genus sind, die auf der Heerstraße zu ihren Zwecken, auf die letzte Stufe der Vollkommenheit zugehen, bevor sie endlich auf einen andern Planeten, zu einem neuen Dasein versetzt werden.

»Die rückgängige Classe besteht aus jenen Arten, welche ihrem Geschick folgend, eine falsche Richtung nehmen, welche statt auf das immaterielle los zu gehen, nach dem materiellen streben, die stufenweise mehr und mehr unter die Herrschaft der Materie kommen, bis durch eine Reihenfolge physischer Wechsel der Wille ganz und gar verloren geht, und sie mit der Erde in Eins zerfallen. In dieser letzten Umbildung werden diese blos materiellen Wesen chemisch in dem großen Laboratorium der Natur zersetzt und ihre sie bildenden Theile getrennt; so werden die Gebeine zu Felsen, das Fleisch zu Erde, die Geister zu Luft, das Blut zu Wasser, der Knorpel zu Lehm und die Asche des Willens geht in die Elemente des Feuers über. Zu diesen Classen zählen wir Wallfische, Elephanten, Nilpferde und verschiedne andre Thiere, welche offenbar Anhäufungen von Materie verrathen, die schnell über die weniger materiellen Theile ihrer Natur triumphiren müssen.«

»Und doch, Doktor, finden sich Thatsachen, die gegen die Theone streiten; der Elephant z. B. wird für das vernünftigste aller Vierfüßler gehalten.«

»Nur eine falsche Darstellung, Sir. Die Natur gefällt sich in jenen kleinen Zweideutigkeiten; so haben wir falsche Sonnen, falsche Regenbogen, falsche Propheten, falsche Erscheinungen und selbst falsche Philosophien. Es gibt ganze Rassen von unsern beiden Geschlechtern, wie die Congo und die Eskimo in Ihrem und die Paviane und gewöhnlichen Affen, die dem Menschen unterworfene Erdstriche bewohnen, in unserm Geschlecht, die bloße Schatten von der Gestalt und den Eigenschaften sind, die eigentlich das Thier in seinem Zustand von Vollkommenheit auszeichnen.«

»Wie, Sir, sind Sie also nicht von derselben Familie, wie all die andern Affen, die wir auf den Straßen herum hüpfen und springen sehen?«

»Eben so wenig als Sie, Sir, dieselbe Familie mit den plattnasigen, dicklippigen, niedrig gestirnten, dintenfarbigen Negern, oder den schmutzigen, leidenschaftslosen, thierischen Eskimo ausmachen. Ich habe gesagt, die Natur gefalle sich in Abschweifungen, und alles dies ist nichts weiter als Täuschung von ihr. Von der Art ist auch der Elephant, der, während er sich am meisten dem reinen Materialismus zuneigt, trügerisch Parade mit einer Eigenschaft macht, die er in schnellem Grade verliert. Beispiele von diesem Schnippchenschlagen, wenn ich mich so ausdrücken darf, sind in allen Klassen von Wesen gemein. Wie oft z. B. paradiren Menschen gerade in dem Augenblick, wo sie Bankerott machen wollen, mit ihrem Reichthum; Frauen scheinen unerbittlich, im Augenblick, wo sie kapituliren, und Diplomaten rufen den Himmel zum Zeugen ihrer Entschlüsse den Tag vorher an, ehe sie das Gegentheil unterzeichnen und besiegeln. Im Falle mit dem Elephanten jedoch ist eine kleine Ausnahme von der allgemeinen Regel, die sich auf das ausserordentliche Ringen zwischen Geist und Materie gründet, indem der erstre Anstrengungen macht, die man als ungewöhnlich, als eine Ausnahme von der gewöhnlichen Art Krieg zu führen, zwischen diesen zwei Principien betrachten kann. Das untrüglichste Zeichen des Triumphs des Geistes über die Materie liegt in der Entwicklung des Schweifs – –«

»König!«

»Des Schweifs, Dr. Raisono!«

»Allerdings, Herr, jenes Sitzes der Vernunft, des Schweifs! Bitte, Sir John, welchen andern Theil unsers Körpers hielten Sie für den Sitz des Verstandes?«

»Unter den Menschen, Dr. Raisono, hält man das Haupt für das edelste Glied, und seit kurzem haben wir analysirende Charten von diesem Theil unsrer Körperbildung gemacht, wonach man dann die Breite und Länge einer moralischen Eigenschaft, eben so gut als ihre Grenzen bestimmen will.«

»Sie haben den besten Gebrauch von Ihrem Material, wie es gerade war, gemacht, und ich muß sagen, die besagte Charte im Ganzen ist ein sehr gutes Stück Arbeit. Aber in der Verwickelung und Schwierigkeit eben dieser moralischen Charte (ich sehe eine davon auf Ihrem Kamin stehen) können Sie sich von der Verwirrung überzeugen, die noch in der Menschen-Vernunft herrscht. Nun, wenn Sie uns betrachten, können Sie das gerade Gegentheil Ihrer Verlegenheit bemerken. Wie viel leichter z. B. ist es eine Elle zu nehmen, und durch einfache Abmessung eines Schweifs zu einem gefunden, in die Augen fallenden, unwidersprechlichen Schluß über die Ausdehnung des Verstandes bei einem Individuum zu gelangen; weit besser als durch die verwickelte, widersprechende, zweideutige und bestreitbare Art, wozu Sie gezwungen sind. Schon diese Thatsache würde hinreichend den höheren moralischen Standpunkt der Monikinsrasse in Vergleich mit dem des Menschen begründen.«

»Soll ich, Dr. Raisono, wirklich glauben, daß die Monikins-Familie einen so abentheuerlichen Stolz ernsthaft behauptet; daß Sie einen Monikin für ein verständigeres und hoher civilisirtes Wesen als den Menschen hält?«

»In allem Ernst, Sir John. Ei, Sie sind in der That die erste verehrte Person, die ich getroffen, welche nur die Thatsache zu bezweifeln schien. Es ist wohlbekannt, daß beide zu der verbesserlichen Classe gehören, daß die Affen, wie Sie uns zu benennen belieben, einst Menschen waren mit ihren Leidenschaften, Schwächen, Unbeständigkeiten, ihren philosophischen Systemen, ungesunder Moral, Gebrechen, Inconsequenzen und Knechtschaft unter der Materie; daß sie stufenweise in den Monikin-Stand übertraten, und große Abtheilungen von ihnen beständig in die immaterielle Welt verdunsten, vollständig Geist geworden und frei von der groben Materie des Fleisches. Ich glaube nicht an das, was man Tod nennt, denn es ist nichts weiter, als ein gelegentliches Ablegen der Materie, um sie in neuer Gestalt und mit größrer Annäherung zu den wichtigen Erfolgen (bei der verbesserlichen sowohl als bei der rückgängigen Classe) wieder anzunehmen; nichts weiter als jene endlichen Wechsel, die uns auf einen andern Planeten versetzen, um einen höhern Standpunkt des Daseins zu genießen, und uns immer auf der Heerstraße nach endlicher Vortrefflichkeit zu führen.«

»Das ist alles sehr scharfsinnig, Sir; aber bevor Sie mich überzeugen können, daß der Mensch niedriger als der Affe steht, müssen Sie es mir, mit Ihrer Erlaubniß zu sagen, beweisen.«

»Ja, ja, und mir auch,« fiel Capitain Poke bitter ein.

»Brauchte ich Beweise anzuführen, meine Herren,« fuhr der Philosoph fort, der weit weniger durch unsre Zweifel gerührt schien, als wir durch seine Lehre, »so würde ich zuerst Sie auf die Geschichte verweisen. Alle Monikinschen Schriftsteller stimmen in der allmähligen Abstammung aller Arten von dem Menschengeschlecht überein.«

»Das wäre genug, Sir, für die Breitegrade von Springhoch, aber erlauben Sie mir, kein menschlicher Geschichtschreiber von Moses bis Buffon hat je solch eine Ansicht unsrer verschiedenen Rassen gehabt. Es findet sich bei keinem ein Wort davon.«

»Wie sollte es auch, Sir? Die Geschichte ist keine Vorhersagung, sondern eine Erzählung des Geschehenen. Ihr Schweigen ist in so fern ein negativer Beweis zu unsern Gunsten. Spricht Tacitus z. B. von der Französischen Revolution? Schweigt nicht Herodot von dem Abfall des amerikanischen Continents? oder giebt uns irgend ein griechischer oder römischer Schriftsteller die Annalen von Stonington? einer Stadt, die offenbar erst nach der christlichen Zeitrechnung gegründet ward? Es ist moralisch unmöglich, daß Menschen oder Monikins getreu Begebenheiten erzählen sollten, die sich nie zugetragen, und da es noch nie einem Menschen begegnet ist, daß er in den Monikins-Stand versetzt worden, so geht als nothwendige Folge daraus hervor, daß er nichts davon wissen kann. Wenn Sie daher historische Beweise von dem, was ich sage, wollen, müssen Sie die Monikins-Annalen nach Belehrung aufschlagen; da findet man es mit einer Menge seltsamer Einzelheiten, und ich hoffe, die Zeit ist nicht mehr fern, wo ich das große Vergnügen haben werde, Ihnen die Hauptcapitel unsrer besten Schriftsteller darüber anzudeuten. Aber wir sind nicht auf das Zeugniß der Geschichte beschränkt, um unsern Zustand als eine fortgeschrittene Bildung darzustellen. Der innere Beweis ist schlagend, wir berufen uns auf unsre Einfachheit, unsre Philosophie, den Zustand der Künste unter uns, kurz auf alle jene mitwirkenden Beweise, welche aus dem höchst möglichen Zustand der Civilisation hervorgehen. Ausserdem haben wir noch das untrügliche Zeugniß, die Entwickelung unsrer Schweife, unser System der Caudologie ist an und für sich ein triumphierender Beweis von der hohen Vervollkommnung der Monikinschen Vernunft.«

»Verstehe ich Sie recht, Dr. Raisono, so stellt Ihre Caudologie oder Lehre vom Schweif, um es zu übersehen, die Möglichkeit auf, der Verstand des Menschen, der heut zu Tage sicher in seinem Gehirn ist, könne je in einen Schweif sich herabsenken.«

»Wenn Sie Entwickelung, Verbesserung, Vereinfachung ein Herabsteigen nennen, dann freilich, Sir. Aber Ihr Bau ist ein schlechter, Sir John; Sie sehen’s mit eignen Augen, daß ein Monikin seinen Schweif so hoch tragen kann, als ein Mensch den Kopf. Unsre Nase ist in diesem Sinn moralisch höher, und es kostet uns keine Anstrengung, auf gleicher Höhe mit menschlichen Königen zu stehen. Wir behaupten mit Ihnen, daß das Gehirn der Sitz der menschlichen Vernunft ist, so lange der Mensch in dem, was wir Prüfungsstand nennen, sich befindet; aber dann ist die Vernunft unentwickelt, unvollkommen, verwirrt, gleichsam in eine Hülse, die für ihre Funktionen nicht passt, eingehäußt, so wie sie jedoch nach und nach aus diesem engen Gehäuse heraustritt, nach der Basis des Thiers zu, gewinnt sie Festigkeit, Helle, und endlich durch Verlängerung und Entwickelung Pointe. Wenn Sie das menschliche Gehirn untersuchen, werden Sie es, obgleich einer großen Ausdehnung fähig, in einem kleinen Raume zusammengedrückt, in einander gewirrt, beengt finden; während nur in der Monikinsspecies dasselbe Einfachheit, einen Anfang und ein Ende erlangt, eine Richtung und Aufeinanderfolge, die zur Logik nötig sind, wie schon gesagt, eine Pointe, welches alles, der Analogie gemäß, die großen Vorzüge derselben beweis’t.«

»Ja, Herr, wenn Sie auf Analogie kommen, so möchte diese leicht mehr beweisen, als Sie wünschen. Bei den Vegetabilien z.B. steigen die Schößlinge der Befruchtung und Nutzbarkeit wegen aufwärts, und nach dieser Analogie ist es weit wahrscheinlicher, daß die Schweife sich zu Gehirn vervollkommnet als umgekehrt; und daß folglich weit wahrscheinlicher der Mensch eine Vervollkommnung vom Affen, als der Affe vom Menschen ist.«

Ich wußte, ich sprach mit Wärme, denn Dr. Raisono’s Lehre war mir neu; und um diese Zeit hatte mein esprit de corps fast gänzlich meine Ueberlegung unterdrückt.

»Ihr gabt ihm einen tüchtigen Schlag, Sir John,« lispelte Kapitain Poke an meiner Seite; »wenn Ihr jetzt wollt, will ich all diesen kleinen Schelmen die Hälse herumdrehen, und sie dem Fenster hinauswerfen.«

Ich stellte ihm sogleich vor, daß jede Aeußerung roher Gewalt gerade gegen unsere Sache sprechen würde, besonders da die Unterhaltung gerade jetzt so immateriell als möglich wäre.

»Gut, gut, macht es, wie Ihr wollt, Sir John; ich will mich so immateriell verhalten, als Ihr nur wünschen könnt; aber sollte dieß listige Ungeziefer wirklich in dem Streit über uns obsiegen, werde ich nie mehr wagen, auf Miß Poke zu schauen, oder mein Gesicht wieder in Stonington zu zeigen.«

Dieß kleine Zwischengespräch ward heimlich geführt, während Dr. Raisono ein Glas Zuckerwasser trank; aber er kehrte bald wieder zum Streitpunkt mit dem würdevollen Ernst zurück, der ihn nie verließ.

»Ihre Bemerkung über die Schößlinge schmeckt ganz nach menschlicher Weisheit, jedoch mit der sprichwörtlichen Kurzsichtigkeit Ihres Geschlechts verbunden. Es ist wahr, die Schößlinge steigen der Befruchtung wegen aufwärts, aber was ist diese Befruchtung? es ist nichts weiter als eine falsche Darlegung der Kräfte der Pflanze. Zu allen übrigen Zwecken des Wachsthums, Lebens, der Dauerhaftigkeit und endlichen Verwandlung des vegetabilischen Stoffs in ein Element ist die Wurzel der Sitz der Macht und Gewalt, und über allen, oder vielmehr unter allen besonders die Pfahlwurzel. Diese Pfahlwurzel kann man den Schweif der Vegetation nennen. Sie können ohne Schaden Früchte abbrechen, ja selbst die Spitze aller Zweige, und der Baum lebt; aber legt die Axt an die Wurzel und der Stolz des Haines fällt.«

Alles dieß war zu augenscheinlich wahr, um es zu leugnen, und ich fühlte mich ermüdet und beschämt, denn niemand sieht sich gern in einem Streit dieser Art geschlagen, und besonders von einem Affen. Ich erinnerte mich des Elephanten, und entschloß mich, mit Hülfe seiner mächtigen Hauer noch einen Angriff zu machen, ehe ich den Streitpunkt aufgäbe.

»Ich denke, Doktor Raisono, Ihre Gelehrten sind nicht sehr glücklich gewesen,« begann ich wieder, sobald als möglich, »indem sie ihre Theorie vermittelst des Elephanten erläuterten. Dieß Thier, ausser seiner Fleischmasse, ist zu sehr mit Verstand versehen, um als Dummkopf zu gelten; und er hat nicht blos einen, sondern man könnte fast sagen zwei Schweife.«

»Das ist gerade sein Hauptunglück, Sir; die Materie, in ihrem großen Kampf mit dem Geist, hat das Princip: »Theile und beherrsche« angenommen; Sie sind näher der Wahrheit, als Sie dachten, denn der Rüssel des Elephanten ist nur ein verunglückter Schweif; und doch, sehen Sie, enthält er fast allen Verstand, den das Thier besitzt. Was indeß den Elephanten betrifft, so wird die Theorie hier durch die wirkliche Erfahrung bestätigt. Sprechen nicht Geologen und Naturforscher von den Ueberresten von Thieren, welche nicht weiter unter den lebenden Wesen gefunden werden?«

»Freilich, Sir; – das Mastodon, das Megatherium, Iguanodon und der Plesiosaurus.«

»Und finden Sie nicht auch unzweideutige Zeichen von thierischen Stoffen in Felsen?«

»Auch das muß man zugeben.«

»Diese Phänomene, wie Sie sie nennen, sind nun aber nichts weiter, als der letzte Niederschlag, den die Natur bei solchen Thieren zurückgelassen, wo die Materie gänzlich ihren Nebenbuhler besiegt hat, den Geist nämlich. Sobald der Wille gänzlich erloschen ist, hört das Wesen zu leben auf, oder ist nicht länger ein Thier. Es fällt und kehrt gänzlich in das Element der Materie zurück. Der Proceß der Zersetzung und Verkörperung währt mehr oder weniger lang, je nach den Umständen, und diese fossilen Ueberreste, wovon Ihre Schriftsteller soviel reden, sind nur Fälle, wo die endliche Zersetzung auf zufällige Hindernisse gestoßen ist. Was unsre zwei Arten betrifft, so muß auch eine nur flüchtige Untersuchung ihrer Eigentümlichkeiten jedes aufrichtige Gemüth von der Wahrheit unsrer Philosophie überzeugen. So ist der physische Theil im Menschen im Verhältniß zum geistigen viel größer als bei dem Monikin; seine Gewohnheiten sind gröber und weniger geistig, er bedarf der Sauce und Gewürze zu seiner Nahrung, er ist weiter von der Einfachheit entfernt, und so auch nothwendig von wahrer Civilisation, er ißt Fleisch, ein sichrer Beweis, daß das materielle Princip bei ihm noch sehr das Uebergewicht hat, er hat keinen Schweif – –«

»Hier möchte ich Sie fragen, Doktor Raisono, ob Ihre Gelehrten einiges Gewicht auf Tradition legen.«

»Ganz ausserordentliches, Sir. Es ist Monikin’sche Tradition, daß unser Geschlecht aus verfeinerten Menschen besteht, aus verringerter Materie und vermehrtem Geist, die Vernunft befreit aus der Gefangenschaft und Verwirrung des Hauptes, und ausgedehnt, entwirrt und logisch und consequent geworden in dem Schweif.« »Nun, Sir, wir haben auch unsre Traditionen, und ein ausgezeichneter Schriftsteller, nicht weit von uns entfernt, hat es als unbestreitbar aufgestellt, daß die Menschen einst Schweife gehabt.«

»Ein bloßer prophetischer Blick in die Zukunft; wie ja bekanntlich kommende Ereignisse ihren Schatten vor sich werfen.«

»Sir, der besagte Philosoph begründet seine Behauptung, indem er auf die Stümpfe hindeutet.«

»Er hat unglücklicher Weise den Grundstein für eine Ruine gehalten. Solche Irrthümer sind nicht selten bei eifrigen und scharfsinnigen Leuten. Daß die Menschen einst noch Schweife erhalten werden, bezweifle ich nicht im Geringsten, aber daß sie je diesen Punkt der Vollkommenheit erreicht, leugne ich feierlichst. Es sind viele vorausverkündende Symptome da, daß sie diesen Zustand erreichen werden; die gewöhnlichen Ansichten des Tages, die Kleidung, Gewohnheiten, Moden, die Philosophie der Gattung bestärken in diesem Glauben; aber bis jetzt habt ihr noch nicht diese neidenswerthe Auszeichnung erlangt. Was Tradition betrifft, so ist Ihre eigne zu Gunsten unsrer Theorie. So z. B. haben Sie eine Tradition, daß die Erde einst von Riesen bevölkert war; nun, das kömmt daher, daß die Menschen einst noch mehr unter dem Einfluß der Materie standen als heut zu Tag. Sie geben zu, daß Sie an Größe ab- und in moralischen Vorzügen zunehmen; alles dieß Beweise für die Monikin’sche Philosophie. Sie fangen an, weniger Gewicht auf physische und mehr auf moralische Vorzüge zu legen; und mit einem Wort, vieles zeigt, daß die Zeit der endlichen Befreiung und großen Entwicklung Ihres Gehirns nicht mehr fern ist. Soviel gebe ich gern zu; denn während die Dogmen unsrer Schulen nicht zu verwerfen sind, gestehe ich gerne, daß Sie unsre Mitgeschöpfe sind, obwohl in einem jüngern und weniger vollkommnen Zustand der Staatsgesellschaft.«

»König!«

Hier äusserte Doktor Raisono die Notwendigkeit einer kleinen Pause, um sich zu erfrischen. Ich zog mich mit Kapitain Poke zurück, und unter den besondern Umständen, worin wir uns befanden, meinem Gefährten mich mitzutheilen, und ihn nach seiner Meinung von dem Gesagten zu befragen. Noah fluchte bitterlich über einige von den Schlüssen des Monikin’schen Philosophen, und versicherte, er wünsche nur ihn in den Strassen von Stonington Vorlesungen halten zu hören, wo solche Lehren nicht länger geduldet werden würden, als nöthig wäre, eine Harpune scharf zu machen oder eine Büchse zu laden. In der That, er wisse nicht anders, als der Doktor werde alsbald ohne alle Umstände in Rhode-Island nieder gemacht werden.

»Da wünschte ich mir’s nicht besser,« fuhr der unwillige alte Robbenfänger fort, »als die große Zehe meines rechten Fußes mit vollen Segeln gegen den Theil anfahren zu lassen, wo der Schelm seinen geliebten Schweif befestigt hat. Das sollte ihn bald zur Vernunft bringen. Ei, was seinen Schweif betrifft, Ihr könnt mir glauben, Sir John, ich sah einst an der Küste von Patagonien einen Menschen, – einen Wilden natürlich und keinen Philosophen, wie dieser Schelm sein will,– der hatte einen Ringler dieser Art, so lang, wie ein Schiffs-Vordermast. Und was war er bei dem allem, nur ein armer Teufel, der kein Seekalb von einem Wallfisch unterscheiden konnte.«

Diese Versicherung des Kapitain Poke erleichterte mein Gemüth beträchtlich; und indem ich die Büffelhaut bei Seite legte, bat ich ihn, mit einiger Genauigkeit die Lokalitäten um das Ende des Rückenbeins zu untersuchen, um sich zu versichern, ob da ein ermuthigendes Zeichen zu entdecken wäre. Kapitain Poke setzte die Brille auf, denn die Zeit hatte dem würdigen Seemann ihren Gebrauch aufgedrungen, »so oft,« wie er sagte, »er seinen Druck zu lesen hatte,« und nach einiger Zeit hatte ich die Freude, die Erklärung zu vernehmen, daß, wenn es mir nur an einem Schweif gebräche, sich ein so guter Ort, einen einzufügen fände, als nur je an einem Monikin in der ganzen Welt gefunden werden könnte; »und Ihr braucht nur ein Wort zu sagen, Sir John, und ich gehe in’s nächste Zimmer und mit Hilfe meines Messers und einiger Geschicklichkeit in der Auswahl will ich Euch mit einem derartigen Artikel versehen, der, wenn nur sonst einige Kraft in diesem Zeug ist, Euch mit einem Male zu einem Richter, oder auch Bischof befähigen soll.«

Wir wurden nun wieder in das Vorlesungszimmer berufen, und ich hatte kaum Zeit, Kapitain Poke für sein verbindliches Anerbieten zu danken, das gerade damals Umstände mir nicht erlaubten anzunehmen.