Neunundzwanzigstes Kapitel.

Der Kommandeur des Pfeils und sein halbverzückter Schiffsleutnant erreichten schweigend die Schanze. Das erste, was letzterer hier tat, war, daß er sich nach dem nahen Schiffe umsah, und zwar mit einem Blick, dessen ungewisses, bewußtlos Hin- und Herirren das Bild eines augenblicklichen Wahnsinns gab. Toch war das Fahrzeug des Rovers in dem vollen, schönen Ebenmaße seines bewunderungswürdigen Baues klar genug vor Augen. Start noch in einem Zustande der Ruhe zu liegen, hatte man, seit er es verlassen, die Vorderrahen umgeschwungen, so daß das stolze Gebäude, dessen Segel nun der Wind füllte, bereits angefangen, sich zierlich, obgleich nicht sehr schnell, vorwärts zu bewegen. Das Manöver trug indes auch nicht den fernsten Anschein eines Versuchs, die Flucht zu ergreifen. Im Gegenteil, die höheren, leichteren Segel waren alle angeschnürt, und einige ließen eben mit vieler Geschäftigkeit jene dünneren Spieren aufs Verdeck hinab, die zum Ausbreiten der zur schleunigern Flucht nötigen Leinwand durchaus unentbehrlich gewesen wären. Mit banger Besorgnis wendete sich Wilder weg von dem Anblick; gar wohl war ihm bekannt, daß dies die Vorkehrungen waren, die erfahrene Seeleute zu treffen pflegen, wenn sie beschlossen haben, im Kampfe das Äußerste zu wagen.

»Ha, ha, dort geht mein Seeheld von St. James, hat seine drei Bramsegel voll und seinen Besan heraus, als wenn er schon vergessen hätte, daß er bei mir zu Mittag essen soll, und daß sein Name auf der Kommandeursliste an dem einen Ende zu finden ist, und meiner an dem andern«, brummte der unwillige Bignall. »Doch er wird schon zu rechter Zeit wieder rechtsum machen, denk‘ ich, wenn ihm sein Appetit sagt, es sei Essenszeit. Übrigens könnte er immer in Gegenwart eines ältern im Amte seine Flagge aufziehen, unbeschadet seiner adeligen Würde. Beim Himmel, Harry, er handhabt die Rahen dort allerliebst! Na, was gibt’s, irgendeines ehrlichen Mannes Sohn ist ihm unter der Gestalt eines Premierleutnants zur Amme mit an Bord gegeben worden; da wird er uns denn bei Tische die Ohren vollprahlen, als da ist: ›Dieses mache ich auf meinem Schiffe so‹, und ›jenes leide ich auf meinem Schiffe nicht‹, und dergleichen mehr. Ha, ha, nicht wahr, Sir? Er hat einen ausgelernten Matrosen zu seinem Premier?«

»Wenig Leute,« erwiderte Wilder, »verstehen die Schifffahrtskunde besser als der Kapitän jenes Fahrzeuges in eigener Person.«

»Den Teufel auch mag er davon verstehen! Sie haben mit ihm über derlei Dinge geschwatzt, Herr Arche, und da hat er denn dem Pfeil dies und jenes abgelernt, das ist alles. Ich kann ebenso schnell hinter die Wahrheit kommen als irgendein anderer.«

»Ich versichere Sie, Kapitän Bignall, es ist höchst gefahrvoll, sich durch den Glauben an die Unwissenheit des außerordentlichen Mannes in jenem Schiffe sicher machen zu lassen.«

»Aha, nun komme ich aufs rechte Fahrwasser, in Beziehung auf seinen Charakter. Der junge Hund ist ein Spaßvogel und hat einen Matrosen aus der alten Schule, wie er es nennt, zum besten gehabt. Hab‘ ich’s, Sir? Der hat vor dieser Reise schon Salzwasser gesehen, ha, ha?«

»Die See ist fast seine Heimat; er lebt schon länger als dreißig Jahre auf dem Element.«

»Da, Harry, hat er Sie nicht übel angeführt. Ha, ha, ha! Ich habe es aus seinem eigenen Munde, daß er morgen erst dreiundzwanzig Jahre alt wird.«

»Auf mein Wort, er hat Sie hintergangen, Sir.«

»Ich weiß nicht, Herr Arche. Mich hintergehen, das ist leichter unternommen als ausgeführt. Fünfundeindrittel Dutzend Jahre mögen wohl die Füße etwas schwerfällig machen; dagegen füllen sie aber auch den Kopf mit gewichtiger Klugheit! Kann sein, daß ich eine zu geringe Meinung von der Geschicklichkeit des Junkers faßte, aber was seine Jahre anbetrifft, so kann ich mich unmöglich sehr geirrt haben. – Aber, wo zum Teufel steuert denn der Kerl hin? Will er sich erst von seiner gnädigen Frau Mama eine Vorsteckserviette holen, um sein Mittagsmahl an Bord eines Kriegsschiffes einzunehmen?«

»Sieh! Er stellt sich wirklich seewärts!« rief Wilder mit einer solchen Hast und Freude, daß ein aufmerksamerer Beobachter als sein Kommandeur Verdacht hätte schöpfen müssen.

»Was Sie sagen, ist wahr, oder ich weiß nicht mehr den Spiegel eines Schiffes von seinem Vorkastell zu unterscheiden«, erwiderte der andere etwas barsch. »Wissen Sie was, Herr Arche, ich habe große Lust, den Stutzer Respekt gegen seinen Vorgesetzten zu lehren, und ihm noch ein bißchen mehr Raum zum Rudern zu geben, um seinen Appetit zu schärfen. Ja, beim Himmel, ich will’s; mag er dann mit seinen nächsten Depeschen nach Hause auch von diesem Manöver einen Bericht abstatten. He! Braßt die Hinterrahen voll, Sir; braßt sie voll! – Da diesem ehrenwerten Jüngling beliebt, sich mit einer Schnellsegelpartie zu amüsieren, ei nu, so darf’s ihn nicht verdrießen, wenn andere dieselbe Laune haben.«

Der Leutnant der Wache, an den die Order ergangen war, gehorchte, und nach einer Minute fing der Pfeil an, sich vorwärts zu bewegen, allein in einer Richtung, die der des Delphin gerade entgegengesetzt war. – Dem alten Manne machte sein schnellfertiger Entschluß nicht wenig Freude, die er durch hundert Späße und selbstgefälliges Händereiben zu erkennen gab. Er war zu sehr mit dem eben getanen Schritt beschäftigt, um gleich wieder auf den Gegenstand, der ihm vor einigen Augenblicken der angelegentlichste war, zurückzukommen; und die beiden Schiffe, ein jedes auf seinem Striche sich leicht und stetig bewegend, hatten schon ein breites Wasserfeld zwischen sich gelassen, als er erst wieder daran dachte, das Gespräch fortzusetzen.

»So! Mag er dies in sein Logbuch eintragen, Herr Arche«, nahm der reizbare alte Teer wieder auf, indem er zu Wilder, der sich in der Zwischenzeit nicht von seinem Platze gerührt hatte, zurückkehrte. »Mein Koch versteht sich zwar nicht darauf, wie man einen Frosch schmackhaft zubereite, wer aber kosten will, ob er sonst was zubereiten könne, der muß zu ihm kommen. Beim Himmel, Junge, es wird ihm zu schaffen machen, wenn er es unternimmt, mit dieser Wendung zu uns heranzukommen. – Doch, durch welchen Zufall sind denn Sie in sein Schiff geraten? Von diesem ganzen Teil der Reise weiß ich ja noch kein Sterbenswörtchen.«

»Ich habe Schiffbruch gelitten, Sir, seit Sie meinen letzten Brief erhalten haben.«

»Wie! So ist denn der rote Patron dem Teufel endlich doch anheimgefallen?«

»Der Unfall ereignete sich in einem Schiffe aus Bristol, wo ich als eine Art von Prisenmeister angestellt war. Wahrhaftig, er hält sich langsam, aber stetig nordwärts!«

»So lassen Sie doch den jungen Stutzer laufen! Sein Abendessen wird ihm um so besser schmecken. Da sind Sie also von dem königlichen Schiffe, die Gazelle, aufgenommen worden. So: ich sehe nun schon, wie das Ganze hergegangen ist. Ja, ja, man gebe einem alten Seehund nur seinen Strich und Kompaß, so findet er seinen Weg zum Hafen, mag die Nacht noch so dunkel sein. Aber wie kam’s, Sir, daß dieser Herr Howard sich stellte, als wäre Ihr Name ihm unbekannt, als er denselben auf meiner Offiziersrolle sah?«

»Unbekannt! Schien mein Name ihm unbekannt? Vielleicht …«

»Nicht weiter davon, mein tapferer Junge, nicht weiter davon«, unterbrach Wilders besonnener, aber ebenso hitziger Kommandeur. »Mir ist dergleichen vornehme Behandlung ebenfalls widerfahren: doch wir stehen über ihnen, hoch über ihnen, mitsamt ihren Unverschämtheiten. Niemand braucht sich zu schämen, sich seinen Rang so wie Sie und ich, durch sauern, schweren Dienst, bei gutem und schlechtem Wetter, selber erworben zu haben. Zum Henker, Junge, hatte ich nicht einen dieser Emporkömmlinge einst eine ganze Woche gefüttert, und wie ich in den Straßen Londons auf ihn stoße, stiert er Ihnen nicht quer über die Straße eine Kirche an, so daß ein Einfältiger geglaubt hätte, der Gelbschnabel wisse wirklich, zu welchem Zweck ein solches Gebäude diene? Denken Sie nicht weiter daran, lieber Harry: mir sind schon ärgere Dinge passiert, ich versichere Sie.«

»Ich ging unter meinem angenommenen Namen, solange ich in jenem Schiffe war«, gewann endlich Wilder Gewalt über sich, hinzuzufügen. »Selbst die Damen, die mit mir Schiffbruch litten, kennen mich unter keinem andern.«

»Ach, das war vernünftig: so hat das junge Adelsreis am Ende doch nicht aus vornehmem Stolz Unwissenheit vorgeschützt. Na, Master Fid, wie geht’s? Du bist willkommen wieder hier auf dem Pfeil.«

»Ich habe mir die Freiheit genommen, mich beinahe selbst schon willkommen zu heißen, gnädiger Herr«, versetzte der Toppgast, der sich nicht weit von seinen beiden Offizieren etwas zu schaffen machte, offenbar, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, »’s ist ein hübsches Zimmerwerk, das dort, hat einen kühnen Befehlshaber, und derbe, wackere Mannschaft: aber was mich anbelangen tut, sintemalen ich einen Charakter zu verlieren habe, so ist’s doch mehr nach meinem Geschmack, in einem Schiffe zu segeln, das sein Patent aufweisen kann, wenn es von denen, die befugt sind, dazu aufgefordert wird.«

Die Farbe wechselte auf Wilders Wange, wie der rötlich schillernde Abendhimmel, und sein Auge nahm jede Richtung, nur die nicht, in der es dem erstaunten Blicke seines Freundes, des Veterans, begegnen mußte.

»Verstehe ich auch den Burschen nicht unrecht, Herr Arche? Jeder Offizier in der königlichen Flotte, vom Kapitän bis zum Bootsmann, das heißt nämlich, ein jeder, der nur seine fünf Sinne beisammen hat, führt zur See die schriftliche Befugnis zu seinem Amte bei sich; sonst könnte er sich leicht einmal in einer Lage befinden, die nicht minder kitzlig wäre als die eines Piraten.«

»Das ist’s ja eben, was ich sage, Sir; nur daß Ew. Gnaden durch Studia und die lange Übung besser mit Worten aufgetakelt sind. Guinea und ich haben die Sache oft hin und her besprochen, und fürwahr, Kapitän Bignall, wir sind mehr als einmal nicht wenig nachdenklich dabei geworden. ›Angenommen,‹ frug ich den Schwarzen, ›angenommen, einem der Schiffe Sr. Majestät stößt gegenwärtiges Fahrzeug auf, und es kommt zum Handgemenge und Losbrennen, was,‹ fragte ich, ›was würden zwei unseresgleichen, Guinea, bei einer solchen Bescherung tun?‹ – ›Nu,‹ sagte der Schwarze, ›wir täten bei unsere Kanonen halten, aus der Seite von Master Harry‹, sagte er; ich hatte auch nichts dawider einzuwenden, aber mit schuldigem Respekt vor seiner Gegenwart und Ew. Gnaden Ihrer muß ich gestehen, ich war so frei, hinzuzusetzen, daß, nach meiner geringen Meinung, es doch viel bequemer wäre, aus einem ehrlichen Schiffe getötet zu werden, als auf dem Deck eines Bukaniers.«

»Eines Bu … kaniers!« schrie der Kommandeur mit großen Augen und offenem Munde.

»Kapitän Bignall,« sagte Wilder, »ich habe vielleicht die von Ihnen erfahrene Nachsicht gemißbraucht, daß ich solange schwieg; doch hören Sie meine Erzählung an, ich hoffe, einige Stellen darin werden zu meiner Entschuldigung sprechen. Das Fahrzeug, das Sie dort sehen, ist das Schiff des berühmten roten Freibeuters – unterbrechen Sie mich nicht, ich beschwöre Sie bei aller Liebe, die Sie mir solange bewiesen haben, lassen Sie mich vollenden, und dann tadeln Sie, wenn Sie können.«

Wilders Worte und der männliche Ernst, mit dem er sie begleitete, hielten den aussteigenden Unwillen des ehrlichen Alten zurück. Ernst und hoch gespannt lauschte er der bündigen, aber klaren Erzählung, die sein Leutnant sich ihm zu geben beeilte; und ehe dieser noch fertig war, war auch er von jenem dankbaren, wenigstens hochherzigen Gefühl großenteils eingenommen, das den Jüngling so abgeneigt gemacht hatte, den anstößigen Charakter eines Mannes zu verraten, von dem er eine so großmütige Behandlung erfahren hatte. Einige starke, seinem Fache eigentümliche Ausrufungen der Überraschung und der Bewunderung unterbrachen wohl den Bericht hier und da; im ganzen aber zähmte er seine Ungeduld und seine Gefühle auf eine Weise, die merkwürdig genug war, wenn man das Temperament des Kapitäns in Erwägung zieht.

»In der Tat wunderbar!« rief er, als der andere geendigt hatte; »und jammerschade, daß ein so grundehrlicher Kerl ein solcher Erzspitzbube ist. Aber, Harry, bei alledem können wir ihn doch nicht frei passieren lassen; unsre Untertanenpflicht wie unsre Religion verbieten es. Wir müssen wenden und auf ihn zusteuern; wenn er mit guten Worten nicht zur Vernunft bewogen werden kann, so bleibt kein anderes Mittel als Zuschlagen, soviel ich davon verstehe.«

»Ich fürchte, unsre Pflicht läßt uns keine andere Wahl, Sir«, erwiderte der junge Mann mit einem tiefen Seufzer.

»Auch unsre Religion nicht. – Und so ist also der Schwatzhans, den er mir an Bord schickte, gar nicht einmal ein Kapitän gewesen! Aber doch hat er mich in Hinsicht auf das Äußere und das Benehmen eines Mannes von Stande nicht hintergehen können. Ich stehe dafür, es war irgendein junger Taugenichts aus guter Familie, sonst könnte er den vornehmen Wüstling nicht so gut gespielt haben. Hören Sie, Herr Arche, wir müssen versuchen, seinen Namen geheim zu halten, damit keine Schande auf seine Angehörigen falle. Unsere aristokratischen Säulen, wenn sie auch anfangen einige Sprünge und Ritzen zu bekommen, sind denn doch am Ende die Stützen des Throns, und es geziemt uns nicht, gemeine Augen zu deutlich sehen zu lassen, daß sie morsch sind.«

»Der Mann, der den Pfeil besuchte, war der Korsar selber.«

»Ha! Der rote Freibeuter auf meinem Schiff, ja sogar in meiner persönlichen Gegenwart!« schrie der alte Teer mit einer Art heiligen Abscheues. »Es gefällt Ihnen, meine Leichtgläubigkeit zum besten zu haben, Sir.«

»Ich müßte tausend Verbindlichkeiten erst aus den Augen setzen, ehe ich so dreist sein könnte. Nehmen Sie meine feierliche Versicherung, Sir, es war kein anderer.«

»Das ist unbegreiflich! Außerordentlich bis zum Wunderbaren! Außerordentlich! Seine Vermummung war sehr vollständig, ich muß es gestehen, da er imstande war, jemand zu täuschen, der sich so genau auf die Züge im menschlichen Gesicht versteht. Ich habe nichts von seinem borstigen Backenbart gesehen, nichts von seiner bestialischen Stimme gehört, kurz, bemerkte keine jener monströsen Entstellungen, die diesen Menschen auszeichnen, wie allgemein bekannt ist.«

»Alles dies sind nur Ausschmückungen, die ihm das gemeine Gerücht geliehen. Ich fürchte, Sir, die verwegensten und gefährlichsten unter der Anzahl menschlicher Laster verbergen sich oft hinter der anziehendsten Außenseite.«

»Aber der mißt ja nicht einmal seine Zolle, Sir.«

»Sein Körper ist nicht groß, allein er umfaßt einen Riesengeist.«

»Und halten Sie, Herr Arche, jenes Schiff für dasselbe Fahrzeug, das mit uns vergangenen März in den Nachtgleichen handgemein war?«

»Ich weiß es ganz gewiß.«

»Na, hören Sie, Harry, Ihretwegen will ich großmütig mit dem Schelm verfahren. Einmal ist er mir entwischt, daran war aber der Verlust einer oberen Stenge und das ungünstige Wetter schuld; doch jetzt haben wir einen guten, wirksamen Wind, auf den man mit Sicherheit rechnen kann, und eine herrliche, ruhige See. Ich brauche also bloß zu wollen, so ist er mein – denn ich denke wirklich, daß er nicht vorhat, Reißaus zu nehmen.«

»Ich fürchte, nein«, erwiderte Wilder, und verriet in den Worten unwillkürlich seine eigentlichen Wünsche.

»Kämpfen, mit der geringsten Hoffnung guten Erfolges, kann er nicht; und da er eine ganz andere Personage zu sein scheint, als ich mir ihn dachte, so wollen wir versuchen, was Unterhandlung bei ihm vermag. Wollen Sie es übernehmen, der Überbringer meiner Bedingungen zu sein? – Doch, seine Mäßigung könnte ihn vielleicht gereuen.«

»Meine Ehre zum Unterpfand, er hält Wort«, rief Wilder mit Eifer. »Lassen Sie eine Kanone leewärts lösen. Aber nicht zu vergessen, Sir, alle Zeichen müssen freundschaftliche Absichten andeuten; eine Parlamentärflagge wehe von unserm Hauptmast, so will ich mich jeder Gefahr unterziehen, um ihn in den Schoß der Gesellschaft zurückzuführen.«

»Beim heiligen Georg, es wäre wenigstens eine christliche Tat,« erwiderte der Kommandeur nach einer augenblicklichen Überlegung; »und wenn wir auch des Sieges verlustig gehen und somit nicht zu Rittern auf Erden geschlagen werden, so werden unser um so sanftere Hängematten dort oben warten.«

Kaum hatten der warmherzige und vielleicht etwas schwärmerische Kapitän des Pfeils und sein Leutnant diese Maßregel beschlossen, so trafen sie auch eifrig die nötigen Vorkehrungen, um den Erfolg zu sichern. Das Ruder wurde leewärts gelenkt; und als das Vorkastell sich dem Winde zuwendete, blitzte eine Feuersäule aus einer Pfortgate aus der Leeseite und schickte die herkömmliche, freundschaftliche Aufforderung über das Wasser, daß die, die den Pfeil regierten, den Bewohnern des andern Schiffes eine Mitteilung zu machen hätten. Zu gleicher Zeit sah man eine kleine Flagge mit schneeweißem Felde von der höchsten Spitze des Spierenwerkes wehen, während die Wimpel Englands von der Gaffel herabgelassen wurden. Eine halbe Minute tiefer Besorgnis im Busen derer, die diese Signale zu geben befohlen hatten, folgte jetzt. Indessen wurde ihrer Ungewißheit bald ein Ende gemacht. Eine Rauchwolke aus dem Fahrzeug des Rover trieb vor dem Winde, und gleich darauf erscholl der dumpfe Knall der erwidernden Kanone. Eine der ihrigen ähnliche Flagge flatterte, gleichsam wie die Fittiche einer fliegenden Taube, hoch über allen Stengentopps; dagegen war an der Spitze, wo man gewöhnlich die Farben sieht, die die Nation eines Küstenfahrers andeuten, durchaus kein Signal der Art zu entdecken.

»Der Kerl ist doch so bescheiden, in unserer Gegenwart mit nackter Gaffel zu fahren«, sagte Bignall, indem er seinen Gefährten auf den Umstand, als eine ihren Wünschen günstige Vorbedeutung aufmerksam machte. »Bis zu einer mäßigen Entfernung wollen wir auf ihn lossteuern, und dann sollen Sie das Boot besteigen.«

Diesem Entschluß gemäß wurde der Pfeil gewendet und mehr Segel beigesetzt, um die Schnelligkeit zu vermehren. Als sie innerhalb einer halben Kanonenschußweite gekommen waren, brachte Wilder seinem Obern bei, daß es ratsam wäre, nicht weiter vorzurücken, um den Anschein feindseliger Gesinnung zu vermeiden. Sogleich wurde das Boot hinab in die See gelassen und bemannt: eine Waffenstillstandsflagge vorn aufgepflanzt und dann Bericht abgestattet, daß alles bereit sei, um den Überbringer der Botschaft aufzunehmen.

»Sie können ihm diese schriftliche Auseinandersetzung unserer Streitkräfte einhändigen, Herr Arche; denn da er ein Mann ist, der Vernunft annimmt, so wird ihn dies Papier belehren, wie sehr wir im Vorteil stehen«, sagte der Kapitän, nachdem er sich in der Wiederholung seiner mannigfaltigen Instruktionen erschöpft hatte. »Ich denke, Sie können ihm immer Verzeihung für das Vergangene zusichern, wenn er nämlich in meine sämtlichen übrigen Bedingungen einwilligt; in jedem Fall aber können Sie soviel sagen, daß alle mögliche Verwendung geschehen soll, um für seine Person wenigstens eine vollständige Reinigung zu erwirken. Gott erhalte dich, Junge! Daß Sie ja nichts fallen lassen von der Havarie, die wir in der Affäre vom vergangenen März gelitten haben; denn … hm … denn die Winde der Nachtgleichen bliesen gerade etwas scharf, wie Sie wissen. Adieu! Und guten Erfolg!«

Das Boot stieß von der Seite des Schiffes ab, als er fertig war, und nach wenigen Augenblicken war Wilder, obgleich er sich zu hören anstrengte, schon zu weit, um von dem fernern guten Rat, den der Alte noch nachrief, ein Wort vernehmen zu können. Während des Ruderns nach dem noch ziemlich entfernten Korsarenschiffe hatte unser Abenteurer hinlänglich Muße, über die außerordentliche Lage, in der er sich jetzt befand, seine Betrachtungen anzustellen. Ein- oder zweimal durchzuckte seine Seele ein Schimmer von Mißtrauen in die Klugheit des Schrittes, den er zu tun im Begriff war; doch war er nur flüchtig und vorübergehend, denn die Erinnerung an die großartige Gesinnung des Mannes, dem er sich anvertraute, ließ diese Besorgnis nicht vorherrschend werden. Ungeachtet der Bedenklichkeit seiner Lage wurde doch, sowie er dem Fahrzeuge des Rover näher kam, das Interesse am Seewesen immer mächtiger, ein Interesse, das jedem echten Matrosen so charakteristisch ist und in seinem Busen selten ganz verstummt. Das vollkommene Ebenmaß der Spieren, das anmutige Auf- und Niederschweben des ganzen Gebäudes, indem es sich auf den langen, regelmäßigen Wogen, wie sie sich unter Passatwinden zu gestalten pflegen, gleich einem Seevogel wiegte, endlich das zierliche, schiefe Aufschießen der schlanken Masten, wie sie sich Bahn brachen vorwärts durch den blauen, von dem künstlich verwickelten Netzwerk der Taue durchschnittenen Äther, waren reizende Gegenstände für ein Auge, das ihre Schönheit nicht nur im ganzen fühlte, sondern auch die Anordnung jedes einzelnen Teils dieses schönen Ganzen würdigen konnte. So konnte es geschehen, daß Wilder einen Augenblick ganz vergaß, was für eine wichtige Botschaft er hatte, als das Schiff, das mit Recht darauf Anspruch machen konnte, ein Juwel des Ozeans zu sein, nun klar vor seinen Augen lag.

»Laßt einmal eure Ruder ruhen, Burschen,« sagte er, und winkte den Leuten, den Lauf des Bootes anzuhalten; »setzt die Ruder beiseite! Hast du je schöner aufschießende Masten als diese da gesehen, Master Fid, oder Segel, die herrlicher gebraßt gewesen wären?«

Der Toppmann, der an dem Hauptruder in der Pinasse saß, warf einen Blick über seine Schulter, und nachdem er sich die eine Wange mit einem Stück Rollentabak angestaut hatte, das dreist mit einem Kanonenpfropfen verglichen werden darf, ließ er sich bei einer Gelegenheit, wo so unmittelbar ein Gutachten von ihm verlangt wurde, ohne Zögern also vernehmen:

»Ich kümmere mich nicht, wer es hört, denn mag’s nu von ehrlichen Kerlen oder von Spitzbuben gehandhabt werden, so hab‘ ich doch den Vorkastellmännern aus dem Pfeil gleich in den ersten fünf Minuten, nachdem ich wieder bei ihnen angelangt war, gerade raus gesagt, daß sie einen ganzen Monat im Portsmouther Hafen liegen könnten, ehe sie einen so leichten und doch so gute Dienste tuenden Windsang zu sehen bekämen, wie der an Bord dieses Rumschwärmers. Ist doch sein unteres Tauwerk eingefädelt und schlank wie Jungfer Lene Dale, wenn sie die Stagtaljereepen an ihrem Schnürleibchen wacker angeholt hat! Da ist auch nicht ein einziger Block, der da, wo er sitzt, größer aussähe, als in dem niedlichen Mädchengesicht die Guckäugelein. Sehen Sie dort das Taugewinde an dem Fockbrassenblock? Das ist von der Hand eines gewissen Richard Fid verfertigt, und das Herz in dem großen Stag, das hat der Guinea hier eingedreht; man muß zwar bedenken, daß er nur ein Neger ist, aber nach Schiffsart ist es doch gemacht, sag‘ ich.«

»Es ist in allen seinen Teilen herrlich, das Schiff!« rief Wilder, tief Atem holend. »Zugerudert, Leutchen, Angerudert! Glaubt ihr denn, ich sei da, um die Seetiefen zu sondieren?«

Die Leute schraken zusammen bei der Hast, womit ihr Leutnant sprach, und nach einer zweiten Minute war das Boot an der Seite des Piratenschiffs. Die wilden, drohenden Blicke, die ihn trafen, als er die Planken betrat, machten ihn einen Augenblick unschlüssig, ob er sich mitten durch die Mannschaft vorwärts wagen sollte oder nicht. – Allein die persönliche Gegenwart des Freibeuters, der mit der ihm eigentümlichen, hohen, imposanten Herrschermiene auf der Schanze stand, ermutigte ihn nach einem Zaudern, das von zu kurzer Dauer war, um bemerkt werden zu können, seinen Gang fortzusetzen. Schon öffnete er die Lippe zum Sprechen, da gab ihm der andere einen Wink, worauf sich beide schweigend in die einsame Kajüte zurückzogen.

»Der Argwohn unter meinen Leuten ist wach geworden, Herr Arche«, hob der Rover, als sie allein waren, das Gespräch an und legte einen besondern, bedeutsamen Nachdruck auf den Namen des Angeredeten. »Der Verdacht regt sich unter ihnen, obgleich sie vorerst kaum wissen, was sie eigentlich glauben sollen. Die Bewegungen beider Schiffe sind nicht von der Art gewesen, wie sie sie zu sehen gewohnt sind, und es fehlt nicht an Stimmen, deren Einflüsterungen gerade nicht sehr günstig für Sie lauten. Sie haben nicht wohlgetan, Sir, daß Sie wieder zu uns zurückkehrten.«

»Ich bin auf Befehl meines Obern gekommen, und unter dem Schutze einer Parlamentärflagge.«

»Wir geben uns wenig damit ab, über die gesetzlichen Unterscheidungszeichen der Welt zu vernünfteln, und könnten leicht Ihre Rechte in Ihrer so neuen Eigenschaft verkennen. Doch«, fügte er rasch und mit Würde hinzu, »wenn Sie der Überbringer einer Botschaft sind, so darf ich wohl voraussetzen, daß sie für meine Ohren bestimmt ist.«

»Und für keine anderen. Wir sind nicht allein, Kapitän Heidegger.«

»Achten Sie auf den Knaben nicht; wenn ich will, so ist er taub.«

»Ich wünschte, die Anerbietung, die ich überbringe, Ihnen allein mitteilen zu können.«

»Dieser Mast ist nicht bewußtloser als Roderich«, sagte der andere ruhig, aber mit Entschiedenheit.

»Wohlan, so muß ich denn reden, auf jede Gefahr hin. – Der Kommandeur des Schiffes dort, angestellt von unserem königlichen Herrn, Georg dem Zweiten, hat mir befohlen, folgendes Ihrer reiflichen Erwägung vorzulegen: Unter der Bedingung, daß Sie dies Fahrzeug mit seinen sämtlichen Magazinen, Waffenrüstungen und sonstiger Kriegsmunition unbeschädigt übergeben, will er sich mit zehn aus Ihrer Mannschaft durchs Los auszuhebenden Geiseln, Ihnen selbst und noch einem Ihrer Offiziere begnügen; den Rest will er entweder in königliche Dienste aufnehmen oder ihm erlauben, auseinander zu gehen und sich einem ehrenvolleren und, wie ich wohl jetzt sagen darf, sicherern Beruf zu widmen.«

»Dies ist die Großmut eines Fürsten! Ich sollte hinknien und das Deck küssen vor einem, dessen Lippen solche Gnadenworte entströmen.«

»Ich wiederhole nur die Worte meines Vorgesetzten«, fuhr Wilder fort, und das Blut schoß nach seinen Wangen. »Was Sie selbst betrifft, so macht er sich ferner anheischig, sich höchstangelegenrlich zu verwenden, um einen Pardon zu erhalten, unter der Bedingung, daß Sie das Meer verlassen und dem Namen eines Engländers auf ewig entsagen.«

»Letzteres ist bereits geschehen; aber darf ich die Ursachen erfahren, warum man einem, dessen Name solange von den Menschen präskribiert ist, solche milde Bedingungen macht?«

»Kapitän Bignall hat vernommen, wie großmütig Sie seinen Offizier, wie zart Sie die Tochter und Witwe zweier ehemaliger Waffenbrüder behandelt haben. Er gesteht, das Gerücht habe Ihrem Charakter keine sonderliche Gerechtigkeit widerfahren lassen.«

Mit einer mächtigen Anstrengung gelang es dem Zuhörenden, den Triumph, der auf seinen Zügen leuchtete, zu unterdrücken, so daß er durchaus gelassen, ohne äußerliche Bewegung und mit einer gewissen Kälte die offenbar zum Fortfahren auffordernde Zwischenbemerkung hinwarf:

»Man hat ihn falsch berichtet, Sir.«

»Dies räumt er ohne Anstand ein. Eine Berichtigung des allgemein verbreiteten Irrtums an den gehörigen Ort ergehend, wird Gewicht genug haben, um die versprochene Amnestie für das Vergangene, ja wie er hofft, glänzendere Aussichten für die Zukunft herbeizuführen.«

»Und gibt er keinen Grund an, warum ich diese meine ganze Lebensweise so gewaltsam ändern, warum einem Element entsagen soll, das mir ebensosehr wie das, was ich atme, zum Bedürfnis geworden ist, und warum ich namentlich den vielgepriesenen Vorzug aufgeben soll, mich einen Briten zu nennen? Gibt er zu alle diesem keinen weitern Grund an als sein hohes Belieben?«

»Ja. Hier diese Beschreibung seiner Streitkräfte, die Sie, wenn Sie wollen, mit eigenem Auge untersuchen können, muß Sie überzeugen, daß Widerstand hoffnungslos sei, und wird, denkt er, Sie bewegen, seine Anerbietungen anzunehmen.«

»Und was ist Ihre Meinung?« fragte der andere mit einem vielsagenden Lächeln und ganz eigentümlichem Nachdruck, indem er die Hand ausstreckte, um das Papier in Empfang zu nehmen. »Doch ich bitte um Verzeihung«, setzte er schnell hinzu und kehrte, als er das ernste Antlitz seines Gefährten gewahr wurde, selbst zum Ernst zurück. »Ich scherze, während der Moment uns so sehr zum Gegenteil auffordert.«

Rasch durchflog er die Schrift; nur zwei oder drei Punkte, die am meisten seiner Aufmerksamkeit würdig zu sein schienen, fesselten seinen Blick etwas länger und gewannen ihm eine flüchtige Äußerung von größerem Interesse ab.

»Sie finden doch durch diese Auseinandersetzung meine Behauptung von unserer Überlegenheit bestätigt?« fragte Wilder, als das Auge des andern von dem Papier wegsah.

»Ja.«

»Darf ich nun fragen, was sie für einen Entschluß fassen auf dies Anerbieten?«

»Zuerst sagen Sie mir, welchen Rat gibt Ihr eigenes Herz? Dies ist nur die Sprache eines Dritten.«

»Kapitän Heidegger,« sagte Wilder errötend, »ich will nicht zu leugnen streben, daß ich andere Ausdrücke gewählt haben würde, hätte die Abfassung der Botschaft von mir allein abgehangen; demungeachter, bei der lebendigsten und wärmsten Erinnerung an Ihre Großmut, und als ein Mann, der mit Wissen und Willen selbst seinen Feind zu keinem entehrenden Schritt verleiten möchte, rate ich Ihnen dringend zur Annahme. Erlauben Sie mir zu sagen, daß ich schon während unseres Umganges vor kurzem nicht ohne Grund in Ihnen die Einsicht voraussetzen durfte, daß in Ihrer jetzigen Lebensweise weder der Charakter, den Sie gewiß zu verdienen wünschen, noch die Zufriedenheit, nach der alle sich sehnen, zu finden sei.«

»Ei, ei, daß ich in Herrn Heinrich Wilder einen so haarfeinen Kasuisten bewirtete, ließ ich mir in der Tat nicht träumen. Haben Sie außerdem noch etwas vorzubringen, Sir?«

»Nichts«, erwiderte der schmerzlich getäuschte Abgesandte des Pfeil.

»Doch, doch, noch etwas,« sprach eine eifrige Stimme hinter dem Rover, aber so leise, daß die Silben mehr hervorgehaucht als wirklich ausgesprochen schienen: »noch nicht die Hälfte seines Auftrags hat er ausgerichtet, oder er ist des heiligen Vertrauens zu ihm auf eine schreckliche Weise uneingedenk.«

»Der Knabe hat oft seine Träume«, unterbrach der Rover mit dem wohlbekannten, wild entstellenden Lächeln. »Er läßt zuweilen seine inhaltslosen Gedanken in äußere Gestalt heraustreten, indem er sie in Worte einkleidet.«

»Nicht inhaltlos sind meine Gedanken«, fuhr Roderich lauter und bei weitem kühner geworden fort. »Ach, wenn sein Frieden, sein Wohl Ihnen teuer ist, verlassen, verlassen Sie ihn noch nicht. Halten Sie ihm seinen hohen, ehrenvollen Namen vor; seine Jugend, jenes teure und tugendhafte Wesen, das er einst so unsäglich liebte, dessen Andenken er noch, ja noch immer, anbetet. Da Sie zu sprechen verstehen, o, sprechen Sie mit ihm von diesen Dingen; und bei meinem Leben, sein Ohr wird nicht taub, sein Herz kann nicht hart bei Ihren Worten bleiben.«

»Das kleine Wesen ist wahnsinnig!«

»Ich bin nicht wahnsinnig; oder wenn ich es bin, so ist es durch die Verbrechen, die Gefahren derer, die ich liebe. Ach! Herr Wilder, verlassen Sie ihn nicht. Seit Sie bei uns waren, ist er weit mehr wieder das, was er, ich weiß es, einst gewesen. Weg mit dieser schlecht berechneten Aufzählung Ihrer Streitkräfte; Drohungen verhärten ihn nur. Als Freund ermahnen Sie, aber hoffen Sie nichts als Diener der Rache. Sie kennen das furchtbare Gemüt dieses Mannes nicht, sonst würden Sie nicht einem reißenden Strome Einhalt zu tun versuchen. Jetzt – ach jetzt reden Sie! Sieh, sein Auge wird schon milder.«

»Aus Mitleid, Knabe, daß ich sehen muß, wie deine Vernunft wankt.«

»O, daß sie nie mehr als in diesem Augenblick gewankt hätte, Walter! Dann würde es zwischen dir und mir der Rede eines Dritten nicht bedurft haben; dann würden meine Worte beachtet, meine Stimme laut genug gewesen sein, um von dir vernommen zu werden. – Ach, warum sind Sie stumm? Eine einzige Silbe könnte ihn jetzt retten.«

»Wilder, das Kind ist durch diese Aufzählung von Kanonen und Truppen in Schrecken gejagt. Er fürchtet den Zorn Ihres gesalbten Herrn. Gehen Sie; schenken Sie ihm einen Platz in Ihrem Boot, und empfehlen Sie ihn der Gnade Ihres Vorgesetzten.«

»Hinweg, hinweg!« schrie Roderich. »Ich werde nicht, will nicht, kann dich nicht verlassen. Wer bleibt mir hienieden noch außer dir?«

»Ja,« fuhr der Rover fort, in dessen Ausdruck nicht mehr die erzwungene Ruhe, wohl aber tiefes, trauriges Nachdenken vorherrschte: »so wird es wirklich besser sein! Schauen Sie her, hier ist viel Gold; Sie werden ihn der Sorgfalt jenes vortrefflichen Weibes anempfehlen; ihr ist ja ohnedies schon ein Wesen anvertraut, kaum weniger verlassen, obgleich vielleicht weniger …«

» Schuldig! Sprich es immerhin aus, das Wort, Walter! Verdient habe ich den Zusatz, und werde nicht zittern, ihn aussprechen zu hören. Sieh,« sagte er, haschte dabei die schwere Geldbörse, die Wildern hingehalten wurde, und hielt sie mit Verachtung hoch über sein Haupt weg, »dies kann ich wegwerfen; aber das Band, das mich mit dir verbindet, soll nie zerrissen werden.«

Während des Sprechens hatte der Knabe sich einem offenen Fenster der Kajüte genähert; es ertönte das Geplätscher eines fallenden Körpers, und ein Schatz, der einem Menschen von mäßigen Wünschen ein immerwährendes Auskommen hätte sichern können, war für den Gebrauch derer, die ihm den Wert beigelegt, auf ewig verloren. Der Leutnant des Pfeil eilte herbei, um den Zorn des Rovers zu beschwichtigen; allein keine Spur von einem andern Gefühl als Mitleid konnte sein Auge auf den Zügen des gesetzlosen Häuptlings entdecken, aber ein Mitleid, so innig, daß es selbst durch sein ruhiges, unbewegliches Lächeln hindurchdrang.

»Roderich würde einen schlechten Zahlmeister abgeben«, sagte er. »Dennoch ist es nicht zu spät, ihn den Seinigen wieder zu schenken. Der Verlust des Goldes ist nicht unwiederbringlich; aber wenn ein wirkliches Leid das Kind träfe, es wäre auf immer um meinen Seelenfrieden geschehen.«

»So behalten Sie ihn in Ihrer Nähe«, lispelte der Knabe, dessen heftige Erschütterung ihn erschöpft zu haben schien. »Gehen Sie, Herr Wilder, gehen Sie; Ihr Boot wartet, längeres Bleiben ist zwecklos.«

»Das befürchte ich!« erwiderte unser Abenteurer, der während des vorhergehenden Gesprächs unaufhörlich den Blick voll männlichen Bedauerns auf das Antlitz des Knaben geheftet hielt; »sehr befürchte ich das! – Da ich indessen als Abgesandter eines Dritten hier bin, Kapitän Heidegger, so ist es nun an Ihnen, auf meinen Antrag eine zweckmäßige Antwort zu geben.«

Hierauf nahm ihn der Rover beim Arme und führte ihn an eine Stelle, von wo aus man sehen konnte, was draußen vorging. Hier zeigte er mit dem Finger hinauf auf seine Spieren, machte seinen Gesellschafter auf die geringe Anzahl Segel, die er führte, aufmerksam, und sprach diese wenigen Worte: »Sir, Sie sind Seemann, und was Sie sehen, wird Sie meine Absichten erraten lassen. – Ich werde den prahlenden Kreuzer Ihres Königs Georg weder suchen noch vermeiden.«